HAUTNAH Trekking Wallis Trekking Wallis HAUTNAH Mit einer Säumer-Karawane vom Wallis ins Piemont EIN TROPFEN ZEIT Wilde Landschaft, wilde Gesellen. Der Stockalperweg birgt spannende Geschichten von Säumern und Schmugglern, von Gaunern und Goldgräbern. Eine Fussreise der besonderen Art vom Simplon nach Domodossola. 72 73 Trekking Wallis HAUTNAH Lukas Escher im Zwischbergental käst noch ganz traditionell überm Holzfeuer. Nebel hängt schwer über der Passhöhe. Das Klappern von Hufen auf felsigem Grund, ein Scharren und Schnaufen dringt geisterhaft hindurch. Ein ahnungsloser Wanderer würde seinen Augen nicht trauen, sich auf einer Zeitreise wähnen, angesichts des sonderbaren Zuges, der sich da plötzlich aus dem Nichts schält. Wilde Gesellen in Fellwesten, den Filzhut tief ins Gesicht gezogen, mit Packtieren im Schlepptau – gekleidet, als ob seit jener Mode nicht schon Jahrhunderte vergangen wären. Fast wie zu Stockalpers Zeiten, der im 17. Jahrhundert die Saumstrasse über den Simplon als Handelsweg ausbaute. Gleichzeitig donnern hochmotorisierte Vierzigtonner über den Pass. Gerade deswegen will eine Gruppe Verwegener das Kulturerbe wieder aufleben lassen, die grossartige Landschaft neu erlebbar machen. Jeder Wanderer kann mitmachen. Auch wir schliessen uns den Säumern an, an diesem klammen Sommertag. Ein paar Höhenmeter tiefer wird das Wetter prompt freundlicher. Die Sonne blinzelt durch. Logisch, wir nähern uns dem Süden, die Nebelsuppe bleibt am Simplonpass hängen. Der Alte Spittel taucht auf, den Kaspar Jodok von Stockalper Mitte des 17. Jahrhunderts bauen liess. Ein Blickfang in der kargen Hochgebirgslandschaft. Ein mächtiger Turm, für ewige Zeiten errichtet, die Mauern so dick, dass keine Lawine sie brechen kann. Sie erinnern an damals: Geschäftiges Treiben, Waren werden 74 Simplon-Dorf hält die Erinnerung wach. verladen, derbe Sprüche hallen durch den Abend, die Schnapspulle geht rum, man bettet sich für die Nacht ... Stoff für einen Roman, wie jener der britischen Schriftstellerin Daphne du Maurier, die in «Ein Tropfen Zeit» einen Probanden mittels Droge ins Mittelalter versetzen lässt, wo er die Ereignisse hautnah miterlebt. Jetzt liegt der Alte Spittel verlassen da. Damals diente er als Sust, als Warenlager und Herberge für die Säumer. Die obersten Etagen waren dem «König des Simplon» als Sommerresidenz vorbehalten. Nach seinem Sturz scheint sich niemand mehr so recht um den Unterhalt des Gebäudes gekümmert zu haben. So hält beispielsweise der Reisende Johannes von Müller in seinem Tagebuch anno 1777 den Alten Spittel als «Wohnung für Gespenster» fest. Kurzzeitig kam der einsam gelegene, trutzige Bau als Gefängnis für Landesverräter zum Einsatz. 1802 übernahmen die Chorherren des Augustinerordens den verwahrlosten Turm. Geballte Geschichte bunkert der Simplon, den die meisten wohl nur vom Durchfahren kennen. Mag sein, dass manche fürchten, der Wanderweg würde zu nah an der Strasse entlangführen. Doch man bekommt auf dem Stockalperweg überraschend wenig mit vom Verkehrslärm. Links bäumt sich die Eisbastion des Monte Leone, rechts schwingen die Flanken zu den Gletschern des Fletschhorns empor. Zügig wandern wir dem Engiloch entgegen. Der Alte Spittel kann heute als Gruppenunterkunft gebucht werden. Geboren aus einer Stammtischidee Wir, das sind sechs Säumer, angeführt von Daniel Flühler, dazu etwa die gleiche Anzahl Wanderer – ein Experiment, fast schon eine kleine Expedition. Immer wieder gilt es, die Route auszukundschaften, um zu sehen, ob sie mit Saumtieren machbar ist. Schon stellt sich ein Problem in den Weg. Ein knorriger Baum, der sich in dem von Trockenmauern geschützten Weg breit gemacht hat. Für die schmalen Esel ist die enge