BRANCHENCHECK RUSSLAND 2 | 2015 BRANCHENCHECK 2/2015 | INHALT INHALT LEITARTIKEL BRANCHENCHECK Wirtschaftliche Erholung erst für Ende 2016 erwartet 2 BRANCHEN Automarkt im freien Fall 4 Schlechte Baukonjunktur hält an 7 Chemieindustrie stemmt sich gegen Wirtschaftskrise 10 Russische Regierung fördert Elektronikindustrie 13 Markt für Internetdienste wächst weiter 15 Russland investiert Milliarden in die eigene Landwirtschaft 18 Lebensmittelproduktion wächst trotz Wirtschaftskrise 21 Maschinenmarkt verliert an Attraktivität 24 Markt für Medizintechnik wächst erst ab 2018 wieder 28 Festmüllverwertung mausert sich zum Geschäftsfeld in Russland 30 1 B R A N C H E N C H E C K 2 / 2 0 1 5 | L E I TA RT I K E L LEITARTIKEL BRANCHENCHECK WIRTSCHAFTLICHE ERHOLUNG ERST FÜR ENDE 2016 ERWARTET Das ifo-Institut konstatierte im November dieses Jahres: „Das weltwirtschaftliche Klima kühlt sich merklich ab“. Die Wachstumserwartung für die chinesische Konjunktur liegt bei unter sieben Prozent. Der Ölpreis dümpelt um die 40 US-Dollar pro Barrel. Der Rubel entkommt seiner Schwäche nicht. Die Bruttoanlageinvestitionen, Export und Import sinken. Die Inflation ist hoch. Keine guten Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung in Russland. Für 2015 wird deshalb folgerichtig eine Rezession von bis zu fünf Prozent erwartet. Und dennoch bleiben die deutschen Unternehmen dem Markt weiter treu. Warum ist das so? Viele Unternehmen haben sich in der Krise „eingerichtet“ und optimieren ihr Geschäftsmodell und die internen Strukturen. Sie überprüfen ihr Händlernetz, ihre Vertriebsorganisation, ihre Geschäftspartner, ihr Geschäftsmodell. Trotz zum Teil deutlich rückläufiger Geschäftszahlen ist die Erwartung in den künftigen Aufschwung des Marktes groß. Jetzt gilt es die Voraussetzungen zu schaffen, um dann von der Konjunktur profitieren zu können. Für Mergers & Acquisitions ist augenblicklich ein guter Zeitpunkt: Objekte sind billiger, Verkäufer eher zu Zugeständnissen bereit, Grundstücke günstiger zu erwerben. Wettbewerber verschwinden vom Markt: russische, weil ihnen die Kapitaldecke fehlt, internationale aus Unsicherheit über die Markt- 2 entwicklung. Noch immer sind 6.000 deutsche Unternehmen im russischen Markt präsent. Die übergroße Mehrheit von ihnen ist gewillt, auch weiter zu bleiben. Einige planen, sich intensiver an den Markt zu binden. Denn, Lokalisierung heißt das Gebot der Stunde. Nach Ansicht der russischen Regierung ist der Königsweg zu Fortschritt, Modernisierung und Know-how-Transfer, die Unternehmen zu Lokalisierung und Importsubstitution zu bewegen. Immerhin ein Drittel der in einer Umfrage aus dem August 2015 befragten Unternehmen plant demnach in den nächsten Jahren eine Produktion in Russland aufzubauen. Einerseits um unabhängiger von den erheblichen Währungsschwankungen zu sein und aus strategischen Gründen. Andererseits um die Anerkennung als „lokaler Produzent“ zu erhalten und damit die Berechtigung an zumeist staatlichen Ausschreibungen gleichberechtigt teilnehmen zu können. Für viele, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, ist das allerdings keine Option. Für sie rechnet sich eine eigene Produktion in Russland schlicht nicht. Vor den Unternehmen, die sich entschieden haben oder entscheiden zu lokalisieren, steht allerdings eine weitere Herausforderung. Noch ist nicht endgültig geklärt, wie genau man in den Genuss kommt, als lokaler Produzent zu gelten. Wie hoch soll der Anteil der lokalen Komponenten sein? Wie wird verhindert, dass sich bei wechselndem Kurs der lokale Anteil ändert? Fragen von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung pro oder contra Investitionen in Russland. Eine der größten Herausforderungen für lokalisierte OEMs ist die Suche nach Unternehmen, die dauerhaft, in gleichbleibender Qualität, L E I TA RT I K E L preisstabil und zuverlässig liefern können. Dazu bedarf es schnellstmöglich der Erarbeitung staatlicher und regionaler Programme für die Entwicklung und Qualifizierung von Zulieferern. Für derart qualifizierte russische Zulieferer muss ein einheitliches Informationssystem nach Produktgruppen (Rohstoffe, Materialien, Zulieferteile) geschaffen werden. Damit in direktem Zusammenhang steht die Ausbildung von Fachkräften. Eine für beide Seiten fruchtbare Basis könnte die Zusammenarbeit deutscher Unternehmer mit russischen Universitäten bei der Entwicklung von Fachkräften auf Vertragsbasis bilden. Augenblicklich sind Investitionen auch deshalb selten, weil viele Branchen massiv unter dem Rückgang der Wirtschaft leiden. Die Automobilbranche verzeichnet – vor allem bei Volumenmodellen – Rückgänge von 50 Prozent und mehr. Haben zu Beginn der Krise die Verbraucher noch kräftig konsumiert, verhindern derzeit Reallohneinbußen, hohe Inflation und Arbeitslosigkeit ein Anziehen der Binnenkonjunktur. Solange der Ölpreis auf niedrigem Niveau verharrt, wird sich daran auch kaum etwas ändern. Nahezu alle staatlichen Ausgaben hängen direkt oder indirekt von den Einnahmen aus dem Export von Energieträgern und anderen Bodenschätzen ab, deren Preise am Weltmarkt niedrig sind. Diese Gelder wären jedoch dringend notwendig, um staatlich initiierte Konjunkturprogramme z.B. in Infrastrukturprojekte, den Wohnungsbau oder die Verbesserung des Gesundheitswesens finanzieren zu können. Finanzierung ist auch für deutsche Unternehmen die größte Herausforderung. Da ausländische Produkte durch den Währungsverfall des Rubels deutlich teurer eingekauft werden müssen, ist es für Käufer fast unmöglich, auch noch die extrem hohen Kreditzinsen von 20 bis 25 Prozent zu schultern. Im Ergebnis werden weniger Aufträge erteilt, Projekte zeitlich deutlich gestreckt oder im Extremfall komplett storniert. Einige Lichtblicke gibt es in der Landwirtschaft, die, auch unter den Bedingungen des Importstopps, einen Aufschwung erlebt. Sowohl stattliche als auch private Investoren haben ihr Engagement in dieser Branche kräftig verstärkt. Sie profitieren dabei von günstigen staatlichen Krediten und den Angeboten der staatlichen Leasinggesellschaft RosAgroLeasing. Mengenmäßig wächst die Landwirtschaft 2015 jedoch nur marginal. Viel besser entwickeln sich z.B. Teile der Spezialchemie, einige Bereiche des Maschinenbaus, die Produktion von Gummi- und Plastikerzeugnissen. Geschäftschancen für deutsche Unternehmen ergeben sich auch in den Bereichen Umwelttechnologie und Energieeffizienz, allerdings noch auf niedrigem Niveau. Ähnliches gilt in den Bereichen Spezialchemie, Life Science, IT und Pharmazie. Insgesamt jedoch erwarten die Unternehmen für 2015 einen teilweise deutlichen Rückgang von Umsätzen und Gewinn. Selbst die in Rubel teilweise beachtlichen Betriebsergebnisse weisen in Euro eine negative Entwicklung auf. Die Hoffnung ruht auf einer Erholung des Marktes gegen Ende 2016. Dafür muss der russische Staat jedoch die Weichen für mehr Wachstum und Investitionsbereitschaft stellen und den Kapitalabfluss aus Russland stoppen, der auch 2015 wohl mehr als 100 Milliarden US-Dollar betragen wird. Vieles wird von der geopolitischen Gesamtsituation abhängen und davon, wie sich die Europäische Union in Bezug auf die verhängten Sanktionen entscheiden wird. Aber selbst wenn die Sanktionen ein Ende finden sollten, wird der tatsächliche Wachstumsimpuls gering ausfallen. Unabdingbar ist ein Weg aus der Abhängigkeit von volatilen Preisen für Kohlenwasserstoffe und die sofortige Umsetzung von Wirtschafts- und Sozialreformen. Jens Böhlmann Bereichsleiter PR & GR / Mitglied der Geschäftsführung AHK 3 BRANCHENCHECK 2/2015 | AUTOMOBILMARKT BRANCHEN AUTOMARKT IM FREIEN FALL Der russische Markt für Busse war in den vergangenen Jahren bereits extrem eingebrochen. Der Rückgang von 11.700 Einheiten im Jahr 2014 auf schätzungsweise 9.600 Stück im Jahr 2015 nimmt sich dagegen relativ harmlos aus. Aber Vorsicht: Das Ausgangsniveau ist bereits äußerst schwach. Produktion sinkt, Importe gehen zurück Der russische Automobilmarkt schrumpfte von Januar bis November 2015 um 34,5 Prozent. Die Prognose für das Gesamtjahr lautet auf minus 37 Prozent. Die russischen Pkw-Importe sind in den ersten acht Monaten 2015 um 58 Prozent eingebrochen. Kaum eine andere Branche leidet unter der Wirtschaftskrise so sehr wie die Automobilindustrie. Und das trotz umfangreicher Finanzhilfen des Staates. Die Folge: Die meisten Hersteller streichen Modelle aus dem Russland-Portfolio und senken ihren Ausstoß. / Von Bernd Hones Mehr inländische Produktion und weniger Importe – das war über Jahre das Credo der russischen Regierung für den Automobilmarkt. Doch die schwache Nachfrage drückt mittlerweile sogar die Produktion im eigenen Land. Russland könnte jedes Jahr 3,5 Millionen Pkw bauen, so hoch sind die Kapazitäten. Doch in den ersten zehn Monaten 2015 ist die Produktion laut Rosstat um 23,2 Prozent auf 1,1 Millionen leichte Automobile (Pkw und LCV) zurückgegangen. Und das ist harmlos im Vergleich zu den Importen. Diese sind in den ersten acht Monaten 2015 um 58 Prozent auf 206.000 Pkw geschrumpft. Wert der Importautos: knapp vier Milliarden US-Dollar. Die Aussichten für den russischen Automobilmarkt sind schlecht. Sehr schlecht. Das Automobilkomitee der Association of European Businesses rechnet für 2015 mit einem Rückgang der Verkäufe um 37 Prozent auf 1,57 Millionen Fahrzeuge. Das betrifft Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen (LCV). Laut Russian Automotive Market Research werden 2015 schätzungsweise 100.000 LCV verkauft. Sprich: Der Pkw-Absatz wird bei unter 1,5 Millionen neuen Pkw liegen. