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Gefälligkeitsgutachten für Abschiebungen nicht nur in Berlin | Manuskript
Gefälligkeitsgutachten für Abschiebungen nicht nur in Berlin
Bericht: Markus Frenzel
Der Fall Rainer Lerche ist eigentlich kaum zu glauben: Da schreibt ein Arzt 50.000 Atteste für
den Staat, lässt Menschen abschieben oder in die Psychiatrie einweisen, verabreicht
Psychopharmaka und nie prüft jemand in den Behörden, ob der Mann überhaupt noch Arzt
ist. Seit 25 Jahren nicht.
Canan Bayram, Abgeordnete Abgeordnetenhaus Berlin (B90/Die Grünen)
„Mein Eindruck ist, dass das hier die Spitze des Eisbergs ist. Dass da eine Drecksarbeit
sozusagen von dubiosen Ärzten für die Polizei und die Ausländerbehörde durchgeführt
wird.“
Schon seit Jahren vermuten Kenner der Szene, dass es im Bereich der Abschiebungen
erhebliche Grauzonen gibt. Beim Flüchtlingsrat sind sie sicher, dass dubiose Gutachter dabei
eine zentrale Rolle spielen.
Martina Mauer – Flüchtlingsrat
„Wir gehen davon aus, dass an diesem Beispiel klar wird, wie verkommen die Abschiebepraxis ist. Dass hier Abschiebungen um jeden Preis durchgeführt werden sollen.“
Rainer Lerche scheint demnach kein Einzelfall zu sein. Bundesweit lassen sich Ärzte offenbar
einspannen, um schnell und geräuschlos abschieben zu können. So liegt dem Flüchtlingsrat
das Schreiben zweier Ärzte vor, in dem diese den Behörden in Bremen ihre Dienste
anpreisen.
Martina Mauer – Flüchtlingsrat
„Dieser Brief hier ist ein Glücksfall, weil zeigt dass fit for fly doctors gibt, Ärzte, die auf
Abschiebungen spezialisiert haben.“
Die Ärzte aus dem Saarland und Hessen bieten eine „organisatorische Beratung vorab“. Sie
seien schnell, flexibel und weltweit einsetzbar. Auch sehr kurzfristige Aufträge seien möglich.
Kostenpunkt: mehr als zweitausend Euro pro Abschiebung.
Abschiebungen sind ein hochkomplizierter Vorgang. Weil es um erhebliche Eingriffe in das
Leben der Menschen geht – hat der Staat klare rechtliche Voraussetzungen festgelegt. Nur
scheinen die den ausführenden Behörden oft zu aufwendig – weshalb willfährige Gutachter
gerne gesehen sind.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Heinz-Jochen Zenker war lange Jahre Chef des Gesundheitsamtes in Bremen, das auch für
die Auswahl der Gutachter verantwortlich ist. Er bestätigt uns, wie fragwürdig viele
Behörden vorgehen.
Heinz-Jochen Zenker, ehem. Leiter Hauptgesundheitsamt Bremen
„Das ist ein Feld, wo Ausländerbehörden sich die entsprechenden Gutachter auch suchen.
Vor allen Dingen, wenn es freie Gutachter sind, dann sucht man sich natürlich diejenigen, die
am besten die Krankheit entweder für nicht so wichtig halten oder überhaupt ausschließen,
dass jemand krank ist.“
Und ohne die Bestätigung über die Flugfähigkeit könnte in vielen Fällen schlicht nicht
abgeschoben werden.
Heinz-Jochen Zenker, ehem. Leiter Hauptgesundheitsamt Bremen
„Das ist ein Feld, in dem man von latenter Korruption sprechen kann. Der eine verdient ganz
gut Geld, und die andere Partei will was. Hat eine Zielsetzung, jemanden auszuweisen. Sie
wollen das wirklich durchsetzen.“
Auch der ehemalige Verwaltungsrichter Percy MacLean sieht dringenden Handlungsbedarf.
Für ihn wird durch die aktuelle Praxis in Teilen der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt.