Passage kein Hindernis, doch die Haflingerdame Aleika bleibt mit ihrem ausladenden Gepäck stecken. «Ruhig!». Säumer Hans hat das im Griff. Dank seiner Dirigierkunst schrammt Aleika doch noch durch das Nadelöhr, und mit ein paar routinierten Handgriffen ist auch die Schieflage des Bastsattels rasch wieder in Ordnung gebracht. Anfang der letzten Jahrtausendwende hat sich diese neue Säumerbewegung gebildet, geboren aus einer Stammtischidee. Der Heimatschutz von Giswil hatte zuvor bei der Renovierung alter Häuser erstaunt Elemente piemontesischer Architektur festgestellt. Historiker forschten nach und stiessen in Archiven auf interessante Dokumente eines regen Käsehandels und Kulturaustausches mit Italien. Der Sbrinz, ein Hartkäse aus der Innerschweiz und eine der ältesten Käsesorten Europas, war der erste transportfähige Käse – ein Exportschlager im Mittelalter. Auf den oberitalienischen Märkten riss man sich um den «sbrinzo». Die Historiker sind sich sicher, dass eben dieser Export dem Käse seinen Namen einbrachte. Denn Brienz im Berner Oberland war ein grosser Sammelplatz, bevor es über die Pässe nach Italien ging. Natürlich wurde nicht nur mit Käse gehandelt, auch mit Salz, Reis, Wein, Tabak, Tuch, Seide, Leder, Vieh – mit allem, was transportfähig und gefragt war. «Le Roi du Simplon» Am Simplon hatte Stockalper den Handel fest im Griff. Zwar nur für eine kurze Zeitspanne, aber doch so, dass er sich ein Denkmal setzte. Von wegen Männer könnten nicht multitasking-fähig sein: Der aus einer betuchten 75 Unzählige historische Wegrelikte begegnen einem auf der Route nach Domodossola. Briger Familie Stammende bewährte sich als Händler, Spediteur, Bergbauunternehmer, Bauherr, Immobilieninvestor, Monopolbetreiber, Politiker, Diplomat. Er beherrschte sechs Sprachen in Wort und Schrift, pflegte rege Beziehungen mit den Kirchen- und Königshäusern und sammelte jede Menge Titel und Orden ein. «Le Roi du Simplon», wie er am Hofe Ludwigs des XIV. genannt wurde, hinterliess 14 wuchtige Handels- und Rechnungsbücher, in denen er alles akribisch notierte. Mit einem ausgefeilten Leih- und Zinssystem machte er die Menschen abhängig von sich. Viele verloren Grund und Boden, was letztendlich auch zum Sturz Stockalpers führte. Vom Landrat wurde ihm Bereicherung auf Kosten des Volkes vorgeworfen. Angeklagt wegen «Hochverrats» floh der damals mit Abstand reichste Mann des Wallis 1679 für sechs Jahre nach Domodossola ins Exil. Gefährliches Pflaster Italienische Kaufleute hatten zuvor ab 1634 ihre Transitgeschäfte in die Hände Stockalpers gelegt. Der Simplon galt damals als kürzeste Verbindung zwischen Mailand und den Märkten in Nordfrankreich. Über 200 76 Säumer standen in Stockalpers Dienst. Eine beschwerliche Arbeit, der Fussmarsch, der bis in den Spätherbst bei jedem Wetter anstand. Es gab einen fixen Zeitplan, der nicht nur wegen der Markttage ernst zu nehmen war, sondern auch, weil auf den oft abenteuerlichen, schmalen Gebirgspfaden die Säumer kaum aneinander vorbeikamen. Bisweilen stürzte ein Tier und riss den ganzen Trupp mit in den Abgrund. Heute dagegen haben wir den Saumpfad ganz für uns. Wir müssen auch keine Markttage einhalten. Dass der Weg so gut erhalten ist, ist der Stiftung «Ecomuseum Simplon» zu verdanken. Der Bau einer Wirtschaftsstrasse hätte für den Stockalperweg in den 1980erJahren beinahe das Aus bedeutet. Doch weitsichtige Historienkenner konnten das verhindern. Auf manchen Abschnitten musste viel Erde abgetragen werden, um die ursprüngliche Pflasterung wieder freizulegen. Italienische Mauerspezialisten rekonstruierten Trockenmauern. Unzählige Erosionsschäden galt es zu beheben, ehe der Weg 1994 neu eingeweiht werden konnte. In der «Engi» kommen