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 wurden in Russland 1,3 Millionen neue Personenkraftwagen verkauft. Auf dieses Niveau ist das größte Land der Welt nun fast wieder gesunken. Bei Lkw ist die Lage noch dramatischer. Die Produktion sank in den ersten zehn Monaten 2015 um 18,3 Prozent auf 103.000 Stück. Die Importe reduzierten sich in den ersten acht Monaten 2015 um mehr als drei Viertel auf 10.700 Lkw im Wert von 465 Millionen US-Dollar. An Autobussen rollten von Januar bis Oktober 2015 nur 29.000 Stück vom Band; das waren 16,6 Prozent weniger gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum. Nur bei Anhängern für Pkw stieg die Produktion: um 11,7 Prozent auf 88.400 Stück. Bei Lkw ist die Lage keinen Deut besser. Die Verkaufszahlen haben sich 2015 auf knapp 45.000 Einheiten fast halbiert. Bis 2020 werden sie das Niveau von 2014 (81.000 Lkw über sechs Tonnen Gewicht) voraussichtlich nicht wieder erreichen. 4 Konzerne kürzen Ausgaben und stoppen einzelne Modelle Vor diesem Hintergrund schnallen viele Automobilkonzerne den Gürtel enger. AwtoWAZ verringert die Produktionspläne gleich bei mehreren Modellen um mehrere tausend Einheiten. Der Daimler- AUTOMOBILMARKT Konzern hat seine Entscheidung zum Produktionsaufbau in Russland verschoben. General Motors (GM) hat die Produktion im Werk St. Petersburg eingestellt, ebenso die Vertragsmontage bei Awtotor in Kaliningrad und bei GAZ in Nischni Nowgorod. Ab 2016 wird die Marke Opel komplett vom russischen Markt genommen. Auch die Produktion der koreanischen Ssang-Yong-Modelle in Russland gehört der Vergangenheit an. Der schwedische Volvo-Konzern hatte bereits zu Jahresbeginn die Produktion von Volvo und Renault Trucks in Kaluga gestoppt – bis 5. Oktober 2015. Staat greift Automobilindustrie unter die Arme Der Markt bricht ein, obwohl der russische Staat eine ganze Reihe von Hilfsprogrammen aufgelegt hat. Es gibt Finanzmittel für die Erneuerung des staatlichen Fuhrparkes, die zur Jahresmittel sogar aufgestockt wurden. Es gibt Subventionen für Leasingraten und Abschläge auf die Zinsen bei Investitionskrediten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das eine oder andere Programm auch 2016 fortgeführt wird. Ob das starke Entlastung bringt, das ist mehr als fraglich. Deutschen Herstellern im Premiumsegment nutzen diese Programme ohnehin so gut wie gar nicht. Neue Projekte in der Automobil- und Zulieferindustrie in Russland Unternehmen Projekt Anmerkung Hyundai Motor Manufactoring Rus Werksmodernisierung, Kapazitätserweiterung auf 200.000 Autos pro Jahr bis Ende 2016; geplant sind Hyundai Solaris und Kia Rio Mazda Motorenwerk im Fernen Osten; laut Sollers-Generaldirektor Wadim Schwezow Baubeginn: 2015; www.mazda.ru Palfinger Joint Venture mit Kamaz zur Produktion von Kranarmen für Lkw Produktion von 80.000 Hydraulikzylindern für Lkw, Krane und Baumaschinen bis 2019; www.palfinger.com Lifan Pkw-Werk für 60.000 Autos, Investition: 300 Millionen US-Dollar Bauarbeiten haben im Juli 2015 begonnen Great Wall Montagewerk für 250 Millionen US-Dollar in der Region Tula Kapazität: 150.000 Pkw; www.great-wall.com Hubei Yunyin Industrial Joint Venture mit Oleonafta zur Produktion von Lkw in der Stadt Engels Kapazität: 2.000 Lkw; www.cnyunyin.com Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherchen von Germany Trade and Invest 5 BRANCHENCHECK 2/2015 | AUTOMOBILMARKT Jaron Wiedmaier Generaldirektor Continental Tires RUS LLC 6 Der russische Automobilmarkt ist weiter auf dem Rückzug. Die Oktoberzahlen sind, nach moderaten Vorkäufen im August, wieder extrem eingebrochen (-38,5 Prozent zum Vorjahr), was einen Jahresrückgang Januar–Oktober von ca. 33 Prozent entspricht. Die nächsten Monate des Jahres 2015 versprechen keine Besserung, zumal der starke Rubelverfall Ende 2014 zu verstärkten Vorkäufen von Fahrzeugen geführt hat. Der Ausblick für 2016 bleibt eher negativ und die Neuwagenverkäufe könnten weiterhin rückläufig sein. BAUWIRTSCHAFT SCHLECHTE BAUKONJUNKTUR HÄLT AN Für die deutsche Bauindustrie verliert der russische Markt 2016 weiter an Attraktivität. Waren für deutsche Anbieter früher vorrangig das Geschäftsgebaren vor Ort und unterschiedliche Baunormen ein Problem, sind es zurzeit die Finanzierungsengpässe russischer Auftraggeber. Baumaterial und Knowhow „Made in Germany“ haben nur noch eine Absatzchance, wenn sie sichtbare Alleinstellungsmerkmale aufweisen. Andere Angebote kommen durch die russische Politik der Importsubstitution nicht zum Zuge. / Von Ullrich Umann Die russische Bauwirtschaft befindet sich in einer schweren Krise. Ursache sind mangelnde oder völlig fehlende Finanzierungen. Die öffentliche Hand kürzt ihre Ausgaben, um Einnahmeausfälle zu kompensieren. Die Positionen „Hoch- und Tiefbau“ wurden im föderalen Haushalt 2015 um 20 bis 30 Prozent zusammengestrichen. Für 2016 sehen die Budgetansätze nicht besser aus. Auch die private Kreditvergabe an die Bauwirtschaft ist eingebrochen – um 40 Prozent in den ersten neun Monaten 2015. Beim Bau von Wohnungen, Büros, Gewerbe- und Handelsflächen sind die Geschäftsaussichten ausgesprochen schlecht. Etwas besser sieht die Auftragslage bei Logistik- und Lagereinrichtungen aus, zumindest in den russischen Regionen (mit Ausnahme von Moskau). Dies hängt mit der Expansion von Einzelhandelsketten in die Tiefe des Landes zusammen. Dort werden begleitend moderne Logistikhubs und Kühllager benötigt. Flughäfen werden modernisiert Die russischen Regionen investieren nach Möglichkeit in den Ausbau ihrer Flughäfen. Das gilt vor allem für die elf Austragungsorte der Fußball-WM 2018 und jene Regionen, die ihre Attraktivität für potenzielle Investoren und für den Fremdenverkehr durch gute Flugverbindungen erhöhen wollen. Beispiele dafür sind Kaluga, Jaroslawl, Uljanowsk und Orjol. Auch in unmittelbarer Nähe zum neuen sibirischen Weltraumbahnhof „Wostotschnyj“ im fernöstlichen Gebiet Amur soll ein Flughafen entstehen. Ausbau der Infrastruktur in Sibirien und im Fernen Osten Russlands Im Tiefbau fließen Milliardenbeträge – wenn auch in gekürzter Form – in den Ausbau der Infrastruktur Sibiriens und des Fernen Ostens. Zu den wichtigsten Projekten gehören die Verlegung der Erdgasleitung „Sila Sibiri“ in Richtung China sowie die Modernisierung der Transsibirischen Eisenbahn und der Baikal-Amur-Magistrale. Außerdem sollen die beiden Schüttgut-Häfen Nachodka und Wostotschnyj ausgebaut werden. Auch die Häfen Noworossijsk am Schwarzen Meer und Kaliningrad an der Ostsee werden erweitert. Markt für Bauleistungen, Baustoffe und -materialien schrumpft auch 2016 Insgesamt schrumpft der russische Markt für Baudienstleistungen, Baustoffe und Baumaterial voraussichtlich auch 2016. Die Behörden haben für kommendes Jahr Baugenehmigungen für 42 Millionen Quadratmeter Wohnraum erteilt. Dabei handelt es sich um den schlechtesten Wert seit Jahren. Zum Vergleich: Im Jahr 2014 wurden 80 Millionen Quadratmeter Wohnraum fertig gestellt; 2015 sollten es 70 Millionen Quadratmeter werden. Bei Betrachtung die- 7 BRANCHENCHECK 2/2015 | BAUWIRTSCHAFT ser Werte wird eins schnell klar: Begonnene Vorhaben werden fertig gestellt, neue jedoch kaum noch angeschoben. Bauprojekte in Russland Unternehmen Projekt Kosten *) Wie schlecht es um die Baukonjunktur in Russland bestellt ist, zeigt die Statistik der ersten sieben Monate 2015. Es wurden Bau- und Montageleistungen im Wert von 2,76 Billionen Rubel (42,7 Milliarden Euro; Wechselkurs 1 Euro = 64,6478 Rubel, Stand: 31.7.2015) erbracht. Das bedeutet einen Rückgang um 7,7 Prozent im Vergleich zum analogen Vorjahreszeitraum. Im gesamten Jahr 2014 waren die Bau- und Montageleistungen auch schon gesunken – um 5,5 Prozent auf 5,98 Billionen Rubel (116,6 Milliarden Euro; Durchschnittskurs für 2014: 1 Euro = 50,5 Rubel). OOO GasprompererabotkaBlagoweschtschensk (www. pererabotka.gazprom.ru) und Ministerium für Entwicklung des Fernen Ostens (www.minvostokrazvitia.ru) Amur-Gasverarbeitungswerk 800 Mrd. Rubel Ministerium für Entwicklung des Fernen Ostens (www.minvostokrazvitia.ru) und Gruppe Morton (www.morton.ru) Logistik-, Industrie- und Tourismuscluster auf der Insel Bolschoj Ussurijskij 10 Mrd. USDollar (etwa 644 Mrd. Rubel) Don-Stroj Invest (www.donstroy.com) Wohnviertel „Symbol“, Moskau, 900.000 Quadratmeter Wohnfläche 140 Mrd. Rubel West-Woods Bay Consulting Projektmanagement GmbH (www.westwoods-home.de) und Administration von Petropawlowsk-Kamtschatski Sport- und Freizeitzentrum (Ferienressort), Kam tschatka 20 Mrd. Rubel Green Agro (www.grinagro.ru) Milchverarbeitungswerk, Region Primorje, Ferner Osten 9 Mrd. Rubel Reformen sollen Projekte stabiler machen Der Staat pumpt zwar weniger Geld in die Bauwirtschaft als in der Vergangenheit. Doch versuchen die Behörden zumindest die finanzielle Stabilität von Projekten regulativ zu stärken. So wird die bislang weit verbreitete Geschäftspraxis, wonach sich Wohnungsbaugesellschaften Projekte von ihren Kunden komplett vorfinanzieren lassen, bis 2020 stufenweise eingeschränkt. Dies führte gelegentlich zu Missbrauch. Ziel ist es, Kleininvestoren zu schützen und die Zahl der Konkursverfahren und Bauruinen zu verringern. Dieser Teilerfolg kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bauwirtschaft auf unbestimmte Zeit in einem besorgniserregenden Zustand befindet. 