Bachs Weihnachtsoratorium eignet sich hervorragend, um Kindern

Gestaltungskraft. Sie ist Ausdruck erschreckend rätselhafte, so offene
einer humanen Geisteshaltung und wie zugleich geheimnisvolle Schön­
zielt auf Entwicklung, auf Befreiung heit der Mozartschen Musik, die
und auf Versöhnung. Das ist ihre ele­ Kraft des Vertrauens in der Kunst
mentare Botschaft. Ihre besondere Bachs oder der Willensausdruck von
Eigenart ist es dabei, das Prinzip des Beethovens Musik – das wird immer
Dialogs und darüber hinaus die Er­ Menschen ansprechen und innehal­
fahrung von Dialektik als Seinsprin­ ten lassen. Vielleicht in schlechteren
zip zum Ausdruck zu bringen. Das Zeiten mehr als in Zeiten äußeren
macht die «Bedeutung» der «Klassi­ Wohlstands.
schen Musik» aus, und die verliert
In Deutschland und Europa be­
sich nicht, wird sich nie verlieren.
kommen wir durch die Flüchtlings­
Klassische Musik bleibt also
immer aktuell?
Ja, sie wird immer die Menschen im
Innersten berühren. Auch heute, wo
sich so vieles rasant verändert hat
und noch weiter entwickeln wird.
Denken wir nur an die moderne
Kommunikationstechnologie und
die sich daraus ergebende Praxis, die
unseren Alltag beherrscht. Doch
die dialogische Sinnfälligkeit von
musikalischer Gestaltung, oder die
ströme die Folgen von Krieg und
Vertreibung direkt zu spüren. Wie
kann klassische Musik hier Hoff­
nung auf ein besseres Zusammenle­
ben stiften?
Klassische Musik entsteht durch ein­
zigartige und großartige menschliche
Leistungen, die eine außergewöhn­
liche Sensibilität für existenziel­
le Befindlichkeiten der Menschen
aufzeigt. Deshalb kann Musik auch
Inspiration, Trost und Gemeinsinn
BACHELOR-STUDIUM
KIRCHLICHE
POPULARMUSIK
STUDIENBEGINN:
WINTERSEMESTER 2016/17
Bachs Weihnachtsoratorium eignet sich hervorragend, um Kindern
Lust auf klassische und insbesondere Vokalmusik zu machen.
Vier Bearbeitungen des Werks für Kinder im Vergleich
wachsen lassen – gerade in schwieri­
gen Zeiten wie diesen ist das beson­
ders wichtig.
Das Interview führten Daniel Schalz und
Nora-Henriette Friedel aus der ChorzeitRedaktion.
Singen
mit Nagano!
Vom 15. bis 24. April 2016 bringt Kent
Nagano an der Staatsoper Hamburg
Bachs Matthäuspassion auf die Bühne,
als Gast singt die Audi Jugendchorakademie mit. Mit dieser wird Nagano im
Juli 2016 außerdem im Rahmen der Audi
Sommerkonzerte in Ingolstadt Mozarts
«Idomeneo» und Brahms’ «Ein deutsches
Requiem» aufführen.
Die Audi Jugendchorakademie sucht
neue Stimmen. Vorsingtermine: 19.12.
Stuttgart, 20.12. Hamburg, 09.01. Köln,
10.01. München, 16.01. Berlin
Details und Anmeldung unter
www.audi.de/vorsingen
Jauchzet!
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von Chören // Du machst Dich fit im Songwriting, im
Arrangieren und im Leiten von Bands // Du lernst
­D
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guten Berufsaussichten werden zur Zeit immer besser.
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Foto: Stephan Röhl
NEUER
STUDIEN
G
N
GA
Von Friedhelm Brusniak
Du lernst Konzerte zu managen und:
ie «wichtigsten und anschaulichsten Passagen» des
Weihnachtsoratoriums wählt der Musiker Michael
Gusenbauer für seine 40-minütige Bearbeitung für
Kinder ab dem Vorschulalter bis neun Jahren aus und
verknüpft sie mit der Weihnachtsgeschichte, die ein
Hirte erzählt. Zu Beginn berichtet dieser, dass er gern Urlaub in Ös­
terreich mache, wo man zum Jesuskind «Christkind» sage. Und weil
das Christkind für alle Menschen auf die Welt gekommen sei, feier­
ten diese zu Weihnachten seinen Geburtstag. Der Komponist Johann
Sebastian Bach habe diese Geschichte mit so wunderschöner Musik
erzählt, dass man sie noch heute spiele.
