„Feindbilder sind hochgradig gefährlich“

ANTWORTEN 03
Montag, 22. Februar 2016
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„Ich würde nun für
,unschuldig’ stimmen,
da mir nicht bewusst
war, dass die Anklage
,Mord‘ war.“
„Auch im Fall Metzler
ist die Situation des
Polizeipräsidenten zu
bedenken, als die Güter
abzuwägen waren.“
„Ich habe oft Bedenken,
da meine Familie häufig
unterwegs ist. Wir müssen für unsere Freiheit
kämpfen!“
„Ich glaube, der Autor
hat das Stück geschrieben, um vor der Infragestellung des Grundgesetzes zu warnen.“
„Es gibt nur sehr wenige
Menschen, die aus dem
Gefängnis kommen und
ein besserer Mensch
geworden sind.“
„Wir müssen auch die
Diskussion darüber führen, dass der Soldat gegen den Primat der Politik verstoßen hat.“
Ursula Winter
Hagen Leyendecker
Reinhard Neese-Busch
Charlotte Orti von Hawranek
Heiner Wichmann
Pieter Welge
„Feindbilder sind hochgradig gefährlich“
Beim Leserforum unserer Zeitung und des Staatstheaters diskutierten 130 Gäste mit Experten die Frage: Was macht „Terror“ mit uns?
Von Martin Jasper
Braunschweig. Das besonders
Spannende am Leserforum zum
Thema Terror war der zuweilen
aufblitzende Kontrast zwischen
persönlicher Betroffenheit und rationaler Durchdringung.
Etwa, als gleich zu Beginn die
Schriftstellerin Kathrin Röggla
schilderte, wie sie den 11. September 2001 erlebt hat: in einem
Hochhaus in der Nähe des Word
Trade Centers in New York – mit
der Information, sechs Flugzeuge
seien über der Stadt. Da habe sie
gedacht: „Warum schießen die
nicht diese Flugzeuge ab? Das
kann doch nicht wahr sein!“
Später hätten sie dann aber die
öffentlichen und medialen Alarmund Katastrophen-Diskurse im
Zusammenhang mit der TerrorGefahr sehr besorgt gemacht.
„Wir sind so infiziert von der terroristischen Bedrohung! Die Tatsache, dass wir so sicher leben wie
nie zuvor, wirkt schon fast schockierend.“ Röggla sprach von
„Hysterisierung“. Diese bereite
den Weg dafür, dass im Spannungsfeld zwischen Freiheit und
Sicherheit zunehmend zugunsten
der Sicherheit entschieden werde
– etwa im Zusammenhang mit der
Überwachung von Online-Daten.
Der fiktive Abschuss eines
Flugzeuges war der Anlass des Leserforums, das unsere Zeitung gemeinsam mit dem Staatstheater
im Medienhaus in Braunschweig
veranstaltete. In dem Stück „Terror“, das höchst erfolgreich im
Staatstheater läuft, geht es um eine Passagiermaschine, die abgeschossen wurde, weil Terroristen
sie in ein vollbesetztes Stadion
steuern wollten. Das Publikum
darf entscheiden, ob der Bundeswehr-Pilot, der die Maschine abgeschossen hat, schuldig ist.
Einig war man sich auf dem Podium, dass wir uns unsere Art zu
leben, unsere Freiheit, nicht von
Terroristen kaputt machen lassen
dürfen. Dann hätten sie ja ihr Ziel
erreicht. Und auch nicht von eigenem Gesetzgebungs-Aktivismus.
Das freilich, mit Verlaub, sagt
sich leicht.
Da gab es wieder so einen eindringlichen Moment der persönlichen Betroffenheit, als der Journalist Rolf Clement von seiner
Tochter erzählte, die am Tag des
Pariser Attentats in der Stadt ge-
FAKTEN
Das Stück „Terror“ von Ferdinand von Schirach läuft als
Gerichtsverhandlung ab –
mit dem Publikum als Richter. Es geht um einen Bundeswehr-Piloten, der ein von
Terroristen gekapertes Flugzeug abgeschossen hat, um
eine größere Katastrophe zu
verhindern. Bisher haben die
meisten Zuschauer den Piloten freigesprochen. Zu sehen
wieder am 28. Februar.
Sehen Sie mehr!
Eine Bildergalerie der
Diskussion finden sie unter
Das Podium während des Leserforums zum Thema Terror am Sonntag im Konferenzcenter des BZV-Medienhauses in
Braunschweig.
Foto: Florian Kleinschmidt/BestPixels.de
Susanne Beck, Professorin für
Strafrecht und Rechtsphilosophie in Hannover.
Kathrin Röggla, Schriftstellerin, stellvertretende Präsidentin der Akademie der Künste.
wesen sei und sogar in dem von
Terroristen überfallenen Café –
fünf Minuten vor dem Anschlag.
