branchencheck russland

BRANCHENCHECK
RUSSLAND
2 | 2015
BRANCHENCHECK 2/2015 | INHALT
INHALT
LEITARTIKEL BRANCHENCHECK
Wirtschaftliche Erholung erst für Ende 2016 erwartet 2
BRANCHEN
Automarkt im freien Fall 4
Schlechte Baukonjunktur hält an
7
Chemieindustrie stemmt sich gegen Wirtschaftskrise
10
Russische Regierung fördert Elektronikindustrie
13
Markt für Internetdienste wächst weiter
15
Russland investiert Milliarden in die eigene Landwirtschaft 18
Lebensmittelproduktion wächst trotz Wirtschaftskrise
21
Maschinenmarkt verliert an Attraktivität
24
Markt für Medizintechnik wächst erst ab 2018 wieder
28
Festmüllverwertung mausert sich zum Geschäftsfeld in Russland 30
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B R A N C H E N C H E C K 2 / 2 0 1 5 | L E I TA RT I K E L
LEITARTIKEL BRANCHENCHECK
WIRTSCHAFTLICHE
ERHOLUNG ERST FÜR
ENDE 2016 ERWARTET
Das ifo-Institut konstatierte im November dieses Jahres: „Das weltwirtschaftliche Klima kühlt sich merklich ab“. Die Wachstumserwartung für die chinesische Konjunktur liegt bei unter sieben Prozent.
Der Ölpreis dümpelt um die 40 US-Dollar pro Barrel. Der Rubel entkommt seiner Schwäche nicht. Die Bruttoanlageinvestitionen, Export
und Import sinken. Die Inflation ist hoch. Keine guten Aussichten für
die Wirtschaftsentwicklung in Russland. Für 2015 wird deshalb folgerichtig eine Rezession von bis zu fünf Prozent erwartet. Und dennoch
bleiben die deutschen Unternehmen dem Markt weiter treu. Warum
ist das so?
Viele Unternehmen haben sich in der Krise „eingerichtet“ und optimieren ihr Geschäftsmodell und die internen Strukturen. Sie überprüfen
ihr Händlernetz, ihre Vertriebsorganisation, ihre Geschäftspartner, ihr
Geschäftsmodell.
Trotz zum Teil deutlich rückläufiger Geschäftszahlen ist die Erwartung in den künftigen Aufschwung des Marktes groß. Jetzt gilt
es die Voraussetzungen zu schaffen, um dann von der Konjunktur profitieren zu können. Für Mergers & Acquisitions ist augenblicklich ein guter Zeitpunkt: Objekte sind billiger, Verkäufer eher
zu Zugeständnissen bereit, Grundstücke günstiger zu erwerben.
Wettbewerber verschwinden vom Markt: russische, weil ihnen die
Kapitaldecke fehlt, internationale aus Unsicherheit über die Markt-
2
entwicklung. Noch immer sind 6.000 deutsche Unternehmen im
russischen Markt präsent. Die übergroße Mehrheit von ihnen ist
gewillt, auch weiter zu bleiben. Einige planen, sich intensiver an
den Markt zu binden.
Denn, Lokalisierung heißt das Gebot der Stunde. Nach Ansicht der
russischen Regierung ist der Königsweg zu Fortschritt, Modernisierung und Know-how-Transfer, die Unternehmen zu Lokalisierung und
Importsubstitution zu bewegen. Immerhin ein Drittel der in einer Umfrage aus dem August 2015 befragten Unternehmen plant demnach
in den nächsten Jahren eine Produktion in Russland aufzubauen.
Einerseits um unabhängiger von den erheblichen Währungsschwankungen zu sein und aus strategischen Gründen. Andererseits um die
Anerkennung als „lokaler Produzent“ zu erhalten und damit die Berechtigung an zumeist staatlichen Ausschreibungen gleichberechtigt
teilnehmen zu können.
Für viele, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, ist das
allerdings keine Option. Für sie rechnet sich eine eigene Produktion
in Russland schlicht nicht.
Vor den Unternehmen, die sich entschieden haben oder entscheiden
zu lokalisieren, steht allerdings eine weitere Herausforderung. Noch
ist nicht endgültig geklärt, wie genau man in den Genuss kommt, als
lokaler Produzent zu gelten. Wie hoch soll der Anteil der lokalen Komponenten sein? Wie wird verhindert, dass sich bei wechselndem Kurs
der lokale Anteil ändert? Fragen von entscheidender Bedeutung für
die Entscheidung pro oder contra Investitionen in Russland.
Eine der größten Herausforderungen für lokalisierte OEMs ist die Suche nach Unternehmen, die dauerhaft, in gleichbleibender Qualität,
L E I TA RT I K E L
preisstabil und zuverlässig liefern können. Dazu bedarf es schnellstmöglich der Erarbeitung staatlicher und regionaler Programme für die
Entwicklung und Qualifizierung von Zulieferern. Für derart qualifizierte
russische Zulieferer muss ein einheitliches Informationssystem nach
Produktgruppen (Rohstoffe, Materialien, Zulieferteile) geschaffen
werden.
Damit in direktem Zusammenhang steht die Ausbildung von Fachkräften. Eine für beide Seiten fruchtbare Basis könnte die Zusammenarbeit deutscher Unternehmer mit russischen Universitäten bei der
Entwicklung von Fachkräften auf Vertragsbasis bilden.
Augenblicklich sind Investitionen auch deshalb selten, weil viele Branchen massiv unter dem Rückgang der Wirtschaft leiden. Die Automobilbranche verzeichnet – vor allem bei Volumenmodellen – Rückgänge
von 50 Prozent und mehr. Haben zu Beginn der Krise die Verbraucher
noch kräftig konsumiert, verhindern derzeit Reallohneinbußen, hohe
Inflation und Arbeitslosigkeit ein Anziehen der Binnenkonjunktur. Solange der Ölpreis auf niedrigem Niveau verharrt, wird sich daran auch
kaum etwas ändern. Nahezu alle staatlichen Ausgaben hängen direkt
oder indirekt von den Einnahmen aus dem Export von Energieträgern
und anderen Bodenschätzen ab, deren Preise am Weltmarkt niedrig
sind. Diese Gelder wären jedoch dringend notwendig, um staatlich
initiierte Konjunkturprogramme z.B. in Infrastrukturprojekte, den Wohnungsbau oder die Verbesserung des Gesundheitswesens finanzieren zu können.
Finanzierung ist auch für deutsche Unternehmen die größte Herausforderung. Da ausländische Produkte durch den Währungsverfall des
Rubels deutlich teurer eingekauft werden müssen, ist es für Käufer
fast unmöglich, auch noch die extrem hohen Kreditzinsen von 20 bis
25 Prozent zu schultern. Im Ergebnis werden weniger Aufträge erteilt, Projekte zeitlich deutlich gestreckt oder im Extremfall komplett
storniert.
Einige Lichtblicke gibt es in der Landwirtschaft, die, auch unter den
Bedingungen des Importstopps, einen Aufschwung erlebt. Sowohl
stattliche als auch private Investoren haben ihr Engagement in dieser Branche kräftig verstärkt. Sie profitieren dabei von günstigen
staatlichen Krediten und den Angeboten der staatlichen Leasinggesellschaft RosAgroLeasing. Mengenmäßig wächst die Landwirtschaft
2015 jedoch nur marginal. Viel besser entwickeln sich z.B. Teile der
Spezialchemie, einige Bereiche des Maschinenbaus, die Produktion
von Gummi- und Plastikerzeugnissen.
Geschäftschancen für deutsche Unternehmen ergeben sich auch in
den Bereichen Umwelttechnologie und Energieeffizienz, allerdings
noch auf niedrigem Niveau. Ähnliches gilt in den Bereichen Spezialchemie, Life Science, IT und Pharmazie.
Insgesamt jedoch erwarten die Unternehmen für 2015 einen teilweise
deutlichen Rückgang von Umsätzen und Gewinn. Selbst die in Rubel teilweise beachtlichen Betriebsergebnisse weisen in Euro eine
negative Entwicklung auf. Die Hoffnung ruht auf einer Erholung des
Marktes gegen Ende 2016. Dafür muss der russische Staat jedoch die
Weichen für mehr Wachstum und Investitionsbereitschaft stellen und
den Kapitalabfluss aus Russland stoppen, der auch 2015 wohl mehr
als 100 Milliarden US-Dollar betragen wird. Vieles wird von der geopolitischen Gesamtsituation abhängen und davon, wie sich die Europäische Union in Bezug auf die verhängten Sanktionen entscheiden
wird. Aber selbst wenn die Sanktionen ein Ende finden sollten, wird
der tatsächliche Wachstumsimpuls gering ausfallen. Unabdingbar ist
ein Weg aus der Abhängigkeit von volatilen Preisen für Kohlenwasserstoffe und die sofortige Umsetzung von Wirtschafts- und Sozialreformen.
Jens Böhlmann
Bereichsleiter PR & GR / Mitglied der Geschäftsführung AHK
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BRANCHENCHECK 2/2015 | AUTOMOBILMARKT
BRANCHEN
AUTOMARKT IM FREIEN
FALL
Der russische Markt für Busse war in den vergangenen Jahren bereits extrem eingebrochen. Der Rückgang von 11.700 Einheiten im
Jahr 2014 auf schätzungsweise 9.600 Stück im Jahr 2015 nimmt
sich dagegen relativ harmlos aus. Aber Vorsicht: Das Ausgangsniveau ist bereits äußerst schwach.
Produktion sinkt, Importe gehen zurück
Der russische Automobilmarkt schrumpfte von Januar
bis November 2015 um 34,5 Prozent. Die Prognose für
das Gesamtjahr lautet auf minus 37 Prozent. Die russischen Pkw-Importe sind in den ersten acht Monaten
2015 um 58 Prozent eingebrochen. Kaum eine andere
Branche leidet unter der Wirtschaftskrise so sehr wie
die Automobilindustrie. Und das trotz umfangreicher
Finanzhilfen des Staates. Die Folge: Die meisten Hersteller streichen Modelle aus dem Russland-Portfolio
und senken ihren Ausstoß. / Von Bernd Hones
Mehr inländische Produktion und weniger Importe – das war über
Jahre das Credo der russischen Regierung für den Automobilmarkt.