sich Geschichte und Gegenwart ganz nah. Der Weg führt über Stufen, die Säumer in die Felsplatten geschlagen haben. Ein Stück weiter passieren wir eine Sust, die noch aus der Zeit vor der Stockal- Natürlich wetterfest: Windjacke mit ECO-Bionic Finish. Rüsten Sie sich natürlich gegen Wind und Wetter. Lazimpat heisst diese modisch geschnittene Softshelljacke aus Windmaster-Sympatex mit einstellbarer Kapuze. Das extrem strapazierfähige Material für besondere Abriebfestigkeit und optimale Bewegungsfreiheit ist wasserabweisend und winddicht und bietet hervorragende Atmungsaktivität. Die hydrophile Membran Sympatex ist gesundheitlich unbedenklich, umweltfreundlich, zertifiziert nach Öko-Tex® Standard 100 und erfüllt alle Anforderungen des Bluesign® Labels. 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Zwei Hirtinnen begrub er für immer, dazu jede Menge Vieh und wertvolles Kulturland. Vier bis fünf Jahre sollen die Eismassen im Gelände gelegen haben, bevor sie abschmolzen und nichts als Steine hinterliessen. Noch heute gibt es solche Felsstürze, zuletzt in Gondo. Mit Pferd und Esel unterm Sternenhimmel Hinter einem Hügel taucht Simplon-Dorf auf. Mit Granitplatten gedeckte Häuser ducken sich um die Kirche. Das ganze Dorf rennt zusammen: «Die Säumer kommen.» So muss es auch damals gewesen sein. Nur die Sust, der «Alte Gasthof», hat eine andere Bestimmung bekommen. Er dient heute als Zentrum des Ecomuseums. Ein histori- Säumer Dres Wyss. 78 scher Kilometerstein am «Hotel Post» markiert die halbe Strecke zwischen Brig und Domodossola. 1810 unter Napoleon als Kaserne erbaut, jahrzehntelang dann zur Pferdewechselstation für Postkutschen umfunktioniert, dient das «Post» bis heute als Herberge. Auch das «Fletschhorn» diente schon zu Säumerzeiten als Gasthaus. Jünger ist das «Grina». Dort wirtschaften die Arnolds. Das Roggenbrot von Amadeo Arnold ist berühmt, weil rar. Seit 1778 stellt die Familie den Sauerteig nach unverändertem Rezept her, so einfach wie köstlich. Ganz ohne Zusatzstoffe. Was damals das «Brot der Armen» war, ist heute ein Produkt von Slow Food Schweiz. Während das Gros der Wanderer in weichen Federbetten schlummert, schläft Dres Wyss lieber bei den Tieren unterm Sternenhimmel. Er geniesst das Draussensein. «Wahrscheinlich war ich in meinem Vorleben Säumer», sagt der gelernte Zimmermann aus Meiringen schmunzelnd. Auch Yolanda Eberhard hat sich ganz der Säumerei verschrieben. Bei jedem Treck ist die Innerschweizerin mit dabei. Das geht auch ohne eigenes Tier. Yolanda leiht sich eines bei den Freizeitbauern Dres oder Hans, die einen oder mehr Vierbeiner zu viel haben. «Das Erlebnis mit den Tieren schweisst zusammen», resümiert sie. «Und es wird einem bewusst, wie wertvoll es ist, die Heimat zu erhalten und ihr mit Respekt zu begegnen.» Simplon-Dorf lebte einst vom Säumerwesen. Als die ersten Gipfelspitzen in der Morgensonne glitzern, sind alle schon wieder auf den Beinen. Satteln und Zäumen braucht Zeit. Jeder Handgriff muss sitzen, damit das Gepäck unterwegs nicht verrutscht. Die Route führt über ein paar grasbewachsene Galerien, unter denen der Verkehr brummt. Dann schwingt sie sich aber ins stille Laggintal, um den Feerberg zu erklimmen. Mit jedem Höhenmeter schälen sich Fletsch- und Lagginhorn weiter aus ihrer Verdeckung und setzen blendende Akzente ins weite Panorama. Wie ein Tuch breitet sich tief unten die zuvor durchwanderte Passlandschaft aus. Grosses Kino, auch für die Eringergesellschaft, deren Mitgliedern vor Überraschung das Gras im Maul stecken bleibt. Nicht etwa wegen der fantastischen Natur, die sind sie gewöhnt. Doch eine Säumertruppe haben sie noch nie gesehen. Wie Walliser Kampfkühe eben so sind, siegt schnell die