SWSA SOZIAL- & WIRTSCHAFTS STATISTIK AKTUELL Nr 10/2015 Download: http://wien.arbeiterkammer.at/service/zeitschriften/SozialundWirtschaftsstatistikaktuell Die Entwicklung von Erbschaften und ihr Beitrag zu Ungleichheit Große Erbschaften erhalten in Österreich nur wenige Menschen. Umso stärker tragen sie zur Vergrößerung der Ungleichheit bei. Weitaus mehr als Erwerbseinkommen. Durch das Auslaufen der Erbschaftssteuer mit 31. Juli 2008 ist es gewiss: niemand muss mehr Erbschaftssteuern zahlen. Ebenfalls gewiss ist jedoch, dass viele gar nicht oder nur in sehr geringem Ausmaß von dieser Steuer betroffen waren. Sehr wenige Erben jedoch konnten sich über einen substanziellen (leistungslosen) finanziellen Zuwachs freuen: laut Erbschaftssteuerstatistik machten die vier größten Erbschaften im Jahr 2006 ein Viertel des gesamten Steueraufkommens aus. Auch eine Studie der OeNB (Oesterreichische Nationalbank) bestätigt die ungleiche Erbwahrscheinlichkeit innerhalb der Bevölkerung: von den 20 Prozent der reichsten Haushalte (bezogen auf das Nettovermögen) haben zwei Drittel eine Erbschaft bekommen, beim ärmsten Fünftel hingegen nur jeder zehnte. Dieser Auszug der Faktenlage bestätigt, wie stark das Vermögen in Österreich konzentriert ist. Die Abschaffung der Erbschaftssteuer trägt dazu bei, dass sich WUSSTEN SIE, DASS ERBSCHAFTEN IN ÖSTERREICH BEINAHE DOPPELT SO VIEL ZUR UNGLEICHHEIT BEI VERMÖGEN BEITRAGEN WIE EINKOMMEN? der Umstand, dass Österreich Europameister in der Vermögensungleichheit ist, noch weiter verschärft. Dabei verweist sogar die Europäische Kommission in einer aktuellen Publikation darauf, dass Österreich niedrige Einkommen steuerlich zu hoch belastet und empfiehlt eine Verlagerung der Besteuerung unter anderem hin zu Erbschaften und Vermögen. Institutionen wie der IWF (Internationale Währungsfonds) und die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) betonen bei dieser Verlagerung der Besteuerung die beschäftigungs- und wachstumsfördernden Effekte. è Feedback und Rückfragen bitte an [email protected] Abonnieren Sie SWSA als E-Mail-Newsletter: http://wien.arbeiterkammer.at/newsletter.html „Sozial- und Wirtschaftsstatistik aktuell“ auswählen und auf „abschicken“ klicken. Impressum: Herausgeber und Medieninhaber Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien, Prinz Eugen Strasse 20-22 · Redaktion Gerlinde Hauer, Petra Innreiter, Ilse Leidl, Reinhold Russinger, Matthias Schnetzer, Norman Wagner · Kontakt [email protected] · Verlagsund Herstellungsort Wien Erscheinungsweise 11 mal jährlich · DVR 0063673 AKWien Die Entwicklung von Erbschaften und ihr Beitrag zu Ungleichheit 2 Abbildung 1: Relative Beiträge zur Vermögensungleichheit 40% n Einkommen n Erbschaft 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% Zypern Österreich DeutschlandGriechenland Portugal Spanien Belgien Bemerkung: Relative Anteile des Gini-Koeffizienten der Bruttovermögen; Quelle: Leitner (2015) Der Beitrag von Erbschaften zu Ungleichheit Eine Studie des wiiw (Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche) identifiziert Faktoren wie Haushaltsgröße, formaler Bildungsabschluss, Einkommen, Erbschaften bzw. Schenkungen und weitere Eigenschaften, die grundsätzlich Einfluss auf die Vermögensungleichheit haben können. Die wichtigsten Resultate sind in Abbildung 1 dargestellt. Sie bildet zwei der Faktoren ab, die maßgeblich zur Vermögensungleichheit (gemessen anhand des Gini-Koeffizienten) beitragen: Einkommen und Erbschaften. Die Prozentzahlen kann man als Indikator der Relevanz von Einkommen und Erbschaften für die Vermögensungleichheit sehen. Je höher die Prozentzahl, desto stärker trägt der Faktor WUSSTEN SIE, DASS SICH DAS JÄHRLICHE ÜBER TRAGUNGSVOLUMEN DURCH ERBSCHAFTEN UND SCHENKUNGEN BIS ZUM JAHR 2040 MEHR ALS VERDOPPELN WIRD? zur Vermögensungleichheit bei. Wie deutlich sichtbar ist, sind Erbschaften in allen angeführten Ländern ein größerer Treiber der Vermögensungleichheit als Einkommen. In Österreich sind Erbschaften doppelt so relevant wie Einkommen (38 % vs. 20 %). Erbschaftsvolumen Eine Studie der WU simuliert auf Basis der Vermögensdaten der Oesterreichischen Nationalbank und Zahlen zur Bevölkerungsentwicklung des IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis) die