8 Quelle: Recherche von Germany Trade and Invest, Moskau, Oktober 2015 BAUWIRTSCHAFT Maksim Sobolew Direktor Marketing und Vertrieb YIT Sankt-Petersburg ZAO Das Bauvolumen sinkt – in erster Linie im Bereich Gewerbeimmobilien und Infrastrukturprojekte. Im Bereich Wohnungsbau, der vom Staat unterstützt wird, ist der Rückgang nicht so stark ausgeprägt. Bei den Industrieimmobilien sind derzeit eher kleine Objekte (1.000 bis 3.000 Quadratmeter) gefragt: Sie werden von kleinen und mittelständischen Unternehmen gesucht, die infolge der Importsubstitutionspolitik ihren Vertrieb ausbauen. Wir sind derzeit dabei, im Industriepark Greenstate, der YIT gehört, gleich vier solche Projekte zu realisieren. 9 BRANCHENCHECK 2/2015 | CHEMIEINDUSTRIE CHEMIEINDUSTRIE STEMMT SICH GEGEN WIRTSCHAFTSKRISE Rubel verteuert Investitionen in Maschinen und Anlagen. Für neue Ausrüstung müssen russische Chemieunternehmen auf RubelBasis viel mehr bezahlen als noch vor einem Jahr. Trotzdem hat Gazprom den Linde-Konzern als Partnerunternehmen für das neue Erdgasverarbeitungswerk in der Region Amur gewonnen. Dort sollen jährlich 49 Milliarden Kubikmeter Erdgas verarbeitet und Helium daraus extrahiert werden. Russlands Chemieunternehmen kommen erstaunlich gut durch die Wirtschaftskrise. Ob Kunststoffe, Agrarchemikalien oder Arzneimittel – einige Zweige entwickeln sich sehr dynamisch. An Investitionsprojekten mangelt es nicht. Aber es gibt auch Verlierer: Den Herstellern von Farben und Lacken machen die schwächelnde Automobil- und Bauwirtschaft zu schaffen. Kosmetikhersteller leiden unter den rückläufigen Realeinkommen, deutsche Waschmittelhersteller unter dem russischen Verbraucherschutz. / Von Bernd Hones Agrarprojekte treiben Markt für Pflanzenschutzmittel und Düngemittel an Die Industrieproduktion in Russland ist auf Talfahrt. In den ersten drei Quartalen 2015 ist der Ausstoß um 5,2 Prozent gesunken. Die chemische Industrie widersetzt sich diesem allgemeinen Trend. Ihre Produktion ist um 6,5 Prozent gestiegen. Besonders dynamisch hat sich der Pharmasektor entwickelt (+12,2 Prozent), der immer stärker vor Importen geschützt wird. In diesem Bereich gibt es viele ausländische Investoren, aber auch rein russische Projekte. Auch die Produktion von Kunststoffen ist stark gestiegen. Dagegen leiden Hersteller von Lacken und Farben unter der flauen Konjunktur ihrer Hauptabnehmer: Baufirmen und Automobilproduzenten. Für exportorientierte Unternehmer der russischen Chemieindustrie sind die Marktbedingungen geradezu ideal. Für deutsche Technologiezulieferer hingegen ist die Lage schwierig. Denn der schwache 10 Russland schottet seinen Lebensmittelmarkt ab und fördert die Landwirtschaft. Das wirkt sich positiv auf die Nachfrage nach Agrarchemikalien wie Dünge- und Pflanzenschutzmittel aus. Russlands Agrarfirmen und Bauern haben 2013 Pflanzenschutzmittel im Wert von 33 Milliarden Rubel (779 Millionen Euro, EZB-Jahreswechselkurs 2013: 1 Euro = 42,34 Rubel) ausgebracht; 2014 waren es bereits 40 Milliarden Rubel (785 Millionen Euro, EZB-Jahreswechselkurs 2014: 1 Euro = 50,95 Rubel) und 2015 könnten es sogar bis zu 60 Milliarden Rubel werden, sagt Andrasch Marfi, Key Account Manager bei der Kleffmann Group in Russland. Das entspräche einem Plus von 50 Prozent. Deutsche Lieferanten sind am Markt stark vertreten; 2014 steigerten sie Ihre Exporte nach Russland um über ein Drittel auf 134 Millionen US-Dollar. Noch besser stehen Russlands Düngemittelproduzenten da. Große Teile ihrer Produktion – von Stickstoff über Kali bis zu Phosphor – verkaufen sie im Ausland. Und erzielen auf Rubel-Basis wahre Rekorderlöse. Kein Wunder, dass sie weiter investieren. Eurochem hat mit dem Bau eines Ammoniakwerkes in Kingisepp im Leningrader Gebiet begonnen – Kosten eine Milliarde US-Dollar. Das ist nur eines von mehreren Projekten. Insgesamt investiert der Konzern fünf Milliarden US-Dollar bis 2020. Konkurrent Akron gibt bis 2015 rund 270 Millionen US-Dollar und Uralkali fast 360 Millionen US-Dollar aus. CHEMIEINDUSTRIE Waschmittel- und Kosmetikhersteller unter Druck Internationale Kosmetikhersteller stehen in Russland zurzeit unter Druck. Wegen des schwachen Rubels mussten viele im 1. Halbjahr 2015 die Rubel-Preise für ihre Produkte erhöhen. Die in Apotheken verkauften Kosmetika wurden durchschnittlich um 24 Prozent teurer. Dabei sinken zurzeit die Realeinkommen der Bevölkerung. Die Folge: Die Verkäufe von Kosmetika in Apotheken nahmen im 1. Halbjahr 2015 auf Rubel-Basis um fünf Prozent ab, laut DSMGroup. Ausländische Hersteller von Waschmitteln stehen in Russland aus einem völlig anderen Grund unter Druck. Die Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadsor hat im August 2015 den Vertrieb von Waschmitteln sieben ausländischer Firmen verboten – auch solcher, die in Russland produzieren. Begründung: Waschmittel dieser Unternehmen enthielten toxische Stoffe. Die Firma SAP ESP-Kontrakt GmbH, eine Tochter der Hamburger Oricont-Gesellschaft, hat dagegen auf ihrer Internetseite einen Brief veröffentlicht, wonach Rospotrebnadsor die Produktpalette des Herstellers am 13. August 2015 geprüft und als unbedenklich eingestuft hat. Genutzt hat es wenig: Auf Anweisung von Rospotrebnadsor steht die Produktion mittlerweile still. Das Register angeblicher Missstände ist lang: Laut der Behörde fehlen die Herkunftsnachweise für einige Inhaltsstoffe, seit 2012 seien keine Laborversuche mehr durchgeführt worden und für einige Produkte fehle die Registrierung. Auch die letzten medizinischen Untersuchungen der Mitarbeiter lägen zu lange zurück, so die Behörde. Aktuelle Projekte in der Chemieindustrie Unternehmen Projekt Investitionssumme Gazprom (www.gazprom.ru) Bau eines Gasverarbeitungswerks, Kapazität: 49 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, Baubeginn: Juli 2016, Partner: Linde AG / Gebiet Amur (Ferner Osten) 790,6 Mrd. Rubel Rosneft (www.rosneft.ru) Modernisierung von Erdölverarbeitungswerken in Ostsibirien / Ferner Osten 315,0 Mrd. Rubel OOO Sawod Sintanolow (www.norchem.ru) Werk zur Produktion von Fettalkohol und Säure / Dserschinsk, Gebiet Nischni Nowgorod 5,6 Mrd. Rubel Nuplex (www.nuplex.com) Erweiterung der Produktion von Polymerharzen / Gebiet Belgorod 1,1 Mrd. Rubel Forteinvest Modernisierung und (www.forteinvest.ru) Erweiterung der Ölraffinerie in Orsk bis 2023 / Region Orenburg 5,0 Mrd. US-Dollar Eurochem Bau einer Ammoniakanlage, (www.eurochem.ru) geplante Fertigstellung: 2018 / Gebiet Leningrad 1,0 Mrd. US-Dollar Wechselkurs der Zentralbank der RF vom 23.10.2015: 1 US$ = 62,7888 Rubel Quellen: russische Wirtschaftszeitungen, Recherche von Germany Trade and Invest 11 BRANCHENCHECK 2/2015 | CHEMIEINDUSTRIE Julio Vrbanić Generaldirektor Evonik Industries 12 Im schwierigen Umfeld – wobei erste vorsichtige Anzeichen einer Stabilisierung und möglicherweise Trendwende zu beobachten sind – scheint sich die Spezialchemie, bedingt durch ihre zentrale Rolle in der Umgestaltung und Lokalisierung diverser Wertschöpfungsketten in der Produktion, deutlich besser zu behaupten als andere Bereiche der Wirtschaft. Getrieben von der Lokalisierung der Herstellerbasis – allem voran in der Landwirtschaft – werden beispielsweise Aminosäuren zunehmend im russischen Inland nachgefragt, was sich in einer bedeutenden Sonderkonjunktur für diese Produktgruppe niederschlägt. Additive für den Straßenbau, für Infrastrukturprojekte oder aber für moderne Technologien zur Reifenproduktion werden ebenfalls stark nachgefragt, denn sie sind die idealen Antworten auf die Sparbemühungen und Herausforderungen lokaler Hersteller, ihre Wertschöpfungsketten zu optimieren. Der massiv gesunkene Rubelkurs bietet zudem viele Chancen, im Rahmen von gemeinschaftlicher Produktentwicklung und durch strategisch bedeutsame Einkaufsprojekte für wichtige Rohstoffe aus Russland, die gesunkene Kostenbasis zu nutzen und die Zusammenarbeit mit russischen Partnern verstärkt auszubauen. ELEKTRONIK/ELEKTROTECHNIK RUSSISCHE REGIERUNG FÖRDERT