Neugier. Wollen die schwarzen Monster mit ihren langen Hörnern auf Tuchfühlung gehen? Vorsichtshalber macht jeder ein paar schnelle Schritte den letzten Stutz zur Furggu hinauf. Das Panorama wechselt. Nur noch der tiefe Einschnitt des Zwischbergentals trennt von Italien. Nach den schweisstreibenden Höhenmetern freut sich jeder auf eine Pause. Ganz traditionell am Lagerfeuer natürlich. Pfannen werden ausgepackt, Käse wird geschmolzen, mit Bier vermengt, über knuspriges Ruchbrot gegossen. Ob sich auch die Säumer von damals so ein gluschtiges Chäsbrätel haben schmecken lassen? Ganz bestimmt ging aber die Weinpulle rum. Das macht müde. Zeit für ein Nickerchen in der weichen, duftenden Wiese, die von den Packtieren auf andere Art geschätzt wird. Dres’ Esel Felipe aber sitzt der Schalk im Nacken. Er nutzt die Gelegenheit, um Brot zu klauen. Vergangene goldene Zeiten Knorrige, uralte Lärchen beschatten den Steilabstieg nach Zwischbergen – eine geschichtsträchtige Talfalte, Schmugglerhochburg, Goldgräberstadt. Rolf Gruber, Präsident von Simplon Tourismus und ausgebildeter Wanderleiter, weiss jede Menge Geschichten zu erzählen. Die Goldminen am Eingang des Zwischbergentals kannten schon die Römer. Logisch, dass auch Stockalper versuchte, sie auszubeuten. Doch der eigentliche Boom fand erst Mitte des 19. Jahrhunderts statt, als französische Aktiengesellschaften den Goldrausch auf den Höhepunkt trieben. So wurde Gondo die erste Walliser Gemeinde mit elektrischem Strom. Es gab eine direkte Postkutschenlinie Paris – Gondo, eine eigene Zeitung, ein Luxushotel. Rauschende Feste wurden gefeiert. Die Zeitung schrieb damals von einem «Neuen Kalifornien Archaische Dörfer, wie Monteossolano, begeistern im Val Bognanco. 79 Trekking Wallis HAUTNAH Mystische Wälder, steile Pfade … in den Walliser Bergen». Heute sind von der «Goldgräber-Stadt» nur Ruinen übrig. So abrupt die Champagnerkorken aus den Flaschenhälsen schossen, so abrupt kam der Konkurs am 17. Mai 1897. Das Erz gab kein Gold mehr her. Längst liegt das Zwischbergental wieder im Abseits. Davon kann auch «Köbi» Squaratti ein Lied singen. Er heut gerade am Wegesrand. «Früher gab es noch zwölf Bauern im Zwischbergental», berichtet er. Heute ist er der einzige. Die Versuchungen der Stadt, mehr Geld, mehr Bequemlichkeiten ... Köbi zuckt mit den Schultern. Er wohnt im Talgrund gleich neben der alten Schule, die heute ein Ferienhaus ist. Bis 1971 drückte er da selbst noch die Schulbank, mit 21 Schülern. 1973 musste die Schule schliessen. Über 50 Hektar, 18 Kühe und ein paar Ziegen sind Köbis Besitz. «Doch ohne Subventionen könnte ich nicht überleben», sagt er und wetzt die Sense. In der Siedlung Bord quartieren wir uns ein. Lukas Escher schafft dort den Spagat zwischen Gastronomie und Alpwirtschaft. In der einzigen Herberge des Tals bietet er seinen Gästen leckere Küche mit lokalen Produkten. Gleichzeitig ist er auch Senn der Alpe Waira. Er ist stolz darauf, die Alpe Waira seit 38 Jahren vor dem Zuwuchern zu bewahren. Schüler haben ihm ge- 80 … da braucht’s dann mittags schon mal ein Nickerchen. holfen, die Wiesen immer wieder frei zu schlagen, den Rest erledigen die Kühe, die ihm im Sommer anvertraut werden. Lukas lädt uns ein, seine Mitarbeiter beim morgendlichen Käsen – noch ganz traditionell im Kupferkessel über dem Holzfeuer – zu besuchen. Schmugglerpfade ins Italienische «Für in der Schweiz erstandenen Kaffee, Schokolade und Zigaretten konnte man in Italien das Doppelte erzielen», sagt Rolf Gruber. Und Josef Squaratti, der gleich oberhalb der Pension gelebt hat, schreibt in seinem Buch «Mein Zwischbergen»: «Manchmal kamen sie in Scharen, 10 bis 20 und noch mehr Männer zusammen. Auch ein Frauenteam war hin und