Das Dublin-‐Verfahren -‐ 24.11.2015 -‐ RA‘in Pauline Endres de Oliveira, Dozentin RLC 1 Überblick I. Einordnung II. Die Dublin-‐III-‐Verordnung III. Das Dublin-‐Verfahren in Deutschland IV. Übersichten: Fristen im Dublin-‐Verfahren V. Abgrenzung zur Drittstaatenregelung VI. Grundsätzliche Probleme des Dublin-‐Systems VII. Alternativen zu Dublin ? 2 I. Einordnung Asylgesuch (BÜMA) Möglich an der Grenze / bei Polizei / ABH . .. Wenn Einreise erlaubt wurde, haben Behörden Pflicht zur Weiterleitung an Erstaufnahmeeinrichtung zur weiteren Verteilung Erstaufnahmeeinrichtung Verteilung (EASY) (ED-‐Behandlung) Asylantrag (Aufenthaltsgestattung) Zuständig: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Dublin-‐Anhörung Umverteilung in Gemeinschaftsunterkunft Bei Hinweisen auf Z uständigkeit eines anderen S taates: Dublin-‐Verfahren! Deutschland ist zuständig: Anhörung zu den F luchtgründen Inhaltliche Prüfung des Asylantrags Flüchtlings-‐ eigenschaft (GFK) Asyl nach Art. 16a GG Bei positiver Entscheidung: Aufenthaltstitel wird v on ABH erteilt Subsidiärer Schutz (QRL) Nationale Abschiebungs-‐ verbote Bei Ablehnung: Androhung der Abschiebung in das Herkunftsland (aber: Rechtsschutz möglich!) Deutschland ist nicht zuständig: Asylantrag wird als „unzulässig“ abgelehnt + Überstellung in zuständigen S taat wird angeordnet (aber: R echtsschutz möglich!) II. Die Dublin-‐Verordnung • VERORDNUNG (EU) Nr. 604/2013 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) • Element des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS): Europäische Verordnung zur Regelung der Zuständigkeit für Asylanträge (= Anträge auf internationalen Schutz) • Kurz: Dublin-‐III-‐Verordnung 4 II. Die Dublin-‐III-‐Verordnung • Vorgängerregelungen: ØDublin Übereinkommen von 1990 ØDublin-‐II-‐Verordnung (2003) • Ziel: „one state only“ + „no refugees in orbit“ • “Dublin-‐Staaten”: 28 EU-‐Mitgliedstaaten + Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island • Anwendungsbereich: Personen, die sich im Asylverfahren befinden oder deren Antrag auf internationalen Schutz bereits abgelehnt wurde (NICHT sog. “Anerkannte”) 5 II. Die Dublin-‐III-‐Verordnung Zuständigkeitskriterien der Art. 8 bis 15 Dublin III-‐VO: 1. Minderjährige: Art. 8 Dublin III-‐VO 2. Familienangehörige (Kernfamilie): Art. 9 bis 11 Dublin III-‐VO 3. Aufenthaltstitel / Visum: Art. 12 Dublin III-‐VO 4. Einreise und / oder Aufenthalt: Art. 13 Dublin III-‐VO 5. Visafreie Einreise: Art. 14 Dublin III-‐VO 6. Antrag im internationalen Transitbereich eines Flughafens: Art. 15 Dublin III-‐VO 6 Befindet sich eine Person nicht in dem für sie zuständigen Staat, kann sie grundsätzlich dorthin überstellt werden! Ausnahmen: 1. „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen Ø EGMR und EuGH 2011 Ø Seit 2011: Keine Überstellungen nach Griechenland Ø Früher „Selbsteintritt“, seit Dublin-‐III: Fortsetzung der Zuständigkeitsprüfung, Artikel 3 (2) Dublin-‐III-‐VO Ø „ Umstritten zwischen den Gerichten: u. a. Italien, Bulgarien, Ungarn 2. Gefahr einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung (Art. 3 EMRK = Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung 7 Ø EGMR 2014 II. Die Dublin-‐III-‐Verordnung Allgemeine Schutz-‐ und Verfahrensgarantien