14. Februar 2016, Nydeggkirche Predigt zur Eröffnung der ökumenischen Kampagne 2016 2. Predigt in der Predigtreihe gerneklein (Kurt Marti) Pfarrerin Rosa Grädel Lesung durch Lektorin (Exodus 23, 10 – 13) und Lektor (Gedicht von Kurt Marti „schön – was ist schön?“) 10 Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seinen Ertrag einsammeln. 11 Im siebten aber sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen, schön – was ist schön? schonen ist schön und die Armen deines Volks sollen davon essen. Und was sie übrig lassen, sollen die Tiere des Feldes fressen. So sollst du auch mit deinem Weinberg und mit deinen Ölbäumen verfahren. schonen ist schön menschen schonen tiere schonen pflanzen schonen 12 Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Magd und der Fremde aufatmen können. die vielfalt schonen die schöpfung schonen wer schont macht schön 13 Und ihr sollt achtsam sein bei allem, was ich euch gesagt habe. schön wird wer schont Den Namen anderer Götter sollt ihr nicht nennen, er soll nicht gehört werden aus deinem Mund. wer schont macht schön schön wird wer schont Lied RG Nr. 841, 1 – 3 „Gott gab uns Atem“ Predigt I Was ist schön? Gold ist schön. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und Gold glänzt nicht für alle gleich. Darauf weist das diesjährige Plakat der ökumenischen Kampagne von Brot für Alle. Sie sehen einen Ausschnitt daraus auf Ihrem Handzettel. Hinten im Foyer hängt das grosse Plakat. Auf den ersten Blick sieht man da einen schönen Frauenhals mit einer Goldkette. Hält man die Lupe über die Goldkette, sieht man eine Goldmine. Feuer mit dunklen Rauchwolken, grosse Baumaschinen. 1 Auf dem grossen Plakat sieht man dann noch eine Frau und Kinder davonrennen. Die Kleider sind zerrissen, die Gesichter angstvoll. Was ist schön? – schonen ist schön, sagt Marti im Gedicht. Aber da wird nichts und niemand geschont. Am Beispiel des Goldes und des Goldabbaus in Burkino Faso zeigt die Kampagne, wie heute weltweit Hunger gemacht, Menschenrechte missachtet, Umwelt zerstört werden. Dabei spielen internationale Konzerne eine Hauptrolle. Sie haben ihren Hauptsitz in einem steuergünstigen und rechtssicheren Land, arbeiten aber in den betroffenen Ländern, z.B. Südafrika, Peru und Burkina Faso - mit Tochterfirmen zusammen, die sozusagen die Drecksarbeit an Ort machen. Diese Tochterformen sind dann nicht an die Menschenrechtsstandards gebunden, halten auch nicht Umweltstandards ein. Vier der sieben grössten Goldraffinerien weltweit haben ihren Sitz in der Schweiz, der grössten Drehscheibe für Gold: 70% werden hier verarbeitet. Erst seit 3 Jahren müssen die Konzerne offenlegen, woher sie ihr Rohgold haben. Weiter geht aber die Kontrolle nicht.1 II Was das für betroffene Menschen bedeutet, erzählt der sechzig jährige Bauer Jean-Bernard Traoré aus Bissa in Burkina Faso. Einst besass er 40 Rinder, 20 Schafe und 30 Ziegen. Ein Leben lang hat er gearbeitet, für sich und seine Familie. Dann kam 2011 ein russischer Goldkonzern und wollte eine Goldmine eröffnen. Der Konzern machte den Menschen grosse Versprechen, wenn sie sich umsiedeln liessen. Und wer sich nicht umsiedeln lassen wollte, wurde bedroht. Die Umsiedlung wurde vollzogen, die Versprechen – Schule, Brunnen, Gesundheitsposten, Arbeitsplätze - nicht eigehalten. Dem Bauern Taoré ist nur die Hälfte des Landes geblieben. Noch 30 Stück Vieh besitzt er. Weil er nicht genügend Futter fand, sind die Tiere gestorben.2 Welche Anti-Welt zu Kurt Martis Gedicht: schön – was ist schön? schonen ist schön menschen schonen tiere schonen III „Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seinen Ertrag einsammeln. 