In vielen Unternehmen herrscht noch digitale Steinzeit

Interview mit Tim Cole, „Internet-Urgestein“ und Publizist
über digitale Transformation und die Zukunft der deutschen Wirtschaft
„In vielen Unternehmen
herrscht noch
digitale Steinzeit“
8
Detecon Management Report dmr • 1 / 2016
Tim Cole sorgt sich um die deutsche Wirtschaft, der es an digitaler Reife und
Mut fehle. Die digitale Transformation macht er zur Chef-Sache: Manager
müssen endlich die digitale Vernetzung als Herausforderung annehmen und
ihre Geschäftsprozesse daran ausrichten. Denn: „Wenn sich der Chef vor der
Zukunft verschließt, nützt Ihnen alle Technik nichts.“
DMR: Herr Cole, noch in diesem Jahr veröffentlichen Sie Ihr sechstes Buch zum Thema Internet. Sie gelten als Internet-Pionier und
als der erste Blogger in Deutschland. Sie haben also die Entwicklungen, die das Internet im privaten und beruflichen Alltag bei uns
allen ausgelöst hat, von Anfang an hautnah verfolgt. Wie kam es
dazu, dass Sie sich schon in frühen Jahren diesem Thema verschrieben haben?
T. Cole: Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kind. Ich war damals Chef der Redaktionsgruppe Multimedia bei der Motorpresse Stuttgart und wir haben eine Zeitschrift für Rockmusik
gemacht namens Zounds!. Mein Freund Ossi Urchs, der ein
großer Fan der Heavy Metal Band „Grateful Dead“ war, schlug
eine Geschichte über Fans vor, die von einem Konzerttermin
zum anderen pilgerten und sich dabei per Computer verabredeten. Per Computer? Ich war erstaunt. Ein Computer als
Kommunikationsmedium war mir neu. Ich bohrte weiter und
Ossi sagte, ja, sie verwenden das Internet. Ich wurde so neugierig, dass ich mir gleich einen Zugang legen ließ, und zwar
über CompuServe. Das war damals einer der ersten Provider.
Ich bekam noch eine fünfstellige Nummer zugewiesen. Darauf
war ich später mächtig stolz, denn wir „Fünfer“ waren ja die
Pioniere. Leider machte CompuServe später dicht, aber der Anfang war gemacht.
DMR: Viele gehen davon aus, dass die digitale Transformation in
der Gesellschaft und in den Unternehmen ähnliche Veränderungen
auslöst, wie es die Erfindung der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert getan hat. Wie schätzen Sie das ein?
T. Cole: Das hat sie schon in den letzten 20 Jahren gemacht.
Und dabei stehen wir noch am Anfang. Meine Sorge ist, dass die
deutsche Wirtschaft nicht ausreichend auf das vorbereitet ist,
was noch kommen wird, und wir deshalb als Wirtschaftsstandort zurückfallen hinter Ländern, die digital reifer und mutiger
sind als wir.
DMR: Wir sind bereits heute immer und überall erreichbar. Das
Ende der Entwicklung ist noch nicht abzusehen. Wird es dem Menschen angesichts der totalen Digitalisierung überhaupt noch möglich sein, einmal vollständig abschalten?
T. Cole: Warum sollte er? Die digitale Welt ist die Welt, in der
wir in Zukunft leben werden. Abschalten ist so, als wenn man
heute einen Stummfilm anschaut. Ja, man kann dem auch eine
ästhetische Befriedigung abgewinnen, aber wir sind doch ganz
froh, wenn der Ton wieder läuft, weil uns eine komplette
­Dimension fehlt. Aber vergessen wir nicht: Es hat Menschen
gegeben, die lautstark gegen die Einführung des Tonfilms protestiert haben. Gottseidank haben wir ihnen damals nicht zugehört.
DMR: Der amerikanische Arzt David Agus fordert uns in seinem
Buch „Leben ohne Krankheit“ auf, unsere Gesundheitsdaten zu erheben und diese anonym online verfügbar zu machen, damit die
Forschung Krankheiten besser verstehen und heilen kann. Halten
Sie so etwas in Deutschland für vorstellbar, wo der Datenschutz
eine extrem große Bedeutung besitzt?
