„Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ in Österreich. Der Diskurs zwischen Marginalisierung und Polarisierung. MASTERARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Arts“ (M.A.) an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Maga theol. Christina Rosina Kraker-Kölbl Eingereicht für die Studienrichtung „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“ am Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung. Begutachterin: Ao.Univ.-Profin Maga Drin phil. Anita Prettenthaler-Ziegerhofer Graz, 2013 INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 5 1. Einleitung 6 1.1. 1.2. 1.3. Ausgangsthesen Forschungsfragen Aufbau der Masterarbeit 6 7 7 2. Begriffsklärung und Definitionen 9 2.1. 2.1.1. 2.1.2. Der Begriff Gewalt Gewalt gegen Frauen aus der internationalen Perspektive Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen aus der europäischen Perspektive Häusliche Gewalt und Gewalt im sozialen Nahraum Physische Gewalt Psychische Gewalt Sexualisierte Gewalt Femizid – Tötung von Frauen Umgang mit Gewaltbetroffenen in der Beratungspraxis Feministische Gewaltdefinitionen Strukturelle Gewalt Kulturelle Gewalt Intersektioneller Gewaltbegriff „Gewalt im Namen der Ehre“ – Traditionelle Gewalt – „Honour-related violence“ 9 10 12 3. Forschungsstand „Gewalt im Namen der Ehre“ 25 4. „Gewalt im Namen der Ehre“ 30 4.1. 4.2. 4.3. Der Ehrbegriff Das Ehre-Scham-Konzept Ehrbegriff und Geschlechterverhältnisse im Kontext von Familienstrukturen Religiös-traditionell orientierte Familien Familien zwischen Moderne und Tradition Moderne Familien Exkurs: Verbrechen im Namen der Ehre (Ehrenmord) 30 34 35 5. „Gewalt im Namen der Ehre“ im Kontext von PartnerInnenwahl, Eheschließung, Trennung und Scheidung 48 5.1. 5.1.1. 5.1.1.1. 5.1.1.2. 5.1.1.3. 5.1.2. Aspekte der PartnerInnenwahl Unterschiedliche Formen und Einflussfaktoren der Eheschließung Einflussfaktor Familiäre Biografie Einflussfaktor Individuelle Biografie Einflussfaktor Soziale Netzwerke Exkurs: Europäische Heiratsmuster 48 49 49 50 50 51 2.1.3. 2.1.3.1. 2.1.3.2. 2.1.3.3. 2.1.3.4. 2.1.3.5. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.4. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.4. 13 14 14 15 15 16 18 18 19 21 22 36 38 42 44 2 5.1.2.1. 5.1.2.3. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.2.1. 5.2.2.2. 5.2.2.3. 5.2.2.4. 5.2.2.5. 5.2.3. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 5.7. 5.8. 5.9. 5.9.1. 5.9.2. 5.9.3. 5.9.4. 5.9.4.1. 5.9.4.2. 5.9.4.3. 5.9.4.4. 5.9.4.4.1. 5.9.4.4.2. 5.9.4.5. 5.9.4.6. 5.9.4.7. 5.9.4.8. European marriage pattern Entwicklungen bis zum 21. Jahrhundert Arrangierte Ehen Heiratsvermittlung Idealtypischer Phasenverlauf einer arrangierten Ehe Suche nach einer Partnerin Familiäre Vorstellungsbesuche Heiratsantrag, Brautwerbung und Entscheidungsfindung Heiratsverhandlungen und -zeremonien Hochzeitsfeier und eventuelle Heiratsmigration Kritische Nachbemerkungen Selbstorganisierte Ehe Entführung der Braut Verwandtschaftsehe Transnationale Ehen und das Phänomen der Heiratsmigration Inner- und interethnische Eheschließungen Liebesehe „Zwangsehe“ Definition „Zwangsheirat“ und „Zwangsehe“ Motive und Ursachen von „Zwangsheirat“ „Zwangsverheiratung“ bei Männern Rechtliche Situation Grundsatzüberlegungen Ehe im Migrationskontext Völkerrechtliche Bestimmungen Nationale zivilrechtliche Bestimmungen Österreichisches Eherecht Österreichisches Gewaltschutzgesetz und Sicherheitspolizeigesetz Strafrechtliche Bestimmungen in Österreich Fremdenrechtliche Bestimmungen in Österreich Exkurs: „Zwangsheirat“ als juristischer „Unterfall“ von Menschenhandel Exkurs: „Zwangsheirat“ als weltweite Erscheinung – Das Phänomen der Kinderehe 52 53 54 54 56 57 57 58 59 59 60 62 63 63 64 65 65 66 66 70 73 74 74 75 77 79 79 81 81 84 89 91 6. „Gewalt im Namen der Ehre“ – Der Diskurs in Österreich 94 6.1. 6.2. 6.3. Politische Debatten und feministische Positionen Medienberichterstattung Datenlage 94 96 98 7. Beratungs- und Präventionsarbeit 100 7.1. 7.1.1. 7.1.2. 7.2. 7.3. Herausforderungen in der direkten Beratungsarbeit mit Betroffenen Beratungsangebote in Deutschland Beratungsangebote in Österreich Präventionsmaßnahmen Strategische Zugänge 100 103 104 106 108 8. Zusammenfassung Abkürzungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Literaturverzeichnis Studien & Internetquellen 109 114 115 116 123 3 EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken wurden als solche kenntlich gemacht. Diese Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Graz, am Unterschrift: 4 VORWORT Seit Herbst 2001 bin ich beruflich im Sozialbereich tätig und arbeite in der Praxis an der Schnittstelle der Themenbereiche „Frauen (Gender) – Gewalt – Migration (Integration)“. Um diese konkreten, beruflichen Herausforderungen in einem theoretischen Rahmen zu verorten und damit die Praxiserfahrungen gut reflektieren zu können, habe ich den Weg des berufsbegleitenden Studiums der „Interdisziplinären Geschlechterstudien“ gewählt. Im Jahr 2010 stellte sich zusätzlich die berufliche Aufgabe, als Projektleiterin ein gänzlich neues Angebot für „Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre“ in der Steiermark zu entwickeln. Mittlerweile ist es gemeinsam mit meinen Kolleginnen aus unterschiedlichen beruflichen Disziplinen gelungen, die Beratungsstelle DIVAN1 der Caritas Graz-Seckau als anerkannte, spezialisierte Anlaufstelle zu etablieren. Vor allem der politische und mediale Diskurs zur Thematik „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ erfordert ein differenziertes und fundiertes Hintergrundwissen, damit man als Verantwortliche eines frauenspezifischen Projektes nicht selbst in die Falle einer „ethnisierten“ Sexismusdebatte gerät. Somit lag die Themenwahl der Masterarbeit auf der Hand. Meiner Betreuerin, Ao.Univ.-Profin Maga Drin Anita Prettenthaler-Ziegerhofer danke ich an dieser Stelle für die motivierende Begleitung meiner wissenschaftlichen Arbeit. Ein besonderer Dank gilt meinem Mann Günther, meinem Sohn Paul und meiner Tochter, die in einigen Wochen auf die Welt kommen wird, für das Verständnis, dass ich neben Familie, Beruf und ehrenamtlichen, frauenpolitischem Engagement 2 auch Zeit für das Studium investiert habe. Der CARITAS Graz-Seckau danke ich für das Vertrauen und die Gestaltungsmöglichkeit, die neu gelernte Theorie gleich in die Praxis umsetzen zu können: besonders Edith Pfeiffer, Franz Waltl und meinen geschätzten Weggefährtinnen im Arbeitsfeld der CARITAS Frauen- und Mädchenprojekte, vor allem meinen „Mitstreiterinnen“ bei DIVAN: Elif Yalcinkaya, Emina Saric, Marie-Luise Fuchs, Royda Nori-Thamir und Alexandra Fasch. 1 Nach einer Pilotphase in der zweiten Jahreshälfte 2010 steht seit Jänner 2011 das Beratungsprojekt DIVAN schutzbedürftigen Frauen und Mädchen in schwierigen Lebenssituationen unterstützend zur Seite. Online im Internet: URL: http://www.caritas-steiermark.at/hilfe-einrichtungen/fuermigrantinnen/beratung/frauenspezifische-beratungsstelle-divan/ [Stand 2013 – 02 – 21]. 2 Ein großer Dank für den persönlichen und beruflichen Austausch gilt den Vertreterinnen des Grazer Frauenrates und jenen NGO-Vertreterinnen, mit denen ich vor allem österreichweit vernetzt bin. 5 1. EINLEITUNG Die europäische Gesellschaft ist ethnisch, religiös und kulturell von einer starken Diversität geprägt. Seit einigen Jahren sind die Auswirkungen auf die „soziale Kohäsionskraft“ innerhalb der Gesellschaft zentrales Thema politischer Debatten und Wahlkämpfe, aber auch Gegenstand von wissenschaftlichen Diskursen. Die Politik des Multikulturalismus der 1990er Jahre ist mittlerweile sehr umstritten: Terroranschläge in Europa, die globale „Islam-Debatte“ sowie die Angst vor Parallelgesellschaften gelten als Erklärung für restriktive „Integrationsvorgaben“. Darüber hinaus haben sich in den letzten Jahren die Fragestellungen in Richtung Privatleben verschoben, so steht die Kontrolle über Sexualität, Eheschließungen und Familie und vor allem der Blick auf „kulturbasierende, traditionsbedingte“ Gewalt, wie „Zwangsverheiratungen“, Menschenhandel, Genitalbeschneidung oder „Ehrenmorde“ im Fokus des medialen und öffentlichen Interesses. Auch Gewalthandlungen an Frauen, die außerhalb von Europa leben, erfahren in jüngster Zeit Aufmerksamkeit, wie aktuelle Beispiele aus Pakistan 3 , Indien4, Ägypten5 etc. zeigen, die wiederum in den genannten Ländern auch Diskussionen über den Umgang mit diesen „Phänomenen“ nach sich ziehen und zivilgesellschaftliche Widerstandskräfte mobilisieren. 1.1.Ausgangsthesen Geschlechtergewalt ist ein universelles, globales Problem, das auf Unterdrückung von Frauen basiert. Zwangssituationen im Zusammenhang mit Partnerschaft, Heirat oder Scheidung produzieren oder reproduzieren Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, sei es 3 Malala Yousafzai, die pakistanische Schülerin und Aktivistin setzte sich für das Recht auf Bildung für Frauen ein und wurde zum Opfer der Taliban. Online im Internet: URL: http://diestandard.at/1358305399121/MalalaYousafzai-fuer-Friedensnobelpreis-nominiert [Stand 2013 - 02 – 21]. 4 Z. B. tragische Fälle über Gruppenvergewaltigungen von Frauen. Online im Internet: URL: http://diestandard.at/1358305344308/Kaum-eine-Inderin-fuehlt-sich-sicher bzw. http://derstandard.at/1356426736126/Indien-Vergewaltigung-Proteste-Mittelschicht-Ursachen [Stand 2013 - 02 – 21]. 5 Vor allem die „Straffreiheit“ von sexueller Gewalt an Frauen wird von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Online im Internet: URL: http://diestandard.at/1360160983632/Aegypten-Amnesty-beklagt-sexuelleUebergriffe-auf-Frauen [Stand 2013 - 02 – 21]. 6 zwischen Männern und Frauen aber auch innerhalb von Familien. Eng damit verbunden sind verschiedene Formen von Gewalt. Zu den grundlegenden Werten unserer Gesellschaft gehört die Möglichkeit eines gleichberechtigten und selbstbestimmten Lebens. Die Wertschätzung kultureller Vielfalt ist keine Entschuldigung für die Toleranz von Menschenrechtsverletzungen in Form von frauenverachtenden kulturellen und traditionell motivierten Praktiken. 1.2.Forschungsfragen Wie lassen sich die Phänomene „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ wissenschaftlich differenziert ohne kulturalistische und rassistische Verkürzungen erklären? Wie stellt sich die aktuelle Debatte in diesem Themenbereich dar und welche (feministischen) Positionen gibt es? Welche Strategien sind hilfreich, um menschenrechtsverletzende Gewaltformen nicht als „Spezifität von MigrantInnen“ zu kategorisieren? 1.3.Aufbau der Masterarbeit Mit der vorliegenden Arbeit wird versucht, das Phänomen „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ gleichzeitig aus einer genderspezifischen und intersektionellen Perspektive zu bearbeiten. Das Phänomen „kulturbasierende Gewalt“ ist eng mit der Geschlechterfrage sowie verschiedenen Formen von Machtbeziehungen verbunden und als Form von „Gewalt im sozialen Nahraum“ zu verstehen. Psychische, physische und sexuelle Gewalt wird von Eltern, Geschwistern, Großfamilienmitgliedern, (zukünftigen) EhepartnerInnen und deren Familienmitglieder ausgeübt, insbesondere von jenen Personen, die ihre dominante Stellung in einer Machtbeziehung behaupten können. Aktuelle Studienergebnisse aus Österreich, Deutschland und der Schweiz werden berücksichtigt sowie interdisziplinäre Zugänge, vor allem aus der Soziologie, der Anthropologie und Literaturrecherche hat der die Rechtswissenschaft Autorin, aufgrund gewählt. ihres Neben einer persönlichen eingehenden Zuganges zum 7 Themenbereich in ihrer beruflichen Arbeit auch Publikationen von Frauenrechtsorganisationen und Beratungsstellen berücksichtigt. Nach der Einleitung widmet sich das zweite Kapitel den Begriffserklärungen und Definitionen, um den Terminus „Gewalt im Namen der Ehre“ in den Kontext von international gebräuchlichen Gewaltdefinitionen einzubetten. Der aktuelle Forschungsstand im deutschsprachigen Bereich wird im dritten Kapitel erläutert und es zeigt sich, dass die Auseinandersetzung mit diesen Formen von Gewalt noch relativ jung ist. Im Mittelpunkt der vorliegenden Masterarbeit stehen die beiden Kapitel vier und fünf, wobei das vierte Kapitel zentral den Ehrbegriff, das soziologische „Ehre-Scham-Konzept“ sowie Zusammenhänge mit Familienstrukturen aufzeigt. Das Kapitel fünf soll die unterschiedlichen Aspekte der PartnerInnenwahl darstellen, geht aber neben den idealtypischen Verläufen zentral auf die Thematik „Zwangsheirat“ und „Zwangsehe“ ein, wobei dieser Abschnitt auch die aktuelle rechtliche Situation in Österreich explizit beleuchtet. In Form von „Exkursen“ werden zusätzliche Themenbereiche, die neue Aspekte oder Hintergründe in die inhaltliche Auseinandersetzung einbringen, ergänzend in die Arbeit eingeflochten. Dabei legt die Autorin den Fokus auf außereuropäische Länder, um „geschlechtsspezifische Gewaltphänomene“ differenzierter abbilden zu können. Das Kapitel sechs beinhaltet die Frage nach dem Diskurs über „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ in Österreich und verdeutlicht jene Gratwanderung in der Gewaltschutzarbeit, die sich in der konkreten Praxis, kurz dargestellt im abschließenden Kapitel sieben, auch zeigt. 8 2. BEGRIFFSKLÄRUNG UND DEFINITION 2.1.Der Begriff Gewalt Aufgrund von fehlenden, weltweit anerkannten Moralkodizes bleibt Gewalt ein „äußerst diffuses und komplexes Phänomen, das sich einer exakten wissenschaftlichen Definition entzieht.“6 „Die Vorstellung von akzeptablen und nicht akzeptablen Verhaltensweisen und die Grenzen dessen, was als Gefährdung empfunden wird, unterliegen kulturellen Einflüssen und sind fließend, da sich Wertvorstellungen und gesellschaftliche Normen ständig wandeln.“7 Dennoch sollen im ersten Kapitel der hier vorliegenden Masterarbeit internationale Definitionen vorgestellt werden, um einen Rahmen für die nachfolgenden Erläuterungen zu bilden und die Unterschiedlichkeit der Zugangsweisen8 zur Thematik aufzuzeigen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gewalt folgendermaßen: „Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichem Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.“9 Die von der Weltgesundheitsorganisation verwendete Typologie der Gewalt „gliedert Gewalt in drei breite Kategorien, die darauf Bezug nehmen, von wem die Gewalt ausgeht: Gewalt gegen die eigene Person, zwischenmenschliche Gewalt und kollektive Gewalt.“ 10 Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht die weitere Aufteilung in konkretere Gewaltformen, wovon sich die Thematik „Gewalt im Namen der Ehre“ nach Einschätzung der Autorin auf die „interpersonale Gewalt“ bezieht. 6 WELTGESUNDHEITSORGANISATION (2002): Weltbericht Gewalt und Gesundheit. Zusammenfassung. Deutsche Übersetzung. 2003, S. 5. Online im Internet: URL: http://www.who.int/violence_injury_prevention/violence/world_report/en/summary_ge.pdf [Stand 2012 - 08 – 01]. 7 Ebd. 8 Die sozial- und politikwissenschaftliche Gewaltforschung berücksichtigt die Beziehungsdynamiken und die gesellschaftspolitisch relevanten Aspekte wie Diskriminierung und Macht. Im Vergleich dazu stehen in der kriminologischen Gewaltforschung vor allem die strafrechtlichen Handlungen und Sicherheitsaspekte im Mittelpunkt und in der medizinisch und psychologisch orientierten Gewaltforschung die Aspekte der Verletzungsfolgen und/oder psychischen Schädigungen oder Störungen. Siehe dazu: TROTHA, Trutz von (1997): Zur Soziologie der Gewalt. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 37. Jg. 49, S. 9 – 56. Sowie IMBUSCH, Peter (2002): Der Gewaltbegriff. In: HEITMEYER, Wilhelm/ HAGAN, John (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, S. 26 – 57. 9 WHO, S. 6. 10 Ebd. 9 Abb.1: Typologie der Gewalt (WHO)11 2.1.1. Gewalt gegen Frauen aus der internationalen Perspektive „Gewalt gegen Frauen im familiären Nahraum wurde lange Zeit nicht als Problem wahrgenommen. Erst die Frauenbewegung sensibilisierte für körperliche und psychische Gewalt in Intimbeziehungen und brach das konsensuelle Schweigen über diese Formen von Gewalt“12, konstatiert die in Wien tätige Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer. „Während in den ersten globalen Übereinkommen zur Gleichstellung von Frauen (CEDAW 1979 - Convention on the Elimination of All Forms of Discriminiation against Women 13 ) Gewalt nicht einmal als Thema enthalten war, wurde in den UN-Dokumenten ab den 1990er Jahren explizit auf 11 WHO, S. 7. SAUER, Birgit (2008): Gewalt, Geschlecht, Kultur. Fallstricke aktueller Debatten um „traditionsbedingte“ Gewalt. In: SAUER, Birgit/STRASSER, Sabine (Hrsg.): Zwangsfreiheiten. Multikulturalität und Feminismus. Beiträge zur Historischen Sozialkunde/Internationale Entwicklung. Nr. 27. Wien, S. 49. 13 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Online im Internet: URL http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/ [Stand 2012 – 08 -07]. Die „Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen“ wurde am 18. Dezember 1979 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen. Österreich hat die Konvention im Jahr 1980 unterzeichnet und 1982 ratifiziert. Hauptziel der Konvention ist die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in sämtlichen Lebensbereichen (Ehe und Familie, Arbeits- und Sozialbereich, Bildung und Ausbildung, im politischen und öffentlichen Leben, Gesundheit und Schutz vor Gewalt). Die Vertragsstaaten haben dem Komitee für die Beseitigung der Diskriminierung der Frauen (CEDAW-Komitee) mindestens alle vier Jahre Bericht über die Umsetzung der Konvention zu erstatten, dies wird in Österreich vom Frauenministerium erstellt. Siehe dazu: http://www.frauen.bka.gv.at/site/5548/default.aspx [Stand 2012 – 08 -07]. 12 10 `Gewalt im Namen der Ehre` hingewiesen“ 14 , erwähnt die in Wien und Ankara wirkende Sozialanthropologin Sabine Strasser weiterführend in ihrer Analyse. Auf der Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 15 in Wien wurde Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung anerkannt und gesetzliche Maßnahmen gegen die bis dato als Privatangelegenheit wahrgenommene und tabuisierte Gewalttätigkeit waren die Folge. „Geschlechtergewalt ist somit ein universelles, globales Problem, das auf der Unterdrückung von Frauen Mehrheitsgesellschaft teilen.“ basiert und das Einwanderungsgruppen mit der 16 Im „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ 17 , das im Mai 2011 auch von Österreich unterzeichnet wurde18, „wird der Begriff `Gewalt gegen Frauen` als eine Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau geschlechterspezifischer Gewalt 20 19 verstanden und bezeichnet alle Handlungen , die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden der Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben.“21 Neben der expliziten Feststellung, dass es sich bei „Gewalt gegen Frauen“ um eine Verletzung der Menschenrechte handelt sowie um eine Diskriminierungsform, werden in der jüngsten Definition von „Gewalt gegen Frauen“ des Europarates die Wortlaute von bereits 14 STRASSER, Sabine (2008): Ist doch Kultur an allem schuld? Ehre und kulturelles Unbehagen in den Debatten um Gleichheit und Diversität. In: SAUER/STRASSER, S. 65. 15 UN-Resolution 48/104 vom 20.12.1993. Online im Internet: URL: http://www.humanrights.ch/upload/pdf/050330_erklarung_gg_gewalt.pdf [Stand 2012 - 08 – 06]. 16 SAUER, S. 58. 17 COUNCIL OF EUROPE (2011): Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht. Council of Europe Treaty Service Nr. 210. Istanbul, 11.5.2011. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/conventionviolence [Stand 2012 - 08 02]. Die deutschsprachige Version findet sich online im Internet unter URL: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/conventionviolence/texts/Convention%20210%20German%20version%20&%20explanatory%20report.pdf [Stand 2012 – 10 – 09]. Das Übereinkommen „Convention on preventing and combating violence against women and domestic violence“ wurde bisher von 25 Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet [Stand 2013 – 01 – 19] und von der Türkei als erstes Land (am 14.3.2012) ratifiziert. 18 Die Konvention wurde bislang von Österreich zwar am 11.5.2011 unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert. 19 Laut Art. 3f werden auch Mädchen unter achtzehn Jahren damit umfasst. 20 Laut Art. 3d bezeichnet der Begriff „geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen“ „Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft“. 21 Art. 3a, S. 5. 11 vorhandenen Deklarationen und Empfehlungen22 der Vereinten Nationen und des Europarates übernommen und um den Passus „wirtschaftliche Schäden“23 ergänzt. 2.1.2. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen aus der europäischen Perspektive Auch bei der Definition von „geschlechtsspezifischer Gewalt“ sei auf das jüngste EuroparatÜbereinkommen verwiesen, das auch die strukturelle Dimension dieser Form von Gewalt betont: „Der Begriff `geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen` wird im gesamten Übereinkommen24 immer wieder verwendet und bezeichnet eine Form der Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft.[…] Mit anderen Worten bezieht sich der Begriff geschlechtsspezifische Gewalt auf jeden einer Frau widerfahrenen Schaden und stellt sowohl die Ursache als auch die Folge ungleicher Machtverhältnisse dar, die auf zwischen Männern und Frauen wahrgenommenen Unterschieden beruhen und zur Unterordnung der Frau in öffentlichen und privaten Bereichen führen. Diese Form von Gewalt ist tief in den Strukturen, Normen und sozialen sowie kulturellen Werten verwurzelt, welche die Gesellschaft prägen, und wird häufig von einer Kultur der Leugnens und des Schweigens aufrecht gehalten.“25 Ergänzend soll auch die Definiton von geschlechtsspezifischer Gewalt aus NGO-Sicht dargestellt werden. Das im Rahmen des DAPHNE-Programms im Jahr 2010 durchgeführte Projekt „PROTECT – Good Practice in Preventing Serious Violence, Attempted Homicides, Including Crimes in the Name of Honour, and in Protecting High Risk Victims of Gender Based Violence“26 hatte zum Ziel, den Schutz von gewaltgefährdeten Frauen zu verbessern und arbeitet mit folgender Definition aus der Perspektive der Praxis: 22 COUNCIL OF EUROPE (2002): Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Empfehlung Rec (2002) 5 des MinisterInnenkomitees an die Mitgliedstaaten über den Schutz von Frauen vor Gewalt, verabschiedet am 30.4.2002 und erläuterndes Memorandum. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/Rec%282002%295_german.pdf [Stand 2012-08-02] sowie Allgemeine Empfehlung Nr. 19 des CEDAW-Ausschusses zum Thema Gewalt gegen Frauen (1992) und der Art. 1 der Erklärung der Vereinen Nationen zur Beseitigung jegliche Form von Gewalt gegen Frauen (1993). 23 COUNCIL OF EUROPE, 2011, S. 45. 24 Ebd., S. 46. 25 Ebd. 26 WAVE – WOMEN AGAINST VIOLENCE EUROPE (20112): PROTECT - Identifizierung und Schutz hochgefährdeter Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Überblick. Wien, S. 2. Online im Internet: URL http://www.wave-network.org/images/doku/wave_protect_german_0309.pdf [Stand 2013 - 01 – 14]. 12 „Geschlechtsspezifische schwerwiegende Beziehungsgewalt Formen annehmen, gegen von Frauen schwerer und Mädchen kann Körperverletzung über Freiheitsberaubung durch tage- oder sogar jahrelanges Einsperren bis hin zu Mordversuch und Mord. Diese Verbrechen scheinen durch unterschiedliche Faktoren und Haltungen ausgelöst zu werden, etwa extreme Eifersucht, Besitzdenken oder den Vorwurf, die Ehre der Familie verletzt zu haben, doch sie alle zielen letztlich darauf ab, Macht über Frauen und Mädchen auszuüben und deren ganzes Leben unter Kontrolle zu haben. Setzt eine Betroffene eine Handlung, die als Auflehnung gegen diese Verfügungsgewalt aufgefasst wird, etwa weil sie einem gewalttätigen Vater oder Ehemann entkommen will, kann das eine Gefahr für Leib und Leben und ihre Freiheit darstellen.“27 2.1.3. Häusliche Gewalt und Gewalt im sozialen Nahraum Der Begriff „häusliche Gewalt“ bezeichnet laut dem genannten Europarats-Übereinkommen „alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie 28 oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte.“29 Der Schweizer Psychologe und Soziologe Alberto Godenzi 30 hat sich intensiv mit dem Geschlechterverhältnis im Kontext von Gewalt auseinandergesetzt und den Begriff „Gewalt im sozialen Nahraum“ geprägt. „Am häufigsten erleben Frauen Gewalt in ihrer Familie, 90 Prozent aller Gewalttaten werden nach Schätzungen der Polizei in der Familie und im sozialen Nahraum ausgeübt. Die Dunkelziffer bei familiärer Gewalt ist sehr hoch, Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass jede fünfte Frau bereits Gewalt in einer Beziehung erlebt hat.“31 Die Gewalt tritt in unterschiedlichen Formen auf, sie kann auf physischer, sexueller, psychischer, ökonomischer oder sozialer Ebene ausgeübt werden und auch gegen Kinder32 27 Ebd. Dazu zählt auch die generationenübergreifende Gewalt zwischen Eltern und Kindern. 29 Art. 3b, S. 5. 30 GODENZI, Alberto (19962): Gewalt im sozialen Nahraum. Basel. 31 Vgl. Homepage des Österreichischen Frauenministeriums. http://www.frauen.bka.gv.at/site/5463/default.aspx [Stand 2013 - 01 -19]. 32 „Häusliche Gewalt gegen Frauen stellt eine Form psychischer Gewalt gegen Kinder dar. Gewalt gegen eine Bezugsperson mitzuerleben fügt Kindern massiven Schaden zu, gleichgültig ob sie direkt oder indirekt davon betroffen sind. Wenn jener Ort, der Kindern Schutz und Geborgenheit bieten sollte, von Gewalt und Angst geprägt ist, hinterlässt dies in der seelischen Entwicklung der Kinder schwerwiegende Schäden. Die häuslichen 28 13 oder ältere Personen (z. B. bei Pflegebedürftigkeit) ausgeübt werden. Im Katalog zur Ausstellung über Gewalt in der Familie „Hinter der Fassade“33, die von Mitarbeiterinnen der Gewaltschutzzentren bzw. Interventionsstellen aus den Bundesländern inhaltlich gestaltet wurde, werden Beispiele aus der Praxis34 zu den unterschiedlichen Gewaltformen aufgezählt: 2.1.3.1.Physische Gewalt: „Misshandlungen sind mit Gefühlen von Ohnmacht und Erniedrigung, großer Angst vor der Unberechenbarkeit des gewalttätigen Mannes und häufig mit Todesangst verbunden.“ 35 Frauen werden geschlagen, gewürgt, zu Boden geworfen, am Essen oder am Schlafen gehindert etc. 2.1.3.2.Psychische Gewalt: Darunter werden Drohungen, Nötigungen, Angstmachen, Belästigungen, Terror, Verfolgung (Stalking36), Beschimpfungen, Abwertungen und Diffamierungen verstanden. Dazu kommt auch die ökonomische Gewalt, wenn die finanziellen Ressourcen nicht aufgeteilt werden, Gewalterfahrungen erzeugen bei den Kindern tiefe Verletzungen. Gefühle der Schuld und Ohnmacht, Wut und Hass können zu einer Beeinträchtigung der emotionalen, kognitiven und körperlichen Entwicklung führen.“ vgl. GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICH (Hrsg.) 2009 3: Hinter der Fassade. Broschüre zur Ausstellung Gewalt in der Familie. Linz, S. 15 – 19. Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=35407 [Stand 2013 – 01 -19]. 33 Ebd. 34 „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“: Die Zeit zwischen dem 25. November - dieser wurde 1999 von der UNO als internationaler Gedenktag für die Opfer von Gewalt an Frauen und Mädchen anerkannt - und dem 10. Dezember - Internationaler Tag der Menschenrechte -, ist ein Aktionszeitraum, in dem Gewalt gegen Frauen in all ihren Ausprägungen thematisiert und in das Bewusstsein der Menschen gerückt werden soll. Vgl. http://www.frauen.bka.gv.at/site/6863/default.aspx [Stand 2013 - 01 – 19]. Auch in Graz finden jährlich in diesem Zeitraum Aktionen der NGOs, die im Gewaltschutzbereich tätig sind, statt. Vgl. http://grazerfrauenrat.at/fb/frauenbeauftragte-der-stadt-graz/artikel [Stand 2013 – 01 – 19]. 35 Ebd., S. 10. 36 Mit Stalking wird ein Verhaltensmuster bezeichnet, „bei dem jemand einem anderen Menschen nachspioniert, ihn persönlich verfolgt, ihn brieflich oder telefonisch, oft auch per E-Mail oder SMS belästigt, bedroht, diffamiert, einschüchtert und terrorisiert. Vor allem Frauen, die sich von ihrem gewalttätigen Partner trennen, sind oftmals davon betroffen. Charakteristisch ist, dass Stalkinghandlungen eine gewisse Kontinuität und Häufigkeit aufweisen. Ziel der TäterInnen ist es z. B., eine Beziehung aufzunehmen, die Beendigung einer solchen rückgängig zu machen oder sich für erlittene Kränkungen zu rächen. Die Auswirkungen auf die Opfer können von Schlaflosigkeit über Angst- und Panikattacken bis hin zu psychosomatischen Beschwerden reichen. Manche Stalkinghandlungen können als Körperverletzung, gefährliche Drohung, Nötigung, Sachbeschädigung, Verleumdung usw. verfolgt werden. Stalking ist dadurch gekennzeichnet, dass Personen durch ein Verhalten in Angst und Schrecken versetzt werden, welches an der Oberfläche oft harmlos erscheint, jedoch in der Summe der Einzelakte und der Dauer für die Betroffenen eine enorme Bedrohung und Einschränkung der Lebensführung darstellt. Seit Juli 2006 ist dieses Verhalten als „beharrliche Verfolgung“ gemäß §107a StGB strafbar und es ist möglich, mit einer Einstweiligen Verfügung StalkerInnen durch Aufenthalts- und Kontaktverbote bis zu einem Jahr vom Opfer fernzuhalten, bei Zuwiderhandeln auch länger.“ Vgl. GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICH, S. 13. 14 beispielsweise Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld nicht für die Familie und den Haushalt verwendet werden, sondern für persönliche Bedürfnisse des Partners. Auch Machtdemonstrationen (z. B. Missachtung des Briefgeheimnisses, Kontrolle über den Tagesablauf der Frau, krankhafte Eifersucht, Verbot von sozialen Kontakten) oder Drohungen mit dem eigenem Selbstmord, mit der Wegnahme oder Entführung der Kinder, der Nichtverlängerung des Visums etc. wirken bereits so einschüchternd, dass die „tatsächliche Ausübung körperlicher Gewalt nicht mehr nötig [ist]“37. Gepaart ist dieses Verhalten oft mit einer massiven Abwertung der Frau und ihrer Wertvorstellung gegenüber Dritten bzw. mit einer „Problematisierung“ der betroffenen Frau, um – wie in vielen Fällen – von den eigenen Taten abzulenken. Dazu zählt z. B. die Behauptung, die Frau sei psychisch krank oder labil und somit unglaubwürdig. 2.1.3.3.Sexualisierte Gewalt: „Motive für sexualisierte Gewalt sind nicht ausschließlich Sexualität oder wie so oft gemeint Triebbefriedigung, sondern Machtmissbrauch bzw. Demonstration von Überlegenheit. […] Die Erscheinungsformen sexualisierter Gewalt reichen von anzüglichen, aufdringlichen Blicken, unerwünschten Kommentaren und Berührungen, „schmutzigen“ Witzen, sexistischen Bemerkungen bis hin zu Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch.“38 Diese Gewalthandlungen werden gegen den Willen der Betroffenen vollzogen und sind gepaart mit der Verletzung der körperlichen und psychischen Integrität, dazu zählen auch Frauenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung und die pornographische Darstellung von Minderjährigen. 2.1.3.4.Femizid - Tötung von Frauen: „Femizid, d. h. die durch Männer verübte Tötung von Frauen, aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind, gehört zu den extremsten Erscheinungsformen von Gewalt gegen Frauen. Für Frauen aller Altersgruppen gilt, dass das größte Risiko tödlicher Gewalt von einem Täter aus ihrem Umfeld ausgeht – von einem Familienmitglied oder dem Partner. Das Thema Femizid wird in verschiedenen Zusammenhängen behandelt, etwa im Rahmen häuslicher Gewalt, Gewalt durch unbekannte Täter, sexueller Gewalt, Ermordung weiblicher Babys, Gewalttaten 37 Ebd., S. 10f. BERATUNGSSTELLE TARA (2010): Sexualisierte Gewalt und Trauma. Eine Informationsbroschüre der Beratungsstelle Tara. Graz. S. 10f. Online im Internet: URL: http://www.taraweb.at/cms/images/stories/informationsbroschuere%20sexualisierte%20gewalt%20und%20trau ma.pdf [Stand 2013 – 01 – 19]. 38 15 im Namen der „Ehre“, Mitgiftverbrechen, Mord im Zuge von Bandenkriminalität und politischer Gewalt.“39 Europaweit ist ein Datenvergleich sehr schwierig, da z. B. Ehrenmorde und ähnliche Delikte im Namen der „Ehre“ im Justizsystem der meisten EU-Länder keine eigenständigen Delikte darstellen bzw. Justizstatistiken noch nicht immer vollständig nach Genderaspekten ausgewertet werden. Da diese Situation aber mittlerweile bekannt ist, verbessert sich die Lage, auch in der Forschung liegt ein Schwerpunkt auf sogenannte „High-Risk Victims“, also stark gefährdete Frauen, die im Extremfall von ihrem Partner ermordet werden. „Auch in Österreich, wo die Effektivität des Gewaltschutzgesetzes unbestritten ist, erfolgt dennoch ein hoher Anteil aller Morde bzw. Mordversuche in der Familie40“, heißt es in der 2012 veröffentlichten Studie „High-RiskVictims“ 41 . Die quantitative als auch qualitative Analyse von Landesgerichtsakten aus den Jahren 2008 bis 2010 berücksichtigt 39 (versuchte) Tötungsdelikte im Zusammenhang mit (ehemaligen) Beziehungspartnern: in 18 Fällen wurden Frauen getötet, 21 Frauen überlebten. „Von den 39 Verfahren in den Jahren 2008 bis 2010 ausgehend, errechnet sich ein Durchschnittswert von 13 Frauen, die jährlich von ihrem Beziehungspartner oder einem ehemaligen Partner in Tötungsabsicht angegriffen werden. […] Jährlich ist rund eine von 300.000 Frauen von einem (versuchten) Tötungsdelikt durch einen (ehemaligen) Partner betroffen.