OLG Nürnberg: Herget, Endurteil, einstweilige Verfügung

OLG Nürnberg, Beschluss v. 22.05.2015 – 6 W 227/15
Titel:
OLG Nürnberg: Herget, Endurteil, einstweilige Verfügung, Kostenbeschwerde,
Veräusserung, einstweiliger Verfügung, Einzelrichterin, Beweislast,
Anfechtungsgesetz, gemeinsame Verhandlung, Beschwerde der Kläger,
Abhilfeentscheidung, Miteigentumsanteil, Verfahrenskosten, sämtliche Umstände,
Streitgenosse, Unterlassungsaufforderung, Vollstreckungsmöglichkeit, Richtigkeit der
Behauptung, Absicht
Normenketten:
ZPO §§ 93, 572 I
ZPO §§ 93, 572 I
§ 99 Abs. 2 ZPO
§ 569 ZPO
§§ 59, 60 ZPO
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung, Untersagungsgebote, Miteigentumsanteil, Rückauflassungsanspruch,
Zumutbarkeitsprüfung
Gründe
Oberlandesgericht Nürnberg
6 W 227/15
3 O 8457/14 LG Nürnberg-Fürth
In Sachen
D.
gegen
1) C...
2) B...
wegen einstweiliger Verfügung
hier: Kostenbeschwerde
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 6. Zivilsenat - durch die Richterin am Oberlandesgericht Firlus als
Einzelrichterin
am 22.05.2015
folgenden
Beschluss
I.
Die sofortigen Beschwerden der Beklagten gegen die Kostenentscheidung im Endurteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 26. Januar 2015 werden zurückgewiesen.
II.
Die Beklagten haben je zur Hälfte die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1
I. In einem anderen Rechtsstreit (Landgericht Nürnberg-Fürth, Az.: 9 O 10411/11) erwirkte der Kläger gegen
den (hier) Beklagten zu 2 am 29. November 2013 ein Endurteil, wonach der Beklagte zu 2 102.700 Euro
zzgl. Zinsen an den Kläger zu zahlen hat. Noch während des Prozesses veräußerte der Beklagte zu 2 mit
notariellem Überlassungsvertrag vom 19. Dezember 2012 seine Eigentumswohnung in N.-straße ..., an
seine Tochter, die Beklagte zu 1. Die Veräußerung erfolgte unentgeltlich, jedoch unter Vorbehalt eines
Rückforderungsrechts.
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Mehrere Versuche des Klägers, aus dem genannten Urteil gegen den Beklagten zu 2 zu vollstrecken,
blieben ohne Erfolg. Am 14. Juli 2014 gab der Beklagte zu 2 die eidesstattliche Versicherung ab. Hierin
versicherte er (wahrheitswidrig), in den letzten vier Jahren keine Gegenstände unentgeltlich veräußert zu
haben.
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Der Kläger hat Anfechtungsklage nach dem Anfechtungsgesetz erhoben. Außerdem hat er - im
vorliegenden Verfahren - im Weg der einstweiligen Verfügung beantragt,
- der Beklagten zu 1 zu untersagen, über ihren Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung zu verfügen,
- dem Beklagten zu 2 zu untersagen, von seinem Rückauflassungsanspruch Gebrauch zu machen.
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Am 28. November 2014 erließ das Landgericht die beantragte einstweilige Verfügung und legte den
Beklagten die Kosten des Verfahrens auf. Hiergegen erhoben die Beklagten, beschränkt auf die
Kostenentscheidung, Widerspruch; zugleich erkannten sie die Untersagungsgebote an. Die Beklagten
meinen, sie hätten keine Veranlassung zur Einleitung des Verfügungsverfahrens gegeben. Mit Endurteil
vom 26. Januar 2015 hielt das Landgericht die Kostenentscheidung aufrecht und legte den Beklagten auch
die weiteren Verfahrenskosten auf. Dagegen erhoben die Beklagten am 29. Januar 2015 sofortige
Beschwerde. Der Kläger beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.