T. Cole: Ich halte es für dringend nötig, aber leider wohl kaum
durchführbar angesichts der chronischen Angst der Menschen
vor der Transparenz des Internets, die ihnen von im wahrsten
Sinn des Wortes zurückgebliebenen Vertretern der „klassischen“
Medien eingebläut wird. Zeitungen und Fernsehen in Deutschland haben das Internet verschlafen, und weil sie wissen, dass sie
nicht mehr aufholen können, reden sie es schlecht. Da kann
man nur von Glück reden, dass die Zeitungen demnächst alle
sterben werden. Bei jungen Menschen sind sie heute schon völlig irrelevant – welcher Jugendliche schaut noch in die Zeitung?
Und wer setzt sich um 20 Uhr vor die Glotze, um so etwas
Altmodisches wie die Tagesschau zu sehen?
9
Detecon Management Report dmr • 1 / 2016
DIGITALE
Tim Cole ist Experte für Themen rund um das Internet, eBusiness, Social Web und IT Security und gilt als „Wanderprediger des deutschen Internets“ (Süddeutsche Zeitung). Sein Buch „Erfolgsfaktor Internet“ wurde zum
Bestseller, weil es 1999 erstmals in einer für Manager verständlichen Sprache erklärte, warum das Internet für
Unternehmen von entscheidender Bedeutung ist. In dem Buch „Das Kunden-Kartell“ sagte Cole die Machtverschiebung zugunsten des Kunden aufgrund von digitaler Vernetzung voraus. Das „Handelsblatt“ nahm
dieses Buch in seine Liste der „100 wichtigsten Wirtschaftsbücher“ auf. Als Kommentator schätzt man Coles
klare, neutrale Analysen und seine kritische Einschätzung technologischer Entwicklungen sowie ihrer Folgen
für die Wirtschaft. Im Oktober 2015 erschien im Vahlen Verlag Tim Coles neues Buch „Digitale Transformation
– Wie digitale Technologien die Zukunft vieler Unternehmen bedrohen und was heute getan werden muss,
um zu den Gewinnern des Wandels zu zählen“.
10
Detecon Management Report dmr • 1 / 2016
DMR: Können Sie an ein oder zwei Beispielen erläutern, welche
Vorteile die digitale Patientenakte für uns alle haben könnte?
T. Cole: Stellen Sie sich vor, Sie liegen schwerverletzt und bewusstlos im Straßengraben. Mir wäre wohler, wenn der Notarzt
vollen Zugang zu meiner digitalen Patientenakte hätte. Am liebsten wäre mir, ich würde sie auf einem implantierten Chip unter
der Haut tragen und der Rettungssanitäter braucht sie nur mit
dem Scanner auszulesen. Oder denken Sie an die Ergebnisse klinischer Studien: Pharmafirmen neigen dazu, nur die Ergebnisse
zu veröffentlichen, die ihnen lieb sind. In einer Welt der vollen
digitalen Transparenz hätten Ärzte und Kliniken Zugriff auf
alle Ergebnisse und könnten sie mit meinem ganz persönlichen
Krankheitsbild, meinen Medikamentenunverträglichkeiten und
meiner Krankengeschichte abgleichen, um dafür zu sorgen, dass
ich wirklich die richtige Behandlung bekomme. Das ist Big
Data in Reinkultur, und sie wird eines Tages viele, viele Menschenleben retten. Nur vielleicht nicht hier in Deutschland.
Aber dafür haben wir dann die besten Datenschutzgesetze der
Welt. Vielleicht ist uns das kurz vor dem Exitus ja ein Trost…
DMR: In einem Ihrer früheren Bücher „Kunden-Kartell“ schreiben
Sie bereits zu Beginn des laufenden Jahrtausends davon, dass die
eigentliche Revolution des Internets die Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Anbietern und Abnehmern sei. Wie hat sich die
digitale Transformation für die Unternehmen an der Schnittstelle
zum Kunden bemerkbar gemacht?
T. Cole: Der Kunde hat unbegrenzte Marktübersicht und kann
sich das, was er haben will, überall auf der Welt besorgen. Er hat
mehr Informationen über Produkte oder Dienstleistungen als je
zuvor – manchmal mehr als der Anbieter dieser Produkte. Er
hat vollständige Preistransparenz, weiß also, was ein Produkt
eigentlich kosten darf, und er wird nur im Ausnahmefall bereit
sein, mehr zu bezahlen, wenn ihm der Anbieter einen für ihn
deutlich wahrnehmbaren Mehrwert bietet. Und vor allem: Er
hat einen direkten Draht zum Anbieter und kann sich bei ihm
melden, zum Beispiel um zu feilschen oder sich zu beschweren.
