Semiotics for the Kitchen Videoarbeit von Martha Rosler

38 KULTUR
BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE
SAMSTAG, 18. JULI 2015
Begegnung mit einem Mythos
Bob Dylan An seinem Auftritt bei «Stimmen» zeigt sich der Jahrhundert-Musiker gut gelaunt, aber unverbindlich
Nicht-Eingeweihte ist dies nicht auf den
ersten Blick ersichtlich. Aber doch: Vor
allem stimmlich zeigt sich Dylan – und
das ist durchaus eine Überraschung – in
bemerkenswerter Form. Mit zunehmender Dauer des Konzerts sitzen die
Phrasierungen immer besser, Dylans
Organ, das im Laufe der Jahrzehnte
von einem Nuscheln zu einem Kratzen
übergegangen ist, wirkt erstaunlich
vordergründig.
Der
rhythmisierte
Sprechgesang in «Ballad of a Thin Man»
vom 1965er-Album «Highway 61 Revisited» unterstreicht eindrücklich, dass
die Folk-Ikone zu den Vorläufern der
Rapper gezählt werden muss.
Seine stimmliche Bandbreite mag begrenzt sein, doch die Ausdrucksformen
variieren stark: In «Full Moon and
Empty Arms» vom aktuellen Album
«Shadows in the Night» hören wir den
melancholisch-warmen Dylan auf den
Spuren der Crooner. Wunderschön. Im
Klassiker «Don’t Think Twice It’s All
Right» den charmant zwischen den Tönen hin und her springenden Dylan.
Der Songwriter wirkt in Lörrach milde, legt in einigen Stücken gar luftige
Lässigkeit an den Tag. Hin und wieder
wünscht man sich allerdings den arrogant-schnösligen Protestbarden aus
den frühen Jahren zurück. In einem
Dylan-Konzert 2015 wirkt vieles unverbindlich und beliebig, was auch mit der
Band zusammenhängt: Dylan musiziert
VON HANS-MARTIN JERMANN
Begegnungen mit Bob Dylan sind
schwierig. Vor allem, wenn es erstmalige sind. Die Bewunderung für das umfangreiche Werk – Dylan hat seit 1962
alleine 36 Studioalben veröffentlicht –
ist riesig, ebenso gross ist die Projektionsfläche der Erwartungen an den vermutlich einflussreichsten lebenden
Künstler in der Rockmusik. Das Wichtigste zum ausverkauften Konzert bei
«Stimmen», dem letzten der aktuellen
Sommer-Tour durch Europa, gleich
vorweg: Robert Allen Zimmerman, dieser lebende Mythos, verweigert sich
sämtlichen Erwartungshaltungen, die
im Publikum allenfalls vorhanden sind.
Im Gegensatz zu vielen anderen Grossen seiner Generationen will er nicht
im Rahmen einer Endlos-Best-of-Show
die längst vergangene Jugend und Glorie zelebrieren. Und das ist ganz gut so.
Stimmlich in guter Form
Auf der Bühne sehen wir einen etwas
knorrigen 74-Jährigen in einem Western-Anzug und mit breitkrempigem
Sommerhut; einen, der ganz bei sich
selbst ist. Dylanologen, die am Vortag
in Locarno einen missmutigen Meister
gesehen haben, schwärmen von der
hervorragenden Laune, die er an diesem herrlichen Sommerabend auf dem
Lörracher Marktplatz versprüht. Für
Ganz bei sich selbst: Bob Dylan auf der Bühne bei «Stimmen».
LESERFOTO
mit einer hervorragend eingespielten,
allerdings etwas gar zu gesetzten Altherren-Kapelle. Perfektes Handwerk
ohne jegliche Überraschungen, gemacht für einen Sommer-Hochzeitsapéro. Vor allem am Anfang des Konzerts hören wir ausufernde Arrangements zwischen Country und Blues,
die einlullend wirken.
Wie widerwillig hingeschmissen
Der Meister erntet vom ehrfürchtig
zuhörenden Publikum lauten und höflichen, allerdings kaum je frenetischen
Applaus. Dies liegt gewiss auch daran,
dass Dylan sein aktuelles Set zwar sorgfältig und stilsicher aus beinahe sämtlichen Schaffensperioden zusammengestellt hat, er dabei aber auf die wirklich
bekannten Klassiker fast ausnahmslos
verzichtet: Es gibt kein «Like a Rolling
Stone», kein «Blowin in the Wind», kein
«The Times They Are a-Changin’», kein
«Subterranean Homesick Blues.»