Recht auf Information (Art. 4): Ø Unterrichtung über Ziele der VO, Zuständigkeitskriterien und ihre Rangfolge, Verfahren und dessen Dauer, pers. Gespräch, Rechtsbehelf, Datenschutz Ø schriftlich, Merkblatt in verständlicher Sprache Persönliches Gespräch (Art. 5): Ø zeitnah, jedenfalls vor Überstellungsentscheidung Ø in verständlicher Spracher, ggf. mit Dolmetscher Ø Gewährleistung von Vertraulichkeit Ø Befragung durch qualifizierte Person Ø Ausnahmen (Abs. 2): Person ist flüchtig oder hat bereits sachdienliche Angaben gemacht 8 III. Das Dublin-‐Verfahren in Deutschland Beispiel: Frau A. war ursprünglich als »Bootsflüchtling« in Italien angekommen. Dort wurden ihr Fingerabdrücke abgenommen und in der Eurodac-‐Datenbank gespeichert. Sie war für kurze Zeit in einem Heim unterbracht, wurde dann aber obdachlos. Sie flieht weiter nach Deutschland und stellt hier einen Asylantrag. Ihre Fingerabdrücke werden mit den Daten der Eurodac-‐Datenbank abgeglichen. Es wird festgestellt, dass sie über Italien in die EU gelangt ist. Deutschland geht daher davon aus, dass Italien für das Verfahren zuständig ist. Ein Dublin-‐Verfahren wird eingeleitet. Frau A. wird schriftlich darüber informiert. 9 III. Das Dublin-‐Verfahren in Deutschland Bei Hinweisen auf Zuständigkeit eines anderen MS à Dublin-‐Verfahren: 1. Prüfung der Zuständigkeit ü Zuständigkeitskriterien (Art. 8 – 15 Dublin-‐III-‐VO) ? üAusnahmeregelung (Art. 16, 17 Dublin-‐III-‐VO) ? üÜberstellung wg. systemischer Mängel ausgeschlossen? (Art. 3 (2) Dublin-‐III) ? üFristen eingehalten (Art. 20 ff., bes. Art. 21-‐23, 29 Dublin-‐III) ? 2. Ggf. Übernahmeersuchen an den anderen MS üJe nach Fall: Aufnahmeersuchen oder Wiederaufnahmeersuchen üDas Ersuchen und die Antwort auf das Ersuchen müssen innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen üFolge bei Fristablauf: MS, der Frist versäumt, wird zuständig üBei Zustimmung/Zustimmungsfiktion: Abschluss des Verfahrens (Bescheid) 10 III. Das Dublin-‐Verfahren in Deutschland • Bei Feststellung der Unzuständigkeit ergeht in der Regel ein ablehnender Bescheid (Asylantrag = “unzulässig”, § 27 AsylG) und eine Überstellung in den zuständigen MS kann grundsätzlich erfolgen (aber: Rechtsschutz möglich!) • Nur wenn Deutschland zuständig ist, erfolgt die Anhörung zu den Fluchtgründen und die inhaltliche Prüfung des Asylantrags (Achtung: “Zweitantragsproblematik”) 11 III. Das Dublin-‐Verfahren in Deutschland Beispiel (Fortsetzung): Im Falle der Frau A. hat Deutschland ein Ersuchen an Italien gestellt. Da Italien nicht innerhalb der vorgesehenen Frist reagiert hat, erklärt sich Deutschland für unzuständig und entscheidet über das Dublin-‐Verfahren. Frau T. erhält einen Dublin-‐Bescheid, in dem ihr Asylantrag als »unzulässig« abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. 12 Beispiel: “Dublin”-‐Bescheid (Auszug, ohne Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung) 13 Beispiel: Bescheid nach inhaltlicher Antragsprüfung (Auszug, ohne Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung) 14 Schaubild Dublin-‐ Verfahren: Fortführung des Asylverfahrens in Deutschland Asylgesuch/Asylantrag/Aufgriff Hinweise auf Zuständigkeit eines anderen Staates z.B. aufgrund von ED Maßnahmen (Abgleich mit EURODAC-‐Datenbank) oder Angaben des Asylsuchenden (z.B. bei Dublin-‐Anhörung) keine Hinweise Negative Antwort Einleitung des Dublin-‐Verfahrens: BAMF prüft Zuständigkeit (Asylsuchende und Ausländerbehörde werden schriftlich informiert) BAMF stellt (Wieder-‐)Aufnahmeersuchen an für zuständig befundenen Dublin-‐Staat Positive Antwort Keine Antwort = Zustimmungsfiktion Dublin-‐Bescheid: 1. Asylantrag ist unzulässig. 