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II. Die sofortigen Beschwerden der beiden Beklagten sind zulässig (§ 99 Abs. 2 ZPO analog, § 569 ZPO;
vgl. Zöller/Herget, ZPO, 30. Auflage, § 99 Rn. 11 m. w. N.), bleiben aber in der Sache ohne Erfolg.
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1. Die Beklagten stellen zunächst in Frage, ob der Kläger berechtigt war, seine Anträge gegen die beiden
Beklagten in demselben Verfahren geltend zu machen (§§ 59, 60 ZPO). Diese Zweifel teilt das
Beschwerdegericht nicht. Die Verpflichtungen der Beklagten beruhen auf einem im Wesentlichen
gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund; eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung
erschien daher zweckmäßig. Insoweit ist eine weite Auslegung geboten (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO,
35. Auflage, §§ 59, 60 Rn. 1). Dass Streitgenossen in unterschiedlichem Umfang verurteilt werden können,
steht der Zulässigkeit der Streitgenossenschaft nicht im Weg.
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2. Das Beschwerdegericht kann über die Beschwerden entscheiden, obwohl das Landgericht keine
Abhilfeentscheidung traf. Zwar sieht § 572 Abs. 1 ZPO vor, dass das Gericht, dessen Entscheidung
angefochten wird, die Möglichkeit der Abhilfe prüft. Die ordnungsgemäße Durchführung des
Abhilfeverfahrens ist aber nicht Verfahrensvoraussetzung des Beschwerdeverfahrens (OLG Stuttgart MDR
2003, 110; vgl. Thomas/Putzo/Reichold, a. a. O., § 572 Rn. 11; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Auflage, § 572 Rn.
4).
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3. Ohne Erfolg berufen sich die Beklagten auf § 93 ZPO. Zwar ist diese Vorschrift auch im Verfahren zum
Erlass einer einstweiligen Verfügung anwendbar (OLG Köln NJW 1975, 454; Schulz in: Münchener
Kommentar zur ZPO, 4. Auflage, § 93 Rn. 30; Thomas/Putzo/Hüßtege, a. a. O., § 93 Rn. 2; Zöller/Herget, a.
a. O., § 93 Rn. 5 „Einstweilige Verfügung“). Die Beklagten haben aber nicht in ausreichendem Umfang
dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie keine Veranlassung zur Einleitung des Verfügungsverfahrens
gegeben hätten. Hierfür tragen die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Zöller/Herget, a. a. O., §
93 Rn. 6 „Beweislast“).
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Ein Veranlassung zur Klageerhebung ist anzunehmen, wenn die beklagte Partei sich vor Prozessbeginn so
verhielt, dass die Klagepartei bei vernünftiger Würdigung davon ausgehen musste, sie werde ohne Klage
nicht zu ihrem Recht kommen (BGH NJW 1979, 2040/2041; NJW-RR 2005, 1005/1006; Schulz, a. a. O. Rn.
7 m. w. N.; Zöller/Herget, a. a. O., Rn. 3). Hierbei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls wie auch der
Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu berücksichtigen (vgl. Jaspersen/Wache in: Beck’scher
OK ZPO, § 93 Rn. 25). Entsprechendes gilt grundsätzlich für das Verfahren zum Erlass einer einstweiligen
Verfügung.
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Hier schlossen die Beklagten - das ist unstreitig - am 19. Dezember 2012, also während des Prozesses
gegen den Beklagten zu 2, einen notariellen Überlassungsvertrag mit dem Ziel, die Eigentumswohnung des
Beklagten zu 2 auf seine Tochter, die Beklagte zu 1, zu übertragen. Die Beklagte zu 1 hatte Kenntnis von
dem Prozess gegen den Beklagten zu 2, insbesondere auch von der Höhe der Forderung (vgl. Anlage 7
des Antragstellers).
