015_Hottenrott

Hottenrott , K (2002): Grundlagen zur Herzfrequenzvariabilität und Anwendungsmöglichkeiten im Sport. In: Hottenrott , K .
(Hrsg.) Herzfrequenzvariabilität im Sport - Prävention, Rehabilitation und Training. Hamburg: Czwalina, S. 9-26.
Grundlagen zur Herzfrequenzvariabilität und Anwendungsmöglichkeiten im Sport
Physiologische Grundlagen zur Herzfrequenzvariabilität
1.1
Entstehung eines Elektrokardiogramms (EKG)
Das Herz verfügt über eine Funktionsautomatie und besitzt alle Voraussetzungen
zur Kontraktion. Das primäre Erregungsbildungszentrum ist der Sinusknoten, der
den Takt des Herzschlages mit einer Eigenfrequenz von 60-80 Impulsen pro Minute
vorgibt. Die vom Sinusknoten gebildeten elektrischen Erregungen werden strahlenförmig über die rechte und linke Vorhofwand weitergeleitet und aktivieren den Atrioventrikularknoten, der auch als sekundäres Erregungszentrum bezeichnet wird.
Über reizspezifische Fasern (Hissches Bündel, Purkinjesche Fasern) werden die
Erregungen zur Herzkammermuskulatur geleitet, worauf es zur Kontraktion kommt.
Das EKG stellt die Summation sämtlicher elektrischer Erregungszustände des Herzens in ihrem zeitlichen Verlauf dar. Dabei lassen sich für jede Herzaktion mehrere
typische Potentialschwankungen erkennen. Zur Beschreibung des EKG werden die
einzelnen Ausschläge mit den Buchstaben P, Q, R, S und T bezeichnet, wobei der
für die Herzkammerkontraktion repäsentative QRS-Komplex als Orientierungsgröße
für die Bestimmung der Herzperiodendauer genutzt wird (Abb. 1).
Abb. 1:Schematische Darstellung des Elektrokardiogramms (EKG) (aus Schmidt , 568)
Aus der Herzperiodendauer (RR-Intervall) kann die Herzfrequenz pro Minute wie folgt kalkuliert
werden: f [min-1 ] = 60.000 / RR-Intervall [ms]
dvs Band ??? © Edition Czwalina
1
1.2
Das Phänomen der Herzfrequenzvariabilität
Das Elektrokardiogramm (Abb. 2) verdeutlicht die natürliche Variation der Herzperiodendauer in Ruhe. Bei einer Ruheherzfrequenz von 60 Herzschlägen in der
Minute erfolgt nicht jeder Schlag nach exakt einer Sekunde bzw. 1.000 Millisekunden. Variationen von über 100 Millisekunden in der Herzschlagfolge sind bei gesunden Menschen eine normale Anpassungsreaktion des Herzens an äußere und
innere Belastungen und Anforderungen.
Die Herzfrequenzvariabilität 1 (HRV, englisch: heart rate variability) kennzeichnet die
Variation (Schwankung) der Herzfrequenz über einen definierten Messzeitraum (bis
zu 24 h) bei einer Analyse aufeinanderfolgender Herzperioden. Die HRV ist eine
Messgröße der neurovegetativen Aktivität und autonomen Funktion des Herzens
und beschreibt die Fähigkeit des Herzens, den zeitlichen Abstand von Herzschlag
zu Herzschlag belastungsabhängig laufend zu verändern, um sich wechselnden
Anforderungen schnell anzupassen. Die HRV ist damit eine Kenngröße für die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus an exogene und endogene Belastungen.
811
74
857
70
1052
57
1153
52
1176
51
1111
54
RR[ ms]
Hf [S/min]
Abb. 2: Beispiel eines Elektrokardiogramms (EKG) in Ruhe über sechs RR-Intervalle mit Angaben der Herzperiodendauer und Herzfrequenz
1.3
Modulatoren der Herzfrequenzvariabilität
Die Herzaktivität unterliegt einer Vielzahl zentralnervaler und peripherreflektorischer Mechanismen sowie humoralen Einflüssen. Das Herz reagiert laufend auf Signale des Organismus und der Umwelt mit feinabgestimmten Veränderungen (Variationen) der Herzperiodendauer. Diese Anpassungsfähigkeit des Herzens basiert auf einem optimalen Zusammenspiel des sympatischen und parasympatischen Nervensystem.
Die hemmenden vagalen hochfrequenten elektrischen Impulse des Parasympathikus führen zu einer sehr schnellen Absenkung der Herzfrequenz. Die niederfrequenten Impulse des Sympathikus bewirken eine Steigerung der Herzfrequenz, jedoch ist die Änderungsrate der Frequenz geringer als beim hochfrequenten Parasympathikus. Die Effekte der Sympatikusstimulation benötigen etwa 20-30 Herzschläge bis zur vollen Entwicklung, die der Vagusstiumlation wirken deutlich schneller (KENNER 1982, 151). Dies erklärt beispielsweise die zeitliche verzögerte Hf1 Weitere Bezeichnungen: Herzratenvariabilität oder Herzfrequenzvariation
2
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Zunahme bei beginnender körperlicher Aktivität und die relativ schnelle Absenkung
der Hf unmittelbar nach hoher Belastungsintensität.
