Dabei sein ist NICHT alles

Optimal Auswahl von Kundenkontaktkanälen
Dabei sein ist NICHT alles
Der olympische Gedanke „Dabeisein ist alles“ greift in der Gestaltung des
­optimalen Channel-Mix zu kurz. Bewertung und Auswahl der Kanäle hängen
von der Kundenerwartung und den Unternehmenszielen ab. Nur dann gelingt ein
­konsistenter und authentischer Auftritt.
nternehmen können heute auf eine Vielzahl an Vertriebs-,
U
Service- und Informationskanälen zurückgreifen, um mit i­hren
Kunden in Kontakt zu treten. Neben Chancen erhöht dies
­allerdings auch die Komplexität ihres Geschäfts. Der Begriff
des „Omni-Channels“ suggeriert, dass dem Kunden alle poten­
ziellen Kanäle auch angeboten werden sollten. Besonders in den
digitalen Kanälen von Social Media und Mobile Apps neigen
Unternehmen dazu, auf jeden Fall präsent sein zu wollen.
Relevanz der Kanäle ist für Unternehmen unterschiedlich
Dabei wird oft außer Acht gelassen, welche Kanäle wirklich
vom Kunden nachgefragt werden und einen Mehrwert für
diesen stiften. Für Unternehmen stellt sich die Frage: „Welche
Kanäle sind für meine Kunden und mein Unternehmen über­
haupt relevant?“ Diese Betrachtung erstreckt sich nicht nur auf
digitale Kanäle wie das Web, sondern auch auf Offlinekanäle
wie das physische Geschäft.
In die Bewertung und Auswahl der Kanäle fließen grundsätzlich
zwei Dimensionen ein: Erstens ist die aktuelle und zukünftige
Erwartung der Kundenbasis an das Unternehmen mit einzube­
ziehen. Hieraus lassen sich bereits eine Auswahl an potenziellen
Kanälen ableiten und zugleich erste Kanäle aus der Auswahl
eliminieren.
Zweitens müssen Unternehmen die Kanalauswahl als strate­
gisches Instrument betrachten und zukünftig intendierte un­
ternehmerische Entwicklungen mit einbeziehen. Hieraus er­
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gibt sich eine Erweiterung oder Verkleinerung der potenziellen
­Kanäle aus der Kundendimension. Die Kombination dieser bei­
den Dimensionen leistet einen direkten Zusammenhang zwi­
schen externen (Kunde) und internen (Unternehmensstrategie)
Faktoren.
Abbildung der Customer Journey gibt Aufschluss
über Kundenerwartungen
Die Interaktion mit Kunden ist ein exogener Faktor, da die
Kundenerwartungen bezüglich der Interaktionskanäle nur be­
dingt vom Unternehmen beeinflusst werden können. Hier ist
es wichtig, bestehende und potenzielle Kunden zu verstehen,
um zu erkennen, welcher Weg der Interaktion Mehrwerte
­liefert. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, wo sich ihre
Kunden über Produkte und Services informieren, wo sie diese
­kaufen und Support anfragen. Die direkte Interaktion mit Kun­
den durch beispielsweise Umfragen liefert allerdings nur einen
Teil der Wahrheit, da Kunden nur bedingt einschätzen können,
was sie zukünftig erwarten, um einem Unternehmen gegenüber
loyal zu bleiben. Die Erstellung einer Customer Journey entlang
des gesamten Kundenlebenszyklus ist eine etablierte Methode,
Kundenerwartungen zu visualisieren und eigene Ideen von Ex­
perten einfließen zu lassen.
Im Elektronikeinzelhandel beispielsweise war es noch bis vor
zehn Jahren üblich, Reklamationen und Beschwerden direkt im
Geschäft abzugeben. Im Zuge der Digitalisierung erwarteten
Kunden, allgemeine Informationen zum erworbenen Produkt
im Onlinekanal zu erhalten, um kleine Probleme selbst zu
­lösen. Bei einem Produktdefekt wird ebenfalls erwartet, dass der
Händler in den digitalen Kanälen Möglichkeiten anbietet, den
Reklamationsprozess anzustoßen und die erforderlichen Schrit­
te in Erfahrung zu bringen. Unternehmen, die bei ihrer Ka­
nalauswahl den Onlinekanal für den Kundenservice integriert
haben, konnten Mehrwerte für den Kunden schaffen und sich
vom Wettbewerb differenzieren.