ELEKTRONIKINDUSTRIE Russlands Elektronikbranche wird ausgebaut. Die hohe Importabhängigkeit soll sinken und eine leistungsfähige Zulieferindustrie entstehen. Die öffentliche Hand bevorzugt zunehmend Computer, Server, Mobiltelefone, Satellitentechnik, Telekomausrüstungen und Elektromedizintechnik aus inländischer Montage. Deutsche Firmen sollten daher eine Ansiedlung vor Ort prüfen, um ihre Lieferchancen bei öffentlichen Beschaffungen zu wahren. / Von Ullrich Umann Russland ist in hohem Maße abhängig vom Import von Komponenten und Endprodukten der Elektronikindustrie. Die russische Elektro industrie und der Maschinenbau müssen elektronische Bauteile, Mikrochips, Komponenten für Automatisierungstechnik, IT- und Telekommunikationsausrüstungen sowie Steuerelemente für Maschinen und Apparate zum Einbau in eigene Enderzeugnisse überwiegend im Ausland einkaufen. Die Abhängigkeit von Importen beträgt dabei zwischen 80 und 100 Prozent. In Deutschland werden vor allem Maschinensteuerungen und Automatisierungstechnik geordert. Mehr Wertschöpfung in Russland angestrebt Im Frühjahr 2015 hat das Ministerium für Industrie und Handel beschlossen, die heimische Elektronikindustrie zu entwickeln. Ziel ist, die heimischen Wertschöpfungsketten in der Elektroindustrie und im Maschinenbau zu komplettieren. Bei Beschaffungen der öffent- lichen Hand von elektronischen Endprodukten, wie Rechentechnik, sollen künftig inländische Hersteller zum Zug kommen – wenn es welche gibt. Experten halten auf dieser Grundlage Wachstum in der russischen Elektronikindustrie mittel- bis langfristig für möglich. Russland ist zwar in der Lage, moderne Lösungen für elektronische Erzeugnisse zu entwickeln – Technische Universitäten, Forschungsinstitute und Entwicklungszentren sind vorhanden. Doch mangelt es nicht selten an der Überführung von Forschungsergebnissen in die Serienfertigung. Fehlende Zulieferindustrie als Wachstumsbarriere Es fehlt insbesondere eine leistungsfähige Zulieferindustrie. Um dies zu ändern, erhält die zur Holding Rostec gehörende Vereinigung Ros elektronika staatliche Subventionen. Roselektronika vereinigt 110 Einrichtungen für Forschung und Entwicklung sowie Montagebetriebe unter einem Dach. Zwar gehört die Herstellung von elektronischen Rüstungsgütern zu den Schwerpunkten der Vereinigung. Doch es werden auch Erzeugnisse für zivile Anwendungen produziert. Beispielsweise stellt das Uraler Optomechanische Werk (UOMZ) Inkubatoren und Phototherapiestrahler für Neugeborene her. Zu den weltweit bekanntesten Eigenentwicklungen aus russischer Provenienz gehört das Yota-Phone, ein Android-Handy mit akkuschonendem Schwarz-Weiß-Bildschirm auf der Rückseite. Dieses Produkt konnte im eigenen Land nicht zu darstellbaren Kosten in Serienfertigung gehen. Stattdessen wird es in China gebaut. An eine Verlagerung der Fertigung nach Russland ist frühestens in fünf Jahren zu denken. Ein ähnliches Schicksal ereilte die in Russland entwickelten Rechenchips der Baureihen Elbrus und Baikal-T1. Sie werden im russischen Auftrag in Taiwan gefertigt. 13 BRANCHENCHECK 2/2015 | ELEKTRONIK/ELEKTROTECHNIK GLONASS-Bodenstationen bald aus eigener Produktion Mit Nachdruck wird aktuell an der Entwicklung von Technologie und am Aufbau einer Serienfertigung von Bodenstationen für das satellitengestützte Navigationssystem GLONASS gearbeitet. Noch vor kurzem wurde ernsthaft überlegt, die dafür notwendige Technik und Elektronik komplett aus China zu beschaffen. Laut Wirtschaftsmagazin „DeloNovosti“ sei dies aber vom Tisch. Ab 2018 sollen nahezu alle Komponenten von russischen Herstellern kommen. RFID- und NFC-Chips mit Exportpotenzial Zu den wichtigsten russischen Herstellern von Mikrospeichern, Rechenchips und Schaltkreisen gehören AFK Sistema und NIIME/ Mikron. Der Marktanteil von Mikron beträgt 14 Prozent. Mikron lieferte 2014 unter anderem 2,8 Millionen Mikrochips zur Bestückung von biometrischen Reisepässen. An Unternehmen des städtischen Personentransports wurden 300 Millionen elektronische Fahrkarten verkauft. Ins Ausland gingen 713 Millionen RFID- und NFC-Chips. PC-Produktion ab 2016 Die Produktion von Personalcomputern (Tablett und Desktop) und Servern wollen die beiden Hersteller Kraftway und Aquarius im Jahr 2016 steigern. Dabei planen sie, weitgehend auf ausländische Bauteile zu verzichten. Als Rechenchip wird zwar die in Taiwan gefertigte Baureihe Elbrus bevorzugt. Doch wurde die Architektur dazu in Russland entworfen. Projekte in der Elektronikindustrie Privates Unternehmen / staatlicher Betreiber Projekt Investitionssumme OPK (www.opkrt.ru) und T-Platformy (www.t-plattforms.ru) Serienfertigung von Mikroprozessoren Elbrus 8C- und Elbrus 16C- / Selenograd k.A. OPK (www.opkrt.ru) Entwicklung elektronischer Komponenten zum Einbau in Medizintechnik (Bluttransfusion, Neurologie, Kardiologie und Chirurgie) k.A. Help (www.kurskhelp.ru) Herstellung von Elektronenmikroskopen / Skolkovo 1,5 Mrd. Rubel Rostelecom (www.rostelecom.ru) und Rosenergoatom (www.rosenergoatom.ru) Bau eines Datenverarbeitungzentrums / Gebiet Twer 960 Mio. US-Dollar Huawei im Auftrag von Akado (www.akado.ru) Bau eines Datenverarbeitungszentrums / Moskau 7 Mio. US-Dollar Wechselkurs der Zentralbank der RF vom 26.10.2015: 1 US$ = 62,7888 Rubel Quelle: Recherche von Germany Trade and Invest 14 I T / T E L E K O M M U N I K AT I O N MARKT FÜR INTERNETDIENSTE WÄCHST WEITER Der russische Markt für Dienstleistungen, Spiele und Werbung im Internet wächst weiter, obschon mit verringerter Dynamik. Der Markt für IT-Hardware hingegen schrumpft. Unternehmen nutzen die Technik, die sie haben. Auch Russlands Telekomriesen drosseln ihre Investitionen. Neue Projekte werden rarer. Ausnahme: Datenverarbeitungszentren. Seit Daten russischer Kunden in Russland gespeichert werden müssen, investieren immer mehr Firmen in Rechenzentren. / Von Bernd Hones Der russische IT-Markt ist 2014 um 15 Prozent auf ein Volumen von deutlich unter 30 Milliarden US-Dollar zurückgegangen. Und 2015 weiter um 15 bis 18 Prozent auf 23 Milliarden US-Dollar gesunken, schätzen die IT-Marktexperten von IDC. Das heißt: Die fetten Jahre sind vorbei. Treiber des Marktes waren über die vergangenen 15 bis 20 Jahre Investitionen in die IT-Infrastruktur beziehungsweise in die IT-Grundausstattung der Unternehmen. Bereits in den letzten Jahren floss der überwiegende Teil der Ausgaben der Firmen in den Erhalt bereits bestehender IT-Systeme. Internet-Dienstleistungen stark gefragt Immer mehr Menschen in Russland nutzen Internet und zwar schnelles Internet. Rund 29 Millionen Russinnen und Russen hatten zum Ende des 2. Quartals 2015 einen Breitbandanschluss, so Telecom Daily. Das waren vier Prozent mehr als im 2. Quartal des Vorjahres. Auch die Ausgaben für die Nutzung des Internets steigen. Diese betrugen 2014 rund 1.500 Milliarden Rubel (knapp 30 Milliarden Euro; EZB-Jahreswechselkurs 2014: 1 Euro = 50,95 Rubel). Auch 2015 und 2016 werden Zuwächse erwartet, allerdings nicht mehr so hohe wie in den Vorjahren. Russische Gamer haben 2014 rund 41 Milliarden Rubel für Computerspiele ausgegeben. Im Jahr 2015 waren es schätzungsweise 14 Prozent mehr. Der Markt für Kontext-Reklame wuchs 2014 um 23 Prozent auf 70 Milliarden Rubel und dürfte 2015 um weitere 14 Prozent zugelegt haben, schätzt das IT-Marktforschungsunternehmen RAEK. Die Nachfrage nach Werbeclips im Internet ist 2015 um etwa 17 Prozent auf 4,4 Milliarden Rubel gestiegen. Bauboom bei Rechenzentren Betreiber von Rechenzentren in Russland haben Hochkonjunktur. Seit 1. September 2015 müssen Daten russischer Kunden in Russland gespeichert werden. Das führt zu einer erhöhten Nachfrage und zu einem regelrechten Bauboom bei Rechenzentren. In Sibirien wollen die Holding En+ Group von Oligarch Oleg Deripaska, der Integrator Lanit und der chinesische Telekomausrüster Huawei in ein neues Datenverarbeitungszentrum investieren. Die Ausrüstung für das 355 Millionen US-Dollar teure Projekt soll von Huawei kommen. Der staatliche Telekommunikationskonzern Rostelekom hat bereits Ende 2014 angekündigt, ein Netz von Rechenzentren für mehr als 850 Millionen US-Dollar bauen zu wollen. Es geht um den Bau zweier großer und sieben kleiner Datenspeicher- und -verarbeitungszentren. Bislang mietet Rostelekom Rechenkapazitäten bei der Firma Safedata. Der Mobilfunkriese MTS betreibt in Russland sechs Rechenzentren. Davon nutzt der Konzern fünf Rechenzentren für seine eigenen Da- 15 B R A N C H E N C H E C K 2 / 2 0 1 5 | I T / T E L E K O M M U N I K AT I O N ten; ein Rechenzentrum bietet Dienstleistungen zur Datenspeicherung und -verarbeitung am freien Markt an. Konkurrent Wympelkom vermietet zehn Prozent der Kapazität seiner neun Rechenzentren an externe Firmen. Andererseits: Weil das kommerzielle Angebot an Rechenkapazitäten in Russland beschränkt ist, erwägen viele ausländische Investoren und russische Firmen den Aufbau eigener IT-Zentren. So etwa der südkoreanische Konzern Samsung. Staat bevorzugt inländische Software-Anbieter Ab 1. Januar 2016 tritt ein neues Gesetz in Kraft, wonach der Bedarf der öffentlichen Hand an Software vorrangig über einheimische Produkte gedeckt werden soll. Beamte müssen ausdrücklich begründen, wenn sie ausländische Software anschaffen wollen. Das wird Programmierern in Russland neuen Auftrieb geben. Auch ohne staatliche Rückendeckung ist russische Software weltweit gefragt. Laut Russoft stiegen die russischen Software-Exporte 2014 um zehn Prozent auf 5,7 Milliarden US-Dollar. Für 2015 prognostiziert die Firma sogar einen Anstieg der Ausfuhren um bis zu 20 Prozent auf knapp sieben Millliarden US-Dollar. Mobilfunkkonzerne investieren weniger Russlands Mobilfunkbetreiber werden in den kommenden Jahren weniger in den LTE-Ausbau investieren als bislang. Die Gründe: Erstens verlieren sie Kunden. Zweitens hat der Rubel massiv an Wert eingebüßt und Telekomausrüstung ist teuer geworden. Drittens haben sie in den vergangenen Jahren bereits kräftig investiert. So beendete MTS 2015 in Moskau den Bau eines passiven Glasfaserkabel-Netzes. Auch die Konkurrenten Megafon, Vympelkom und Tele2 investieren weiter, achten aber nach eigenen Angaben verstärkt auf die Zielgerichtetheit ihrer Investments. Das heißt: In den kommenden Jahren sinken die Ausgaben tendenziell. 