Der Einfluss des Parasympathikus beruht überwiegend auf der Freisetzung von
Acetylcholin durch den Nervus Vagus, wodurch eine Stimulierung der langsamen
diastolischen Depolarisation hervorgerufen wird und eine abrupte, schnelle Änderung der Herzfrequenz bewirkt werden kann. Die sympathische Stimulation beruht
auf einer Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin, die ß-adrenerge Rezeptoren
aktiveren was zu einer Beschleunigung der langsamen diastolischen Depolarisation
führt. In Körperruhe dominiert die vagale Stimulation. Kurzzeitige HRVSchwankungen werden primär durch eine Änderung des Vagotonus ausgelöst.
Die Stärke der sympathischen und parasympathischen Stimulationen ergeben sich
durch verschiedene physiologische Systeme, die in Regelkreisen eingebunden ein
komplexes Netzwerk darstellen und in Wechselbeziehung mit dem autonomen Nervensystem stehen (Abb. 3).
Gefühle und intuitiver Wahrnehmungsbereich
- Höhere Hirnzentren
- Mentale Prozesse
- Thermoregulation
- Respiration
- Renin-AngiotensinSystem
A
N
S
Parasympathikus (HF)
Barorezeptoren
HERZ
HERZ
Sympathikus (LF)
Elektromagnetische und hämodynamische Effekte
Abb. 3: Modulatoren der Herzfrequenzvariabilität (mod. nach MCCRATY u.a. 1997)
Das barorezeptorische System
Die Baro- oder Pressorezeptoren befinden sich vor allem im Aortenbogen und im
Carotissininus und werden durch Dehnung der Gefäßwände in Abhängigkeit von
der Größe des transmuralen Drucks erregt. Die Rezeptoren reagieren auf arterielle
Druckschwankungen mit rhythmischen Impulsmustern, die unter anderem das vegetative Nervensystem beeinflussen. Die afferenten Impulse der Barorezeptoren
bewirken eine Hemmung von sympathischen und eine verstärkte Erregung von parasysmpathischen Strukturen. Die Barorezeptoren sind mit ihrer Funktion in einen
dvs Band ??? © Edition Czwalina
3
Regelkreis eingebunden, die sog. Baroreflexschleife. Innerhalb dieser Baroreflexschleife ist eine intrinsische Oszillation im vasomotorischen Bereich festgestellt worden, deren Frequenz etwa bei 0,1 Hz liegt. Diese Frequenz ist im Spektrum der HRV wiederzufinden und kann durch eine Spektralanalyse sichtbar gemacht werden (COOKE 1998, VAN RAVENSWAAIJ-ARTS u.a. 1993). Des weiteren
lässt sich diese Frequenz in den Schwankungen des Blutdrucks auffinden (sog.
Mayer-Waves). Bei erhöhtem sympathischen Tonus sind die baroreflektorisch bedingten Schwankungen der Hf verstärkt. Somit ist z.B. der Frequenzbereich um 0,1
Hz in aufrechter Körperposition stärker vertreten als in liegender, wenn eher die parasympathische Aktivität überwiegt. Das Zusammenspiel von vagosympatischer
und barorezeptorischer Aktivität hat Auswirkungen auf die Kurzzeitvariabilität
(MCCRATY 1997) .
Das Atemsystem
Die Atmung nimmt unmittelbar Einfluss auf die HRV. Dies lässt sich durch Beobachtung der Hf in Ruhe feststellen: beim Einatmen steigt die Hf und beim Ausatmen sinkt sie wieder. Der Einfluss der Atmung auf die HRV wird auch als respiratorische Sinusarrhythmie bezeichnet und wird durch die hochfrequente parasympatische Aktivität ausgeübt. Je entspannter der Mensch und je tiefer die Atmung, um so
stärker ist dieser Effekt im Spektrum der HRV nachzuweisen. Bei einer Frequenz
von 0,1 Hz (6 x Ein- und Ausatmen pro Minute), die auch für das baroreflektorische
System sehr spezifisch ist, ist der Einfluss der Atmung auf die HRV am größten.
Der Einfluss der Atmung wird bei erhöhtem Sympathikustonus, z.B. unter psychischer oder körperlicher Belastung, entsprechend geringer. Einflüsse der Atmung
auf die HRV ergeben durch die Aussendung von Nervenimpulsen des Atemzentrums an das kardiovaskuläre Zentrum und durch Veränderungen der Thoraxspannung und des Blutdruckes.
Das Renin-Angiotensin-System
Dieses System ist für die Volumenregulierung der extrazellulären Flüssigkeit verantwortlich. Es macht sich in der HRV insofern bemerkbar, als dass es den Einfluss
des baroreflektorischen Systems bei Verringerung des peripheren Gefäßwiderstandes vermindert und umgekehrt. Im Frequenzspektrum der HRV ist dieser Einfluss
im Very Low Frequency Bereich (<0,025 Hz) wiederzufinden (MCCRATY/W ATKINS
1996, 11).
Das Thermo-Regulations-System
Die Thermoregulation beeinflusst ebenfalls den Schlag-zu-Schlag Rhythmus des
Herzens. Nach MCCRATY/W ATKINS (1996, 11) liegt die Frequenz, mit der die Thermoregulation in die HRV eingeht, im Very Low Frequency Bereich (<0,04Hz).
Das autonome Nervensystem (ANS) bzw. Herz wird nicht nur von den Oszillationen
der inneren Organsysteme wie der Atmung, der Thermoregulation, dem ReninAngiotensin-System stimuliert, sondern steht in unmittelbarem Austausch mit den
4
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Reizen, die von höheren Hirnzentren und der Gefühls- und Wahrnehmungswelt
ausgehen (MCCRATY 1997, 11). Wie beispielsweise bewusste Entspannung und
Konzentration die HRV moduliert wird im Beitrag von VESTWEBER/HOTTENROTT in
diesem Buch aufgezeigt. Schließlich werden das autonome Nervensystem und die
inneren Organsysteme von den vom Herz rückwirkenden elektromagnetischen und
hämodynamischen Effekten moduliert (s. Abb. 3).