Doch die schwache Nachfrage drückt mittlerweile sogar die Produktion im eigenen Land. Russland könnte jedes Jahr 3,5 Millionen
Pkw bauen, so hoch sind die Kapazitäten. Doch in den ersten zehn
Monaten 2015 ist die Produktion laut Rosstat um 23,2 Prozent auf
1,1 Millionen leichte Automobile (Pkw und LCV) zurückgegangen.
Und das ist harmlos im Vergleich zu den Importen. Diese sind in
den ersten acht Monaten 2015 um 58 Prozent auf 206.000 Pkw geschrumpft. Wert der Importautos: knapp vier Milliarden US-Dollar.
Die Aussichten für den russischen Automobilmarkt sind schlecht.
Sehr schlecht. Das Automobilkomitee der Association of European
Businesses rechnet für 2015 mit einem Rückgang der Verkäufe
um 37 Prozent auf 1,57 Millionen Fahrzeuge. Das betrifft Pkw und
leichte Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen (LCV). Laut Russian Automotive Market Research werden 2015 schätzungsweise 100.000 LCV
verkauft. Sprich: Der Pkw-Absatz wird bei unter 1,5 Millionen neuen
Pkw liegen. Zum Vergleich: Im Jahr 2003 wurden in Russland 1,3
Millionen neue Personenkraftwagen verkauft. Auf dieses Niveau ist
das größte Land der Welt nun fast wieder gesunken.
Bei Lkw ist die Lage noch dramatischer. Die Produktion sank in den
ersten zehn Monaten 2015 um 18,3 Prozent auf 103.000 Stück. Die
Importe reduzierten sich in den ersten acht Monaten 2015 um mehr
als drei Viertel auf 10.700 Lkw im Wert von 465 Millionen US-Dollar.
An Autobussen rollten von Januar bis Oktober 2015 nur 29.000
Stück vom Band; das waren 16,6 Prozent weniger gegenüber dem
gleichen Vorjahreszeitraum. Nur bei Anhängern für Pkw stieg die
Produktion: um 11,7 Prozent auf 88.400 Stück.
Bei Lkw ist die Lage keinen Deut besser. Die Verkaufszahlen haben
sich 2015 auf knapp 45.000 Einheiten fast halbiert. Bis 2020 werden
sie das Niveau von 2014 (81.000 Lkw über sechs Tonnen Gewicht)
voraussichtlich nicht wieder erreichen.
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Konzerne kürzen Ausgaben und stoppen
einzelne Modelle
Vor diesem Hintergrund schnallen viele Automobilkonzerne den
Gürtel enger. AwtoWAZ verringert die Produktionspläne gleich bei
mehreren Modellen um mehrere tausend Einheiten. Der Daimler-
AUTOMOBILMARKT
Konzern hat seine Entscheidung zum Produktionsaufbau in Russland verschoben. General Motors (GM) hat die Produktion im Werk
St. Petersburg eingestellt, ebenso die Vertragsmontage bei Awtotor
in Kaliningrad und bei GAZ in Nischni Nowgorod. Ab 2016 wird die
Marke Opel komplett vom russischen Markt genommen. Auch die
Produktion der koreanischen Ssang-Yong-Modelle in Russland gehört der Vergangenheit an. Der schwedische Volvo-Konzern hatte bereits zu Jahresbeginn die Produktion von Volvo und Renault
Trucks in Kaluga gestoppt – bis 5. Oktober 2015.
Staat greift Automobilindustrie unter die
Arme
Der Markt bricht ein, obwohl der russische Staat eine ganze Reihe von Hilfsprogrammen aufgelegt hat. Es gibt Finanzmittel für
die Erneuerung des staatlichen Fuhrparkes, die zur Jahresmittel
sogar aufgestockt wurden. Es gibt Subventionen für Leasingraten und Abschläge auf die Zinsen bei Investitionskrediten. Es ist
nicht ausgeschlossen, dass das eine oder andere Programm
auch 2016 fortgeführt wird. Ob das starke Entlastung bringt, das
ist mehr als fraglich. Deutschen Herstellern im Premiumsegment
nutzen diese Programme ohnehin so gut wie gar nicht.
Neue Projekte in der Automobil- und Zulieferindustrie in Russland
Unternehmen
Projekt
Anmerkung
Hyundai Motor
Manufactoring Rus
Werksmodernisierung, Kapazitätserweiterung auf
200.000 Autos pro Jahr
bis Ende 2016; geplant sind Hyundai Solaris und
Kia Rio
Mazda
Motorenwerk im Fernen Osten; laut Sollers-Generaldirektor Wadim Schwezow
Baubeginn: 2015;
www.mazda.ru
Palfinger
Joint Venture mit Kamaz zur Produktion von Kranarmen für Lkw
Produktion von 80.000 Hydraulikzylindern für Lkw,
Krane und Baumaschinen bis 2019;
www.palfinger.com
Lifan
Pkw-Werk für 60.000 Autos, Investition: 300 Millionen US-Dollar
Bauarbeiten haben im Juli 2015 begonnen
Great Wall
Montagewerk für 250 Millionen US-Dollar in der
Region Tula
Kapazität: 150.000 Pkw;
www.great-wall.com
Hubei Yunyin Industrial
Joint Venture mit Oleonafta zur Produktion von Lkw
in der Stadt Engels
Kapazität: 2.000 Lkw;
www.cnyunyin.com
Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherchen von Germany Trade and Invest
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BRANCHENCHECK 2/2015 | AUTOMOBILMARKT
Jaron Wiedmaier
Generaldirektor
Continental Tires RUS LLC
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Der russische Automobilmarkt ist weiter auf dem Rückzug. Die Oktoberzahlen sind, nach moderaten Vorkäufen im August, wieder extrem
eingebrochen (-38,5 Prozent zum Vorjahr), was einen Jahresrückgang
Januar–Oktober von ca. 33 Prozent entspricht. Die nächsten Monate des
Jahres 2015 versprechen keine Besserung, zumal der starke Rubelverfall
Ende 2014 zu verstärkten Vorkäufen von Fahrzeugen geführt hat. Der
Ausblick für 2016 bleibt eher negativ und die Neuwagenverkäufe könnten
weiterhin rückläufig sein.
BAUWIRTSCHAFT
SCHLECHTE BAUKONJUNKTUR HÄLT AN
Für die deutsche Bauindustrie verliert der russische
Markt 2016 weiter an Attraktivität. Waren für deutsche Anbieter früher vorrangig das Geschäftsgebaren vor Ort und unterschiedliche Baunormen ein
Problem, sind es zurzeit die Finanzierungsengpässe
russischer Auftraggeber. Baumaterial und Knowhow „Made in Germany“ haben nur noch eine Absatzchance, wenn sie sichtbare Alleinstellungsmerkmale aufweisen. Andere Angebote kommen durch
die russische Politik der Importsubstitution nicht
zum Zuge. / Von Ullrich Umann
Die russische Bauwirtschaft befindet sich in einer schweren Krise.
Ursache sind mangelnde oder völlig fehlende Finanzierungen. Die
öffentliche Hand kürzt ihre Ausgaben, um Einnahmeausfälle zu
kompensieren. Die Positionen „Hoch- und Tiefbau“ wurden im föderalen Haushalt 2015 um 20 bis 30 Prozent zusammengestrichen.
Für 2016 sehen die Budgetansätze nicht besser aus. Auch die
private Kreditvergabe an die Bauwirtschaft ist eingebrochen – um
40 Prozent in den ersten neun Monaten 2015.
Beim Bau von Wohnungen, Büros, Gewerbe- und Handelsflächen
sind die Geschäftsaussichten ausgesprochen schlecht. Etwas besser sieht die Auftragslage bei Logistik- und Lagereinrichtungen aus,
zumindest in den russischen Regionen (mit Ausnahme von Moskau). Dies hängt mit der Expansion von Einzelhandelsketten in die
Tiefe des Landes zusammen. Dort werden begleitend moderne Logistikhubs und Kühllager benötigt.
Flughäfen werden modernisiert
Die russischen Regionen investieren nach Möglichkeit in den Ausbau ihrer Flughäfen. Das gilt vor allem für die elf Austragungsorte der Fußball-WM 2018 und jene Regionen, die ihre Attraktivität
für potenzielle Investoren und für den Fremdenverkehr durch gute
Flugverbindungen erhöhen wollen. Beispiele dafür sind Kaluga, Jaroslawl, Uljanowsk und Orjol. Auch in unmittelbarer Nähe zum neuen sibirischen Weltraumbahnhof „Wostotschnyj“ im fernöstlichen
Gebiet Amur soll ein Flughafen entstehen.
Ausbau der Infrastruktur in Sibirien und im
Fernen Osten Russlands
Im Tiefbau fließen Milliardenbeträge – wenn auch in gekürzter
Form – in den Ausbau der Infrastruktur Sibiriens und des Fernen
Ostens. Zu den wichtigsten Projekten gehören die Verlegung der
Erdgasleitung „Sila Sibiri“ in Richtung China sowie die Modernisierung der Transsibirischen Eisenbahn und der Baikal-Amur-Magistrale. Außerdem sollen die beiden Schüttgut-Häfen Nachodka und
Wostotschnyj ausgebaut werden. Auch die Häfen Noworossijsk am
Schwarzen Meer und Kaliningrad an der Ostsee werden erweitert.
