Freiwillig zur Neuorientierung

Personalpraxis
Alternative zu betriebsbedingten Kündigungen
Freiwillig zur Neuorientierung
Herbert Mühlenhoff,
Dipl. Ökonom, Geschäftsführer der Mühlenhoff
Managementberatung, Düsseldorf,
spezialisiert auf Trennungsmanagement und
Changeprozesse, Vizepräsident des Bundesverbands
Deutscher Unternehmesberater BDU e.V.
Der Arbeitsmarkt zeichnet sich derzeit einerseits durch eine
relative Stabilität, andererseits durch einen Fachkräftemangel
in bestimmten Bereichen aus. Dennoch gibt es gleichzeitig
einen massiven Personalabbau: Großunternehmen und mittelständische Firmen haben aufgrund von Restrukturierungen
angekündigt, in 2012/2013 mindestens 150.000 Stellen abzubauen. Vom Personalmanagement wird in dieser Situation
der Einsatz geeigneter operativer Instrumente erwartet.
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Doppelte Freiwilligkeit
Müssen Arbeitgeber in großem Umfang Personal abbauen, stehen meist
Sozialpläne und betriebsbedingte Kündigungen an. Outplacement hat sich
in diesem Prozess bereits seit Jahrzehnten als sicheres Instrument des
Trennungsmanagements bewährt. Nun greifen Unternehmen ergänzend
auf ein weiteres Instrument zu: Sie bauen auf die doppelte Freiwilligkeit,
um den Personalab- und -umbau fair und sozialverträglich zu gestalten.
Zur Entscheidungsfindung bieten sie externe Beratungsunterstützung an.
Praxistipp
Der gesamte Ablauf lässt sich üblicherweise durch eine Betriebsvereinbarung umsetzen.
Arbeitgebern bieten sich zwei Durchführungswege an, das Instrument der
doppelten Freiwilligkeit einzuführen: ein selektives oder ein nicht-selektives Verfahren. Häufiger wählen Unternehmen Ersteres und unterbreiten
nur ausgewählten Personen das Angebot eines „voluntary leavings“ mit
Abfindung.
Beim offenen Verfahren erhalten alle Mitarbeiter das Angebot auf einen
Aufhebungsvertrag. Hier besteht allerdings die Gefahr, dass Leistungsträger als Erste freiwillig die Firma verlassen, da sie um ihre guten Karrierechancen wissen.
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Vorteile für Unternehmen
Mit diesem Vorgehen können Arbeitgeber die Sozialauswahl vermeiden,
die mit vielen hinlänglich bekannten Nachteilen verknüpft ist. Denn dabei
verlieren sie u. U. Potenzialträger, die sie für eine Neuausrichtung des Unternehmens benötigen. Mit der doppelten Freiwilligkeit lassen sich aber
auch arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen verhindern, die häufig auf
betriebsbedingte Kündigungen folgen. Solche Streitigkeiten können oft
die Ziele, die mit dem Personalabbau verbunden sind, so weit hinauszögern, dass Arbeitgeber ihre Steuerungsfähigkeit verlieren.
Unternehmen wissen, dass die Öffentlichkeit Einzelkündigungen und
Massenentlassungen sehr sensibel wahrnimmt. Deshalb setzen sie oft auf
die Alternative der Freiwilligkeit, um angestrebte Umstrukturierungen ohne betriebsbedingte Kündigungen zu realisieren.
Beim Prozess des Personalabbaus sprechen Arbeitgeber keine betriebsbedingten Kündigungen aus. Jeder Mitarbeiter kann frei entscheiden, ob
er das Angebot eines Aufhebungsvertrags annimmt oder nicht. Umgekehrt
ist das Unternehmen in seiner Entscheidung frei, welchen Beschäftigten
es einen Vertrag mit Abfindung anbietet und welchen nicht. Der Aufhebungsvertrag kommt nur zu Stande, wenn beide Parteien ihr Einverständnis erteilen.
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Damit aber das Prinzip der Freiwilligkeit zum Erfolg führt, können Arbeitgeber für Mitarbeiter in der Entscheidungsphase zusätzlich eine professionelle Begleitung durch externe Berufs- und Karriereberater anbieten. Entscheiden sich Arbeitnehmer, ihre Karriere außerhalb des Unternehmens
fortzusetzen, erhalten sie außerdem eine Beratung zur beruflichen Neupositionierung (Outplacement-Beratung).
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Arbeit und Arbeitsrecht · 9/12
Personalpraxis
Eine ergebnisoffene Beratung qualifiziert Mitarbeiter dazu, abzuschätzen,
wie ihre Chancen für eine Karriere außerhalb des Unternehmens stehen.
Gute Marktkenntnisse eines Outplacement-Beraters helfen, die eigene Situation realistisch zu bewerten und zu erkennen, welche beruflichen
Chancen und Perspektiven sich u. U. eröffnen – oder auch nicht. Zudem
sind die Berater nicht nur mit dem Arbeitsmarkt sowie mit Positions- und
Funktionsanforderungen vertraut, sondern haben auch Kenntnisse der jeweiligen Branche – und können Alternativen, die in einem Branchenwechsel liegen, sicher beurteilen.
Wichtig
Nach unserer Erfahrung gelingt es vielen Arbeitgebern auf diese Weise,
die Anzahl der Kündigungen deutlich zu reduzieren oder ganz auf sie zu
verzichten.