1.4
Einflussfaktoren auf die Herzfrequenzvariabilität
Prinzipiell ist davon auszugehen, dass alle Faktoren, die die Herzfrequenz beeinflussen, sich auch in einzelnen Parametern der Herzfrequenzvariabilität wiederfinden. Dazu zählen (vgl. ISRAEL 1982; VAN RAVENSWAAIJ-ARTS u.a. 1993, MALIK
1996):
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Lebensalter
Geschlecht
Körperlage (stehend, sitzend, liegend)
Tageszeit (zirkadiane Rhythmik)
Temperatur
Nahrungsaufnahme
Alkohol
Koffein
Nikotin (LEVIN u.a. 1992)
Medikamente (Atropin, Phenylephrin, ß-Rezeptorenblocker)
Ausdauerfitness
Stress
Muskelaktivität
Ein hoher Einfluss auf die Herzfrequenzvariabilität geht von der Arbeitsmuskulatur
aus. In Körperruhe ist die HRV immer größer als unter sportlicher Belastung. Bei
ansteigender körperlicher Aktivität kommt es zu einer Zunahme des Impulseinstroms aus der Muskulatur, der unmittelbar eine Verringerung des Vagotonus bewirkt (TULPPO u.a. 1998). Nach Erreichen der intrinsischen Herzfrequenz nimmt die
sympathische Aktivität verstärkt zu. Bei hoher Herzfrequenz sind Schwankungen
von Herzschlag zu Herzschlag kaum noch messbar (Abb. 4). Nach sportlicher Aktivität ist die Herzfrequenzvariabilität in der Erholungsphase verringert. Bereits eine
fünfminütige intensive Belastung führt zur Abnahme der HRV in der Nachbelastungsphase (Abb. 5).
dvs Band ??? © Edition Czwalina
5
Hf
HRV
(RRSD)
0
20
40
60
80
100
% VO2 max
Abb. 4: Schematische Darstellung der Veränderungen von Herzfrequenz (Hf) und Herzfrequenzvariabilität
(HRV) bei ansteigender Belastungsintensität nach dem Stufentestprinzip. Bei proportionaler Zunahme der Hf nimmt die Gesamtvariabilität (RRSD) überproportional bis ca. 60% der maximalen Sauerstoffaufnahme ab.
Hf [1/min]
Ruhephase
5 min
RMSSD [ms]
VLF [%]
LF [%]
HF [%]
Belastung
5 min
70
35
27
38
Erholungsphase
5 min
5
39
2
59
8
64
32
4
[h:min:s]
Abb. 5: Variation der Herzfrequenz in Ruhe, bei fünfminütiger intensiver Belastung und in der Erholungsphase (VLF: Very Low Frequency, LF: Low Frequency, HF: High Frequency).
6
MUSTERAUTOR: Kurztitel
3
Diagnostische Parameter der Herzfrequenzvariabilität
3.1
Parameter der Zeitbereichsanalyse
RR-Intervall [ms]
Tachogramme
Eine qualitative Analyse der HRV erfolgt über die zeitliche Darstellung der Herzfrequenz bzw. RR-Intervalle in Form von Tachogrammen (Abb. 6). Die Tachogramme
sind für eine qualitative Bewertung des HRV-Befundes geeignet. Anhand der Aufzeichnung lassen sich Artefakte und mögliche Extrasystolen erkennen. Diese müssen vor der weiteren mathematischen Analyse durch Filterung eliminiert werden.
RR-Intervall-Tachogramm
1600
1200
800
400
0
100
Herzfrequenz-Tachogramm
Hf [1/min]
80
60
40
20
0
0:00
1:00
2:00
3:00
Zeit [min:s]
4:00
5:00
Abb. 6: Herzfrequenz-Tachogramm und RR-Intervall-Tachogramm eines 26jährigen Ausdauersportlers während 5minütiger Ruhemessung. Die durchschnittliche Herzfrequenz beträgt 56 Schläge/min. Die Tachogramme lassen eine ausgeprägte vagal vermittelte respiratorische Arrhythmie mit einer Zunahme
der Hf während der Inspiration und eine Abnahme der Hf während der Exspiration erkennen.
Auswertungsparameter, die sich aus den RR-Intervall-Tachogrammen im Rahmen
der Zeitbereichsanalyse ableiten lassen und zu einer differenzierten Bewertung des
HRV-Befundes verhelfen, sind in der Tab. 1 zusammengestellt. Nicht aufgeführt
sind spezielle Parameter von Langzeitaufzeichnungen, die vor allem bei klinischen
Fragestellungen und Diagnosen zur Anwendung kommen wie SDANN (Standardabweichung des Mittelwertes der NN-Intervalle von allen Fünf-Minuten-Abschnitte
der gesamten Aufzeichnungszeit) und SDNN-Index (Mittelwert der Standardabweichungen aller NN-Intervalle für alle Fünf-Minuten-Abschnitte bei einer 24-StundenAufzeichnung). Der Index liefert Informationen über Veränderungen in der Herzfrequenz, die nur auf Faktoren zurückzuführen sind, welche die HRV innerhalb eines
Fünf-Minuten-Bereichs beeinflussen.
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7
RRSD
Berechnet wird die Standardabweichung aller RR-Intervalle im Messzeitbereich.
