Bob Dylan – der Jude mit dem Cowboyhut Unter diesem

Bob Dylan – der Jude mit dem Cowboyhut
Unter diesem provokativen Titel werden wir in den kommenden Ausgaben des Dylanbar-Newsletters
für die interessierten Leser einen möglichst übersichtlichen Zugang zu Dylans Lebenswerk
präsentieren und darüber hinaus den Versuch einer Interpretation einiger seiner künstlerischen
Wegmarken wagen.
Der Titel dieser Serie selbst nennt die unserer Ansicht
nach fundamentalen Brennpunkte seiner Entwicklung,
die religiöse Grundlage seines ursprünglich jüdischen
und später zumindest phasenweise dezidiert
christlichen Selbstverständnisses zum einen und die
tiefe Verwurzelung in und die Identifikation mit der
amerikanischen Tradition (nicht nur der
musikalischen!) zum anderen. Beide Wurzelbereiche
sind konstitutiv für Dylans Werdegang als Musiker,
Schriftsteller und Maler – und auch für seine damit
korrespondierende menschliche und soziale
Rollenwahl in den unterschiedlichen Phasen seines
Lebens. Wie Dylan sich über die fünf Jahrzehnte seiner Karriere präsentiert, vorab in seinen Songs
sowie in seinen literarischen und filmischen Werken, lässt sich von den darin vorherrschenden
Bezügen zu religiösen Themen, z.B. anhand seiner biblischen Aliterationen und direkten Zitate, oder
von der Nähe zu kulturellen Charakterisitka Nord- und Mittelamerikas zwischen 1950 und 2010 her
orten. Dies ist im Blick auf die vielfältige Literatur zu Dylan zweifellos eine eher unübliche
Annäherungsweise an den singenden Poeten aus Minnesota. Obwohl zumindest der zweite
Wurzelbereich etwa in der Monografie von Wilentz aus dem Jahre 2010 („Bob Dylan in America“)
auch kulturhistorisch gut aufgearbeitet wurde. Zum ersten Wurzelbereich (dem christlich-jüdischen) ist
zu bemerken, dass er bei fast allen namhaften Dylanologen (die mit wenigen Ausnahmen – vgl. etwa
Petra Naiman oder besagten Sean Wilentz – eher dem religionskritischen Lager angehören) eher auf
inneren Widerstand stösst und darum in der Regel als „Ausrutscher“ in die Gospelphase marginalisiert
wird. Eine (leider erst) im Entstehen begriffene Dissertation von H.-L. Seim zeigt jedoch, dass z.B.
biblische Bezüge bereits lange vor sog. „Bekehrung“ Dylans eine zentrale Rolle spielten – etwa auf
Dylans erstem Album aus dem Jahre 1962, auf welchem er mehrere Gospel- und Bluesnummern (z.B.
„Gospel Plow“ oder Blind Lemmon Jeffersons „See That My Grave Is Kept Clean“) interpretiert, oder
in den Songs auf „John Wesley Harding“ aus dem Jahre 1967. Neuerdings hat auch Knut Wenzel, ein
Theologieprofessor auf Frankfurt, unter dem Titel „HoboPilgrim. Bob Dylans Reise durch die Nacht“
diesen Aspekt von Dylans Entwicklung aufgegriffen und theologisch gedeutet. Dabei erscheint der
Mensch in Dylans spiritueller Optik als ein Landstreicher und Pilger zugleich, der in dieser Welt nicht
viel zu gewinnen hat und für den der Weg das einzige mögliche Ziel ist. Zugleich tönt eine tiefe
Sehnsucht nach Erlösung und Heil durch Dylans Werk (vgl. „I Shall Be Released“).
Wir treten diesem durchaus schillernden religiösen Aspekt von Dylans Songs (denn nur diese sind uns
zugänglich) und wohl auch seines Selbstverständnisses (das freilich weitgehend im Dunkeln bleibt)
nüchtern, aber ohne Skepsis und Misstrauen gegenüber. Dabei geht es uns freilich darum, auch diesen
eher abgründigen und widersprüchlichen Teil seines Schaffens als grundlegendes Element eines
zeitgeschichtlichen Verständnisses des Phänomens Dylan zu begreifen. Dylan gibt sich als spiritueller
Mensch zu erkennen, daran lässt sich im Blick auf sein Gesamtwerk schwer rütteln, ob dies in die
Projektionen seiner Kommentatoren hineinpasst oder nicht. Natürlich kann Dylan auch nicht von
religiöser Seite als im engeren Sinne christlich-jüdischer Künstler vereinnahmt werden. Dafür bleibt er
gegenüber den gängigen Klischees viel zu sperrig und nonkonformistisch, oder gebraucht diese in
einer verwirrend karrikierenden Wiese (wie etwa auf dem Album „Christmas In My Heart“). Dennoch
zeigt sich Dylan auf seinen 3 Gospel-Alben zwischen 1979 und 1981 in einer musikalisch und lyrisch
derart unverstellten Weise, so dass diese Zeugnisse in ihrem Gewicht im Rahmen einer
Gesamtbewertung nicht zu unterschätzen sind.
Wir werden also, dies sei vorweg gesagt, nicht erwarten dürfen, dass es uns gelingt, ein eindeutiges
Bild von Dylan und seinem Oeuvre zu zeichnen. Vielmehr gehört es wohl zur Sache selbst, dass dieses
Bild gebrochen und uneinheitlich ausfallen wird. Dylan ist ein amerikanischer Musiker, Dichter,
Filmemacher und Maler, der durch sein Schaffen immer wieder provoziert, verunsichert und begeistert
hat.
Wir werden in erster Linie versuchen, uns an Dylans Songs und Publikationen zu orientieren und dort,
wo es sinnvoll erscheint, Hintergründe aus der Sekundärliteratur einzufügen.
Also: Im nächsten Newsletter geht es zur Sache. Wir werden uns mit den frühen Jahren des Künstlers
befassen.