Markt für Bauleistungen, Baustoffe und
-materialien schrumpft auch 2016
Insgesamt schrumpft der russische Markt für Baudienstleistungen,
Baustoffe und Baumaterial voraussichtlich auch 2016. Die Behörden haben für kommendes Jahr Baugenehmigungen für 42 Millionen Quadratmeter Wohnraum erteilt. Dabei handelt es sich um
den schlechtesten Wert seit Jahren. Zum Vergleich: Im Jahr 2014
wurden 80 Millionen Quadratmeter Wohnraum fertig gestellt; 2015
sollten es 70 Millionen Quadratmeter werden. Bei Betrachtung die-
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BRANCHENCHECK 2/2015 | BAUWIRTSCHAFT
ser Werte wird eins schnell klar: Begonnene Vorhaben werden fertig gestellt, neue jedoch kaum
noch angeschoben.
Bauprojekte in Russland
Unternehmen
Projekt
Kosten *)
Wie schlecht es um die Baukonjunktur in Russland
bestellt ist, zeigt die Statistik der ersten sieben Monate 2015. Es wurden Bau- und Montageleistungen
im Wert von 2,76 Billionen Rubel (42,7 Milliarden
Euro; Wechselkurs 1 Euro = 64,6478 Rubel, Stand:
31.7.2015) erbracht. Das bedeutet einen Rückgang um 7,7 Prozent im Vergleich zum analogen
Vorjahreszeitraum. Im gesamten Jahr 2014 waren
die Bau- und Montageleistungen auch schon gesunken – um 5,5 Prozent auf 5,98 Billionen Rubel
(116,6 Milliarden Euro; Durchschnittskurs für 2014:
1 Euro = 50,5 Rubel).
OOO GasprompererabotkaBlagoweschtschensk (www.
pererabotka.gazprom.ru) und
Ministerium für Entwicklung
des Fernen Ostens
(www.minvostokrazvitia.ru)
Amur-Gasverarbeitungswerk
800 Mrd. Rubel
Ministerium für Entwicklung
des Fernen Ostens (www.minvostokrazvitia.ru) und Gruppe
Morton (www.morton.ru)
Logistik-, Industrie- und
Tourismuscluster auf der
Insel Bolschoj Ussurijskij
10 Mrd. USDollar (etwa 644
Mrd. Rubel)
Don-Stroj Invest
(www.donstroy.com)
Wohnviertel „Symbol“, Moskau, 900.000 Quadratmeter
Wohnfläche
140 Mrd. Rubel
West-Woods Bay Consulting
Projektmanagement GmbH
(www.westwoods-home.de) und
Administration von Petropawlowsk-Kamtschatski
Sport- und Freizeitzentrum
(Ferienressort), Kam­
tschatka
20 Mrd. Rubel
Green Agro
(www.grinagro.ru)
Milchverarbeitungswerk,
Region Primorje, Ferner
Osten
9 Mrd. Rubel
Reformen sollen Projekte stabiler
machen
Der Staat pumpt zwar weniger Geld in die Bauwirtschaft als in der Vergangenheit. Doch versuchen
die Behörden zumindest die finanzielle Stabilität
von Projekten regulativ zu stärken. So wird die bislang weit verbreitete Geschäftspraxis, wonach sich
Wohnungsbaugesellschaften Projekte von ihren
Kunden komplett vorfinanzieren lassen, bis 2020
stufenweise eingeschränkt. Dies führte gelegentlich zu Missbrauch. Ziel ist es, Kleininvestoren zu
schützen und die Zahl der Konkursverfahren und
Bauruinen zu verringern. Dieser Teilerfolg kann
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die
Bauwirtschaft auf unbestimmte Zeit in einem besorgniserregenden Zustand befindet.
8
Quelle: Recherche von Germany Trade and Invest, Moskau, Oktober 2015
BAUWIRTSCHAFT
Maksim Sobolew
Direktor Marketing und
Vertrieb
YIT Sankt-Petersburg ZAO
Das Bauvolumen sinkt – in erster Linie im Bereich Gewerbeimmobilien
und Infrastrukturprojekte. Im Bereich Wohnungsbau, der vom Staat
unterstützt wird, ist der Rückgang nicht so stark ausgeprägt. Bei den
Industrieimmobilien sind derzeit eher kleine Objekte (1.000 bis 3.000
Quadratmeter) gefragt: Sie werden von kleinen und mittelständischen
Unternehmen gesucht, die infolge der Importsubstitutionspolitik ihren
Vertrieb ausbauen. Wir sind derzeit dabei, im Industriepark Greenstate,
der YIT gehört, gleich vier solche Projekte zu realisieren.
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BRANCHENCHECK 2/2015 | CHEMIEINDUSTRIE
CHEMIEINDUSTRIE
STEMMT SICH GEGEN
WIRTSCHAFTSKRISE
Rubel verteuert Investitionen in Maschinen und Anlagen. Für neue
Ausrüstung müssen russische Chemieunternehmen auf RubelBasis viel mehr bezahlen als noch vor einem Jahr. Trotzdem hat
Gazprom den Linde-Konzern als Partnerunternehmen für das neue
Erdgasverarbeitungswerk in der Region Amur gewonnen. Dort sollen jährlich 49 Milliarden Kubikmeter Erdgas verarbeitet und Helium
daraus extrahiert werden.
Russlands Chemieunternehmen kommen erstaunlich gut durch die Wirtschaftskrise. Ob Kunststoffe,
Agrarchemikalien oder Arzneimittel – einige Zweige
entwickeln sich sehr dynamisch. An Investitionsprojekten mangelt es nicht. Aber es gibt auch Verlierer:
Den Herstellern von Farben und Lacken machen
die schwächelnde Automobil- und Bauwirtschaft zu
schaffen. Kosmetikhersteller leiden unter den rückläufigen Realeinkommen, deutsche Waschmittelhersteller unter dem russischen Verbraucherschutz. /
Von Bernd Hones
Agrarprojekte treiben Markt für
Pflanzenschutzmittel und Düngemittel an
Die Industrieproduktion in Russland ist auf Talfahrt. In den ersten
drei Quartalen 2015 ist der Ausstoß um 5,2 Prozent gesunken. Die
chemische Industrie widersetzt sich diesem allgemeinen Trend. Ihre
Produktion ist um 6,5 Prozent gestiegen. Besonders dynamisch hat
sich der Pharmasektor entwickelt (+12,2 Prozent), der immer stärker vor Importen geschützt wird. In diesem Bereich gibt es viele
ausländische Investoren, aber auch rein russische Projekte. Auch
die Produktion von Kunststoffen ist stark gestiegen. Dagegen leiden
Hersteller von Lacken und Farben unter der flauen Konjunktur ihrer
Hauptabnehmer: Baufirmen und Automobilproduzenten.
Für exportorientierte Unternehmer der russischen Chemieindustrie
sind die Marktbedingungen geradezu ideal. Für deutsche Technologiezulieferer hingegen ist die Lage schwierig. Denn der schwache
10
Russland schottet seinen Lebensmittelmarkt ab und fördert die
Landwirtschaft. Das wirkt sich positiv auf die Nachfrage nach Agrarchemikalien wie Dünge- und Pflanzenschutzmittel aus. Russlands
Agrarfirmen und Bauern haben 2013 Pflanzenschutzmittel im Wert
von 33 Milliarden Rubel (779 Millionen Euro, EZB-Jahreswechselkurs 2013: 1 Euro = 42,34 Rubel) ausgebracht; 2014 waren es bereits 40 Milliarden Rubel (785 Millionen Euro, EZB-Jahreswechselkurs 2014: 1 Euro = 50,95 Rubel) und 2015 könnten es sogar bis
zu 60 Milliarden Rubel werden, sagt Andrasch Marfi, Key Account
Manager bei der Kleffmann Group in Russland. Das entspräche einem Plus von 50 Prozent. Deutsche Lieferanten sind am Markt stark
vertreten; 2014 steigerten sie Ihre Exporte nach Russland um über
ein Drittel auf 134 Millionen US-Dollar.
Noch besser stehen Russlands Düngemittelproduzenten da. Große
Teile ihrer Produktion – von Stickstoff über Kali bis zu Phosphor –
verkaufen sie im Ausland. Und erzielen auf Rubel-Basis wahre Rekorderlöse. Kein Wunder, dass sie weiter investieren. Eurochem hat mit
dem Bau eines Ammoniakwerkes in Kingisepp im Leningrader Gebiet
begonnen – Kosten eine Milliarde US-Dollar. Das ist nur eines von
mehreren Projekten. Insgesamt investiert der Konzern fünf Milliarden
US-Dollar bis 2020. Konkurrent Akron gibt bis 2015 rund 270 Millionen US-Dollar und Uralkali fast 360 Millionen US-Dollar aus.
CHEMIEINDUSTRIE
Waschmittel- und Kosmetikhersteller unter
Druck
Internationale Kosmetikhersteller stehen in Russland zurzeit unter
Druck. Wegen des schwachen Rubels mussten viele im 1. Halbjahr
2015 die Rubel-Preise für ihre Produkte erhöhen. Die in Apotheken verkauften Kosmetika wurden durchschnittlich um 24 Prozent
teurer. Dabei sinken zurzeit die Realeinkommen der Bevölkerung.
Die Folge: Die Verkäufe von Kosmetika in Apotheken nahmen im
1. Halbjahr 2015 auf Rubel-Basis um fünf Prozent ab, laut DSMGroup.
Ausländische Hersteller von Waschmitteln stehen in Russland aus
einem völlig anderen Grund unter Druck. Die Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadsor hat im August 2015 den Vertrieb von
Waschmitteln sieben ausländischer Firmen verboten – auch solcher, die in Russland produzieren. Begründung: Waschmittel dieser
Unternehmen enthielten toxische Stoffe. Die Firma SAP ESP-Kontrakt GmbH, eine Tochter der Hamburger Oricont-Gesellschaft, hat
dagegen auf ihrer Internetseite einen Brief veröffentlicht, wonach
Rospotrebnadsor die Produktpalette des Herstellers am 13. August
2015 geprüft und als unbedenklich eingestuft hat. Genutzt hat es
wenig: Auf Anweisung von Rospotrebnadsor steht die Produktion
mittlerweile still. Das Register angeblicher Missstände ist lang: Laut
der Behörde fehlen die Herkunftsnachweise für einige Inhaltsstoffe, seit 2012 seien keine Laborversuche mehr durchgeführt worden
und für einige Produkte fehle die Registrierung. Auch die letzten
medizinischen Untersuchungen der Mitarbeiter lägen zu lange zurück, so die Behörde.