Die Geschichte beginnt mit dem Rezitativ «Und es waren Hirten».
Die Hirten spielen Anfang und Schluss der «Sinfonia», doch dann er­
schreckt sie ein «riesiger Knall», ein Paukenschlag. Die Geigen imitie­
ren mit durcheinander gespielten Zweiunddreißigstel-Motiven
Das Junge Ensemble Berlin
(JEB) führte 2013 Sascha
von Donats Bearbeitung auf – und dieses Jahr wieder
29 Chor zei t~ N OV 2015
C h or ze i t~ N OV 2015 28
Themen
das Flimmern der Luft. Jetzt beginnt der Eingangschor
und der Erzähler erklärt, dass ein Engel die erschro­
ckenen Hirten beruhigt habe, denn vorm Christkind
brauche man sich wirklich nicht zu fürchten. Er geht
auf Bachs «komische Sprache» ein, etwa bei «der Men­
schen Wohlfahrt zu verneuen» und erklärt «Wohlfart».
Donat diese Ebene und wird ernsthaft, wenn es um erfahren, dass Hirten und Engel damals zuerst von
Jesu Zukunft, um Menschlichkeit und Nächstenlie­ Jesus wussten – logisch, dass Bach eine «himmlische
be geht und Maria und Josef einander ihre Liebe be­ Musik, bei der Engel und Hirten zusammen musizie­
teuern und alle anderen mit einbeziehen. Das
ren, weil sie von der Geburt des Gottessohnes
Stück schließt mit «Nun seid ihr wohl
wissen», komponiert hat. Von der Bedeu­
gerochen». Als Zugabe – gesamter
tung der Engel und Hirten für das
Chor mit Wunderkerzen – ist der
Weihnachtsoratorium wird der
Chorsatz «Ehre sei dir, Gott»
weitere Ablauf geleitet, ohne
vorgesehen.
dass die für Kinder wichtigen
Die lockere Sprache
Schlüsselszenen vergessen
und Interaktionen bilden
werden – vom Schlaflied
einen bewussten Kontrast
fürs Jesuskind über den Ju­
zur Musik, die ohne analy­
belgesang «Ehre sei Gott»,
tische Betrachtungen und
den Weg der Hirten nach
Deutungen ihre emotiona­
Bethlehem, auf dem alle ge­
le Kraft unmittelbar entfal­
meinsam den Choral «Dies
ten kann. Von Donat vertraut
hat er alles uns getan» singen,
ganz der suggestiven Kraft der
bis zur Herodes-Geschichte.
ebenso affektvollen wie bildhaf­
Die Sprecherin fragt, was denn die
ten Tonsprache und der momentanen
Kinder Jesus schenken würden, nach­
Wirkung der Aufführung. Der Umgangs­
dem die Weisen ihm ihre Gaben gebracht
ton zwischen Maria und Josef und
haben und Bach ihm ein «ganz be­
Nicht nur wegen der Kuscheltiere im
die Spielszenen dienen dazu, das Chor sagte ein Dreijähriger beim Kinder- sonderes Weihnachtslied» – «Ich steh
junge Publikum erahnen und spüren
an deiner Krippen hier» – geschenkt
konzert des JEB: «Bach ist sooo toll!»
zu lassen, dass Bachs Komposition in
habe. Das Lied sage, man könne ihm
ihrer einzigartigen Klangästhetik zwar aus einer ande­ schenken, was er uns gegeben habe, das Leben, alles,
ren Zeit herübergekommen scheint, aber dennoch wie was uns das Leben schön und wertvoll mache: «Geist,
selbstverständlich in die heutige Lebenswelt gehört. Sinn, Herz, Seele und Mut». Das Stück schließt mit der
Während der Moderation dürfen sich die Kinder ent­ Feststellung, Bachs Musik sei deshalb so wunderbar,
spannen, bevor sie sich mit neuer Aufmerksamkeit der weil uns Gott ein großes Geschenk gemacht habe.
