AKTUELL ÖSTERREICHISCHER HAUSÄRZTEVERBAND ÖHV Interview „Die wichtigste ärztliche Aufgabe ist, Vertrauen zu bilden“ Unser Kollege Dr. Hans-Joachim Fuchs engagiert sich seit Jahrzehnten in der Betreuung von Menschen, die vor Krieg, Hunger und Elend nach Österreich geflohen sind. Wir sprachen mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtlingen und seine Einschätzung der aktuellen Lage. Lieber Hans-Joachim, es ist bekannt, dass du seit Jahren traumatisierten Menschen deine engagierte Hilfe anbietest. Das reicht von Mobbingopfern über Suchtkranke bis zu Schubhäftlingen. Wie erlebst du persönlich die gegenwärtige Flüchtlingswelle nach Europa? nser leider viel zu früh verstorbene Kollege U MR Dr. Richard Nitsch-Fitz fragte mich damals, ob ich bereit wäre, die ärztliche Betreuung von Flüchtlingen zu übernehmen, und ich habe das als Förderung verstanden. Auf diese Weise betrat ich ein neues Feld meiner psychosomatisch orientierten Hausarzttätigkeit und erwarb H.-J. Fuchs: Die derzeitige Massenflucht erindurch „learning by doing“ und durch die Benert mich sehr stark an die Massenflucht der treuung traumatisierter Patienten gemeinsam H.-J. Fuchs, Wien Kurden vor Saddam Husseins Mördertruppen mit Prof. Alexander Friedmann und Prof. Tho1991. Damals wurden in Europa, insbesondere mas Wenzel von der Wiener Universitätsklinik in Deutschland, sehr viele kurdische Flüchtlinge aufgenom- für Psychiatrie auch das theoretische Rüstzeug zur Behandmen. Im Mai 1991 begann der österreichische Auslandsein- lung von posttraumatischen Belastungsstörungen. satz UNAFHIR („United Nations Austrian Field Hospital in Iran“) im Rahmen der „Kurdenhilfe“. Das österreichi- Ich habe seit 1992 einige Flüchtlingswellen miterlebt und sche Bundesheer mit seinem Sanitätsdienst hatte im Iran ein zahlreiche Flüchtlinge aus dem Iran, dem Irak, der Türkei, Feldspital zur Betreuung der nach dem zweiten Golfkrieg Afghanistan, Tschetschenien und Georgien ärztlich behanaus dem angrenzenden Irak geflohenen Kurden eingerichtet delt, oftmals in Kooperation mit Spezialisten vom AKH und betreute es mehrere Monate. Die österreichischen Sol- Wien, insbesondere von der Klinik für Psychiatrie. daten waren unbewaffnet – das war die Bedingung der iranischen Regierung – und retteten Tausende kurdische Frau- So haben zahlreiche Ärzte und ihre Mitarbeiter enorme en und Kinder. Das war eine echte Heldentat. Leistungen erbracht, um Flüchtlingen die adäquate medizinische Versorgung zukommen zu lassen, auf die sie nicht Die Aktion „Kurden in Not“ setzte sich 1992 in der uner- zuletzt auch ein Anrecht haben. In dieser Tradition sollten hört großzügigen Aktion „Nachbar in Not“ fort, als es zu wir bleiben. einer ebenfalls kriegsbedingten Massenflucht aus Bosnien kam. Auch damals konnte man lesen, Österreich sei nicht Not, Erschöpfung und Ungewissheit sind die schweren verpflichtet, die Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, und die Lasten, die Zehntausende Menschen durch den Kontinent Grenzen waren drei Tage lang dicht. Doch angesichts der tragen. Tausende Menschen in den Ankunftsländern emsich anbahnenden humanitären Katastrophe nahm Öster- pören sich über die „Untätigkeit der Grenzschützer“, reich hunderttausend Flüchtlinge auf, davon achtzigtau- Tausende engagieren sich als Helfer der Flüchtlinge. Was send allein in Wien, was durch die gute Zusammenarbeit ist deine persönliche Botschaft an diese beiden Gruppen, des Wiener Bürgermeisters Dr. Helmut Zilk mit der Cari- bei denen die Ereignisse so konträre Emotionen auslösen? tas, dem Evangelischen Flüchtlingsdienst und der Ärztekammer für Wien problemlos möglich war. D ie Wiener H.