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Der Kläger behauptete überdies, die Beklagte zu 1 habe gewusst, dass die Überlassung zu dem Zweck
erfolgte, die Vollstreckungsmöglichkeiten des Klägers zu vereiteln. Das hat die Beklagte zu 1 im
Beschwerdeverfahren zwar bestritten. Das Bestreiten erst in der Rechtsmittelinstanz ist zuzulassen (§ 571
Abs. 2 Satz 1 ZPO). Allerdings ist es nicht die Aufgabe des Klägers, seine Behauptung glaubhaft zu
machen; vielmehr obliegt es - wie bereits oben erwähnt - der Beklagten zu 1, die Behauptung des Klägers
zu widerlegen. Hier sprechen die Umstände für die Richtigkeit der Behauptung: Die Beklagte zu 1 wusste
von dem Prozess des Klägers gegen ihren Vater und sie hatte Kenntnis von der unentgeltlichen
Überlassung der Wohnung, da sie den Überlassungsvertrag vom Notar vorgelesen bekam und
unterzeichnete. Diesen Umständen hat die Beklagte zu 1 nichts Überzeugendes entgegenzuhalten
vermocht.
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Das geschilderte Verhalten der beiden Beklagten reicht aus, um dem Kläger Veranlassung zur Beantragung
einer einstweiligen Verfügung gegen beide Beklagte zu geben. Aufgrund des Verhaltens der Beklagten
musste der Kläger befürchten, dass er ohne Inanspruchnahme des Gerichts nicht zum Ziel kommen werde.
Eine vorgerichtliche Unterlassungsaufforderung war dem Kläger unter diesen Umständen nicht zumutbar
(vgl. OLG Köln, a. a. O.; OLG Frankfurt MDR 1980, 855; OLG Naumburg BeckRS 2010, 05629;
Jaspersen/Wache, a. a. O., § 93 Rn. 43), zumal da die Beklagten durch die parallel erhobene
Anfechtungsklage gewarnt und auf die Absichten des Klägers aufmerksam gemacht wurden.
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Die Frage der Zumutbarkeit einer vorherigen Unterlassungsaufforderung ist im Verfügungsverfahren, in dem
ohne rasches Handeln ein Rechtsverlust zu befürchten ist, anders zu beurteilen als im Klageverfahren. Die
von den Beklagten zitierten Entscheidungen des OLG Saarbrücken (MDR 1982, 499), des OLG Düsseldorf
(NJW-RR 1996, 905) und des Bundesgerichtshofs (NJW-RR 2004, 999) betrafen jeweils Klageverfahren
und sind daher nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbar.
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Dem Kläger war auch nicht zuzumuten, darauf zu vertrauen, die Beklagten würden erst nach Wochen einen
Notartermin für eine Verfügung über den Miteigentumsanteil erhalten. Nach der Lebenserfahrung lässt sich
in Eilfällen auch wesentlich schneller ein beurkundungsbereiter Notar finden.
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Auch der Einwand der Beklagten, die Wohnung werde von den Großeltern der Beklagten zu 1 bewohnt,
führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Eine Veräußerung oder Belastung der Wohnung kann auch
erfolgen, wenn diese bewohnt/vermietet ist. Ebenfalls unerheblich ist, dass der Antrag des Klägers vom 21.
November 2014 auf Erlass der einstweiligen Verfügung erst mehr als vier Monate nach Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung des Beklagten zu 2 einging. Wie der Kläger unwidersprochen vortrug, konnte
er „erst jetzt“, also offenbar erst kurz vor Antragstellung in Erfahrung bringen, dass die eidesstattliche
Versicherung des Beklagten zu 2 nicht der Wahrheit entsprach. Es lag also kein viermonatiges Abwarten
auf Seiten des Klägers vor, das Zweifel am Vorliegen eines Verfügungsgrunds hätte wecken können.
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III. Die Beklagten haben je zur Hälfte die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 100
ZPO).
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2,
3 ZPO).
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Ein Anlass zur Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren besteht nicht, weil hierfür eine
Festgebühr anfällt (Nr. 1810 KV GKG). Der Gegenstandswert wäre, falls seine Festsetzung beantragt
werden würde (§ 33 RVG), in Übereinstimmung mit dem vom Landgericht festgesetzten Streitwert (vgl.
Beschluss vom 26. Januar 2015), auf 8.398,88 Euro zu veranschlagen.