Nun habe sie ein Angebot, für ein
halbes Jahr zurück nach Paris zu
gehen, berichtete Clement. „Und
sie hat einen kleinen Sohn... Kriegen die Terroristen es hin, dass
meine Tochter da nicht hingeht?“
Da ist der Konflikt wieder: Die
Tochter vor Gefahren zu bewahren
– oder dem Terror zu trotzen.
Sehr rational begegnete der
Braunschweiger Politik-Wissenschaftler Nils Bandelow dem Konflikt. Die Wahrscheinlichkeit, einem Terrorangriff zu erliegen, sei
gering. Bandelow warnte vor einfachen Feindbild-Mechanismen.
Wenn wir im Westen uns immer als
die Guten verstünden, die das Tö-
Bernhard Gertz, Jurist, Oberst
a.D., Vorstandsmitglied des
Bundeswehrverbandes.
ten verhindern, gegen die Bösen,
die töten wollen, sei das eine sehr
verkürzte Perspektive. So kämen
wir aus der Eskalations-Spirale
nicht heraus. „Jede politische
Einheit braucht Feindbilder, auch
die Terroristen.“ Auch sie seien
der Überzeugung, auf der guten
Seite zu stehen. „Wenn wir 70 000
Leute in einem Stadion retten
wollen, dann wollen sie 50 Millionen in ihrer Heimat retten.“
Sich auf diesen Prozess des
„Aufschaukelns“ einzulassen, sei
gefährlich. Er diene den Hardlinern auf beiden Seiten in ihrem
Interesse, unsere Gesellschaftsordnung infrage zu stellen. Da sei
es von entscheidender Bedeutung,
die klaren Regeln des Grundgesetzes einzuhalten und sich nicht ver-
Joachim Klement, Generalintendant
des Staatstheaters Braunschweig.
Armin Maus, Chefredakteur
dieser Zeitung und Diskussionsleiter.
führen zu lassen, den Anderen die
Legitimation zur nächsten Eskalationsstufe zu geben. „Es ist ein
großes Verdienst, Staatlichkeit so
aufrecht zu erhalten, wie es das
Grundgesetz intendiert.“
Wie aber, so fragte der Chefredakteur Armin Maus als Moderator, „können wir unsere Freiheit
so nutzen, dass wir den Feindbildern nicht zum Opfer fallen?“
Röggla empfahl, den direkten
Kontakt zu den Fremden zu suchen, statt den medialen Erzählungen zu folgen. Selbst rechtskonservative Lehrerinnen aus ihrem
Bekanntenkreis,
die
Migrantenkinder unterrichteten,
begännen zu differenzieren. Röggla: „Die Frage nach dem Anderen
schreibt sich mit der Zeit neu. Er
braunschweiger-zeitung.de
Nils Bandelow, Politikwissenschaftler und Leiter des TULehrstuhls für Innenpolitik.
wird zum Gegenüber, mir in manchen Dingen verwandt.“
Bernhard Gertz, einst Chef des
Bundeswehrverbandes, mahnte:
„Terroristen sind keine homogene
Gruppe, die wir pauschal verurteilen dürfen.“ Zu Recht hätten
sich die Deutschen nach dem
Krieg gegen die Kollektivschuld
gewehrt. Man müsse individuelle
Schuld nachweisen, zwischen Täter, Mittäter, Mitläufer und Opfer
genau unterscheiden. Zudem greife es zu kurz, die Symptome des
Terrorismus zu bekämpfen. Es
gelte, den Menschen in ihrer Heimat ein lebenswertes Leben zu ermöglichen – „mit unserer Unterstützung, mit unserem Geld.“
Die Rechtsprofessorin Susanne
Beck merkte kritisch an, unsere
Rolf Clement, Chefredakteur
beim Deutschlandfunk, Experte für Sicherheitspolitik.
Justiz strafe sehr früh im Kontext
des Terrorismus. „Wenn jemand
im Internet Kontakt aufnimmt mit
der Absicht, irgendwann später
vielleicht einen Anschlag zu verüben, macht er sich schon strafbar.“ So treibe man ihn in die Isolation und womöglich in die Arme
extremer Gruppen.
Auch sei es fragwürdig, Menschen, die etwa aus einem Terrorcamp heimkehrten, zu verurteilen.
„Diese Leute – und auch ihr Umfeld – fühlen sich eher bestärkt in
ihrer Gegnerschaft. Statt die Diskrepanz zu vergrößern, sollten wir
versuchen, sie zu integrieren. Wir
sollten uns vor allem mit den
Gründen auseinandersetzen, die
sie veranlassen, in extreme Gruppen zu flüchten.“