Aktuelle Projekte in der Chemieindustrie
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
Gazprom
(www.gazprom.ru)
Bau eines Gasverarbeitungswerks, Kapazität: 49
Milliarden Kubikmeter pro
Jahr, Baubeginn: Juli 2016,
Partner: Linde AG / Gebiet
Amur (Ferner Osten)
790,6 Mrd.
Rubel
Rosneft
(www.rosneft.ru)
Modernisierung von
Erdölverarbeitungswerken
in Ostsibirien / Ferner Osten
315,0 Mrd.
Rubel
OOO Sawod
Sintanolow
(www.norchem.ru)
Werk zur Produktion von
Fettalkohol und Säure /
Dserschinsk, Gebiet Nischni
Nowgorod
5,6 Mrd. Rubel
Nuplex
(www.nuplex.com)
Erweiterung der Produktion
von Polymerharzen / Gebiet
Belgorod
1,1 Mrd. Rubel
Forteinvest
Modernisierung und
(www.forteinvest.ru) Erweiterung der Ölraffinerie
in Orsk bis 2023 / Region
Orenburg
5,0 Mrd.
US-Dollar
Eurochem
Bau einer Ammoniakanlage,
(www.eurochem.ru) geplante Fertigstellung:
2018 / Gebiet Leningrad
1,0 Mrd.
US-Dollar
Wechselkurs der Zentralbank der RF vom 23.10.2015: 1 US$ = 62,7888 Rubel
Quellen: russische Wirtschaftszeitungen, Recherche von Germany Trade and Invest
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BRANCHENCHECK 2/2015 | CHEMIEINDUSTRIE
Julio Vrbanić
Generaldirektor
Evonik Industries
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Im schwierigen Umfeld – wobei erste vorsichtige Anzeichen einer Stabilisierung und
möglicherweise Trendwende zu beobachten sind – scheint sich die Spezialchemie, bedingt
durch ihre zentrale Rolle in der Umgestaltung und Lokalisierung diverser Wertschöpfungsketten in der Produktion, deutlich besser zu behaupten als andere Bereiche der Wirtschaft.
Getrieben von der Lokalisierung der Herstellerbasis – allem voran in der Landwirtschaft –
werden beispielsweise Aminosäuren zunehmend im russischen Inland nachgefragt, was
sich in einer bedeutenden Sonderkonjunktur für diese Produktgruppe niederschlägt. Additive für den Straßenbau, für Infrastrukturprojekte oder aber für moderne Technologien zur
Reifenproduktion werden ebenfalls stark nachgefragt, denn sie sind die idealen Antworten
auf die Sparbemühungen und Herausforderungen lokaler Hersteller, ihre Wertschöpfungsketten zu optimieren.
Der massiv gesunkene Rubelkurs bietet zudem viele Chancen, im Rahmen von gemeinschaftlicher Produktentwicklung und durch strategisch bedeutsame Einkaufsprojekte für
wichtige Rohstoffe aus Russland, die gesunkene Kostenbasis zu nutzen und die Zusammenarbeit mit russischen Partnern verstärkt auszubauen.
ELEKTRONIK/ELEKTROTECHNIK
RUSSISCHE
REGIERUNG FÖRDERT
ELEKTRONIKINDUSTRIE
Russlands Elektronikbranche wird ausgebaut. Die
hohe Importabhängigkeit soll sinken und eine leistungsfähige Zulieferindustrie entstehen. Die öffentliche Hand bevorzugt zunehmend Computer, Server,
Mobiltelefone, Satellitentechnik, Telekomausrüstungen und Elektromedizintechnik aus inländischer Montage. Deutsche Firmen sollten daher eine Ansiedlung
vor Ort prüfen, um ihre Lieferchancen bei öffentlichen
Beschaffungen zu wahren. / Von Ullrich Umann
Russland ist in hohem Maße abhängig vom Import von Komponenten und Endprodukten der Elektronikindustrie. Die russische Elektro­
industrie und der Maschinenbau müssen elektronische Bauteile,
Mikrochips, Komponenten für Automatisierungstechnik, IT- und Telekommunikationsausrüstungen sowie Steuerelemente für Maschinen
und Apparate zum Einbau in eigene Enderzeugnisse überwiegend
im Ausland einkaufen. Die Abhängigkeit von Importen beträgt dabei
zwischen 80 und 100 Prozent. In Deutschland werden vor allem Maschinensteuerungen und Automatisierungstechnik geordert.
Mehr Wertschöpfung in Russland angestrebt
Im Frühjahr 2015 hat das Ministerium für Industrie und Handel beschlossen, die heimische Elektronikindustrie zu entwickeln. Ziel ist,
die heimischen Wertschöpfungsketten in der Elektroindustrie und
im Maschinenbau zu komplettieren. Bei Beschaffungen der öffent-
lichen Hand von elektronischen Endprodukten, wie Rechentechnik,
sollen künftig inländische Hersteller zum Zug kommen – wenn es
welche gibt. Experten halten auf dieser Grundlage Wachstum in der
russischen Elektronikindustrie mittel- bis langfristig für möglich.
Russland ist zwar in der Lage, moderne Lösungen für elektronische
Erzeugnisse zu entwickeln – Technische Universitäten, Forschungsinstitute und Entwicklungszentren sind vorhanden. Doch mangelt es
nicht selten an der Überführung von Forschungsergebnissen in die
Serienfertigung.
Fehlende Zulieferindustrie als
Wachstumsbarriere
Es fehlt insbesondere eine leistungsfähige Zulieferindustrie. Um dies
zu ändern, erhält die zur Holding Rostec gehörende Vereinigung
Ros­
elektronika staatliche Subventionen. Roselektronika vereinigt
110 Einrichtungen für Forschung und Entwicklung sowie Montagebetriebe unter einem Dach. Zwar gehört die Herstellung von elektronischen Rüstungsgütern zu den Schwerpunkten der Vereinigung. Doch
es werden auch Erzeugnisse für zivile Anwendungen produziert. Beispielsweise stellt das Uraler Optomechanische Werk (UOMZ) Inkubatoren und Phototherapiestrahler für Neugeborene her.
Zu den weltweit bekanntesten Eigenentwicklungen aus russischer
Provenienz gehört das Yota-Phone, ein Android-Handy mit akkuschonendem Schwarz-Weiß-Bildschirm auf der Rückseite. Dieses Produkt konnte im eigenen Land nicht zu darstellbaren Kosten
in Serienfertigung gehen. Stattdessen wird es in China gebaut. An
eine Verlagerung der Fertigung nach Russland ist frühestens in fünf
Jahren zu denken. Ein ähnliches Schicksal ereilte die in Russland
entwickelten Rechenchips der Baureihen Elbrus und Baikal-T1. Sie
werden im russischen Auftrag in Taiwan gefertigt.
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BRANCHENCHECK 2/2015 | ELEKTRONIK/ELEKTROTECHNIK
GLONASS-Bodenstationen bald aus eigener
Produktion
Mit Nachdruck wird aktuell an der Entwicklung von Technologie und
am Aufbau einer Serienfertigung von Bodenstationen für das satellitengestützte Navigationssystem GLONASS gearbeitet. Noch vor
kurzem wurde ernsthaft überlegt, die dafür notwendige Technik und
Elektronik komplett aus China zu beschaffen. Laut Wirtschaftsmagazin „DeloNovosti“ sei dies aber vom Tisch. Ab 2018 sollen nahezu
alle Komponenten von russischen Herstellern kommen.
RFID- und NFC-Chips mit Exportpotenzial
Zu den wichtigsten russischen Herstellern von Mikrospeichern,
Rechenchips und Schaltkreisen gehören AFK Sistema und NIIME/
Mikron. Der Marktanteil von Mikron beträgt 14 Prozent. Mikron lieferte 2014 unter anderem 2,8 Millionen Mikrochips zur Bestückung
von biometrischen Reisepässen. An Unternehmen des städtischen
Personentransports wurden 300 Millionen elektronische Fahrkarten
verkauft. Ins Ausland gingen 713 Millionen RFID- und NFC-Chips.
PC-Produktion ab 2016
Die Produktion von Personalcomputern (Tablett und Desktop) und
Servern wollen die beiden Hersteller Kraftway und Aquarius im Jahr
2016 steigern. Dabei planen sie, weitgehend auf ausländische Bauteile zu verzichten. Als Rechenchip wird zwar die in Taiwan gefertigte Baureihe Elbrus bevorzugt. Doch wurde die Architektur dazu in
Russland entworfen.
Projekte in der Elektronikindustrie
Privates Unternehmen /
staatlicher Betreiber
Projekt
Investitionssumme
OPK (www.opkrt.ru) und
T-Platformy (www.t-plattforms.ru)
Serienfertigung von Mikroprozessoren Elbrus 8C- und Elbrus 16C- /
Selenograd
k.A.
OPK (www.opkrt.ru)
Entwicklung elektronischer Komponenten zum Einbau in Medizintechnik (Bluttransfusion, Neurologie, Kardiologie und Chirurgie)
k.A.