Musik öffnen. Angesichts der Tatsache, dass die Be­
Auch wenn diese Lösung zunächst in ihrem di­
reitschaft zum konzentrierten Hören bei immer mehr daktischen Zugriff konventioneller als die anderen
jungen Menschen nachlässt, kann man auch dieser di­ erscheint, weist sie sonst nicht beachtete inhaltliche
daktisch-methodischen Entscheidung nur zustimmen. Facetten auf. Die unverhohlene Begeisterung der Be­
arbeiter für die gegenwartsbezogene wie zukunftso­
ANSTECKENDE BEGEISTERUNG FÜR
rientierte Kraft von Bachs Musik dürfte ansteckend
DIE MUSIK BACHS WECKT NEUGIER
wirken, dürfte die Neugier des jungen Publikums auf
Die Fassung des 2015 verstorbenen Leipziger Theo­ das ganze Werk steigern. Für Petzoldt stand immer au­
logen und Bachforschers Martin Petzoldt, textlich ßer Frage, dass man Bach nicht erst in die Gegenwart
bearbeitet von Thomaspastorin Britta Taddiken und holen musste.
musikalisch eingerichtet von Gotthold Schwarz, un­
Der Autor ist Professor für Musikpädagogik am Institut für
terscheidet sich völlig von den bereits vorgestellten:
Musikforschung der Universität Würzburg. Der Artikel ist
ein gekürzter Nachdruck aus «Musik & Kirche» 5 / 2015.
Die Sprecher bleiben wesentlich näher an der Text­
www.musikundkirche.de
vorlage und werfen Fragen auf, die sich daraus für
Kinder heute ergeben. Dabei wird bewusst von Bach
Mehr
aus argumentiert.
erfahren
Der Anfang des Eingangschors wird ohne Flö­
ten und Oboen gespielt, sodass der Sprecher auf die
www.carus-verlag.de
textgemäße Instrumentierung zu «Tönet, ihr Pauken!
Kontakt Benjamin Dippel: [email protected]
Kontakt Sascha von Donat: [email protected]
Erschallet, Trompeten!» hinweisen kann, die auch
Kontakt Britta Taddiken: [email protected]
zum Text «Jauchzet, frohlocket» passt. Die Zuhörer
31 Chor zeit ~ N OV 2015
zu einem ganzheitlichen Erlebnis: Die Kinder hören
die Geschichte, lesen die Verheißungen, tanzen die
Freude Marias, singen «Wie soll ich dich empfangen»,
fühlen das Stroh der Krippe und sehen Jesus und die
musizierenden Engel am Altar.
Kirchenmusik überrascht junge Menschen zunächst
in ihrer Lebenswelt und soll durch die ungewöhnliche
AUS DEM LEBENSALLTAG ABGEHOLT
Kirchenerkundung Interesse am Raum Kirche wecken
Schauspielerisch, und begleitet von illustrierenden und zum spielerischen Mitmachen motivieren. Dies
Musikbeispielen, führt er an «Lasset uns nun gehen soll auch den Dialog von Kindern unterschiedlicher
gen Bethlehem» heran, macht auf das fürchterlich ste­ Konfessionen, Religionen und sozialer Milieus anre­
chende Stroh aufmerksam (hoher Solo-Pizzicato-Ton) gen und Kooperationen von Kirchenmusik und Kitas
und erklärt, dass Bach ein «ganz tolles Lied» geschrie­ oder Schulen nachhaltig fördern helfen.
Das gesamte, für sechs Wochen vorgesehene Pro­
ben habe, damit das Christkind nicht glaube, dass die
ganze Welt so unfreundlich zu ihm sei. Er stellt ver­ jekt und die einzelnen musikpädagogischen Unter­
schiedene Blasinstrumente vor – wie die Flöte («Frohe richtseinheiten sind detailliert geplant und kommen
Hirten») und die «ungemein schön» klingenden «Oboi dem Bedürfnis von PädagogInnen nach klar formulier­
d’amore» («Er ist auf Erden kommen arm») – sowie die ten Lernzielen durch Impulsfragen zu allen Wegstati­
Streichinstrumente bei «Schaut hin, dort liegt im fins­ onen im Kirchenraum und Musikraum entgegen.
