Heiratsstrafe weitestgehend schon beseitigt

NEIN ZUR CVP-INITIATIVE «HEIRATSSTRAFE ABSCHAFFEN»
Die CVP hat im Oktober 2013 die Volksinitiative «Für Ehe und Familie - Heiratsstrafe abschaffen»
eingereicht. Sie gibt vor, damit die Benachteiligung verheirateter Paare gegenüber anderen
Lebensgemeinschaften bei den Steuern und bei der Altersvorsorge aufheben zu wollen. Das
Parlament lehnt die Initiative ab. Der Nationalrat mit 107 zu 85 Stimmen, der Ständerat mit 25 zu 20
Stimmen. Die Fraktion der Grünen war geschlossen dagegen.
In meinen Augen gibt es fünf Hauptgründe für ein Nein.
1. Der titelgebende Satz der Initiative ist der dritte: Die Ehe darf gegenüber andern Lebensformen
nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen. Als
Erstes stellt sich die Frage: Angenommen, es gäbe eine solche Benachteiligung, braucht es dann eine
Verfassungsänderung, um sie zu beheben? Die Antwort lautet klar: nein! Das Verbot der
Diskriminierung ist bereits in Art. 8 Abs. 2 BV enthalten. Dort heisst es: Niemand darf diskriminiert
werden, namentlich nicht wegen der Lebensform. Das gilt generell, also auch bei Steuern und
Sozialversicherungen. Was die Steuern betrifft, verlangt zudem Art. 127 Abs. 2 BV, jede Person sei
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern. Das beinhaltet das Verbot, Ehepaare
gegenüber wirtschaftlich gleich gestellten Konkubinatspaaren zu benachteiligen. Aus formellen
Gründen braucht es deshalb diese Initiative nicht.
2. Und wie sieht es tatsächlich aus? Ist die Ehe bei Steuern und Sozialversicherungen benachteiligt?
Gibt es da eine «Heiratsstrafe»? Die Antwort ist weit überwiegend: nein. Früher gab es sie, sie wurde
aber in den letzten zehn, zwanzig Jahre durch Gesetzesrevisionen sukzessive beseitigt. Zuerst zu den
Steuern. Bei der direkten Bundessteuer ist das Ziel fast ganz erreicht, für 95 % der Ehepaare gibt es
sie nicht mehr. Dies wegen des milderen Tarifs sowie wegen des Zweiverdiener- und des
Verheiratetenabzugs, die beide seit 2008 gelten. Die kantonalen Steuergesetze wurden seit 1984
kontinuierlich angepasst. Die Regelungen sind zwar ziemlich unterschiedlich, aber sie benachteiligen
Ehepaare nicht mehr.
Bei den Sozialversicherungen ist es noch klarer. Nimmt man die Gesamtheit der Eheleute und
vergleicht sie mit der Gesamtheit der Unverheirateten, beide über den ganzen Lebenszyklus, sind die
Ehepaare wegen diverser Spezialleistungen privilegiert, nicht benachteiligt. Gemäss Botschaft des
Bundesrats profitieren die Ehepaare jährlich mit rund 800 Mio. Franken. Das kommt so.
Es gibt einen Nachteil aus dem Plafond von 150 % für Eheleute. Das ist unbestritten und macht im
Jahr rund 2 Mrd. Franken aus. Doch es gibt die besagten Spezialleistungen für Verheiratete. Erstens
werden bei der Berechnung der Renten die Einkommen der Ehepartner zusammengezählt und ihnen
je zur Hälfte gutgeschrieben. Insgesamt erreicht ein Teil der Ehepaare so höhere Rentenbeträge.