Help (www.kurskhelp.ru)
Herstellung von Elektronenmikroskopen / Skolkovo
1,5 Mrd. Rubel
Rostelecom (www.rostelecom.ru)
und Rosenergoatom
(www.rosenergoatom.ru)
Bau eines Datenverarbeitungzentrums / Gebiet Twer
960 Mio. US-Dollar
Huawei im Auftrag von Akado
(www.akado.ru)
Bau eines Datenverarbeitungszentrums / Moskau
7 Mio. US-Dollar
Wechselkurs der Zentralbank der RF vom 26.10.2015: 1 US$ = 62,7888 Rubel
Quelle: Recherche von Germany Trade and Invest
14
I T / T E L E K O M M U N I K AT I O N
MARKT FÜR
INTERNETDIENSTE
WÄCHST WEITER
Der russische Markt für Dienstleistungen, Spiele und
Werbung im Internet wächst weiter, obschon mit verringerter Dynamik. Der Markt für IT-Hardware hingegen schrumpft. Unternehmen nutzen die Technik,
die sie haben. Auch Russlands Telekomriesen drosseln ihre Investitionen. Neue Projekte werden rarer.
Ausnahme: Datenverarbeitungszentren. Seit Daten
russischer Kunden in Russland gespeichert werden
müssen, investieren immer mehr Firmen in Rechenzentren. / Von Bernd Hones
Der russische IT-Markt ist 2014 um 15 Prozent auf ein Volumen von
deutlich unter 30 Milliarden US-Dollar zurückgegangen. Und 2015
weiter um 15 bis 18 Prozent auf 23 Milliarden US-Dollar gesunken,
schätzen die IT-Marktexperten von IDC. Das heißt: Die fetten Jahre
sind vorbei. Treiber des Marktes waren über die vergangenen 15
bis 20 Jahre Investitionen in die IT-Infrastruktur beziehungsweise
in die IT-Grundausstattung der Unternehmen. Bereits in den letzten
Jahren floss der überwiegende Teil der Ausgaben der Firmen in den
Erhalt bereits bestehender IT-Systeme.
Internet-Dienstleistungen stark gefragt
Immer mehr Menschen in Russland nutzen Internet und zwar schnelles Internet. Rund 29 Millionen Russinnen und Russen hatten zum
Ende des 2. Quartals 2015 einen Breitbandanschluss, so Telecom
Daily. Das waren vier Prozent mehr als im 2. Quartal des Vorjahres.
Auch die Ausgaben für die Nutzung des Internets steigen. Diese betrugen 2014 rund 1.500 Milliarden Rubel (knapp 30 Milliarden Euro;
EZB-Jahreswechselkurs 2014: 1 Euro = 50,95 Rubel). Auch 2015
und 2016 werden Zuwächse erwartet, allerdings nicht mehr so hohe
wie in den Vorjahren.
Russische Gamer haben 2014 rund 41 Milliarden Rubel für Computerspiele ausgegeben. Im Jahr 2015 waren es schätzungsweise
14 Prozent mehr. Der Markt für Kontext-Reklame wuchs 2014 um 23
Prozent auf 70 Milliarden Rubel und dürfte 2015 um weitere 14 Prozent zugelegt haben, schätzt das IT-Marktforschungsunternehmen
RAEK. Die Nachfrage nach Werbeclips im Internet ist 2015 um etwa
17 Prozent auf 4,4 Milliarden Rubel gestiegen.
Bauboom bei Rechenzentren
Betreiber von Rechenzentren in Russland haben Hochkonjunktur.
Seit 1. September 2015 müssen Daten russischer Kunden in Russland gespeichert werden. Das führt zu einer erhöhten Nachfrage
und zu einem regelrechten Bauboom bei Rechenzentren. In Sibirien
wollen die Holding En+ Group von Oligarch Oleg Deripaska, der Integrator Lanit und der chinesische Telekomausrüster Huawei in ein
neues Datenverarbeitungszentrum investieren. Die Ausrüstung für
das 355 Millionen US-Dollar teure Projekt soll von Huawei kommen.
Der staatliche Telekommunikationskonzern Rostelekom hat bereits
Ende 2014 angekündigt, ein Netz von Rechenzentren für mehr als
850 Millionen US-Dollar bauen zu wollen. Es geht um den Bau zweier großer und sieben kleiner Datenspeicher- und -verarbeitungszentren. Bislang mietet Rostelekom Rechenkapazitäten bei der Firma
Safedata.
Der Mobilfunkriese MTS betreibt in Russland sechs Rechenzentren.
Davon nutzt der Konzern fünf Rechenzentren für seine eigenen Da-
15
B R A N C H E N C H E C K 2 / 2 0 1 5 | I T / T E L E K O M M U N I K AT I O N
ten; ein Rechenzentrum bietet Dienstleistungen zur Datenspeicherung und -verarbeitung am freien Markt an. Konkurrent Wympelkom
vermietet zehn Prozent der Kapazität seiner neun Rechenzentren
an externe Firmen. Andererseits: Weil das kommerzielle Angebot
an Rechenkapazitäten in Russland beschränkt ist, erwägen viele
ausländische Investoren und russische Firmen den Aufbau eigener
IT-Zentren. So etwa der südkoreanische Konzern Samsung.
Staat bevorzugt inländische Software-Anbieter
Ab 1. Januar 2016 tritt ein neues Gesetz in Kraft, wonach der Bedarf
der öffentlichen Hand an Software vorrangig über einheimische Produkte gedeckt werden soll. Beamte müssen ausdrücklich begründen, wenn sie ausländische Software anschaffen wollen. Das wird
Programmierern in Russland neuen Auftrieb geben.
Auch ohne staatliche Rückendeckung ist russische Software weltweit gefragt. Laut Russoft stiegen die russischen Software-Exporte
2014 um zehn Prozent auf 5,7 Milliarden US-Dollar. Für 2015 prognostiziert die Firma sogar einen Anstieg der Ausfuhren um bis zu
20 Prozent auf knapp sieben Millliarden US-Dollar.
Mobilfunkkonzerne investieren weniger
Russlands Mobilfunkbetreiber werden in den kommenden Jahren
weniger in den LTE-Ausbau investieren als bislang. Die Gründe: Erstens verlieren sie Kunden. Zweitens hat der Rubel massiv an Wert
eingebüßt und Telekomausrüstung ist teuer geworden. Drittens haben sie in den vergangenen Jahren bereits kräftig investiert. So beendete MTS 2015 in Moskau den Bau eines passiven Glasfaserkabel-Netzes. Auch die Konkurrenten Megafon, Vympelkom und Tele2
investieren weiter, achten aber nach eigenen Angaben verstärkt auf
die Zielgerichtetheit ihrer Investments. Das heißt: In den kommenden
Jahren sinken die Ausgaben tendenziell.
16
Projekte in der Informationstechnik und
Telekommunikation
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
MTS
Ausbau der Mobilfunknetze
(LTE), Ausbau des eigenen
Filialnetzes (2016 bis 2017)
165 Mrd.
Rubel
Staatsunternehmen
Netz von Datenzentren für
staatliche Strukturen (2015
bis 2017)
102 Mrd.
Rubel
Optikowolokonnyje Sistemy
Fabrik zur Produktion von
Glasfaserkabeln in Saransk
2,7 Mrd.
Rubel
Help
Werk zur Herstellung von
Elektronen-Mikroskopen
1,5 Mrd.
Rubel
Rostelekom und DatenverarbeitungszenRosenergo
trum im Gebiet Twer
960 Mio.
US-Dollar
Mikron
800 Mio.
US-Dollar
Werk zur Chip-Produktion
in Selenograd (bei Moskau)
Wechselkurs der Zentralbank der RF vom 23.10.2015: 1 US$ = 62,7888 Rubel
Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherche von Germany Trade and
Invest
I T / T E L E K O M M U N I K AT I O N
Pressedienst
SAP CIS
Das am 1. Januar 2016 in Kraft tretende Gesetz wird Auswirkungen haben – auf die SAP wie auch auf andere Mittbewerber im russischen IT-Markt.
Die Gründe für die Änderungen der Gesetzeslage sind klar: Sie soll lokale
Anbieter stärken und dazu beitragen, die technologische Unabhängigkeit
Russlands zu fördern.
Unsere Priorität auf dem russischen Markt liegt weiterhin darin, im Rahmen
der gesetzlichen Gegebenheiten erfolgreich mit unseren Kunden vor Ort
zusammenzuarbeiten. Dies ist seit 20 Jahren so. Über die Jahre haben wir in
unsere Partner und unser Ökosystem investiert. Wir haben bereits mehr als
20 Millionen Euro in unser Rechenzentrum in Russland investiert.
Russland ist einer unserer strategischen Märkte. Zukünftige Investitionsentscheidungen nehmen wir basierend auf einer Analyse der Bedürfnisse
unserer Kunden, der Nachfrage und den gesetzlichen Gegebenheiten vor.
17
BRANCHENCHECK 2/2015 | LANDWIRTSCHAFT
RUSSLAND INVESTIERT
MILLIARDEN IN DIE
EIGENE LANDWIRTSCHAFT
se betragen 2015 und 2016 jeweils 273 Milliarden Rubel. Dafür steigen die Preise für Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmittel ständig.
Im Ergebnis profitieren kleine Landwirtschaftsbetriebe in Russland
nicht von den Lebensmittelsanktionen und den Subventionen. Die
Folge: Immer mehr der 30 Millionen Landbewohner ziehen in größere Städte. Jedes Jahr fliehen 1,5 Millionen Menschen aus ihren
Dörfern, beklagt Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow.
Russland schottet seinen Markt für landwirtschaftliche Produkte durch Lebensmittelsanktionen ab.
Gleichzeitig stützt Russland die eigene Landwirtschaft mit 237 Milliarden Rubel – sowohl 2015 wie
auch 2016. Es profitieren bislang jedoch nur große
Agrarholdings. Kleine Bauern gehen meist leer aus.