Dieser Parameter ist ein frequenzunabhängiger Indikator für die Gesamtvariabilität.
Bei der Interpretation der RRSD-Werte ist jedoch die Höhe der Herzfrequenz zu berücksichtigen, um Fehlbewertungen der Variabilität (eingeschränkt oder nicht eingeschränkt) zu vermeiden.
RMSSD
Berechnet wird die Quadratwurzel des quadrierten Mittelwertes der Summe aller
Differenzen sukzessiver RR-Intervalle.
RMSSD =
1
⋅
n
k
∑ [(R − R
i =1
i +1
) − ( R − Ri ) ]2
Dieser Parameter gibt Auskunft über kurzfristige Veränderungen der RR-Intervalle
und wird somit zur Betrachtung des parasympathischen Einflusses auf das Herz
herangezogen. Er wird der Kurzzeitvariabilität zugeordnet.
pNN50
Berechnet wird der Prozentsatz aufeinanderfolgender RR-Intervalle, die mehr als
50 ms voneinander abweichen. Bei dieser Analyse interessieren größere Schwankungen der Herzfrequenz. Ein hoher pNN50-Wert gibt somit Aufschluß über hohe
spontane Änderungen der Herzfrequenz.
8
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Tab 1: Definitionen der Parameter der HRV-Zeitbereichsanalyse
Parameter
Weitere
Bezeichnung
Einheit
Definition
RR*
NN
ms
Abstand
EKG)
AvgRR
RRMW
ms
Mittlerer Abstand aller RR-Intervalle im gewählten Zeitbereich
RRSD
SD, SDRR, ms
SDNN
Standardabweichung
(=Gesamtvariabilität)
RMSSD
r-MSSD
ms
Quadratwurzel des quadrierten Mittelwertes
der Summe aller Differenzen sukzessiver RRIntervalle
ms
Standardabweichung der Differenzen zwischen
benachbarten RR-Intervallen
%
Prozentsatz
(Anzahl)
aufeinanderfolgender
RR-Intervalle, die mehr als 50 ms voneinander
abweichen
rMSSD
∆RRSD
SDSD
pNN50
(NN50)
zweier
Herzschläge
(R-Zacken
aller
im
RR-Intervalle
DL
DL
ms
Länge des Längsdurchmessers
Vertrauensellipse
der
95%-
DQ
DQ, DW
ms
Länge des Querdurchmessers
Vertrauensellipse
der
95%-
SD1
stdb, SOQ, ms
SD-quer
Standardabweichung der orthogonalen Abstände der RRi / RRi+1-Punkte zum Querdurchmesser der Ellipse
SD2
stda,
SOL, ms
SD-längs
Standardabweichung der orthogonalen Abstände der RRi / RRi+1-Punkte zum Längsdurchmesser der Ellipse
*)
Die Abkürzung „RR“ kann zu Missverständnissen führen, da sie auch für den Blutdruck Verwendung findet. Daher wird oft die Bezeichnung „R-R“ oder „NN“ (normal to normal) für den Abstand zweier Herzschläge
benutzt.
Pointcaré Plot (Streudiagramm)
Eine weitere Möglichkeit der HRV-Analyse ergibt sich aus dem Pointcaré Plot. Aufeinanderfolgende RR-Intervalle werden in ein zweidimensionales Streudiagramm
übertragen. Bei einer Aufzeichnung der HRV einer gesunden Person in Ruhe ergibt
sich dann das Bild einer Ellipse, deren längere Achse auf der Winkelhalbierenden
des Koordinatensystems liegt. Punkte weit außerhalb der Hautpunkwolke deuten
auf Arrhythmien oder Artefakte hin. Form und Größe der Ellipse lassen Aussagen
dvs Band ??? © Edition Czwalina
9
auf den Grad der Entspannung oder der psychischen Anspannung z.B. durch
Stress zu.
Mittels orthogonaler Regressionsanalysen werden Längs- und Querdurchmesser
zur 95%-Vertrauensellipse konstruiert und die Standardabweichung der Punktabstände zum Längsdurchmesser (Abkürzungen: SD2, SDL bzw. stda) und zum
Querduchmesser (SD1, SDQ, stdb) berechnet (Abb. 7).
Pointcaré Plot (Streudiagramm)
95% Vertrauensellipse
RRi+1
SD zum Längsdurchmesser
• SD2
•
• SO
Langzeit••
• SD-längs variabilität
•
DQ
• • • • • stda
• • •• • •
• • • ••
DL • •
••
••
SD zum Querdurchmesser
L
~avgRR
´
• SD1
• SOQ, SOW
• SD-quer
• stdb
Kurzzeitvariabilität
RRi
Abb. 7: Pointcaré Plot zur geometrischen HRV-Analyse
Der Längsdurchmesser der Ellipse beschreibt absolut die Langzeitabweichung der
Herzfrequenz, der Querdurchmesser charakterisiert kurzzeitige Änderungen der
Herzfrequenz. Mit der Berechnung der Standardabweichung zum Längs- und
Querdurchmesser werden langfristige und spontane HRV-Änderungen quantifiziert.
Als standardisierte Vergleichsgröße wird auch das Produkt aus den beiden beschriebenen Standardabweichungen SD1 und SD2 betrachtet. Hierbei gehen in die
Betrachtung langfristige und kurzfristige HRV-Änderungen ein.