Das sind echte Machtmittel, die den Kunden endgültig zum
König in der digitalen Marktwirtschaft gemacht haben. Als Anbieter bleibt mir da nur ein Weg: Ich muss versuchen, mich
zu seinem Hoflieferanten zu machen. Aber dazu muss ich verdammt gut sein und meine Kunden wirklich kennen.
DMR: Wohin geht aus Ihrer Sicht der Trend: Kaufen wir auch in
den kommenden Jahren immer weiter und immer mehr online ein?
Oder gibt es hierzu vielleicht zukünftig einen Gegentrend zurück
zu Käufen im stationären Ladengeschäft?
T. Cole: Ich denke, es wird zu einer zunehmenden Verzahnung
von online und offline im Handel kommen. Kunden werden
Dinge, die sie im Internet bestellen, immer häufiger im Ladengeschäft abholen wollen auf dem Weg nach Hause. Sie werden
Waren, die sie retournieren müssen, in der stationären Filiale
abgeben wollen. Heute funktioniert das deshalb nicht, weil die
Computersysteme nicht miteinander reden können. Der Handel muss noch viele Hausaufgaben machen, bevor das Zeitalter
der so genannnten „Omnichannel-Logistik“ Wirklichkeit werden kann.
DMR: Wie wirkt sich die digitale Transformation auf die Loyalität
der Kunden aus? Ist der digitale Kunde weniger loyal?
T. Cole: Nur, wenn es in seinem Interesse ist. Wenn ich merke,
dass mich ein Anbieter deshalb besonders gut bedient, weil er
mich in- und auswendig kennt, dann wäre ich doch bescheuert,
wenn ich zu einem anderen gehen würde. Das ist das Gegenteil
von altmodischer Kundenbindung. Man könnte es vielleicht
besser „Kunden-Selbstbindung“ nennen.
DMR: Welche Anforderungen stellt die digitale Transformation
heute an den Arbeitnehmer von morgen?
T. Cole: Der digitale Arbeitnehmer hat niemals Feierabend. Er
wird immer und überall erreichbar sein, und er wird es wollen.
Wie soll er sonst seinen Job machen und ein Erfolgserlebnis
haben? Das setzt natürlich voraus, dass er genau weiß, welche
Ziele er und seine Kollegen haben, und er will an dieser Zieldefinition beteiligt sein. Chefs, die immer noch von oben nach
unten denken, haben die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
Zielorientierte Führung fordert einerseits einen besseren Überblick, andererseits aber auch die Fähigkeit, loszulassen und den
Mitarbeiter in die Eigenverantwortung zu entlassen. Da tun
sich gerade deutsche Chefs schwer. Einer Studie des IT-Branchenverbands Bitkom zufolge verlangen 70 Prozent der deutschen Vorgesetzten von ihren Leuten Präsenzpflicht. Die 9-bis5-Denke ist noch fest in den Köpfen verankert.
TRANSFORMATION
11
Detecon Management Report dmr • 1 / 2016
DIGIT
TRA
DMR: Der Mangel an qualifiziertem Personal wird sich – gerade
was die MINT- und Ingenieurberufe angeht – sicherlich weiter verstärken, wie alle entsprechenden Prognosen vorhersagen.
T. Cole: Der autonome Mitarbeiter von morgen wird ein
­qualifizierter Mitarbeiter sein. Für Mittelmaß ist in der digitalen
Wirtschaft kein Platz. Wer als junger Mensch seine Qualifika­
tion vernachlässigt, der wird bei Aldi an der Kasse landen – oder
als Hartz-IV-Empfänger. Und er ist selbst schuld. Ich kann nur
jedem jungen Menschen raten, alles Mögliche zu tun, um sich
bestens ausbilden zu lassen. Wobei es nicht so wichtig ist, welchen Job ich lerne, sondern dass ich die Fähigkeit entwickele,
mich schnell auf sich verändernde Situationen in der Arbeitswelt umzustellen, denn die Zeiten, in denen jemand bis zur
Rente am gleichen Schreibtisch saß oder an der gleichen Werkbank stand, sind längst vorbei.
