Eingeseift

22 DER DEUTSCHE MITTELSTAND
MONTAG, 4. JANUAR 2016, NR. 1
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MARKTPLATZ
Wenn man
viel zu
gewinnen hat
S
chaut man auf die Umfragen in Mittelstand und Familienunternehmen für
2016, blickt man auf optimistische Zahlen. Laut dem Verband der Familienunternehmer
rechnen insgesamt 64 Prozent
mit wachsendem Geschäft, 13
Prozent von ihnen erwarten sogar mehr als zehn Prozent
Wachstum. Knapp 40 Prozent
wollen mehr Mitarbeiter einstellen – auch Flüchtlinge. Der Präsident der Familienunternehmer
Lutz Goebel sieht in den Flüchtlingen auch die größte Herausforderung 2016: „Nur wenn wir
es schaffen, die Menschen in Arbeit zu bringen, können wir sie
auch in unsere Gesellschaft integrieren und für soziale Stabilität
sorgen.“
Hendrik Brandis, Gründungspartner beim Risikokapitalgeber
Earlybird hat noch ganz andere
Gedanken zu dem Thema: Er
glaubt, dass das unternehmerische Potenzial der Flüchtlinge unterschätzt wird, schließlich seien
auch im Silicon Valley ein Viertel
aller High-Tech-Start-ups von Immigranten gegründet worden, ihr
Anteil an der US-Bevölkerung liege aber bei nur zwölf Prozent.
HandelsblattRedakteurin
Anja Müller
Für Deutschland sind aktuelle
Zahlen nicht immer einfach zu
bekommen. So haben von den
High-Tech-Gründern, die vom
Bundesverband Deutsche Startups befragt wurden, zehn Prozent internationale Wurzeln.
Die IHK Berlin meldet, dass
mittlerweile jeder zweite Gründer
in der Hauptstadt einen internationalen Hintergrund habe. Das
Institut für Mittelstandsforschung
stellt fest, dass die Zahlen der
Gründer immer zurückgehen,
wenn die Chancen auf dem Arbeitsmarkt besser werden. Und
das gelte auch für Gründer mit Migrationshintergrund. Deshalb sei
auch ihre Zahl zuletzt zum Teil gesunken, aber eben nur zum Teil.
Zu den Flüchtlingen könne man
noch nichts sagen. Brandis ist
überzeugt: „Immigranten haben
wirtschaftlich wenig zu verlieren
und viel zu gewinnen.“ Während
der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für sie schwieriger sei,
„ist ein Flüchtling frei, morgen ein
Unternehmen zu gründen“. Das
müsste man fördern, da könnten
Start-ups und Risikokapitalgeber
mittun, das sei eine Investition in
Humankapital. Ich finde: Und eine Aufgabe für 2016.
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Eingeseift
In fünfter Generation führt Patricia Kappus-Becker Westeuropas
größten Seifenhersteller. Das Offenbacher Traditionsunternehmen
trotzt dem Preisdruck in einem schrumpfenden Markt.
Katrin Terpitz
Offenbach
S
ich die Hände schmutzig zu
machen – dafür ist sich Patricia
Kappus-Becker nicht zu fein.
Flink klettert die sportliche Firmenchefin auf die hohen Metall-Mischtröge und holt grünlich schimmernde Brocken heraus – Transparentseife. „Die Fette unserer Seifen haben
Lebensmittelqualität. Damit kann man
auch Schokolade machen oder Pommes
braten“, scherzt die Unternehmerin.
Kokosöl und Palmöl verkocht in Natronlauge – an diesem Grundrezept von
Seife hat sich seit Jahrhunderten nichts
geändert. Abgesehen davon, dass in
Nordeuropa früher Rindertalg verwendet wurde, in Südeuropa dagegen Olivenöl. Versetzt mit Parfumölen und
Farbpigmenten entstehen hier in Offenbach dicke Seifennudeln, die in Rohlinge geschnitten und dann gepresst werden. Überall liegt Seifenduft in der Luft.
Die Traditionsmarke Kappus ist weltbekannt, in mehr als 60 Länder liefert
das Familienunternehmen Seife „made
in Germany“. Patricia Kappus-Becker,
52, leitet die Firma in fünfter Generation
zusammen mit ihrem Vater Wolfgang.
Auch Ehemann Alexander arbeitet im
Betrieb. Vorfahr Johann Martin Kappus
hatte 1848, ein Jahr vor der Frankfurter
Paulskirchenverfassung, in der Nachbarstadt Offenbach die „M. Kappus Feinseifen- und Parfümeriefabrik“ gegründet.