“42 2.1.3.5.Umgang mit Gewaltbetroffenen in der Beratungspraxis Mit Hilfe der psychosozialen Beratung können Betroffene ihre Gewalterfahrungen artikulieren und Auswege entwickeln. Vor allem parteilich und ganzheitlich arbeitende Beratungsstellen im Gewaltschutz43- und Frauenbereich44 identifizieren hochgefährdete Opfer 39 WAVE, S. 74. Neben der Kernfamilie sind auch andere Verwandtschaftsverhältnisse berücksichtigt. 41 BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIENST IM BUNDESKANZLERAMT (2012): High-Risk Victims. Tötungsdelikte in Beziehungen. Verurteilungen 2008 – 2010. Verfasst von Birgitt Haller, Institut für Konfliktforschung. Wien, S. 7. Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=46530 [Stand 2013 – 01 – 14]. 42 BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN, 2012, S. 11. 43 In jedem Bundesland gibt es ein Gewaltschutzzentrum bzw. eine Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Als gesetzlich anerkannte Opferschutzeinrichtungen sind sie im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres und der Frauensektion im Bundeskanzleramt tätig. Sie arbeiten in enger Abstimmung mit Exekutive und 40 16 von geschlechtsspezifischer Beziehungsgewalt. Diese Gefährdungseinschätzung geschieht im persönlichen Kontakt mit dem Opfer anhand von systematischen Risiko- einschätzungsinstrumenten (v.a. Fragebögen). In weiterer Folge wird in Zusammenarbeit mit anderen NGO´s, Behörden und der Polizei der bestmöglichste Schutz für die betroffene Person (und deren Kinder45) erarbeitet und ein „Sicherheitsplan“ gemeinsam mit der Klientin erstellt, Normen wie z. B. Wegweisung, Betretungsverbot, einstweilige Verfügung führen zum Kontaktabbruch mit dem/der BedroherIn. Im Krisenfall werden sichere Unterbringungsmöglichkeiten bereitgestellt (z. B. Frauenhaus46), auch die österreichweite „Frauenhelpline gegen Männergewalt“47 bietet rund um die Uhr und ganzjährig eine „kostenlose, [anonyme], telefonische Erst- und Krisenberatung für Frauen/Migrantinnen, Kinder und Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind“ und leitet an regionale48 Gewaltschutzeinrichtungen und Beratungsstellen weiter, auch eine Online-Beratung49 ist möglich. Justiz, damit die Sicherheit für Opfer familiärer Gewalt erhöht wird. Vgl. Auflistung auf der Homepage des Bundesministeriums für Inneres. Online im Internet: URL: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Links/intervention/start.aspx [Stand 2013 - 01 – 20]. 44 In allen Bundesländern gibt es Frauenberatungsstellen. Vgl. Auflistung auf der Homepage des Frauenministeriums. Online im Internet: URL: http://www.frauenratgeberin.at/cms/frauenratgeberin/adresse_thema.htm?thema=FT [Stand 2013 – 01 – 20]. 45 In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, den Kinderschutzzentren, der Kinder- und Jugendanwaltschaft, der Männerberatungsstelle etc. 46 In Österreich gibt es 30 Frauenhäuser. Sie sind für betroffene Frauen und Kinder offen, unabhängig von Nationalität, Einkommen oder Religion. Die Adressen der Frauenhäuser sind aus Sicherheitsgründen anonym. Vgl. Homepage des Vereines Autonomer Frauenhäuser Österreichs. Online im Internet: URL: http://www.aoef.at/cms/ [Stand 2013 – 01 – 20]. 47 Frauenhelpline gegen Männergewalt: 0800/222 555. Diese Telefonberatung ist im Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser angesiedelt und wird vom Bundeskanzleramt/Frauenministerium finanziert. Im Durchschnitt werden pro Tag 34 Anrufe entgegengenommen. Online im Internet: URL: http://www.frauenhelpline.at/ [Stand 2013 – 01 -20]. Eine weitere Möglichkeit ist der „Opfer-Notruf“ 0800/112 112, der vom „Weißen Ring“ im Auftrag des Justizministeriums betrieben wird. Online im Internet: URL: http://www.opfer-notruf.at/ [Stand 2013 – 01 – 20]. 48 Laut Frauenhelpline könnte das Hilfsangebot vor allem in ländlichen Regionen Österreichs noch verbessert werden. Vgl. VEREIN AUTONOME ÖSTERREICHISCHE FRAUENHÄUSER (2011): Frauenhelpline gegen Männergewalt. Jahresbericht. Wien, S. 22. Online im Internet: URL: http://www.haltdergewalt.at/frauenhelpline/new/Helpline_Taetigkeitsbericht_2011.pdf [Stand 2013 - 01 -20]. 49 „Der Helpchat www.haltdergewalt.at wurde 2000 vom Verein autonome Österreichische Frauenhäuser ins Leben gerufen und ist neben der Frauenhelpline ein weiteres Hilfsangebot für hilfesuchende Frauen. Der Helpchat bietet anonyme und vertrauliche Hilfestellung und ist eine virtuelle Beratungsstelle für Frauen und Mädchen, die in ihrem Lebensumfeld von Gewalt in jeder Form – psychisch, physisch, sexuell – betroffen sind. Jeweils montags von 19:00 bis 22:00 Uhr stehen abwechselnd zwei Beraterinnen zur Verfügung, die professionelle Hilfe und Rat anbieten. www.haltdergewalt.at bietet darüber hinaus die Möglichkeit, diese Online-Beratungsstelle als Gesprächsforum zu nützen, Selbsthilfegruppen zu bilden sowie links, Informationenüber die Gesetzeslage, Opferschutzeinrichtungen und parteiliche Frauenberatungsstellen einzuholen.“ Vgl. VEREIN AUTONOME ÖSTERREICHISCHE FRAUENHÄUSER, S. 9. 17 2.2.Feministische Gewaltdefinitionen Feministische Gewaltdefinitionen beruhen auf dem Modell „Gewaltdreieck“ des 50 Friedensforschers und Soziologen Johan Galtung , bereits aus den 1970er Jahren. Abb. 2: Gewaltdreieck von Johan Galtung51 2.2.1. Strukturelle Gewalt Unter dem Begriff „strukturelle Gewalt“ versteht Johan Galtung „institutionalisierte soziale Verhältnisse, die die aktuellen Chancen, Bedürfnisse zu realisieren unter das Niveau senken, das potenziell möglich wäre.“ 52 „Während direkte Gewalt 53 ein Ereignis darstellt, ist strukturelle Gewalt eine Institution.“ 54 Gewalt gegen Frauen ist ein Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse zwischen Männern und Frauen und meint, „jede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, welche mit der Geschlechtlichkeit von Opfer und Tätern zusammenhängt und unter Ausnutzung durch die strukturell stärkere Person zugefügt wird“ 55 . Birgit Sauer resümiert in einem Artikel über Gewalt, Geschlecht und Kultur: 50 GALTUNG, Johan (1990): Cultural Violence. In: Journal of Peace Research. Jg. 27, Nr. 3/1990. Oslo, S. 291 ff. 51 Ebd. 52 Ebd. S. 292. 53 Physische, psychische und sexualisierte Gewalt. 54 GALTUNG, S. 294. 55 HAGEMAN-WHITE, Carol (1992): Strategien gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis. Bestandsanalyse und Perspektiven. Freiburg im Breisgau, S. 23. 18 „Gewalt ist eine Ordnungsform politischer, sozialer und kultureller Institutionalisierungen. Auch staatliche Institutionen generieren Ausschluss und Benachteiligung, kurz: Verletzbarkeit. Geschlechterverhältnisse sind ebenso wie Ausschluss aufgrund von Ethnizität historisch institutionalisierte staatliche Gewaltverhältnisse. Gewalt ist deshalb nicht nur als direkte intentionale Handlung zu begreifen. Auch wenn Geschlechtergewalt die Kontrolle von Frauen und ihrer Sexualität, die Verhinderung von weiblicher Selbstbestimmung intendiert, so ist dies nur möglich in asymmetrischen geschlechtsspezifischen Herrschaftsverhältnissen.“56 Von NGO`s wird die strukturelle Gewalterfahrung als „vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse […],die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potenziell möglich ist“57, beschrieben: „Neben allen Formen der Diskriminierung zählt dazu ungleiche Einkommensverteilung. Strukturelle Gewalt ist ein System von Regeln und Verpflichtungen, die Frauen in Abhängigkeiten halten. Diese Abhängigkeit begünstigt die direkte Gewaltausübung gegen Frauen in der Familie. Die Arbeitsmarktlage für Frauen wird zunehmend schlechter. Immer mehr Alleinerzieherinnen fallen unter die Armutsgrenze, und Tendenzen wie `Frauen sollen zu Hause bleiben` nehmen wieder zu.“ 58 2.2.2. Kulturelle Gewalt Der Diskurs um „kulturelle Gewalt“ wird in Westeuropa politisch und juristisch in zwei Richtungen geführt. Einerseits wird in der Rechtsprechung „die“ Kultur als Entschuldigung oder Rechtfertigung von Gewalt herangezogen, „die Verankerung in bestimmten kulturellen Normen kann strafmindernd für den Täter wirken, und der Verweis auf die verletzte männliche oder familiäre Ehre soll Gewalt gegen Frauen zumindest verstehbar machen.“59 Da Staaten herausgefordert sind, mit kulturell und religiös differenten Praktiken, Lebensformen und Gewohnheiten umzugehen, passiert es, dass selbst „die Ursachen von Gewalt in der Kultur, der Tradition oder der Religion von MigrantInnen gesucht“ werden, und nicht, „wie in der Mehrheitsgesellschaft inzwischen Konsens, in ungleichen Geschlechterverhältnissen.“60 56 SAUER, S. 56. GEWALTSCHUTZZENTRUM OBERÖSTERREICH, S. 12. 58 Ebd. 59 SAUER, S. 53. 60 Ebd., S. 53. 57 19 Neben der unpräzisen Verwendung des Kulturbegriffes 61 im Sinne von fälschlich angenommenen nebeneinander bestehenden homogenen Kulturkreisen ohne Differenzen oder Austausch mit der Umwelt konstatiert Birgit Sauer, dass ein „kulturalistischer Gewaltbegriff […] der Komplexität des Gewalthandelns Migration und Multikulturalismus im Kontext von Geschlechterungleichheit, nicht gerecht“ 62 wird. „Gewalt ist ein konstruiertes Phänomen, das ohne die Berücksichtigung seiner `Kontextualität` nur unzureichend erklärt ist“63, auch die Deutungen der von Gewalt betroffenen Frauen müssen als Konsequenz daraus mitberücksichtigt werden. In der Praxis stellt sich die konkrete, herausfordernde Frage, „kann eine Praktik als Gewalt bezeichnet und verboten werden, wenn Frauen diese Praktiken freiwillig akzeptieren?“ 64 . Oder führt es zu einer weiteren Entmündigung von betroffenen Frauen, wenn sie „angeblich nicht wissen, dass sie durch Normen manipuliert sind und dass ihnen Gewalt angetan wird“65, und ihnen somit abgesprochen wird, ein Bewusstsein über ihre konkrete Lebenssituation zu haben. Birgit Sauer stellt diese provokante Frage folgendermaßen: „Wie kann der Gewaltbegriff so definiert werden, dass er alle Dimensionen und Praktiken von Gewalt gegen Frauen umfasst, dass er aber zugleich Freiheits- und Handlungspotenzial ermöglicht und nicht zur weiteren Viktimisierung von Migrantinnen beiträgt?“66 Die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Natalie Sokoloff und Ida Dupont, die sich mit multikulturellen Aspekten von häuslicher Gewalt auseinandersetzen, bezeichnen es als spannende, theoretische Herausforderung „zu konzeptualisieren, wie die unterschiedlichen Differenz-, Ungleichheits- und Unterdrückungsstrukturen interagieren und wie sich daraus Gewalt gegen Frauen ohne kulturalistische und rassistische Verkürzungen erklären lässt.“67 61 Siehe dazu: BENHABIB, Seyla (2002): The Claims of Culture. Equality and Diversity in the Global Era. Princeton, S. 4. 62 SAUER, S. 55. 63 Ebd., S. 57. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 SAUER, S. 52. 67 SOKOLOFF, Natalie/DUPONT, Ida (2005): Domestic Violence at the Intersections of Race, Class and Gender. In: Violence Against Women 11/1. Jänner 2005, S. 39. 20 2.3.Intersektioneller Gewaltbegriff Für die vorliegende Masterarbeit wird ein intersektioneller 68 Gewaltbegriff gewählt, um verschiedene Differenzkategorien – wie Geschlecht, Ethnizität und Klasse - in ihrer gleichzeitigen und interdependenten Wirkung miteinander zu analysieren. Der intersektionelle Begriff umfasst drei Aspekte: „zum ersten das Zusammenspiel von Gewaltstrukturen und –diskursen, […] zum zweiten die Interaktion der Ungleichheitsstrukturen sowohl in Minderheitengruppen wie in der Mehrheitsgesellschaft. Diese beiden Aspekte konstituieren drittens die Intersektionalität von Ungleichheits- und Gewaltstrukturen aufgrund von Geschlecht, Ethnizität und Religion.“69 Dieser intersektionelle Gewaltbegriff berücksichtigt auch die Tatsache, dass spezifische, so genannte traditionelle Gewaltpraxen zum Teil im Migrationsprozess entstehen und „erst durch interagierende Unterdrückungs- und Ausschließungsstrukturen und –diskurse der Mehrheitsgesellschaft geformt, gestärkt bzw. hervorgebracht werden“70 und es zu Verstärkungseffekten von struktureller Gewalt aufgrund des Geschlechtes und aufgrund der Ethnie kommen kann. Beispielhaft nennt Birgit Sauer für die österreichische Situation „geschlossene Grenzregime, die Beschränkung von Einwanderungsmöglichkeiten und die Privilegierung von Familiennachzug“71, welche eine Heirat auch zu einem Bestandteil eines Migrationskalküls machen. Daneben erhöhen fremden- und aufenthaltsrechtliche Regelungen die Vulnerabilität von Migrantinnen und verstärken die Abhängigkeit vom Ehemann oder von der Herkunftsfamilie. 68 Intersektionalität hat sich als Forschungsperspektive innerhalb der feministischen Wissenschaft im englischsprachigen Raum in den 1990er entwickelt. Aus der Kritik an der Universalität der Analysekategorie Gender heraus wurde diese Perspektive entwickelt und versucht, verschiedene Differenzkategorien in ihrer gleichzeitigen und interdependenten Wirkung miteinander zu analysieren. Der Begriff „intersectionality“ geht auf Kimberle Crenshaws Metapher zurück, wonach „race“, class und gender als Achsen der Macht sich wie Straßen kreuzen. Siehe dazu: CRENSHAW, Kimberle (1989): „Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist critique of antidiscrimination doctrine“. In: The University of Chicago Legal Forum 139, S. 139 – 167 sowie zur Debatte im deutschen Sprachraum: KNAPP, Gudrun-Axeli/WETTERER, Angelika (2003): Achsen der Differenz. Gesellschaftsstheorie und feministische Kritik. Bd. 2, Münster, S. 14 – 48 und WINKER, Gabriele/DEGELE, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld. „Mit diesem Forschungsansatz kann die soziale Positionierung von Menschen innerhalb einer Gesellschaft im Sinne sozialer Ungleichheit erfasst werden und ermöglicht die Analyse komplexer und flexibler Identitätskonstruktionen im Spannungsfeld verschiedener gesellschaftlicher Machtverhältnisse.“ YUVAL-DAVIS, Nira (2006): Intersectionality and Feminist Politics. In: European Journal of Women’s Studies 13 (2006) 3, S. 193-209. 69 SAUER, S. 58. 70 SOKOLOFF/DUPONT, S. 45. 71 SAUER, S. 59. 21 „Gewalt in migrantischen Milieus kann also nicht ohne die Erfahrung von Ausgrenzung72 und Rassismus gemacht werden“ 73 , die Ähnlichkeiten zwischen westlichen Gesellschaften und jenen der Einwanderungsgruppen hinsichtlich der ungleichen und patriarchalen Geschlechternormen und –bilder sind wesentlich und unterstützen diesen Prozess zusätzlich. „Die Kombination eines strukturellen und diskursiven mit einem intersektionellen [Gewaltkonzept-] Ansatz entgeht der Gefahr, Frauen aus Minderheiten zu entmächtigen und zu marginalisieren“74, und ermöglicht den betroffenen Frauen, ihre eigene Definitions- und Entscheidungsmacht zu entwickeln und diese auch in die öffentliche Debatte einzubringen um sich gegen die empfundene Gewalt zu wehren. 2.4. „Gewalt im Namen der Ehre“ – Traditionelle Gewalt – „Honour-related violence“ Die Begriffe „Gewalt im Namen der Ehre“ oder traditionelle Gewalt wurden Ende der 1990er vermehrt verwendet, so bezeichnete auch die CEDAW in einem Monitoring Prozess mit der Türkei und Israel „Ehre“ als Thema der Gewalt gegen Frauen und ab 2000 wurden zahlreiche Aktivitäten und Forschungen initiiert.75 In Europa wurde 2003 die Thematik mit der Europarats-Resolution 1327 bekannter und in der mit „So-called honour crimes” betitelten Resolution findet sich unter Punkt 1 auch eine kurze Definition von „Gewalt im Namen der Ehre“: ”The Parliamentary Assembly is very concerned by the increase in so-called “honour crimes”, committed against women in the name of honour, which constitute a flagrant violation of human rights based on archaic, unjust cultures and traditions.“76 „Es wird betont, dass diese Gewalttaten nicht auf religiöse, sondern auf `kulturelle` Wurzeln zurückzuführen seien, wobei aber die Mehrzahl der berichteten Fälle in Europa unter 72 Die fehlenden Erwerbschancen erhöhen die ökonomische und familiäre Abhängigkeit von Mädchen und Frauen und können auch Identitäts- und Abschließungsprozesse von Einwanderungsgruppen beeinflussen. 73 SAUER, S. 59. 74 SOKOLOFF/DUPONT, S. 40. 75 SEN, Purna (2005): `Crimes of honour`, value and meaning. In: WELCHMAN, Lynn/HOSSAIN, Sara (Hrsg.): `Honour`. Crimes, paradigms, and violence against women. London/New York, S. 56. 76 EUROPARATS-RESOLUTION 1327 (2003): Online im Internet unter: URL: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/violence/Documents/Resolution%201327%20%282003%29.asp [Stand 2012 – 08 - 08]. 22 muslimischen Gemeinschaften angesiedelt wird.“ 77 In der Folge resultierten daraus gesetzliche Maßnahmen und diverse Initiativen. „Im österreichischen Kontext der Regierungsinitiative 200578 wurde eine enge Interpretation des Begriffes gewählt, die `traditionelle Gewalt` als ein `importiertes Problem` ansah, das MigrantInnen durch ihre Kultur und nicht durch ihre Religion haben“ 79 , kritisiert Sabine Strasser. So heißt es in der Vorbemerkung in der vom Frauenministerium erstmals 2006 veröffentlichten Studie und Broschüre „Tradition und Gewalt an Frauen“80 folgendermaßen: „`Honour-related violence`, `crimes of honour`, `harmful traditions against women` - wie so oft variieren die Begriffe geschlechtsspezifischer Gewalt, im Sprachgebrauch in denen Frauen – gemeint durch sind bestimmte hier Formen Moral- und Wertvorstellungen zu Opfern werden. Durch das Festhalten an Traditionen werden verschiedene Formen der `gendered violence` reproduziert und tradiert, sodass für das Zustandekommen dieser Gewalt gegen Frauen nicht die Religion ausschlaggebend ist, sondern vielmehr die Tradition. `Traditionsbedingte Gewalt an Frauen` beinhaltet ein breites Spektrum an Gewaltformen, die in vielen Fällen auch eine spezielle Form häuslicher Gewalt an Frauen repräsentieren, wie beispielsweise Femal Genital Mutilation/Cutting (FGM/C) und `Verbrechen im Namen der Ehre`, wie Zwangsheirat, Ehrenmord, Steinigung. Gemein ist all diesen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, dass sie in der Familie oder Gemeinschaft praktiziert werden, weitgehend sozial legitimiert sind, sowie auf patriarchalischen Normen und Werten aufbauen.“81 77 STRASSER, S. 65. Unter der Federführung der damaligen Frauen- und Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) setzten folgende weitere Ministerkolleginnen des Kabinetts Schüssel II gesetzliche Maßnahmen gegen traditionsbedingte Gewalt um: Seitens der ÖVP Ursula Plassnik (Auswärtige Angelegenheiten), Elisabeth Gehrer (Bildung), Liese Prokop (Inneres) sowie seitens des BZÖ Karin Gastinger (Justiz) und Ursula Haubner (Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz). 79 STRASSER, S. 66. 80 Sabine Strasser bezeichnet die erwähnte Broschüre als „die `Spitze des Eisbergs` einer äußerst fragwürdigen Debatte, die zwar auf real existierende Probleme reagiert, dies aber auf unzureichende oder gar inadäquate Weise.“ Die „lieblos zusammen gewürfelte Ansammlung von Informationen“ kann nicht als „echte, hilfreiche Intervention für Betroffene“ gelten. Vgl. dazu: STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 11. 81 BUNDESKANZLERAMT/BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIENST (20092): Tradition und Gewalt an Frauen. Wien, S. 5. Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=34583 [Stand 2012 – 08 – 08]. Im November 2008 wurde vom Frauenministerium in Zusammenarbeit mit dem Verein „Orient Express“ die von der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes (http://www.terre-des-femmes.de/) zusammengestellte Wanderausstellung „Tatmotiv Ehre“ in Wien gezeigt. Siehe dazu: http://www.frauen.bka.gv.at/site/5479/default.aspx [Stand 2012 - 10 – 15]. 78 23 Das Europaratsübereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt benennt hingegen dezidiert, „dass Kultur, Sitten, Religion, Tradition oder die sogenannte `Ehre` keinesfalls als Rechtfertigung für […] Gewalttaten angeführt werden können“82. Im Artikel 42 mit dem Titel „Inakzeptable Rechtfertigungen für Straftaten, einschließlich im Namen der sogenannten `Ehre` begangener Straftaten“ 83 werden die Vertragsstaaten und deren Justiz ausdrücklich aufgefordert, „dafür Sorge zu tragen, dass in ihrem Strafrecht und im Strafverfahrensrecht Behauptungen des Angeklagten, nach denen er bestimmte Taten zur Verhütung oder Bestrafung vermuteter, wahrgenommenerer oder aktueller Verletzungen seitens des Opfers von kulturellen, religiösen, sozialen oder traditionellen Werten und Bräuchen im Hinblick auf ein angemessenes Verhalten begangen hat“84, nicht als Rechtfertigung zuzulassen. Im Falle der häufigen Tatsache, dass ein strafunmündiger Familienangehöriger ein Ehr-Verbrechen begeht, wird die „strafrechtliche Verantwortlichkeit der solche Verbrechen veranlassenden Person(en)“85 eingeführt. Sabine Strasser kritisiert die geringe Wirksamkeit der Gesetzesänderungen dahingehend, dass „die Frauen der ÖVP/BZÖ Regierungskoalition durch diese Aktivitäten im [EU] Präsidentschaftsjahr sowohl Frauen- und Minderheitenpolitik abdecken als auch die Legitimität ihrer assimilatorischen Integrationspolitik bestätigen konnten.“86 82 COUNCIL OF EUROPE, 2011, S. 58. COUNCIL OF EUROPE, S. 83 f. 84 Ebd., S. 84. 85 Ebd. 86 STRASSER, S. 65. 83 24 3. FORSCHUNGSSTAND „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“ Das Thema Zwangsheirat und „Gewalt im Namen der Ehre“ erfuhr eine „schnelle Karriere in der öffentlichen Debatte“ 87 , dadurch sind die „Sozialwissenschaften mit einer seltenen Situation großer Nachfrage seitens der Politik wie auch einem enormen medialen Interesse konfrontiert.“88 In vielen europäischen Ländern wurden Auftragsstudien erstellt, deren Auswirkung auf die Politik kaum Inhalt des wissenschaftlichen Diskurses ist. Dabei zeigt die Analyse von unterschiedlichen Auftragsstudien in europäischen Ländern „Rückschlüsse auf die Auswirkungen von unterschiedlichen Integrationsregimes auf Lösungsvorschläge in diesem Politikfeld“89 und es lässt sich ein „Einblick in die Verflechtungen von Wissenschaft und Politik“ 90 gewinnen, wie die in Brüssel tätige Sozialanthropologin Maria Schiller in einem Vergleich von zehn Auftragsstudien91 über Zwangsheirat herausarbeitet. Großteils werden Daten und Aussagen von ExpertInnen aus der Beratungspraxis herangezogen und mit vertiefenden Untersuchungen einzelner „communities“ mit Hilfe von Feldforschung ergänzt, daneben spielen Interviews mit Betroffenen und deren Angehörigen eine Rolle. „Die meisten Studien konzentrieren sich dabei auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, von denen angenommen wird, dass sie verstärkt von Zwangsverheiratung betroffen seien.“92 Im Jahr 2006 wurde die von der Stadt Wien beauftragte Studie „Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens“ 93 publiziert, zwei 87 SCHILLER, Maria (2010): Zwangsverheiratung im Fokus: Ein Vergleich von Auftragsstudien in europäischen Ländern. In: STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe in pluralen Gesellschaften. (= Politik der Geschlechterverhältnisse). Bd. 41. Frankfurt/New York, S. 48. 88 SCHILLER, S. 48. 89 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 15. 90 Ebd., S. 15. 91 Es handelt sich dabei um neun Studien zu Zwangsverheiratungen, die in den vergangenen Jahren im städtischen, nationalen oder internationalen Kontext innerhalb Europas durchgeführt worden waren (Deutschland, 2 Studien aus Großbritannien, Norwegen, Niederlande, Österreich und der Schweiz), sowie um eine in der Türkei durchgeführte Studie über Ehrenmorde sowie um die vergleichende Studie des Europarates. Vgl. Auflistung: SCHILLER, S. 68f. bzw. die Auflistung im Literaturverzeichnis dieser Arbeit. 92 SCHILLER, S. 49. 93 LATCHEVA, Rossalina/EDTHOFER, Julia/GOISAUF, Melanie/OBERMANN, Judith (2006): Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens. Situationsbericht und Empfehlungskatalog. Im Auftrag der Magistratsabteilung 57 der Stadt Wien. Wien. Online im Internet: URL: http://www.wien.gv.at/menschen/frauen/pdf/zwangsheirat2007.pdf [Stand 2013 - 01 – 20]. 25 Jahre später seitens des Frauenministeriums die Studie „So fern und doch so nah? Traditionsbedingte Gewalt an Frauen.“94 In den österreichischen Studien wird die „Auseinandersetzung mit Zwangsverheiratung in eine Debatte zu Gewalt gegen Frauen ein[geordnet] und unterstützt einen feministischen Diskurs“95. So heißt es in der Studie von Latcheva u.a. „Gewalt gegen Frauen ist ein lang tradiertes Phänomen, das in seinen verschiedenen Formen ein weltweites Problem darstellt – Zwangsverheiratung ist eine davon.“96 Zwar vermeiden die Studien die Problemverortung in Religion oder Kultur, wenn gleich „vor deren Potential, zur Rechtfertigung von Missständen missbraucht zu werden, gewarnt [wird].“97 „Ausgehend von der Prämisse, dass in diversen Herkunftsländern stärker patriarchale Systeme herrschen als in Österreich, werden `Traditionen` der Gewalt gegen Frauen aus den entsprechenden Ländern aber doch wieder zum problematischen Gepäck von MigrantInnen gemacht.“98 In der vorliegenden Masterarbeit werden diese Studien berücksichtigt, insbesondere aber auch die Forschungsergebnisse des Projektes „Multikulturalismus im Widerstreit: Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und Sexuelle Autonomie in der EU.“99 Dieses Forschungsprojekt zielte „auf ein besseres Verständnis des gegenwärtig häufig konstatierten Rückzugs vom Multikulturalismus in der EU, der Beziehungen zwischen Feminismus und Multikulturalismus sowie der Beziehung zwischen Mainstream (in Minderheiten und Mehrheiten) und den Personen oder Gruppen mit abweichenden Meinungen und Praktiken. „Diesen Fragen sollen entlang der derzeit brisanten gesellschaftlichen Debatten zu freier Partnerwahl, 94 PRELLER, Camilla Cynthia (2008): So fern und doch so nah? – Traditionsbedingte Gewalt an Frauen. Wien. Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/studien/tgf2008/studieTGF2008.pdf [Stand 2013 - 01 – 20]. 95 Ähnlich auch in Großbritannien sowie in Norwegen, wo gefordert wird, das der Begriff `häusliche Gewalt` auch Gewalt gegen Kinder umfassen müsse. Vgl. SCHILLER, S. 51. 96 LATCHEVA u.a., S. 9. 97 SCHILLER, S. 51. 98 Ebd. 99 Der englischsprachige Projekttitel lautet: Contesting Multiculturalism: Gender Equality, Cultural Diversity and Sexual Autonomy in the EU. Das mehrjährige Forschungsprojekt wurde im Rahmen des internationalen Forschungsschwerpunktes „New Orientations for Democracy in Europe“ (NODE) und unterstützt durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie der Österreichischen Akademie für Wissenschaften an der Universität Wien (Institut für Rechtsphilosophie und Institut für Sozialanthropologie) bis 2009 durchgeführt. 26 Eheschließung und Familiengründung nachgegangen werden“ 100 , heißt es in der Projektbeschreibung. So bezieht sich ein zentrales Forschungs-Ergebnis101 auf die Kritik am laufenden Diskurs, denn Gewalt darf nicht als „kulturelle Essenz von als homogen vorgestellten Minderheiten“102 gesehen werden. In Bezug auf Autonomie kam die Forschungsgruppe zur Erkenntnis, dass diese nicht automatisch mit der Mehrheit verbunden werden kann, vor allem wenn gleichzeitig die Handlungsfähigkeit von Minderheiten in Frage gestellt wird. 103 Aufgrund dieser empirischen Ergebnisse wird die Bedeutung eines „kritischen Relativismus“ hervorgehoben, der nicht verallgemeinernde Gewaltmuster fortschreibt, sondern „Details, kulturelle Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten in den Prozessen der Grenzziehungen und Zuschreibungen innerhalb und zwischen Minderheiten und Mehrheiten wahrnimmt.“ 104 Zeitlich noch neuere Forschungsergebnisse konnten für die vorliegende Masterarbeit durch aktuelle Studien aus Deutschland (2011) und der Schweiz (2012) berücksichtigt werden. In Deutschland wurde im Herbst 2011 die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“105 veröffentlicht, nachdem im März des gleichen Jahres strafrechtliche Gesetzesänderungen für Nötigungen zur Zwangsheirat und gegen Scheinehen in Kraft traten. Die Sensibilität der Thematik und der politische Diskurs darüber zeigt sich auch darin, dass der wissenschaftliche Beirat der gennannten Studie die Rezeption 100 Vgl. Projekthomepage. Online im Internet: URL: http://www.univie.ac.at/NODE-CMC/ [Stand 2013 – 01 – 20]. Das Projekt umfasste eine empirische Erhebung sowohl mit Methoden der ethnographischen Feldforschung wie auch der „legal discourse analysis“. 101 Vgl. STRASSER, Sabine (2009): Kurzzusammenfassung des Endberichtes. Multikulturalismus im Widerstreit: Geschlechteregalität, kulturelle Diversität und Sexuelle Autonomie in der EU. Wien. Online im Internet: URL: http://www.univie.ac.at/NODECMC/pages/Kurzzusammenfassung%20Endbericht.pdf [Stand 2013 – 01-20]. Der Forschungsbericht wurde publiziert: STRASSER/HOLZLEITHNER. 102 Vgl. STRASSER, 2009, S. 1. 103 Vgl. Ebd. 104 Vgl. Ebd., S. 1f. 105 BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Kurzfassung. Wissenschaftliche Untersuchung der Lawaetz-Stiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg. Kurzfassung: Online im Internet: URL: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Zwangsverheiratung-in-DeutschlandAnzahl-und-Analyse-von-Beratungsf_C3_A4llen,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf [Stand 2013 – 01 – 20]. MIRBACH, Thomas/SCHAAK, Torsten/TRIEBL, Katrin (2011): Zwangsverheiratungen in Deutschland. Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Leverkusen-Opladen. 27 der Ergebnisse durch ihre Auftraggeberin, Familienministerin Kristina Schröder, öffentlich kritisierte, vor allem die „Islamfeindlichkeit“ sowie „verzerrte Zahlenangaben“.106 In der Schweiz wurde vom Lehrstuhl für transnationale Studien und soziale Prozesse der Universität Neuenburg im Auftrag des Bundesamts für Migration die Studie „`Zwangsheiraten` in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass“107 erstellt und im Sommer 2012 präsentiert. Mit dem Auftrag war auch die Entwicklung von konkreten Lösungsansätzen108 verbunden: Strategischer Zugang zur Bekämpfung des Phänomens und Betreuung der Opfer unter dem Gesichtspunkt geschlechtsspezifischer Machtbeziehungen und somit als Form von häuslicher Gewalt und nicht als migrationsspezifisches Problem. Verbesserung der Vernetzung der Interventionsketten zwischen und in den Institutionen der Chancengleichheit, des Gewaltschutz- und Migrationsbereiches. Steigerung der Kompetenzen der betroffenen Berufsgruppen in den Institutionen. Berücksichtigung des Loyalitätskonfliktes und der rechtlichen und ökonomischen Abhängigkeit der Opfer in der Betreuung. Ausbau des externen Unterbringungsangebotes und der langfristigen Nachbetreuung, um die Autonomiefindung der betroffenen Personen zu garantieren. Zielgruppenspezifische Maßnahmen für Minderjährige in Bezug auf Unterbringung, Betreuung, Prävention und Zusammenarbeit mit Schulen und Ausbildungsstätten. Entwicklung von Maßnahmen für die UrheberInnen von Gewalt und Zwang, z. B. in Form von Konfliktmediation und anderen niederschwelligen, kostenlosen Beratungsangeboten. Sensibilisierungsmaßnahmen und Betreuungsangebote für Männer. 106 Vgl. REIMANN, Anna (2011): Zwangsehen-Studie: Zank um Zahlen. In: Spiegel-Online vom 30.11.2011. Online im Internet: URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/zwangsehen-studie-zank-um-zahlen-a800786.html [Stand 2013 - 01 – 20]. 106 BUNDESAMT FÜR MIGRATION (2012): „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass. Verfasst von Anna Neubauer und Janine Dahinden in Zusammenarbeit mit Pauline Brequet und Eric Crettaz. Bern, S. 14. Online im Internet: URL: http://www.bfm.admin.ch/content/dam/data/migration/publikationen/zwangsheirat/studie-zwangsheirat-d.pdf [Stand 2013 - 01 – 10]. 106 Ebd., S. 92 – 111. 28 Berücksichtigung der transnationalen Dimension der Problematik und Entwicklung von Hilfssystemen, die über die Landesgrenzen hinaus reichen. Im Juni 2012 wurde das „Bundesgesetz über Maßnahmen gegen Zwangsheiraten“ 109 verabschiedet, um einerseits Zwangsheiraten zu verhindern bzw. andererseits die Auflösung von bestehenden Zwangsehen zu erleichtern. Ehenötigung wird jetzt in der Schweiz mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. 109 Vgl. Homepage der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Online im Internet: URL: http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2012/2012-08-090.html [Stand 2013 - 01 – 20]. 29 4. „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“ 4.1.Der Ehrbegriff Laut Werner Schiffauer, dem Pionier der kulturanthropologischen Forschung über Türk[Inn]en in Deutschland, bestimmt der Ehrbegriff sowohl das „Verhältnis von Innen und Außen als auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau“110. „Dem Wert der Ehre (türk. namus) unterliegt die Vorstellung einer klaren Grenze, die das `Innen`, den Bereich der Familie, vom `Außen`, der – männlichen – Öffentlichkeit des Dorfes oder der Stadt, scheidet. Die Ehre des Mannes ist beschmutzt, wenn diese Grenze überschritten wird, wenn jemand von außen einen Angehörigen der Familie, womöglich eine der Frauen, belästigt oder angreift. […] Die Ethik der Ehre ist partikularistisch: Letzter Prüfstein des Handelns ist das Wohl der eigenen Gruppe.“111 Die männliche Ehre ist sehr stark geprägt von der Machtausübung über weibliche Haushaltsmitglieder. „Die Kontrolle des Mannes über den weiblichen Körper geht dabei mit dem Zeitpunkt der Hochzeit nahtlos vom Vater - beziehungsweise dessen Stellvertreter, dem Bruder - zum Ehemann über.