3.2
Parameter der Frequenzanalyse
Über mathematische Frequenzanalyseverfahren lassen sich weitere Parameter zur
Bewertung des HRV-Befundes gewinnen (s. Tab. 2). Dabei geht es um die differenzierte Bestimmung des Frequenzgehaltes der RR-Intervalle und um den relativen und absoluten Anteil hoher und niedriger Frequenzen am Gesamtspektrum.
Grundsätzlich können Frequenzen im Bereich von 0 bis 0,4 Hz auftreten, die in drei
Bereiche unterteilt werden:
10
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Frequenzbereich (gesamt)
- HF (High Frequency):
- LF (Low Frequency):
- VLF (Very Low Frequency) 2:
0,0-0,4 Hz
0,15-0,4 Hz
0,004-0,15
<0,04 Hz
HF-Bereich (High Frequency)
Der hohe Frequenzbereich zwischen 0,15 und 0,4 Hz wird der parasympathischen
Aktivität zugeordnet und hat eine entspannungsbezogene Wirkung auf die Herzfrequenz. In diesem Bereich nimmt auch die Atmung ihren Einfluß. Eine verringerte
parasympathische Aktivität zeigt sich bei Streß und Angst.
Tab 2: Definitionen der Parameter der HRV-Frequenzanalyse
Parameter
Ein-
Definition
heit
TP
Total power
ms²
Gesamtspektrum
spektrum)
(Gesamtleistungsdichte-
Varianz aller RR-Intervalle ≤0,4 Hz
VLF
Very low
frequency
ms²
%
Leistungsdichtespektrum von 0,00 bis 0,04
Hz
Prozentualer VLF-Anteil am Gesamtspektrum
LF
Low frequency
ms²
%
Leistungsdichtespektrum von >0,04 bis 0,15
Hz
Prozentualer LF-Anteil am Gesamtspektrum
HF
High frequency
ms²
%
Leistungsdichtespektrum von >0,15 bis 0,40
Hz
Prozentualer HF-Anteil am Gesamtspektrum
LF/HF
Verhältnis von LF zu HF
LF-Bereich (Low Frequency)
Der niedrige Frequenzbereich zwischen 0,04 und 0,15 Hz kann auf parasympathische und/oder sympathische Aktivität zurückgeführt werden. Bei LangzeitAufzeichnungen gibt dieser Bereich jedoch näheren Aufschluß über die sympathische Aktivität. Parasympathische Einflüsse ergeben sich bei niedriger Atemfrequenz (<7 Atemzyklen pro Minute).
2 Bei Langzeit-EKG-Auswertungen wird der VLF-Bereich nochmals unterteilt: VLF: 0,033-0,04 Hz; Ultra Low Frequency (ULF): <0,033 Hz.
dvs Band ??? © Edition Czwalina
11
Des weiteren ist dieser Frequenzbereich repräsentativ für barorezeptorische Aktivität. Die sog. Barorezeptorschleife weist eine intrinsische Frequenz von etwa 0,1 Hz
auf.
VLF-Bereich (Very Low Frequency)
Im sehr niedrigen Frequenzbereich unter 0,04 Hz machen sich hormonelle, vasomotorische und thermoregulatorische Einflüsse sowie die Aktivität des ReninAngiotensin Systems bemerkbar.
LF/HF-Verhältnis
Aus dem Verhältnis von hohen und niedrigen Frequenzanteilen (LF/HF-Ratio) des
HRV-Befundes lässt sich der vagale (entspannungsbezogene) und sympathische
(stressbezogene) Einfluss auf die Herzaktivität abschätzen (ECKBERG 1997). Überwiegt der sympathische Einfluss dauerhaft kann dies zum Beispiel zu Befindlichkeitsstörungen oder Depressionen führen und die bio-psychische Balance beeinträchtigen. Die Herzfrequenzvariabilität ist dann vermindert. Eine ausreichend große HRV scheint ein Hinweis auf Gesundheit zu sein. Nach MÜCK-W EYMANN (2002)
ist sie möglicherweise ein Globalindikator für Schwingungsfähigkeit (Resonzfähigkeit) und Adaptivität bio-psycho-sozialer Funktionskreise im Austausch zwischen
Organismus und Umwelt (Abb. 8).
Sympatho-vagale
Sympatho-vagale
Dysbalance
Dysbalance
Sympatho-vagale
Sympatho-vagale
Balance
Balance
-Eininflfluussss
HHFF-E
LF-Einfluss
LF-Einfluss
HF-Einfluss
HF-Einfluss
Sympathisch
Parasympathisch
-Eininflfluussss
LLFF-E
parasympathisch
sympathisch
„normale HRV“
„niedrige HRV“
Abb. 8: Normale Herzfrequenzvariabilität (HRV) bei sympatho-vagaler Balance und niedrige HRV bei sympatho-vagaler Dysbalance (LF: niedrige Frequenzen, HF: hohe Frequenzen)
4
Grundlagen der HRV-Frequenzanalyse
Allgemeine Vorgehensweisen bei Frequenzanalysen
Frequenzanalytische Verfahren werden seit vielen Jahren in der Biomechanik beispielsweise bei der Analyse elektromyografischer Signale angewandt (WINTER
1990; WINTER/PATLA 1997). Die Basis einer frequenzanalytischen Betrachtung
bildet die hinreichend genaue Approximation des Ursprungssignals (z.B. RRIntervall-Tachogramm). Dies geschieht durch die Summation von stetigen, periodi12
MUSTERAUTOR: Kurztitel
schen Funktionen mit jeweils bekannter Funktionsgleichung und bekanntem Frequenzgehalt. In der Regel werden verschiedene Sinus-Funktionen in Amplitude und
Frequenz so moduliert, dass bei der anschließenden Summation je nach Anzahl
der verwendeten Funktionen und Art der Frequenz- und Amplitudenmodulation unterschiedlichste Signalverläufe hinreichend genau approximiert werden können
(Abb. 9). Das Frequenzspektrum der entstandenen Approximationsfunktion beschreibt stellvertretend den Frequenzgehalt des Ursprungssignals. Die Approximationsfunktion wird wiederum in ihre Bestandteile zerlegt und der Frequenzgehalt
anhand der Periodizitäten der einzelnen Funktionen bestimmt. Abb. 10 zeigt schematisch die grundlegende Vorgehensweise bei Frequenzanalysen und verdeutlicht
die Analogie zur Spektralanalyse des Lichts am Prisma.