Seifen galten damals als Luxusprodukt. „Die Seife ist ein Maßstab für den
Wohlstand und die Kultur der Staaten“,
befand Chemiker Justus von Liebig. Der
Familienbetrieb Kappus wuchs und
führte als einer der Ersten den Achtstundentag ein. Die Firma überstand Kriege
und Weltwirtschaftskrisen.
Heute machen harte Preisgefechte in
einem schrumpfenden Markt der Branche zu schaffen. Dennoch bleibt Kappus
der größte Hersteller von Festseifen in
Gästeseife:
Fünf bis sechs
Stück Seife
benutzt jeder
Deutsche im
Jahr.
Westeuropa. „In Deutschland beliefern
wir 70 bis 80 Prozent des Marktes“, sagt
die ungekrönte Seifenkönigin.
Doch nur auf den wenigsten KappusProdukten steht auch Kappus drauf. „80
Prozent unserer Seifen fertigen wir unter anderem Namen für Handelsketten
und internationale Kosmetikkonzerne“,
verrät die Industriekauffrau. „Wir beliefern Lebensmittelhandel, Discounter
und Drogerien.“
Über die Namen und Marken darf
Kappus nicht sprechen. Doch wer genauer hinschaut, findet zum Beispiel auf
Lidl-Seife der Hausmarke Cien den Aufdruck „Kappus-Seifen GmbH Riesa“ auf
der Packung. Aber auch bekannte Luxusmarken, die viele noch von früher
aus der Werbung kennen, gehören zum
breiten Portfolio. Das besteht aus 400
verschiedenen Produkten, darunter
auch Naturseifen und Figuren wie Engel
oder Tierabbildungen.
250 Millionen Stück Seife, das sind
25 000 Tonnen, produziert Kappus im
Jahr im Stammwerk Offenbach sowie in
Riesa und in Krefeld. Nach derWende expandierte Kappus zunächst kräftig. 1992
übernahmen die Offenbacher die ehemals größte Seifenfabrik der DDR, 1911
als Konsumgenossenschaft gegründet.
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DER DEUTSCHE MITTELSTAND 23
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Seifen schmieren ab
Ausgaben für Schönheitspflege*
in Deutschland 2014 in Mio. Euro
Die Verbraucher schauen
bei Seife extrem
auf den Preis. Die Marke
spielt nur eine
untergeordnete Rolle.
Jörg Funder
Professor für Unternehmensführung im Handel
Hochschule Worms
3 045
1 402
843
Haarpflege
350
748
Seifen u.
Syndets
Deodorantien
Mund- u.
Bade- u.
Zahnpflege Duschzusätze
Bert Bostelmann für Handelsblatt
Handelsblatt | *Auswahl | Quelle: Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel
Bert Bostelmann für Handelsblatt
Familienunternehmerin Patricia KappusBecker: „In
Deutschland
beliefern wir 70
bis 80 Prozent
des Marktes.“
Figurenseife mit Form:
400 verschiedene Seifenprodukte stellt Kappus her – überwiegend
unter anderem Namen.
2004 kam das Dreiring-Werk, ehemals Henkel, in Krefeld hinzu. Dort hat
Kappus inzwischen die Herstellung der
Grundseife konzentriert. Der Umsatz
lag Kappus zufolge 2014 bei rund 60
Millionen Euro. Durch Einsparungen
sollten leichte Verlustbringer vergangener Jahre ausgeglichen werden. Heute
hat die Kappus-Gruppe 250 Mitarbeiter, es waren einmal deutlich mehr.
Die Zeiten für Seifenhersteller sind
hart, der Markt hat Überkapazitäten. In
der Nachkriegszeit gab es rund 200 Seifenfabrikanten in Deutschland. Überlebt hat nur eine Handvoll nennenswerter Hersteller. Der Familienbetrieb
Speick aus Leinfelden-Echterdingen etwa ist rein auf Naturseifen spezialisiert.
Kappus hat hierzulande noch einen
großen Wettbewerber: Hirtler in Heitersheim. Das Ex-Beiersdorf-Werk fertigt im Auftrag etwa für die Marken Nivea und Eucerin, aber auch für Aldi
und Handelsketten. Hirtler produzierte
2015 etwa 80 Millionen Stück Seife und
machte 18 Millionen Euro Umsatz.