“112 Werner Schiffauer beschreibt, am Beispiel der Türkei, eine „prekäre Balance“:113 „Einerseits versucht man, die Mitglieder der eigenen Familie zum Gehorsam gegen die allgemeinen Normen und Werte anzuhalten; andererseits kann man es sich nicht erlauben, gegen sie Stellung zu beziehen, wenn sie diese Normen verletzt haben.“114 Das Familiensystem ist äußerst hierarchisch strukturiert, der Vater – in seiner Abwesenheit der älteste Sohn – verantwortet die Einhaltung der Regeln durch seine Familie, kurz gesagt: 110 SCHIFFAUER, Werner (1983): Die Gewalt der Ehre. Erklärungen zu einem türkisch-deutschen Sexualkonflikt. Frankfurt/Main. 111 Ebd., S. 65. „Als `ehrlos`(türk. namussuz) gilt der Mann, der dann nicht bedingungslos und entschieden den Angehörigen verteidigt. 112 BAUMGÄRTNER, Ester (2009 ): Widder und Ziegenbock. Zum kulturellen Konzept von Ehre und Schande. In: Journal Ethnologie. Nr. 2. Frankfurt. Online im Internet: URL: http://www.journalethnologie.de/Deutsch/Schwerpunktthemen/Schwerpunktthemen_2009/Ehre_und_Schande/Widder_und_Ziegen bock/index.phtml [Stand 2012 – 10 – 16]. 113 SCHIFFAUER, S. 66. 114 Ebd. 30 „Wie er [der Vater] nach außen seine Familie vor dem Gemeinwesen vertritt, vertritt er nach innen das Gemeinwesen gegenüber seiner Familie.“115 Wesentlich sind auch „gestufte Autoritätsbeziehungen“ 116 die Achtung (türk. saygi) ausdrücken und Gehorsam und Solidarität garantieren. „Der Sohn schuldet dem Vater, die Frau dem Mann, der jüngere Bruder dem älteren Achtung. Sie kann unterschiedlich bekundet werden: Der Höherstehende darf nicht mit Vornamen angesprochen, ihm darf nicht widersprochen werden, in der Öffentlichkeit muss man in seiner Gegenwart schweigen, man darf nicht in seiner Gegenwart rauchen oder trinken usw.“117 Offensichtlich sind die Kriterien für die Rangordnung das Alter und das Geschlecht und erklären auch die Vertrautheit unter Geschwister, die Positionen „relativer Gleichheit“ 118 einnehmen. Zu Widersprüchlichkeiten im Kontext der „Ehre“ kommt es im Alltag zwischen der Solidarität zu den Verwandten bzw. zum Gemeinwesen und zur Religion (Islam) sowie der staatlichen Rechtsordnung, welche sich in einem pragmatischen Verhalten je nach Anlassfall äußern: „Unter Berufung auf die eigene Ehre kann man die im Namen des Islam erhobene Forderung, Frieden zu schließen, in den Wind schlagen; unter Berufung auf die Religion kann man sich gegen die eigenen Verwandten stellen, wenn sie den Bogen überspannen.“119 Prinzipielle Gleichheit bestimmt die Beziehungen zwischen Männern außerhalb der Familien, dabei spielen der Gabentausch und festgelegte Rituale der Gastfreundschaft 120 und der Sitzordnung nach Status etc. eine wichtige Rolle. Der Gabentausch kann „die Form von Arbeits- und Nachbarschaftshilfe, Verleih von Geld und anderen Gegenständen, Gastfreundschaft annehmen; am wichtigsten aber ist die Verheiratung, die als Gabe der Tochter an einem fremden Haushalt angesehen wird.“121 115 SCHIFFAUER, S. 66. Ebd., S. 67. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Ebd., S. 69. 120 Das Ausziehen der Schuhe beim Betreten des Raumes, Begrüßungsformel, Reinigungsritual. Ein Fremder wird im öffentlichen Teil des Hauses empfangen, symbolisch werden die Grenzen zwischen Innen und Außen auch im Haus dargestellt. Frauen sind vom Gastritual ausgeschlossen. Vgl. Ebd., S. 69. 121 Ebd., S. 70. 116 31 Zentral beim Gabentausch ist der Aspekt der zeitweiligen Ungleichheit zwischen Schuldner und Gläubiger. Sabine Strasser, die auch als Kennerin der türkischen Situation gilt und eng mit türkischen WissenschafterInnen, Frauenorganisationen und –beratungsstellen zusammenarbeitet, trifft eine Unterscheidung „in eine vertikale und damit akkumulierbare Form von Ehre (türk. seref) die Männer durch ihre Handlungen anstreben und in eine horizontale sexuelle Ehre (türk. namus), die an den Frauen gemessen und von den Männern durch sie verloren werden kann, [dies] zeigt, dass wir im Kontext der Gewaltdebatte nur von horizontaler Ehre reden.“122 Wie oben bereits erwähnt, bestimmt der Ehrbegriff wesentlich das Verhältnis zwischen Mann und Frau und „legt die eigene Ehre jeweils in die Hand des anderen Geschlechts“ 123: „So definiert sich die Ehre eines Mannes im wesentlichen über die Ehre der ihm anvertrauten Frauen, der Mutter, der Schwester, der Tochter und Ehefrau“124 und erfordert eine permanente Selbstkontrolle, ausgedrückt in Stärke und Selbstbewusstsein. „Während für die Beurteilung und das Selbstverständnis eines Mannes die Dichotomie starkschwach entscheidend ist, gilt für die Frau der Gegensatz rein – unrein.“125 So soll sich das Verhalten einer „sauberen und ehrenhaften Ehe-Frau“ 126 wie auch des jungfräulichen Mädchens konkret folgendermaßen zeigen, um keine Gefahr für die politische und soziale Position des Mannes bzw. Vaters zu riskieren: „Sie darf nicht mit fremden Männern sprechen, darf nicht allein spazieren gehen und nachts nicht ohne Begleitung des Mannes das Haus verlassen; sie muss die Kleidervorschriften beachten, Arme und Beine bedeckt halten und das Haar, ein sexuelles Symbol, verhüllen; eine `saubere` Frau ist gehalten, nicht zu schreien oder zu rennen, sie wird es vermeiden, auf die 122 STRASSER, 2008, S. 71. SCHIFFAUER, S. 75. 124 Ebd., S. 74. 125 Ebd., S. 75. 126 Als Gegenteil wird die ehrlose und schmutzige Frau mit außerehelichen Beziehungen als Hure dargestellt. Vgl. Ebd., S. 75. 123 32 Toilette zu gehen, wenn Männer im Raum sind. Schließlich wird sie auf ihre Kleidung achten, um nicht schlampig oder schmutzig zu erscheinen.“127 Die wesentliche Bedeutung der Jungfräulichkeit ist schon angeklungen, die Ehre der Frau wird über die Keuschheit definiert. „Eine beständige und dauerhafte Ehe ist für eine Frau viel wichtiger als für einen Mann: Eine geschiedene Frau hat größere Schwierigkeiten, wieder einen Mann zu finden, als umgekehrt; ein unverheirateter Mann z. B. könnte keine Ehe mit ihre eingehen, ohne dass im Gemeinwesen seine Männlichkeit bezweifelt würde: Es hieße, dass er sich offenbar nicht traut, die Jungfräulichkeit eines Mädchens zu `zerstören`.“128 In seinen Untersuchungen kommt Werner Schiffauer auch zum Schluss, dass „das islamische Eherecht, das in den Dörfern weitgehend Gewohnheitsrecht ist, die Entscheidung über den Fortbestand einer Ehe im wesentlichen in die Hände der Männer legt.“129 Da aber, vor allem auf dem Land, die Ehe auch einen politischen Charakter im Sinne des Bündnisses zwischen zwei Familien hat, komme, laut Schiffauer, Verstoßung und Polygamie nur aufgrund einer Kinderlosigkeit vor. 130 Für die Frauen bedeutet dies konkret eine latente Angst vor der Scheidung in den ersten Ehejahren. Bereits den jungen Mädchen wird in der Erziehung vermittelt, dass die Ehe einen hohen Stellenwert hat und dass sich eine Frau ständig für ihre Familie beschäftigen müsse: „Von drei Jahren an sollen die Mädchen nicht einfach ruhig dasitzen, sondern häkeln und andere Handarbeiten machen oder wenigstens eines der Geschwister auf dem Schoß halten.“131 Im Laufe des Lebens erfolgt ein Wandel des Vater-Tochter-Verhältnisses, dass sich mit ansteigendem Lebensalter der Tochter aus Furcht vor Schande verschlechtert und erst mit der Eheschließung - und der damit verbundenen Übergabe der Verantwortung für die Ehre der Tochter an den Schwiegersohn - wieder verbessert. Zu wenig Berücksichtigung findet die Tatsache der Unterscheidung zwischen dem ethnografisch gut dokumentierten Ideal und gelebter Praxis. Nancy Lindisfarne, Anthropologin mit Arbeits- und Lebenserfahrung in Afghanistan, Syrien und der Türkei, 127 SCHIFFAUER, S. 75. Ebd., S. 76. 129 Ebd. 130 Vgl. Ebd., S. 76. 131 Ebd., S. 77. 128 33 erläutert die Komplizenschaft von Eltern, Schwiegereltern und Verwandten sowohl bei der Vortäuschung von Deflorationen als auch bei der Vortäuschung der männlichen Potenz und merkt zudem kritisch an, dass die „Herstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit durch Sexualität“ bei der Diskussion zu Ehre und Schande stark vernachlässigt wird. „Auch wenn alle von der Jungfräulichkeit als Voraussetzung von Ehre ausgehen, so wird sie in der Praxis in vielen Ländern trotzdem nicht in die Ehe eingebracht.“132 4.2.Das Ehre – Scham – Konzept „`Im Namen der Ehre` wird Frauen in weiten Teilen der Erde Gewalt angetan. Zurückzuführen ist dies auf ein System von Normen und Werten, das auf Ehre basiert, womit die kollektive Identität und das öffentliche Ansehen in einer Gemeinschaft konstruiert oder beibehalten werden.“133 Die „vorschnellen Erklärungen von `Gewalt im Namen der Ehre` in den Debatten der EULänder“ werden von AnthropologInnen134 kritisiert, ebenso die Normierung auf dem Mittelmeerraum und die Vernachlässigung der genauen Untersuchungen von Begriffen und Systemen im jeweiligen konkreten Kontext. Seit fünf Jahrzehnten beschäftigt sich die Forschung mit dem „Ehre-Scham-Konzept“, aus diesem Grund nimmt die Autorin die Erkenntnisse der Anthropologie und Ethnologie auch als Hilfestellung für einen Definitionsversuch des Begriffes „Ehre“. Zentral ist die „Frage der Bewertung von sozialem Verhalten in den Augen der Öffentlichkeit“135, wobei in vielen Fällen ein tatsächlich erfolgtes abweichendes Verhalten nachrangig ist und – in Verbindung mit Macht – je nach Position in der Gesellschaft auch andere Normen und Sanktionen gelten können. In den 1960er Jahren war die Erwartungshaltung, „dass Fragen zu `Ehre` mit zunehmender Modernisierung, Differenzialisierung und Anonymisierung der Gesellschaft an Bedeutung 132 LINDISFARNE, Nancy (1994): Variant Masculinities, Variant Virginities: Rethinking `Honour and Shame`. In: CODRWALL, Andrea/ LINDISFARNE, Nancy (Hrsg.): Dislocating Masculinity. Comparative Ethnographics. Oxon/New York, S. 91. Online im Internet: URL: http://wxy.seu.edu.cn/humanities/sociology/htmledit/uploadfile/system/20110424/20110424005928254.pdf [Stand 2012 - 10 – 16]. 133 Ebd., S. 8. 134 Z. B. von Sabine Strasser. Vgl.: STRASSER, 2010, S. 72. 135 Vgl. die Forschungen von Pierre Bourdieu im berberischen Gebiet in Marokko. BOURDIEU, Pierre (1966): The Sentiment of Honour in Kabyle Society. In: PERISTIANY, John G. (Hrsg.): Honour and Shame. London., S. 191 – 241. 34 verlieren würden. Doch Anerkennung in den Augen der relevanten Umgebung spielt bis heute in allen Lebensbereichen und in unterschiedlichen Gesellschaften mit jeweils unterschiedlichen Inhalten eine wichtige Rolle“136, fasst Sabine Strasser ihren Rückblick auf die ersten Forschungsarbeiten im „Ehre-Scham-Diskurs“ zusammen und definiert Ehre als „die Verbindung der Ideale einer Gesellschaft mit deren Reproduktion durch das Individuum.“137 4.3.Ehrbegriff und Geschlechterverhältnisse im Kontext von Familienstrukturen Im folgenden Abschnitt soll der Ehrbegriff im Kontext von Geschlechterverhältnissen beleuchtet werden, in differenzierter Weise nach unterschiedlichen Familienstrukturen, die sich bei jüngeren Untersuchungen des türkischstämmigen Psychotherapeuten und promovierten Psychologen Ilhami Atabay tendenziell herauskristallisieren und sich vor allem auf MigrantInnen der zweiten Generation beziehen. Trotz der Problematik von Klassifizierungen soll die nachfolgende Einteilung - als Resultat einer qualitativen Untersuchung in Bezug auf Tradition und Assimilation - die Abstrahierung einer Analyse erleichtern138 aber gleichzeitig vor voreiligen Schlussfolgerungen warnen. „Genau betrachtet hat jede Familie ihre eigene Kultur, Tradition und Umgang mit diesen Dingen“139, benennt der Studienautor die methodische Herausforderung. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass sich in der deutschsprachigen Literatur im Kontext von „Ehre“ die meisten Beispiele und Forschungsergebnisse auf die Türkei beziehen. Ilhami Atabay stellt tendenziell drei verschiedenen Familientypen fest, deren Bindungs- und Beziehungsmuster sich einerseits unterscheiden, andererseits aber auch durch fließende Übergänge gekennzeichnet sind:140 136 STRASSER, 2010, S. 71. Ebd., S. 72. 138 Vgl. ATABAY, Ilhami (2010): „Ich bin Sohn meiner Mutter“. Elterliches Bindungsverhalten und männliche Identitätsentwicklung in türkeistämmigen Familien. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Münchner Studien zur Kulturund Sozialpsychologie. Bd. 19. Freiburg. S. 129. 139 ATABAY, Ilhami (2011): Die Kinder der „Gastarbeiter“. Familienstrukturen türkeistämmiger MigrantInnen zweiter Generation. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie. Bd. 20. Freiburg. S. 58. 140 Vgl. Ebd., S. 129. Die Gruppe der „Assimilierten“ wird von Atabay in seiner Untersuchung auch erwähnt und nach seiner Einschätzung als kleinste Gruppe beschrieben. Kennzeichnet ist, dass alles, was mit der Herkunft zu tun hat, gemieden wird. 137 35 1. Religiös-traditionell orientierte Familien 2. Familien zwischen Moderne und Tradition 3. Moderne Familien/Paare 4.3.1. Religiös-traditionell orientierte Familien Die Orientierung an traditionellen „türkisch“-islamischen Vorschriften, Werten und Normen ist zentral. So ist „z. B. ein Zusammenleben von Paaren ohne Heirat fast nicht denkbar, die Ehe wird als etwas Selbstverständliches angesehen. In der traditionellen türkischen Erziehungsvorstellung wird die Zeit zwischen Kindheit und Ehe lediglich als Übergang zum Erwachsensein angenommen, die Jugendzeit also nicht als eigenständige Phase gesehen.“141 In diesen beschriebenen Familien ist die Vermittlung einer Heirat seitens der Eltern und/oder Verwandten üblich, hauptsächlich spielen ökonomische Gründe eine große Rolle sowie das Kriterium, dass die Braut aus einer „sauberen“ Familie kommt.142 „Die Gabe einer Tochter an einen anderen Haushalt gilt als der wichtigste und bedeutsamste Tauschakt im Dorf“ 143 und die Heirat wird als „gesellschaftlicher Akt“ betrachtet. 144 Das betroffene junge Paar kann keine eigenständige Meinung vertreten. Traditionell übernimmt der Mann in der Ehe die Rolle des Familienoberhauptes und des Ernährers145 sowie des Repräsentanten nach außen. Der als „schützenswert“ definierten Frau wird eine untergeordnete Rolle ohne Entscheidungs- und Mitspracherecht zugewiesen. „Der Islam verbietet das Arbeiten von Frauen nicht definitiv, aber die Arbeitsbedingungen im Kapitalismus passen nicht zur islamischen Konzeption, weil dort eine Zusammenkunft von Männern und Frauen verboten ist.“146 141 Ebd., S. 129. Vgl. ATABAY, 2010, S. 130. 143 SCHIFFAUER, S. 181. 144 Vgl. ATABAY, 2011, S. 59. 145 Nach islamischer Vorschrift ist der Mann seiner Frau gegenüber unterhaltspflichtig. Vgl. DENFFER, von Ahmad (1981): Die Rechte und Pflichten von Mann und Frau im Islam. Köln. 146 ATABAY, 2011, S. 82. 142 36 Bei sehr religiös orientierten Familien ist „das Verhalten der Frau ihrem Mann gegenüber durch Zurückhaltung und Respekt geprägt. Äußere Anzeichen einer partnerschaftlichen Ehe oder gar der gegenseitigen Zuneigung zu zeigen, ist ungewöhnlich. Das Gelingen einer Ehe wird nach alter Anschauung nicht so sehr an der Harmonie im Zusammenleben gemessen, sondern an der Arbeitsgemeinschaft und der Anzahl gesunder Kinder.“147 Zusätzlich prägt eine autoritäre „Frauenhierarchie“ in Form von rigider Kontrolle und größerer Arbeitsbelastung das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter,148 daneben übernimmt die Schwiegermutter auch die Ratgeberinnenfunktion hinsichtlich Pflegeund Erziehungsfragen und wird als Unterstützung und Bereicherung wahrgenommen. Oft wohnt man mit der Großfamilie auch zusammen in der Annahme, „dass die in relativ jungem Alter verheirateten Ehepartner die Reife für eine Ehe, die sie allein gestalten könnten, noch nicht erlangt hätten. Jung verheiratet werden sie, damit ihre sexuellen Impulse gestillt werden. Sie sollen dadurch offenbar vor dem `sündigen` Leben geschützt werden und gleichzeitig die islamischen Werte nicht in Frage stellen.“149 „Die Liebe zur Mutter [ist] ein höchst ehrbares Gefühl, einer anderen Frau aber in der Öffentlichkeit bzw. in Gegenwart der Eltern und Verwandten Gefühle zu zeigen, das wird geächtet.“150 Ilhami Atabay beschreibt dieses Phänomen als klare Festlegung der „Trennung von Liebe und Sexualität“ in der islamischen Kultur.151 Eine Loslösung von den Eltern passiert nicht und die (Schwieger)eltern treffen im Alltag die wichtigsten Entscheidungen. Der Sohn bleibt in der Rolle des Kindes. „Durch das behütende Verhalten der Eltern wird es ihnen unmöglich gemacht, zu lernen, Verantwortung für sich und die Familie zu tragen.“152 147 Vgl. FINGERLIN, Erika/MILDENBERG, Michael (1983): Ehen mit Muslimen. Frankfurt/Main, S. 18. Vgl. ATABAY, 2010, S. 130f. 149 ATABAY, 2011, S. 60. 150 Ebd., S. 79. 151 Vgl. Ebd. 152 Vgl. FINGERLIN, S. 18. 148 37 Die Frau ist für die Geburt sowie für die geschlechtsspezifische Erziehung der Kinder zuständig, weiters für die Haushaltsorganisation, für ein geborgenes Zuhause sowie für die sexuelle Befriedigung des Mannes. „Die Männer leben gerne in Anlehnung an die traditionellen türkisch-islamischen Vorstellungen, weil ihnen das Leben dadurch um einiges leichter gemacht wird. Zugleich zeigt sich jedoch, dass einige der festgestellten Phänomene nicht allein mit dem Hinweis auf die Tradition erklärt werden können“ 153 und „aufgrund vielfältiger Verunsicherungen bei Migrant[Inn]en dieses `Modell` der Herkunftsfamilie“ kopiert wird.154 Sehr ausgeprägt ist der Familiensinn155 und die Fürsorge für die Verwandtschaft, die auch finanzielle Unterstützung im Falle von Arbeitslosigkeit und Krankheit umfasst. „Für die Eltern und die unversorgten Geschwister trägt der älteste Sohn eine besondere Verantwortung.“156 Im Kontext von Migration bedeutet das für zugezogene Frauen (im Rahmen der Familienzusammenführung) eine mehrfache Abhängigkeit. Punkto Aufenthalt, Arbeitserlaubnis und somit eigenem Einkommen sind diese Frauen vom Ehemann abhängig, zusätzlich wird ihre Situation durch eine eingeschränkte Mobilität und die oft rigide Kontrolle der Schwiegereltern und dem Druck der eigenen Herkunftsfamilie, kein Scheitern der Ehe zu verursachen, erschwert.157 Das Thema Rückkehr bleibt somit ein Wunsch, um die Situation erträglicher zu machen. Ehefrauen, die die Rolle des Familienoberhauptes aufgrund ihrer Sozialisation in Westeuropa übernehmen und deren Männer aus der Türkei nachkommen, sind in traditionellen Familien oft vor unlösbaren Konflikten gestellt, die nur durch Trennung oder Scheidung ausgeräumt werden können158, da ihre Ehemänner gegenüber Lösungsmöglichkeiten nicht aufgeschlossen sind und manchmal auf Alkohol oder Gewalt zurückgreifen.159 153 ATABAY, 2010, S. 131. Vgl. ATABAY, 2011, S. 82. 155 Z. B. Unangemeldete Besuche der Verwandtschaft, auch über längere Zeit, sind selbstverständlich. 156 FINGERLIN, S. 18. 157 ATABAY, 2010, S. 132. 158 Ebd., S. 131. 159 Vgl. ATABAY, 2011, S. 130. 154 38 4.3.2. Familien zwischen Moderne und Tradition Bei vielen dieser Familien sind „Werte und Normen wie Ehre, Würde, Ansehen und Jungfräulichkeit u.a.m. trotz kritischen Einstellungen diesen Wertvorstellungen gegenüber immer noch sehr wichtig“160, konstatiert Ilhami Atabay und beruft sich auf seine Erfahrung als Familientherapeut. „Die Grenzen zwischen traditionellen und modernen Lebens- und Handlungsweisen sind oft nur schwer zu ziehen, zumal der Begriff `modern` geschichtlich gesehen von einer westlichen Wertevorstellung, von Individualismus, Laizismus und Gleichberechtigung als Ergebnis von Aufklärung und pluralistischer Demokratie geprägt ist.“161 Im Hinblick auf die Eheschließung wird vorwiegend der traditionelle Weg gewählt, um Nachteile für die Frau in Form eines Beziehungsverzichtes zur Herkunftsfamilie zu vermeiden. „Erst vom Zeitpunkt der Heirat an gelten Erwachsene als voll anerkannte Personen; Männer erwerben sich mit der Heirat den Status der Ehre“ 162 und der Geschlechtsverkehr wird legitimiert 163 . Ein zentraler Unterschied der „Paare zwischen Moderne und Tradition“ zu den „religiös-traditionell orientierten Familien“ ist die Thematik der „romantischen Liebe“, es kommt zu einer höheren Zahl an Liebesheiraten, häufig auch gegen den Willen der Eltern. „Auffallend bei dieser Gruppe ist, dass keiner der Ehepartner zwecks Heirat aus der Türkei nachgeholt wurde“164, der Lebensmittelpunkt wird also nicht verändert. Das Zusammenleben „ohne Trauschein“ oder die Zeit der Bekanntschaft ist nur in geheim gehaltenen Beziehungen möglich und kann bei Bekanntwerden zum Ausschluss aus der Familie bzw. zum Abbruch der familiären Kontakte führen, im äußersten Fall zur Gefährdung des Lebens.165 Gerade im Kontext von Migration kommt aber der Familie eine wesentliche Bedeutung zu, die Inanspruchnahme von Beratungsstellen wird oft nur als letzter Ausweg gesehen. 160 ATABAY, 2011, S. 173. Ebd., S. 174. 162 ATABAY, 2011, S. 136. 163 Während der Verlobungszeit ist der Geschlechtsverkehr bereits erlaubt, eine Schwangerschaft hat aber eine rasche Hochzeit zur Folge. 164 ATABAY, 2011, S. 173. 165 Vgl. ATABAY, 2011, S. 138. 161 39 Interessant ist, dass es wiederum Geschlechterunterschiede gibt: Frauen „sehen in der Eheschließung fast so etwas wie eine `Erlösung` von den traditionellen und elterlichen Verboten und Zwängen. Sie erhoffen und erwarten vieles von der Ehe; sie glauben mit dem Ehemann Dinge zu erleben und Erfahrungen zu machen, die ihnen im Elternhaus verwehrt blieben“166. Ilhami Atabay charakterisiert „die Ehe als `Fluchtort`, als `Ort der Freiheit` vor der väterlichen, männlichen Dominanz und Autorität“ obwohl es tatsächlich einen Wechsel zur ehemännlichen Dominanz bedeutet und ein Scheitern der Ehe als Schuld der Frau verstanden wird, verbunden mit Nachteilen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres Ansehens.167 Das Einverständnis zur Eheschließung wird als positives Resultat von Nachforschungen über die Familiensituation und Religionszugehörigkeit seitens der Eltern gegeben, für die das Miterleben der Hochzeit der Kinder äußerst wichtig ist. Der Wunsch der Eltern wird respektiert, daneben ist für Frauen die „Furcht vor Diskriminierung oder Verleumdung“168 mit dem Übertritt in den Ehestand nicht mehr gegeben. „Die Rollenaufteilung ist geprägt durch traditionelle Vorstellungen einerseits und durch ein pragmatisches Durchbrechen dieser Vorstellungen andererseits.“169 Der Wunsch nach Freiheit, z. B. im Sinne von sportlichen und kulturellen Aktivitäten, kann in der Realität oft nicht gelebt werden, da das Familienleben der sogenannten zweiten Generation – vergleichbar mit der Elterngeneration – sich zwischen Arbeitswelt, Familie und Freundeskreis abspielt und einer starken sozialen Kontrolle unterliegt.170 Durch die „Zwickmühle der Tradition“ wird das Lebensschicksal weiterhin durch die Kategorie Geschlecht determiniert. 171 „Neben der Keuschheit der Braut wird auch großer Wert auf ihre mitgebrachten Fertigkeiten gelegt“172, so wird das traditionelle Rollenbild der 166 Ebd., S. 137. Vgl. ATABAY, 2011. S. 174. 168 Vgl. Ebd., S. 141. 169 ATABAY, 2011, S. 174. 170 Bei Paaren ohne enge Familienbindung ist der Alltag deutlich anders und gemeinsame Unternehmungen haben einen anderen Stellenwert. 171 Vgl. ATABAY, 2011, S. 148. 172 Ebd. 167 40 Mutter und Hausfrau fortgeschrieben, traditionelle Wertvorstellungen sind internalisiert. 173 Daneben sind für Frauen eine lebenslange Berufstätigkeit - nur unterbrochen durch Kinderbetreuungspflichten - und berufliche Entfaltungsmöglichkeiten identitätsstiftend und bedeuten eine Unabhängigkeit von ihren Ehemännern sowie das Durchbrechen der „traditionell-islamischen Vorstellungen“174, obwohl die Frauen die Mehrfachbelastung tragen müssen. Zwischen Moderne und Tradition nehmen Männer „die traditionellen Vorstellungen in Anspruch, weil die ihnen als Mann mehr Freiräume und Möglichkeiten und darüber hinaus viele Vorteile bieten“175, berichtet Ilhami Atabay aus seiner Beratungspraxis. Daneben kann – der Tradition entsprechend – die Solidarisierung des Sohnes mit der eigenen Mutter aufgrund des Gehorsames und Respektes sowie die verpflichtende Unterstützung im Alter zu Konflikten in der Kernfamilie führen. Bezüglich Sexualität und Moralvorstellungen kommt es auch zu einem weiteren Konflikt zwischen Moderne und Tradition. Obwohl es den Wunsch nach mehr Freizügigkeit gibt, bleiben viele den traditionellen Wertvorstellungen und Normen treu, zeigt die Befragung von Ilhami Atabay. 176 Die traditionelle Widersprüchlichkeit wird deutlich, weil Sexualität „einerseits tabuisiert und verdrängt wird, andererseits sollen die Mädchen in der Hochzeitsnacht ihre Sexualität zur Schau stellen.“177 Auffallend ist bei den Familien dieser Kategorie, „dass sie sich mit der Zahl der gewünschten Kinder an die hiesigen Lebensverhältnisse anpassen“178 und auch die „Tendenz, Kinder erst nach zwei oder drei Ehejahren zu bekommen“ 179 , deutlich zunimmt, aufgrund der Lebensqualität, der Anforderungen an die Elternschaft sowie der sozialen und wirtschaftlichen Situation. Herausfordernd bleibt die Frage nach der kulturellen Identität der Kinder im Kontext der Wertvorstellungen, die in den Institutionen (z. B. Kindergarten und Schule) der Aufnahmegesellschaft vermittelt werden. 173 Vgl. Ebd., S. 174. Vgl. ATABAY, 2011, S. 151. 175 ATABAY, 2011, S. 148. 176 Vgl. Ebd., S. 160. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 163. 179 Ebd., S. 164. 174 41 Bemerkenswert ist, dass eine Rückkehr ins Herkunftsland der Großfamilie von den befragten Frauen dieser Familiengruppe abgelehnt wird, da sie eine rechtliche Schlechterstellung und die Rückkehr in eine traditionelle Frauenrolle befürchten.180 4.3.3. Moderne Familien Die Ehe als gesellschaftlich akzeptierte Institution ist nicht die einzige Option des Zusammenlebens in dieser Familiengruppe, in deren Mittelpunkt die sogenannte romantische Liebe steht. Die Paare distanzieren sich von den traditionellen Normen bzw. befinden sich in einem „Prozess der Auseinandersetzung mit Wert- und Normvorstellungen ihrer Herkunftskultur“ 181 , auch bezüglich der Geschlechterrollen. Als Folge des Individualisierungsprozesses greifen diese Menschen nicht auf die Vorgaben ihrer Herkunftsfamilie zurück, sondern handeln miteinander aus, wie eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Beziehung gelebt werden kann. In Abgrenzung zu den gelebten Geschlechterrollen der Elterngeneration „wächst der individuell abzuarbeitende Handlungsbedarf, es werden Abstimmungs-, Koordinations- und Integrationsleistungen nötig.“182 Dazu kommt auch eine wandelnde Einstellung zur Sexualität, welche nicht mehr als Tabuthema behandelt wird. „Tendenziell lösen sich die Frauen durch die Veränderungen in Ausbildung, Beruf, Familienzyklus und Gesetzgebung von der Familienbindung. Sie erwarten immer weniger Versorgung durch die Männer und entwickeln zunehmend eigene Erwartungen, Wünsche und Lebenspläne.“183 Auch die Männer „schließen sich dem Trend der gesellschaftlichen Entwicklung an.“184 Für moderne Familien ist auch die Familienplanung ein Faktor, um auf die sozialen und beruflichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Auffallend ist, dass die zweite Generation stärker an Erziehungsfragen interessiert ist und auch diesbezügliche Beratungen in Anspruch nimmt, um die Kinder auf die Gesellschaft und Zukunft im Aufnahmeland vor zu bereiten. 180 Ebd., S. 170. Ebd., S. 183. 182 BECK-GERNSHEIM, Elisabeth (1994): Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne. In: KEUPP, Heiner (Hrsg.): Zugänge zum Subjekt. Frankfurt/Main, S. 138 183 ATABAY, 2011, S. 195. 184 Ebd. 181 42 Trotz all der genannten Veränderungen im Familienbild von MigrantInnen resultieren aus diesem Tabubruch auch Spannungen, resümiert Ilhami Atabay, „weil sie weder in der Gesellschaft, aus der sie kommen, noch, in der sie leben, ganz zu Hause sind. Aus der Sicht der Herkunftskultur sind sie diejenigen, die das Boot verlassen, die kulturelle Grenzen und Vorgaben sprengen. Aus der Sicht der Aufnahmekultur sind sie jedoch immer noch die `Türken`.“185 In der Praxis zeigt sich hinsichtlich der Eheschließung, „dass diese Form des Zusammenlebens nicht einfach auf eigener Entscheidung beruht, sondern sich an den traditionellen Normen orientiert.“186 185 186 Ebd., S. 201. Ebd., S. 202. 43 4.4.Exkurs: Verbrechen im Namen der Ehre (Ehrenmord) „Gewalt im Namen der Ehre umfasst nicht nur Tötungsdelikte, sondern auch unterschiedliche Formen physischer und psychischer Gewalt an Mädchen und Frauen: Zur physischen Gewalt gehören die Unterdrückung, Bedrohung und Erpressung im Namen der Ehre. Zur physischen Gewalt sind neben Misshandlung, Folter und Mord auch Verstoßung und Zwangsheirat zu zählen“187, wird in eine Studie über „Ehrenmord“ von Terre des Femmes erläutert. „Obwohl Ehrverbrechen seit langem existieren, ist die Öffentlichkeit erst seit relativ kurzer Zeit darauf aufmerksam geworden: Seit den 1990er Jahren werden Ehrverbrechen in Berichten und Resolutionen der UN regelmäßig erwähnt und verurteilt.188 Die Berichterstatter drücken dabei ihre große Besorgnis aus, dass diese Verbrechen in mindestens 14 Ländern weltweit geschehen und in einigen Ländern sogar gesetzlich legitimiert sind, obwohl das jeweilige Land verschiedenste Menschenrechtsabkommen unterschrieben hat. Daher wird an die betroffenen Regierungen appelliert, alles in ihrer Macht Stehende gegen Ehrverbrechen zu unternehmen.“189 Laut der erwähnten UN-Resolution beschränkt sich das Phänomen nicht ausschließlich auf die islamische Welt, folgende Länder werden aufgezählt: Pakistan, Jordanien, Afghanistan, Irak, Libanon, Israel/Palästina, Türkei sowie Brasilien, Ecuador und Indien. „In Europa geschehen diese Verbrechen innerhalb von Migrantenfamilien.190 „In der Türkei sind nach Regierungsangaben in den vergangenen sechs Jahren etwa 1800 Frauen im Namen der Ehre ermordet worden - das heißt fast jeden Tag eine. Die UNO schätzt die Zahl der Ehrenmorde jährlich weltweit auf etwa 5000. Die höchste Ehrenmordrate hat Pakistan.“191 187 TERRE DES FEMMES (2005): Studie: Ehrenmord. Erstellt von Myria Böhmecke im Auftrag von Feleknas Uca, Mitglied des Europäischen Parlaments. Tübingen, S. 6. 188 Z. B. UN GENERAL ASSEMBLY (2002): Working towards the elimination of crimes against women committed in the name of honour. UN Doc: A/57/169 vom 2. 7. 2002., S. 8. Online im Internet: URL: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N02/467/90/PDF/N0246790.pdf?OpenElement [Stand 2013 – 01 – 27]. 189 TERRE DES FEMMES, Ehrenmord, S. 3. 190 Ebd., S. 7. 191 HANS, Barbara: „Ehrenmord“ in Hamburg: Das lange Leiden der Morsal Obeidi. In: Spiegel Online vom 29.5.2008. Online im Internet: URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/ehrenmord-in-hamburg-das-langeleiden-der-morsal-obeidi-a-556404.html [Stand 2013 - 01 – 27]. 44 Verstöße gegen die sogenannte Familienehre „werden mit physischer und psychischer Gewalt bis hin zum `Ehrenmord` bestraft.“192 „Sowohl Männer als auch Frauen stehen im Zusammenhang mit Ehrverbrechen unter enormem gesellschaftlichen Druck. Wird der Mann seiner Aufpasser- und Schutzfunktion nicht gerecht, oder führt er seine Pflicht zur Verteidigung oder Wiederherstellung der Familienehre nicht aus, gilt er als unmännlich und wird von der Gesellschaft als nutzlos ausgestoßen. […] Frauen sind oftmals in der Tatvorbereitung beteiligt“ 193, oft steht der gesamte `Familienrat` hinter dem Beschluss, die Ausführenden sind aber die Männer194, wird in der Studie über „Ehrenmord“ von „Terre des Femmes“ erläutert. Der Begriff „Ehrenmord“ wird von internationalen Gremien und Fachleuten kontrovers diskutiert, da kein Mord „ehrenvoll“ sein kann, alternative Bezeichnungen setzen sich aber nicht durch.195 Auch wenn Ähnlichkeiten zu „Beziehungstaten“ in der Motivlage bestehen, wie verletzte „Ehre“ und Männlichkeit, so gibt es einen großen Unterschied im Blick auf die TäterInnen: Beziehungstaten werden fast ausschließlich von (Ex)-Männern verübt, Verbrechen „im Namen der Ehre“ hingegen von (männlichen) Verwandten, wie Vätern, Onkeln, Cousins und Brüdern. Somit ist das Bedrohungsszenario unterschiedlich und die Betroffenen finden kaum Unterstützung in der eigenen Community. 196 Auch wenn die bedrohte Frau rechtzeitig aus 192 Ebd., S. 4. Ebd., S. 5. 194 Laut der Studie von „Terres des Femmes“ können, zwar selten, auch Männer Opfer von Verbrechen „im Namen der Ehre“ sein, wenn sie z. B. ein außereheliches Verhältnis haben. Als Konsequenz der Ermordung eines Mannes kann dieser Mord durch einen Mord an einem Familienmitglied des Mörders gerächt werden. Eine Abgrenzung zur sogenannten „Blutrache“ (Mord aus der Sippe des Mörders im Sinne von Vergeltung) ist notwendig. 195 TERRE DES FEMMES (20112): Im Namen der Ehre. zwangsverheiratet, mißhandelt, ermordet. Hilfsleitfaden für die Arbeit mit von Zwangsheirat/Gewalt im Namen der Ehre bedrohten oder betroffenen Mädchen und Frauen. Erstellt von BÖHMECKE, Myria/ MICHELL, Monika/ WALZ-HILDENBRAND, Marina. Berlin, S. 7. Online im Internet: URL: http://frauenrechte.de/online/images/downloads/ehrgewalt/Hilfsleitfaden.pdf [Stand 2013 - 02 – 02]. 196 Vgl. Homepage „Ehrenmord“. Die Münchener Verlagsgruppe Random House betreibt eine eigene Homepage zur Dokumentation der Ehrenmorde, die in Deutschland bekannt geworden sind. Die Informationen stammen aus den Medien, aus Gerichtsurteilen oder persönlichen Hinweisen. Der erste dokumentierte Fall stammt aus dem Jahr 1981. Online im Internet: URL: http://www.ehrenmord.de/ [Stand 2013 – 01 – 27]. 