DMR: Was können beziehungsweise müssen Unternehmen tun,
um die Mitarbeiter zu bekommen, die sie zukünftig benötigen?
T. Cole: Der demoskopische Wandel wird in den nächsten Jahren unerbittlich zuschlagen. VW weiß heute schon nicht mehr,
wie sie die vielen Baby Boomer ersetzen sollen, die in den nächsten fünf Jahren in Pension gehen werden. Die Antwort lautet:
Qualifikation und Automation. Firmen müssen in die eigenen
Leute investieren und dafür sorgen, dass sie höherwertige Aufgaben erledigen können. Alles, was nach kopfloser Routinearbeit
aussieht, können Roboter in Zukunft besser und billiger.
DMR: Welche Rolle spielen neue Digitaltechniken hinsichtlich der
Weiterbildung und Qualifizierung der Mitarbeiter?
T. Cole: Die vielzitierte Medienkompetenz ist der Schlüssel zum
beruflichen Erfolg in einer digitalen Wirtschaft. Das Wissen darum, wo ich die nötigen Informationen herbekomme, und die
Fähigkeit, in vernetzten Strukturen zu denken, werden immer
wichtiger. Es hilft natürlich auch, wenn man eine Portion Neugier mitbringt, denn eines ist sicher: Die Arbeitswelt wird immer spannender!
DMR: Sie schreiben, dass in den USA seit dem Jahr 2000 durch
die Digitalisierung bereits die Hälfte der Fortune-500-Firmen verschwunden ist. Weitere Unternehmen werden folgen. Welche Unternehmen gehören zu den „Verlierern“ der digitalen Transformation?
T. Cole: Diejenigen, die zu zaghaft sind und glauben, dass sie
so weiterwurschteln können wie früher. Die Manager in diesen Unternehmen müssen die digitale Vernetzung als Herausforderung annehmen und beispielsweise ihre völlig veralteten
Geschäftsprozesse an die Neuzeit heranführen. Sie schreiben
immer noch Rechnungen auf Papier! Sie lassen die Post ungeöffnet vom Büroboten durch die Gänge schleppen! Manche Chefs
lassen immer noch ihre E-Mails ausdrucken und sich von der
Sekretärin mit der Postmappe vorlegen. Wenn Sie in den deutschen Unternehmensalltag reinschauen, blicken Sie viel zu oft
in die digitale Steinzeit zurück. Wenn sich da nicht schleunigst
etwas ändert, dann „Gute Nacht, Deutschland“!
FORMA
DMR: Aber auch unter den Arbeitnehmern wird es „Verlierer“ der
digitalen Transformation geben. So werden sicherlich ganze Berufsgruppen in den nächsten Jahren „aussterben“?
T. Cole: Ja, Tageszeitungsjournalisten zum Beispiel. Aber auch
Briefträger, Zählerableser, Standbohrmaschinenarbeiter und
Steuerbeamte. Die stehen alle auf der Liste der zehn meistgefährdeten Jobs, die das TIME Magazin letztes Jahr veröffentlicht
hat. Wenn ich ein junger Mensch wäre, würde ich mir die Liste
ganz genau ansehen – und mich ganz schnell für einen anderen
Beruf entscheiden.
12
Detecon Management Report dmr • 1 / 2016
DMR: Welche Branchen sind aus Ihrer Sicht am stärksten von der
digitalen Transformation betroffen?
T. Cole: Jede Branche muss über ihre Schulter schauen, denn
ganz bestimmt gibt es irgendeinen Branchenfremden, der gerade dabei ist, sie überflüssig zu machen, so wie Uber es mit den
Taxifahrern macht und AirB&B mit den Hoteliers. Wenn ich
Manager wäre, würde ich nachts wachliegen und mich fragen:
Welche disrupitive Technologie könnte mich morgen arbeitslos
machen?
TALE
ANS
DMR: Der Standort Deutschland ist bekanntlich sehr mittelständisch geprägt. Wie fit sehen mittelständische Unternehmen in Bezug
auf deren digitale Zukunft aus? Wie gut sehen Sie den Mittelstand
heute aufgestellt? Und wie sehr sind auch kleine Unternehmen und
das Handwerk betroffen?