16 Projekte in der Informationstechnik und Telekommunikation Unternehmen Projekt Investitionssumme MTS Ausbau der Mobilfunknetze (LTE), Ausbau des eigenen Filialnetzes (2016 bis 2017) 165 Mrd. Rubel Staatsunternehmen Netz von Datenzentren für staatliche Strukturen (2015 bis 2017) 102 Mrd. Rubel Optikowolokonnyje Sistemy Fabrik zur Produktion von Glasfaserkabeln in Saransk 2,7 Mrd. Rubel Help Werk zur Herstellung von Elektronen-Mikroskopen 1,5 Mrd. Rubel Rostelekom und DatenverarbeitungszenRosenergo trum im Gebiet Twer 960 Mio. US-Dollar Mikron 800 Mio. US-Dollar Werk zur Chip-Produktion in Selenograd (bei Moskau) Wechselkurs der Zentralbank der RF vom 23.10.2015: 1 US$ = 62,7888 Rubel Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherche von Germany Trade and Invest I T / T E L E K O M M U N I K AT I O N Pressedienst SAP CIS Das am 1. Januar 2016 in Kraft tretende Gesetz wird Auswirkungen haben – auf die SAP wie auch auf andere Mittbewerber im russischen IT-Markt. Die Gründe für die Änderungen der Gesetzeslage sind klar: Sie soll lokale Anbieter stärken und dazu beitragen, die technologische Unabhängigkeit Russlands zu fördern. Unsere Priorität auf dem russischen Markt liegt weiterhin darin, im Rahmen der gesetzlichen Gegebenheiten erfolgreich mit unseren Kunden vor Ort zusammenzuarbeiten. Dies ist seit 20 Jahren so. Über die Jahre haben wir in unsere Partner und unser Ökosystem investiert. Wir haben bereits mehr als 20 Millionen Euro in unser Rechenzentrum in Russland investiert. Russland ist einer unserer strategischen Märkte. Zukünftige Investitionsentscheidungen nehmen wir basierend auf einer Analyse der Bedürfnisse unserer Kunden, der Nachfrage und den gesetzlichen Gegebenheiten vor. 17 BRANCHENCHECK 2/2015 | LANDWIRTSCHAFT RUSSLAND INVESTIERT MILLIARDEN IN DIE EIGENE LANDWIRTSCHAFT se betragen 2015 und 2016 jeweils 273 Milliarden Rubel. Dafür steigen die Preise für Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel ständig. Im Ergebnis profitieren kleine Landwirtschaftsbetriebe in Russland nicht von den Lebensmittelsanktionen und den Subventionen. Die Folge: Immer mehr der 30 Millionen Landbewohner ziehen in größere Städte. Jedes Jahr fliehen 1,5 Millionen Menschen aus ihren Dörfern, beklagt Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow. Russland schottet seinen Markt für landwirtschaftliche Produkte durch Lebensmittelsanktionen ab. Gleichzeitig stützt Russland die eigene Landwirtschaft mit 237 Milliarden Rubel – sowohl 2015 wie auch 2016. Es profitieren bislang jedoch nur große Agrarholdings. Kleine Bauern gehen meist leer aus. Damit deren Produkte künftig auch beim Endverbraucher in den größeren Städten landen, entstehen Dutzende von Großhandelsverteilzentren. Ein Schwerpunkt der Förderung liegt zudem auf der Milcherzeugung. / Von Bernd Hones Investitionen in Logistik- und Verteilzentren für Agrarerzeugnisse Eine wirkliche Hilfe wären Logistik- und Verteilzentren. In diesen könnten die Erzeugnisse der Kleinbauern nicht nur gelagert, sondern auch verpackt, vertrieben und vermarktet, teilweise sogar weiterverarbeitet werden. Zurzeit gibt es eine ganze Reihe solcher Projekte. In der Region Rostow will die Holding Rosagromarket auf 200 Hektar ein entsprechendes Zentrum bauen. Für neun Milliarden Rubel (knapp 131 Millionen Euro; EZB-Wechselkurs vom 26.10.2015: 1 Euro = 68,80 Rubel). Darüber hinaus will Rosagromarket in sieben weitere Zentren investieren: drei in der Region Moskau und jeweils eins in Nowosibirsk, Wladiwostok, Tatarstan und Jekaterinburg. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 500 Millionen bis 700 Millionen USDollar. Rosagromarket ist ein Joint Venture des Investmentunternehmens Proxima Capital Group und des Developers Jermak. In Russland gibt es 20 Millionen Kleinbauern. Die meisten davon sind Selbstversorger und verkaufen ihre Überschüsse bestenfalls in der Nachbarschaft. Trotzdem: Diese Kleinbauern produzieren 52 Prozent aller Lebensmittel im größten Land der Welt. Das sagt Wladimir Plotnikow, Präsident des Verbandes der Bauern und Agrargenossenschaften. Doch den meisten dieser Minibetriebe fehlt der Zugang zum russischen Lebensmittelmarkt. Umso wichtiger sei der Aufbau moderner Großhandels- und Verteilzentren in den russischen Regionen. Nur über solche Zentren könne der Zugang zu den großen Einzelhandelsketten und Lebensmittelkonzernen des Landes sichergestellt werden, so Plotnikow. Dabei hätten die Kleinbauern Hilfe dringend nötig. Bei ihnen kommen die üppigen Subventionen für die Landwirtschaft nicht an. Die- 18 Direkt am Moskauer Autobahnring entsteht ein Logistikzentrum für Gemüse und Obst aus dem Nordkaukasus – Kosten 3,2 Milliarden Rubel. Investoren sind die Vneschekonombank (VEB) und der Fonds GVA Capital von Magomed Musajew. In dem neuen Logistikzentrum sollen täglich 4.000 Tonnen Waren umgeschlagen werden können. Gewächshäuser schießen wie Pilze aus dem Boden Anfang 2015 gab es in Russland Gewächshäuser auf einer Fläche von 2.150 Hektar. Und es werden immer mehr. Allein in der Region LANDWIRTSCHAFT Stawropol sollen 2015 sechs neue Treibhäuser mit einer Gesamtfläche von 130 Hektar fertiggestellt werden. Auch Russlands größter Salathersteller „Belaja Datscha“ plant neue Gewächshäuser. Bei der Milchproduktion ringen eine Reihe von Agrarholdings um die Marktführerschaft. Zurzeit liegt ein Deutscher mit seinem Unternehmen auf dem 1. Platz: Stefan Dürr mit seiner Firma Ekosem- Agrar GmbH. Ekosem hat die Erzeugung 2014 um 28 Prozent auf 153.700 Tonnen erhöht und will die Anzahl der Milchkühe bis Ende 2015 auf 25.000 Stück erhöhen. Ob das reicht, die nächstgrößeren Milcherzeuger „Krasny wostok agro“ und „Rusmoloko“ auf Distanz zu halten, ist unklar. „Krasny wostok agro“ zählt 27.100 Milchkühe, erzeugt mit 140.920 Tonnen allerdings weniger Milch als EkosemAgrar. Projekte in der russischen Landwirtschaft Unternehmen Projekt Investitionssumme Mir Holding (Türkei) Gewächshausanlage und Logistikzentrum / Tatarstan 30 Mio. Euro Belaja Datscha Gewächshäuser auf sieben Hektar Fläche zum Anbau von Tomaten und verschiedenen Salate / Kislowodsk 22 Mio. Euro Belaja Datscha Saatgut-Komplex für mehr als 60 Millionen Pflanzen für Tomaten, Auberginen, Gurken, Paprika, Kraut, Zucchini und andere k.A. ORZ Maksimicha Großhandels-Verteilzentrum und Wohnungen für Arbeiter / Region Moskau 40,0 Mrd. Rubel Frigo mekanik und Nassan Gemüseanbau und Lagereinrichtungen und Verarbeitung / Region (beide Türkei) Wolgograd 3,5 Mrd. Rubel SAO Objedinjonnaja stroitelno-servisnaja kompanija Überregionales Großhandels-Verteilzentrum mit Lagerkapazitäten für 35.000 Tonnen Gemüse / Region Jaroslawl 2,4 Mrd. Rubel Louis Dreyfus Getreideterminal für 500.000 Tonnen pro Jahr, Silokomplex / Rostow-am-Don 1,5 Mrd. Rubel Michurinskaja Mukomolnaja Kompanija Bau einer neuen Getreidemühle im Gebiet Tambov bis 2018: Kapazität zur Verarbeitung von 1.300 Tonnen Getreide pro Tag, Speicher für 3.250 Tonnen Mehl, Verladeterminal k.A., Kredit der Sberbank EZB-Wechselkurs vom 26.10.2015: 1 Euro = 68,80 Rubel Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherche von Germany Trade and Invest 19 BRANCHENCHECK 2/2015 | LANDWIRTSCHAFT Dr. Heinrich Steins Generaldirektor John Deere Rus OOO Die russische Landwirtschaft ist einer der Wirtschaftsbereiche, bei dem Importsubstitutionen einen gewissen Erfolg gezeigt haben. Leider sind diese Erfolge wahrscheinlich eher kurzfristiger Natur. Für einen echten strukturellen Wandel benötigt es tatsächlich nachhaltige Veränderungen, wie z.B. die aktive Teilnahme am globalen Handel. Das Potential der Landwirtschaft Russlands ist weiterhin groß. Notwendige Veränderungen müssen in den kommenden Jahren implementiert werden. 