193 45 dem Familienverband flieht und der „Sanktion“ entkommt, besteht weiterhin das ganze Leben die Gefahr, umgebracht zu werden.197 „Ein weiterer Unterschied zwischen einem Ehrenmord und einer Beziehungstat liegt im Unrechtsbewusstsein: Ein Ehrenmörder ist sich in der Regel keiner (moralischen) Schuld bewusst. Im Gegenteil: Er hat etwas in seinen Augen sehr wertvolles getan.“198 In manchen Fällen werden minderjährige Verwandte zur Straftat angestiftet, da das Alter als strafmildernd berücksichtigt wird. Das Umfeld teilt diese Meinung und zeigt keine Kooperationsbereitschaft mit Polizei und Justiz, was die Aufklärung der Tat noch schwerer macht. Eine Zeugenaussage durch ein Mitglied der Familie würde auch diese Person in Gefahr bringen. So werden die „meisten Ehrenmorde niemals bekannt, weil sie als Unfall oder Selbstmord getarnt werden.“199 „Ehrenmorde werden auf unterschiedlichste Art und Weise begangen, wobei die Tötungsart regional variieren kann. Die Frau oder das Mädchen kann z. B. durch Erschießen, Erwürgen oder Erstechen zu Tode kommen. Eine andere Form der Ermordung ist die Steinigung.“200 In Bangladesch und Pakistan werden Säureattentate zur Wiederherstellung der Familienehre oder aufgrund gekränkter Ehre von abgewiesenen Verehrern begangen, dabei wird ätzende Säure über Kopf und Körper der Frau gegossen. Sofern sie diese Attacke überlebt, bleibt sie gesellschaftlich als „unreine Frau“ stigmatisiert.201 Aus Indien sind „Mitgiftmorde“ bekannt, die auch zu Verbrechen „im Namen der Ehre“ gezählt werden. Den offenen finanziellen Forderungen der Schwiegerfamilie kann oft nach einer Hochzeit nicht nachgekommen werden, gleichzeitig wäre eine Rückkehr der Tochter in die Herkunftsfamilie eine Ehrverletzung, ein Mord aus Rache wird deshalb toleriert. 202 In der Praxis darf nicht automatisch wegen der ethnischen Zugehörigkeit des Mörders von einem „Ehrenmord“ ausgegangen werden, da die Grenzen zu Beziehungstaten aus Leidenschaft oder Eifersucht oft fließend sind. 197 Vgl. TERRE DES FEMMES, Ehrenmord, S. 10. Vgl. Homepage „Ehrenmord“. 199 Ebd. 200 Die Steinigung wird nicht nur von Seiten der Familie durchgeführt, sondern kann auch von staatlichen Gerichten angeordnet werden. Vgl. KRÖHN, Silvana (2004): „Der Kampf gegen Steinigung“. Steinigung im Iran. In: TERRE DES FEMMES (2004): Tatmotiv Ehre. Tübingen, S. 55ff. 201 Vgl. TERRE DES FEMMES, Ehrenmord, S. 6f. 202 Ebd., S. 7. 198 46 In Österreich werden „Ehrenmorde“ statistisch nicht erhoben, „die Zahl dürfte vergleichsweise gering sein.“203 In der „High-Risk Victims Studie“204 über Tötungsdelikte in Beziehungen aus dem Jahr 2012 wird ein Fall angesprochen, „bei dem es sich aus Sicht des Gerichtes möglicherweise um einen versuchten Ehrenmord handelte.“ 205 In der österreichischen Rechtssprechung wird verneint, „dass ein anderer kultureller Hintergrund für die Festlegung `der allgemeinen Begreiflichkeit` eines Affektes zu berücksichtigen ist. Aufgrund dessen wird `die Einordnung eines Ehrenmordes als Totschlag206 in Österreich für unzulässig angesehen.“207 „Das österreichische Strafrecht tut sich bei der Einbeziehung von Bestimmungstätern (`Anstiftern`) und Beitragstätern (Beihilfe Leistenden) im Vergleich zum Strafrecht anderer europäischer Staaten etwas leichter, da es die Straftat in ihrer Gesamtheit in den Blick nimmt.“208 Trotz der Dramatik dieser Gewaltform im Einzelfall muss festgehalten werden, dass im Blick auf Europa „im Vergleich zur Gesamtzahl im Bereich von Tötungsdelikten“ 209 sogenannte Ehrenmorde nur einen geringen Anteil ausmachen. „Ob Gewalt, Mord oder erzwungener Selbstmord im sozialen Nahraum auf moderner Eifersucht oder auf traditionellen Normen basiert, ändert nichts an den Folgen für die Opfer dieser Variationen von männlicher Ehre [...], die von der Gesellschaft und ihren Institutionen nicht ausreichend geschützt werden.“210 203 HEINE, Susanne/LOHLKER, Rüdiger/POTZ, Richard (2012): Muslime in Österreich. Geschichte/Lebenswelt/Religion. Grundlagen für den Dialog. Innsbruck, S. 152. 204 BUNDESMINISTERIUM FÜR FRAUEN UND ÖFFENTLICHEN DIESNT IM BUNDESKANZLERAMT (2012): High-Risk Victims. Tötungsdelikte in Beziehungen. Verurteilungen 2008 – 2010. Verfasst von Birgit Haller, Institut für Konfliktforschung. Wien, S. 10. Online im Internet: URL: http://www.frauen.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=46530 [Stand 2013 – 02 – 02]. 205 Ebd. 206 Nach dem österreichischen Strafgesetzbuch (§ 76) wird ein Tötungsdelikt aufgrund einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung als Totschlag bezeichnet, im Vergleich zum vorsätzlichen Mord. 207 ZEHETGRUBER, Christoph (2007): Der Ehrenmord in Österreich, Deutschland und der Türkei , Strafrechtliche Fragen eines gesellschaftlichen Phänomens. In: KRIEGER Heike (Hrsg.): Berliner OnlineBeiträge zum Völker- und Verfassungsrecht Nr. 6/2007, S. 30 – 35. 208 HEINE, S. 154. 209 Ebd., S. 154. 210 STRASSER, Sabine/TUNCER, Irem/SUNGUR, Altan (2010): Ehe und Ehre im Wandel: Arrangement und Zwang in der Türkei. In: Strasser, Sabine/Holzleithner (Hrsg.): Multikulturalismus queer gelesen. Zwangsheirat und gleichgeschlechtliche Ehe im pluralen Gesellschaften. Politik der Geschlechterverhältnisse. Bd. 41. Frankfurt/New York, S. 216. 47 5. „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“ IM KONTEXT VON PARTNER/INNEN/WAHL , EHESCHLIESSUNG, TRENNUNG UND SCHEIDUNG 5.1.Aspekte der PartnerInnenwahl Im Rahmen der Studie „Verschieden – Gleich - Anders?“211 aus dem Jahr 2010, wurden auch die Aspekte der PartnerInnenwahl bei Menschen mit Migrationshintergrund abgefragt, „insgesamt erleben sich die jüngeren Befragten in der Partnerwahl als selbstbestimmt.“212 „Gemeinsam ist den Befragten der Wunsch nach Vertrauen, Liebe, Zuwendung, Treue und Verständnis in einer Paarbeziehung. Zudem zeigt sich ein verbreiteter Wunsch der Jüngeren, mit der Partnerin/dem Partner möglichst viele Gemeinsamkeiten zu haben. Für die meisten Befragten (in allen Herkunftsgruppen) ist Bildung ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl – meistens wünscht man sich bei dem Partner/der Partnerin eine gute Bildung, häufig ein vergleichbares (überwiegend hohes) Bildungsniveau.“213 Nur eine kleine Gruppe von jungen Befragten, die sich als Vertreter eines konservativen oder nur bedingt egalitären Geschlechterarrangements sehen, erachtet den Bildungsgrad in der Partnerwahl als nachrangig. Erfahrungen aus dem Familien- und Freundeskreis fließen auch bei der PartnerInnenwahl mit ein, die eigene Bildungsbiografie steht wiederum in engem Zusammenhang mit dem Heiratsalter. Laut der Studie von Gaby Straßburger ist auch anzunehmen, „dass Personen mit zunehmender Berufserfahrung oder mit Studienabschluss eher elternunabhängige Entscheidungen treffen.“214 211 FARROKHZAD, Scharzad/OTTERSBACH, Marus/ TUNC, Michael/ MEUER-WILLUWEIT, Anne (2010): Verschieden – Gleich – Anders? Geschlechterarrangements im integrativen und interkulturellen Vergleich. Wiesbaden. 212 Ebd., S. 229. 213 Ebd. Die Gruppe der Befragten türkischer Herkunft fällt besonders durch ihre Betonung der Bedeutung von Bildung des Partners/der Partnerin auf. Gründe für die insgesamt hohe Bedeutung von Bildung sind (neben der Hoffnung auf materielle Sicherheit) u.a. die Hoffnung auf eine gleiche `Wellenlänge`, eine reibungslose Kommunikation, Konfliktvermeidung und eine gemeinsame Erfahrungswelt. 214 STRASSBURGER, Gaby (2003): Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext: Eheschließungen der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: BUSCH, Friedrich W./NAUCK, Bernhard/NAVE-HERZ, Rosemarie (Hrsg.): Familie und Gesellschaft. Bd. 10. Würzburg, S. 173. 48 5.1.1. Unterschiedliche Formen und Einflussfaktoren der Eheschließung Mangels österreichischer Untersuchungen bezieht sich die Autorin auch in diesem Abschnitt wieder auf Studien, die in Deutschland, groß teils mit Angehörigen der zweiten und dritten Generation türkischer Herkunft, durchgeführt wurden. In der Familien- und Migrationsforschung wird zwischen Ehen unterschieden „in denen die Ehepartner gleicher Staatsangehörigkeit sind oder nicht, also zwischen nationalitätsinternen oder nationalitätsexternen bzw. binationalen Ehen. Des Weiteren wird zwischen der Herkunft der Ehepartner differenziert“215, zwischen herkunftsendogamer oder interethnischer und herkunftsexogamer oder innerethnischer Ehe. Ina Jeske geht in ihrem Buch „verliebt – verlobt – verkauft?“216 der Forschungsfrage nach, welche Einflussfaktoren in Hinblick auf die EhepartnerInnenwahl im Migrationskontext vorhanden sind. „Neben der […] rechtlichen und politischen Lage sind auch soziale und kulturelle Motive für die Partnerwahl ausschlaggebend. Sowohl die individuelle als auch die familiäre Biografie sind in dieser Hinsicht von großer Bedeutung, da diese Faktoren sich wiederum auf die sozialen Netzwerke auswirken. Insbesondere auch die individuellen Erwartungen der jeweiligen Heiratskandidaten beeinflussen die Partnerwahl. Dabei ist auch zu beachten, dass diese Einflussfaktoren je nach Geschlecht unterschiedliche Gewichtungen haben können.“217 5.1.1.1.Einflussfaktor Familiäre Biografie Ein großer Einflussfaktor ist die Eingliederung der Eltern in die neue Aufnahmegesellschaft, damit im Zusammenhang stehen auch die Kontaktpflege und die sozialen Netzwerke der nächsten Generation. Wenn der Plan einer Rückwanderung ins Herkunftsland präsent ist, wirkt sich diese Tatsache auf die Qualität der Beziehungspflege mit Verwandten und Bekannten in der früheren Heimat aus und könnte eine transnationale Eheschließung beeinflussen. 215 JESKE, Ina (2009): verliebt – verlobt – verkauft? Formen der Eheschließung von Frauen türkischer Herkunft in Deutschland. Marburg, S. 63.: „In der Regel überschneiden sich interethnische und binationale Ehen“, so z. B. wenn trotz anderer Staatsbürgerschaft (aufgrund einer Einbürgerung) die eigentliche Herkunft gleich ist. 216 Ebd., S. 63. 217 Ebd., S. 64. 49 „Denn je nachdem, ob eine Migrantenfamilie eine Frau `gibt` oder `nimmt`, können transnationale Ehen bestehende Verpflichtungen gegenüber der Herkunftsfamilie erfüllen oder aber neue Verpflichtungen erzeugen, die bei späteren Eheschließungen aktuell werden.“218 5.1.1.2.Einflussfaktor Individuelle Biografie Zentral sind die Faktoren Geburtsort und Kontext der Kindheit sowie die institutionalisierte Sozialisation durch Kindergarten- und Schulbesuch. Diese Faktoren haben neben den Auswirkungen auf die Sprachkenntnisse auch eine Auswirkung auf das Nähe/DistanzVerhältnis zur Mehrheitsbevölkerung und haben in weitere Folge Einfluss darauf, „ob und in welchem Maße sich der- oder diejenige persönlich für das Wohlergehen der Herkunftsgruppe verantwortlich fühlt oder sich eine Aufrechterhaltung dieser Kontakte wünscht und deshalb eine transnationale Ehe eingeht oder nicht.“219 5.1.1.3.Einflussfaktor Soziale Netzwerke Soziale Netzwerke bestimmen den Möglichkeitsgrad mit, potentiellen EhepartnerInnen zu begegnen. Der jeweilige Aktionsradius ist abhängig von der familiären und individuellen Biografie, konkret ob man nur zur ethnischen Gruppe Kontakte pflegt oder auch in der Aufnahmegesellschaft integriert ist und unterschiedliche Bekanntenkreise durch Ausbildung oder Berufsausübung pflegen kann. Gaby Straßburger erläutert in diesem Zusammenhang die Unterschiedlichkeit von Moralvorstellungen: „Oft führt auch eine unterschiedliche Auffassung über voreheliche intime Beziehungen zwischen Mehrheitsbevölkerung und türkischstämmiger Bevölkerung dazu, dass insbesondere bei Mädchen, aber auch bei Jungen türkischer Herkunft, der eigenethnische Freundeskreis an Bedeutung gewinnt, und sich langfristig der Zugang zu potentiellen interethnischen Partnern reduziert.“220 218 STRASSBURGER, S. 170. JESKE, S. 65. 220 STRASSBURGER, S. 171 ff. 219 50 5.1.2. EXKURS: Europäische Heiratsmuster Aus Sicht des österreichischen Wirtschafts- und Sozialhistorikers Michael Mitterauer „stellt der Kontinent Europa keine Einheit dar“ 221 , als „entscheidender Bezugsrahmen spezifisch europäischer Familienformen“ ist aber jener Sozialraum zu verstehen, „der bis ins Spätmittelalter von der römischen Kirche erfasst und von in ihr entwickelten charakteristischen Sozialformen geprägt wurde.“222 „Die im Mittelalter ausgebildete Grenze zwischen West- und Ostkirche erscheint aus sozialgeschichtlicher Sicht als die wichtigste Strukturgrenze Europas.“223 Dem 2008 in London verstorbenen Statistiker John Hajnal gelang es, im Zuge der Auswertung von demografischen Daten, bereits im Jahr 1965 unterschiedliche Heiratsmuster in europäischen Großräumen festzustellen, die nach ihm benannt auch als „Hajnal line“ bezeichnet wird: „Westlich einer Linie, die er grob nach den Endpunkten St. Petersburg und Triest bestimmte, fand er ein im interkulturellen Vergleich einmalig hohes Heiratsalter junger Männer und vor aller auch junger Frauen sowie ungewöhnlich hohe Anteile an Ledigen in der Bevölkerung. Östlich dieser Linie lagen Heiratsalter und Ledigenquoten bedeutend niedriger und entsprachen viel eher demografischen Gegebenheiten in außereuropäischen Regionen.“224 Michael Mitterauer betont auch, dass die erwähnte „Hajnal line“ in etwa jener Grenze entspricht, „bis zu der durch die mittelalterliche Ostkolonisation im Westen entwickelte Modelle der Agrarverfassung verbreitet wurden.“225 221 MITTERAUER, Michael (1997): „Das moderne Kind hat zwei Kinderzimmer und acht Großeltern“ – Die Entwicklung in Europa. In: MITTERAUER, Michael/ORTMAYER Norbert (Hrsg.): Familie im 20. Jahrhundert. Traditionen, Probleme, Perspektiven. (= Historische Sozialkunde, Bd. 9), Wien, S. 13. 222 Vgl. Ebd., S. 13. 223 Ebd., S. 13. 224 Zitiert nach MITTERAUER, S. 13. 225 Ebd., S. 13. 51 5.1.2.1. European marriage pattern Abb. 3: Europäische Heiratsmuster226 Westeuropa Süd- und Osteuropa Hauptkennzeichen Hauptkennzeichen Dominanz der auf Eltern und Kinder beschränkten Kernfamilie. Die Verwandtschaft wird durch Abstammung in männlicher Linie von einem gemeinsamen Ahnherren gedacht. Spätes Heiratsalter der Männer und Frauen, wodurch sich ein großer Generationenabstand ergab. Der geringe Altersabstand zwischen den Ehegatten bedingt die Tendenz zu mehr Partnerschaft. Die Ahnenzentrierung 227 kann nur durch frühe Heirat und Ausschöpfung der Fruchtbarkeit der Frauen gesichert werden. Prinzipien Prinzipien Neolokalität: Die Gründung eines eigenen Haushaltes bei der Heirat war der Regelfall. Patrilokalität: Patrilinearer Familienaufbau in Form der Orientierung an der väterlichen Linie. 228 Senioritätsprinzip: Die Autorität liegt beim ältesten Mann. Verwandtschaftssystem Verwandtschaftssystem Zentral ist ein bilineares Verwandtschaftssystem mit väterlicher und mütterlicher Linie. Unterscheidung zwischen den Geschwistern des Vaters und der Mutter. Fehlende Gleichstellung zwischen Bluts- und Heiratsverwandten. Orientierung Orientierung Gattenbeziehung: Die Hochbewertung der Gattenbeziehung war durch die Kirche beeinflusst. 229 Weiters gab es die Möglichkeit der Zweitheirat von Ver-witweten und damit verbunden das Zusammenleben von Geschwistern aus unterschiedlichen Ehen. Familienkontinuität: Die Familienkontinuität wurde auch durch die Adoption von Söhnen fortgesetzt.230 226 Diese Abbildung basiert auf Forschungsergebnisse von Michael Mitterauer. Vgl. MITTERAUER, Michael (2009): Europäische Familienformen im interkulturellen Vergleich. In: Verein für Geschichte und Sozialkunde (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie. Kulturvergleich und Entwicklungsperspektiven. (= Basistexte Wirtschaftsund Sozialgeschiche, Bd.1), Wien, S. 14ff. 227 Die Familie fungiert auch als Kultgemeinschaft. Später wurde die Ahnenzentrierung durch das Christentum zurück gedrängt. 228 Nur im Mannestamm miteinander verwandte Männer mit ihren Frauen und Kindern leben zusammen. Der Zusammenhalt der in der Vaterslinie miteinander verwandten Männer über die engere Haushaltsgemeinschaft hinaus geht bis zur sogenannten Klanverfassungen (z. B. Albanien, Montenegro), männerrechtlichen Sozialordnungen und der Praxis der Blutrache. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 16f. 229 Z. B. Ehesakrament und Konsensehe. 230 Das Levirat als kultische Verpflichtung, dem söhnelos verstorbenen Bruder durch Heirat der Witwe Nachkommen zu zeugen, gab es nur vereinzelt, z. B. in Rückzugsgebieten des Karpaten- bzw. Balkanraums mit ausgeprägtem Geblütsdenken sowie im Kaukasus. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 16f. 52 Westeuropa Süd- und Osteuropa Weitere Spezifika Weitere Spezifika Zur Familie gehörte auch das nicht mit dem Ehepaar blutsverwandte Gesinde. Der Gesindedienst wird als altersspezifische Durchgangsphase gesehen und diese ausgeprägte Die Virginität der Töchter erscheint „vor allem im Mittelmeerraum als ein zentrales Element der Familienehre“, verbunden mit scharfen „Sanktionen gegen voreheliche Sexualverbindungen. Jugendphase gilt als Besonderheit der europäischen Gesellschaftsentwicklung.231 Bei einer Wiederverheiratung der Witwe mussten die Kinder in der Familie des ersten Mannes zurückbleiben. Mehrgenerationenfamilien gab es fast nur in Form der bäuerlichen „Ausgedingefamilie“232. Die Familienautorität geht an jenen Sohn über, der den Hof übernimmt.233 5.1.2.2.Entwicklungen bis zum 21. Jahrhundert Die aktuellen Familienverhältnisse wurden durch den „Sonderweg der Gesellschaftsentwicklung im `Sozialraum Europa`“234 beeinflusst. „Für die meisten Regionen Mittel- und Westeuropas gilt […] vom Mittelalter bis in die neuere Zeit, dass die Durchschnittsgröße der Familie nicht über vier bis fünf Personen hinausging“235, abgesehen von Schwankungen durch die Agrarrevolution oder durch Epidemien oder Vertreibungen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich ein „radikales Absinken der durchschnittlichen Haushaltsgrößen in der Gesamtbevölkerung“236 beobachten. Als Argument wird der Rückgang der nicht verwandten MitbewohnerInnen 237 genannt. Damit sind jene Personen gemeint, die im Sinne einer Produktionsgemeinschaft als DienstbotInnen bzw. als 231 Die Selbstbestimmung in der PartnerInnenwahl war hoch, da in vielen Fällen die Eltern der Brautleute zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht mehr am Leben waren oder aufgrund des Gesindedienstes räumlich weit entfernt lebten, zudem waren die ökonomischen Bedingungen für eine Heirat oft erst in späteren Lebensjahren erfüllt. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 21f. 232 MITTERAUER, 2009, S. 15. 233 „Eine solche Abgabe der Familienautorität im Alter ist eine im interkulturellen Vergleich einmalige Erscheinung“, beschreibt Michael Mitterauer und beruft sich auf die Erfordernisse der Arbeitsorganisation. Vgl. MITTERAUER, 2009, S. 15. „[Auch] die Frau kann als Witwe durchaus zum Familienoberhaupt werden“, und ihre Hausgemeinschaft in der politischen Öffentlichkeit vertreten. Vgl. Ebd., S. 26. 234 Mitterauer, 1997, S. 16. 235 Ebd., S. 17. 236 Ebd. 237 Im Sinne einer Produktionsgemeinschaft wohnten auch nicht verwandte Personen im Haushalt, z. B. Knechte und Mägde sowie DienstbotInnen. 53 Knechte und Mägde im Haushalt wohnten. Ein weiteres Argument ist der Geburtenrückgang, der mit den Möglichkeiten der Familienplanung im Zusammenhang steht. Die „Tendenz zur Singularisierung und Individualisierung“ 238 und der damit einhergehende Anstieg von Einzelhaushalten ist bedingt durch das eigenständige Wohnen von unverheirateten Jugendlichen, alleinlebenden Geschiedenen und von alleinlebenden alten Frauen, die eine höhere Lebenserwartung haben. Nach einer kurzen Hochblüte des „Kernfamilien-Modelles“ in den 1950er Jahren gewannen historisch neue Familienmodelle zunehmend an Bedeutung: der Anstieg von Stieffamilien (Patchworkfamilien) aufgrund der Zunahme von Scheidungen und Wiederverheiratungen, zentrierte Familienformen um alleinerziehende Elternteile sowie „nichteheliche“ Lebensgemeinschaften mit oder ohne Kinder ab den 1960er Jahren.239 „Die Deinstitutionalisierung der Ehe bedeutet so auch eine Deinstitutionalisierung von Verwandtschaft“240, konstatiert Michael Mitterauer und begründet die radikale Veränderung der Formen des familialen Zusammenlebens mit „gewandelten Aufgaben und Aktivitäten“ sowie der klaren Trennung zwischen Freizeit und Arbeitszeit sowie Hausarbeit und Erwerbsarbeit.241 5.2. Arrangierte Ehen Die öffentliche Debatte über arrangierte Ehen ist einerseits geprägt durch die geschlechtliche Differenzierung der Vor- und Nachteile, andererseits „wird diese Form der Eheschließung einem patriarchalisch, generationshierarchisch strukturierten Familiensystem zugeordnet.“242 5.2.1. Heiratsvermittlung Arrangierte Hochzeiten gibt es seit Jahrhunderten und die Heiratsvermittlung ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. So wurden zum Beispiel „im 17. und 18. Jahrhundert […] Europäerinnen als Bräute nach Nordamerika vermittelt. Zwischen 1663 und 238 Ebd. Vgl. Ebd., S. 23f. 240 MITTERAUER, 1997, S. 25. 241 Vgl. Ebd., S. 29f. 242 JESKE, S. 66. 239 54 1673 unterstützte König Ludwig XIV. die Reise von fast 800 Mädchen im heiratsfähigen Alter nach Kanada, wo sie mit Franzosen verheiratet wurden.“243 Anfang des 20. Jahrhunderts fanden japanische Migranten mit Unterstützung von Bildkatalogen Frauen aus ihrer Heimat. „Zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1980er Jahren dominierten Filipinas den transnationalen Heiratsmarkt. Und in den frühen Neunziger Jahren eröffnete der Kollaps der Sowjetunion für Frauen aus Osteuropa und Zentralasien die Möglichkeit, auf diesem Weg in reiche Länder Westeuropas und Nordamerikas auszuwandern.“244 Kritisch anzumerken bleibt, dass sich mit den neuen Kommunikationsmedien der „Brautmarkt als weltumspannendes Business“245 entwickeln konnte und die Agenturen sich hauptsächlich auf äußere Erscheinungsmerkmale konzentrieren, was zur Folge hat, dass sich potentielle Heiratskandidatinnen selbst mit stark sexualisierten Bildern präsentieren. Die sogenannte „Mail-order Bride Industry“, also das Anbieten von „Bräuten“ durch Kataloge im Internet, boomt seit den Ende der 1990er vor allem in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie zum Beispiel Russland, Ukraine und Kirgistan. Die Industrie dahinter zeigt sich in Heiratsagenturen, manchmal auch in Form von Webseiten zur Anbahnung von Brieffreundschaften. „Während Dating-Agenturen von Frauen wie Männern die Bezahlung ihrer Dienste verlangen, sind es bei den Heiratsagenturen nur die Männer, die dafür zahlen müssten. Nur 20 % aller Kontakte würden auch wirklich in eine Heirat münden“246, schildert die Politologin Yuliya Zabyelina anlässlich der Konferenz „Cyber trafficking and mail order brides“, die im Herbst 2012 in Wien stattfand. Einerseits haben Frauen durch das Leben im Ausland oft materielle Vorteile, andererseits birgt der digitale Heiratsmarkt auch ein hohes Risiko an Ausbeutung, Täuschung und Zwang 243 ZABYELINA, Yuliya (2012): Braut auf Bestellung. In: WISINGER, Marion/ HELIGE, Barbara (Hrsg.): Liga. Magazin der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Jg. 63. Heft 2. Wien, S. 28. 244 ZABYELINA, S. 28. 245 Ebd. 246 WIENER INSTITUT FÜR INTERNATIONALEN DIALOG UND ZUSAMMENARBEIT (2012): Conference Report. Cyber trafficking and mail order brides. 5.10.2012, Wien, S. 15 – 19. Online im Internet: URL: http://www.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/Nadja/Documentation_cyber_trafficking_mailorder_brides_05_10-2013.pdf [Stand 2013 - 02 – 03]. 55 sowie sexuellem Missbrauch. „Besonders besorgniserregend sind mögliche Verbindungen zwischen Heiratsvermittlern und Menschenhändlern.“247 5.2.2. Idealtypischer Phasenablauf einer arrangierten Ehe Im aktuellen öffentlichen Diskurs wird die arrangierte Ehe fast ausschließlich dem islamischen Kontext zugeordnet, „der angeblich die Entscheidungsfreiheit von Frauen minimiert.“248 Laut den Untersuchungen von Gaby Straßburger wäre, im Idealfall, das Ziel einer arrangierten Ehe das Finden einer Lösung, die „für alle Beteiligten angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und in Anbetracht ihrer individuellen Erwartungen mit möglichst großen Vorteilen verbunden ist.“249 Somit kann davon ausgegangen werden, dass nicht alle arrangierten Ehen „sich durch elterlichen Druck und durch eingeschränkte Selbstbestimmung auszeichnen“ 250 , sondern dass der Übergang von arrangierter Ehe zur „selbst organisierten Partner[Innen]wahl fließend ist.“251 In weiterer Folge definiert Gaby Straßburger, aufgrund ihrer Studienergebnisse, „fünf idealtypische Phasen der arrangierten Partnerwahl“252, die als „flexibles Schema mit vielen Varianten“253 zu verstehen sind. 247 ZAYELINA, S. 28. JESKE, S. 66. 249 STRASSBURGER, S. 181. 250 JESKE, S. 67. 251 Ebd. 252 STRASSBURGER, S. 218. 253 Ebd. 248 56 Abb. 4: Idealtypischer Phasenablauf einer arrangierten Ehe254 Verhalten der Seite Verhalten der Seite des Mannes der Frau 1. Suche nach einer Partnerin aktiv reaktiv 2. Familiäre Vorstellungsbesuche Besucher Gastgeber 3. Antrag und Entscheidung werbend zögernd 4. Verhandlungen und Zeremonien aktiv aktiv 5. Feier (und Heiratsmigration) aktiv aktiv Phase 5.2.2.1.Suche nach einer Partnerin Neben dem Mann sind auch seine Familie und hauptsächlich die Frauen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis aktiv in die Partnerinnensuche involviert. Die Wahl wird wesentlich davon bestimmt, „welche Interessenten von den Eltern generell akzeptiert und empfangen werden.“255 Für Frauen hingegen „ist die aktive Auswahl an potentiellen Partnern nicht vorgesehen.“256 5.2.2.2.Familiäre Vorstellungsbesuche Bei einem ersten, formellen Besuch des Mannes mit seinen Eltern zum Moccatrinken 257 erfolgt die Begegnung der potentiellen Ehepartner. Die von den Männern geführten Gespräche haben einen repräsentativen, respektvollen und achtsamen Charakter und „sind durch das Bewusstsein geprägt, zueinander Beziehungen von Gleichheit und Gegenseitigkeit anzustreben“ 258 , offene Konflikte werden vermieden und Meinungsverschiedenheiten diplomatisch durch ausweichende Antworten umgangen. Auch bei der Ablehnung einer Heiratsanfrage wird auf standardisierte Formeln, die sich z. B. auf das junge Alter der Frau beziehen, zurückgegriffen. 254 STRASSBURGER, S. 218. JESKE, S. 69. 256 STRASSBURGER, S. 218. Gaby Straßburger nimmt an, „dass aufgrund des Männerüberschusses innerhalb der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland und der gleichzeitig vorhandenen Nachfrage aus der Türkei, Frauen türkischer Herkunft in der Regel zahlreiche Heiratsanfragen erhalten.“ Vgl. STRASSBURGER, S. 219. 257 Die kompetente Zubereitung des Moccas durch die zukünftige Braut wird in der Türkei als Zeichen für eine gut erzogene Hausfrau gewertet. Vgl. TOPRAK, Ahmet (2005): Das schwache Geschlecht – die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Freiburg, S. 75f. 258 JESKE, S. 69. 255 57 Die eigentlichen Hauptakteure kommen kaum zu Wort, ihre „Gefühle werden in den Gesprächen nicht thematisiert“ 259 aber nonverbal ausgedrückt. „Ausschlaggebend für die Fortsetzung des Eheanbahnungsprozesses sind also insbesondere die individuellen Ansichten und Gefühle der Heiratskandidaten“ 260 , resümiert Gaby Straßburger basierend auf einer Analyse von Interviews mit 14 verheirateten Frauen und Männern aus Ostanatolien zu ihrer Partnerwahl und Beziehungsgeschichte. 5.2.2.3.Heiratsantrag, Brautwerbung und Entscheidungsfindung „Mit dem offiziellen Heiratsantrag261 [von der Seite des Mannes] beginnt nun die Phase der endgültigen Entscheidungsfindung, in der die entscheidenden Aktivitäten auf der Seite der Frau liegen.“ 262 Stellvertretend für und „im Interesse der Braut“ 263 erfolgt seitens ihrer Familie ein taktisches Hinauszögern der Entscheidung, das Ina Jeske damit begründet, dass „dadurch das Ansehen des Haushaltes und somit auch ihrer Tochter“264 gestärkt wird. In Anwesenheit einer verwandten Anstandsperson trifft sich das potentielle Paar, um seine Vorstellungen zu besprechen, laut Aussage der interviewten türkischstämmigen Paare gibt es in der Praxis oft auch heimliche Treffen.265 „Nachdem sichergestellt ist, dass die Braut einer Heirat zustimmt, wird die endgültige Entscheidung innerhalb der Familie unter Ausschluss der Tochter gefällt, da befürchtet wird, dass die Diskussion in Anwesenheit der potentiellen Braut nicht offen geführt werden könnte, ohne deren Gefühle zu verletzen.“266 259 Ebd., S. 70. STRASSBURGER, S. 218f. 261 Der Heiratsantrag kann sowohl bereits beim ersten als auch bei späteren Familienbesuchen gestellt werden, die Antwort erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. 262 JESKE, S. 70. 263 Ebd. 264 Ebd. 265 Vgl. JESKE, S. 71. 266 STRASSBURGER, S. 222ff. 260 58 5.2.2.4.Heiratsverhandlungen und –zeremonien Die Heiratsverhandlungen, das Festlegen der Zeremonien und die Klärung der organisatorischen und finanziellen Fragen im Zusammenhang mit den geplanten Feierlichkeiten liegen wieder in den Händen der Eltern. Während dieser geschilderten Phase können, „sollten die potentiellen Ehepartner gewichtige Zweifel haben, […] die Heiratsverhandlungen und somit auch das Ehearrangement beendet werden.“267 Die einzelnen Stationen, „Verlobung, standesamtliche Trauung und gegebenenfalls religiöse Trauung“ können sich individuell unterscheiden. Zum Teil wird die standesamtliche Trauung als Verlobung gesehen, allerdings darf es vor der eigentlichen (religiösen) Hochzeitsfeier keine intimen Kontakte der Ehepartner geben, ein Treffen ist weiterhin nur im Familienkreis möglich. Im Falle einer Heiratsmigration erfolgt in dieser Zeit die Antragstellung für eine Aufenthaltsberechtigung als „Familienangehörige/r“, oft ist das Paar aufgrund dieser Formalitäten räumlich getrennt. Am Vorabend zur Hochzeitsfeier wird im Haus der Braut der „Hennaabend“ 268 im Frauenkreis begangen, symbolisch für den Abschied aus dem Elternhaus bzw. für das Abschiednehmen vom Status der jungen, ledigen Frau. 5.2.2.5.Hochzeitsfeier und eventuelle Heiratsmigration „Das Paar gilt erst mit der Hochzeitsfeier und der darauf folgenden Hochzeitsnacht als offiziell verheiratet. Dieser Statuswechsel wird traditionell mit dem Einzug der Frau in den Haushalt ihres Mannes bzw. seiner Eltern auch äußerlich symbolisiert.[…] Im Allgemeinen gilt der Prozess der Eheschließung mit der Schwangerschaft und Geburt des ersten Kindes als abgeschlossen.“269 Gaby Straßburger bezieht sich in der oben genannten Feststellung auf ihre InterviewpartnerInnen, die ihre jeweiligen biografischen Erzählungen mit dem Ereignis der Geburt ihres ersten Kindes abschlossen. Eine eventuelle Migration zum Partner bzw. zur Partnerin nach Österreich kann nach der positiven Erledigung des Antrages auf 267 JESKE, S. 71. Das Henna (Pflanzenextrakt des Hennastrauches zur Körperbemalung) wird als Glücksbringer betrachtet und soll der Frau helfen, mit ihren Händen fromme Taten zu verrichten. Die Männer nehmen an der Zeremonie nicht teil und halten sich in einem Nebenraum auf. Vgl. JESKE, S. 72. 269 STRASSBURGER, S. 226f. 268 59 Familiennachzug und der Ausstellung der Aufenthaltsberechtigung 270 für den/die nachziehende/ n Ehepartner/in bzw. eingetragene/n Partner/in erfolgen. 5.2.3. Kritische Nachbemerkungen Am Ende dieses Abschnittes über „arrangierte Ehen“ soll nochmals zusammenfassend, auch im Hinblick auf die Thematik Zwangsheirat, eine kurze, kritische Analyse erfolgen. Laut Gaby Straßburger „basieren also arrangierte Ehen in der Regel darauf, dass Familienorientierung und Selbstbestimmung sich die Waage halten und als einander ergänzend empfunden werden. Die individuellen Wünsche der potentiellen Ehepartner werden durchaus berücksichtigt und sind ausschlaggebend für die durch Dritte unterstützte Entscheidung.“271 Kritisch gibt aber Ina Jeske zu bedenken: „Zwar kann der äußere Ablauf den Eindruck erwecken, die betroffene Frau könnte lediglich im letzten Augenblick ein Veto gegen die bereits von ihrer Familie getroffene Vereinbarung einlegen. Allerdings kann diese Kommunikation auch unterschwellig erfolgen und Zustimmung oder Ablehnung können auch indirekt geäußert werden. So kann die Frau den Entscheidungsprozess durchaus steuern, ohne dabei offen als Akteurin in Erscheinung zu treten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass alle Beteiligten den Code der indirekten 273 Verständigung272 beherrschen.“ Äußerst schwierig wird die Situation dann, wenn die indirekten Signale nicht verstanden oder nicht berücksichtigt werden. Die Betroffenen sind dann gezwungen, ihre Meinung explizit zu vertreten, was einem Tabubruch gleichkommt. Für diesen genannten Fall gilt, dass „es manchen schwer fallen [wird], sich gegen den indirekt ausgeübten Druck der Familie zu wehren und durch den Bruch der Kommunikationsform gleichzeitig auch den Bruch mit der Familie zu riskieren.“ 274 Dies wird vor allem mit innerfamiliären Machtverhältnissen und 270 Gemäß dem gültigen österreichischen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz. Online im Internet: URL: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/start.aspx#t_Aufenthaltstitel2 [Stand 2013 – 02 -03]. 