Abb. 9: Frequenz- und Amplitudenmodulation bei Sinussignalen durch Stauchung und Addition
Abb.10: Grundlegende Vorgehensweise bei Frequenzanalysen
dvs Band ??? © Edition Czwalina
13
Spezielle frequenzanalytische Verfahren für die HRV-Auswertung
Bei der Analyse des Frequenzgehaltes von HRV-Signalen kann auf verschiedene
frequenzanalytische Verfahren zurückgegriffen werden (s. BERGER u.a. 1986,
COHEN u.a. 1999, PAGANI u.a. 1986, TULPPO u.a. 1996, YAMAMOTO u.a.
1991). Dabei sind Anwendungsvoraussetzungen und spezielle Parametereinstellungen zu beachten (Tab. 3). In der HRV-Analyse werden bisher autoregressive
Verfahren und die FFT-Analyse eingesetzt. Die Wavelet-Analyse als innovatives
Verfahren findet aufgrund der nicht notwendigen Signalstationarität bereits Anwendung in der Analyse von stochastischen Signalen wie z.B. dem EMG (TSCHARNER 2000), ist jedoch im Bereich der HRV-Analyse noch nicht eingesetzt worden.
Exemplarisch wird das Ergebnis einer FFT-Analyse über ein fünfminütigen RRIntervall-Tachogramms in Abb. 11 dargestellt. Dabei wird der Schwerpunkt des
Frequenzgehalts im Low-Frequency-Bereich des Leistungsspektrums deutlich.
Tab 3a: Frequenzanalytische Verfahren (zusammengestellt aus: BASMAJIAN/DE LUCA 1985, W INTER 1990,
NIGG/HERZOG 1994, W INTER/PATLA 1997, KAMMEYER/KROSCHEL 1998, VON TSCHARNER 2000, ENOKA
2002)
BezeichAnwendungsnung
voraussetzungen
Zero-
Keine
Crossing-
Voraussetzungen
Bemerkungen
speziellen Anzahl der Nullstellen pro Zeit- Verfahren ist veraltet und
Verfahren
Fast
Verfahren
einheit
bestimmt
Frequenzge- nur bei periodischen Funk-
halt des Signals
tionen exakt
Fou- - Äquidistante Zeit- - Resampling der Rohdaten vor Verfahren erfordert speziel-
rier Trans-
achse
FFT erforderlich
formation
- Stationäres Signal - Ausgangssignal
(FFT)
- Mindestanzahl an
Datenpunkten
durch
le Parametereinstellungen:
X(t)
Fourierreihe
wird - Amplituden-
approxi-
miert
/Leistungsspektrum
- Fensterart (z.B. Recht-
∞
X (t ) = ∑ [a k ⋅ cos( kωt ) + bk ⋅ sin(kωt)]
k =0
- Frequenzgehalt
wird
eck, Hamming, etc.)
- Fensterbreite
durch - Amplitudennormierung
Frequenzen der Fourierreihe bestimmt.
14
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Tab 3b: Frequenzanalytische Verfahren (zusammengestellt aus: Basmajian/De Luca 1985, Winter 1990,
Nigg/Herzog 1994, Winter/Patla 1997, Kammeyer/Kroschel 1998, von Tscharner 2000, Enoka 2002)
BezeichAnwendungsnung
voraussetzungen
Verfahren
Auto-
- Stationäres Signal - Korrelation
korrelation
- Mittelwert von Null
signals mit sich selbst, liefert FFT, jedoch ersetzt die Au-
und FFT
- Mindestanzahl an
äquidistantes,
Datenpunkten
des
Bemerkungen
schränktes
Ursprungs- Bildet
ein
Analogon
zur
amplitudenbe- tokorrelation das notwendi-
Autokorrelations- ge Resampling.
signal.
- Periodizität der Autokorrelationsfunktion
entspricht
der
des Ursprungssignals.
1
Rxx (τ ) =
N
N∑
n=1
( x( n) − x )( x( n − τ ) − x)
N
1
N∑
n= 1
( x( n ) − x )
- FFT liefert das Gesamtspektrum
Modulierte
Je nach Modell auch -
Parametrische
autoreg-
für
schätzverfahren zur Nähe- terschiedliche
ressive
Signale mit geringen
rung des Ursprungssignals und
Verfahren
Datenpunkten
über
zer
nicht-stationäre
(kur-
Analysedauer)
einsetzbar.
