strafbarer „griff in die Kasse“ durch unzulässige Vergütung für

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AMK
STRAFRECHT
Strafbarer „Griff in die Kasse“ durch unzulässige
Vergütung für die Vorstände der KVB
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Sascha Lübbersmann,
Kanzlei Ammermann Knoche Boesing, Münster, www.kanzlei-akb.de
Mit Beschluss vom 4. November 2014 (Az. 2 Ws 298/14, Abruf-Nr. 143733)
hat das Kammergericht (KG) die Anklage gegen Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KVB) und den Vorsitzenden der Vertreterversammlung wegen Untreue zur Hauptverhandlung vor der großen
Strafkammer zugelassen.
Der Fall
Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft den vier Ärzten in leitenden Positionen
bei der KVB vor, zum Nachteil der Vereinigung insgesamt 549.000 Euro veruntreut zu haben. Drei Angeschuldigte seien von 2005 bis 2011 als Vorstand der
KVB tätig gewesen. Gemäß ihrer Ende 2004 geschlossenen Dienstverträge
habe ihnen, soweit sie aus dem Vorstand ausscheiden und ihre ärztliche Tätigkeit hauptberuflich fortsetzen sollten, ein Jahresgehalt (183.000 Euro) als
Übergangsgeld zugestanden. Obwohl sich eine Fortsetzung ihrer Vorstands­
tätigkeit für weitere sechs Jahre abzeichnete, sollen sie im Januar 2011 vom
vierten Angeschuldigten – dem Vorsitzenden der Vertreterversammlung, die
alle Berliner Kassenärzte vertritt – die rückwirkende Änderung der Verträge
und Auszahlung der Übergangsgelder gefordert haben. Dem sei dieser nachgekommen. Nach „Anpassung“ der Verträge dahingehend, dass die Gelder
auch bei nahtloser Fortsetzung der Vorstandstätigkeit auszahlbar sind, habe
er mit zwei Vorstandsmitgliedern sodann die Auszahlung angeordnet.
Das Landgericht hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Zwar
hätten die Angeschuldigten objektiv eine Untreue im Sinne des § 266 StGB
begangen. Die Gelder hätten nicht bewilligt und ausgezahlt werden dürfen,
da dies gegen den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit verstieß, dem die KVB als öffentlich-rechtliche Körperschaft
verpflichtet sei. Doch könne den Angeschuldigten kein Vorsatz nachgewiesen
werden. Hiergegen erhob die Staatsanwaltschaft erfolgreich Beschwerde.
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Abruf-Nr. 143733
Anklage mehrerer
Ärzte in leitenden
Positionen wegen
Untreue
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
Die Entscheidung
Das KG beschloss die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen sämtliche Angeschuldigte, die den eklatanten Verstoß gegen die Haushaltsgrundsätze bewusst begangen hätten. Weiterhin präzisierte das Gericht:
„„ Die hauptamtlichen Vorstände der KVB haben zwar grundsätzlich eine aus
§ 79 Abs. 5 SGB V resultierende Vermögensbetreuungspflicht i.S.d § 266
StGB. Dies gilt jedoch im Hinblick auf § 79 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB V – dem
Aktienrecht vergleichbar – nicht für Entscheidungen, die ihre eigenen Bezüge als Vorstandsmitglieder betreffen. Wegen der Vorbereitung und
schriftlichen Vereinbarung der Änderung ihrer Dienstverträge können sie
sich daher lediglich als Anstifter zur Untreue strafbar gemacht haben.
Änderung eigener
Dienstverträge:
Keine Täterschaft
der Vorstände
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ARZT- UND MEDIZINRECHT
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„„ Eine in ihre Geschäftsbefugnis fallende täterschaftliche Untreue liegt aber
in ihrer schriftlichen Anordnung der Auszahlung dieser – rückwirkend vereinbarten – „Übergangsgelder“. Dieser „Griff in die Kasse“ erfolgte ohne
Rechtsanspruch und damit vermögensbetreuungspflichtwidrig.
Anordnung der
Auszahlung:
Vorstände als Täter
strafbar
„„ Auch der Vorsitzende der Vertreterversammlung hat eine täterschaftliche
Untreue begangen; zum einen durch die Vereinbarung der rückwirkenden
Dienstvertragsänderung, zum anderen durch seine Mitwirkung an der
Auszahlungsanordnung. Für den Abschluss und die Vereinbarung von
Dienstverträgen mit dem Vorstand war nämlich nach § 79 Abs. 3 S. 1 Nr. 6
SGB V allein die Vertreterversammlung als Gesamtorgan zuständig.
„„ Unbeachtlich ist, dass die erst nach Tatbegehung in Kenntnis gesetzte zuständige Vertreterversammlung der KVB die Auszahlung des „Übergangsgelds“ ex post genehmigte. Denn dieser Beschluss des Gesamtorgans verstieß selbst gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.
Genehmigung
unbeachtlich
„„ Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Eröffnung des Hauptverfahrens auch nicht aufgrund eines den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtums oder eines Verbotsirrtums ausgeschlossen. Angesichts des
eindeutigen Zwecks des Übergangsgelds konnte für die Angeschuldigten
kein Zweifel daran bestehen, dass ein solches den Angeschuldigten nicht
zustand. Es ist offenkundig, dass ein Anspruch darauf „ohne Übergang“
nicht bestehen konnte. Ebenso verstieß der Versuch, einen solchen Anspruch „durch die Hintertür“ durch eine Vertragsänderung zu begründen,
gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.
„„ Zu keinem anderen Ergebnis führt, dass sich vor der Änderung der Dienstverträge mit den Vorständen und der Auszahlung zwei Rechtsanwälte zu
den Übergangsgeldern geäußert haben. Denn diese waren nicht beauftragt, die Rechtmäßigkeit der Zahlung zu prüfen.
Vorsatz und
besondere Schwere
der Tat gegeben
PDF erstellt für Gast am 22.04.2016
„„ Da die Angeschuldigten zudem einen 50.000 Euro übersteigenden „Vermögensverlust großen Ausmaßes“ herbeigeführt und die Taten als Amtsträger der KVB im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c) StGB begangen haben, ist von
dem Vorliegen eines besonders schweren Falls der Untreue nach § 266
Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und Nr. 4 StGB auszugehen.
PRAXISHINWEIS | Die KG-Entscheidung belegt, dass nicht nur die Vorstandsvergütung in der Privatwirtschaft untreuerelevant sein kann. Auch die Regelungen über die Bezüge der Vorstände gesetzlicher Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigungen stehen mitunter im Fokus strafrechtlicher Verfolgung. Dass
hierbei ein rückwirkend vereinbartes finanzielles „Dankeschön“ an den entscheidungsbefugten Organen vorbei ein absolutes „no-go“ ist, liegt auf der Hand.
Weitaus schwieriger ist in anderen Konstellationen zu beurteilen, ab wann genau
von einem untreuerelevanten Verstoß gegen den haushaltsrechtlichen Grundsatz
der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auszugehen ist. Die Strafverfolger dürften sich angesichts der Entscheidung dazu berufen fühlen, diese Konkretisierung
nunmehr selbst im Rahmen der Prüfung eines Anfangsverdachts vorzunehmen.
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Ermittlungen
„betreffen“ nicht
mehr nur die
Privatwirtschaft
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