Percy MacLean, Ehemaliger Verwaltungsrichter
„Es kann nicht sein, dass diese Ärzte sich sozusagen nach dem Auftraggeber richten. (…) Das
ist ein großes Problem, weil natürlich diese Personen von der Bezahlung und von der vor
allem Fortsetzung ihrer Aufträge finanziell abhängen. Und damit grundsätzlich geneigt sind,
dem Auftraggeber willkommene Begutachtungen zu erstatten.“
Allerdings sieht es nicht danach aus, dass der Berliner Senat an Aufklärung interessiert ist.
Schon die Reaktion auf die FAKT-Enthüllungen zeigt das. Wir hatten berichtet, dass die
Behörden von dem Gutachter Lerche so gut wie nichts wussten. Der Innensenator behauptet
das genaue Gegenteil.
Frank Henkel, Innensenator Berlin (CDU)
„Nach meiner Information allerdings lag die Approbationsurkunde von Herrn Lerche auch
dem Verwaltungsgericht vor.“
Rechtsanwalt Martin Manzel hat die Gerichtsakten im Fall Rainer Lerche komplett
durchgearbeitet. Die Aussage des Senators hat ihn ziemlich verwundert.
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Gefälligkeitsgutachten für Abschiebungen nicht nur in Berlin | Manuskript
Martin Manzel, Rechtsanwalt
„Die Aussage des Innensenators entspricht nicht der Wahrheit. Wir haben alle Akten
gesehen und die Approbation des Herrn Lerche findet sich darin nicht. Und das
Verwaltungsgericht Berlin sieht das genauso.“
Wir fragen nach beim Verwaltungsgericht – aber auch dort können sich die Richter nicht an
eine Approbationsurkunde erinnern. Gestern legte Innensenator Henkel noch einmal nach –
vor dem Innenausschuss ließ er den Chef der Ausländerbehörde sprechen: der behauptete,
die Approbationsurkunde sei dem Gericht am 16. Februar zugegangen.
Die Akten liegen inzwischen beim Oberverwaltungsgericht. FAKT-Recherchen ergeben: die
Approbationsurkunde des Gutachters befindet sich nicht darin. Anders als der Innensenator
den Anschein erweckt, hat sie den Richtern also nie vorgelegen.
Martin Manzel, Rechtsanwalt
„Ob das eine Lüge oder eine grob fahrlässige Aussage des Innensenators ist, muss jeder für
sich selbst beantworten. Ich sehe das eindeutig.“
Wir legen unsere Recherchen den Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus vor - für die
Politiker scheint der Fall klar.
Canan Bayram, Abgeordnete Abgeordnetenhaus Berlin (B90/Die Grünen)
„Herr Henkel hat den Ausschuss angelogen, hat das Parlament angelogen. Daraus muss es
Konsequenzen geben. Entweder er hat es bewusst gemacht, oder sein Staatssekretär hat ihn
angelogen. Dann muss der Staatssekretär auch die Konsequenzen ziehen und zurücktreten.“
Fabio Reinhardt, Abgeordneter Abgeordnetenhaus Berlin (Die Piraten)
„Wenn Henkel das Parlament bewusst falsch informiert hat, dann ist er nicht mehr zu halten.
Dann muss er auch zurücktreten.“
Auch auf unsere Nachfrage bleibt die Innenbehörde dabei: die Approbationsurkunde will sie
dem Gericht gefaxt haben. Für die Oppositionsfraktionen ist daher klar: Es braucht einen
Untersuchungsausschuss.
Canan Bayram, Abgeordnete Abgeordnetenhaus Berlin (B90/Die Grünen)
„Der Untersuchungsausschuss ist sehr wichtig. Denn es geht darum, dass sie Migrantinnen
und Migranten in Berlin verunsichert sind, durch das Verhalten des Innensenators ist der
Eindruck entstanden, dass Migrantinnen-Menschenrechte mit Füßen getreten werden.“
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Fabio Reinhardt, Abgeordneter Abgeordnetenhaus Berlin (Die Piraten)
„Für die Piratenfraktion ist klar, dass es einen Untersuchungsausschuss im Fall Rainer Lerche
und im Fall Abschiebepraxis im Land Berlin braucht.“
Hakan Tas, Abgeordneter Abgeordnetenhaus Berlin (Die Linke)
„Wenn eine Untersuchungsausschuss notwendig wird, wird die Linke sicherlich nicht der
Verhinderer sein.“
… und eine Person wollen viele vor dem Ausschuss sehen: das Phantom Rainer Lerche.
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