1. Der Mythos von der Demokratieverdrossenheit Auf die Frage „Wie sehen Sie das: Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland – ich meine, was die Menschen besitzen und was sie verdienen – im Großen und Ganzen gerecht oder nicht gerecht?“ antwortete in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland stets eine knappe relative Mehrheit, die Verhältnisse seien gerecht. Etwas mehr als ein Drittel entschied sich für die Antwort „Nicht gerecht“. Noch im Jahr 1995 zeigte sich die Bevölkerung in dieser Frage gespalten. 39 Prozent, die die Verhältnisse als gerecht einstuften, standen 43 Prozent gegenüber, die sie als nicht gerecht bezeichneten. Seitdem ist jedoch die Zahl derjenigen, die die wirtschaftlichen Verhältnisse als ungerecht empfinden, kontinuierlich und geradezu dramatisch gewachsen. Heute bezeichnen 68 Prozent der Deutschen die Besitz- und Einkommensverteilung im Land als ungerecht. Nur noch 18 Prozent widersprechen (Abbildung 9). Abbildung 9: Wachsendes Gefühl von Ungerechtigkeit Angaben in Prozent / an 100 fehlende Prozent: Unentschieden, keine Angabe Frage: „Wie sehen Sie das: Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland – ich meine, was die Menschen besitzen und was sie verdienen – im Großen und Ganzen gerecht oder nicht gerecht?" 68 Gerecht 42 38 58 46 37 50 43 36 43 36 39 47 35 27 Nicht gerecht 1964 52 21 1969 1975 1979 1995 2000 2005 2009 18 2013 Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre (1964 bis 1979: Westdeutschland). Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 1092, 2052, 3112, 3064, 6017, 6087, 7076, 10048 und 11006. Folgerichtig vertritt auch eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Ansicht, die soziale Gerechtigkeit im Land habe abgenommen, und auch hier ist in den letzten Jahrzehnten eine sehr deutliche Zunahme zu verzeichnen. Während im Jahr 1987 noch 39 Prozent der Befragten auf die Frage „Hat die soziale Gerechtigkeit bei uns in den letzten drei, vier Jahren zugenommen, abgenommen, oder ist sie gleich geblieben?“ antworteten, sie habe abgenommen, stieg der Anteil in den darauffolgenden Jahrzehnten auf bis zu 71 Prozent. Heute liegt er mit 60 Prozent etwas unter dem Niveau der Jahre 2005 und 2010, die Mehrheitsverhältnisse sind dennoch eindeutig. Man kann es beinahe als Konsens in der öffentlichen Meinung beschreiben, dass die soziale 21
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