20 LEBENSMITTELINDUSTRIE LEBENSMITTELPRODUKTION WÄCHST TROTZ WIRTSCHAFTSKRISE Die Lebensmittelproduktion und -verarbeitung gehört zu den wenigen Wachstumsbranchen in Russland. Ob Fleisch, Milchprodukte oder Konserven – in Russland gibt es trotz Wirtschaftskrise zahlreiche Investitionsprojekte. Neuester Trend: Agrarholdings investieren in die Weiterverarbeitung ihrer Produkte, Einzelhandelsketten werden selbst zum Produzenten. Gleichzeitig drückt die grassierende Inflation die Kauflaune. Größter Verlierer: Importeure von Lebensmitteln. / Von Bernd Hones Geflügel, Eier, Schweinefleisch – bei einigen Lebensmitteln kann sich Russland mittlerweile selbst versorgen. Bei anderen ist das noch nicht so. Deshalb gibt es Dutzende Projekte in nahezu allen Sparten. Miratorg, Rusagro, Tscherkisowo und die Supermarktkette Auchan investieren in die Fleischproduktion und -verarbeitung. Der Importstopp von Fleisch aus Sanktionsländern hat die lokale Erzeugung zusätzlich beflügelt. Die Produktion von Schweinefleisch in Russland ist 2015 um etwa 43.000 Tonnen auf 3.024.000 Tonnen gestiegen, meldet der russische Verband der Schweinemäster. Gleichzeitig ging der Konsum um 39.000 Tonnen auf 3.369.000 Tonnen zurück. Die Importe sind um ein Viertel gesunken. Einen ähnlichen Schub wünscht sich die Regierung auch für die Fischwirtschaft. Russland will die Fischproduktion bis 2020 mehr als verdoppeln auf 315.000 Tonnen. Dieses Ziel hat die russische Fischereibehörde Rosrybolowstwo in ihrem sektoralen Zielprogramm „Entwicklung der Handels-Aquakulturen in der Russischen Föderation von 2015 bis 2020“ formuliert. Besonders im Zentralen Föderalbezirk sei die Nachfrage nach Meeresfrüchten und Fisch hoch. Von Januar bis September 2015 ist die Produktion von tiefgefrorenem Fisch um 11 Prozent und von Fischkonserven sogar um 26 Prozent gestiegen. Dieses Wachstum könnte anhalten: Das Unternehmen BaltRefServis plant eine Fabrik für Fischkonserven im Gebiet Kaliningrad für acht Millionen Euro. Konzerne übernehmen komplette Wertschöpfungskette Während früher die einen Nahrungsmittel produzierten und die anderen sich um den Handel kümmerten, verschmelzen die Rollen in Russland immer mehr. Landwirtschaftskonzerne investieren zunehmend in die Lebensmittelverarbeitung. Teilweise bringen diese Unternehmen ihre Produkte dann sogar unter eigenem Label auf den Markt. Auch Einzelhandelskonzerne erschließen sich vielfach eine weitere Stufe der Wertschöpfungskette: Sie investieren in die Produktion oder die Verarbeitung von Lebensmitteln. Beispiele sind Auchan, Hyperglobus und Magnit. Russen kaufen weniger Lebensmittel Russische Konsumenten müssen krisenbedingt den Gürtel enger schnallen – billigere Lebensmittel, weniger Getränke, weniger Alkohol. In erster Linie sparen sie an Importwaren. Im 1. Halbjahr 2015 sind die Importe von Lebensmitteln um fast 40 Prozent auf 12,2 Milliarden US-Dollar gesunken. Zum Vergleich: Die Einfuhren von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln beliefen sich 2014 noch auf knapp 40 Milliarden US-Dollar. Nach Angaben des deutschen Bauernverbands haben sich die Exporte von Deutschland nach Russland seit Einführung der Sanktionen auf 900 Millionen Euro halbiert. 21 BRANCHENCHECK 2/2015 | LEBENSMITTELINDUSTRIE Das liegt in erster Linie an den russischen Lebensmittelsanktionen. Aber sicher auch an der Kaufkraft. Die Realeinkommen sind in den ersten drei Quartalen 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um neun Prozent gesunken. Den russischen Verbrauchern macht zudem die exorbitante Inflation auf Lebensmittel zu schaffen. Von Januar bis September 2015 stiegen die Preise auf diese Produktgruppe um 22 Prozent. Nudeln verteuerten sich um 22 Prozent, Fleisch um 18 Prozent, Fisch um 30 Prozent. Sonnenblumenöl wurde um 15 Prozent teurer und Zucker um 44 Prozent. Sprich: Die Lebensmittel werden immer teurer – bei immer schmaleren Einkommen. Die Folge: Russische Konsumenten kaufen nur noch das Nötigste – und davon das billigste. Umso erstaunlicher wirkt die Projektflut in Russlands Lebensmittelindustrie. Projekte zur Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln Unternehmen Projekt Investitionssumme Miratorg Produktionserweiterung auf sieben Millionen Schweine pro Jahr 100 Mrd. Rubel Auchan Betrieb zur Verarbeitung von Schweine-, Rind- und Lammfleisch / Tambow 2,5 Mrd. Rubel Merci Invest Group Schweinefarm für 54.000 Sauen, Schlachtanlage, Fleischverarbeitung / Republik Sacha (Jakutien) k.A. Uroschai Rinderfarm für 2.400 Milchkühe und Schlachtkapazitäten für fünf Tonnen Fleisch am Tag / Gebiet Rostow 80 Mio. Euro (2016 bis 2020) OOO Solnze Mexiko Fabrik für mexikanische Kartoffelchips / Gebiet Moskau 3,1 Mrd. Rubel (50 Mio. US-Dollar) SAO Tander Werk für Müsli, Snacks, Eis, Fischprodukte / Region Krasnodar bis zu 300 Mio. Euro OAO Bulotschno-konditer- Neue Back- und Süßwarenfabrik, Fertigstellung: Ende 2016 / ski kombinat Kasan (Republik Tatarstan) 55 Mio. Euro OOO Krasnaja sarja Modernisierung Süßwarenfabrik / Iwanowo 35 Mio. Euro SAO Megakon Marmeladenfabrik bis 2017 / Kursk 3,5 Mio. Euro Wechselkurs der Europäischen Zentralbank vom 26.10.2015: 1 Euro = 68,80 Rubel Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherchen von Germany Trade & Invest 22 LEBENSMITTELINDUSTRIE Unter aktuellen Bedingungen seit der Einführung des Lebensmittelembargos setzt Metro Cash & Carry bei der Suche nach Lieferanten auf lokale Hersteller: 94 Prozent der Fleischproduktion und 96 Prozent der Milchprodukte bei uns stammen aus Russland. In den letzten zwei Jahren haben wir 400 Hersteller aus den russischen Regionen als neue Lieferanten dazu gewonnen. Sollte aber doch dieses oder jenes Produkt auf dem russischen Markt fehlen, ziehen wir unsere Lieferanten aus nicht sanktionierten Ländern hinzu: Wir bekommen innerhalb unseres weltweiten METRO-Netzes Unterstützung. Alexey Grigoriev Vizepräsident Corporate Public Policy METRO AG, Leiter der Repräsentanz der METRO AG in Moskau 23 BRANCHENCHECK 2/2015 | MASCHINENBAU MASCHINENMARKT VERLIERT AN ATTRAKTIVITÄT Russland – einst viertgrößter Absatzmarkt weltweit für den deutschen Maschinenbau – drosselt die Einfuhren. Ölpreisverfall, Rubelabwertung, Finanzsanktionen und die verschlechterte geopolitische Lage führten 2014 und 2015 zu einem Einbruch der Investitionen. Dieser Trend dürfte 2016 anhalten. Im Außenhandel orientiert sich Russland nach Asien um und setzt auf Importsubstitution. Um Marktanteile zu bewahren, sollten deutsche Hersteller Möglichkeiten zur Lokalisierung prüfen. / Von Ullrich Umann Die Produktion im russischen Maschinenbau sinkt. Von Januar bis September 2015 fiel der Ausstoß von Maschinen und Ausrüstungen um 13,4 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum, meldet Rosstat. Sowohl Privatunternehmen als auch der russische Staat investieren bereits seit 2012/13 immer weniger und fragen spürbar weniger Investitionsgüter nach. Finanzsanktionen der EU führen zur Drosselung der Einfuhren Eine bessere Entwicklung des russischen Maschinenmarktes wird nicht nur durch die anhaltende Investitionsschwäche verhindert, sondern auch durch die Finanzmarkt-, Produkt- und Unternehmenssanktionen der Europäischen Union (EU) gegen Russland. Bei der Annahme und Verlängerung der Sanktionen hat in der EU stets das 24 Primat der Politik vorgeherrscht. Als Gegenreaktion kam dieses Prinzip auch in Russland zum Tragen, wodurch sich dessen Außenhandelspolitik veränderte. Russland orientiert sich nach Asien um und setzt auf Importsubstitution Die öffentliche Hand und staatliche Unternehmen (in staatlichem Eigentum zu 100 Prozent oder mit staatlicher Kapitalbeteiligung) dürfen ausländische Maschinen nur noch dann anschaffen, wenn es keinen Anbieter gleichwertiger Produkte in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) gibt. Potenzielle Maschinenkunden aus dem russischen Staatssektor warten das Geschehen ab und halten sich vorerst an die Vorgaben des Ministeriums für Industrie und Handel, wonach – falls es keinen Anbieter in der EAWU gibt – alternative Maschinenlieferanten in Asien zu suchen und unter Vertrag zu nehmen seien. Dennoch schlug sich das nicht positiv in den russischen Importen aus Asien nieder. Vielmehr bekommen die asiatischen Firmen die Finanzknappheit in Russland genauso zu spüren wie europäische Anbieter. Die russischen Einfuhren von Waren aller Art aus China gingen von Januar bis September 2015 um 32,8 Prozent auf 25,5 Milliarden US-Dollar zurück. Die Einfuhren aus Korea (Rep.) brachen um 51,6 Prozent ein, aus Japan um 40,8 Prozent und aus Taiwan um 27,3 Prozent. Zum Vergleich: Die russischen Einfuhren aus Deutschland sanken um 40,5 Prozent auf 14,9 Milliarden US-Dollar. Dabei fielen die deutschen Maschinenlieferungen nach Russland in den ersten drei Quartalen 2015 um 26,7 Prozent, so der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Einzige