Zweitens wird den nicht-erwerbstätigen Ehegatten zugestanden, dass ihre erwerbstätigen Partner
die Beitragspflicht erfüllen können. Voraussetzung: Der zahlende Partner muss pro Jahr mindestens
den doppelten Mindestbetrag einzahlen, das sind 2 x 480 Franken, was bei 8,4 % Beitragshöhe knapp
12 000 Franken Jahreseinkommen entspricht. Auch das ist eine finanzielle Privilegierung gegenüber
Unverheirateten. Drittens gibt es nur für Verheiratete und eingetragene Partner die
Hinterlassenenrenten, sprich: Witwen- und Witwerrenten. Dasselbe gilt für den Zuschlag zur Rente
für Verwitwete. Werden diese drei Vorteile zusammengezählt, machen sie gemäss Botschaft des
Bundesrats 2,8 Mrd. Franken im Jahr aus. Die Nachteile aus dem Plafond werden damit mehr als
aufgewogen. Würde der Plafond bei Ehepaaren vollständig beseitigt, müssten die genannten
Spezialleistungen gestrichen werden, das wäre klar zum Nachteil der Ehepaare.
3. Die Bundesverfassung enthält heute keine Ehedefinition. Zu recht. Die CVP-Initiative hingegen
sagt: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann
und Frau». Diese Fixierung gibt heute in breiten Bevölkerungskreisen und in allen Parteien zu reden.
Die Definition der Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau kommt bei Menschen mit
einer anderen sexuellen Orientierung als Diskriminierung an, auch in der CVP selbst. Daher gab es
dort intern die Idee, zur eigenen Initiative einen Gegenvorschlag zu machen. Davon hat man dann
wieder Abstand genommen. Aber Ende November 2015 stellte sich innerhalb der CVP die
Fachgruppe der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transmenschen und Intersexuellen deswegen gegen
die Initiative. Versuche im Parlament, auch von uns Grünen, diese Bestimmung abzumildern, sind
gescheitert. Damit würde im Falle einer Annahme der Initiative deren Ehedefinition gelten. Für eine
Weiterentwicklung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare müsste dann zuerst die
Verfassung geändert werden, heute dagegen würde eine gesetzliche Anpassung genügen. Für die
Betroffenen eine unnötige Erschwernis und gesellschaftlich ein objektiver Rückschritt. Das können
und wollen Grüne politisch nicht unterstützen.
4. Das vierte Argument zielt auf den ersten Satz des Textes. Er bestimmt die Initiative die Ehe als
steuerliche Wirtschaftsgemeinschaft. Auch hier gilt, dass die Bundesverfassung bislang keine solche
Einengung enthält. Und auch das ist gut so. Damit würde die Individualbesteuerung verunmöglicht
(Besteuerung natürlicher Personen einzeln, unabhängig vom Zivilstand). Das ist die von uns Grünen
favorisierte Art der Besteuerung. Damit würde die Berufstätigkeit der Frauen begünstigt und ihre
wirtschaftliche Stellung gestärkt. Angesichts der Einwanderungsinitiative und des Fachkräftemangels
in der Schweiz ist diese Forderung der Initiative erst recht verkehrt.
5. Die finanzpolitische Lage. Der Bund steht vor grossen finanzpolitischen Herausforderungen.
Sparpaket folgt auf Sparpaket. Die Steuergesetzrevisionen wirken und es drohen weitere
Ertragsausfälle. Neben den möglichen Kosten dieser Volksinitiative von bis zu 2 Mrd. Franken kommt
bald die Milchkuhinitiative mit Kosten von rund 1,5 Mrd. Franken zur Abstimmung. Die UStR III, die
jetzt beraten wird, kostet den Bund nochmals an die 1,5 Mrd. Franken. Dazu steht das Armeebudget
vor einer Krediterhöhung. Das Total dieser möglichen Budgetverschlechterungen von mehr als 5
Mrd. Franken macht rund 8 Prozent des Bundeshaushalts aus. Damit würde sich die Schweiz
überfordern. Als erstes gilt es, die Initiative abzulehnen und damit eine Investition in Rückschritte zu
verhindern.
Zusammengefasst: Die Initiative ist unnötig, das Problem der Heiratsstrafe ist fast ganz gelöst. Sie
diskriminiert zweitens Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung. Dazu verunmöglicht sie
die Einführung der Individualbesteuerung. Und schliesslich überfordern Steuerausfälle von bis zu
zwei Mrd. Franken den Bundeshaushalt. Deshalb empfiehlt Euch auch die GL ein Nein zu dieser
Initiative.
Luzern/St. Gallen, 16. Januar 2016 / Louis Schelbert