Damit deren Produkte künftig auch beim Endverbraucher in den größeren Städten landen, entstehen Dutzende von Großhandelsverteilzentren. Ein
Schwerpunkt der Förderung liegt zudem auf der
Milch­erzeugung. / Von Bernd Hones
Investitionen in Logistik- und Verteilzentren für Agrarerzeugnisse
Eine wirkliche Hilfe wären Logistik- und Verteilzentren. In diesen
könnten die Erzeugnisse der Kleinbauern nicht nur gelagert, sondern
auch verpackt, vertrieben und vermarktet, teilweise sogar weiterverarbeitet werden. Zurzeit gibt es eine ganze Reihe solcher Projekte.
In der Region Rostow will die Holding Rosagromarket auf 200 Hektar ein entsprechendes Zentrum bauen. Für neun Milliarden Rubel
(knapp 131 Millionen Euro; EZB-Wechselkurs vom 26.10.2015: 1
Euro = 68,80 Rubel). Darüber hinaus will Rosagromarket in sieben
weitere Zentren investieren: drei in der Region Moskau und jeweils
eins in Nowosibirsk, Wladiwostok, Tatarstan und Jekaterinburg. Die
Gesamtkosten belaufen sich auf 500 Millionen bis 700 Millionen USDollar. Rosagromarket ist ein Joint Venture des Investmentunternehmens Proxima Capital Group und des Developers Jermak.
In Russland gibt es 20 Millionen Kleinbauern. Die meisten davon
sind Selbstversorger und verkaufen ihre Überschüsse bestenfalls
in der Nachbarschaft. Trotzdem: Diese Kleinbauern produzieren
52 Prozent aller Lebensmittel im größten Land der Welt. Das sagt
Wladimir Plotnikow, Präsident des Verbandes der Bauern und Agrargenossenschaften. Doch den meisten dieser Minibetriebe fehlt
der Zugang zum russischen Lebensmittelmarkt. Umso wichtiger sei
der Aufbau moderner Großhandels- und Verteilzentren in den russischen Regionen. Nur über solche Zentren könne der Zugang zu
den großen Einzelhandelsketten und Lebensmittelkonzernen des
Landes sichergestellt werden, so Plotnikow.
Dabei hätten die Kleinbauern Hilfe dringend nötig. Bei ihnen kommen die üppigen Subventionen für die Landwirtschaft nicht an. Die-
18
Direkt am Moskauer Autobahnring entsteht ein Logistikzentrum für
Gemüse und Obst aus dem Nordkaukasus – Kosten 3,2 Milliarden
Rubel. Investoren sind die Vneschekonombank (VEB) und der Fonds
GVA Capital von Magomed Musajew. In dem neuen Logistikzentrum
sollen täglich 4.000 Tonnen Waren umgeschlagen werden können.
Gewächshäuser schießen wie Pilze aus dem
Boden
Anfang 2015 gab es in Russland Gewächshäuser auf einer Fläche
von 2.150 Hektar. Und es werden immer mehr. Allein in der Region
LANDWIRTSCHAFT
Stawropol sollen 2015 sechs neue Treibhäuser mit einer Gesamtfläche von 130 Hektar fertiggestellt werden. Auch Russlands größter
Salathersteller „Belaja Datscha“ plant neue Gewächshäuser.
Bei der Milchproduktion ringen eine Reihe von Agrarholdings um
die Marktführerschaft. Zurzeit liegt ein Deutscher mit seinem Unternehmen auf dem 1. Platz: Stefan Dürr mit seiner Firma Ekosem-
Agrar GmbH. Ekosem hat die Erzeugung 2014 um 28 Prozent auf
153.700 Tonnen erhöht und will die Anzahl der Milchkühe bis Ende
2015 auf 25.000 Stück erhöhen. Ob das reicht, die nächstgrößeren
Milcherzeuger „Krasny wostok agro“ und „Rusmoloko“ auf Distanz
zu halten, ist unklar. „Krasny wostok agro“ zählt 27.100 Milchkühe,
erzeugt mit 140.920 Tonnen allerdings weniger Milch als EkosemAgrar.
Projekte in der russischen Landwirtschaft
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
Mir Holding (Türkei)
Gewächshausanlage und Logistikzentrum / Tatarstan
30 Mio. Euro
Belaja Datscha
Gewächshäuser auf sieben Hektar Fläche zum Anbau von Tomaten und verschiedenen Salate / Kislowodsk
22 Mio. Euro
Belaja Datscha
Saatgut-Komplex für mehr als 60 Millionen Pflanzen für Tomaten,
Auberginen, Gurken, Paprika, Kraut, Zucchini und andere
k.A.
ORZ Maksimicha
Großhandels-Verteilzentrum und Wohnungen für Arbeiter / Region
Moskau
40,0 Mrd. Rubel
Frigo mekanik und Nassan Gemüseanbau und Lagereinrichtungen und Verarbeitung / Region
(beide Türkei)
Wolgograd
3,5 Mrd. Rubel
SAO Objedinjonnaja
stroitelno-servisnaja kompanija
Überregionales Großhandels-Verteilzentrum mit Lagerkapazitäten
für 35.000 Tonnen Gemüse / Region Jaroslawl
2,4 Mrd. Rubel
Louis Dreyfus
Getreideterminal für 500.000 Tonnen pro Jahr, Silokomplex /
Rostow-am-Don
1,5 Mrd. Rubel
Michurinskaja Mukomolnaja Kompanija
Bau einer neuen Getreidemühle im Gebiet Tambov bis 2018:
Kapazität zur Verarbeitung von 1.300 Tonnen Getreide pro Tag,
Speicher für 3.250 Tonnen Mehl, Verladeterminal
k.A., Kredit der
Sberbank
EZB-Wechselkurs vom 26.10.2015: 1 Euro = 68,80 Rubel
Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherche von Germany Trade and Invest
19
BRANCHENCHECK 2/2015 | LANDWIRTSCHAFT
Dr. Heinrich Steins
Generaldirektor
John Deere Rus OOO
Die russische Landwirtschaft ist einer der Wirtschaftsbereiche, bei dem Importsubstitutionen einen gewissen Erfolg
gezeigt haben. Leider sind diese Erfolge wahrscheinlich eher
kurzfristiger Natur. Für einen echten strukturellen Wandel
benötigt es tatsächlich nachhaltige Veränderungen, wie z.B.
die aktive Teilnahme am globalen Handel.
Das Potential der Landwirtschaft Russlands ist weiterhin groß.
Notwendige Veränderungen müssen in den kommenden Jahren implementiert werden.
20
LEBENSMITTELINDUSTRIE
LEBENSMITTELPRODUKTION
WÄCHST TROTZ
WIRTSCHAFTSKRISE
Die Lebensmittelproduktion und -verarbeitung gehört
zu den wenigen Wachstumsbranchen in Russland. Ob
Fleisch, Milchprodukte oder Konserven – in Russland
gibt es trotz Wirtschaftskrise zahlreiche Investitionsprojekte. Neuester Trend: Agrarholdings investieren
in die Weiterverarbeitung ihrer Produkte, Einzelhandelsketten werden selbst zum Produzenten. Gleichzeitig drückt die grassierende Inflation die Kauflaune.
Größter Verlierer: Importeure von Lebensmitteln. / Von
Bernd Hones
Geflügel, Eier, Schweinefleisch – bei einigen Lebensmitteln kann
sich Russland mittlerweile selbst versorgen. Bei anderen ist das
noch nicht so. Deshalb gibt es Dutzende Projekte in nahezu allen
Sparten. Miratorg, Rusagro, Tscherkisowo und die Supermarktkette Auchan investieren in die Fleischproduktion und -verarbeitung.
Der Importstopp von Fleisch aus Sanktionsländern hat die lokale
Erzeugung zusätzlich beflügelt. Die Produktion von Schweinefleisch
in Russland ist 2015 um etwa 43.000 Tonnen auf 3.024.000 Tonnen gestiegen, meldet der russische Verband der Schweinemäster.
Gleichzeitig ging der Konsum um 39.000 Tonnen auf 3.369.000 Tonnen zurück. Die Importe sind um ein Viertel gesunken.
Einen ähnlichen Schub wünscht sich die Regierung auch für die
Fischwirtschaft. Russland will die Fischproduktion bis 2020 mehr als
verdoppeln auf 315.000 Tonnen. Dieses Ziel hat die russische Fischereibehörde Rosrybolowstwo in ihrem sektoralen Zielprogramm
„Entwicklung der Handels-Aquakulturen in der Russischen Föderation von 2015 bis 2020“ formuliert. Besonders im Zentralen Föderalbezirk sei die Nachfrage nach Meeresfrüchten und Fisch hoch. Von
Januar bis September 2015 ist die Produktion von tiefgefrorenem
Fisch um 11 Prozent und von Fischkonserven sogar um 26 Prozent
gestiegen. Dieses Wachstum könnte anhalten: Das Unternehmen
BaltRefServis plant eine Fabrik für Fischkonserven im Gebiet Kaliningrad für acht Millionen Euro.
Konzerne übernehmen komplette Wertschöpfungskette
Während früher die einen Nahrungsmittel produzierten und die anderen sich um den Handel kümmerten, verschmelzen die Rollen
in Russland immer mehr. Landwirtschaftskonzerne investieren zunehmend in die Lebensmittelverarbeitung. Teilweise bringen diese
Unternehmen ihre Produkte dann sogar unter eigenem Label auf
den Markt. Auch Einzelhandelskonzerne erschließen sich vielfach
eine weitere Stufe der Wertschöpfungskette: Sie investieren in die
Produktion oder die Verarbeitung von Lebensmitteln. Beispiele sind
Auchan, Hyperglobus und Magnit.
Russen kaufen weniger Lebensmittel
Russische Konsumenten müssen krisenbedingt den Gürtel enger
schnallen – billigere Lebensmittel, weniger Getränke, weniger Alkohol. In erster Linie sparen sie an Importwaren. Im 1. Halbjahr 2015
sind die Importe von Lebensmitteln um fast 40 Prozent auf 12,2 Milliarden US-Dollar gesunken. Zum Vergleich: Die Einfuhren von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln beliefen sich 2014
noch auf knapp 40 Milliarden US-Dollar. Nach Angaben des deutschen Bauernverbands haben sich die Exporte von Deutschland
nach Russland seit Einführung der Sanktionen auf 900 Millionen
Euro halbiert.