271 Vgl. STRASSBURGER, S. 226 f. 272 Gemeint sind traditionelle Kommunikations- und Handlungsmuster sowie eine formell distanzierte und diplomatisch gehaltene Verständigung. 273 JESKE, S. 73. 274 Vgl. STRASSBURGER, S. 207 ff. 60 nicht mit dem Faktum der arrangierten Ehe begründet, wo „Selbstbestimmung und Familienorientierung“275 durch die aktive Teilnahme der Eheschließenden ausbalanciert seien. Der genannte Druck wird als „Konformitätsdruck“276 seitens der Angehörigen beschrieben. Der Schutz des eigenen Ansehens und der Reputation der eigenen Familie wird dem Wunsch nach einer selbstbestimmten Eheschließung vorangestellt und kann in der Einwilligung einer „ungewollten Ehe“ 277 münden. In der Praxis korreliert die konkrete strafrechtliche Konsequenz mit dem Ausmaß der eingesetzten und nachweisbaren Druckmittel.278 Bei Interessenskonflikten bezüglich der PartnerInnenwahl werden zum Teil umfangreiche Strategien eingesetzt, um selbstbestimmt zu entscheiden, ohne den Familienzusammenhalt zu gefährden. Oft lässt sich durch Gespräche der familiäre Konflikt lösen. Nach Auskunft von interviewten Betroffenen 279 kommt es immer wieder vor, dass es „vorübergehend oder dauerhaft“ 280 keine Kontaktpflege zu Familienmitgliedern gibt, da man sich wegen der PartnerInnenwahl zerstritten hat. Die „verabredete freiwillige Entführung“ oder das „Weglaufen aus dem Elternhaus“ sind Strategien, die historisch in der bäuerlichen (Liebes)Heiratspraxis verankert sind281, aber auch aktuell noch angewandt werden, um eine Heiratseinwilligung von den Eltern zu erzwingen.282 Somit konstatiert Gaby Straßburger als Ergebnis ihrer empirischen Studien, dass es sich bei arrangierten Ehen um - in einer erweiterten Begrifflichkeit - moderne Ehen handelt, die durchaus auch Liebesehen sein können: „Der Mainstream-Diskurs, der arrangierte Ehen allgemein als traditionell und frauenfeindlich beschreibt, geht damit eindeutig an den empirischen Befunden über die Partnerwahlpraxis von Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation vorbei. Bei diesen Ehen handelt es sich nicht um traditionelle, sondern um moderne Ehen. Sie folgen allerdings nicht dem westlichen Verständnis von Moderne. Das spricht dafür, den 275 STRASSBURGER, Gaby (2003): Nicht westlich und doch modern. Partnerwahlmodi türkischer Migrant(inn)en in Diskurs und Praxis. In: Verein Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. 26. Jg. Heft 63/64. Köln, S. 25. 276 JESKE, S. 74. 277 Vgl. JESKE, S. 74. 278 BECLIN, S. 144. 279 STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 25. 280 Ebd. 281 Vgl. SCHIFFAUER, Werner (1987): Die Bauern von Subay: Das Leben in einem türkischen Dorf. Stuttgart, S. 205 f. 282 STRASSBURGER, S. 235. 61 Modernitätsbegriff um eine nicht-westliche Dimension zu erweitern, bei der Familienorientierung und Selbstbestimmung nicht als Gegensatz konstruiert, sondern als einander ergänzend eingestuft werden.“283 Für die AutorInnen der aktuellen Schweizer Studie über Zwangsheirat (2012) steht fest, „dass Zwangssituationen im Zusammenhang mit Heirat ihre Wurzeln in der Regel in arrangierten Ehen haben. Umgekehrt gipfeln aber keineswegs alle arrangierten Ehen in Zwangssituationen.“284 Christelle Hamel schlägt deshalb vor, „die Beziehung zwischen einer arrangierten Heirat und einer Zwangsheirat als ein Kontinuum zwischen den zwei Polen des freien Willens und des Zwangs zu betrachten.“285 5.3. Selbst organisierte Ehe Ehen, die nicht den für arrangierte Ehen typischen Phasenverlauf (vgl. Abb. 4) zeigen und durch Dritte einzuordnen.“ mit 286 organisiert werden, sind „eindeutig als selbst organisiert Eine Abgrenzung ist allerdings nicht exakt festzumachen, da die unterschiedlichen Partnerwahlmodi „als kontinuierlich ineinander übergehende Konzepte zu betrachten sind“ 287 und teilweise auch Rituale analog zur arrangierten Eheschließung eingehalten werden, z. B. ein symbolisches Vetorecht der Familie. Der grundlegende Unterschied wird in der selbst organisierten Partnerwahl darin festgemacht, dass „der individuelle Anspruch im Vordergrund steht.“288 Interessant ist ein weiteres Ergebnis der Studie über Partnerwahlmodi der deutschen Kulturwissenschaftlerin Claudia Eisenrieder, wonach „kein linearer Zusammenhang zwischen dem Muster der Eheanbahnung und dem Autonomie- oder Abhängigkeitsverständnis der Frauen im weiteren Verlauf der Ehe festgestellt werden kann.“289 Auch bei der PartnerInnensuche im Internet gibt es spezielle muslimische Angebote, die „islamische Werte und Grundsätze“ berücksichtigen sowie das „ausschließliche Ziel der 283 STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 25. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 16. 285 HAMEL, Christelle (2011): Immigrées et filles d`immigrés: le recul des mariages forcés. Population et Sociètés., S. 1 ff. 286 JESKE, S. 75. 287 Vgl. EISENRIEDER, Claudia (2009): Arrangierte Autonomie? Über Eheerfahrungen von Migrantinnen türkischer Herkunft. Tübingen, S. 151. 288 JESKE, S. 75. 289 EISENRIEDER, S. 151. 284 62 Familiengründung“ verfolgen. 290 So wird zum Beispiel auf der Homepage von „Muslimlife“291 auch vor Gefahren, die mit der PartnerInnensuche verbunden sind gewarnt, denn „nur eine hauchdünne Linie trennt im Internet das Erlaubte (arab. halal) vom Verwehrten (arab. haram)“292. Die Heiratsbörse verpflichtet sich selbst zur Einhaltung des islamischen Verhaltenskodex und ermöglicht auch die Einschaltung eines Vertreters, um die PartnerInnenfindung sicher zu machen. 5.4. Entführung der Braut293 Diese „Heiratsform“ der Entführung der Braut oder des Weglaufens der Braut aus dem Elternhaus „wird dann praktiziert, wenn ein Antrag von vornherein aussichtslos erscheint, oder Verhandlungen zwischen zwei Familien gescheitert sind.“294 Drei Formen werden unterschieden, je nach Interessenskonflikt bzw. der Frage nach der Ehre der Frau: „Erstens ist es die Entführung gegen den Willen der Frau“ 295, zweitens kann es auch bedeuten, „dass beide Partner gemeinsam weglaufen, um gegen den Willen beider Familien zu heiraten“296 und drittens kann auch „das Weglaufen der Frau zum Mann, um sich gegen ihre Familie durchzusetzen“297, gemeint sein. Bei der ersten genannten Form handelt es sich explizit um eine Zwangsehe, da „Entführung“ und Heirat gegen den Willen der Frau passieren, die beiden weiteren Formen können der Kategorie „selbst organisierte Ehe“ zugerechnet werden. 5.5. Verwandtschaftsehe Eine weitere Form der Ehe ist die sogenannte Verwandtschaftsehe, meistens zwischen Cousin und Cousine. In Studien298 (großteils mit MigrantInnen der zweiten Generation) lehnen die 290 HEINE, Susanne/LOHLKER, Rüdiger/POTZ, Richard (2012): Muslime in Österreich. Geschichte/ Lebenswelt/Religion. Grundlagen für den Dialog. Innsbruck, S. 140. 291 Die Homepage „Muslimlife“ wird von der Clicktrend Media GmbH in Deutschland betrieben. Online im Internet: URL: http://www.muslimlife.eu/ [Stand 2013 – 03 – 02]. 292 Ebd. 293 Türk. kiza kacirma. In der Praxis der Beratungsstelle DIVAN zeigt sich „Brautraub“ in der Beratungsarbeit im Kontext mit tschetschenischen Klientinnen. 294 JESKE, S. 76. 295 Ebd. 296 Ebd. 297 Ebd. 298 Z. B. die bereits erwähnten Studien von Claudia Eisenrieder und Gaby Straßburger. 63 meisten Befragten „Eheschließungen mit Verwandten aus dem Herkunftsort“ 299 ab und „verurteilen diese als rückständig“300, obwohl sie in der Praxis noch vorkommen: „Es ist anzunehmen, dass mit der Zunahme der Vertrautheit zu Nachbarn, Kollegen und auch zur türkischstämmigen Bevölkerung […] immer weniger Anlass und auch Interesse besteht, eine Ehe mit Verwandten einzugehen. Dieser Prozess wurde auch durch massive Aufklärungskampagnen seitens der Türkei über eventuelle Folgeschäden für Kinder beeinflusst.“301 5.6. Transnationale Ehen und das Phänomen der Heiratsmigration „Der Großteil der Heiratsmigrantinnen und –migranten aus der Türkei ist dort aufgewachsen und kommt erst im Rahmen des Ehegattennachzuges“302 nach Europa. Eine weitere Variante der transnationalen Eheschließung ist die Heiratsmigration in die Türkei sowie die Eheschließung von Personen, die aus westeuropäischen Ländern remigriert sind. Gaby Straßburger beurteilt aufgrund ihrer Forschung die Kategorie der transnationalen Eheschließung als „zweite Wahl“303 und die eigenständige Partnerwahl – mit Ausnahme von Einzelfällen – als die häufigste Form. Eine wichtige Rolle spielen die sozialen und zum Teil transnationalen Netzwerke und die negative Einschätzung der Sozialisation türkischer Jugendlicher in Deutschland.304 Bemerkenswert ist, dass „das Bild der abhängigen Heiratsmigrantin aus dem türkischen Dorf, die in Deutschland eingesperrt ist, sich nicht wehren kann und ihre Schwiegermutter bedienen muss“ 305 , in Interviews als Abgrenzung zur eigenen emanzipierten Haltung sowohl von Männern als auch von Frauen strapaziert wird. Gaby Straßburger, die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit „Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext“ beschäftigte, „kritisiert das immer wiederkehrende stereotype Bild des `allgemeinen Diskurses` über die Gründe, weshalb in Deutschland aufgewachsene, türkischstämmige Frauen und Männer transnationale Ehen eingehen. Demnach versprechen sich Männer von einer Frau aus der 299 JESKE, S. 77. STRASSBURGER, Gaby (1999): „Er kann deutsch und kennt sich hier aus“: Zur Partnerwahl der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: JONKER, Gerdien (Hrsg.) Kern und Rand: Religiöse Minderheiten aus der Türkei in Deutschland. Berlin, S. 159f. 301 Ebd. 302 JESKE, S. 78. 303 Vgl. STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 256 ff. 304 Vgl. JESKE, S. 80. 305 JESKE, S. 81. 300 64 Türkei eine Partnerin, die traditionell aufgewachsen und entsprechend fügsam ist. Deshalb wird den Männern mangelnde Integration in die moderne Gesellschaft unterstellt. Frauen werden angeblich von der Familie in eine transnationale Ehe gedrängt, da die Heiratsmigration die einzige legale Einwanderungsmöglichkeit bietet und sich die Angehörigen dadurch eine finanzielle Unterstützung […] versprechen. Ähnlich wie bei der Diskussion über arrangierte Ehen wird den Heiratskandidaten[Innen] hinsichtlich der Partner[Innen]wahl und Eheschließung eine ohnmächtige Position zugewiesen.“306 5.7. Inner- und interethnische Eheschließungen „Die grundlegende Akzeptanz interethnischer Ehen steht […] mit der starken Familienorientierung in Konflikt“307, da z. B. in Umfragen das deutsche Familienverständnis mit liberaler Erziehung, viel (sexueller) Freiheit und höheren Scheidungsraten gleichgesetzt wird. Eine hohe Bildungsorientierung, ein gemischtes Wohnumfeld sowie Netzwerke zur autochthonen Gleichaltrigen, die eine interethnische Eheschließung begünstigen 308 , werden als Faktoren genannt. Da sich Standesamtsstatistiken nur auf die Staatsbürgerschaft und nicht auf den ethnischen Hintergrund beziehen, kann die Entwicklung der interethnischen Ehen als „Indikator für Annäherungsprozesse“309 nur in qualitativen Studien erfasst werden. 5.8. Liebesehe Alle erwähnten ParnterInnen-Wahlkonzepte und Formen der Eheschließung „können gleichzeitig auch Liebessehen sein.“ 310 Auch wenn in einer arrangierten Ehe „das Muster der romantischen Liebe“ 311 eine Rolle spielen kann, unterscheiden sich die Konzepte von Partnerschaft und Liebe von den vorherrschenden Einstellungen in Westeuropa vor allem durch den Faktor der Familienorientierung. „Während sich in der […] Mehrheitsbevölkerung (aber auch Teilen der türkischstämmigen Bevölkerung […]) der Gedanke an eine Heirat im Laufe einer vorehelichen, intimen Beziehung entwickelt, ist beim dem `familienorientierten Partnerwahlkonzept` dieser Gedanke bereits Ausgangs- und nicht erst Höhepunkt der Beziehung.“312 306 JESKE, S. 79. Ebd., S. 85. 308 Vgl. STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 286 ff. 309 JESKE, S. 86. 310 Ebd., S. 87., vgl. EISENRIEDER, 2009, S. 27 und STRASSBURGER, Partnerwahlmodi, S. 208. 311 EISENRIEDER, 2009, S. 27. 312 JESKE, S. 87. 307 65 5.9. Zwangsehe „Bereits der Begriff `Zwang` impliziert, dass die Heirat gegen den Willen der Frau, des Mannes oder auch beider Heiratskandidaten geschlossen wird.“313 Wie bereits erörtert, stellt die freie PartnerInnenwahl, unabhängig vom ethnischen Hintergrund, den Normalfall dar, allerdings gibt es auch in Österreich immer wieder Fälle von Zwangsverheiratungen. Die Wiener Juristin und Expertin für Gender im Strafrecht, Katharina Beclin, erinnert, dass „auch `indigene` ÖsterreicherInnen keineswegs völlig frei in ihrer Entscheidung [sind]. Von wohlgemeinten Ratschlägen bis zu starkem sozialen Druck kennen auch sie zahlreiche Spielarten der Einmischung. So kann eine ungewollte Schwangerschaft oder aber auch der Verdacht homosexueller Neigungen von der Familie zum Anlass genommen werden, auf die Betroffenen mehr oder weniger sanften Druck auszuüben, jemanden zu ehelichen. Hier leben zumindest in Teilbereichen Praktiken fort, die oft vorschnell ausschließlich bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen, insbesondere solchen südosteuropäischer, afrikanischer oder asiatischer Herkunft, zugeschrieben werden.“314 In diesem Kapitel der vorliegenden Masterarbeit soll nun auf die „Vielschichtigkeit des Phänomens Zwangsheirat“315 eingegangen werden. 5.9.1. Definition „Zwangsehe“ und „Zwangsheirat“ „Der Terminus `Zwangsheirat` ist problematisch, nicht nur weil es sich um einen politisch konnotierten Begriff handelt, der soziale Realitäten extrem vereinfacht, sondern auch weil er die Vielfalt und Komplexität der zugrunde liegenden Probleme und Situationen verbirgt.“316 Der Begriff Zwangsehe ist ein Überbegriff, der – laut einer vergleichenden EU-Studie317 - für unterschiedliche Formen und Nuancen der Nichtbeachtung des Konzeptes der Zustimmung 313 Ebd., S. 88. BECLIN Katharina (2010): Rechtliche und politische Strategien gegen Zwangsehen in Österreich. In: STRASSER /HOLZLEITHNER, S. 144. 315 Vgl. Beclin, S. 145. 316 BUNDESAMT FÜR MIGRATION (2012): „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass. Verfasst von Anna Neubauer und Janine Dahinden in Zusammenarbeit mit Pauline Brequet und Eric Crettaz. Bern, S. 14. Online im Internet: URL: http://www.bfm.admin.ch/content/dam/data/migration/publikationen/zwangsheirat/studie-zwangsheirat-d.pdf [Stand 2013 - 01 – 10]. 314 317 Vgl. COUNCIL OF EUROPE (2005): Forced marriages in Council of Europe member states. A comparative study of legislation and political initiatives. Strassburg. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/CDEG%282005%291_en.pdf [Stand 2012 – 11- 20]. 66 zur Ehe verwendet wird: arrangierte Ehe, traditionelle Ehe, Ehe aufgrund von Sitte und Brauch oder einer zu erwartenden Ehrbarkeit, Kinderehen, Frühehen, Scheinehen, Vernunftoder Zweckehe, nicht vollzogene Ehen, Eheschließungen zum Erwerb einer Staatsbürgerschaft, unerwünschte Ehe etc.318 Der Begriff „Zwangsheirat“ hat keinen exakten gesetzlichen Inhalt und wird auch in den EUMitgliedsstaaten unterschiedlich definiert. Die Schwierigkeit besteht offenbar darin, dass ohne sichtbaren Beweis der persönlichen Freiheitseinschränkung in Bezug auf eine Zustimmung zur Ehe durch (physische) Gewalt eine Zwangsheirat nicht ohne Zweifel festgestellt werden kann. Auch konkrete Hintergrundüberlegungen für einen Ehevertrag sind nicht immer festzumachen. Fakt ist, dass die eigentliche Intention der Eheschließung oft bei näherer Betrachtung an den äußeren Umständen ersichtlich ist, wie Angst und Frucht, Widerstand und fehlende Zustimmung.319 Gleichermaßen ist es nicht immer möglich, emotionale Drohungen nachzuweisen, die die individuelle Vulnerabilität erhöhen und den Widerstand gegen eine Ehe de facto unmöglich machen. Daneben zeigen Studien auch Tendenzen auf, wonach mit Zwangsehen ausländerrechtliche Bestimmungen umgangen werden.320 Im Artikel 16 der CEDAW haben sich die 178 Vertragspartner verpflichtet „Mindestalter, Registrierung der Ehe und die Zustimmung beider Partner zu garantieren.“ 321 In einer Publikation der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes wird daraus der Schluss gezogen, dass „alle Ehen, die nicht mit der freien und vollen Zustimmung beider erwachsener Brautleute geschlossen werden, Zwangsehen sind. Dazu gehören Ehen, 318 Vgl. Ebd., S. 7. Vgl. Ebd., S. 7. 320 Vgl. Ebd., S. 7. 321 Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Part IV. Artikel 16. Online im Internet: URL http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/ [Stand 2012 – 08 -07]. 319 67 in denen ein Partner zur Zustimmung gezwungen oder gar nicht gefragt wurde, die nicht dem Ziel einer Lebensgemeinschaft dienen, die mit einem minderjährigen Partner geschlossen wurden.“322 Für die vorliegende Arbeit dient jene Definition, die der aktuellen deutschen Untersuchung323 über Zwangsverheiratungen zugrunde liegt und mit dem wissenschaftlichen Beirat 324 der Studie abgestimmt wurde. Sie wird auch deshalb gewählt, weil sie der Definitions-Praxis der österreichischen Beratungsstellen325 entspricht. „Zwangsverheiratungen liegen dann vor, wenn mindestens einer der Eheleute durch die Ausübung von Gewalt oder durch die Drohungen mit einem empfindlichen Übel zum Eingehen einer formellen oder informellen (also durch eine religiöse oder soziale Zeremonie geschlossenen) Ehe gezwungen wird und mit seiner Weigerung kein Gehör findet oder es nicht wagt, sich zu widersetzen.“326 Weiters wird eine Unterscheidung327 zwischen den Zwangssituationen getroffen, die vor der Eheschließung entstehen (Zwangsverheiratung) und jenen, die sich nachher entwickeln (Zwangsehe), da beide Fälle andere Problemlagen mit sich bringen und aus diesem Grund nach unterschiedlichen Massnahmen verlangen: „Der Status der Zwangsverheiratung bezieht sich auf den Zeitpunkt der Eheschließung, hier wird zwischen angedrohter sowie bereits erfolgter Zwangsverheiratung unterschieden.“328 „Eine Zwangsverheiratung betrifft Situationen, die sich dadurch auszeichnen, dass die jungen Personen sich unter Zwang befinden, eine Heirat einzugehen, die sie nicht möchten, oder eine Liebesbeziehung nicht aufrechterhalten oder sich nicht mit der Person ihrer Wahl verheiraten dürfen. 322 LEHNHOFF, Liane (2006): Sklavinnen der Tradition. Zwangsheirat als weltweite Erscheinung. In: Terre des femmes (Hrsg.): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. (= Schriftenreihe NEIN zu Gewalt an Frauen). Tübingen, S. 10. 323 BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Kurzfassung. Wissenschaftliche Untersuchung der Lawaetz-Stiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg. 324 Ebd., S. 51. u. a. VertreterInnen von Universitäten und Fachhochschulen, NGO`s und Bundesministerien. 325 ORIENT EXPRESS (2012): Tätigkeitsbericht 2011. Wien, S. 22 und CARITAS GRAZ-SECKAU (2010): Frauenspezifische Beratung für Migrantinnen mit spezialisiertem Angebot für „Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre“ (DIVAN). Konzept. Graz, S. 7f. 326 DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 18. 327 Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 15. 328 DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 18. 68 Eine Zwangsehe hingegen bedeutet, dass eine Ehe gegen den Willen von mindestens einem der Ehegatten aufrechterhalten wird – selbst wenn diese Ehe vielleicht freiwillig geschlossen wurde. Eine Trennung oder Scheidung wird entweder vom Ehepartner selbst oder der Familie der Ehefrau oder des Ehemannes nicht akzeptiert. Die Zwangslage beginnt somit erst nach der Eheschließung.“329 Die erwähnte Definition von Zwangsheirat aus der aktuellen Schweizer Studie 330 zählt ergänzend noch die Erscheinungsarten von Zwang auf, „der auf die zur Heirat gezwungene Person ausgeübt wird“331: Genannt werden Formen von „Drohungen, emotionaler Erpressung oder anderen „kann von physischer, sexueller oder erniedrigenden Handlungen“ oder der Zwang psychologischer Gewalt begleitet sein:“ 332 Eine erzwungene Heirat „verletzt das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person in schwerwiegender Weise und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar.“333 Arrangierte Ehen wurden von Verwandten, Bekannten oder von EhevermittlerInnen initiiert, werden aber im vollen Einverständnis der Eheleute geschlossen, bei Zweifeln in der Zuordnung sollte die Perspektive der Betroffenen zugrunde gelegt werden.“334 In der Schweizer Studie wird deutlich festgestellt, dass „Zwangssituationen im Zusammenhang mit Heirat ihre Wurzeln in der Regel in arrangierten Ehen haben. Umgekehrt gipfeln aber keineswegs alle arrangierte Ehen in Zwangssituationen“ 335 . Die Beziehung zwischen einer arrangierten Heirat und einer Zwangsheirat könne „als ein Kontinuum zwischen den zwei Polen des freien Willens und des Zwangs“336 betrachtet werden. In der Praxis zeigt sich, dass Mädchen und junge Frauen „durch Entführung, Freiheitsberaubung, Einschüchterung, psychischen Druck, emotionale Erpressung oder körperliche Gewalt“337 bis hin zur Vergewaltigung338 gefügig gemacht werden. Auch ohne 329 SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 15. Ebd. 331 Ebd., S. 14. 332 Ebd. 333 Ebd. 334 DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 18. 335 SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S.16. 336 Ebd. 337 LEHNHOFF, S. 11. 330 69 offene Weigerung vor oder während der Hochzeit kann es sich um eine Zwangsehe handeln, wenn die Frau „subjektiv unter Zwang gehandelt [hat] und eventuell erst Jahre später den Mut hat, sich zu wehren“339. 5.9.2. Motive und Ursachen von „Zwangsheirat“ Die Motive und Ursachen von Zwangsheirat sind unterschiedlich. Der Blick auf die Situation der Herkunftsländer, wo die Tradition der Zwangsheirat von oft armen Familien am Land praktiziert wird, differiert von der Situation in den EU-Ländern, wo hauptsächlich Familien mit Migrationshintergrund 340 involviert sind. 341 Im Falle der Herkunftsländer scheinen die Hintergründe - laut der EU-Studie - mit kulturellem Druck verbunden zu sein, wie die Wichtigkeit der Ehre und die Bewahrung der Jungfräulichkeit, der Absicherung für das Alter, der Wunsch Vermögen und Grundbesitz innerhalb der Familie zu erhalten, sowie die Verfestigung der elterlichen Autorität.342 In Bezug auf die gegenwärtige Situation in den EU-Ländern (und der Schweiz) wird als erstes Motiv der elterliche Wunsch nach dem Schutz ihrer Kinder vor einer „Europäisierung“ 343 genannt, ein beginnender Generationenkonflikt kann sich in weiterer Folge zu einer sich immer schneller drehenden Gewaltspirale entwickeln. „Die Probleme zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern beginnen in der Regel in der Pubertät, wenn nämlich die jungen Erwachsenen eigene Vorstellungen über Liebe, Heirat, Leben und Arbeit zu formulieren beginnen“344 und diese von den elterlichen Vorstellungen 338 VOLZ, Rahel (2003): Zwangsheirat in Deutschland – eine tolerierte Menschenrechtsverletzung. In: VEREIN BEITRÄGE ZUR FEMINISTISCHEN THEORIE UND PRAXIS (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. 26. Jg., Heft 63/64. Köln, S. 199. 339 LEHNHOFF, S. 11. 340 Der Begriff „Migrationshintergrund“ wurde in Österreich auf Empfehlung der United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) mit dem Mikrozensus 2008 offiziell eingeführt, erstmals wurden Fragen nach dem Geburtsland der Eltern gestellt. Als Personen mit Migrationshintergrund werden hier Menschen bezeichnet, wenn beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Bei „MigrantInnen der ersten Generation“ liegt der eigene Geburtsort wie jener der Eltern im Ausland, Kinder von zugewanderten Personen, die aber selbst im Inland zur Welt gekommen sind werden als „zweite Generation“ bezeichnet. Die „Variable Migrationshintergrund“ ist ambivalent zu bewerten, da einerseits z. b. sozioökonomische Unterschiede letztendlich auf einen strukturellen Rassismus zurückzuführen sind, wenn der Migrationshintergrund sichtbar gemacht wird, andererseits wird der Migrationshintergrund als gesellschaftliches Unterscheidungsmerkmal manifestiert. Vgl. Zebratl (2012): Migrationshintergrund. Lexikon. In: JANUSCH, Herbert (Hrsg.): ZEBRATL. Zeitschrift des Interkulturellen Beratungs- und Therapiezentrums Zebra. Graz. Nr. 2, S. 22. 341 Vgl. COUNCIL OF EUROPE, Forced Marriages, S. 8. 342 Ebd., S. 8. 343 Ebd., S. 8. „ […] wish to prevent children from becoming `Europeanised`.“ 344 SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 16. 70 über eine/n „gute/n Partner/in“ divergieren. Wenn diese Generationenkonflikte nicht in einem früheren Stadium345 gelöst werden, kann es in weiterer Folge zu Zwangssituationen führen. „Eltern, die ihre Kinder sehr früh oder gegen ihren Willen verheiraten, sind zumeist überzeugt, dass dies zum Wohl des Kindes geschieht. Selbst Eltern, die versuchen, ihre Kinder in die Entscheidung mit einzubinden, beugen sich dem Druck der Verwandtschaft.“346 Rahel Volz, Mitarbeiterin von „Terre des femmes“, nennt es den „aufrichtige[n] Glauben vieler Eltern, letztlich im Interesse der eigenen Kinder zu handeln. Eltern wollen ihre Töchter auf den vermeintlich richtigen Weg zurückführen, wenn diese `unpassende` Verbindungen eingegangen sind. Oder aber sie handeln aus der Überzeugung heraus, dass ihre Lebenserfahrung und das Wissen über die Bedeutung der eigenen Kultur sie zu einer geeigneteren Auswahl des zukünftigen Ehegatten befähigt.“347 Weitere Motive sind das Bestreben, die Identität zu erhalten, oder eine offene Schuld an ein Mitglied der eigenen Gemeinschaft auszugleichen. Dazu kommen noch Faktoren wie das oft ungleiche Geschlechterverhältnis, der Anstieg des religiösen Fundamentalismus und der Versuch, die eigenen Kinder an einer Mischehe zu hindern.348 Die öffentlich diskutierten Erklärungsansätze – „wie sozioökonomische Diskriminierung, mangelnde Integrationsbereitschaft, ethnische Unterschichtung oder rigider Traditionalismus“349 entsprechen nicht der Praxis. Vielmehr liegt es an „spezifischen, kaum generalisierbaren Mischungen und unterschiedlichen Faktoren“ 350 in der Genese bzw. dem Vollzug von Zwangsverheiratungen, die in weitere Folge zu unterschiedlichen Verarbeitungsweisen führen. Damit ist gemeint, dass sich Betroffene Hilfe bei einer Beratungsstelle oder bei Dritten (im Freundes-, Bekannten- und Verwandtenkreis) holen. Festgehalten muss an dieser Stelle werden, dass es im Kontext der Androhung von Zwangsverheiratungen „überdurchschnittlich oft zum Einsatz manifester Gewalt“ 351 kommt 345 So wenden sich junge Menschen an Beratungsstellen, die eine negative Reaktion bzw. massive Vorbehalte ihrer Eltern über die Bekanntgabe einer Liebesbeziehung befürchten. 346 LEHNHOFF, S. 12. Britische Expertinnen nennen diese Vorgangsweise „loving manipulation“. Vgl. UK GOVERNMENT, HOME OFFICE (2000): A choice by right – The Report of the Working Group on Forced Marriage. London, S. 11. 347 VOLZ, S. 199. 348 Ebd. 349 DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 44. 350 Ebd. 351 Ebd., S. 45. 71 und diese seitens der Eltern als „legitimes Mittel“ 352 angesehen wird. Oft fehlt das Bewusstsein über das gesetzliche Verbot von Gewalt und über das Unrecht, dass man den eigenen Kindern antut. Dahinter stehen Tradition, Brauchtum und Ehrvorstellungen sowie ein Frauenbild, dass die Selbstbestimmung der Töchter nicht akzeptiert. Zwangsheirat bekommt in der Migration eine „neue Brisanz“353, „die Angst vor Verlust der eigenen Identität und Kultur gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sowie die fremdartigen und oftmals als negativ empfundenen Einflüsse“354 spielen dabei eine Rolle. Heiraten innerhalb der Familie (z. B. Cousin und Cousine) sollen die Familienbande über die große räumliche Distanz hinweg stärken. Zentral ist die Kontrolle über die weibliche Sexualität und der damit verbundene Anspruch, die Familienehre aufrecht zu erhalten, „da die Ehre am sittlichen Verhalten der Frauen gemessen wird“ 355 und „eine Heirat zum Zeitpunkt der Geschlechtsreife oder sogar davor erleichtert den Eltern die Kontrolle.“356 Wie schon in der zentralen Aussage der Studie von Sinus Sociovision357 über MigrantInnenMilieus, kann „weder von der Herkunftskultur auf das Milieu noch vom Milieu auf die Herkunftskultur geschlossen werden.“ 358 Bezüglich Zwangsheirat sind keine objektiv beschreibbaren sozioökonomische Lagen als „belastbare Zusammenhänge“359 für Motive und Ursachen von Zwangsverheiratung zu erkennen, d.h. das Phänomen Zwangsheirat lässt sich nicht auf ärmere, bildungsferne Schichten begrenzen. Auch ökonomische und aufenthaltsrechtliche Gründe können eine Rolle spielen, da Heiratsstrategien in transnationalen Familien auch als Reaktion auf die bedeutenden sozialen und ökonomischen Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen der Welt 352 VOLZ, S. 199. Ebd. 354 Ebd., S. 200. 355 LEHNHOFF, S. 12. 356 Ebd. „Je jünger das Mädchen ist, umso geringer ist die Gefahr, dass sie keine Jungfrau mehr ist. Eine Frühehe bannt somit auch die Gefahr eine unehelichen Schwangerschaft.“ 357 SINUS SOCIOVISION (2008): Zentrale Ergebnisse der Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland. Berlin – Heidelberg – Zürich. Im Internet unter URL: http://www.sinusinstitut.de/uploads/tx_mpdownloadcenter/MigrantenMilieus_Zentrale_Ergebnisse_09122008.pdf [Stand 2012 10 – 05]. 358 DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 45. 359 Ebd., S. 44. 353 72 verstanden werden können und eine Ehe mit einer sich im Ausland aufhaltenden Person somit auch eine Migrationsstrategie ist.360 „In Kulturen, in denen die Familie des Bräutigams einen Brautpreis zahlt, kann diese Tradition dazu führen, dass junge Mädchen in eine Ehe verkauft werden. In den Ländern der Europäischen Union erhalten Eltern junger Bräute oft hohe Zahlungen 361 . Der sichere Aufenthaltsstatus der Braut ermöglicht Männern die Einreise in das jeweilige Land. Dies ist eine moderne Form des Menschenhandels in die Ehe.“362 Noch kaum untersucht ist das Motiv, die gleichgeschlechtliche Orientierung der Kinder „durch Androhungen von Zwangsverheiratung zu brechen oder zu verbergen.363 5.9.3. „Zwangsverheiratung“ bei Männern Der türkischstämmige Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak beschäftigt sich in seiner Forschung mit jungen Männern, die zu einer Eheschließung gezwungen werden, stellt aber auch deutlich klar „dass die Männer von einer Eheschließung profitieren, da die administrativen Aufgaben und die Alltagslasten auf die Ehefrau übertragen werden“364. Ahmet Toprak entwickelt die These, „dass die Eheschließung aus Sicht der Eltern eine Disziplinarmaßnahme darstellt, wenn andere Maßnahmen nicht (mehr) greifen“ 365 . Als Hintergrund wird die geschlechtsspezifische Erziehung genannt, die die Jungen im Vergleich zu den Mädchen bevorzugt und mehr Freiheiten lässt sowie Fehlverhalten mit der Jugendlichkeit entschuldigt. „Die Jungen werden wie kleine Kinder behandelt, sie tragen für ihr Verhalten selten Verantwortung, und erst ab einem bestimmten Alter müssen sie auf `Knopfdruck` erwachsen werden. Wenn die Jungen sich nicht diszipliniert verhalten366, ergreifen die Eltern ab einem gewissen Alter Maßnahmen, um das Erwachsenwerden der Jungen zu forcieren. Diese 360 Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 17. VOLZ, S. 200. „Bis zu 8000 Euro werden geboten, um das Einwanderungsticket „Ehefrau“ zu erwerben.“ 362 LEHNHOFF, S. 12. 363 DEUTSCHES BUNDESMINISTERIUM, S. 45. 364 TOPRAK, Ahmet (2006): Zwangsverheiratete türkische Männer? Die Verheiratung der Männer als Disziplinarmaßnahme. In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.), Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Schriftenreihe Nein zu Gewalt an Frauen. Tübingen, S. 27. 365 Ebd., S. 27. 366 Z.B. wechselnde Freundinnen, Fernbleiben von zuhause, strafrechtliche Delikte, Alkohol oder Drogenmissbrauch. 361 73 Maßnahmen sind der Militärdienst in der Türkei, die Verheiratung 367 und schließlich die Vaterschaft.“368 Als Ergebnis der qualitativen Forschung zeigt sich aber, dass die Zwangsheirat als Disziplinierungsmaßnahme aufgrund der „inkonsequenten Umsetzung“ 369 keine Wirkung zeigt, da es dem Mann erlaubt ist, „seine Sexualität anderweitig auszuleben.“370 So kann zusammenfassend festgehalten werden, dass „die oben beschriebenen Disziplinierungsmaßnahmen, die vor allem in der ländlichen Türkei sehr erfolgreich sein können, […] in der Migration erfolglos [bleiben], denn sie beruhen auf der sozialen Kontrolle, die [z. B.] in Deutschland nicht in der Form vorhanden ist.“371 5.9.4. Rechtliche Situation 5.9.4.1.Grundsatzüberlegungen In den verschiedensten Rechtsbereichen (Völkerrecht, Verfassungsrecht, Eherecht, Strafrecht, Allgemeines Privatrecht) gilt die Ausübung von Zwang zur Eheschließung als ungerechtfertigt, wobei der `Zwangsbegriff` unterschiedlich ausgestaltet ist. Nach wie vor wird in den meisten europäischen Staaten das Verbot der Eheschließung von gleichgeschlechtlichen Paaren praktiziert und im Gegenzug die Privilegierung von verheirateten Paaren im Vergleich zu unverheirateten Paaren unterstützt. Im Migrationskontext besteht die Ambivalenz, dass einerseits verstärkte Anreize zur Heirat bestehen, andererseits aber Aufenthaltsehen (sogenannte Scheinehen) massiv geahndet werden.372 „Allgemein betrachtet gelten strukturelle Zwangslagen (beispielsweise auch in Hinblick auf die faktischen Möglichkeiten, eine Ehe aufzulösen), denen Personen aufgrund ihrer sexuellen 367 TOPRAK, S. 30. Die Eltern gehen davon aus, „dass der Sohn anhand der Beispiele in seinem Umfeld, wie sich ein verheirateter Mann zu verhalten hat, seine Haltung ändern wird. Wenn die gewünschte Änderung nicht unmittelbar erfolgt, wird die Braut seitens der weiblichen Familienmitglieder angehalten, ein Kind zu bekommen.