Ein weiterer Grund, die Alternative einer selbstverantwortlichen KarriereEntscheidung zu wählen, ist die positive interne Wahrnehmung der Belegschaft. Der Anpassungsprozess über Freiwilligkeit läuft wertschätzender
und reibungsloser ab. Außerdem wird positiv gewertet, dass Unternehmen, die für sich selbst bei unternehmensstrategischen Vorhaben Beratung von außen beanspruchen, auch den Mitarbeitern selbstverständlich
den Zugang zu externen Beratern mit ihrem Knowhow anbieten.
Ein Nachteil soll jedoch nicht unerwähnt bleiben: Erhält der Beschäftigte
ein Abfindungsangebot, zeigt ihm dieser Umstand, dass sich das Unternehmen eine Zukunft auch ohne ihn vorstellen kann. Das kann negative
Auswirkungen auf die Identifikation mit dem Arbeitgeber haben, falls er
sich entscheidet, in der Firma zu bleiben.
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Nutzen für Arbeitnehmer
Unternehmen müssen Mitarbeiter, die selbstverantwortlich eine Entscheidung über ihre berufliche Zukunft treffen sollen, entsprechend zusätzlich
qualifizieren. Dann können sie ihre beruflichen Perspektiven, Stärken und
den Arbeitsmarkt im jeweiligen Funktions- oder Branchenfeld besser einschätzen. Unabhängige und professionelle Berater helfen den Beschäftigten, zu beurteilen, ob sie bei einem anderen Arbeitgeber ihre Karriere fortsetzen können und wollen oder ob sie an anderer Stelle im Unternehmen
verbleiben wollen. Diese Unterstützung läuft auch unter der Bezeichnung
„Perspektiven- und Orientierungsberatung“ und kann nach der Entscheidung in eine Beratung zur beruflichen Neuorientierung münden.
Wichtig
Viele Arbeitnehmer benötigen diese Unterstützung, da ihnen in Zeiten des
Umbruchs oft die richtungsweisende Linie für die Karriere fehlt. Für die
Entscheidungsfindung können Unternehmen externe Partner einschalten,
die als neutrale Begleiter eine wichtige Rolle einnehmen – eine Rolle, die
weder Führungskräfte noch interne HR-Berater ausfüllen können. Denn in
den vertraulichen Gesprächen zwischen Mitarbeiter und Berater beleuchtet man alle Aspekte der Entscheidung: berufliche, persönliche, familiäre
und finanzielle.
Praxistipp
In der Praxis sollten Arbeitgeber ihren Beschäftigten zwischen vier und
acht Beratungsstunden anbieten, um sich bei der Entscheidungsfindung
begleiten zu lassen. Outplacementberater können diesen komplexen
Entscheidungsprozess begleiten.
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Rolle der Perspektiven-Berater
Eine wichtige Voraussetzung im Prozess der Freiwilligkeit der selbstverantwortlichen Zukunftsplanung ist, dass die Beratung ergebnisoffen ist. Seriöse Berater sind diesem ethischen Standard verpflichtet. Dies kann zwar
gelegentlich zu Diskussionen mit Auftraggebern führen, aber unter anderen Vorgaben ist kein Vertrauensverhältnis zum Mitarbeiter möglich.
Die Situation verlangt von den einzelnen Beratern eine außerordentliche
Verantwortung und Qualifikation. Hier ist der Blick sowohl zurück zur alten Position als auch nach vorne zur möglichen neuen Position zu richten.
Sie benötigen zusätzliche Kompetenzen in der Begleitung von persönlichen Veränderungssituationen und in der Unterstützung von individuellen
Prozessen der Entscheidungsfindung. Keinesfalls entscheiden die Berater
darüber, ob jemandem gekündigt wird oder nicht.
Wichtig
Zwischen dem Beschäftigten und dem Berater muss ein absolutes Vertrauensverhältnis bestehen. Die Aufgabe besteht vor allem darin, eine Orientierung zu geben. Die Entscheidung trifft der Mitarbeiter jedoch alleine.
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Fazit
Die Stärkung der Selbstverantwortlichkeit in Restrukturierungsphasen ist
eindeutig als Trend auszumachen. So lauten in diesen Tagen die Bekanntmachungen der Unternehmen häufig, dass sie Restrukturierungen
„sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen“ vornehmen
wollen.
Arbeitgebern kann es so gelingen, sich zunächst von den Mitarbeitern zu
trennen, die ohnehin auf dem Sprung sind. Wichtig ist dabei die Einbindung der Arbeitnehmervertreter – zur Vertrauensbildung –, aber auch die
der direkten Vorgesetzten, die auf die zu erwartenden Veränderungen im
Unternehmen hinweisen müssen.
Für die Beschäftigten ist diese Situation, in der sie die Entscheidung
„bleiben“ oder „gehen“ treffen sollen, i. d. R. hochemotional besetzt.
Ein kompetenter Gesprächspartner kann dann sehr helfen. Daneben gibt
es Mitarbeiter, die schon lange die innere Kündigung vollzogen haben und
es begrüßen, direkte Unterstützung bei einer beruflichen Neuorientierung
zu erhalten.
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Infos hierzu auf Seite 57.
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