Kantor und Kirchenpädagogin setzen eines der
tern Stall». Schließlich sorgen die Trompeter für den
richtigen «Königs-Sound» («Großer Herr») – auf den wichtigsten Ziele moderner, kontextbezogener Mu­
aber ein leises Wiegenlied folgt («Schlafe, mein Liebs­ sikpädagogik erfolgreich um: ein ganzheitliches Mu­
ter»). Anschließend fügt Gusenbauer das Lied «Vom sikerlebnis. Der Kirchenraum wird zu einem außer­
Himmel hoch» im bekannten Satz von Lukas Osian­ gewöhnlichen Erlebnisraum, zum physischen wie
der ein, den Bach auch schon gekannt habe. Das Stück psychischen Begegnungs-, Bewegungs- und Spiel­
endet mit dem Choral «Ach mein herzliebes Jesulein». raum. Formales und informelles Lernen verbinden
Die beim Carus-Verlag erschienene Bearbeitung sich unmerklich und öffnen Augen und Ohren auch
erfüllt die Erwartungen an eine «kindgerechte Fas­ für «fremde Musik».
sung» in hohem Maß: Die Kinder werden aus ihrem
FRISCHE DIALOGE, INTERAKTION
Lebensalltag abgeholt und in die Geschichte einbe­
UND KR AFTVOLLE MUSIK
zogen. Je nach Textinhalt erzeugen und vertiefen die
erklingenden Musikausschnitte Stimmung und Atmo­ Der Musiktheaterregisseur Sascha von Donat eröffnet
sphäre oder wirken illustrierend. Außerdem gelingt es, sein Kinderkonzert mit dem Eingangschor «Jauchzet,
Instrumentenkunde ohne pädagogischen Zeigefinger frohlocket», bricht jedoch ab, um Josef und Maria auf­
zu berücksichtigen.
treten zu lassen, die sich an die Weihnachtsgeschichte
erinnern – nicht in gekünstelter, der «alten Zeit» Bachs
GANZHEITLICHES MUSIKERLEBNIS
nachempfundener Sprache, sondern im saloppen Jar­
IM KIRCHENRAUM
gon, wobei Maria den Redefluss ihres Mannes immer
Dem Northeimer Kantor Benjamin Dippel und der wieder unterbindet und eine korrekte Darstellung
Kirchenpädagogin Birgit Hecke-Behrends geht es in der Geschehnisse anmahnt. Ausgewählte, teilweise
ihrer Fassung, die sich auf die ungekürzte erste Kan­ gekürzte Chorsätze, Arien und Rezitative werden ver­
tate konzentriert, um einen «Weg in die Musik» und bunden durch das im lockeren Plauderton gehaltenen
darum, die Musik in «Dialog zur Architektur des Kir­ Zwiegespräch. Doch auch Chor, Orchester, Dirigent
chenraums» zu setzen. Vorbereitend zur Aufführung und Publikum werden einbezogen, etwa wenn es gilt,
kommt das junge Publikum in zwei pädagogischen die Hände zu reiben, den Blick zum Himmel zu rich­
Einheiten in der Vor- und Grundschule und in der ten und im Kreis zu hüpfen.
Zum Lachen laden kurze Episoden ein, etwa über
Kirche mit Musik und Raum in Berührung. In Nort­
heim wurde der Weg der Kinder vom Eintritt durch Josefs «viele Stunden auf dem Amt» wegen der Volks­
den Westturm der St. Sixti-Kirche in den Altarraum zählung oder über die «stille Post», mit der der Chor
durch farbige, Emotionen evozierende Beleuchtung die schnelle Verbreitung der Nachricht von den drei
unterstützt und führte in Verbindung mit der Musik «Sternwanderern» imitiert. Am Schluss verlässt von
Themen
Foto: Stephan Röhl
C h or ze i t~ N OV 2015 30
Themen