-
Spektral- Verfahren
Modellierung
involvieren
un-
Algorithmen
Parametereinstellun-
weißen gen:
Rauschens mittels Spektral- -
Ordnungsgrad der Au-
formungsfiltern.
toregression
Berechnung
von
Autoreg- -
ressionskoeffizienten
zur
Anzahl der berücksichtigten Datenpunkte
Modellierung des Rausch- -
Stationärer
prozesses.
stationärer Ansatz
und
/
nicht-
Wavelet-
Auch für nicht statio- -
Zeit-
frequenzbe- Verfahren erfordert speziel-
Analyse
näre Signale mit ge-
schränkte
ringen Datenpunkten
nen als Basis.
(kurzer Analysedau- -
Faltung mit Ursprungssignal -
Waveletbreite
er) einsetzbar.
und analytische Basisopera- -
Anzahl der Wavelets
Waveletfunktio- le Parametereinstellungen:
-
Zentralfrequenz
tionen liefern approximiertes
Leistungsspektrum des Ursprungssignals.
dvs Band ??? © Edition Czwalina
15
RR-Tachogramm
(Ursprungssignal)
2
Leistungsspektrum (ms )
RR-Intervall [ms]
2000
1500
1000
500
0
0
100
200
300
Zeitdauer [s]
VLF
0.0
LF
0.1
HF
0.2
0.3
0.4
Frequenz (Hz)
Abb.11: Leistungsspektrum eines fünfminütigen RR-Intervall-Tachogramms (Analysemethode: Interpolation
der Ursprungsdaten sowie FFT mit Hamming-Fensterung)
5.
Standards der Herzfrequenzvariabiität
Die „Task Force of the European Society of Cardiology“ und die „North Amercian
Society of Pacing and Electrophysiology“ haben verbindliche Standards für die
HRV-Messung und -Analyse im Zeit- und Frequenzbereich festgelegt (s. MALIK
1996). Die Kenntnis und Berücksichtigung dieser Standards ist Voraussetzung für
die Planung, Durchführung und Auswertung von experimentellen Studien. Diese für
primär klinische Fragestellungen ausgearbeiteten Standards sind allerdings unzureichend für Untersuchungen des HRV-Verhaltens während körperlicher oder sportlicher Aktivität. Für trainingswissenschaftliche Fragestellungen fehlen Vorgaben für
standardisierte
Belastungstests
und
Normierungen
hinsichtlich
der
Auswertungsverfahren und –methoden. Das methodische Vorgehen bezüglich der
Elimination von Artefakten, der Datenfilterung, des Resamplings (Abtastfrequenz),
der verwendeten Verfahren zur Frequenzanalyse (s. Tab. 3) sowie der gewählten
Messdauer bzw. der zugrunde gelegten Datenmenge für die Auswertung ist bisher
äußerst heterogen. Diese vielfältigen methodischen Prozeduren erschweren nicht
nur die Vergleichbarkeit der gewonnenen Befunde, sondern können das Ergebnis
in einem nicht geahnten Ausmaß verfälschen. Dies betrifft vor allem die Elimination
von Artefakten, die bei körperlichen Bewegungen im Vergleich zur Ruhemessung
vermehrt auftreten, das Vorgehen bei der Frequenzanalyse und die Messdauer.
16
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Die Messdauer ist von entscheidender Bedeutung für die Bewertung des HRVBefundes. Generell werden long term Aufzeichnungen über 24 Stunden von short
term Aufzeichnungen von 5 Minuten und weniger unterschieden. Vergleiche von
HRV-Befunden sind nur bei zeitgleicher Analysedauer oder gleicher Anzahl von
RR-Intervallen aussagekräftig. Zu berücksichtigen ist, dass bei einer langen Messdauer die physiologischen Modulatoren der Herzperiodendauer nicht konstant stabil
sind. Langzeitmessungen können insofern nur einen „Grand Average“ abbilden,
was bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen ist.
Für eine Qualitätssicherung und bessere Vergleichbarkeit von Studienergebnissen
sind weitere Normierungen erforderlich, nicht zuletzt, um die interne Validität der
Ergebnisse zu erhöhen und das Risiko eines unzulänglichen Umgangs mit der HRV
einzugrenzen. Die einfache Erfassung der HRV und software-automatisierte Auswertung (z.B. Polar Precision Perfomance) der Befunde birgt die Gefahr, die methodischen Grenzen der Auswertung und die bei der Interpretation der Ergebnisse
zugrunde gelegten Analyseverfahren unzureichend zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte die Interpretation der HRV nicht auf der Grundlage eines einzelnen Parameters erfolgen, sondern immer mehrere Parameter einschließen.
Insgesamt sollten zukünftig verstärkt nichtlineare Verfahren bei der HRV-Analyse
Berücksichtigung finden, denn Nichtlinearität ist eine grundlegende funktionelle Eigenschaft lebender Organismen. Durch die Anwendung nichtlinearer Methoden in
der Forschung können neue Erkenntnisse gewonnen werden (s. MANSIER 1996).
6. Anwendungsfelder der Herzfrequenzvariabilität
Über Schwankungen der Herzperiodendauer wurde erstmalig in der Medizin 1965
im Zusammenhang mit fetalem Stress berichtet. HON/LEE (1965) stellten fest, dass
bei Stresseinwirkung auf den Fötus im Mutterleib, z.B. durch eingeschränkte Sauerstoffversorgung (Hypoxie), die Variation aufeinanderfolgender Herzperioden (RRIntervalle) abnimmt. In den folgenden Jahren wurden nach und nach weitere bedeutsame diagnostische Anwendungsfelder der HRV erforscht. Eine hohe Bedeutung hat die HRV heute im intensiv-medizinischen Bereich zur fortlaufenden organismischen Überwachung und für die Risikostratefizierung nach einem Herzinfarkt.
