20. März 2016

PREDIGT AM SONNTAG PALMARUM (20. MÄRZ 2016)
PREDIGTTEXT: MATTHÄUS 21,1-11
Liebe Gemeinde!
Ein triumphaler Empfang für Jesus auf und mit diesem Esel als Symbol für den
Messias. Mit Kleidern und Palmzweigen auf dem Weg begrüßen sie ihn und
rufen laut, preisen Jesus als den Sohn Davids, also des größten Königs, den Israel
jemals hatte, als den lang ersehnten Retter.
Für uns mag diese Szene noch relativ zurückhaltend klingen – angesichts des
heutigen Starkults, wenn junge Frauen kreischen und in Ohnmacht fallen und
Männer ebenfalls außer Rand und Band geraten können. Aber damals war das
schon etwas Besonderes, diese begeisterte Art der Begrüßung für den Heiland.
Da mag es zwar heißen, „er kommt sanftmütig, wie ein Friedensfürst“. Und
sicherlich war eine gewaltsame Übernahme der Hauptstadt von Israel oder ein
offener Widerstand gegen die römische Besatzung niemals ein Gedanke von
Jesus.
Und doch war das hochbrisant und gefährlich, was er hier tat. Nämlich vor allem
für ihn selbst. Es konnte nach diesem Auftritt, dem quasi-königlichen Einzug
durchs Stadttor nach Jerusalem, kein Zweifel mehr herrschen, dass er nun alle
gegen sich haben würde:
Die jüdische Oberschicht, die sich von diesem Wanderprediger und Messias aus
Galiläa bedroht fühlte; ebenso wie die Priesterschaft des Tempels, die von
diesem lebte und nicht von freizügigen Worten über das Reich Gottes, das nun
sogar für Sünder und Prostituierte bestimmt sein sollte. So jedenfalls verstanden
sie Jesus. Und nicht ganz zu Unrecht.
Doch auch die Römer verstanden keinen Spaß damit, wenn jemand ihre
Machtbasis infrage stellte und ihnen als ein Revoluzzer erschien. Wofür wiederum seine jüdischen Widersacher mit allen Mitteln sorgten, dass dieser
Eindruck entstand.
Jesus, warum? Warum hast du dies getan, und bist deinem Tod so gezielt
entgegengegangen? Das müssen sich seine Jünger und die Frauen, die ihn
begleiteten, gefragt haben, nicht erst nach seinem Tod, sondern schon vor der
Verhaftung im Garten Gethsemane. Warum, Jesus?
Dabei hatte er selbst es noch vorhergesagt, berichtet das Evangelium mit der
dreifachen Ankündigung seines Leidens und Todes in Jerusalem. Dass er dann
auch von seiner Auferstehung im Anschluss sprach, konnte gewiss nur ein
geringer Trost sein, wer wollte das zu diesem Zeitpunkt schon glauben?
Nein, Jesus ging ganz gezielt seinem Tod entgegen, zumindest hat er nichts
getan, um diesen zu verhindern. Wieso und warum, das wird uns noch
insbesondere an Karfreitag intensiv beschäftigen.
Aber um dieses Verständnis gewissermaßen vorzubereiten, sehen wir uns doch
einmal nach Menschen um, die uns zeitlich näher sind, warum diese mehr oder
wenig freiwillig Gefahr und Tod auf sich genommen haben?!
Und da fällt gerade in der protestantischen Kirche niemand anderes als Dietrich
Bonhoeffer ein. Die Grundzüge seiner Geschichte kennen wir im Wesentlichen.
Doch hier interessiert vor allem sein Ende und die Zeit kurz zuvor.
Denn auch Bonhoeffer ist im Grunde aus sicherer Distanz „eingezogen“ mitten
in das Zentrum von Gewalt und Tod, im Widerstand gegen das Nazi-Reich, um
dabei für seine Sache einzutreten und notfalls zu sterben. Sehen wir uns das
etwas genauer an: Als er im Konzentrationslager Flossenbürg zusammen mit
Admiral Canaris, General Osler und anderen Angehörigen der Militäropposition
ermordet wurde, war Dietrich Bonhoeffer 39 Jahre alt.
„Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens“, lauten die letzten Worte,
die von ihm überliefert sind. Bonhoeffer hätte diesem Schicksal entkommen
können. Dem evangelischen Pfarrer, der unter Hitler nicht Soldat werden
wollte, war es 1939 gelungen, nach Amerika zu entkommen.
Doch kaum in New York, geschieht Bonhoeffer etwas Seltsames: „Ich begreife
nicht, warum ich hier bin“, heißt es in seinem Tagebuch.
„Wo ist mein Platz? Wo gehöre ich hin?“ -Bonhoeffer zögert und überlegt - und
dann ist die Entscheidung da: „Ich muss diese schwierige Periode unserer nationalen Geschichte mit den Christen Deutschlands durchleben. (...) Mein
Kommen nach Amerika war ein Fehler.“
Und so entschließt er sich zur Rückkehr. Die nun beginnende letzte
Lebensphase Bonhoeffers steht im Zeichen der Aufgaben, die ihm sein Schwager
Hans von Dohnanyi angetragen hatte:
2
Bonhoeffer unternimmt konspirative Reisen ins Ausland, er bedient sich seiner
ökumenischen Kontakte, um Engländer und Amerikaner über die Absichten des
deutschen Widerstands zu informieren, und er beteiligt sich an dem Versuch, Juden - als Agenten der deutschen „Abwehr“ getarnt -in Sicherheit zu bringen.