21
BRANCHENCHECK 2/2015 | LEBENSMITTELINDUSTRIE
Das liegt in erster Linie an den russischen Lebensmittelsanktionen.
Aber sicher auch an der Kaufkraft. Die Realeinkommen sind in den
ersten drei Quartalen 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um
neun Prozent gesunken. Den russischen Verbrauchern macht zudem die exorbitante Inflation auf Lebensmittel zu schaffen. Von Januar bis September 2015 stiegen die Preise auf diese Produktgruppe um 22 Prozent. Nudeln verteuerten sich um 22 Prozent, Fleisch
um 18 Prozent, Fisch um 30 Prozent. Sonnenblumenöl wurde um
15 Prozent teurer und Zucker um 44 Prozent. Sprich: Die Lebensmittel werden immer teurer – bei immer schmaleren Einkommen.
Die Folge: Russische Konsumenten kaufen nur noch das Nötigste –
und davon das billigste. Umso erstaunlicher wirkt die Projektflut in
Russlands Lebensmittelindustrie.
Projekte zur Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
Miratorg
Produktionserweiterung auf sieben Millionen Schweine pro Jahr
100 Mrd. Rubel
Auchan
Betrieb zur Verarbeitung von Schweine-, Rind- und Lammfleisch /
Tambow
2,5 Mrd. Rubel
Merci Invest Group
Schweinefarm für 54.000 Sauen, Schlachtanlage, Fleischverarbeitung / Republik Sacha (Jakutien)
k.A.
Uroschai
Rinderfarm für 2.400 Milchkühe und Schlachtkapazitäten für fünf
Tonnen Fleisch am Tag / Gebiet Rostow
80 Mio. Euro
(2016 bis 2020)
OOO Solnze Mexiko
Fabrik für mexikanische Kartoffelchips / Gebiet Moskau
3,1 Mrd. Rubel
(50 Mio. US-Dollar)
SAO Tander
Werk für Müsli, Snacks, Eis, Fischprodukte / Region Krasnodar
bis zu 300 Mio. Euro
OAO Bulotschno-konditer- Neue Back- und Süßwarenfabrik, Fertigstellung: Ende 2016 /
ski kombinat
Kasan (Republik Tatarstan)
55 Mio. Euro
OOO Krasnaja sarja
Modernisierung Süßwarenfabrik / Iwanowo
35 Mio. Euro
SAO Megakon
Marmeladenfabrik bis 2017 / Kursk
3,5 Mio. Euro
Wechselkurs der Europäischen Zentralbank vom 26.10.2015: 1 Euro = 68,80 Rubel
Quellen: Russische Wirtschaftszeitungen, Recherchen von Germany Trade & Invest
22
LEBENSMITTELINDUSTRIE
Unter aktuellen Bedingungen seit der Einführung des Lebensmittelembargos setzt Metro
Cash & Carry bei der Suche nach Lieferanten auf lokale Hersteller: 94 Prozent der Fleischproduktion und 96 Prozent der Milchprodukte bei uns stammen aus Russland. In den
letzten zwei Jahren haben wir 400 Hersteller aus den russischen Regionen als neue Lieferanten dazu gewonnen. Sollte aber doch dieses oder jenes Produkt auf dem russischen
Markt fehlen, ziehen wir unsere Lieferanten aus nicht sanktionierten Ländern hinzu: Wir
bekommen innerhalb unseres weltweiten METRO-Netzes Unterstützung.
Alexey Grigoriev
Vizepräsident Corporate
Public Policy METRO AG,
Leiter der Repräsentanz der
METRO AG in Moskau
23
BRANCHENCHECK 2/2015 | MASCHINENBAU
MASCHINENMARKT
VERLIERT AN
ATTRAKTIVITÄT
Russland – einst viertgrößter Absatzmarkt weltweit
für den deutschen Maschinenbau – drosselt die Einfuhren. Ölpreisverfall, Rubelabwertung, Finanzsanktionen und die verschlechterte geopolitische Lage
führten 2014 und 2015 zu einem Einbruch der Investitionen. Dieser Trend dürfte 2016 anhalten. Im Außenhandel orientiert sich Russland nach Asien um
und setzt auf Importsubstitution. Um Marktanteile zu
bewahren, sollten deutsche Hersteller Möglichkeiten
zur Lokalisierung prüfen. / Von Ullrich Umann
Die Produktion im russischen Maschinenbau sinkt. Von Januar bis
September 2015 fiel der Ausstoß von Maschinen und Ausrüstungen um 13,4 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum, meldet Rosstat. Sowohl Privatunternehmen als auch der
russische Staat investieren bereits seit 2012/13 immer weniger und
fragen spürbar weniger Investitionsgüter nach.
Finanzsanktionen der EU führen zur Drosselung der Einfuhren
Eine bessere Entwicklung des russischen Maschinenmarktes wird
nicht nur durch die anhaltende Investitionsschwäche verhindert,
sondern auch durch die Finanzmarkt-, Produkt- und Unternehmenssanktionen der Europäischen Union (EU) gegen Russland. Bei der
Annahme und Verlängerung der Sanktionen hat in der EU stets das
24
Primat der Politik vorgeherrscht. Als Gegenreaktion kam dieses
Prinzip auch in Russland zum Tragen, wodurch sich dessen Außenhandelspolitik veränderte.
Russland orientiert sich nach Asien um und
setzt auf Importsubstitution
Die öffentliche Hand und staatliche Unternehmen (in staatlichem
Eigentum zu 100 Prozent oder mit staatlicher Kapitalbeteiligung)
dürfen ausländische Maschinen nur noch dann anschaffen, wenn
es keinen Anbieter gleichwertiger Produkte in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) gibt. Potenzielle Maschinenkunden aus dem
russischen Staatssektor warten das Geschehen ab und halten sich
vorerst an die Vorgaben des Ministeriums für Industrie und Handel,
wonach – falls es keinen Anbieter in der EAWU gibt – alternative
Maschinenlieferanten in Asien zu suchen und unter Vertrag zu nehmen seien.
Dennoch schlug sich das nicht positiv in den russischen Importen
aus Asien nieder. Vielmehr bekommen die asiatischen Firmen die
Finanzknappheit in Russland genauso zu spüren wie europäische
Anbieter. Die russischen Einfuhren von Waren aller Art aus China gingen von Januar bis September 2015 um 32,8 Prozent auf
25,5 Milliarden US-Dollar zurück. Die Einfuhren aus Korea (Rep.)
brachen um 51,6 Prozent ein, aus Japan um 40,8 Prozent und aus
Taiwan um 27,3 Prozent. Zum Vergleich: Die russischen Einfuhren aus Deutschland sanken um 40,5 Prozent auf 14,9 Milliarden
US-Dollar. Dabei fielen die deutschen Maschinenlieferungen nach
Russland in den ersten drei Quartalen 2015 um 26,7 Prozent, so der
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Einzige
Lichtblicke: Bei Holzbearbeitungsmaschinen (+14,3 Prozent) und
Kompressoren, Druckluft- und Vakuumtechnik (+29,4 Prozent) stieg
der Verkauf nach Russland.
MASCHINENBAU
Russische Privatunternehmen halten sich mit Investitionen zurück
Für die russische Privatwirtschaft ist das Investitionsrisiko aktuell zu
groß – angesichts der hohen Finanzierungskosten, der fragilen geopolitischen Lage und der äußerst ungewissen Absatzaussichten.
Da private Unternehmen in vielerlei Hinsicht von Entscheidungen
der Politik, öffentlichen Aufträgen, staatlichen Subventionen und
Zuschüssen abhängig sind, halten auch sie sich an die neuen handelspolitischen Vorgaben der Regierung.
Die Unternehmen häufen ihre Rubelgewinne lieber auf den Geschäftskonten an, um Verbindlichkeiten weiterhin fristgemäß bedienen zu können, anstatt zu investieren. Die jahrelange Praxis, wonach
Maschinen- und Anlagenimporte über westliche Kredite finanziert und
die Restbeträge beizeiten wieder umgeschuldet wurden, erfuhr durch
die EU-Finanzsanktionen Mitte 2014 ein abruptes Ende.
Produktionsergebnisse für ausgewählte Maschinenbauprodukte
(Veränderungen in % von Jan. bis Sep. 2015 ggü. Jan. bis Sep. 2014)
Art der Maschine oder Ausrüstung
(Verände­
rungen in %)
Art der Maschine oder Ausrüstung
(Verände­
rungen in %)
Mechanische Ausrüstungen
-0,5
- Schmiedepressen
34,4
- Gasturbinen (1.000 kW)
-12,1
31,6
- Flüssigkeitspumpen (1.000 Stück)
1,2
- Kugellager (Mio. Stück)
-2,0
- Maschinen und Hämmer zum Schmieden oder
zum Stanzen; hydraulische Pressen, Pressen zur
Metallbearbeitung
Sonstige Ausrüstungen für allgemeine Zwecke
-24,2
- Maschinen zur Holzbearbeitung
7,4
- Ausrüstung für die Erdölverarbeitung: Röhrenerhitzer (Öfen; Mio. Rubel)
46,5
Spezialmaschinen und -ausrüstungen
-4,8
- Bohrtechnik zur Rohstoffexploration (Kompl.)