Vermögensübertragungen bis zum Jahr 2060. Aus Abbildung 2 wird deutlich, dass die Übertragungen durch Erbschaften in den nächsten Jahrzehnten drastisch ansteigen und bei angenommener Bevölkerungsentwicklung zwischen 2040 und 2050 ihren Höhepunkt erreichen. Innerhalb dieses Zeitraums liegt die Schwankungsbreite zwischen 20 und 25 Mrd. Euro (angedeutet durch die farblichen Schattierungen) und stellt zudem die untere Grenze dar, weil in den zugrunde liegenden Vermögensdaten die sehr reichen Haushalte nicht enthalten sind. Grund dafür ist, dass die Daten mittels freiwilliger Haushaltsbefragungen erhoben è Die Entwicklung von Erbschaften und ihr Beitrag zu Ungleichheit 3 Abbildung 2: Simulation der Vermögensübertragungen (in Mrd. Euro) 30 Mrd 25 Mrd 20 Mrd 2040 15 Mrd 2030 2050 2060 10 Mrd 2020 5 Mrd 0 2010 n Median, Konfidenzintervalle: n 90% n 95% n 99% Quelle: Altzinger und Humer (2013) wurden und reichere Haushalte unverhältnismäßig selten teilnehmen. Ausgehend von diesem Volumen an Erbschaften werden verschiedene Steuermodelle (variierende Freibeträge, Ausnahmen für Land- und Forstwirtschaft, etc.) simuliert und gleichzeitig das Steueraufkommen geschätzt (siehe Altzinger und Humer [2013] für Details). Die Bedeutung von Erbschaften: Internationale Entwicklungen Nicht nur in Österreich nimmt das Erbschaftsvolumen in den nächsten Jahrzehnten stark zu. Aktuelle Daten für Frankreich zeigen, dass der Anteil der Erbschaften am Nationaleinkommen seit Mitte des 20. Jahrhunderts wieder drastisch ansteigt. So machte der Anteil vor 1914 jährlich etwa 20-25 Prozent aus, er fiel bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf unter fünf Prozent und stieg seither wieder stetig und erreichte 2010 einen Anteil von etwa 15 Prozent. Dass diese Entwicklung kein Einzelfall ist, zeigen Studien von ÖkonomInnen für Länder wie Deutschland, Schweden, Großbritannien und der Schweiz. Berücksichtigt man die bereits beschriebene ungleiche Vertei- WUSSTEN SIE, DASS IM JAHR 2006 ALLEIN DIE VIER GRÖSSTEN ERBSCHAFTEN FÜR EIN VIERTEL DES GESAMTEN ERBSCHAFTSSTEUER-AUFKOMMENS SORGTEN WÄHREND ZWEI DRITTEL ALLER ERBSCHAFTEN UNTER 7.300 EURO WAREN? lung der Erbschaften, wird klar, dass die Konzentration der Vermögen weiter steigen wird. Die erwähnten Studien basieren auf den Daten des HFCS und des IIASA. Nähere Informationen finden sie auf folgenden Websites: www.hfcs.at und www.iiasa.ac.at Weitere Informationen AK Wien (2015): Pikettys Thesen. Kurz und bündig erklärt (auch online verfügbar unter http://wien.arbeiterkammer. at/piketty) Europäische Kommission (2015): Tax Reforms in EU Member States 2015. Tax policy challenges for economic growth and fiscal sustainability. INSTITUTIONAL PAPER 008 | SEPTEMBER 2015 Die Entwicklung von Erbschaften und ihr Beitrag zu Ungleichheit 4 Die Arbeiterkammer setzt sich ein für: ¡ Eine Einführung einer reformierten Erbschafts- und Schenkungssteuer mit Freibeträgen und einem Erbschaftssteueräquivalent für Privatstiftungen. Leistungsloser Vermögenszuwachs wie Schenkungen oder Erbschaften dürfen steuerlich nicht begünstigt gegenüber Einkommen aus Arbeit sein. Eine Zweckwidmung des Erbschaftssteueraufkommens für Pflegedienstleistungen sichert ein Altern in Würde für alle. ¡ Steuern auf sehr hohe Vermögen: Sie sollen einen fairen Beitrag zur Sicherung und zum Ausbau des Sozialund Wohlfahrtsstaates leisten. Vermögenssteuern haben zudem positive Wachstumseffekte und steigern die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Glossar Gini-Koeffizient: zentrales Maß für die Darstellung von Verteilungen. Ein Wert von 1 bedeutet absolute Ungleichheit (eineR hat alles), ein Wert von 0 absolute Gleichverteilung. Je höher der Gini-Koeffizient, desto ungleicher die Verteilung. Bruttovermögen: Zum Bruttovermögen werden Sachvermögen wie Immobilien, Unternehmenseigentum, Fahrzeuge, Wertgegenstände und Finanzvermögen (Girokonten, Spareinlagen, Investmentfonds, Aktien, etc.) gerechnet. Nettovermögen: Das Nettovermögen eines Haushalts berechnet sich aus dem Bruttovermögen abzüglich der Schulden. In die Verschuldung gehen besicherte (mit Immobilien etc. besichert) und unbesicherte (Überziehungskredite, Kreditkartenschulden, etc.) Schulden ein.
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