Lichtblicke: Bei Holzbearbeitungsmaschinen (+14,3 Prozent) und Kompressoren, Druckluft- und Vakuumtechnik (+29,4 Prozent) stieg der Verkauf nach Russland. MASCHINENBAU Russische Privatunternehmen halten sich mit Investitionen zurück Für die russische Privatwirtschaft ist das Investitionsrisiko aktuell zu groß – angesichts der hohen Finanzierungskosten, der fragilen geopolitischen Lage und der äußerst ungewissen Absatzaussichten. Da private Unternehmen in vielerlei Hinsicht von Entscheidungen der Politik, öffentlichen Aufträgen, staatlichen Subventionen und Zuschüssen abhängig sind, halten auch sie sich an die neuen handelspolitischen Vorgaben der Regierung. Die Unternehmen häufen ihre Rubelgewinne lieber auf den Geschäftskonten an, um Verbindlichkeiten weiterhin fristgemäß bedienen zu können, anstatt zu investieren. Die jahrelange Praxis, wonach Maschinen- und Anlagenimporte über westliche Kredite finanziert und die Restbeträge beizeiten wieder umgeschuldet wurden, erfuhr durch die EU-Finanzsanktionen Mitte 2014 ein abruptes Ende. Produktionsergebnisse für ausgewählte Maschinenbauprodukte (Veränderungen in % von Jan. bis Sep. 2015 ggü. Jan. bis Sep. 2014) Art der Maschine oder Ausrüstung (Verände rungen in %) Art der Maschine oder Ausrüstung (Verände rungen in %) Mechanische Ausrüstungen -0,5 - Schmiedepressen 34,4 - Gasturbinen (1.000 kW) -12,1 31,6 - Flüssigkeitspumpen (1.000 Stück) 1,2 - Kugellager (Mio. Stück) -2,0 - Maschinen und Hämmer zum Schmieden oder zum Stanzen; hydraulische Pressen, Pressen zur Metallbearbeitung Sonstige Ausrüstungen für allgemeine Zwecke -24,2 - Maschinen zur Holzbearbeitung 7,4 - Ausrüstung für die Erdölverarbeitung: Röhrenerhitzer (Öfen; Mio. Rubel) 46,5 Spezialmaschinen und -ausrüstungen -4,8 - Bohrtechnik zur Rohstoffexploration (Kompl.) -28,6 - Brückenkräne, elektrische (Stück) -27,2 - Selbstfahrende Planierraupen (Stück) -40,6 - Gabelstapler (Stück) -37,9 - Ausrüstungen zur Milchverarbeitung (Mio. Rubel) 21,1 - Kühlvitrinen und -theken (1.000 Stück) -7,6 -6,7 Land- und Forstmaschinen (Stück) -19,5 - Maschinen zur Papier- und Kartonherstellung (Mio. Rubel) - Traktoren -32,7 Haushaltsgeräte (1.000 Stück) -6,6 - Mähanhänger für Traktoren 13,6 - Kühl- und -gefrierschränke -19,1 - Mähdrescher für die Getreideernte -27,9 - Waschmaschinen -13,2 - Futterschneidemaschinen (Futterreißer) 7,0 - Elektroheizgeräte (Mio. Stück) 24,8 Werkzeugmaschinen (Stück) 8,9 - Gaskochplatten/-herde 19,8 - Maschinen zur Metallbearbeitung -10,8 Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat, Moskau, 2015 25 BRANCHENCHECK 2/2015 | MASCHINENBAU Deutscher Maschinenbau bleibt nicht chancenlos sind, Vorhaben zur Ansiedlung ausländischer Investoren und Projekte zur Herstellung von Gütern zwecks Importsubstitution. Russland ist durch den starken Absatzeinbruch auf Rang 11 der wichtigsten Maschinenmärkte für deutsche Firmen abgerutscht. Für die Aussichten deutscher Maschinenhersteller gilt: Russische Kunden führen ihre laufenden Projekte zur Modernisierung stark abgenutzter Produktionslinien oder zur Kapazitätserweiterung fort. Dagegen werden so gut wie keine neuen Projekte angestoßen. Positive Ausnahmen bilden Branchen, die durch Einfuhrstopps oder staatliche Ausschreibungsvorschriften vor ausländischer Konkurrenz geschützt Zu den vor Importkonkurrenz geschützten Branchen gehören die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie. Deshalb sind Landtechnik, Molkereiausrüstungen, Verarbeitungs- und Verpackungsmaschinen für die Nahrungsmittelindustrie sowie Kühlanlagen verstärkt gefragt. Für Zulieferer von Komponenten können die russischen Hersteller von Technik für die Landwirtschaft interessante Abnehmer sein, weil viele ihre Produktion in den ersten neun Monaten 2015 steigern konnten. Projekte zur Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln Unternehmen Projekt Investitionssumme Gazpromneftechimsalawat (www.gpns.ru) Modernisierung und Ausbau des Petrochemiewerks in Salawat (Republik Baschkortostan) 1 Mrd. Euro Gouverneursamt von Uljanowsk Ausbau Industriepark „Sawolschje“ zu einem Cluster für Werkzeugmaschinen. DMG Mori Seiki nahm im September 2015 den Betrieb auf. Bis zum Jahr 2020 soll die Firmenzahl auf 12 und der Lokalisierungsgrad auf 70 Prozent steigen 300 Mio. Euro AO NPK Uralwagonzawod (www.uvz.ru) und Azar Kia Industrial and Trading Group Joint Venture zur Montage von 3.000 (2016) bis 12.000 (2020) Waggons in Nischni Tagil. Fahrgestelle werden aus Iran geliefert k.A. Dongfeng Yangtze Hong Kong Limited und OOO PK Signal-Masch Joint Venture zur Montage von Bussen (Region Saratow) 100 Mio. US-Dollar (93,3 Mio. Euro) Gouverneursamt von St. Petersburg, Rosseti, Lenenergo, GUP Gorelektrotrans und OAO Akkumulatornaja kompanija Rigel (www.rigel.ru) Joint Venture zur Produktion von E-Mobilen 50 Mio. US-Dollar (46,7 Mio. Euro) Genborg (www.genborg.com) Produktion asynchroner Elektromotoren in Usman (Region Lipezk) bis zu 300 Mio. Euro Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 26 MEDIZINTECHNIK Für die Öl- und Gaswirtschaft werden zurzeit die Kapazitäten für Bohr- und Transporttechnik in Russland ausgebaut. Auch im russischen Werkzeugmaschinenbau wird die Politik der Importsubstitution umgesetzt. Gewahrt bleiben für deutsche Hersteller – wenngleich im geringeren Ausmaß als in den Vorjahren – die Absatzchancen bei Anlagen für die Kunststoff- und Petrochemie und bei Antriebstechnik. Um ihre Marktanteile zu halten, sollten deutsche Maschinenbauer prüfen, inwieweit sich eine Montage ihrer Maschinen und Ausrüstungen in Russland lohnen könnte. Igor Gubanov Leiter der Moskauer Repräsentanz SMS group GmbH Die weiterhin auf niedrigem Niveau befindliche Stahlnachfrage sowie der niedrige Rubelkurs haben die Investitionen der russischen Stahlindustrie auch im Jahr 2015 negativ beeinflusst. Investitionen in Neuanlagen sind in der Zukunft laut Aussagen der Stahlproduzenten in Russland nicht zu erwarten. Vielmehr werden Investitionen in die Erhöhung der Effizienz und Kostenreduzierung den Markt beherrschen. Darüber hinaus wird die Kreditvergabe durch russische Banken durch die Sanktionierung der langfristigen Refinanzierungsmöglichkeiten aus der EU stark beeinträchtigt. 27 BRANCHENCHECK 2/2015 | MEDIZINTECHNIK MARKT FÜR MEDIZINTECHNIK WÄCHST ERST AB 2018 WIEDER trug das Marktvolumen 199,6 Milliarden Rubel (3,02 Milliarden Euro) laut gleicher Quelle. Mit einer spürbaren Erholung der öffentlichen Gesundheitsausgaben rechnen die Experten nicht vor 2018. Aufgefangen werden die staatlichen Ausgabenkürzungen – wenigstens teilweise – durch die Zulassung und inzwischen sogar Förderung privater Initiative in der Gesundheitsfürsorge. Der Markt für Medizintechnik schrumpft 2015 um bis zu zehn Prozent im Wert. Die Importe, darunter aus Deutschland, sinken noch schneller. Aufgrund der angespannten Haushaltslage sind Kürzungen im Gesundheitswesen unausweichlich. Vor 2018 ist nicht mit einer spürbaren Konjunkturbesserung zu rechnen. Vorsichtiger Optimismus geht vom kleinen, aber stetig wachsenden Privatsektor für medizinische Dienstleistungen aus. / Von Ullrich Umann Ab 2017/18 könnte ein erheblicher Austauschbedarf zu neuem Wachstum führen Das russische Gesundheitswesen benötigt eine Billion Rubel (14,24 Milliarden Euro, Wechselkurs 1 Euro = 70,2124 Rubel, Stand: 28.10.2015) allein für Reparaturarbeiten an Gebäuden und zur Beschaffung von Medizintechnik. Mit dieser Zahl wartete der stellvertretende Gesundheitsminister Sergej Krajewoj Anfang Oktober 2015 auf. Private Gesundheitsprojekte als Hoffnungsträger Russischer Markt schrumpft 2015 und 2016 Trotz des hohen Austausch- und Modernisierungsbedarfs sinkt das Marktvolumen für Medizintechnik in Russland. So führten Haushaltsprobleme bereits 2014 und 2015 zur Kürzungen der Gesundheitsausgaben auf allen Verwaltungsebenen. Die Minderbeschaffungen gingen vorrangig zu Lasten der Importe. Das auf Medizintechnik spezialisierte Marktforschungsunternehmen NTZ Meditex geht für 2015 von einem Schrumpfen des Marktes für Medizintechnik um sieben bis zehn Prozent aus. Im Jahr 2014 be- 28 Im Zeitraum 2017/2018 endet die höchstzulässige Betriebsdauer vieler Hochtechnologiegeräte, die in den Jahren verstärkter Investitionen in die Medizintechnik von 2011 bis 2013 angeschafft wurden. Daher entsteht im besagten Zeitraum ein erheblicher Reparaturund Austauschbedarf. Dieser Sachverhalt bietet Herstellern von Medizintechnik Anlass zur Hoffnung. Das Gesundheitsministerium erhofft sich zudem 250 Milliarden Rubel (3,6 Milliarden Euro) Investitionen von privaten Unternehmen, die Aufgaben der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Rahmen von Konzessionen übernehmen können. Dabei kommt es nach den Worten des stellvertretenden Gesundheitsministers nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität der Gesundheitsdienstleistungen an. Durch private Initiative soll keine unnötige Konkurrenz zwischen