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MERICS China Comment
Peking zeigt dem Smog die rote Karte – Nur ein symbolische
Geste in Richtung Paris
Von Jost Wübbeke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am MERICS
Warum ruft Peking gerade jetzt die Smog-Warnstufe „Rot“ aus, zum ersten Mal in der
Geschichte der Stadt? Bislang schreckte die Regierung der Millionenstadt vor der
höchsten Alarmstufe und den damit verbundenen drastischen Maßnahmen zurück. Sie
blieb sogar Ende November tatenlos, als der Luftqualitätsindex auf fast 500 sprang,
an manchen Messstationen sogar über 1.000. Aber ausgerechnet jetzt, bei einem zwar
auch schon brandgefährlichen, aber im Vergleich doch eher geringen Wert von 230
zeigt sie dem Smog erstmals die rote Karte.
Eigentlich müsste die Stufe „Rot“ automatisch eintreten, wenn der in China geltende
Luftqualitätsindex - ein zusammengesetzter Indikator aus mehreren Luftschadstoffen
- voraussichtlich länger als drei Tage über dem Wert 200 bleiben wird. Das ist in
Peking regelmäßig der Fall. Doch bislang fand die Stadt immer Ausreden, um die mit
Fahrverboten, Baustellen- und Schulschließungen verbundene Warnstufe nicht zu
verhängen. Dahinter stand vor allem die Angst, die Stadt lahmzulegen und damit die
Wirtschaft zu verprellen.
Der Smog untergräbt Chinas Glaubwürdigkeit in Klimaverhandlungen
Dass die Stadtregierung nun auf Rot schaltet, hat in erster Linie mit Paris zu tun: Denn
dort läuft gerade die entscheidende Phase der Klimaverhandlungen, in denen China
endlich einmal nicht mehr als Bremser dastehen möchte. Wenn ausgerechnet in
diesen Tagen die internationalen Zeitungen wieder einmal voll sind mit Fotos vom in
grauem Dunst versinkenden Himmelstempel, ist das ein Desaster für die chinesische
Delegation. Denn deren Beteuerungen, China unternehme alles gegen Luft- und
Umweltverschmutzung, klingen angesichts des Smog-Dramas alles andere als
glaubwürdig.
Es ist davon auszugehen, dass die Pekinger Stadtregierung den höchsten SmogAlarm mit Einverständnis der politischen Führung verhängte. Das Signal lautet: China
stellt sich rigoros der Verschmutzung entgegen und wird seine Zielvorgaben beim
Klimaschutz konsequent umsetzen. Der erstickende Smog in Peking soll nicht auch
noch das Verhandlungsklima in Paris verpesten.
Auch in der Vergangenheit hat die politische Führung anlässlich von politisch wichtigen
Großereignissen wiederholt für saubere Luft gesorgt, um die Hauptstadt besser
aussehen zu lassen. Den zu ausgewählten Ereignissen entstandenen klaren Himmel
nannten die Bürger dann spöttisch etwa „APEC-Blau“ oder „Militärparaden-Blau“.
Auch im Fall des roten Smog-Alarms geht es wohl mehr um Diplomatie und
Verhandlungsgeschick als um tatsächliche Umweltpolitik: Die erstickende
Luftverschmutzung lässt dadurch vielleicht für ein paar Tage nach, und die chinesische
Führung kann sich über ein „Paris-Blau“ freuen. Ein grundsätzliches Umsteuern zu
einem konsequenten Kampf gegen die Luftverschmutzung steht aber noch aus:
Chinas politische Führung unternimmt zwar schon einiges, um des Smogs Herr zu
werden. Dieser Politik ist es zu verdanken, dass im vergangenen Jahr Chinas
Kohleverbrauch erstmals seit 13 Jahren gesunken ist und weiter sinkt, und dass im
Land zahlreiche Windkraft- und Solaranlagen entstehen.
Die Klima-Symbolik wird den Smog nicht vertreiben
Doch sind viele Maßnahmen halbherzig, weshalb China den Kampf gegen den Smog
weiter zu verlieren droht. In Peking ist das ganz deutlich: Bis 2017 soll die Stadt nach
den nationalen Plänen die Feinstaubkonzentration auf 60 Mikrogramm pro Kubikmeter
im Jahresmittel senken. Aber auch das ist noch sechsmal höher als der von der WHO
empfohlene und dreimal höher als der chinesische Richtwert. In den meisten anderen
Städten sieht es ähnlich aus: Viele Bürgermeister nehmen sich der Sache nur
halbherzig an, die Städte hinken ihren Plänen hinterher und die Investitionen gegen
die Luftverschmutzung sind zu gering.
Kritik daran will Chinas Führung lieber nicht hören. Als der Dokumentarfilm „Under the
Dome“ im Februar unverblümt die katastrophalen Auswirkungen der
Luftverschmutzung vor Augen führte und eine heftige Debatte in Chinas sozialen
Medien auslöste, musste der Film ganz schnell aus dem Netz verschwinden.
Vielleicht findet die Pekinger Regierung aber ja doch Geschmack an der höchsten
Warnstufe und stellt fest, dass sich die Fahrverbote und erzwungenen Arbeitspausen
nicht so gravierend auf das städtische Wirtschaftsleben auswirken wie gedacht. Ab
und an eine rote Karte würde Chinas Stadtbewohnern wenigstens zeitweise Luft
verschaffen. Die Dunstglocken werden sie aber noch mindestens ein weiteres
Jahrzehnt begleiten. Daran dürfte die rote Warnstufe für ein „Paris-Blau“ nicht viel
ändern.