T. Cole: Es ist eine hohe Bereitschaft im Mittelstand vorhanden,
sich mit dem Thema Digitalisierung zu beschäftigen. Leider
bleibt es aber viel zu oft beim Reden. Der frühere FraunhoferChef Professor Hans-Jörg Bullinger, ein echter Schwabe und ein
weiser Mann, hat einmal ein Managementsystem vorgestellt,
das er die „SNS-Methode“ nannte: „Schaffe – nett schwätze!“
Wir können alle viel von ihm lernen.
DMR: Was konkret empfehlen Sie Unternehmen, die gefährdet
sind? Und wie lange haben die Unternehmen Zeit, diese „Hausaufgaben“ zu erledigen?
T. Cole: Es ist nicht einfach, einen Tanker auf neuen Kurs zu
bringen. Einerseits sind deutsche Weltkonzerne heute sehr erfolgreich, andererseits wissen sie, dass ihnen der nötige „Startup-Spirit“ fehlt, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Mein Rat
wäre: Lassen Sie Beiboote zu Wasser – kleine, wenige Firmengründungen außerhalb des Konzerns. Die Robert Bosch GmbH
macht das sehr erfolgreich. Die haben sogar einen eigenen Startup-Inkubator im Konzern gegründet, der den eigenen Leuten
hilft, sich selbständig zu machen. Nur bleiben sie dauerhaft bei
Bosch an der Leine, allerdings an einer ziemlich langen.
DMR: Hauptaufgabe der IT im Unternehmen muss es sein, das
Geschäftswachstum im Kerngeschäft zu unterstützen und neue Geschäftschancen zu nutzen. Wie gut gelingt das der IT heute?
T. Cole: Wir reden seit Jahren über die „Business-IT-Alignment“
und darüber, dass die IT das Business besser verstehen muss und
umgekehrt. Leider liegen aber in den meisten Unternehmen,
die ich kenne, noch Welten zwischen beiden.
DMR: Wir sind uns einig sind, dass die IT bei der digitalen Transformation eine zentrale Rolle für den Unternehmenserfolg einnimmt. Worauf kommt es bei der strategischen Ausrichtung der IT
im Besonderen an?
T. Cole: Die IT muss der Kanal sein, durch den Informationen
dorthin fließen, wo sie gebraucht werden. Leider schafft die IT
aber bis heute in der Regel nur digitale Inseln im Unternehmen
– einzelne, vernetzte Systeme, die ganz gut funktionieren,
aber nur innerhalb der Abteilung, die sie in Auftrag gegeben
hat. ­Warum? Weil niemand zur IT gesagt hat: Ich will, dass
die Informationen, die in diesem System abfallen, überall im
Unternehmen verfügbar sind. Wir haben teure CRM-Systeme
angeschafft, auf die nur die Marketingabteilung zugreifen kann.
Warum nicht der Vertrieb, der Kundendienst, die Produktentwicklung? In jedem deutschen Unternehmen schlummern
­riesige Datenschätze, die geborgen werden müssen, wenn wir
die Wende in Richtung digitaler Transformation hinbekommen
wollen.
ATION
DMR: Schlagworte wie „Big Data“, „Social Media“ und ­„Mobile
Computing“ sind bereits seit Jahren in der IT-Branche in aller
Munde. Man könnte fast meinen, die digitale Transformation sei
vorrangig ein Technik-Thema. Aber ist diese nicht vielmehr ChefSache?
T. Cole: Wenn sich der Chef vor der Zukunft verschließt, nützt
Ihnen alle Technik nichts.
DMR: Wie gut sind die großen ERP-Anbieter aufgestellt, wenn
es darum geht, die Kunden auf einem erfolgreichen Weg durch die
digitale Transformation zu unterstützen?
T. Cole: Die ERP ist das größte Datengrab, das es gibt. Schon
vor 20 Jahren hat der damalige Siemens-Chef Heinrich von
Pierer in einer Bilanzpressekonferenz gestöhnt: „Wenn Siemens
wüsste, was Siemens weiß, dann wären unsere Zahlen besser“.
Die ERP muss sich immer weiter öffnen und die Informationen
dorthin gelangen lassen, wo sie wirklich benötigt werden. Aber
bis dahin ist es noch ein langer Weg …
DMR: Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Matthias Hau, Managing Consultant,
Detecon International GmbH.
13
Detecon Management Report dmr • 1 / 2016