“ 368 TOPRAK, S. 29. 369 Ebd., S. 31. 370 Ebd. 371 Ebd. 372 Vgl. RÖSSL, Ines (2010): Zwangsverheiratung: Zur rechtlichen Matrix in Österreich. In: STRASSER/ HOLZLEITHNER, S. 140. 74 Orientierung oder ihrer Staatsangehörigkeit unterliegen, nicht als `Zwang` im rechtlichen Sinn.“373 5.9.4.2.Ehe im Migrationskontext Die Familienzusammenführung und damit vorangegangene Eheschließung stellt für viele MigrantInnen die einzige Einwanderungsmöglichkeit nach Europa dar. Die restriktive Einwanderungs- und Aufenthaltsgesetzgebung der europäischen Staaten ist somit ausschlaggebend für Zweckmäßigkeitsüberlegungen im Zusammenhang mit der Lebens- und Familienplanung.374 Einerseits bietet die Eheschließung in weiterer Folge den Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Sozialsystem und langfristig auch zu einer Staatsbürgerschaft, andererseits „unterliegt das grenzüberschreitende Zusammenziehen von EhepartnerInnen Beschränkungen“ 375 , die für heiratswillige InländerInnen nicht vorgesehen sind. So bedarf es neben der Eheschließungsfreiwilligkeit bei Ehen von MigrantInnen „eines spezifischen Ehewillens, der auf das Führen einer Intimbeziehung gerichtet ist“ 376 und nicht auf sogenannte „Staatsbürgerschaftsehen“ oder „Aufenthaltsehen“ hindeutet. Kritisch hinsichtlich der aktuell geltenden österreichischen Rechtsordnung kommentiert Ines Rössl, dass „mit der massiven Bekämpfung von Aufenthaltsehen […] die Rechtsordnung gewissermaßen `die Geister zu vertreiben`[versucht], die sie rief. Denn schließlich ist das Phänomen, dass Ehen aus aufenthaltsrechtlichen Überlegungen geschlossen werden, ein Nebeneffekt des immer restriktiver werdenden Einwanderungs- und Aufenthaltsrechts und der Privilegierung von verheirateten Paaren.“377 In der Frage nach einer möglichen Veränderung der Geschlechterrollen durch Migration bzw. Integration lohnt sich ein Blick auf die unterschiedlichen Formen der Zuwanderung. 378 373 RÖSSL, S. 140. Vgl. PLATZER Florina (2006): Das neue Fremdenrecht aus feministischer Sicht. In: SCHACHENREITER Judith/ STUEFER , Alexia/ KETTEMANN, Matthias/OBERNDORFER, Lukas (Hrsg.): Juridikum. Zeitschrift im Rechtsstaat. Jg. 17. H. 3, S. 168. 375 RÖSSL, S. 139. 376 § 23 EheG iVm § 28 EheG. 377 RÖSSL, S. 140. 378 Im Jahr 2011 wanderten etwas über 130.000 Personen nach Österreich zu, während zugleich knapp 95.000 Menschen das Land verließen. Daraus ergab sich eine Netto-Zuwanderung von 35.000 Personen. Vgl. STATISTIK AUSTRIA/BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERS (2012): Migration & Integration. Zahlen. 374 75 Konkret ist in Österreich die größte Zuwanderungsform die sogenannte EU-Binnenmigration (72.000 Menschen 379 ), gefolgt von der Rückkehr von österreichischen Staatsangehörigen (15.000 Menschen), den AsylwerberInnen (14.400 Menschen), den SaisonarbeiterInnen aus Nicht-EU-Staaten (7.800 Menschen) und den InhaberInnen der „Rot-Weiß-Rot-Card“ (900).380 Verhältnismäßig hoch ist der quotenfreie Zuzug aus Nicht-EU-Staaten im Rahmen der Familienzusammenführung, die im Jahr 2011 in Österreich 13.600 Menschen betrug, die in weiterer Zukunft ihr Familienleben in Österreich gestalten. Nicht in Zahlen ausgedrückt werden kann jene psychisch belastende Zeit des Familienlebens, die in zwei (oder mehr) Ländern stattfindet, bevor es zu einer Zusammenführung kommt. „Stabile Partnerschaften oder sichere Bindungen in der Familie haben das Potential, einen Teil der allgemeinen Verunsicherung im Migrationsprozess abzufedern, und werden als emotional sehr bedeutsam empfunden“381, heißt ein zentrales Ergebnis des „Salomon Next Step“382 – Forschungsprojektes, das erstmals die subjektive Bedrohungswahrnehmung von Migrantinnen untersuchte. Laut der von der Statistik Austria erstellten Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung 2011 über die Bevölkerung in österreichischen Privathaushalten ergibt sich folgendes Bild: 383 Von den insgesamt 8,3 Mill. in Österreich lebenden Menschen haben 1,6 Mill. einen „Migrationshintergrund“, konkret sind es 1,2 Mill. ZuwanderInnen der ersten Generation und 415.369 ZuwanderInnen der zweiten Generation.384 „Zu Jahresbeginn 2012 lebten rund 773.100 Frauen ausländischer Herkunft in Österreich, das entsprach 17,9% der weiblichen Gesamtbevölkerung. 44% der Frauen ausländischer Daten. Indikatoren 2012. Erstellt von Statistik Austria und der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien, S.34. 379 Davon u.a. 18.000 aus Deutschland, 14.500 aus dem ehemaligen Jugoslawien und 3.900 aus der Türkei. Vgl. STATISTIK AUSTRIA, 2012, S. 20f. 380 Die konkreten Daten stammen aus: STATISTIK AUSTRIA, 2012, S. 20f. Online im Internet: URL: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Service/Integration_2012/migration_integration_2012_72dpi.pdf [Stand 2013 02 – 13]. 381 ENZENHOFER, Edith/ BRAAKMANN, Diana (2011): Angst und Bedrohung aus der Perspektive von MigrantInnen: Ergebnisse der Forschungsprojekts SALOMON Next Step. In: DAHLVIK, Julia/FASSMANN, Heinz/SIEVERS, Wiebke (Hrsg.): Migration und Integration – wissenschaftliche Perspektiven aus Österreich. (= Migrations- und Integrationsforschung 2). Jahrbuch 1/2011. Wien, S. 226. 382 ENZENHOFER, Edith/ BRAAKMANN, Diana/SPICKER, Ingrid/KLEIN, Christina (2009): SALOMON Next Step. Bedrohungswahrnehmung von MigrantInnen. Eine Studie im Rahmen der österreichischen Sicherheitsforschung. Projektendbericht. Wien. 383 Angaben in 1.000, deshalb buchhalterisch gerundet. 384 STATISTIK AUSTRIA/BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, S. 20f. 76 Herkunft stammten Drittstaatsangehörige. aus Die EU-/EWR-Staaten meisten Frauen oder der Schweiz, ausländischer Herkunft 56% waren stammten aus Deutschland. Weitere wichtige Herkunftsländer stellten Serbien, Montenegro und Kosovo, die Türkei, Bosnien und Herzegowina sowie Rumänien dar.“385 5.9.4.3.Völkerrechtliche Bestimmungen Das Menschenrecht auf Eheschließung – für heterosexuelle Paare386 – ist im Artikel 16 der UN-Menschenrechtskonvention 387 sowie im Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich im Verfassungsrang steht388, verankert: „Mit Erreichung des Heiratsalters haben Männer und Frauen gemäß den einschlägigen nationalen Gesetzen das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.“389 Somit ist „das Prinzip der Eheschließungsfreiheit [ein] fixer Bestandteil des internationalen Menschenrechtsschutzes“390 und von völkerrechtlichen Konventionen391, zentral erwähnt soll die UN-Marriage-Convention 392 werden. Ursprünglich entstanden im Kontext von internationalen Initiativen gegen Sklaverei und sklavereiähnlichen Praktiken betont der Artikel 1 der Marriage-Convention die Willensfreiheit bei der Eheschließung, die „persönlich 385 ÖSTERREICHISCHER INTEGRATIONSFONDS (2012): Migration und Integration. Schwerpunkt Frauen. Zahlen. Daten. Indikatoren. Wien, S. 8. Online im Internet: URL: http://www.integrationsfonds.at/zahlen_und_fakten/femigration_integration_2012/ [Stand 2013 – 02 – 13]. 386 Historisch fungierten in der österreichischen Geschichte „Ehehindernisse/Eheverbote immer wieder dazu, die unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Ziele zu erreichen“. Die Bandbreite der Bestimmungen reichte vom Ehehindernis der Religionsverschiedenheit über das Erfordernis einer obrigkeitlichen Heiratsbewilligung für die soziale Unterschicht, Ehebeschränkungen für öffentlich Bedienstete und gesundheitliche Kontrollen der zukünftigen EheparnterInnen“. Vgl. LEHNER, Oskar (1987): Familie – Recht – Politik. Die Entwicklung des österreichischen Familienrechts im 19. und 20. Jahrhundert, Wien, S. 33 – 35. 387 UN-Menschenrechtserklärung: Artikel 16 Abs 2 (10.12.1948). Online im Internet: URL: http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html [Stand 2012 - 11- 26]. 388 BVG BGBl Nr. 59/1964. 389 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Rom 4.11.1950. In Österreich in Kraft seit 3.9.1958, in der Verfassung seit 1.11.1998, Protokoll Nr. 11. Online im Internet: URL: http://www.emrk.at/emrk.htm [Stand 2012-11-22]. 390 Rössl, S. 125. 391 Z. B. Artikel 16 der CEDAW. Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women. Ratifikation in Österreich am 31.3.1982. Online im Internet: URL http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/ [Stand 2012 – 08 -07]. 392 UNITED NATIONS (1962): Convention on Consent for Marriage. Minimum Age for Marriage an Registration of Marriages vom 7.11.1962. New York. (in Österreich seit 9.12.1964 ratifiziert, seit 1.10.1969 in Kraft). Online im Internet: URL: http://www2.ohchr.org/english/law/convention.htm [Stand 2013 - 02 -12]. 77 gegenüber einer zu Eheschließung befugten Person und vor Zeugen geäußert werden muss.“393 Laut Artikel 16 der CEDAW394 treffen die Vertragsstaaten „alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau in allen ehelichen und familiären Angelegenheiten“ 395 wie auch in Artikel 23 des „Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.“396 In der UN-Kinderrechtskonvention397, insbesondere im „Zusatzprotokoll gegen Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie“ wird die Heiratsvermittlung explizit geächtet. Im Blick auf die völkerrechtlichen Verträge kann festgehalten werden, dass die jeweiligen Formulierungen ähnlich sind. Es wird festgehalten, dass eine Ehe nur aufgrund einer freien Willenseinigung der beiden zukünftigen EhepartnerInnen geschlossen werden darf.“398 „Die Verletzung dieses Rechts [ist] potentiell mit gravierenden Folgen für die künftige Lebensgestaltung der Betroffenen verbunden.“399 393 Vgl. RÖSLL, S. 126. CEDAW, Artikel 16: 1. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau in allen ehelichen und familiären Angelegenheiten und gewährleisten insbesondere folgende Rechte auf der Grundlage der Gleichheit von Mann und Frau: a)gleiches Recht auf Eheschließung; b)gleiches Recht auf freie Wahl des Ehegatten sowie auf Eheschließung nur mit freier und voller Zustimmung; c)gleiche Rechte und Pflichten in der Ehe und bei deren Auflösung; d)gleiche Rechte und Pflichten als Eltern, ungeachtet ihres Familienstands, in allen ihre Kinder betreffenden Angelegenheiten; in jedem Fall haben die Interessen der Kinder Vorrang; e)gleiches Recht auf freie und verantwortungsbewusste Entscheidung über die Anzahl und Altersunterschiede ihrer Kinder und auf Zugang zu den zur Ausübung ihrer Rechte erforderlichen Informationen, Bildungseinrichtungen und sonstigen Mitteln; f)gleiche Rechte und Pflichten in Fragen der Vormundschaft, Pflegschaft, Treuhandschaft und Adoption von Kindern oder ähnlicher Einrichtungen, soweit das innerstaatliche Recht derartige Rechtsinstitute kennt; in jedem Fall haben die Interessen der Kinder Vorrang; g)dieselben persönlichen Rechte der Ehegatten, einschließlich des Rechts auf Wahl des Familiennamens, eines Berufs und einer Beschäftigung; h)gleiche Rechte beider Ehegatten hinsichtlich Eigentum, Erwerb, Bewirtschaftung, Verwaltung, Nutzung und Verfügung über Vermögen, gleichgültig, ob diese Rechte unentgeltlich oder entgeltlich sind. 2. Die Verlobung und Verheiratung eines Kindes hat keine Rechtswirksamkeit; es werden alle erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Erlassung von Rechtsvorschriften, unternommen, um ein Mindestalter für die Ehefähigkeit festzulegen und die Eintragung der Eheschließung in ein offizielles Register zur Pflicht zu machen. 395 CEDAW, Artikel 16. 396 UN Zivilpakt: ICCPR-International Covenant on Civil and Political Rights. Ratifikation in Österreich: 10.9.1978. Online im Internet: URL: http://www.institut-fuermenschenrechte.de/de/menschenrechtsinstrumente/vereinte-nationen/menschenrechtsabkommen/zivilpakticcpr.html#c1407 [Stand 2013 – 02 – 12]. 397 „Kinderrechtskonvention“, BGBl. Nr. 7/1993, in Österreich in Kraft getreten: 5.9.1992. 398 RÖSSL, S. 126. 394 78 Es wurde in der vorliegenden Arbeit schon mehrfach erwähnt, dass seit dem Jahrtausendwechsel der „Kampf gegen traditionell motivierter Gewalt“ europaweit intensiviert wurde. Im Jahr 2005 verabschiedete der Europarat die „Resolution gegen Zwangsheirat und Kinderehen“ 400 , welche das Problem möglicher Zwangsausübung im Zusammenhang mit Eheschließungen in „migrantischen Communities“ verortet. Folgende Empfehlungen wurden ausgesprochen 401 und sind in vielen Mitgliedsstaaten mittlerweilen bereits umgesetzt: Nicht-Anerkennung von im Ausland geschlossenen Zwangsehen Erleichterung der Eheaufhebung Einführung des spezifischen Straftatbestandes „Zwangsehe“ Festlegung des Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre 5.9.4.4.Nationale zivilrechtliche Bestimmungen 5.9.4.4.1. Österreichisches Eherecht Die Eheschließung begründet in Österreich einerseits „eine Rechtsbeziehung zwischen den EhepartnerInnen, andererseits verleiht sie den Beteiligten den Status `verheiratet`, der gegenüber der Allgemeinheit wirkt und bestimmte Rechtsfolgen nach sich zieht.“ 402 Die Freiwilligkeit von Eheschließungen ist in Österreich geschützt, so muss z. B. nach § 17 des Ehegesetzes die Willenserklärung persönlich durch die zukünftigen EhepartnerInnen abgegeben werden. „Die rechtspolitischen Reformbestrebungen im Kontext der Debatten über „Zwangsverheiratung“ in Österreich konzentrieren sich auf das Strafrecht, während das Eherecht wenig bis gar nicht thematisiert wurde.“ 403 Aber auch im Eherecht gilt das Prinzip der Eheschließungsfreiheit, so findet sich im § 39 des Ehegesetzes die Bestimmung, „wonach 399 BECLIN, S. 162. EUROPARAT (2005): Resolution betreffend Zwangsheirat und Kinderehen. Nr. 1468. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/200510/Sept.05_Entschl1468_Zwangsheirat_Empf1723.asp [Stand 2012 - 11 – 26]. Sowie EUROPARAT (2005): Resolution betreffend Zwangsheirat und Kinderehen. Nr. 1723. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/t/d/Com/Dossiers/PV-Sitzungen/2005-10/Empfehlung1723-Heirat.asp#TopOfPage 401 Vgl. Ebd. 402 RÖSSL, S. 123f. 403 Ebd., S. 128. 400 79 eine Ehe, die aufgrund von Drohung zustande gekommen ist, binnen eines Jahres ab Wegfall der Zwangslage (§ 40 EheG) aufgehoben werden kann.“404 In diesem Zusammenhang zweifelt Ines Rössl an, „ob die österreichische Rechtslage in diesem Punkt den Vorgaben der Marriage-Convention entspricht“405, die im Artikel 1 besagt, „dass eine unter Zwang geschlossene Ehe von Anfang an rechtlich ungültig sein soll.“406 „In der Rechtspraxis kommt § 39 EheG allerdings kaum zur Anwendung“ 407 , in der Beratungspraxis – z. B. der Beratungsstelle DIVAN 408 – gab es seit Bestehen des Beratungsangebotes keine Eheaufhebung aufgrund einer Drohung im Sinn von § 39 EheG, wonach ein „körperliches, psychisches, vermögensrechtliches oder gesellschaftliches Übel“409 droht, wenn die Heirat nicht zustande kommt. „Insbesondere aufgrund der Beweisschwierigkeiten wählen betroffene Personen eher den Weg einer Scheidung, um eine Zwangsehe zu beenden.“410 Der Schutz der Eheschließungsfreiheit gilt auch als Argument im Zusammenhang mit eigentlich sittenwidrigen – Geldzahlungen („Brautpreis“) unter Erziehungsberechtigten anlässlich einer Verlobung. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofes in Österreich411 aus dem Jahr 2000 könne eine Geldleistung „einen ernsthaften Druck auf die Motivation der Minderjährigen zur Eheschließung“412 ausüben. „ […] Übertragen auf analoge Situationen bedeutet das Urteil: Ein Mädchen, das gegen Geld verlobt wurde, muss damit rechnen, dass ein Verlöbnisbruch zu einem finanziellen Nachteil ihre Eltern führt, da diese bereits empfangene Geldleistungen zurückzahlen müssen. Diese Konsequenz könnte eine junge Frau dazu bewegen, eine ungewollte Ehe einzugehen, anstatt das Verlöbnis aufzulösen. Damit wird der Ausstieg aus derartigen Konstellationen erschwert 404 § 39 und § 40 EheG. RÖSSL, S. 129. 406 UN, Convention on consent for marriage. 407 RÖSSL, S. 130. 408 Vgl. CARITAS, Bericht DIVAN 2012 bzw. Klientinnen-Dokumentation. 409 Vgl. OGH, 6 Ob 232/69, vom 8.10.1969. Aktuelle Kommentare und Rechtsprechungen zur Thematik Eheaufhebung wegen Drohung sind nicht vorhanden bzw. vier Jahrzehnte alt. Interessant ist auch der Hinweis, dass im 19. Jh. der rechtswissenschaftliche Diskurs zu dieser Fragestellung präsenter war. Vgl. dazu: RÖSSL, S. 129f. 410 Ebd., S. 130. In Bezug auf die Beratungsstelle „Divan“ bedeutet das z. B. für 2012, dass von 14 Klientinnen, die zum Zeitpunkt des Erstgespräches in einer „aufrechten Zwangsehe“ standen neun Frauen die Scheidung einreichten. Vgl. CARITAS, Bericht DIVAN 2012, S. 21. 411 Anlassfall im Roma-Kontext, wo nach der Auflösung der Verlobung die Rückzahlung des Geldbetrages eingeklagt wurde. 412 OGH, 4 Ob 199/00v, vom 13.9.2000. 405 80 und indirekter Zwang ausgeübt, wenn auch diesmal nicht in Bezug auf das Zustandekommen des Verlöbnisses, sondern hinsichtlich seiner Auflösung.“413 Gemäß § 16 des Internationalen Privatrechtes 414 werden in Österreich auch jene Ehen anerkannt, die im Ausland nach dem Recht des Ortes gültig415 geschlossen wurden. 5.9.4.4.2. Österreichisches Gewaltschutzgesetz und Sicherheitspolizeigesetz Im Artikel 32 des Europaratsübereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt416 wird auf die zivilrechtlichen Folgen der Zwangsheirat Bezug genommen. Diese sind die Nichtigkeitserklärung oder die Auflösung der Ehe, die den Entzug der rechtlichen Wirksamkeit zur Folge haben bzw. die Anfechtbarkeit der Ehe, im Falle der Infrage-Stellung der Rechtsgültigkeit von einer der Parteien.“417 5.9.4.5.Strafrechtliche Bestimmungen in Österreich Laut § 106 des Österreichischen Strafgesetzbuches sind (seit 2006)418 „Zwangsheiraten“ als „schwere Nötigung“ strafbar. 419 „Eine Nötigung bedeutet eine `Willensbeugung mittels Gewalt` oder `gefährlicher` Drohung.“420 Für alle Beteiligten an einer Zwangsverheiratung 413 RÖSSL, S. 136. § 16 Abs 2 IPR. „Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung.“ Online im Internet: URL: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002426 [Stand 2012 – 12 -05]. 415 Ausgenommen bei Verletzung der Grundsätze des österreichischen Rechtssystems („ordre public“), z. B. bei Polygamie. 416 COUNCIL OF EUROPE, 2011, S. 76. 417 Ebd. Im Privatrecht der Vertragsparteien werden verschieden Konzepte zur Anwendung kommen, diese sollen aber für die Betroffenen leicht verfügbar sein und keine „übermäßige finanzielle oder administrative Belastung“ darstellen. 418 Mit der am 1.7.2006 in Kraft getretenen Novellierung wurde die Zwangsverheiratung aus dem Geltungsbereich des § 193 StGB herausgenommen und somit sämtliche einschlägige Privilegierungen der Ehegatten beseitigt, die bis dato eine verhältnismäßig niedrige Strafe für Ehetäuschung und Ehenötigung bekamen. Eine Nötigung durch Dritte wurde bereits als schwere Nötigung gesehen. Näheres zur gerichtlichen Strafbarkeit von Zwangsheirat nach der alten Rechtslage: BECLIN, S. 151 – 153. 419 § 106 StGB. BGBl. I Nr. 56/2006 (1.7.2006). Online im Internet: URL: http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR40077295 [Stand 2012 – 12 – 05]. 420 § 106 StGB: (1) Wer eine Nötigung begeht, indem er mit dem Tod, mit einer erheblichen Verstümmelung oder einer auffallenden Verunstaltung, mit einer 1. Entführung, mit einer Brandstiftung, mit einer Gefährdung durch Kernenergie, ionisierende Strahlen oder Sprengmittel oder mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz oder gesellschaftlichen Stellung droht, die genötigte oder eine andere Person, gegen die sich die Gewalt oder gefährliche Drohung richtet, durch 2. diese Mittel längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt oder 414 81 gilt ein einheitlicher Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Durch die Gestaltung als „Offizialsdelikt“ lastet die Verantwortung für die Strafverfolgung nicht auf dem Opfer, dessen Aussage aber als zentrales Beweismittel gilt, wenn nicht vom Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht wird.421 Im Kontext von Zwangsheirat fühlen sich die Betroffenen oft bedroht, strafrechtlich lautet die Definition des Begriffes Drohung laut § 74 StGB 422 laut taxativer Aufzählung folgendermaßen: Eine „Drohung mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen, die geeignet ist, dem Bedrohten423 mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit 424 oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Besorgnisse einzuflößen.“ Als Schwachpunkt der strafrechtlichen Bekämpfung von Zwangsverheiratungen wird in einem Kommentar zum Strafgesetzbuch die Nichterfassung von „Drohungen, die ausschließlich auf die psychische Integrität abzielen, wie etwa die emotionale Erpressung damit, dass im Fall des Widerstandes des Opfers jeder Kontakt zur Familie abreißen werde“425 aufgezeigt. Weiters wird eingeschätzt, dass es eher unwahrscheinlich sei, „dass die im Kontext von Zwangsheirat typischen Konstellationen der Willensbeugung künftig als gefährliche Drohungen gegen das Rechtsgut der Ehre gesehen werden könnten“ 426, da die ausjudizierten Beispiele „für einschlägige angedrohte Übel“ den Tatbestand eines Deliktes erfüllen, „das dem vierten Abschnitt des StGB unter der Überschrift `Strafbare Handlungen gegen die Ehre` zuzuordnen ist.“427 die genötigte Person zur Eheschließung, zur Prostitution oder zur Mitwirkung an einer pornographischen 3. Darbietung (§ 215a Abs. 3) oder sonst zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung veranlasst, die besonders wichtige Interessen der genötigten oder einer dritten Person verletzt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. (2) Hat die Tat den Selbstmord oder einen Selbstmordversuch der genötigten oder einer anderen Person, gegen die sich die Gewalt oder gefährliche Drohung richtet, zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. 421 RÖSSL, S. 128. 422 § 74 Abs 1 Z 5 StGB. 423 Der Gesetzestext ist (noch) nicht gegendert. 424 § 74 Abs 1 Z 5 StGB. 425 JERABEK, Robert/REINDL-KRAUSKOPF, Susanne/SCHROLL, Hans Valentin (2008): § 74. In: HÖPFEL, Frank/RATZ, Eckart (Hrsg.): Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Auflage. Wien. §§ 68 – 74. Rz 31. 426 Ebd. 427 §§ 111 – 117 StGB. 82 Im Dezember 2011 wurde auf Initiative von Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz und Justizministerin Beatrix Karl die Gesetzesnovelle zur „Nicht-Anerkennung von im Ausland geschlossenen Zwangsehen“ – so der in den Medien428 kommunizierte Titel - im Nationalrat verabschiedet429 und somit ein langjähriger Schwachpunkt der strafrechtlichen Bekämpfung von Zwangsverheiratungen beseitigt. „Wer jemanden bestraft, und in auch entweder Österreich zur wenn Täter haben. Ehe diese oder Der zwingt, wird künftig Zwangsverheiratung Opfer Österreicher Strafrahmen dafür im sind liegt in jedem Ausland oder bei ihren sechs Fall stattfindet Aufenthalt Monaten bis fünf Jahren Freiheitsentzug.“430 Die Strafgesetznovelle 2011431, „im Sinne einer Fortschreibung der Maßnahmen des Zweiten Gewaltschutzgesetzes“ 432 trat mit 1. Jänner 2012 in Kraft und spricht nicht explizit von Zwangsehen, sondern von der „Strafverschärfung bei Gewaltdelikten von volljährigen gegen unmündige Personen. Künftig wird ein besonderer Erschwerungsgrund bei Tatbegehung unter Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung durch eine volljährige gegen eine unmündige Person gesetzlich verankert. Die österreichische Gerichtsbarkeit wird auf bestimmte Straftatbestände, z.B. auf sexuellen Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person oder auf Genitalverstümmelungen, bei Tatbegehung im Ausland ausgedehnt (unabhängig von der Strafbarkeit am Tatortstaat), wenn die Täterin/der Täter oder das Opfer die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt oder ihren/seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.“433 428 FRITZL, Martin (2011): Auch Zwangsheirat im Ausland bestrafen. In: Die Presse. Onlineausgabe vom 22.10.2011. Online im Internet: URL: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/703253/Kurz_AuchZwangsheirat-im-Ausland-bestrafen [Stand 2013 -02 -12]. 429 Die Novellierung ist auch für den Bereich „Genitalverstümmelung“ gültig. 430 Vgl. Pressesaussendung von Staatssekretär Sebastian Kurz: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20111206_OTS0279/kurz-erfreut-ueber-heutigen-beschluss-gegenzwangsehe-im-nationalrat [Stand 2012 - 12 – 09]. 431 BGBl I Nr. 130/2011. 432 REPUBLIK ÖSTERREICH (2011): Parlamentskorrespondenz Nr. 1194 vom 06.12.2011. Online im Internet: URL: http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2011/PK1194/ [Stand 2012 – 11 – 26]. 433 Vgl. BGBl I Nr. 130/2011. 83 Abschließend soll noch kritisch bemerkt werden, dass die Bedeutung des Strafrechtes „im Hinblick auf die plakative Normverdeutlichung unbestritten [ist], da die Androhung gerichtlicher Strafen einerseits die schärfste Form staatlicher Missbilligung darstellt und andererseits das Strafrecht im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten aufgrund der medialen Berichterstattung einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreicht.“434 Fakt ist aber, dass die „Effizienz des Strafrechts“ in jenen Bereichen minimal bleibt, „in denen die Anzeigenbereitschaft gering ist.“435 Ines Rössl gibt auch zu bedenken, dass der „bei der Nötigung angewandte Gewaltbegriff“ nicht unumstritten sei:436 „Er tendiert dazu, ein körperlicher Gewaltbegriff zu sein, jedoch nicht ausschließlich, da in manchen Fällen auch Freiheitsentzug (zum Beispiel Einsperren), psychische Gewalt und komplette Willensausschaltung (z. B. durch Hypnose oder Betäubung) als Gewalt betrachtet werden kann.“437 Aufgrund des massiven Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Genötigten und NötigerInnen gibt es auch viele Fälle, wo manifeste Gewalt keine Rolle spielt. „Vielmehr führen in aller Regel weit subtilere Nötigungsmittel zum Ziel, die weniger `sichtbar`, daher schwerer beweisbar und insofern sogar `effektiver` sind als physische Gewalt.“438 5.9.4.6.Fremdenrechtliche Bestimmungen in Österreich Die aufenthaltsrechtliche Situation ist für den Ausstieg aus einer Ehe, neben verschiedenen anderen Faktoren, sehr relevant. „Drittstaatsangehörige, die ihre/n (drittstaatsangehörigen oder österreichischen) EhepartnerIn nach Österreich nachgezogen sind, leiten ihr Aufenthaltsrecht 439 während der ersten fünf Jahre in Österreich von ihrem/r EhepartnerIn ab,“440 hieß es in der alten Regelung, die bis Ende Juni 2011 gültig war. Die mit 1.7.2011 in 434 BECLIN, S. 150. Ebd. 436 Vgl. HOCHMAYER, Gudrun/SCHMOLLER, Kurt (2003): Die Definition der Gewalt im Strafrecht. In: Manz'sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung (Hrsg.): Österreichische Juristen Zeitung. Wien. Jg. 58, S. 36ff. 437 RÖSSL, S. 128. 438 BECLIN, S. 153. 439 Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" (befristete Niederlassung mit unbeschränktem Arbeitsmarktzugang). 440 RÖSSL, S. 130. Ausgenommen sind Familienangehörige von InhaberInnen einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“, einer „Blaue Karte EU“ und bereits dauerhaft in Österreich niedergelassenen Drittstaatsangehörigen. Vgl. 435 84 Kraft getretene Novelle des Fremdenrechts441 räumt nun die Möglichkeit eines eigenständigen Aufenthaltstitels ein, wenn die Voraussetzungen für den Familiennachzug wegfallen. Damit wurde einer langjährigen Forderung von Beratungsstellen in Bezug auf die rechtliche Abhängigkeit vom Partner Rechnung getragen. 442 Wenn eine Frau die Voraussetzungen für eine eigenständige Niederlassung443 erfüllt, hat sie ein Recht auf eine Niederlassungsbewilligung.444 Die derzeitigen Erteilungsbedingungen für einen Aufenthaltstitel sind für Frauen mit geringem oder ohne eigenständigem Einkommen445 in der Praxis schwer erfüllbar. Bedingung sind „ausreichende Existenzmittel 446 , Krankenversicherungsschutz, ortsübliche Unterkunft und Kenntnisse der deutschen Sprache auf A1 Niveau des gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.“447 Mit den letzten Novellierungen des NAG wurden auch Bestimmungen eingeführt, wonach unter anderem Familienangehörige, die entweder Opfer einer Zwangsehe oder BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, Informationsblatt Familienzusammenführung. Wien. 2011. Online im Internet: URL: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/Allgemeine_Informati/Beilage_Familienzusammenfuehrung_.pdf [Stand 2012 - 11 – 29]. 441 BGBl. I Nr. 38/2011: Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 - FrÄG 2011. Online im Internet: URL: http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=BgblAuth&Dokumentnummer=BGBLA_2011_I_38 [Stand 2013 – 02 – 12]. 442 LOGAR, Rosa/WEISS, Klara/STICKLER, Maja/GURTNER, Anja (2010): Migrantinnen und familiäre Gewalt. In: Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie (Hrsg.): Tätigkeitsbericht 2009. Wien. Überarbeitete Version, S. 1. Online im Internet: URL: http://www.interventionsstellewien.at/images/doku/migrantinnen_familiaere_gewalt_ttb2009.pdf [Stand 2012 - 12 – 05]. 443 nach § 11 Abs. 2 NAG. 444 Auch bei einer Trennung vom Ehepartner. 445 Z. B. aufgrund von Kinderbetreuungspflichten oder der Nichtanerkennung von beruflichen Qualifikationen aus dem Herkunftsland. Aus dem Bericht des Bundesministeriums für Inneres geht hervor, dass das Lohnniveau der im Ausland geborenen Bevölkerung 84% des durchschnittlichen Nettojahreseinkommens in Österreich beträgt. Die Armutsgefährdung von nicht in Österreich geborenen Menschen liegt bei 24%, gleichzeitig ist auch die Wohnkostenbelastung für MigrantInnen im Schnitt wesentlich höher. Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES (2011): Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren. Erstellt von Statistik Austria und der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Österreichischen Akademie für Wissenschaften. Wien, S. 62f. 446 Sozialleistungen werden nicht berücksichtigt. Die Höhe des Richtsatzes beträgt für das Jahr 2013 für Alleinstehende 837,63 Euro, für Ehepaare 1.255,89 Euro und für jedes Kind zusätzlich 129,24 Euro. Online im Internet: URL: http://www.migration.gv.at/de/formen-der-zuwanderung/dauerhafte-zuwanderung-rot-weiss-rotkarte/familienzusammenfuehrung.html#c2444 [Stand 2013 – 02 - 12]. 447 Vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, Informationsblatt Familienzusammenführung. Wien. 2011, S. 2f. Online im Internet: URL: http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/Allgemeine_Informati/Beilage_Familienzusammenfuehrung_201 2_02_07.pdf [Stand 2012 - 12 - 05]. 85 Zwangspartnerschaft 448 sind oder in anderer Weise Opfer von Gewalt wurden, eine eigenständige Niederlassung erhalten. § 27 449 des NAG regelt, dass „eine Frau, die ihr Aufenthaltsrecht von ihrem Ehepartner ableitet“, das Anrecht auf weiteren Aufenthalt in Österreich hat, „wenn `besonders berücksichtigungswürdige Gründe` vorliegen.“450 Opfer von „Gewalt in der Familie“ müssen glaubhaft machen, „dass die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung `zum Schutz vor weiterer Gewalt in der Familie erforderlich` ist und nachweisen, dass Gewaltschutzmaßnahmen 451 (z. B. Betretungsverbot bzw. Wegweisung) erlassen wurden oder erlassen hätten werden können.“ 452 Bei diesen genannten Voraussetzungen kann eine „Aufenthaltsbewilligung für besonderen Schutz“ nach § 69 a NAG beantragt werden. Eine Grundvoraussetzung ist die Bereitschaft der Betroffenen – trotz angedrohter Konsequenzen - familiäre Gewalt zur Anzeige zu bringen. Die Hürde ist „für eine Gruppe, die in aller Regel behördliches Einschreiten im familiären Umfeld als Tabubruch sieht, schon für den Fall manifester Gewalt sehr hoch.“453 „Migrantinnen scheuen sich zum Teil, die Polizei zu rufen, und flüchten eher zu Verwandten, Bekannten oder ins Frauenhaus. Daher sind ihre Chancen, eine Einstweilige Verfügung zu erhalten, geringer. Werden die betroffenen Frauen von einer Opferschutzeinrichtung betreut, sind ihre Aussichten auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach §27 erheblich höher: viele erfahren erst in der Beratung von ihren [neuen] 454 Rechten und der Möglichkeit, sich vor dem Ablauf von fünf Jahren von ihrem gewalttätigen Ehemann zu trennen.“ 455 448 § 30 a NAG. § 27 Abs. 2 NAG: Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des Abs. 2 Z 3 liegen insbesondere vor, wenn 1. der Familienangehörige Opfer einer Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) ist; der Familienangehörige Opfer von Gewalt wurde und gegen den Zusammenführenden eine einstweilige 2. Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder der Verlust des Aufenthaltstitels des Zusammenführenden die Folge einer fremdenpolizeilichen Maßnahme 3. war, die auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung des Zusammenführenden wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung gesetzt wurde. 449 450 Ebd. In der Praxis handelt es sich um Stellungnahmen des Gewaltschutzzentrums sowie weiterer Beratungsstellen (z. B. DIVAN). 452 Vgl. §69 a NAG. 453 BECLIN, S. 149. 