Ferner ist HRV für die Beurteilung der diabetischen autonomen Neuropathie, des
arteriellen Blutdruck, von Kardiomyopathien und chronischer Herzinsuffizienz bedeutsam (LÖLLGEN 1999). Auch die Bedeutung der HRV als Risikofaktor für einen
plötzlichen Herztod ist bereits seit Ende der 70er Jahre bekannt (W OLF et al. 1978).
Für Wirksamkeitsnachweise von Herz-Kreislauf-Medikamenten auf das autonome
Nervensystem werden ebenfalls Parameter der HRV zugrunde gelegt.
Die Anwendungsfelder haben sich in den letzten Jahren über den klinischdiagnostischen Bereich hinaus sprunghaft ausgeweitet, was sich u.a. anhand des
exponentiellen Anstiegs der Publikationen zur HRV in den fachwissenschaftlichen
Zeitschriften mit Peer-Review-Verfahren belegen lässt.
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Interessant für den Sport ist die Messung der HRV erst seit 1996 mit der Markteinführung eines mobilen Mini-Herzfrequenzmessgerät, welches die Dauer eines jeden Herzschlages EKG-genau erfassen konnte. Mit der mobilen Schlag-zu-SchlagMessung kann das Verhalten der Herzfrequenzvariabilität in Ruhe und während
sportlicher Aktivität gemessen und analysiert werden. Für Sportler und Trainer ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten für die Belastungssteuerung des Trainingsprozesses.
Das erste drahtlose Hf-Empfangsgerät am Handgelenk (Polar Vantage) hatten nur
eine Speicherkapazität von 40 Minuten, heute lassen sich die einzelnen Herzschläge mit kleinen Armbandempfängern über eine Dauer von 24 Stunden aufzeichnen.
Die gespeicherten Werte im Armbandempfänger können anschließend über Infrarotsensoren in den Personalcomputer übertragen und mit der Software ‚Polar Precision Performance‘ ausgewertet werden. Darüber hinaus wird die HRV auf dem
Display des Empfangsgerätes (z.B. Polar S810) als modifizierter Kurzzeitvariabilitätsparameter (SD 1) numerisch fortwährend angezeigt. Da im allgemeinen eine
hohe HRV auf entspannungsbezogene Einflüsse und eine niedrige HRV auf
stressbezogene Einflüsse hinweist, wird der angezeigte Wert auch als Entspannungsrate (RLX) bezeichnet.
Erste umfangreiche trainingsprozessbegleitende Untersuchungen zum Verhalten
der HRV bei Leistungssportlern der Ausdauerdisziplinen Triathlon, Radsport und
Laufen wurden von BERBALK (1998) durchgeführt. Die Untersuchungsergebnissse
verdeutlichen:
- interindividuelle Unterschiede der HRV bei den Ausdauersportlern, die eine Ableitung der individuellen Referenzbereiche für eine trainingsbegleitende Belastbarkeitsdiagnostik erforderlich machen.
- Unterschiede der HRV zwischen Ausdauersportlerinnen und Ausdauersportlern.
- eine Dynamik der HRV in Abhängigkeit von der Trainingsbelastung.
- eine infektbedingte Abnahme der HRV.
Aktuelle Anwendungsfelder der HRV im Sport werden im vorliegenden Symposiumsband vorgestellt. Sie lassen sich folgenden Themenbereichen zu ordnen:
?
?
?
?
?
?
?
?
?
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HRV als Biofeedbackinstrument des Entspannungszustandes (RLX-Wert)
HRV zur Bewertung von stress- und entspannungsbezogenen Einflüssen
HRV zur Objektivierung von Entspannungstechniken
HRV zur Bewertung des Regenerationszustandes im Trainingsprozess
HRV zur Kontrolle der Belastbarkeit und des Gesundheitszustandes
HRV zur Diagnostik und Bewertung trainingsbedingter Anpassungen
HRV zur individuellen Belastungssteuerung des Trainingsprozesses
HRV zur Bestimmung individueller Trainingszonen (OWN-ZONE)
HRV zum Wirksamkeitsnachweis definierter Trainingsformen auf Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit
MUSTERAUTOR: Kurztitel
Bei sportlichen Aktivitäten ist es bedeutsam, über den aktuellen gesundheitlichen
Zustand objektiv informiert zu werden. Ein intensives Training bei anklingendem
oder bestehendem Infekt verschlechtert den Gesundheitszustand und kann sogar
ernsthafte Komplikationen (z.B. Herzmuskelentzündungen) auslösen. Dies gilt vor
allem für Aktivitäten mit hoher Herz-Kreislaufbelastung (z.B. Laufen, Inline Skating).
Sportler, die die Herzfrequenzvariabilität im Training regelmäßig messen, berichten
von einer verbesserten individuellen Abstimmung der einzelnen Trainingseinheiten.
Der Wechsel zwischen Training und Regeneration lässt sich genauer bestimmen.
Dies führt zu stetigen Leistungsfortschritten, weil Überforderungen rechtzeitig erkannt und vermieden werden können.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die HRV im Sport bereits vielfältige und interessante Anwendungsfelder besetzt, allerdings die vorliegenden Ergebnisse nicht
befriedigend alle Fragen klären können bzw. teilweise widersprüchliche Ergebnisse
hervorgebracht haben. Weitere Forschungsaktivitäten sind erforderlich. Dabei ist das
methodische Handwerkzeug in einem stärkeren Maße zu standardisieren, die Parametervielfalt auf das Notwendige zu reduzieren und neue Analyseverfahren zu entwickeln.
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