2. Anordnung der Abschiebung in zuständigen Dublin-‐Staat. Ø In jedem Verfahrensstadium gelten b estimmte Fristen, d ie zu beachten sind! Kein Rechtsmittel Rechtsmittel: K lage (Frist: 2 Wochen) + Eilantrag (Frist: 1 Woche) Eilantrag erfolgreich Klage erfolgreich Überstellung erfolgt nicht Aussetzung der Überstellung bis zur Entscheidung über die K lage oder Eilantrag abgelehnt Klage abgewiesen Überstellung erfolgt (Zuständig ist Ausländerbehörde) IV. Fristen im Dublin-‐Verfahren Fristen im Aufnahmeverfahren (= in dem anderen MS ist noch kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden) 16 IV. Fristen im Dublin-‐Verfahren Fristen im Wiederaufnahmeverfahren (= in dem anderen MS ist bereits ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden) 17 V. Abgrenzung zur Drittstaatenregelung Nach Artikel 16a Abs. 2 des Grundgesetzes ist ein sicherer Drittstaat ein solcher, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK) und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewährleistet ist. § 26a Abs. 2 AsylG definiert die folgenden Staaten als sichere Drittstaaten: • Alle MS der EU + Norwegen und die Schweiz (siehe Anlage I zum AsylG) à Das sind zwar alle Dublin-‐Staaten, aber die Dublin-‐III-‐Verordnung überlagert die Drittstaatenregelung! Die Drittstaatenregelung findet allerdings Anwendung auf alle, die nicht unter die Dublin-‐III-‐VO fallen (“Anerkannte”) sowie nach dem Dublin-‐ Verfahren § 26a Abs. 1 AsylG: “Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt.” à dafür muss der Asylantrag inhaltlich geprüft werden! 18 VI. Grundsätzliche Probleme des Dublin-‐Systems • Ungleiche Verteilung (da kaum legale Zugangswege: Regelzuständigkeit der Mittelmeeranrainer, Bulgarien und Ungarn, über die irreguläre Einreisen erfolgen) • Europäische Asylverfahrens-‐ und Aufnahmerichtlinie legen zwar einheitliche Mindeststandards fest, aber in der Realität schwanken die Standards und Lebensbedingungen sehr stark: • Teilweise keine menschenwürdigen Aufnahmebedingungen / fairen Asylverfahren („systemische Mängel“ u.a.) • Keine einheitliche Anerkennungspraxis • Keine Freizügigkeit nach Anerkennung 19 VII. Alternativen zu Dublin ? • Streichung von Artikel 13 Absatz 1 (Zuständigkeit bei illegaler Einreise) • „free choice“ • Verbindungsprinzip • Verteilungsquote • Relocation (Umsiedlungsprogramm) 20 Zur Vertiefung: • Heinhold, Hubert: Recht für Flüchtlinge, von Loeper Literaturverlag 2015 • Schott-‐Mehrings, Tillmann: Asylverfahren und Dublin III für die Grenzpolizei, Lübecker Medien Verlag 2015 • Informationsverbund Asyl und Migration, Basisinformationen Nr. 2 „Das Dublin-‐Verfahren, 2015 21 • Pro Asyl, Erste Hilfe gegen Dublin-‐Abschiebungen. Basiswissen und Tipps für die Einzelfallarbeit, 2015 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! 22
© Copyright 2025 ExpyDoc