wieder vertreten (...). Gerade im Winter war ihr Beruf sehr gefährlich. Mit einer schweren Last von 30 Kilo pro Schmuggler mussten sie durch hohe Schneemassen Täler durchziehen und Bergpässe überqueren. Am 29. Oktober 1914 sind an der Gattascosa neun Schmuggler in einer Lawine ums Leben gekommen, alle aus San Lorenzo und alles Familienväter.» Das Wetter passt zur Geschichte. Nieselregen am Monscerapass, dem Übergang ins Piemont. Von wegen sonniges Italien! Doch im nahen Rifugio Gattascosa hellen sich die Gemüter bei Polenta und Prosciutto wieder auf. Die Gastgeberin besteht darauf, dass wir unbedingt noch die Zuccherini kosten müssen – in Hochprozentiges eingelegte Zuckerstücke. Dementsprechend fröhlich gestaltet sich danach der Aufbruch. Heidelbeerteppiche, Alpenrosen, der Lago di Ragozza bettet sich verwunschen in einer Kuhle. Tiefer unten hat ein verlandeter See ein traumhaft schönes Hochmoor hinterlassen. Der Boden schmatzt bei jedem Schritt. Die torfigen Wiesenmatten, vollgesogen vom Regen, geben ordentlich nach. Wasserkanäle gurgeln durch ein bewaldetes Bergsturzgebiet, romantisch in Nebelfetzen gehüllt. Die Saumtiere meistern die Bäche und Wurzelpfade nicht immer galant, doch trittsicher. Wären sie Kaffeetrinker, hätten sie sich die Cappuccino-Pause am Rifugio San Bernardo wohl verdient. Dem Schutzpatron der Bergsteiger ist die Kapelle um die Ecke geweiht. Drinnen hängt ein Bild. Es zeigt Bernhard von Menton mit dem Alten Spittel am Simplonpass. Um 1050 hatte der Heilige das Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard Pass gegründet, geführt von den Augustiner-Chorherren, wie eben auch das Hospiz auf dem Simplon. Mit Blick ins Tal von Domodossola und auf die Gipfel des Nationalparks Val Grande steigen wir ins Val Bognanco ab. Heilbringende Wasser Steil fallen die Berge in den Talgrund, in dem anno 1863 ein Hirte Heilquellen entdeckte und wo während der Belle Époque ein rege genutztes Kurzentrum entstand: Fonti di Bognanco. Trotz der kurzen Distanz zu Domodossola wirkt der Ort heute touristisch vernachlässigt. In Fonti herrscht träge Gelassenheit. Kurgäste flanieren durch den Park und warten geduldig, bis die Trinkhalle öffnet. Doch gerade dieser «nostalgische Charme» macht den Besuch zu etwas Besonderem. Statt Etappentour in die Vergangenheit Vor mehr als 300 Jahren baute der Briger Handelsherr Kaspar Stockalper den Saumpfad über den Simplonpass aus und legte damit den Grundstein zu seinem Handelsimperium. Mittlerweile wurde der verfallene Weg wieder restauriert. Die Route ist natürlich auch ohne Lasttiere begehbar – als viertägige Kulturwanderung auf historischen Spuren. Die Strecke führt über insgesamt 60 Kilometer von Brig nach Domodossola. 81 JANEK n° 3754 Auf einer Saumtour wachsen Mensch und Tier zusammen. im Thermalwasser zu baden, trinkt man es hier. Das Nass sprudelt aus edlen Messinghähnen dreier gesundheitsfördernder Mineralquellen. Das Mineralwasser von Bognanco war die erste Quelle Italiens, die vollautomatisch in Flaschen abgefüllt wurde. Das war 1928. Abgesehen von den Kurgästen läuft hier nicht mehr viel: überwucherte Wiesen, alte Ackertrassen, ein paar pittoreske Weiler – und mittendrin eine Karawane mit wild aussehenden Menschen und bepackten Tieren. Fast wie damals, zur Zeit der Säumer. ✸ Tipps und Informationen Wer Interesse an der Teilnahme an einer Säumertour hat, kann diese unter www.simplon-trekking.ch buchen. Beim OUTDOOR GUIDE kann ein ausführliches Infoblatt zu Säumertouren im Wallis bezogen werden. WWW outdoor-guide.ch MAIL [email protected] TEXT UND FOTOS Iris Kürschner, Dieter Haas DIE SCHWEIZER MARKE FÜR SCHWEIZER WETTER SEIT 1966 RUKKA.CH 82
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