DIE THEATERGEMEINDE MAINZ SCHAUT ZU PENSION

DIE THEATERGEMEINDE MAINZ SCHAUT ZU
PENSION SCHÖLLER
Schon früh wurde er zum Klassiker des Lachtheaters: Der 1890 entstandene Schwank Pension Schöller des
Mainzer Duos Carl Laufs und Wilhelm Jacoby. Auch wenn man das Stück in wiederholten Kinoverfilmungen,
zahlreichen Fernsehausstrahlungen und Verarbeitungen in der Fastnachtsposse durchaus verschlissen hat,
erweist es sich doch als unverwüstlich und zündet immer wieder. Die aktuelle Mainzer Inszenierung
präsentiert die wirbelnde Geschichte um eine Berliner Familienpension, die von einem Provinzler für ein
Irrenhaus gehalten wird, in einer liebevollen, detail- und gagreichen Version. Innerhalb von ca. zweieinhalb
Stunden erleben die Zuschauer eine von großer Spielfreude geprägte Ensembleleistung, die von einer
witzigen Ausstattung umgeben ist. Dass dabei das ursprünglich zahlreichere Personal reduziert wurde, ist
der Pension Schöller sehr gut bekommen.
Der unverheiratete Gutsbesitzer Philipp Klapproth aus Kyritz an der Knatter möchte einmal in der Großstadt
etwas Sensationelles erleben. Deshalb bittet er seinen Neffen Alfred, ihm bei einem Berlin-Besuch die
Stippvisite in einer Irrenanstalt zu ermöglichen. Alfred, der von seinem Onkel finanzielle Unterstützung
erhofft, führt den erlebnishungrigen Herrn jedoch einfach in die gutbürgerliche Familienpension Schöller. Die
ist allerdings von sich aus schon mit derartig exzentrisch-schrägen Bewohnern bevölkert, sodass Onkel
Philipp mühelos an die Klapsmühle glaubt. Die Situation eskaliert später, als Klapproth, zurückgekehrt nach
Kyritz, von diesen vermeintlichen Irren besucht wird.
Pension Schöllers Witz basiert wie bei allen Schwänken auf dem Auseinanderklaffen von Schein und Sein
und dem sich Verheddern des Subjekts in daraus entstehenden reichlich grotesken Situationen. Ihre große
Zeit hatte diese Gattung zwischen 1850 und 1930, vor allem in der wilhelminischen Kaiserzeit. Deren
bürgerliche Gesellschaft ist Gegenstand und Adressat zugleich. Obgleich der soziale Rahmen heute ein
anderer ist, so lachen wir Heutigen trotzdem immer noch über das Figurenarsenal, dessen Typenhaftigkeit
bei aller Distanz vertraut wirkt: den „zu früh“ pensionierten Major, der von grotesken Kriegserinnerungen
geplagt wird und immer noch irgendeinen nie erlangten Sieg vor Augen hat und in Mainz äußerlich sehr an
Kaiser Wilhelm II. erinnert, den polternd-pompös auftretenden Weltreisenden Professor Bernhardi, die
raubtierhafte Schriftstellerin, die in jedem Winkel Stoff für einen Roman wittert, den mit einem Sprachfehler
behaftete Schauspielschüler Eugen - er kann statt des Buchstabens „l“ nur ein „n“ aussprechen. Aber auch
Klapproth selbst als Spießer mit einen Großstadtvorstellungen, ebenso seine Verwandtschaft, seine
verwitwete heiratstolle Schwester und deren Tochter, wie auch der Neffe, sie alle sind nicht frei von Irrsinn.
Dass diese Konstellationen dem Schauspielteam nicht nur eine ausgeklügelte Wortakrobatik, sondern auch
körperlichen Einsatz abverlangen, erhöht das Vergnügen - eine Bravourleistung.
Die Präsentation zeigt auch, wie Bühnenbild und Kostüme mit zum Witz des Ganzen beitragen können. Die
fröhlich kolorierte Architektur mit den windschiefen Türen und unbenutzbaren Treppen ist aus Presspappe,
gleichfalls Tische, Stühle, Chaiselongue und Pianola. Bewusst künstlich sind auch die ebenfalls als Gag
funktionierenden Kostüme aus Schaumstoff. Perücken und angeklebte Bärte leuchten in orangerot, gelb,
blau und violett. Pickelhauben und Zylinder sind so überdimensioniert, dass sie den Betrachter immer wieder
aufs Neue amüsieren. Herauszuheben ist auch die ausgefeilte punktgenaue Tonregie, die für zusätzliche
Zwerchfellmassage sorgt: Zahlreiche mimische Momente werden mit dazu passenden Geräuschen
untermalt. Eine Klamotte zu inszenieren, das kann schnell daneben gehen. Dass es aber auch – bei aller
zusätzlichen Überzeichnung – sehr gut funktionieren kann, beweist diese lohnende Inszenierung.
Johannes Kamps
März 2016
Theatergemeinde Mainz