Die großen Konsumgüterhersteller
dagegen haben ihre Seifenproduktion
längst aufgegeben und an Auftragsfertiger wie Kappus ausgelagert – viele auch
ins Ausland. In Polen etwa betreibt der
indische Mischkonzern VVF ein großes
Werk, in der Türkei fertigen Massenhersteller wie Evyap oder Dalan. „Deutsche Hersteller können durch Qualität
und Service dagegenhalten“, sagt Dirk
Then, Geschäftsführer von Hirtler.
Der Wettbewerb wird härter, denn
der Seifenmarkt schrumpft seit Jahren.
Fünf bis sechs Stück Seife benutzt jeder
Deutsche im Jahr. Der Umsatz mit Seifen (inklusive Flüssigseifen) und Syndets betrug 2014 hierzulande 350 Millionen Euro, so der Industrieverband
Körperpflege- und Waschmittel. „Der
Trend geht eindeutig zur Flüssigseife“,
konstatiert Birgit Huber vom Verband.
Flüssige Seifen haben inzwischen einen
Anteil von rund 80 Prozent am gesamten Seifen- und Syndetabsatz. Bei Flüssigseifen dominieren ganz andere Hersteller wie Otto Kosmetik in Groß-Rohrheim, Dreiturm in Steinau oder Mann &
Schröder in Siegelsbach, den Markt.
Festseifen werden hierzulande fast
nur noch zum Händewaschen benutzt,
bedauert Kappus-Becker. „Die junge Generation kennt Seife für die Ganzkörperpflege etwa zum Duschen kaum
noch.“ Das Problem: Seife am Stück
wird von den meisten nicht als Lifestyleprodukt wahrgenommen. Läden wie
Body Shop oder Lush, wo der „SeifenBarista“ die Naturseife am Stück abschneidet, sind seltene Ausnahmen.
„Der Seifenmarkt ist ansonsten sehr traditionell und träge“, so Kappus-Becker.
Seit Jahrzehnten dominieren Milch &
Honig, und sensitive Cremeseifen. Auch
Düfte wie Lavendel, Rose und Kamille
kehrten immer wieder. Von Innovationen wollten die Käufer wenig wissen.
Im Gegenteil: „Die Verbraucher
schauen bei Seife extrem auf den Preis,
die Marke spielt eine untergeordnete
Rolle“, bestätigt Jörg Funder, Professor
für Handelsmanagement in Worms.
Und an den Preisen hat sich seit der
Nachkriegszeit – ähnlich wie bei Eiern –
wenig verändert. Kostete ein Stück Seife
in den 50er-Jahren rund 50 Pfennig,
sind es heute 50 Cent. „Beim Discounter kostet ein Stück Seife gerade mal 29
Cent, nur Salz ist mit 19 Cent noch billi-
ger“, so Hirtler-Chef Then.
„Der Preisdruck ist enorm. Unsere
Margen sind extrem niedrig“, stellt Kappus-Becker fest. „Wir sind froh, wenn
wir einen Cent pro Seife übrig haben,
die im Handel 30 bis 35 Cent im Günstigsegment kostet.“ Bei Eigenmarken
sahne der Handel die Margen ab, nicht
die Hersteller, bestätigt Funder. „Der
Handel drückt Lieferanten von Handelsmarken im Bietermarathon knallhart im Preis.“ Das gehe in Auktionen
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über mehrere Runden. Wer keine günstigen Preise biete, dürfe zuweilen zwei
Jahre nicht mehr an Ausschreibungen
teilnehmen. Ähnlich geht es bei den Internetauktionen der Konsumgüterriesen zu. „Der Seifen-Markt gehört zu den
’Red-Ocean-Branchen’, in denen blutige
Preiskriege laufen“, resümiert Funder.
„Die letzten zehn Jahre waren knochenhart“, räumt Kappus-Becker ein.
Übernahmeangebote hat die Familie
trotzdem abgelehnt. Die Unternehmerin
ist sich sicher: Seifen wird es immer geben. „Wir müssen die Kostenstruktur
weiter anpassen und höhermargige Produkte wie Duschgel und Luxusseifen im
mittleren Preisbereich ausbauen.“ Dann
habe die Marke Kappus gute Chancen,
national wie international mit dem Label „made in Germany“ zu bestehen.
Von der sechsten Generation hat mit
Tochter Jennifer, 24, zumindest eine
grundsätzlich Interesse, die Traditionsfirma einmal weiterzuführen. „Unsere
Familie hat sich entschieden, die Bühne
noch zu rocken“, sagt die Firmenchefin
fast trotzig. „Der Markt wird sich irgendwann stabilisieren“, ist Kappus-Becker
überzeugt. „Wir sind kampfbereit.“