11 Im siebten aber sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen, und die Armen deines Volks sollen davon essen. Und was sie übrig lassen, sollen die Tiere des Feldes fressen.“ So haben wir vorhin in der Lesung gehört: Den Boden schonen… Tiere schonen… Menschen schonen… Pflanzen schonen. Aber beim Goldabbau wird gar nichts geschont: Weil Bodenbesitz im ländlichen Burkina Faso nicht schriftlich festgehalten ist, haben die Minenbetreiber nur Felder finanziell kompensiert, die zu diesem Zeitpunkt kultiviert waren. Für Brachen gab es keine Entschädigung. Doch diesen kommt bei der Erholung der kargen Böden eine wichtige Rolle zu. Am meisten zu schaffen macht aber das Trinkwasser. Nach einer Kontrolle schlossen zwei Mitarbeiter der Mine die neuen Brunnen. Wer davon trinke, kriege Krebs, hiess es. Eine Untersuchung durch Fastenopfer schaffte Klarheit: Der Arsengehalt ist deutlich zu hoch. Seither stehen Bissas Bewohnerinnen und Bewohner am Brunnen im Nachbardorf Schlange – eine dreistündige Geduldsprobe.3 IV Papst Franziskusbilanziert ganz knapp: Diese Wirtschaft tötet. 4 1 Hinweis zur Konzernverantwortungsinitiative in den Mitteilungen Aus: BROT FÜR ALLE, Perspektiven. Das Magazin zum Lesen und Handeln, Februar 1 / 2016 3 dito 4 In Franz Segbers; Ökonomie, die dem Leben dient. 2015, S. 31ff. 2 2 Er meint damit ein Wirtschaftssystem, in dem die Gewinnmaximierung oberstes Gebot ist. Menschen sind reduziert auf Arbeitskräfte, die man brauchen oder nicht brauchen kann. Auch Tiere – auch Pflanzen und der Boden. Schonungslos. Kann man sie nicht mehr brauchen, sind sie Müll. Es gibt nicht nur einen religiösen Fundamentalismus, der tötet, sondern auch einen Marktfundamentalismus. Dessen Glaubenssätze sind ungezügelter Wettbewerb, möglichst wenig Regulierungen. V Aber es gibt auch Gegenkräfte, die sich das Schonen auf die Fahnen geschrieben haben. Das können politische Gruppierungen sein und NGOs, die religiös neutral sind. Das sind aber – wie die Kampagne zeigt oder die Stellungnahmen des Papstes – auch Kirchen und ihnen nahestehende Organisationen. Christliche und nicht-religiöse Bewegungen beziehen sich heute auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und darauf basierende Übereinkommen. Sie gehen davon aus, dass das Wirtschaften um der Menschen willen geschehen muss, nicht um des Profit willen. VI Für Christinnen und Christen scheint durch die Menschenrechte hindurch der biblische Glaube. Die modernen Menschenrechte haben eine ihrer Wurzeln ja in dieser Tradition Das hören nicht-kirchliche Kreise nicht gern und Kirchen haben sich oft gegen die eigene Tradition gestemmt. Die Bibel hat aber eine klare Ausrichtung. Sie ist parteiisch. Jesus sagt: Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – sie werden gesättigt werden. (Mt 5,6). Und ein Mensch, der Gott liebt, soll Hungernde sättigen, Nackte kleiden, Gefangene besuchen, Fremde aufnehmen (Mt 25, 31ff.). Jesus sagt das nicht ins Blaue hinaus, sondern in die Leidenserfahrungen von Kindern, Männern und Frauen, die unter der römischen Wirtschaftspolitik leiden. Und Jesus hat das auch nicht erfunden. Er steht damit ganz und gar in der Tradition seines jüdischen Volkes. VII Eine Grundlage dieser Tradition ist der Text aus dem Exodusbuch (2. Mose). Er basiert auf den 10 Geboten. Entstanden ist er einige Jahrhunderte vor Christus, in einer Zeit, die man manchmal Achsenzeit nennt, weil von Griechenland, über Palästina und Persien, bis Indien und China ähnliche Entwicklungen stattfinden. Eine davon ist die zunehmende Bedeutung der Geldwirtschaft. Es tut sich eine Schere auf zwischen Reichen und Armen, Grundbesitzern und Besitzlosen. Profit – auch hier – wird zu einer Lebenshaltung. Man hört Klagen: dass ganze Wälder für die Kriegsmaschinerie abgeholzt werden, dass Tiere geschunden werden und dass Fremdlinge, Witwen und Waisen um ihr Recht gebracht werden. Darauf antwortet der Exodustext eindeutig: 10 Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seinen Ertrag einsammeln. 