bestehenden Einrichtungen geschaffen, sondern das Niveau der Gesundheitsfürsorge in den russischen Regionen erhöht werden. Die regulative Grundlage bildet das 2005 verabschiedete und 2015 reformierte Gesetz über Konzessionen. Aktuell sind 25 Konzessionsverträge auf regionaler Basis und 15 Vereinbarungen im Rahmen von öffentlich-privaten Vorhaben MEDIZINTECHNIK geschlossen. In allen Fällen rechnen private Einrichtungen ihre Dienstleistungen mit der gesetzlichen Krankenpflichtversicherung OMS gemäß Tariftabelle ab. Alle Dienstleistungen, die von der Bevölkerung darüber hinaus abgerufen werden, sind privat zu begleichen – zu entsprechend höheren Preisen. Zu finden sind private Einrichtungen in den Bereichen Onkologie, Rehabilitation, Dialyse und Geburtenvorsorge. Die langsam steigende Zahl privater Vorhaben gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Hier gelten die öffentlichen Beschaffungsregeln nicht oder zumindest nur dann, wenn von staatlichen Zu- schüssen Gebrauch gemacht wird. Denn bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen können ausländische Anbieter von Medizinprodukten und -technik aktuell nur noch zum Zuge kommen, wenn sich nicht mindestens zwei Anbieter aus der Eurasischen Wirtschaftsunion beteiligen. Deshalb haben deutsche Hersteller von Medizintechnik nur dann Absatzchancen, wenn ihre Produkte Alleinstellungsmerkmale aufweisen. Dazu gehören Ausbildungshilfen für Bedienungspersonal, turnusmäßige Wartungsleistungen während der Betriebslaufzeit oder – was aktuell besonders wichtig erscheint – Finanzierungslösungen. Projekte zur Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln Unternehmen Projekt Investitionssumme Gesundheitsministerium der Republik Sacha (Jakutien) Bau eines Onkologischen Zentrums 4,0 Mrd. Rubel PET-Technology-Rosnano (www.pet-net.ru, Bau von zwei Onkologischen Zentren in Balaswww.rosnano.ru) und Regierung des Moskauer chicha und Podolsk Gebiets 1,0 Mrd. sowie 1,9 Mrd. Rubel Rosnano (www.rosnano.ru), Rosatom (www.rosatom.ru), Föderale Universität des Fernen Ostens Bau eines Tomographiezentrums (Wladiwostok) 2,5 Mrd. Rubel Russisch-chinesisches Unternehmen Snabpolimer-Medizina Produktion von Einwegspritzen und Kunststoffprodukten zur Transfusion und Lagerung von Blut (Nischni Nowgorod) 1,4 Mrd. Rubel Medtechnopark (www.imtcenter.ru) und Gesundheitsministerium der RF Industriepark für Medizintechnik (Nowosibirsk) 1,0 Mrd. Rubel General Electric Healthcare und Regierung des Moskauer Gebiets Produktion von Diagnoseausrüstung für Herz-, Gefäß- und Krebserkrankungen 1,0 Mrd. Rubel Quelle: Recherche von Germany Trade and Invest 29 B R A N C H E N C H E C K 2 / 2 0 1 5 | U M W E LT T E C H N I K FESTMÜLLVERWERTUNG MAUSERT SICH ZUM GESCHÄFTSFELD IN RUSSLAND Umwelttechnik ist in Russland aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise nur schwer verkäuflich. Die Kunden – Regionen, Städte und Gemeinden – haben eklatante Finanzierungsprobleme. Unterdessen wachsen die Müllberge weiter. Mancherorts stellen sie eine ernsthafte Umweltbedrohung dar. Was die Ökonomie nicht schafft, erzwingt daher die Natur: Investitionen der öffentlichen Hand in die nachhaltige Festmüllentsorgung. / Von Ullrich Umann Die Festmüllverwertung wird vielleicht doch noch „Big Business“ in Russland. Nach Jahren des Stillstands in der Abfallbranche will das Moskauer Gebiet den Anfang machen. Im Laufe von fünf Jahren sollen 15 Wärmekraftwerke gebaut werden. Die Besonderheit bei diesen Anlagen besteht darin, dass sie zum Verfeuern von Festmüll geeignet sind. Im Ergebnis sollen 80 Prozent weniger Abfälle auf Deponien landen. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde im Juni 2015 zwischen dem Moskauer Gebiet und einem Joint Venture aus der Staatsholding Rostec und dem japanisch-schweizerischen Unternehmen Hitachi Zosen Inova unterzeichnet. Zur ausreichenden Versorgung der Kraftwerke mit Brennstoff ist vorgesehen, ein an die regionale Spezifik angepasstes System zum Sammeln und Transportieren von Abfällen zu entwickeln. 30 Hohe Kosten behindern Umweltprojekte Dass es sich bei diesem Vorhaben der Region Moskau vorrangig um eine umweltpolitische und weniger um eine kommerzielle Entscheidung handelt, wird daraus ersichtlich, dass Hitachi Zosen Inova vor Ablauf aller Planungen nicht einmal in der Lage sein wird, die Kosten pro Anlage genau zu beziffern. Die Region hat sich dennoch auf Verhandlungen eingelassen. Vorerst wird der Wert aller 15 Anlagen vorsichtig auf 400 Milliarden Rubel (5,81 Milliarden Euro, 1 Euro = 68,79 Rubel, Stand: 23.10.2015) geschätzt. Für die finanzielle Belastung des Regionalbudgets ist mittel- bis langfristig ebenfalls einzukalkulieren, dass es beim derzeitigen Stand der Technik auf eine Subventionierung der Elektro- und Wärmeenergie hinausläuft, die aus der Müllverbrennung gewonnen wird. Bislang fallen bei der Energieerzeugung aus Festmüll nämlich höhere Gestehungskosten an als bei herkömmlichen Energieträgern. Der Einspeisungspreis ins Netz könnte dadurch höher ausfallen als die derzeit geltenden Strom- und Wärmegebühren, die der Endverbraucher zu bezahlen hat. Dem Beispiel des Moskauer Gebiets werden andere Regionen trotz Mehrkosten folgen. Denn die vorhandenen ingenieurtechnischen Einrichtungen zur Festmüllbeseitigung sind schon lange an ihre Belastungsgrenzen gestoßen. Nach Angaben der Umweltbehörde Rosprirodnadzor liegt die Zahl der Unternehmen zum Transportieren, Sortieren und Verwerten von Abfällen landesweit bei unter 400. Es existieren offiziell 1.092 Deponien. Das reicht aber nicht aus, um der Müllberge Herr zu werden. Die Ausweitung wilder Deponien lässt sich ohne Investitionen nicht mehr eindämmen. U M W E LT T E C H N I K Industrie zur Müllverwertung unterentwickelt Investoren warten auf neue Regularien Nur maximal fünf Prozent der Festabfälle werden industriell verwertet, so Rosprirodnadzor. Ein Tiefstwert, der auf Dauer nicht hinnehmbar sei. Das Föderale Zentrum für Projektfinanzierung (FCPF), ein Tochterunternehmen der Außenwirtschaftsbank VEB speziell für Kommunalprojekte, schlägt deshalb vor, in stärkerem Maße private Investoren in Umweltprojekte der Städte und Gemeinden, darunter zur Abfallverwertung, einzubeziehen. Bislang scheiterte der Bau von Anlagen zur Müllentsorgung durch private Investoren in der Regel an nicht gegebenen Garantien zur Mindestmenge für angelieferten Müll. Auch gibt es bis heute keine Dienstleistungstarife zur Müllverbrennung. Ein solches Tarifwerk soll erst noch geschaffen werden. Hinzu kommt, dass die Duma trotz jahrelanger Diskussion immer noch kein föderales Gesetz für Public Private Partnerships verabschiedet hat. Bis regulative Besserungen eintreten, beschränken potenzielle Brancheninvestoren ihre Aktivitäten daher auf die Sondierung des Markts. Bislang waren private Initiativen in Kommunalprojekten entweder schon im Ansatz gescheitert oder sie konzentrierten sich vornehmlich auf das Einsammeln und Trennen von Festmüll. Zumindest die Verwertung von Rohstoffen nach der ersten Abfalltrennung versprach einen relativ schnellen Rücklauf der investierten Mittel. Projekte zur Abfallentsorgung in Russland Unternehmen Projekt Investitionssumme Mediterranean Development (www.medscpa.com) Müllverarbeitungswerk in Dagestan 60 Mio. Euro Gebietsverwaltung Irkutsk Müllverarbeitungswerk im Gebiet Irkutsk 3,2 Mrd. Rubel (46 Mio. Euro) Ekologija-Nowosibirsk und Stadtverwaltung Nowosibirsk zwei Müllverarbeitungsanlagen im Gebiet Nowosibirsk 44 Mio. Euro Gruppe EKO-Sistema (www.eco.system.ru) und Bollegraaf (www.bollegraaf.com) Müllverarbeitungsanlage und Mülldeponie im Gebiet Rjasan 22 Mio. Euro Staatsholding Rostec und Stadtverwaltung Nischni Tagil Festmülldeponie, Sortierungsanlage und vier Umschlagstationen in Nischni Tagil 1,2 Mrd. Rubel (17,3 Mio. Euro) Verwaltung St. Petersburg Anlage zur Beseitigung gefährlicher Industrie- und Medizinabfälle in Krasny Bor, St. Petersburg k.A. Umrechnung laut EZB-Wechselkurs vom 19.11.2015: 1 Euro = 69,4086 Rubel Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 31 Impressum: Branchencheck Russland 2/2015 Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) 1. Kasatschij per. 7, 119017 Moskau Tel.: +7 (495) 234 49 50 Fax: +7 (495) 234 4951 E-Mail: [email protected] Germany Trade and Invest (GTAI) Büro Moskau: 1. Kasatschij per. 7, 119017 Moskau E-Mail: [email protected] Redaktion: Jens Böhlmann (AHK), Bernd Hones, Ullrich Umann, Edda Wolf (GTAI) Redaktionelle Mitarbeit: Eleonora Dubinina, Lena Steinmetz (AHK) Design und Layout: Hans Winkler Redaktionsschluss: Dezember 2015 Druck: Samoprint, Chilkow pereulok 2/5, Moskau Die Vervielfältigung oder auszugsweise Wiedergabe dieses Berichtes bedarf der ausdrücklichen Genehmigung durch die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) und Germany Trade and Invest (GTAI) und darf nur unter Angabe der Quelle erfolgen. Für den Inhalt wird keinerlei Haftung übernommen. 32
© Copyright 2024 ExpyDoc