Ganz zum Schluss spielt Dylan dann
doch noch einen: «All Along the Watchtower» – als einzige Zugabe notabene.
Es wirkt wie ein widerwillig hingeschmissenes Zückerli für das nach Hits
lechzende Publikum. Ein unmissverständliches Statement. Dann verlässt
Dylan ohne eine Miene zu verziehen
die Marktplatz-Bühne. Er hat während
des ganzen, rund hundert Minuten langen Konzerts kein einziges Wort gesagt.
«Ich geniesse die unerhörte Trotzigkeit»
Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (24) Der Künstler Kilian Rüthemann wählt Martha Roslers Videoarbeit «Semiotics for the Kitchen» von 1975
«
MARTIN P. BÜHLER / KUNSTMUSEUM BASEL
Still aus Martha Roslers «Semiotics of the Kitchen». Das sechsminütige 1-Kanal-Video (schwarz-weiss, mit Ton) von 1975 wurde vom Kunstmuseum Basel 2003 angekauft.
Diese Nervensäge! Ich muss jedes
Mal stehenbleiben, wenn ich im
Kunstmuseum Basel der Videoarbeit von
Martha Rosler begegne und die unerhörte
Trotzigkeit geniesse, mit der sie Küchengeräte vorführt, nein, mich mit ihnen eigentlich zerstechen, zermahlen, zerklopfen will – mich, den Zuschauer und Angeklagten.
In diesem auf einer Performance basierenden Video richtet sich eine statische
Kamera auf eine Frau in der Küche – es
könnte eine Fernsehküche sein oder die
Sesamstrasse –, in der die verschiedensten
gewöhnlichen und je nach Kulturkreis ungewöhnlichen Küchenutensilien vor ihr
auf einem Tisch liegen. In Trockenübungen und in alphabetischer Reihenfolge
führt sie diese vor und benennt sie gleichzeitig. Offensichtlich hat sie keine gute Be-
Kilian Rüthemann.
JURI JUNKOV
ziehung zu den Geräten. Wie Folter- und
Mordinstrumente wirken die Utensilien.
Sie fühlt sich gezwungen, mit diesen nicht
nur Zitronenhälften und Eiern zu Leibe zu
rücken. Eine wütendere und zugleich präzisere Aussage, die sich gegen eine vorbestimmte Rollenverteilung in der damaligen Zeit richtet, kenne ich nicht. Richard
Serra vollführt in seinen Filmen und Videos, die zur ungefähr selben Zeit in den
frühen Siebzigern entstehen und ebenfalls
zu meinen Lieblingsstücken in der Sammlung des Kunstmuseums gehören, eine
ähnliche Haltung zum «Machen», obgleich
seine Arbeiten viel mehr Raum für Hoffnung bietet. Tatsächlich wird mir Martha
Rosler wiedersprechen, wenn ich behaupten würde, die Situation habe sich in den
letzten 40 Jahren zum Guten verändert.
Ich wäre aber gespannt, ob sich eine zeit-
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Mein Lieblingswerk
Mit der bz-Serie «Mein Lieblingswerk aus dem
Kunstmuseum» wollen wir während der Zeit
der Schliessung des Basler Kunstmuseums
dessen Schätze in unser Bewusstsein rufen.
Dies, obwohl einige Meisterwerke im Museum der Gegenwartskunst (Moderne) und im
Museum der Kulturen (Alte Meister) zugänglich sind. Jede Woche stellt eine bekannte
Persönlichkeit aus der Region ihr Lieblingswerk aus der Sammlung vor. Am 27. Juni wählte Basels Ballettdirektor Richard Wherlock,
Auguste Rodins Zeichnung «Gebückter
weiblicher Akt mit aufgestützten Händen,
vornübergebeugt, auf dem rechten Beine
kniend» von 1897. Am 4. Juli erklärte der Designer und Grafiker Jean Jacques Schaffner,
weshalb ihm Paul Klees Bild «Reicher Hafen» von 1938 besonders gefällt, und am
11. Juli entschied sich SP-Grossrat Leonhard
Burckhardt, der Präsident der Freunde des
Kunstmuseums, für Marc Chagalls Bild «La
prisée (Der Rabbiner)» (1923–26). (FLU)
genössische Adaption des Videos ebenso
frustriert anfühlen würde.
Die direkten, unzögerlichen Gesten, mit
denen die Frau im Video das imaginäre
Steak bearbeitet und mit Messlöffeln die
unsichtbaren Substanzen in die Luft
schleudert, inspirieren mich immer aufs
Neue für meine eigene Arbeit.»