454 Die häufigen Neuerungen des österreichischen Fremdenrechtes sind für Betroffene ohne die Unterstützung einer Beratungsstelle nicht überblickbar. 455 LOGAR, S. 1f. 451 86 Die Aufenthaltsbewilligung wird für ein Jahr erteilt und muss immer wieder neu beantragt werden. Die damit verbundenen Unsicherheiten wirken sich negativ auf die Betroffenen aus, wie die Mitarbeiterinnen des Wiener Gewaltschutzzentrums schildern: „Neben dem ohnehin sehr schwierigen Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung und den zahlreichen Folgen wird durch diese Politik der Druck auf Frauen erhöht und wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit, das Familienleben und die Integration aus.“456 Folgende „Kann-Bestimmungen“ gelten für die Betroffenen: „Für InhaberInnen einer solchen Aufenthaltsbewilligung kann eine Beschäftigungsbewilligung ohne Arbeitsmarktprüfung erteilt werden. Fremde, die bereits zwölf Monate im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung „Besonderer Schutz“ sind, können eine quotenfreie „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit unbeschränktem Arbeitsmarktzugang erhalten.“457 In der Praxis sind neben den aufenthaltsrechtlichen Fragen noch weitere Aspekte zu berücksichtigen: „Die prekäre Lage von Frauen, die im Zuge der Familienzusammenführung nach Österreich gekommen sind und sich in der Folge scheiden lassen wollen, entspricht selbstredend nicht nur aufenthaltsrechtlichen Schwierigkeiten, sondern ist das Zusammentreffen mehrerer Umstände (Familienstruktur, Geschlechterhierarchien, Ausbildung, Sprache, Sozial- versicherungsrecht und Arbeitsmarktsituation), das mitunter zu existenzbedrohenden Konstellationen führen kann.“458 Das Mindestalter für den/die nachziehende Ehegatten/in bzw. für den/die nachziehende eingetragene PartnerIn beträgt 21 Jahre459, diese Regelung ist seit 1. Jänner 2010 in Kraft und 456 LOGAR, S. 2. Vgl. die offizielle Information des Bundesministeriums für Inneres. Online im Internet: URL: http://www.migration.gv.at/de/formen-der-zuwanderung/aufenthaltsbewilligung-fuer-betriebsentsandteselbstaendige-kuenstlerinnen-schuelerinnen-studierende-und-forscherinnen.html#c2616 [Stand 2013 – 02 – 13]. 458 MARKOM, Christa/RÖSSL, Ines (2008): Exit-Möglichkeiten in Theorie und Praxis. Bedingungen für Ausstiegsmöglichkeiten am Beispiel von Zwangsverheiratungen. In: SAUER/STRASSER, S. 91. 459 Von dieser Regelung ausgenommen sind – laut EuGh-Urteil, dass im April 2012 vom Österreichischen Verfassungsgerichtshof übernommen wurde - TürkInnen, die mit in Österreich wohnhaften UnionsbürgerInnen verheiratet sind. Ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei besagt, dass sämtliche 457 87 sollte „als präventive Jugendlichen“ 460 Sicherungsmaßnahme gegen sogenannte Zwangsehen unter dienen, vorher gab es keine Altersbeschränkungen im Rahmen des Familiennachzuges. So muss zum Abschluss der Auseinandersetzung mit fremdenrechtlichen Aspekten festgehalten werden, dass aufenthaltsrechtliche Regelungen auch dazu beitragen, „dass sich Personen dazu gezwungen sehen, in einer ungewollten Ehe zu bleiben, anstatt eine Scheidung anzustreben.“461 „Die dringend notwendigen Anpassungen des österreichischen Fremdenrechtes wiederum, die auf eine Liberalisierung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen Arbeitsmarktzuganges hinauslaufen müssten, sind politisch umstritten.“ und des 462 Verschärfungen des Fremdenrechts seit Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995 nicht anzuwenden sind („Verschlechterungsverbot“). Vgl. EUROPÄISCHER GERICHTSHOF (2011): Beschluss C-256/11 vom 9.9.2011. Online im Internet: URL: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=T%25C3%25BCrkei&docid=111461&pageIndex=0&d oclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=924887#ctx1 [Stand 2012 – 12 – 03]. 460 Vgl. Materialien zur Regierungsvorlage. 952 der Beilagen XXII. GP, S. 115. Online im Internet: URL: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXII/I/I_00952/fname_040777.pdf [Stand 2012 - 12 – 04]. 461 RÖSSL, S. 132. 462 BECLIN, S. 150. 88 5.9.4.7. EXKURS: Zwangsheirat als juristischer „Unterfall“ von Menschenhandel Die Vermittlung von Zwangsehen bzw. die Nötigung zu einer Zwangsheirat entsprechen dem Tatbestand § 104a StGB463 (Menschenhandel), da „die Zwangsehe als Form der sexuellen Ausbeutung oder der Ausbeutung der Arbeitskraft interpretiert werden kann.“ Strafdrohung für jene Person, „die eine minderjährige Person mit 464 dem Die auf Zwangsverheiratung gerichtetem Vorsatz `anwirbt, beherbergt oder sonst aufnimmt, befördert oder einem anderen anbietet oder weitergibt`“ 465 ist um das Dreifache höher als beim Tatbestand der einfachen Nötigung. Der „große Umfang möglicher Tatmittel ermöglicht es, […] [die] ´emotionale Erpressung` zu einer Eheschließung auch hinsichtlich erwachsener Opfer unter den Voraussetzungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu sanktionieren.“ gegebenen 466 Bemerkenswert sind in der Frage der „Anwendbarkeit des § 104a StGB auf Zwangsehen“467 die „Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage“468, die unter anderem auch festlegen, dass das „Vorbereitungsstadium“ 469 der aufgezählten Verhaltensweisen „im Vorfeld der eigentlichen Ausbeutung“ 470 strafbar sei (Vorbereitungsdelikt) und dass unter Ausbeutung „eine weitgehende und nachhaltige Unterdrückung vitaler Interessen des Opfers“ 471 zu verstehen seien. 463 § 104a. StGB. BGBl. I Nr. 15/2004 vom 1.3.2004. (1) Wer 1.eine minderjährige Person oder 2.eine volljährige Person unter Einsatz unlauterer Mittel (Abs. 2) gegen die Personmit dem Vorsatz, dass sie sexuell, durch Organentnahme oder in ihrer Arbeitskraft ausgebeutet werde, anwirbt, beherbergt oder sonst aufnimmt, befördert oder einem anderen anbietet oder weitergibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (2) Unlautere Mittel sind die Täuschung über Tatsachen, die Ausnützung einer Autoritätsstellung, einer Zwangslage, einer Geisteskrankheit oder eines Zustands, der die Person wehrlos macht, die Einschüchterung und die Gewährung oder Annahme eines Vorteils für die Übergabe der Herrschaft über die Person. (3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer die Tat unter Einsatz von Gewalt oder gefährlicher Drohung begeht. (4) Wer die Tat gegen eine unmündige Person, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung, unter Anwendung schwerer Gewalt oder so begeht, dass durch die Tat das Leben der Person vorsätzlich oder grob fahrlässig gefährdet wird oder die Tat einen besonders schweren Nachteil für die Person zur Folge hat, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“ 464 BECLIN, S. 156. 465 Vgl. § 104 a (1) StGB. 466 BECLIN, S. 157. 467 Ebd. 468 Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage (EBRV) zum StRÄG 2004. Beilage 294 der XXII. Gesetzgebeungsperiode (2003). Wien, S. 11. Online im Internet: URL: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXII/I/I_00294/fname_010159.pdf [Stand 2012 - 12 – 12]. 469 EBRV, S. 12. 470 BECLIN, S. 157. 471 EBRV, S. 12. 89 Katharina Beclin stellt auch einen Vergleich der Zwangsehe mit der sogenannten „dirigierenden Zuhälterei“ 472 her, der – aber nur auf den ersten Blick - als weit hergeholt erscheint. In Anbetracht dessen, „dass zwangsverheiratete Menschen gezwungen werden, eine Sexualbeziehung – und zwar oft die erste ihres Lebens – zu einem Menschen einzugehen, den sie ablehnen, und von ihnen weiters implizit erwartet wird, ungeschützten Verkehr mit ihm oder ihr zu haben, da das Zeugen beziehungsweise Gebären eines oder mehrerer Kinder ebenfalls als ihre Pflicht betrachtet wird, werden zumindest aus Opfersicht Parallelen zwischen Zwangsheirat und dirigierender Zuhälterei, wenn nicht sogar `Zwangsprostitution`, offensichtlich. (Unerwünschte) Schwangerschaften stellen in solchen Konstellationen ein zusätzliches schwerwiegendes Element der Ausbeutung weiblicher 473 Opfer dar.“ Die vitalen Interessen der Betroffenen und eine autonome Lebensgestaltung, wie „PartnerInnenwahl, Beziehungsgestaltung, Sexualleben und Familienplanung“474 werden den Betroffenen verwehrt. In Bezug auf die Ausbeutung der Arbeitskraft nennt Katharina Beclin das Beispiel einer zwangsverheirateten Schwiegertochter, die angehalten wird, „im ´eigenen´ und im Haushalt der Schwiegereltern ohne entsprechende Abgeltung zu arbeiten, und dabei beispielsweise in ihrer Zeiteinteilung oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, also etwa nicht ohne Begleitung die Wohnung verlassen darf.“475 472 Dirigierende Zuhälterei: „Hierunter fällt das Erteilen von Anweisungen an Prostituierte, die diese in ihrer Selbstbestimmung beeinträchtigen, seien es Bedingungen hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Ausübung sowie des zu verlangenden Entgelts.“ Vgl. PHILIPP, Thomas (2008): Zuhälterei § 216. In: HÖPFEL, Frank/RATZ, Eckart (Hrsg.): Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch. 2. Auflage. Wien, §§ 213 – 220 a, Rz. 14. 473 BECLIN, S. 158. 474 Ebd. 475 BECLIN, S. 159. 90 5.9.4.8. EXKURS: Zwangsheirat als weltweite Erscheinung - Das Phänomen der Kinderehe Das Phänomen Zwangsheirat beruht auf lange Traditionen und ist weltweit verbreitet. International gibt es kaum Datenmaterial, „da Ehe und Geburten in etlichen Ländern nicht registriert werden“476, alarmierende Zahlen und Schätzungen gibt es über die Verheiratung von Kindern. Dem aktuellen Bericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) 477 aus dem Jahr 2012 zufolge, treten Kinderehen in allen Regionen der Welt auf, wobei verhältnismäßig mehr Mädchen betroffen sind und diese in Südasien und in afrikanischen Ländern südlich der Sahara leben. 46 Prozent der jungen Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren waren 2010 in Südasien an ihrem 18. Geburtstag bereits verheiratet, wovon in Bangladesch der höchste Prozentsatz (66 %) an Kinderehen festgestellt wird. Sollte sich der gegenwärtige Trend fortsetzen, rechnet UNFPA im Jahr 2030 mit ca. 130 Millionen Mädchen, die in Südasien bereits im Kindesalter verheiratet sein werden.478 Weiters wird im Bericht die Situation der afrikanischen Länder südlich der Sahara erwähnt, wo 37 Prozent der jungen Frauen in der Altersgruppe 20 bis 24 Jahre mit 18 Jahren bereits verheiratet war, besonders negativer Spitzenreiter ist der Niger mit 75 Prozent. Für die nächsten zwei Jahrzehnte liegt die Einschätzung des Bevölkerungsfonds über das Risiko der Kinderehe bei zirka 70 Millionen Mädchen. In Lateinamerika und den Karibischen Staaten sind in der erwähnten Altersgruppe 29 % betroffen und die Schätzungen für die nächsten zwei Dekaden belaufen sich auf 45,5 Millionen betroffene Mädchen. 479 „Girls not Brides“ – „The Global Partnerschip to End Child Marriages“480, ein Zusammenschluss von rund 190 Nichtregierungsorganisationen mit dem Ziel 481 Kinderhochzeiten 476 LEHNHOFF, Liane (2006): Sklavinnen der Tradition. Zwangsheirat als weltweite Erscheinung. In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Schriftenreihe Nein zu Gewalt an Frauen. Tübingen, S. 11. 477 UNITED NATIONS POPULATION FUNDS (2012): Marrying to young. End child marriage. Report. New York. Online im Internet: URL: http://www.unfpa.org/webdav/site/global/shared/documents/publications/2012/MarryingTooYoung.pdf [Stand 2012 - 11 – 19]. 478 Vgl. Ebd., S. 1. 479 Ebd. 91 einzudämmen und die Selbstbestimmung sowie das eigentliche Potential von Mädchen zu fördern, schreibt auf der eigenen Homepage, „dass jährlich geschätzte 10 Millionen Mädchen unter 18 Jahren heiraten.“482 Der am 11. Oktober 2012 erstmals weltweit begangene, von der UN ausgerufene, „Girls Day“483 hatte deshalb auch die zentrale Forderung nach der Abschaffung von Kinderehen. Die Vereinten Nationen verweisen zudem bei den sogenannten Entwicklungsländern neben der hohen schulischen Dropout-Quote aufgrund der frühen Eheschließung auch auf das hohe Risiko der Müttersterblichkeit in der Gruppe der 15 bis 19jährigen im Zusammenhang mit Schwangerschaftskomplikationen. Der Schlüssel zur Veränderung der Lebenssituation dieser betroffenen Mädchen liegt in verbesserten Bildungschancen und der Bewusstseinsarbeit über diese traditionell motivierte Gewaltform. Für Europa werden aktuelle UNICEF Zahlen angeführt, die sowohl für die Gruppe der 15jährigen als auch für die Gruppe der 18jährigen die Eheschließungen mit jeweils einem Prozent beziffern.484 Im Blick auf jene Herkunftsgruppen, die sich nach ihrer Migration bzw. in der zweiten Generation an österreichische Beratungsstellen mit der Thematik Zwangsheirat wenden, soll die nachfolgende Aufstellung, basierend auf dem Datenmaterial von „Girls not Brides“ 485 bzw. UNICEF486, die Situation im jeweiligen Herkunftsland veranschaulichen. 480 Girls not Brides. Online im Internet: URL: http://www.girlsnotbrides.org/where-does-it-happen/ [Stand 2012 – 11 – 19]. 481 An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass sich erstaunlicherweise in der UN-Kinderrechte-Konvention keine explizite Bestimmung gegen Kinderehen findet. Vgl. ASKARI, Ladan (1998): The Convention on the Rights of the Child. The Necessity of Adding a Provision to Ban Child Marriages. IN: ILSA – INTERNATIONAL LAW STUDENTS ASSOCIATION (Hrsg.): Journal of International & Comparative Law. Chicago. Jg. 5, Heft 5, S. 123-138. 482 Vgl. Homepage Girls not Bride. 483 UN International Day of the Girl Child 11.10.2012. Kampagne „To young to wed“. Online im Internet: URL: http://www.un.org/en/events/girlchild/ [Stand 2012 – 11 – 19]. 484 Vgl. Homepage Girls not Brides. 485 Ebd. 486 UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND (2012): Children in an urban world. The state of the world`s children. New York, S. 120 – 123. Online im Internet: URL: http://www.unicef.org/sowc/files/SOWC_2012Main_Report_EN_21Dec2011.pdf [Stand 2012 - 11- 20]. 92 Abb. 5: Mädchen und junge Frauen in der Altersgruppe 20 – 24 Jahre (2000 – 2010)487 Prozentsatz d. Eheschließungen Prozentsatz der Eheschließungen Land bis zum 15. Geburtstag bis zum 18. Geburtstag Afghanistan 1% 39 % Moldawien 1% 19 % Pakistan 7% 24 % Georgien 3% 17 % Irak 3% 17 % Ägypten 2% 17 % Türkei 3% 14 % Syrien 3% 13 % Albanien 0% 10 % Serbien 1% 6% Bosnien/Herzegowina 0% 6% 487 Vgl. UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND, S. 120 – 123. 93 6. „GEWALT IM NAMEN DER EHRE“ – DER DISKURS IN ÖSTERREICH 6.2. Politische Debatten und feministische Positionen In den politischen Debatten lassen sich seit einigen Jahren drei feministische Positionen festmachen:488 1. Eine Gruppe begrüßt die Initiativen gegen `traditionsbedingte Gewalt` und sieht in der öffentlichen Debatte einen wichtigen Schritt in Richtung Frauen- und Menschenrechte.489 2. Eine zweite Gruppe befürchtet, dass die Fokussierung auf `kulturelle` Formen der Gewalt im Kontext der Debatten um Zuwanderung, Minderheiten und Integration zu Stigmatisierungen beitragen könnte.490 3. Die dritte Gruppe versucht Wege zu finden, um die Diversität als Prinzip von Gleichheit anzuerkennen, sowie Kultur nicht als Festschreibung von bestimmten Handlungen oder Traditionen zu verstehen. Die Probleme von marginalisierten, abweichenden oder widerständigen Individuen in ethnischen oder religiösen Minderheiten sollen gesehen und nicht ignoriert werden.“491 Die neue Sichtweise auf die oben erwähnten „marginalisierten, abweichenden oder widerständigen Individuen“ mobilisierte auch konservative und bis dato wenig an feministischen Fragen interessierte Kreise, hatte aber zufolge, dass sehr einseitig die Gewalterfahrungen von minorisierten Frauen „in anderen Kulturen“ in den Blick genommen wurden. „Damit wurde zunehmend die Rolle des angeblich liberaleren Mainstreams492 bei der 488 Vgl. STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (2010): Einleitung. Multikulturalismus queer gelesen. In: STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 9. 489 Beispielsweise Terre des femmes. Vgl. TERRE DES FEMMES (2004): Tatmotiv Ehre. (= Schriftenreihe NEIN zu Gewalt an Frauen). Tübingen. 490 Vgl. RAZACK, Sherene H. (2004): Imperilled Muslim Women, Dangerous Muslim Men and Civilized Europeans: Legal ans Social Responses to Forced Marriages. IN: RACKLEY, Erika (Hrsg.): Feminist Legal Studies. Jg. 12. H.2, Dordrecht, S. 129 – 174. In Graz wird diese Position vor allem von SOMM (Selbstorganisation von muslimischen Migrantinnen) vertreten, die diese Position auch in Form eines Flugblattes und durch Rundmails anlässlich der Grazer Fachtagung „Zwischen Zwang und Selbstbestimmung“ am 10.3.2011 verbreitete. Online im Internet: http://www.somm.at/images/stories/Vom_ZwangOpferzusein.pdf [Stand 2013 - 02 – 13]. 491 Vgl. PHILIPPS, Anne (2007): Multiculutaralism without Culture. Princeton. 492 Auch im Blick auf die eigene Gesellschaft, wo beispielsweise die rechtliche und soziale Diskriminierung von Homosexuellen, Bi- und Transsexuellen übersehen wird. 94 Aufrechterhaltung von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, Kinder und sexuelle Minderheiten in der Gesellschaft vernachlässigt.“ 493 Postuliert wurde die „Unvereinbarkeit zwischen dem Kampf für Frauenrechte“ und einem „Kampf für die Freiheit im religiösen oder kulturellen Bereich“ oder einer „Bekämpfung von Diskriminierung von MigrantInnen oder ethnischen Minderheiten“ andererseits.494 Sabine Strasser und Elisabeth Holzleithner orten eine „eigentümliche Selektivität“495 in der Auseinandersetzung um traditionsbedingte Gewalt: „Die Fokussierung auf die Gewalt `der anderen` wird dann suspekt, wenn gleichzeitig die Zuwanderungs-, Integrations- und Frauenpolitik in einem Land kaum Bemühungen um minorisierte Frauen erkennen lassen.“496 „Der Kampf gegen Gewalt an Frauen läuft […] Gefahr, zu einer zusätzlichen Abwertung von ohnedies ökonomisch marginalisierten, kulturell wenig anerkannten und politisch unterrepräsentierten oder als integrationsunwillig beschriebenen Gruppen beizutragen.“497 Verstärkt wird dieses Phänomen durch die Fremdenfeindlichkeitsdebatte, die sich mittlerweile in Österreich in Richtung Islamdebatte verändert hat und sich durch den globalen Kampf gegen Terror verstärkt auf Sicherheitsfragen konzentriert. „Der regelrechte `Multikulturalismus-Backlash`498 wurde schließlich auch mit Menschen- und Frauenrechten begründet“499, Zugewanderte sollen auf die Hinwendung zu westlichen Werten verpflichtet werden, worunter Gleichheit, Freiheit und Autonomie verstanden werden, „während die minorisierten Gruppen durch ihre `Kultur` zu Ehrenmorden, Zwangsverheiratungen, Underdrückung und Gewalt verdammt schienen.“500 Diese, oben beschriebene und in den meisten europäischen Ländern gemeinsame Tendenz ist eines der Argumente für die Einführung neo-assimilationistischer Politiken. Die diskursive Dichotomisierung, in der die Geschlechtergleichstellung in der Mehrheitsgesellschaft als unbestritten und erreicht präsentiert wird, während im Gegensatz Migrantinnen ihrer 493 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 9. Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 20. 495 Ebd., S. 10. 496 Ebd., S. 9. 497 Ebd., S. 10. 498 Vgl. VERTOVEC, Steven/WESSENDORF, Susanne (2010): The multiculturalism backlash. European discourses, policies and practices. Oxon/New York. 499 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 10. 500 Ebd., S. 10. 494 95 „geschlechtsungleichen Kultur und Religion“ unterworfen sind, wird auch als „Ethnisierung oder Islamisierung des Sexismus“501 bezeichnet. Die Debatte um Zwangsverheiratungen wird nicht zu einem gemeinsamen Problem, „sondern zu einer weiteren Grenzziehung zwischen `Mehrheiten als geschlechteregalitär` und `Minderheiten als gewalttägig`.“ 502 Hingegen wird, als Kontrast zum Zwang zur Ehe, der „Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare von der Ehe […] nach wie vor [in Österreich] 503 als notwendig erachtet.“504 In Österreich war das Thema „Zwangsheirat“ in den Jahren 2005 und 2006 auf dem Höhepunkt der Diskussion. Verstärkt durch die mediale Berichterstattung und die Debatten um den EU-Beitritt der Türkei wurde die Thematik „Zwangsheirat“ stark mit der Türkei in Verbindung gebracht, obwohl ExpertInnen immer wieder betonen, „dass es sich nicht um ein türkisches/kurdisches, sondern ein patriarchales Phänomen handeln würde.“505 6.3. Medienberichterstattung „Zwangsheirat“ wurde in Deutschland ab dem Jahr 2005 zum Gegenstand breiter Medienberichterstattung 506 Tragische Schicksale im Zusammenhang von Befreiungen aus erzwungenen Ehen bzw. über Opfer von Ehrenmorde wurden zum Gegenstand der Berichterstattung.507 Der Fall der Ermordung von Hatun Sürücü durch ihre drei Brüder im Februar 2005 zog eine Welle der Berichterstattung, Demonstrationen für Frauenrechte und vor allem eine Integrationsdebatte in Deutschland nach sich. Auch die Gerichtsverhandlung über die mutmaßlichen Täter hatte höchste mediale Aufmerksamkeit. Schlussendlich wurde der 18jährige Bruder der Ermordeten nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, da 501 Vgl. STRASSER, Sabine/HOLZLEITHNER, Elisabeth (2010): Mulitkulturalismus im Widerstreit: Debatten über kulturelle Diversität, Geschlechtergleichheit und sexuelle Autonomie. In: STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 27-46 sowie Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 20. 502 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 15. 503 Eine ähnliche Situation gibt es in vielen europäischen Staaten. 504 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 12. 505 Ebd., S. 13. 506 JESKE, Ina (2009): verliebt – verlobt – verkauft? Formen der Eheschließung von Frauen türkischer Herkunft in Deutschland. Marburg, S. 9. 507 Hatun Sürücü (mit türkisch-kurdischem Hintergrund) wurde am 7.2.2005 in Berlin - Tempelhof von ihrem Bruder ermordet, seit 2008 erinnert eine Gedenktafel daran. Vgl. LAU, Jörg (2005): Wie eine Deutsche. In: Die Zeit, Nr. 9. 2005. Online im Internet: URL: http://www.zeit.de/2005/09/Hatin_S_9fr_9fc_9f_09 [Stand 2012 10 – 18]. 96 „der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen seine Schwester tötete, [und] da er sich der Familienehre wegen, die er durch den Lebensstil seiner Schwester verletzt sah, als 508 Vollstrecker über deren Lebensrecht erhob“ , heißt es in der Pressemitteilung des Landgerichtes Berlin. Die zwei anderen Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen und leben wieder in der Türkei. Neben der Berichterstattung über Anlassfälle509 haben sich betroffene Frauen auch selbst zu Wort gemeldet und in Autobiografien510 über ihre Befreiung aus der Zwangsehe berichtet, in der Öffentlichkeit wurden sie als „Ikonen des Widerstandes“511 gefeiert und das Thema auch in Filmen 512 aufgegriffen. Als bekanntestes Beispiel ist das Buch der deutschtürkischen Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek mit dem Titel „Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland“ 513 zu nennen, der zu einem Bestseller avancierte. Die Frauenrechtlerin rechnet vor allem mit dem Islam ab und kritisiert eine falsche Toleranz gegenüber dieser Religion: 508 LANDGERICHT BERLIN (2006): Urteil im Verfahren gegen die drei Brüder S. (PM 14/2006). Pressemitteilung vom 13.4.2006. Online im Internet: URL: http://web.archive.org/web/20090513092350/http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20060413 .1215.38728.html [Stand 2012 - 10 – 18]. 509 Vgl. Homepage mit dokumentierten Ehrenmord-Fällen seit dem Jahr 2000 der Verlagsgruppe Random House, Dachgesellschaft für alle Bertelsmann-Verlage. Online im Internet: URL: http://www.ehrenmord.de/doku/doku.php [Stand 2012 - 10 – 18]. 510 Eine der ersten aus der Türkei stammenden Autorinnen, die das Schicksal von zwangsverheirateten und unterdrückten Frauen in den Mittelpunkt rückten, war Saliha Scheinhardt. SCHEINHARDT, Saliha (1984): Drei Zypressen. Berlin. Auch die Autobiografie der türkischstämmigen Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates hatte große mediale Ressonanz. ATES, Seyran (2003): Die Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin. Berlin. Zu weiteren Beispielen der Kategorie „Betroffenheitsliteratur“ vgl. TOPCU, Canan (2011): Bücher von und über Muslima. In zwei Welten lebend. In: Frankfurter Rundschau vom 11.1.2011. Online im Internet: URL: http://www.fr-online.de/literatur/buecher-von-und-ueber-muslima-in-zwei-weltenlebend,1472266,5198392.html [Stand 2012 – 10 – 18]. Islamkritische Äußerungen der aus Somalien stammenden und vor einer Zwangsheirat geflüchteten ehemaligen niederländischen Parlamentsabgeordneten Ayaan Hirsi Ali führten in Zusammenhang mit der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh im November 2004 sogar zu Morddrohungen gegenüber der Kritikerin. HIRSI ALI, Ayaan (2006): Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frauen. Übersetzt von Anna Berger und Jonathan Krämer. München. HIRSI ALI, Ayaan (2007): Mein Leben, meine Freiheit. Die Autobiografie. Übersetzt von Anne Emmert und Heike Schlatterer. München. HIRSI ALI, Ayaan (2012): Ich bin eine Nomadin. Mein Leben für die Freiheit der Frauen. Übersetzt von Norbert Juraschitz , Anne Emmert und Karin Schuler. München. [Originaltitel: Normad: From Islam to America: A Personal Journey through the Clash of Civilizations]. 511 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 10. 512 Z. B. „Die Fremde“. Deutschland 2009. Regie: Feo Aladab. Online im Internet: URL: http://www.diefremde.de [Stand: 2013 – 02 - 12 ] oder die umstrittene „Tatort“-Folge „Schatten der Angst“ vom 6.4.2008. Online im Internet: URL: http://tatort-fans.de/tatort-folge-694-schatten-der-angst/ [Stand 2013 – 02 12]. 513 KELEK, Necla (2005): Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland. Köln. 97 „Es gibt eine panische Angst davor, Islamisten wegen ihrer Religion oder Herkunft zu diskriminieren, lieber nimmt man deren Verletzung von Grundrechten in Kauf“514. Das Buch wurde kontrovers diskutiert und „in einem von 60 namhaften MigrationsforscherInnenn unterschriebenen offenen Brief kritisiert“ 515 , da es sich „um ein Mischung aus Erlebnisberichten und bitteren Anklagen gegen den Islam, der durchweg als patriarchale und reaktionäre Religion betrachtet wird.“516 6.4. Datenlage Die Datenlage in Bezug auf Zwangsverheiratungen ist sehr schwierig, weil „seriöse Informationen über Art und Ausmaß des Phänomens“517 weitgehend fehlen. In vielen EULändern wurden Auftragsstudien von politischen Entscheidungsträgern vergeben, um aus den Ergebnissen „politische und rechtliche Interventionsmöglichkeiten“518 abzuleiten, die meisten Studien greifen auf „service-based-data519 und population-based-data520“ zurück, quantitative Zahlen fehlen. Ein weiterer Grund521 für die fehlende Bezifferung des Phänomens, abseits der Angaben von Beratungsstellen, ist die Tatsache, dass es keine einheitliche Definition von Zwangsheirat gibt: Das „subjektive Element von Zwang“ 522 ist schwierig zu beziffern und zentrale Datenstellen fehlen. Daneben ist das Problem der Dunkelziffer virulent, da nicht alle Betroffenen sich an Institutionen wenden bzw. im umgekehrten Fall können Mehrfachzählungen auftreten, wenn betroffenen Personen (zum Teil anonym) gleichzeitig oder in unterschiedlichen Phasen der Bedrohung von mehreren Institutionen betreut und beraten werden. 514 SENFFT, Alexandra (2005 ): Abrechnung mit dem Islam. Necla Keleks Aufschrei: Muslimische Frauen in Deutschland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.05.2005. Nr. 123, S. 9. Online im Internet: URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/2.1715/abrechnung-mit-dem-islam-1235319.html [Stand 2012 - 10 – 18]. 515 JESKE, S. 9. 516 Die genannte Petition findet sich Online im Internet: URL: http://www.zeit.de/2006/06/Petition/komplettansicht [Stand 2012 - 10 – 18]. 517 STRASSER/HOLZLEITHNER, S. 14. 518 Vgl. SCHILLER, Maria (2010): Zwangsverheiratung im Fokus: Ein Vergleich von Auftragsstudien in europäischen Ländern. In: STRASSER /HOLZLEITHNER S. 47 - 70. 519 Quantitative Haushaltserhebungen. 520 Quantitative und qualitative Dokumentationen von ExpertInnen aus Beratungseinrichtungen. 521 Vgl. SCHILLER, S. 62 bzw. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 33. 522 SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 33. 98 Für Österreich liegen aufgrund von fehlenden Erhebungen keine Daten vor, aus den Jahresberichten jener zwei Beratungsstellen, die schwerpunktmäßig mit Betroffenen dieser Themenstellungen arbeiten lassen sich für 2011 folgende konkrete Daten aufzeigen: Orient Express (Wien)523 Orient Express unterstützt Betroffene aus allen Bundesländern, ausgenommen der Steiermark. 54 Bedrohungsfälle (v.a. im Alter zwischen 15 – 19 Jahren) 29 Betroffene von Zwangsheirat (v.a. zwischen 20 – 24 Jahre). Vorwiegend mit türkischem (ca. 1/3), pakistanischen, afghanischen Migrationshintergrund, der überwiegende Teil (über 2/3) besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft, ca. 25 % die türkische Staatsbürgerschaft. DIVAN (Graz)524 16 Bedrohungsfälle (davon 7 Minderjährige) 24 Betroffene von Zwangsheirat Die Frauen stammten aus der Türkei, Österreich (mit Migrationshintergrund), Afghanistan und Tschetschenien. 523 VEREIN ORIENT EXPRESS (2012): Tätigkeitsbericht 2011 des Vereines „Orient Express - Beratungs-, Bildungs- und Kulturinitiative für Frauen“. Wien, S. 22f. 524 CARITAS GRAZ-SECKAU (2012): Bericht DIVAN 2011. Graz. S. 12f. Für die Beratungsstelle DIVAN liegen auch die statistischen Zahlen für 2012 vor: 11 Bedrohungsfälle (davon 8 Minderjährige), 14 Betroffene von Zwangsheirat und weitere 31 Fälle von „anderen Äußerungsformen von Gewalt im Namen der Ehre“, wie (angedrohte) Verschleppung, Morddrohungen etc. vgl. CARITAS GRAZSECKAU (2013): Bericht DIVAN 2012. Graz. S. 5. 99 7. BERATUNGS- UND PRÄVENTIONSARBEIT 7.1.Herausforderungen in der direkten Beratungsarbeit mit Betroffenen „Die Loyalität [und damit verbundene Ambivalenz] der betroffenen Personen gegenüber den UrheberInnen der Gewalt“ 525 ist eine der größten Herausforderungen in der Arbeit von Beratungsstellen im Kontext von „Gewalt im Namen der Ehre“. In der Praxis wenden sich Betroffene an unterschiedliche Beratungsstellen im Gewaltschutzbereich bzw. an Institutionen und Stellen, die mit MigrantInnen arbeiten. Nicht alle kontaktierten Stellen sind darauf ausgerichtet, diese komplexen Situationen und Fälle kollektiver Zwangsausübung zu bearbeiten und individuelle Interventionen zu setzen. Es existiert „kein Idealtypus“526 einer Betroffenen, das Spektrum hinsichtlich „des Alters, der Herkunft, des Ausbildungsniveaus und der beruflichen Situation“ 527 ist daher sehr umfangreich. Vor allem in der Arbeit mit Minderjährigen sind spezifische Maßnahmen528 zu treffen. Selbst spezialisierte Beratungsstellen können, aus Gründen der Parteilichkeit gegenüber den Betroffenen, Lücken in der Interventionskette nicht schließen, z. B. „was die Betreuung der UrheberInnen von Gewalt betrifft. Eine andere Herausforderung besteht darin, eine Balance zu finden, wenn versucht wird, die Mitglieder der im Konflikt stehenden Familie durch eine Konfliktmediation zum Dialog zu führen und dabei die Opfer zu schützen.“529 Betroffene Frauen, die eine Beratungsstelle aufsuchen, haben zumeist innerlich schon die Entscheidung getroffen, das Erleiden von Zwang und Gewalt in irgendeiner Form zu stoppen. „Auch wenn Frauen Opfer personaler und struktureller Gewalt werden, sehen sie sich selbst nicht nur als Opfer, sondern auch als Kämpferinnen, sie sind Frauen mit einer schmerzhaften verlustreichen, gebrochenen Biografie, die um ihr Überleben und ihre Würde kämpfen und die 525 Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 91. Ebd., S. 93. 527 Ebd. 528 In Absprache mit dem Jugendamt. 529 Ebd., S. 91. 526 100 in diesem Existenzkampf oft große Stärken und Kompetenzen entwickeln und soziale und kulturelle Ressourcen aktivieren können.“530 In der praktischen Arbeit der Beratungs- und Kriseneinrichtungen sind die Herausforderungen sehr umfangreich, denn um noch einigermaßen autonom zu handeln, müssen akut Betroffene die Möglichkeit haben „diese Person jetzt nicht heiraten zu müssen.“ 531 Da bei einem weiteren „Verbleib in der eigenen Familie respektive community“ 532 eine Reihe von Gefahren bestehen können, wird die betroffene Person ihren unmittelbaren Bereich verlassen. „Flucht ist oft die einzige Möglichkeit“533, wenn Lösungsmöglichkeiten im Inneren der Gemeinschaft nicht möglich sind oder versagen. Neben Zufluchtsmöglichkeiten bei FreundInnen und Bekannten sind staatlich geförderte Unterkünfte für von Gewalt betroffene oder gefährdete Personen die wichtigste Anlaufstelle, wenngleich nur als vorübergehende Lösung. Aktuell gibt es in Österreich keine spezialisierte Krisenunterbringung für Bedrohte von Zwangsheirat bzw. Betroffene von Zwangsehe, die Beratungsstellen können nur an Frauenhäuser 534 oder Jugendwohlfahrtseinrichtungen weiterverweisen, die nicht für den Schutz vor kollektiven Gefährdungen ausgerichtet sind. Laut aktuellem Regierungsprogramm sollte eine „Betreute Notwohnung für Betroffene von Zwangsheirat“535 in Kürze umgesetzt werden.536 „Voraussetzungen für eine Flucht sind nicht zuletzt Wissen und Entscheidungsfähigkeit. Gerade Frauen, die starker Kontrolle ausgesetzt sind, fällt die Entscheidung, die eigene 530 STRASSER, Philomena (2003): Häusliche männliche Gewalt gegen Frauen in der Migration. In: Verein Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. Jg. 26. Heft 63/64. Köln, S.111. 