Wien 7 April 1827 Verehrte Frau! Ich versprach Ihnen in meinem

Wien 7 April 1827
Verehrte Frau!
Ich versprach Ihnen in meinem letzten brief die weiteren Details über LvBeethovens Erdbestattung. Sie erfolgte
am 29 Merz nachmittags 3 Uhr bei einer Menschen Maße von vielleicht 30 Tausend Seelen – (Jedoch bemerkte
man dabei keinen der sogennanten Großen.) Alle hier wohnenden Künstler und Dilettanten versammelten sich
in der Wohnung Beethovens: nun kam die Geistlichkeit und der Zug setzte sich nach der Kirche in der
Währinger Gaße vom sogenannten Schwarzspanier-Hauß in der AlserGaße wo B. wohnte, in bewegung -. den
Zug eröffnete der Trauer Chor, mit Begleitung der TrauerPosaunen, gesungen von den HofOpernSängern. dann
kam der Sarg getragen von 6 Sänger & Componisten. das TrauerTuch getragen von 6 der Ersten Kapellmeister,
Weigl, Girowetz, Kreutzer, Eybler, Umlauf und Hummel als Gast, dicht hinter der Sarg folgte der berühmte und
große Sänger und Schauspieler Lablache nebst dem KK HofSchauspieler Anschütz dann alle hier lebende
Compositeurs, ausübende Künstler und Dilettanten, sämtl.[ich] in Trauer gekleidet mit einem RosenStrauß am
Arme – Auf dem Sarge lag eine Leyer mit einem LorbeerKranz geschmükt – In der Kirche wurde er eingesegnet,
dan fuhr die Leiche auf den Ruhe Ort Währing, wo Anschütz an der Thüre des Kirchhofe (weil es auf dem Grabe
von der Geistlichkeit verborten wurde!!!) beiliegende Rede v[on] Grillparzer hielt die uns alle bis zu Thränen
rührte. – Diese Rede ist nicht gedruckt worden und ich habe sie nur auf Ehrenwort erhalten damit nur Sie
verehrte Freundinn, sie empfangen sollen. Ich bitte also diese herzlichen Worte nicht bekannt zu machen weil
ich sonst mit Grillparzer den ich so hoch verehre in Collision käme -. Als der Sarg abfuhr wurden beifolgende
Gedichte von Castelli & B[aron] Schlechta ausgetheilt -. Ersteres ist matt letzteres viel beßer – Alle diese Sachen
sind übrigens Geburten des Augenbliks und man muß hier den Willen der That nehmen – In der Kirche zum
heiligen Augustin führten wir für den unsterblichen Todten Mozarts Requiem auf – bei 200 Mitwirkende an der
Zahl – Lablache sang den Baßpart mit solcher Gewalt & Gefühl daß man wähnte er wolle den verblichenen
erweken – In der -Kirche zu StCarl wurde Cherubinis Requiem würdig gegeben – daßelbe führen wir Dilettanten
in der AugustinerKirche in 14 Tage auf – so sind und werden die Formfeyerlichkeiten geschloßen -. So wie aus
Scheakspiers Geiste unseren Großen und Grösten Dichter emporkeimten und glänzten, so wird aus Beethovens
Geist für Deutschland einst die größten Tondichter entstehen. – und seine werke viele Künstler gebären.
Es ist die Rede dem Manne ein Monument zu setzten – aber wie? Niemand giebt das Hinlängliche zu solcher
Sache – Ich bin der Meynung, gleich den Engländern, eine National Subscription zu eröffnen in welcher man
nur für f 1 w[iener].w[ährung]. oder 24T in Silber20Fhuß unterschreiben darf - . So würde die Sache national
und jeder Arme wie der Reiche wären gleich stolz etwas zur Verherrlichung des Andenkens für den großen
Landsmanne beigetragen zu haben -. Sagen Sie mir liebe verehrte Freundinn Ihre Meynung darüber da ich
Ihren Spruch als Richtschnur betrachte -. Glauben Sie das mein Vorschlag paßt so will ich alles anwenden um
ihn in Ausübung zu bringen. – Nun leben Sie wohl, vergeben Sie meinem Geschmier, und erfreuen Sie bald mit
Ihren wohlthuenden, freundlichen Worten – Ihren Aufrichtigen Freund
Moritz Trenck v Tonder
Rede,
Verfaßt von Franz Grillparzer,
und auf dem Währinger-Friedhofe gehalten von dem k. k. Hofschauspieler Anschütz.