11 Im siebten aber sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen, und die Armen deines Volks sollen davon essen. Und was sie übrig lassen, sollen die Tiere des Feldes fressen. … 12 Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Magd und der Fremde aufatmen können. Schonen, darum geht es: Arme sollen satt werden, Tiere sollen satt werden und der Boden soll ausruhen. Angesprochen wird übrigens in diesem Text der Grundbesitzer, der am siebten Tag ruhen soll, damit auch die kleinen Leute ruhen können. Das klingt – wenn man die Goldgeschichte von heute hört – doch sehr aktuell. Der siebte Tag, das siebte Jahr – das ist die biblische Sabbatordnung. Da geht es um den schonenden Umgang mit der Schöpfung. Das Sabbatgebot ist eigentlich die grosse Schon-Weisung. Der Sabbat lehrt 3 ein Genug. Jeder und jede soll genug haben und nicht über seine/ihre Kräfte und die Kräfte anderer hinaus leben. VIII Interessanterweise wird die Sabbat-Weisung des Schonens verbunden mit dem 1. Gebot, keine anderen Götter anzubeten: Den Namen anderer Götter sollt ihr nicht nennen, er soll nicht gehört werden aus deinem Mund. Da geht es weder um einen eifersüchtigen Gott noch um die Wahrheitsbehauptung einer religiösen Gemeinschaft. Es geht darum, dass es draufkommt, welchem Gott, welchen Göttern man dient. Hier geht es um Gott, der die Menschen aus der ägyptischen Sklaverei mit ihrer lebensfeindlichen Arbeit geführt hat. Es geht um das Festhalten an Gott, der sich auf die Seite der Rechtlosen stellt und weder Tier- noch Menschenopfer will. Es gibt ja andere Götter. Jesus sagt: Niemand kann zwei Herren dienen… ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. (Matthäus 6,24) Und heute? Man kann vom Gott Profit sprechen. Ihm werden Menschen geopfert. Oder: Wirtschaftswachstum: dein Name werde geheiligt. Diese Götter vertragen kein Schonen. Luther fast es so zusammen: “ Woran du nun (sage ich) dein Herz hängst und dich darauf verlässt, das ist eigentlich dein Gott. (…)“5 Geld, Profit, Wachstum: Götter, denen Tier, Pflanzen, Menschen untergeordnet werden. Eine solche Ökonomie ist ein Abgott, eine Abkehr vom Leben, sie ist zerstörerisch. IX Schön – was ist schön?, fragt Marti in seinem Gedicht. Und die Antwort: Schonen ist schön. Es ist eine ganz andere Sprache als der Imperativ im biblischen Text, der ja auch das Schonen will. Für mich ist es, als würde das Marti-Gedicht in der Stille des Herzens das biblische Gebot meditieren und in eine alltagstaugliche Haltung übersetzen. Es ist eine Sprache, die das Herz berührt. Sie stellt nicht einfach einen Katalog politischer und moralischer Forderungen auf, sondern wirbt um mich mit dem Versprechen: wer schont / macht schön / schön wird / wer schont Schonen - da kommt mir auch Liebe, Zärtlichkeit entgegen. Ich denke an den kleinen Jan, den wir heute getauft haben, an seine Eltern. Sie werden ihr Kind – und jetzt brauche ich lauter Verben, die der Duden zur Umschreibung des Verbs schonen braucht – sie werden ihr Kind behüten, behutsam mit ihm umgehen, Jan hegen und schützen. Diese Bedeutungen schwingen im Wort schonen mit. So gelesen, ist Martis Gedicht eine grosse Liebeserklärung an die Schöpfung und wirbt um mein Herz mit dem Versprechen: Wenn du dich auf die Bewegung der Liebe zu dieser Schöpfung einlässt, wird etwas mit dir geschehen. Du wirst leuchten. Du wirst schön. Amen 5 Auslegung des ersten Gebots im Grossen Katechismus 1529 4
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