531 STRASSER/HOLZLEITHNER, Mulitkulturalismus, S. 38. 532 Ebd. 533 Ebd. 534 Frauenhäuser: In Österreich gibt es 30 Frauenhäuser mit 748 Plätzen, das sind gemessen an der Empfehlung des Europarats 86 Plätze zu wenig. 26 Frauenhäuser haben sich zur Dachorganisation Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser zusammengeschlossen. Vgl. Homepage: http://www.aoef.at/cms/ [Stand 2013 – 02 – 13]. Die Finanzierung der vier Wiener Frauenhäuser durch die Stadt Wien ist durch einen langfristigen Vertrag gesichert, die Frauenhäuser in den anderen Bundesländern werden nur zum Teil vom Staat subventioniert bzw. haben Tagsatzregelungen. Vgl. WAVE, S. 24. 535 REPUBLIK ÖSTERREICH, Regierungsprogramm 2008-2013. Gemeinsam für Österreich Regierungsprogramm für die XXIV. Gesetzgebungsperiode. Wien, S. 161. Online im Internet: URL http://www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=32965 [Stand 2013 – 02 -12]. 536 Derzeit wird in Wien eine Wohnung für die genannte Einrichtung adaptiert, geplant sind ca. 8 Plätze ab Juni 2013, finanziert durch das Innenministerium sowie durch das Frauenministerium. Dankenswerte Auskunft seitens des Frauenministeriums (Sibel Akgün) bzw. seitens Orient Express (Ayse Basari) als zukünftige Trägerin dieser Krisenunterbringung. 101 Umgebung (vielleicht zum ersten Mal) zu verlassen, besonders schwer. Es bedarf individueller Kapazitäten, sich ein Leben außerhalb des eigenen Nahbereichs überhaupt vorstellen zu können.“537 Im Falle einer Zwangsehe spielt in vielen Fällen die Isolation der jungen Ehefrau eine negative Rolle, aber auch im Falle der Flucht vor der Familie muss die betroffene Person mit dem Verlust des gesamten sozialen Umfeldes zurechtkommen. „Die Folgen für die gegen ihren Willen verheirateten Frauen sind beträchtlich. Die mit der Heirat vielfach verbundenen Gewalttaten wie Vergewaltigung und sexueller Missbrauch in der Ehe führen zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen […], Depressionen, Phobien und psychosomatische Beschwerden bis hin zu psychotischen und manischen Krankheitsbildern bei Betroffenen.“538 Der Zwang; eine ursprünglich arrangierte oder freiwillig eingegangene Ehe aufrecht erhalten zu müssen, bedeutet für die Betroffenen eine Zwangsehe bzw. Gewalt in Form der Einschränkung der persönlichen Freiheit bis hin zu Gewalt „im Sinne von strafrechtlich relevanten Übergriffen, wie Nötigung, Körperverletzungen oder Eingriffe in die sexuelle Integrität.“539 „In solchen Fällen ist aufgrund von Traditionen und Machtkonstellationen in der Regel auch die Möglichkeit, sich aus einer ungewollten Ehe durch Scheidung, Aufhebung oder Nichtigkeitserklärung der Ehe zu befreien, rechtlich oder faktisch stark eingeschränkt“540, wird im „Situationsbericht über Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich“ beschrieben. Weiters wird - mit Bezug auf die Praxiserfahrungen von Beratungsstellen – auf die manifeste Gewalt in (aufrechten) Zwangsehen hingewiesen: „Diese Übergriffe werden einerseits gezielt eingesetzt, um das Opfer einzuschüchtern und so an einem `Ausstieg `aus der Zwangsehe zu hindern. Andererseits treten sie als Begleiterscheinungen des erzwungenen Zusammenlebens auf, die durch die patriarchalischen Strukturen toleriert beziehungsweise begünstigt werden. Bisweilen sind es erst derartige 537 STRASSER/HOLZLEITHNER, Mulitkulturalismus, S. 40. VOLZ, Rahel (2003): Zwangsheirat in Deutschland – eine tolerierte Menschenrechtsverletzung. In: Verein Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (Hrsg.): Wenn Heimat global wird. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis. Jg. 26. Heft 63/64. Köln, S.200. 539 BECLIN, S. 145. 540 LATCHEVA, Rossalina/EDTHOFER, Julia/GOISAUF, Melanie/OBERMANN, Judith (2007): Situationsbericht und Empfehlungskatalog – Zwangsverheiratung und arrangierte Ehen in Österreich mit besonderer Berücksichtigung Wiens. Wien, S. 153. 538 102 Übergriffe, die das Opfer dazu bewegen, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen und im Zuge der Kontaktaufnahme zu Hilfseinrichtungen auch die erlittene Zwangsverheiratung zu thematisieren.“541 7.1.1. Beratungsangebote in Deutschland In Deutschland gibt es in allen Bundesländern, ausgenommen Brandenburg, eine Vielzahl von Jugendeinrichtungen, Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen aber auch spezialisierte Beratungsstellen für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“ und Zwangsheirat, die von gemeinnützigen Vereinen542 und zum Teil von konfessionellen Sozialeinrichtungen getragen werden. Aufgrund der – im Vergleich zu Österreich – unterschiedlichen Zuwanderungsentwicklung in Deutschland, sind die ersten speziellen Beratungsangebote für „Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre“ Mitte der 1980er entstanden. Beispielhaft soll eine der langjährigsten Krisen- und Übergangseinrichtung in Berlin genannt werden: „Papatya“. Die 1986 gegründete Einrichtung „bietet Schutz und Hilfe für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund, die aufgrund kultureller und familiärer Konflikte von zu Hause geflohen sind und von ihren Familien bedroht werden“543. Seit 1987 engagiert sich die von Ordensschwestern getragene Initiative „Solwodi“ ("SOLidarity with WOmen in DIstress" – Solidarität mit Frauen in Not) in Deutschland mit Beratungsstellen und Schutzwohnungen für ausländische Frauen und Mädchen, die in Not geraten sind. Darunter befinden sich Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, Opfer von Beziehungsgewalt und Bedrohte und Betroffene von „Zwangsehen“.544 Erwähnenswert sind auch Kampagnen zur Sensibilisierung der Bevölkerung zur Problematik Zwangsheirat bzw. zur Aufklärung im Vorfeld, die von den einzelnen Beratungsstellen regional umgesetzt werden. Beispielhaft sei die Kampagne „STOPPT Zwangsheirat – NEIN zu Gewalt an Frauen“ 545 von „Terre des Femmes“, einer gemeinnützigen Menschrechts541 Vgl. LATCHEVA, S. 123. Mit Beratungs- und Bildungsangeboten für MigrantInnen. 543 Papatya: Eigendefinition laut Homepage. Online im Internet: URL: http://www.papatya.org/ [Stand 2012 – 10 – 17]. 544 Solwodi: Eigendefinition laut Homepage: Online im Internetz: URL: http://www.solwodi.de/ [Stand 2012 – 10 – 17]. Gründerin und Vorsitzende ist die Ordensfrau Dr in Lea Ackermann. 545 TERRE DES FEMMES (2002): Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Tübingen. Eigendefinition von Terres des Femmes laut Homepage: „TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Mädchen und Frauen, die durch internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, persönliche Beratung und Förderung von einzelnen Projekten Mädchen und 542 103 organisation für Frauen und Mädchen, die bereits im November 2002 in Deutschland durchgeführt wurde. Mittlerweile hat sich bei Terre des Femmes ein eigenes Referat "Gewalt im Namen der Ehre" etabliert, dass sich neben der Öffentlichkeitsarbeit 546 und Sensibilisierung für das Thema auch für die konkrete Beratung von Betroffenen sowie für Gesetzesänderungen einsetzt. Ein vielfältiges Angebot von Unterrichtsmaterialien, Ausstellungen, Handlungsleitfäden für MultiplikatorInnen etc. steht sowohl Betroffenen als auch Fachkräften zur Verfügung. Auf der eigenen Homepage547 werden seit 2009 alle deutschen Anlaufstellen vernetzt, seit Oktober 2012 gibt es ein eigenes Jugendportal548 mit Online- und Chatberatung für Betroffene und Angehörige. 7.1.2. Beratungsangebote in Österreich „Der [in Wien ansässige] Verein „Orient Express“ hat bereits im Jahr 2000 die Problematik der Zwangsheirat in Österreich erkannt und kämpft seither aktiv dagegen.“549 Das verfolgte Hauptziel ist es, „Zwangsheirat zu verhindern und mit Hilfe verschiedenster AkteurInnen sogar gänzlich abzuschaffen.“550 Ausschlaggebend für die Etablierung von „Zwangsheirat“ als Sonderschwerpunkt 551 des Orient Express waren zahlreiche konkrete Fälle von (drohender) Zwangsheirat, auf die der Verein bereits in den 1990ern aufmerksam wurde. Seit dem Jahr 2000 wurden neben der Beratung, Betreuung und Begleitung von Bedrohten/Betroffenen auch Workshops in Schulen, Trainings für MultiplikatorInnen und Plakatkampagnen realisiert sowie Öffentlichkeitsarbeit 552 auf verschiedenen Ebenen geleistet. Erwähnenswert sind auch die MultiplikatorInnen-Trainings, die seit 2011 in den Bundesländern abgehalten werden, um Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, Mädchen-und Frauenberatungsstellen sowie LehrerInnen und SozialarbeiterInnen für den Themenbereich zu sensibilisieren. Frauen unterstützt. TERRE DES FEMMES setzt sich dafür ein, dass Mädchen und Frauen ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben führen können und unveränderliche Rechte genießen.“ Online im Internet: URL http://www.terre-des-femmes.de [Stand 2012 – 10 – 17]. 546 U.a. Gedenkveranstaltungen für Opfer von Ehrenmorden. 547 Information für Fachkräfte und ExpertInnen. Online im Internet: URL http://info.zwangsheirat.de/ [Stand 2012 – 10 – 17]. 548 Jugendportal. Online im Internet: URL https://zwangsheirat.beranet.info/ [Stand 2012 – 10 – 17]. 549 ORIENT EXPRESS (2012): Internationale Konferenz „Gegen Zwangsheirat“ am 11.5.2012. Maßnahmen für ein selbstbestimmtes Leben. Ein Ländervergleich. Kurzbericht. Wien, S. 2. Online im Internet: URL: http://www.orientexpress-wien.com/_pdf/5062b0c8f27e6.pdf [Stand 2012 - 10 – 17]. 550 Ebd. 551 Neben Sprachkursen und weiteren Beratungsangeboten. 552 Z. B. die Etablierung der Homepage: http://www.gegen-zwangsheirat.at/ [Stand 2013 – 02 – 13]. 104 Der Verein betreut Bedrohte und Betroffene aus ganz Österreich, ausgenommen ist das Bundesland Steiermark, wo auf die Beratungsstelle DIVAN verwiesen wird. Als neues Angebot wurde 2012 eine Online-Beratung entwickelt und gestartet. „Der Erfolg der Präventions- und Aufklärungsarbeit zeigt sich darin, dass die Zahl von Mädchen und Frauen, die wegen Zwangsheirat […] Unterstützung suchen, jährlich steigt“553, wird von Orient Express selbst definiert. Auf struktureller Ebene Unterbringungsmöglichkeit, fordert um den Orient Express Hilfesuchenden seit einen Jahren eine sicheren geschützte Aufenthaltsort gewährleisten zu können. In Salzburg wurde im Jahr 2006 eine „Arbeitsgemeinschaft gegen Zwangsheirat“554 ins Leben gerufen, „um die Situation der von Zwangsheirat betroffenen Mädchen und Burschen zu verbessern und entsprechende Präventions- und Krisenmaßnahmen zu schaffen.“ Regelmäßig werden Schulworkshops 556 555 und Präventionsangebote umgesetzt sowie Aktivitäten zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit. In der Steiermark hat im Jänner 2011 557 die Beratungsstelle „Divan“ ihre spezifische Beratungs- und Krisenarbeit mit Bedrohten von Zwangsheirat bzw. betroffenen, zwangsverehelichten Frauen aufgenommen, da es konkreten Bedarf 558 gab. Zuvor gab es 553 ORIENT EXPRESS, 2012, S. 3. Mitglieder der ARGE: Beratungsstelle Kompass, Frauenhaus Salzburg, Gewaltschutzzentrum Salzburg, Verein Ekando Kumer, Integrationsbeauftragte der Stadt Salzburg, Kinder & Jugendanwaltschaft Salzburg, Stabsstelle für Chancengleichheit, Anti-Diskriminierung und Frauenförderung, Verein Neustart Salzburg, Verein Selbstbewusst, Verein Viele und make it/Mädchenbüro des Landes Salzburg. 555 Vgl. Homepage der ARGE: http://www.salzburg.gv.at/themen/gv/landesjugendreferat/makeit/make_it_arge_gegen_zwangsheirat.htm [Stand 2013 - 02 – 13]. 556 Für die Schulworkshops wurden eigene, mehrsprachige Flyer entwickelt. Online im Internet: URL: http://www.salzburg.gv.at/zwangsverheiratung_flyer_tuerkisch_v5.pdf [Stand 2013 - 02 – 13]. 557 Nach einer spendenfinanzierten Pilotphase im Zeitraum Juli bis Dezember 2010. 558 „Das muttersprachliche Betreuungsteam des CARITAS Frauenwohnhauses wird seit einiger Zeit verstärkt zur Hilfestellung bei frauenspezifischen Integrationsproblemen herangezogen. Neben der eigentlichen Kernaufgabe der frauenspezifischen Beratung und Betreuung von Asylwerberinnen […] bietet das Team – aufgrund des Bedarfes – seit Jänner 2010 fallweise auch Hilfestellung für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“ an.“ Vgl. CARITAS GRAZ-SECKAU (2010): Frauenspezifische Beratung für Migrantinnen mit spezialisiertem Angebot für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“. Konzept. Graz, S. 2. 554 105 bereits Initiativen auf Landesebene 559 , konkreter Anstoß für die Etablierung eines eigenen Beratungsprojektes war aber ein „dringlicher Antrag560 an den Grazer Gemeinderat im November 2009561, mit dem Vorschlag, ein Konzept für eine Beratungs- und Schutzeinrichtung für betroffene Mädchen und Frauen zu erstellen. Zusätzlich werden Maßnahmen zur Vorbeugung und Bewusstseinsbildung sowie Aufklärungsarbeit in Schulen gefordert. Aufgrund dieses Antrages wurde die Caritas vom Integrationsreferat der Stadt Graz gebeten, ein eigenes, spezifisches Angebot zu entwickeln und schwerpunktmäßig aufzubauen.“562 Mittlerweile erstreckt sich die Tätigkeit der Beratungsstelle auf die ganze Steiermark und das muttersprachliche interdisziplinäre Team versucht in enger Zusammenarbeit mit anderen Gewaltschutzeinrichtungen die bestmögliche Unterstützung in Form von aufsuchender Beratungsarbeit zu gewährleisten563 sowie die Öffentlichkeit für diesen Themenbereich differenziert zu sensibilisieren.564 7.2.Präventionsmaßnahmen „In Europa hat eine Debatte über die Grenzen der Toleranz gegenüber frauenverachtenden Traditionen eingesetzt. Vermehrt wird versucht, den Betroffenen Beratung und Schutz zu bieten.“565 Der Europarat hat im Jahr 2005 eine vergleichende Studie566 über gesetzliche und politische Initiativen der einzelnen Mitgliedsländer in Bezug auf Zwangsheirat veröffentlicht. 559 Der „Arbeitskreis Zwangsheirat“ wurde auf Initiative der Frauenlandesrätin Drin Bettina Vollath 2008 ins Leben gerufen und bestand aus VertreterInnen von Landesverwaltung, Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie Projektmitarbeiterinnen aus Frauen- und Mädchenprojekten sowie aus dem Gewaltschutzbereich. Die Autorin war selbst als Teilnehmerin dabei. 560 Dringlicher Antrag der Grünen-ALG und der ÖVP eingebracht in der Gemeinderatssitzung vom 19.11.2009 von Gemeinderätin Sigrid Binder. Online im Internet: URL: http://www.graz.at/cms/dokumente/10129358_410977/cee18303/091119_dringliche_antraege.pdf [Stand 2013 02 – 13]. 561 Der tragische Fall der 26-jährigen Grazerin Nuray Büyükkocabas hatte zu dieser Zeit große mediale Resonanz. Vgl. Berichterstattung in der Kleinen Zeitung: Online im Internet: URL: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/grazumgebung/werndorf/2209260/vermisste-tuerkin-wurde-murgefunden.story [Stand 2013 - 02 – 13]. 562 Vgl. Fußnote 559. 563 Vgl. Homepage von DIVAN: http://www.caritas-steiermark.at/hilfe-einrichtungen/fuermigrantinnen/beratung/frauenspezifische-beratungsstelle-divan/ [Stand 2013 – 02-13]. 564 Z. B. Fachtagung oder Aktivitäten im Rahmen der „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Vgl. http://www.graz.at/cms/beitrag/10166122/3750944/ [Stand 2013 – 02 – 13]. 565 LEHNHOFF, S. 11. 566 COUNCIL OF EUROPE (2005): Forced marriages in Council of Europe member states. A comparative study of legislation and political initiatives. Strassburg. Online im Internet: URL: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/violence-againstwomen/CDEG%282005%291_en.pdf [Stand 2012 – 11- 20]. 106 Beispielsweise wurden in Großbritannien „Richtlinien für die Polizei, soziale Einrichtungen und für das Personal an Schulen erarbeitet“ 567 und in Deutschland das Thema in die Unterrichtsgestaltung eingebunden. In der genannten Studie werden Informations-, Bewusstseins- und Schulungsprogramme gefordert, des weiteren gesetzliche Reformen der einzelnen Mitgliedsstaaten, Strategien und Initiativen um Betroffene zu unterstützen sowie mehr Ressourcen für die Erforschung diese Phänomens. Im EU-Förderprogramm DAPHNE568 sollen „Projekte zur Verhinderung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen kofinanziert werden. […] DAPHNE will sowohl konkrete Gewalt verhindern wie auch Risikogruppen schützen und Gewaltopfern Hilfe anbieten“ 569 und ist somit eine Möglichkeit für bestehende Beratungsstellen und Initiativen; sich europaweit zu vernetzen und auszutauschen. Im Mai 2012 gab es z. B. in Wien eine internationale Konferenz „Gegen Zwangsfreiheit – Maßnahmen für ein selbstbestimmtes Leben“ 570 wo VertreterInnen der Exekutive und verschiedener NGO`s und Forschungseinrichtungen aus europäischen Ländern teilnahmen.571 Thematisiert wurden aktuelle Entwicklungen und Best Practice-Modelle wurden vorgestellt. Lange Zeit zu wenig beachtet wurde die Situation in Bulgarien und Rumänien, wo Zwangsheiraten bzw. sogenannte „frühe Ehen“ in manchen Roma-Communities vorkommen. Mittlerweile gibt es Forschungsprojekte darüber und die Präventions- und Aufklärungsarbeit in und mit Roma-Communities zeigt erste Erfolge.572 567 Vgl. BANDARI, Lisa (2006): Der Staat als Rettungsanker. Die Arbeit der britischen Regierung gegen Zwangsheirat. In: TERRE DES FEMMES (Hrsg.), Zwangsheirat. Lebenslänglich für die Ehre. Schriftenreihe Nein zu Gewalt an Frauen. Tübingen, S. 47 – 51. In Großbritannien wurde eine eigene „Forced Marriage Unit“ (FMU) gemeinsam vom Außen- und Innenministerium gegründet, die als spezielle Abteilung in Fällen von Zwangsheirat aktiv Unterstützung bietet. Details unter http://www.fco.gov.uk/forcedmarriage [Stand 2012 – 11- 20]. 568 Vgl. http://ec.europa.eu/justice/newsroom/gender-equality/grants/index_en.htm#open [Stand 2012 – 11- 20]. 569 Informationen über Daphne: Online im Internet: URL: http://www.bmwfj.gv.at/Familie/Familienpolitik/International/Seiten/EUProgrammDaphne.aspx [Stand 2012 – 11- 20]. 570 Vgl. ORIENT EXPRESS (2012): Internationale Konferenz gegen Zwangsheirat. Maßnahmen für ein selbstbestimmtes Leben. Ein Ländervergleich. Kurzbericht. Wien. Online im Internet: URL: http://www.orientexpress-wien.com/_pdf/5062b0c8f27e6.pdf [Stand 2012- 12 - 20]. 571 „Bei der Konferenz referierten ExpertInnen – die meisten davon aus der direkten Arbeit mit von Zwangsheirat bedrohten bzw. betroffenen Mädchen und Frauen – aus Österreich, Großbritannien, Frankreich, Rumänien, Bulgarien und Deutschland über die länderspezifische Situation in Bezug auf Zwangsheirat. Im Mittelpunkt standen dabei existierende bzw. fehlende Maßnahmen zur Unterstützung und zum Schutz von Bedrohten/Betroffenen in den einzelnen Ländern. Es war uns wichtig in diesem Rahmen auch Best-practiceModelle zum Schutz von Bedrohten/Betroffenen zu präsentieren.“ Vgl. ORIENT EXPRESS, Kurzbericht, S. 3. 572 Vgl. LIGA PRO EUROPA (2010): Country Report. Forced Marriages in Romania. Targu Mures. 107 Als Vorzeigemodell wurden „die gegenwärtigen Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Zwangsheirat in Deutschland“573 bezeichnet. Der Beitrag der Polizei in der Präventionsarbeit gegen Zwangsheirat (z.B. Schulworkshops) und die Zusammenarbeit mit den NGOs wurde gewürdigt. Auch die deutsche Bundesregierung setzt klare Zeichen in Form eines Handlungsleitfadens und einer aktuellen Studie 574 sowie der Unterstützung von anonymen Beratungsangeboten, Online-Beratungen und Kriseneinrichtungen. 7.3.Strategische Zugänge Damit geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Sinne der Menschenrechte „unabhängig von der Nationalität der Betroffenen auf allen Ebenen und in allen Situationen bekämpft werden“ 575 , ist es strategisch zu vermeiden, Zwangs- und Gewaltsituationen „separat als Spezifität des Migrationsbereiches zu behandeln“576. Vielmehr sollen auf konzeptueller Ebene „Zwangssituationen unter dem Gesichtspunkt einer Geschlechterproblematik und geschlechtsspezifischer Machtbeziehungen“577 und damit als Form von „Gewalt im sozialen Nahraum“ verhandelt bzw. bekämpft werden. Der Aspekt der Gleichstellungspolitik würde sich positiv auf der „Ebene der Primärprävention“ 578 sowie in der Arbeit mit den UrheberInnen von Gewalt auswirken. Anstelle einer Isolation und Parallelführung der Migrationsthematik, die bis zu einem „ethnisierenden Sexismus“ führen kann, sollen Regelinstitutionen579 auch für MigrantInnen geöffnet sein und in weiterer Folge zur verbesserten Zusammenarbeit und Vernetzung mit Institutionen im Gewaltschutzbereich führen. 573 Vgl. ORIENT EXPRESS, 2012, S. 6f. BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN, JUGEND (2011): Zwangsverheiratung in Deutschland – Anzahl und Analyse von Beratungsfällen . Wissenschaftliche Untersuchung der LawaetzStiftung unter Mitarbeit von Terre des Femmes. Hamburg. 575 Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 95. 576 Ebd. 577 Ebd. 578 Ebd., S. 96. 579 Die Regelinstitutionen sind dadurch auch herausgefordert, ihr Fachwissen im Bereich Fremdenrecht zu erweitern und auch bei der Teamzusammensetzung auf unterschiedliche ethnische und nationale Hintergründe zu achten. 574 108 8. ZUSAMMENFASSUNG In der vorliegenden Masterarbeit versuchte die Autorin geschlechtsspezifische Gewaltphänomene, die auf Traditionen basieren, in differenzierter Weise näher zu untersuchen. Konkret stand das Thema „Gewalt im Namen der Ehre“ bzw. „Zwangsheirat“ im Mittelpunkt dieser wissenschaftlichen Arbeit, daneben wurde auch der aktuelle Diskurs über diese Fragestellungen beleuchtet. Eine erste Annäherung an die Fragestellungen erfolgte mit der Klärung der unterschiedlichen Begriffe und Definitionen im Kontext von „Gewalt gegen Frauen“, um einen theoretischen Rahmen für die Bezeichnung „Gewalt im Namen der Ehre“ abzustecken. Erschwert wurde dieser Zugang dadurch, dass es keine weltweit anerkannten Moralkodizes gibt. Abhängig von gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen gibt es somit fließende Grenzen in der Bewertung von „nicht akzeptablen“ Verhaltensweisen. Dazu kommt, dass in Europa „Gewalt gegen Frauen“ erst durch die Initiativen der „Zweiten Frauenbewegung“ als Problem wahrgenommen wurde und, damit einhergehend, aus dem privaten Bereich ins öffentliche Licht gelangte. Gegenwärtig gibt es einen wachsenden zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen in Südasien (Indien, Pakistan) sowie in manchen Ländern des sogenannten „Arabischen Frühlings“ (z. B. Ägypten). Aktuelle und differenzierte Definitionen von „geschlechtsspezifischer Gewalt“ und „Gewalt im sozialen Nahraum“ finden sich im „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ aus dem Jahr 2011, das von Österreich zwar unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert wurde. Zentral ist das Faktum, dass es sich bei den genannten Gewaltformen um Menschenrechtsverletzungen sowie Diskriminierungen der Frau handelt. Auch der Blick auf die „strukturelle Gewalt“ ist essentiell, da auch staatliche Institutionen Ausschluss und Benachteiligung mitverantworten und asymmetrische, geschlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse festigen, die ihrerseits Gewalt verursachen können. Die oft „vorgeschobene Erklärung“ der auftretenden Gewalt aufgrund der „Kultur“ kann in diesem Zusammenhang keine Entschuldigung oder Rechtfertigung von Gewalt sein und auch nicht als Ursache gesehen werden. 109 Für die Autorin hat sich ein „intersektioneller Gewaltbegriff“ als hilfreich erwiesen, da sogenannte „Verstärkungseffekte“ von struktureller Gewalt aufgrund des Geschlechts und aufgrund der Ethnie durch interagierende Unterdrückungs- und Ausschließungsstrukturen der Mehrheitsgesellschaft auch berücksichtigt werden müssen. Eine zweite Annäherung an den Themenbereich erfolgte über die Erhebung des aktuellen Forschungsstandes im deutschsprachigen Raum (Österreich, Deutschland, Schweiz). Es hat sich gezeigt, dass die Themen „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ noch junge Forschungsschwerpunkte sind, die aufgrund des Interesses der Politik und der Medien eine rasante Aufwertung erfuhren. So haben viele europäische Staaten in den letzten Jahren Auftragsstudien erstellen lassen. Offenkundig gibt es dabei auch Verknüpfungen zu neuen gesetzlichen Maßnahmen, die in zeitlicher Nähe zu Studienpräsentationen von den jeweiligen Regierungen verabschiedet wurden. Im vierten Kapitel der Masterarbeit wurde im Sinne einer interdisziplinären Bearbeitung der Fragestellungen, auch die anthropologische Sichtweise auf „Ehre und Scham“ gelegt, da der „Ehrbegriff“ in einigen Gesellschaften das Verhältnis von Männern und Frauen wesentlich bestimmt. Dabei ist die Frage nach der öffentlichen Bewertung von sozialem Verhalten zentral, sowie die Formen der negativen Konsequenzen. Auch wenn die Autorin nicht ausschließlich Beispiele aus dem türkischem Kontext heranziehen wollte, so muss doch festgehalten werden, dass gerade wissenschaftliche Untersuchungen zur türkischen Situation, - sowohl in der Türkei selbst als auch im Migrationskontext - in umfangreicher Form zu finden sind. Dieses Faktum lässt sich mit der spezifischen Migrationsgeschichte („GastarbeiterInnen“) in Deutschland und Österreich erklären. Ein eigener Abschnitt behandelt den Ehrbegriff bezogen auf unterschiedliche Familienstrukturen, die sich – in der Praxis ineinandergreifend – zwischen den Polen „religiös-traditionell“ und „modern“ ansiedeln. Gerade in der sogenannten „zweiten Generation“ distanzieren sich Paare von traditionellen Normen oder befinden sich in einem Prozess der Auseinandersetzung mit den Wert- und Normvorstellungen ihrer „Herkunftskultur“. Erschwerend kommt dazu, dass - trotz der sich veränderten Familienstrukturen im Migrationskontext - die äußeren Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft unverändert (negativ) bleiben. 110 Das Hauptstück der vorliegenden, wissenschaftlichen Arbeit ist das Kapitel fünf, das „Gewalt im Namen der Ehre“ im Kontext von PartnerInnenwahl, Eheschließung, Trennung und Scheidung fokussiert. Zunächst sollte der Blick auf den „Idealfall“ einer selbstbestimmten PartnerInnenwahl gelenkt werden. Trotz der medial höher präsenten negativen Fälle stellt ein selbstbestimmter Zugang, unabhängig vom ethnischen Hintergrund, die häufigere Variante dar, wenn gleich Familienorientierung und Traditionen auch hier eine Rolle spielen können. Bei Nichtbeachtung des Konzeptes der Zustimmung zur Ehe, bei (physischer, sexueller, psychologischer) Gewalt oder anderen emotionalen Drohungs- und Zwangssituationen wird von „Zwangsheirat“ gesprochen. Eine „Zwangsehe“ hingegen bedeutet, dass eine Ehe gegen den Willen von mindestens einem der Ehegatten aufrechterhalten wird und die Zwangslage im Kontext der Planung von Trennung und Scheidung auftritt, die - im häufigsten Fall - vom Partner bzw. anderen Familienmitgliedern nicht akzeptiert wird. Die Motive und Ursachen von „Zwangsheirat“ sind unterschiedlich und differieren auch im Zuge von Migration. Im Herkunftskontext spielen die Themen Ehre, Bewahrung der Jungfräulichkeit, Absicherung für das Alter und der Erhalt des Vermögens innerhalb einer Familie eine zentrale Rolle. Im europäischen Kontext entsprechen die öffentlich diskutierten Erklärungsansätze, wie sozioökonomische Diskriminierung, mangelnde Integrations- bereitschaft, ethnische Unterschichtung oder rigider Traditionalismus nicht der Praxis, d.h. die Begrenzung auf ärmere, bildungsferne Schichten ist zu kurz gegriffen. Oft stehen am Beginn ungelöste Generationenkonflikte und das Bestreben, die eigene Identität zu bewahren. Auch ökonomische und aufenthaltsrechtliche Gründe spielen eine Rolle, da Heirat bzw. Familiennachzug eine „Migrationsstrategie“ sind, die durch die europäische Gesetzgebung, die verheiratete Paare privilegiert, sogar als Nebeneffekt forciert wird. Die Themenbereiche „Zwangsheirat“ und „Zwangsehe“ wurden aus juristischer Perspektive bearbeitet. Auffällig zeigte sich auch hier, dass die Themen vor allem im Strafrecht und im Fremdenrecht eine große Rolle spielen und in Österreich – wie auch in anderen europäischen Ländern – in jüngster Zeit zu Novellen aufgrund völkerrechtlicher Vorgaben führten. Der Diskurs über „Gewalt im Namen der Ehre“ und „Zwangsheirat“ spielt sich zwischen Marginalisierung und Polarisierung ab, wie schon im Titel der Masterarbeit verdeutlicht wird. 111 In der politischen Diskussion (vor allem des rechten Lagers) überwiegt der Standpunkt, dass es sich bei den genannten Themen um Probleme „der anderen“, noch dazu von „außen“ handelt, also Minderheiten per se als gewalttätig beschrieben werden. Gleichzeitig wird die Geschlechtergleichstellung in der Mehrheitsgesellschaft als unbestritten und bereits erreicht präsentiert und somit „Gewalt gegen Frauen“ bagatellisiert. Bei den unterschiedlichen feministischen Positionen schloss sich die Autorin jener Gruppe an, „die Diversität als Prinzip von Gleichheit anerkennen, Kultur nicht als Festschreibung von bestimmten Handlungen und Traditionen sehen und trotzdem die Probleme von marginalisierten, abweichenden oder widerständigen Individuen in ethnischen oder religiösen Minderheiten nicht ignorieren wollen.“580 Zum Gegenstand „breiter Medienberichterstattung“ wurde - laut Recherche der Autorin - ab dem Jahr 2005 das Thema „Zwangsheirat“ in Form von Berichten über tragische Schicksale im Zusammenhang von Befreiungen aus erzwungenen Ehen bzw. über Opfer von Ehrenmorde (v.a. in Deutschland). Österreich hatte in der ersten Jahreshälfte 2006 die EU-Ratspräsidentschaft inne. Im Rahmen des „informellen Treffens der europäischen GleichstellungsministerInnen“ in Brüssel präsentierte die damalige Gesundheits- und Frauenministerin Maria Rauch-Kallat ihre Initiativen zum Thema „Traditionsbedingte Gewalt gegen Frauen“ (Harmful Traditional Practices - HTP). Damals wurde Österreich für seine „Vorreiterrolle“ gelobt, mittlerweile ist das damals initiierte internationales Netzwerk gegen traditionsbedingte Gewalt – „Network Against Harmful Traditions (NAHT)“ – leider nicht mehr aktiv. Da die Autorin selbst eine Beratungsstelle für Betroffene von „Gewalt im Namen der Ehre“ in Graz aufgebaut hat und in ihrer beruflichen Praxis tagtäglich mit den Herausforderungen der Praxis konfrontiert ist, widmete sie das Abschlusskapitel der Masterarbeit den Fragestellungen aus dieser Perspektive. Ergänzt werden die Ausführungen über die Loyalitätskonflikte der Betroffenen und den Blick auf konkrete (bestehende und fehlende) „Ausstiegsmöglichkeiten“ und deren Folgen (v.a. für die zukünftige Existenzsicherung) mit einem kurzen Überblick über die bereits etablierten Beratungsstellen in Deutschland und Österreich. 580 Vgl. PHILIPPS. 112 Präventiv sind Informations-, Bewusstseins- und Schulungsprogramme notwendig, wirklich wirksam wäre es aber, strategisch zu vermeiden, Zwangs- und Gewaltsituationen „separat als Spezifität des Migrationsbereiches zu behandeln“.581 Geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Sinne der Menschenrechte müssen unabhängig von der Nationalität der Betroffenen auf allen Ebenen und in allen Situationen verändert werden. 581 Vgl. SCHWEIZER BUNDESAMT FÜR MIGRATION, S. 92 – 11. 113 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS BZÖ Bündnis Zukunft Österreichs CEDAW Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen) DAPHNE Programm der Europäischen Union , mit dem Projekte zur Verhinderung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen kofinanziert werden. EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EU Europäische Union NODE Forschungsprojekt „New Orientations for Democracy in Europe“ NGO Non Governmental Organization (Nichtregierungsorganisation) ÖVP Österreichische Volkspartei u.a.m. und anderes mehr UN United Nations (Vereinte Nationen) UNECE United Nations Economic Comission for Europe (Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen) UNFPA United Nations Population Fund (Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen) UNICEF United Nations Children's Fund (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen) US United States (Vereinigte Staaten von Amerika) vgl. vergleiche WHO World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation) z. B. zum Beispiel 114 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Typologie der Gewalt (WHO) WELTGESUNDHEITSORGANISATION (2002): Weltbericht Gewalt und Gesundheit. Zusammenfassung. Deutsche Übersetzung. 2003, S. 7. Abbildung 2: Gewaltdreieck (Johan Galtung) GALTUNG, Johan (1990): Cultural Violence. In: Journal of Peace Research. Jg. 27, Nr. 3/1990. Oslo, S. 291 ff. Abbildung 3: Europäische Heiratsmuster Basierend auf: MITTERAUER, Michael (2009): Europäische Familienformen im interkulturellen Vergleich. In: Verein für Geschichte und Sozialkunde (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie. Kulturvergleich und Entwicklungsperspektiven. (= Basistexte Wirtschafts- und Sozialgeschiche, Bd.1), Wien, S. 14ff. Abbildung 4: Idealtypischer Phasenverlauf einer arrangierten Ehe STRASSBURGER, Gaby (2003): Heiratsverhalten und Partnerwahl im Einwanderungskontext: Eheschließungen der zweiten Migrantengeneration türkischer Herkunft. In: BUSCH, Friedrich W./NAUCK, Bernhard/NAVE-HERZ, Rosemarie (Hrsg.): Familie und Gesellschaft. Bd. 10. Würzburg, S. 218. Abbildung 5: Mädchen und junge Frauen in der Altersgruppe 20 – 24 Jahre (2000 – 2010) UNITED NATIONS CHILDREN´S FUND (2012): Children in an urban world. The state of the world`s children. New York, S. 120 – 123. 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