Indem wir hier am Grabe dieses Verblichenen stehen, sind wir gleichsam die Repräsentanten einer ganzen
Nation, des deutschen gesammten Volkes, trauernd über den Fall der einen hochgefeyerten Hälfte dessen, was
uns übrig blieb von dem dahingeschwundenen Glanze heimischer Kunst, vaterländischer Geistesblüthe. Noch
lebt zwar - und möge er lange leben! der Held des Sanges in deutscher Sprach' und Zunge, aber der Meister des
tönenden Lieds, der Tonkunst holder Mund, der Erbe und Erweiterer von Händel und Bach, von Haydn's und
Mozart's unsterblichem Ruhm hat ausgelebt, und wir stehen weinend bey den zerrissenen Saiten des
verklungenen Spiels.
Des verklungenen Spiels! Laßt mich so ihn nennen! denn ein Künstler war er, und was er war, war er nur durch
die Kunst. Des Lebens Stacheln hatten tief ihn verwundet, und wie der Schiffbrüchige das Ufer umklammert, so
floh er in deinen Arm, o du, des Guten und Wahren gleich herrliche Schwester, des Leides Trösterinn, von oben
stammende Kunst! Fest hielt er an dir, und selbst als die Pforte geschlossen war, durch die du eingetretten bey
ihm und sprachst zu ihm, als er blind geworden war für deine Züge durch sein taubes Ohr, trug er noch immer
dein Bild im Herzen, und als er starb, lag's noch auf seiner Brust.
Ein Künstler war er, und wer steht aufneben ihm? Wie der Behemoth die Meere durchstürmt, so durchflog er
die Gränzen seiner Kunst. Vom Girren der Taube bis zum Rollen des Donners, von der spitzfindigsten
Verwehung eigensinniger Kunstmittel bis zu dem furchtbaren Punct, wo das Gebil­ dete übergeht in die
regellose Willkühr streitender aturgewalten, Alles hatte er durchmessen, Alles erfaßt. Der nach ihm kommt,
wird nicht fortsetzen, er wird anfangen müssen, denn sein Vorgänger hörte nur auf, wo die Kunst aufhört.
Adelaide und Leonore, Feyer der Helden von Vittoria und des Meßopfers demütiges Lied Kinder ihr der dreyund vier-getheilten Stimmen, Brausende Symphonie: "Freude, schöner Götterfunken" du Schwanengesang,
Muse des Lieds und des Saitenspiels. Stellt euch rings um sein Grab und bestreut's mit Lorbeeren!
Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch. Mensch in jedem, im höchsten Sinne. Weil er von der Welt sich
abschloß, nannten sie ihn feindselig, und weil er der Empfindung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer sich
hart weiß, der flieht nicht! Gerade die feinsten Spitzen sind es, die am leichtesten sich abstumpfen, und biegen
oder brechen. Das Übermaß der Empfindung weicht der Empfindung aus! - Er floh die Welt weil er im ganzen
Bereich seines liebenden Gemüthes keine Waffe fand, sich ihr zu widersetzen. Er entzog sich den Menschen
weil er ihnen Alles gegeben und nichts dafür empfangen hatte. Er blieb einsam, weil er kein zweytes Ich fand.
Aber bis an sein Grab bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen, ein väterliches den Seinen, Gut und
Blut der ganzen Welt.
So war er, so starb er, so wird er leben für alle Zeiten.
Ihr aber, die ihr unserem Geleite gefolgt bis hierher gebietet eurem Schmerz! Nicht verloren habt ihr ihn, ihr
habt ihn gewonnen. Kein lebendiger tritt in die Hallen der Unsterblichkeit ein. Der Leib muß fallen, dann erst
öffnen sich ihre Pforten. Den ihr betrauert, er steht von nun an unter den Großen aller Zeiten, unantastbar für
immer. Drum kehrt nach Hause, betrübt aber gefaßt! Und wenn euch je im Leben, wie der kommende Sturm,
die Gewalt seiner Schöpfungen übermannt, wenn euer Entzüken dahinströmt in der Mitte eines jetzt noch
ungeborenen Geschlechts, so erinnert euch dieser Stunde, und denkt: wir waren auch dabey, als sie ihn
begruben, und als er starb, haben wir geweint.