-J. Fuchs: Inmitten von Bombardements, GiftgasanschläHausärztinnen und Hausärzte übernahmen die ärztliche gen und abscheulichen Massakern kann man nicht leben. Versorgung der Flüchtlinge, die in soliden und gut geheiz- Hunderttausende Menschen, die sich Waffenstillstand und ten Gebäuden untergebracht waren. Frieden in naher Zukunft ersehnt haben, haben sich nun 30 DAM Ausgabe 9/15 AKTUELL ÖSTERREICHISCHER HAUSÄRZTEVERBAND ÖHV zur Flucht entschlossen. Ich selbst habe 1979 einmal einen Hurrikan in der Karibik überlebt und war auf die Soforthilfe vonseiten der nordamerikanischen und venezolanischen Soldaten und Ärzte angewiesen. Auch ohne einschlägige eigene Erfahrungen sollte jeder Bürger, jede Bürgerin eine Aufgabe des Staates darin sehen, Hilfsaktionen zu organisieren, genauso wie den materiellen und geistigen Wohlstand durch kluge Verteilung des Reichtums und des Zugangs zu Bildungsinstitutionen zu fördern. Nichts beugt sozialen Spannungen besser vor. s macht mich froh, mitzuerleben, wie viele Österreicher, E darunter natürlich viele Ärzte, sich an der Flüchtlingshilfe mental und materiell beteiligen, um die lange Anlaufzeit zu überbrücken, die die staatliche Hilfe diesmal benötigt. s kann in naher Zukunft jeder niedergelassene Arzt in E Österreich einen Asylwerber als Patienten haben. Was hast du in den vergangenen Jahren als nützlich erkannt, was sollte man keinesfalls tun? H.-J Fuchs: Ich zähle dir jetzt spontan ein paar Punkte auf: 1. Eine gute Allgemeinbildung schadet nie. Es ist wertvoll, sich mit einschlägigen religiösen und politischen Überzeugungen und ihrem geschichtlichen Hintergrund gut auszukennen. D er „fruchtbare Halbmond“, das Winterregengebiet am nördlichen Rand der Syrischen Wüste, ist die Wiege unserer Zivilisation. Dort wurden Landwirtschaft und Städtebau erfunden, ebenso wie die Schrift, die Wissenschaften, die Medizin und die Verwaltung. In Syrien leben sehr viele hochgebildete und moderne Menschen in vielen verschiedenen Glaubensgemeinschaften friedlich zusammen. Doch haben gesellschaftliche Spannungen seit vielen Jahren zugenommen. Leider kam es durch das Assad-Regime und den IS zu Fanatisierung und Verrohung der Krieg führenden Parteien, mit teils absurden Rechtfertigungen durch Zitate aus dem Koran. Auch bei afghanischen Flüchtlingen helfen einem das Hintergrundwissen über die Völker der Paschtunen, der Hazara und der Tadschiken sowie Grundkenntnisse der Kriegssituationen seit Ende des 20. Jahrhunderts. 2. Bei aller Verschiedenheit der Menschen sind sie doch – gerade im Hinblick auf ärztliche Betreuung – absolut gleichberechtigt. Und alle wollen die beste ärztliche Betreuung, auch strenggläubige Musliminnen wollen z.B. die ärztliche Auskultation ihrer Lunge bei Husten. 9/15 Ausgabe 3. Freundlichkeit und Höflichkeit sind Grundbedingung. Gibt man die Hand oder gibt man sie nicht? Häufig gab man sie mir nicht zur Begrüßung, aber zum Abschied, nach einer gelungenen Konsultation. 4. Sehr wichtig ist eine gute ärztliche Dokumentation bis hin zur Dokumentation von Spuren von Folter und Gewalt entsprechend dem Istanbul-Protokoll der Vereinten Nationen. 5. Ärztliche Gutachten, Atteste und Befundberichte haben für die Gewährung von Sozialversicherungsschutz, Asyl und anderen Aufenthaltstiteln oftmals entscheidende Bedeutung. 6. Das hausärztliche „case management“ von Flüchtlingen umfasst auch Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit Betreuungspersonen, Dolmetschern, Psychotherapeuten, Psychiatern, vielen anderen Fachärzten und Spitälern. 7. Es ist vielleicht die wichtigste ärztliche Aufgabe, Vertrauen zu bilden, eine gute, vertrauensvolle Gesprächsbasis zu schaffen – durch Empathie, Gründlichkeit in Diagnose und Therapie, durch viel Information im Sinne von Aufklärungsgesprächen. ie Belohnung: Helfen macht glücklich. Das ist wissenD schaftlich erwiesen. Und Kollegen wie du machen unserem Berufsstand Ehre. Ich danke dir, nicht nur für dieses Gespräch. n Das Interview führte Dr. Christian Euler Unser Gesprächspartner: Dr. Hans-Joachim Fuchs Niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin in Wien www.familienmedizin.net n 05 DAM 31
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