Steuerungsmechanismus Kanalauswahl
Auf der anderen Seite werden interne Faktoren oft nicht aus­
reichend betrachtet, da der Hebel der Kanalauswahl auf den
unternehmerischen Erfolg unterschätzt wird. Unternehmen
können durch die richtige Kanalauswahl ihre Ambitionen in
Hinblick auf die Kundenzielgruppe und angebotenen Pro­
dukte unterstützen. Da Kundengruppen die Kundenkontakt­
kanäle unterschiedlich nutzen, kann durch die Kanalauswahl
ein Fokus auf Zielgruppen gelegt werden. Die Ergänzung eines
Social-Media-Kanals ermöglicht zum Beispiel einem Versand­
händler, in direkten Kontakt mit seinen Kunden zu treten. Da
jeder angebotene Kanal aber auch Kosten verursacht, sollten
Unternehmen evaluieren, welche geplanten und vorhandenen
Kanäle geschlossen werden können. Im Umkehrschluss zum
Erreichen neuer Kundengruppen lässt sich der Kontakt zu einer
Kundengruppe durch die Wegnahme von Kanälen reduzieren –
für den Fall, dass das Unternehmen sein Geschäft konsolidiert.
Der Wegfall aller Onlinekanäle ist immer dann eine werthaltige
­Option, wenn sich ein Unternehmen auf persönlichen Service
fokussieren und sich darüber vom Wettbewerb differenzieren
will.
Der klassische Katalogversandhandel hat Kunden vor der
­Digitalisierung die Bestellung via Briefformular oder Telefon
angeboten. Mit der Zunahme des Onlinehandels wurden die
traditionellen Kanäle unwichtiger. Bei Fokussierung auf jüngere
Kundengruppen entfällt zudem der Bedarf, Telefon- und For­
mularbestellungen anzubieten. Versandhändler konnten sich
also durch den Wegfall von Kanälen neu ausrichten und zu­
gleich die interne Komplexität sowie Kosten reduzieren.
Abgleich mit unternehmensinternen Fähigkeiten
sichert Konsistenz
Für die Auswahl der richtigen Kanäle spielen auch die unterneh­
mensinternen Fähigkeiten eine wichtige Rolle. Grundsätzlich
sollten Unternehmen ihren Kunden nur Produkte und Services
in neuen Kanälen anbieten, wenn diese dort auch qualitativ
hochwertig angeboten werden können. Maßgeblich ist, dass die
Kundenzufriedenheit in neuen Kanälen nicht geringer ausfallen
darf als in den etablierten Kanälen. Eigentlich selbstverständ­
lich, in der Praxis aber nicht immer gelebt ist die Konsistenz im
Umfang des Angebotes, des optischen Erscheinungsbildes und
der Servicequalität, die über alle Kanäle hinweg sichergestellt
sein muss.
Für unterschiedliche Produkte kann ein Unternehmen dage­
gen durchaus einen anderen Kanalmix verwenden. Dann ist
eine klare Abgrenzung der Marken oder Produkte beim Kun­
den wichtig, damit jede einzelne Marke und jedes Produkt vor
dem Kunden authentisch wirkt. Der gewählte Mix ist jedoch
nicht als statisch anzusehen, sondern sollte in regelmäßigen Ab­
ständen mit gleichbleibender Methodik evaluiert werden. Im
Grundsatz ist es für ein authentisches Kundenerlebnis wichtiger,
eine werthaltige Auswahl an Kanälen mit konsistentem Kunde­
nerlebnis anzubieten als eine Vielzahl an Kanälen mit geringer
Konsistenz.
Eine bewusste, auf den Kundenerwartungen und der Unterneh­
mensstrategie basierende Auswahl von Kundenkontaktkanälen
unterstützt direkt die unternehmerische Entwicklung. Zum ei­
nen bewirkt die bewusste Auswahl eine Steigerung des Kunde­
nerlebnisses, welches sich für das Unternehmen in gesteigerten
Umsätzen und einer höheren Kundenloyalität niederschlägt.
Des Weiteren unterstützen die richtigen Kanäle die Marken­
story und wirken somit positiv auf die Authentizität eines Un­
ternehmens. Auf der Kostenseite bewirkt die Abschaltung von
Kanälen einen direkten Rückgang der Betriebskosten. Mit der
Entscheidung, Kanäle nicht einzuführen, umgehen Unterneh­
men Kapitalaufwendungen für die Implementierung und ver­
meiden einen Imageverlust, wenn dieser Kanal qualitativ min­
derwertig angeboten werden würde.
Authenzität wahren, kosteneffizient agieren
Trends und neue Technologien in den Kundenkontaktkanälen
sind also nicht automatisch eine Aufforderung für Unterneh­
men, sich in jedem möglichen Kanal zu repräsentieren. Wie der
individuelle Kanalmix aussehen soll, ist vielmehr eine bewusste
und strategisch durchdachte Entscheidung, um authentisch vor
dem Kunden und gleichzeitig kosteneffizient zu agieren.
Jan Grineisen ist Consultant im Beratungsbereich Deutsche Telekom.
Der Schwerpunkt seiner Beratung liegt auf der Entwicklung von Commercial
Strategies im Endkundensegment mit dem Fokus auf Customer Experience.
Er verfügt über tiefgehende Erfahrungen in der Entwicklung von Omni­
channel-Geschäftsmodellen und Vertriebsstrategien.­
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