Im April 1943 wird Dietrich Bonhoeffer verhaftet und anschließend in das
Wehrmachtuntersuchungsgefängnis von Berlin-Tegel verbracht, hier entstehen
die Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, die – unter dem Titel „Widerstand
und Ergebung“ veröffentlicht- Bonhoeffers Namen in der weltweiten
Christenheit bekannt gemacht haben.
Zur Jahreswende 1944/ 1945 entsteht im Kellergefängnis der Prinz-AlbrechtStraße Bonhoeffers berühmtestes Gedicht „Von guten Mächten“, das seinen
Verfasser wohl begleitet hat auf seinem Weg in den Tod:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, / erwarten wir getrost, was
kommen mag. /
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen /
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Also, die Verbindung, die Parallele zwischen dem Einzug von Jesus in Jerusalem
und der Rückkehr von Dietrich Bonhoeffer aus den USA nach Deutschland
besteht darin, dass beide der Tod erwarten würde. Und dass sie das im Prinzip
wussten. Bonhoeffer hat sich ganz bewusst geopfert, um der guten Sache gegen
die Nazis zu helfen. Er wollte das nicht anderen überlassen. Die Aussichten auf
einen Erfolg gegen Hitler waren gewiss gering, trotzdem arbeitete er im Widerstand intensiv mit.
Und historisch noch einmal etwas detaillierter, weil es sich hier um ein sehr
zentrales Geschehen deutscher und zugleich christlich-kirchlicher Geschichte
handelt: Bonhoeffer wurde wegen angeblicher Beteiligung an dem
fehlgeschlagenen Attentat gegen Hitler im März 1943 Anfang April gemeinsam
mit anderen festgenommen, wie es hieß wegen „Wehrkraftzersetzung“, und kam
ins Untersuchungsgefängnis. Am 20. Juli 1944 unternahm Claus Schenk Graf von
Stauffenberg ein weiteres, zuletzt auch durch das Kino berühmt gewordene
Attentat auf Adolf Hitler, das knapp fehlschlug.
Bei den nachfolgenden intensiven Verhören konnte die Gestapo Bonhoeffer und
anderen Mitverschwörern keine Beteiligung daran nachweisen. Dennoch wurde
der Theologe am 7. Februar in das KZ Buchenwald verlegt, Anfang April 1945 ins
3
KZ Flossenbürg. Am 5. April 1945 ordnete Adolf Hitler die Hinrichtung aller
noch nicht exekutierten „Verschwörer“ des 20. Juli 1944 an - und damit auch
jene Dietrich Bonhoeffers, völlig zu Unrecht, denn parallel zu Jesus war er hier
„unschuldig“.
Bonhoeffer war insofern ähnlich wie Jesus sanftmütig und gewaltlos, indem er
offensichtlich nicht direkt an Anschlägen beteiligt war. Er war vielmehr im
Informationsbereich tätig. Was natürlich auch extrem wichtig war, letztlich hat
das Deutsche Reich den Krieg verloren, weil die Briten um Alan Turing die
Enigma-Maschine entschlüsseln konnten und so genau wussten, was Hitler und
seine Mittäter in der Wehrmacht planten. Also, ein Attentäter war Bonhoeffer
eben gewiss nicht.
Trotzdem hat er so viel bewegt. Die größte Wucht jedoch hat er zweifellos mit
seiner Theologie hinterlassen, wofür er leider viel zu wenig Zeit hatte, er war ja
erst Ende 30, als er starb. Und vor allem diese schon zitierten Worte „Von guten
Mächten“, die wir noch heute in Kirche und oft auch auf dem Friedhof singen
oder hören, sind sein bleibendes Vermächtnis.
Es ist am Ende die Macht der Liebe, die beide, Jesus wie Bonhoeffer, dazu brachte,
ihr Leben zu opfern für etwas, das größer war als sie.
Bzw. im Fall von Jesus eine Größe, in die er voll-kommen durch den Tod und
durch die Auferweckung von den Toten noch hineinwachsen würde – nach
unserem Glauben als Sohn Gottes, als Messias. Insofern waren die Jubelrufe und
der frenetische Empfang beim Einzug in Jerusalem durchaus berechtigt – in
prophetischer Hinsicht gewissermaßen. Diese Menschen spürten, dass Jesus
wirklich der Christus war, der Erlöser, der Messias, der neue König. Aber einer,
dessen Reich eben nicht von dieser Welt ist, sondern bei Gott im Himmel.
Wir können dies nur so zur Kenntnis nehmen und Menschen wie Bonhoeffer
vorbehaltlos bewundern sowie Jesus verehren und anbeten als den Christus – ein
König, dem weltliche Macht völlig egal war, der allein vertraute auf die
Herrschaft Gottes und dessen Königreich.
In seiner Nachfolge stehen wir, im Leben wie im Sterben und darüber hinaus.
Ein Königreich, das durch ihn mit Gottes Hilfe errichtet wurde für die
Ewigkeit, ein Reich der Liebe und des Lebens, in dem auch für uns ein Platz sein
soll. Dank sei ihm dafür. Amen.
4