-28,6
- Brückenkräne, elektrische (Stück)
-27,2
- Selbstfahrende Planierraupen (Stück)
-40,6
- Gabelstapler (Stück)
-37,9
- Ausrüstungen zur Milchverarbeitung (Mio. Rubel)
21,1
- Kühlvitrinen und -theken (1.000 Stück)
-7,6
-6,7
Land- und Forstmaschinen (Stück)
-19,5
- Maschinen zur Papier- und Kartonherstellung
(Mio. Rubel)
- Traktoren
-32,7
Haushaltsgeräte (1.000 Stück)
-6,6
- Mähanhänger für Traktoren
13,6
- Kühl- und -gefrierschränke
-19,1
- Mähdrescher für die Getreideernte
-27,9
- Waschmaschinen
-13,2
- Futterschneidemaschinen (Futterreißer)
7,0
- Elektroheizgeräte (Mio. Stück)
24,8
Werkzeugmaschinen (Stück)
8,9
- Gaskochplatten/-herde
19,8
- Maschinen zur Metallbearbeitung
-10,8
Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat, Moskau, 2015
25
BRANCHENCHECK 2/2015 | MASCHINENBAU
Deutscher Maschinenbau bleibt nicht
chancenlos
sind, Vorhaben zur Ansiedlung ausländischer Investoren und Projekte
zur Herstellung von Gütern zwecks Importsubstitution.
Russland ist durch den starken Absatzeinbruch auf Rang 11 der wichtigsten Maschinenmärkte für deutsche Firmen abgerutscht. Für die
Aussichten deutscher Maschinenhersteller gilt: Russische Kunden
führen ihre laufenden Projekte zur Modernisierung stark abgenutzter Produktionslinien oder zur Kapazitätserweiterung fort. Dagegen
werden so gut wie keine neuen Projekte angestoßen. Positive Ausnahmen bilden Branchen, die durch Einfuhrstopps oder staatliche
Ausschreibungsvorschriften vor ausländischer Konkurrenz geschützt
Zu den vor Importkonkurrenz geschützten Branchen gehören die
Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie. Deshalb sind Landtechnik, Molkereiausrüstungen, Verarbeitungs- und Verpackungsmaschinen für die Nahrungsmittelindustrie sowie Kühlanlagen
verstärkt gefragt. Für Zulieferer von Komponenten können die russischen Hersteller von Technik für die Landwirtschaft interessante
Abnehmer sein, weil viele ihre Produktion in den ersten neun Monaten 2015 steigern konnten.
Projekte zur Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
Gazpromneftechimsalawat (www.gpns.ru)
Modernisierung und Ausbau des Petrochemiewerks in Salawat
(Republik Baschkortostan)
1 Mrd. Euro
Gouverneursamt von Uljanowsk
Ausbau Industriepark „Sawolschje“ zu einem Cluster für
Werkzeugmaschinen. DMG Mori Seiki nahm im September 2015
den Betrieb auf. Bis zum Jahr 2020 soll die Firmenzahl auf 12
und der Lokalisierungsgrad auf 70 Prozent steigen
300 Mio. Euro
AO NPK Uralwagonzawod (www.uvz.ru) und
Azar Kia Industrial and Trading Group
Joint Venture zur Montage von 3.000 (2016) bis 12.000 (2020)
Waggons in Nischni Tagil. Fahrgestelle werden aus Iran geliefert
k.A.
Dongfeng Yangtze Hong Kong Limited und
OOO PK Signal-Masch
Joint Venture zur Montage von Bussen (Region Saratow)
100 Mio. US-Dollar
(93,3 Mio. Euro)
Gouverneursamt von St. Petersburg, Rosseti,
Lenenergo, GUP Gorelektrotrans und OAO Akkumulatornaja kompanija Rigel (www.rigel.ru)
Joint Venture zur Produktion von E-Mobilen
50 Mio. US-Dollar
(46,7 Mio. Euro)
Genborg (www.genborg.com)
Produktion asynchroner Elektromotoren in Usman (Region
Lipezk)
bis zu 300 Mio.
Euro
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest
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MEDIZINTECHNIK
Für die Öl- und Gaswirtschaft werden zurzeit die Kapazitäten für
Bohr- und Transporttechnik in Russland ausgebaut. Auch im russischen Werkzeugmaschinenbau wird die Politik der Importsubstitution umgesetzt.
Gewahrt bleiben für deutsche Hersteller – wenngleich im geringeren
Ausmaß als in den Vorjahren – die Absatzchancen bei Anlagen für
die Kunststoff- und Petrochemie und bei Antriebstechnik. Um ihre
Marktanteile zu halten, sollten deutsche Maschinenbauer prüfen,
inwieweit sich eine Montage ihrer Maschinen und Ausrüstungen in
Russland lohnen könnte.
Igor Gubanov
Leiter der Moskauer Repräsentanz
SMS group GmbH
Die weiterhin auf niedrigem Niveau befindliche Stahlnachfrage sowie der niedrige Rubelkurs haben die Investitionen
der russischen Stahlindustrie auch im Jahr 2015 negativ beeinflusst. Investitionen in Neuanlagen sind in der
Zukunft laut Aussagen der Stahlproduzenten in Russland
nicht zu erwarten. Vielmehr werden Investitionen in die
Erhöhung der Effizienz und Kostenreduzierung den Markt
beherrschen.
Darüber hinaus wird die Kreditvergabe durch russische
Banken durch die Sanktionierung der langfristigen Refinanzierungsmöglichkeiten aus der EU stark beeinträchtigt.
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BRANCHENCHECK 2/2015 | MEDIZINTECHNIK
MARKT FÜR MEDIZINTECHNIK WÄCHST ERST
AB 2018 WIEDER
trug das Marktvolumen 199,6 Milliarden Rubel (3,02 Milliarden Euro)
laut gleicher Quelle. Mit einer spürbaren Erholung der öffentlichen
Gesundheitsausgaben rechnen die Experten nicht vor 2018. Aufgefangen werden die staatlichen Ausgabenkürzungen – wenigstens
teilweise – durch die Zulassung und inzwischen sogar Förderung
privater Initiative in der Gesundheitsfürsorge.
Der Markt für Medizintechnik schrumpft 2015 um
bis zu zehn Prozent im Wert. Die Importe, darunter
aus Deutschland, sinken noch schneller. Aufgrund
der angespannten Haushaltslage sind Kürzungen
im Gesundheitswesen unausweichlich. Vor 2018 ist
nicht mit einer spürbaren Konjunkturbesserung zu
rechnen. Vorsichtiger Optimismus geht vom kleinen,
aber stetig wachsenden Privatsektor für medizinische Dienstleistungen aus. / Von Ullrich Umann
Ab 2017/18 könnte ein erheblicher Austauschbedarf zu neuem Wachstum führen
Das russische Gesundheitswesen benötigt eine Billion Rubel
(14,24 Milliarden Euro, Wechselkurs 1 Euro = 70,2124 Rubel, Stand:
28.10.2015) allein für Reparaturarbeiten an Gebäuden und zur Beschaffung von Medizintechnik. Mit dieser Zahl wartete der stellvertretende Gesundheitsminister Sergej Krajewoj Anfang Oktober 2015 auf.
Private Gesundheitsprojekte als
Hoffnungsträger
Russischer Markt schrumpft 2015 und 2016
Trotz des hohen Austausch- und Modernisierungsbedarfs sinkt das
Marktvolumen für Medizintechnik in Russland. So führten Haushaltsprobleme bereits 2014 und 2015 zur Kürzungen der Gesundheitsausgaben auf allen Verwaltungsebenen. Die Minderbeschaffungen gingen vorrangig zu Lasten der Importe.
Das auf Medizintechnik spezialisierte Marktforschungsunternehmen
NTZ Meditex geht für 2015 von einem Schrumpfen des Marktes für
Medizintechnik um sieben bis zehn Prozent aus. Im Jahr 2014 be-
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Im Zeitraum 2017/2018 endet die höchstzulässige Betriebsdauer
vieler Hochtechnologiegeräte, die in den Jahren verstärkter Investitionen in die Medizintechnik von 2011 bis 2013 angeschafft wurden.
Daher entsteht im besagten Zeitraum ein erheblicher Reparaturund Austauschbedarf. Dieser Sachverhalt bietet Herstellern von
Medizintechnik Anlass zur Hoffnung.
Das Gesundheitsministerium erhofft sich zudem 250 Milliarden Rubel (3,6 Milliarden Euro) Investitionen von privaten Unternehmen,
die Aufgaben der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Rahmen
von Konzessionen übernehmen können. Dabei kommt es nach
den Worten des stellvertretenden Gesundheitsministers nicht auf
die Quantität, sondern auf die Qualität der Gesundheitsdienstleistungen an. Durch private Initiative soll keine unnötige Konkurrenz
zwischen bestehenden Einrichtungen geschaffen, sondern das Niveau der Gesundheitsfürsorge in den russischen Regionen erhöht
werden. Die regulative Grundlage bildet das 2005 verabschiedete
und 2015 reformierte Gesetz über Konzessionen.
Aktuell sind 25 Konzessionsverträge auf regionaler Basis und
15 Vereinbarungen im Rahmen von öffentlich-privaten Vorhaben
MEDIZINTECHNIK
geschlossen. In allen Fällen rechnen private Einrichtungen ihre
Dienstleistungen mit der gesetzlichen Krankenpflichtversicherung
OMS gemäß Tariftabelle ab. Alle Dienstleistungen, die von der Bevölkerung darüber hinaus abgerufen werden, sind privat zu begleichen – zu entsprechend höheren Preisen. Zu finden sind private
Einrichtungen in den Bereichen Onkologie, Rehabilitation, Dialyse
und Geburtenvorsorge.
Die langsam steigende Zahl privater Vorhaben gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Hier gelten die öffentlichen Beschaffungsregeln nicht oder zumindest nur dann, wenn von staatlichen Zu-
schüssen Gebrauch gemacht wird. Denn bei Ausschreibungen der
öffentlichen Hand für das Gesundheitswesen können ausländische
Anbieter von Medizinprodukten und -technik aktuell nur noch zum
Zuge kommen, wenn sich nicht mindestens zwei Anbieter aus der
Eurasischen Wirtschaftsunion beteiligen. Deshalb haben deutsche
Hersteller von Medizintechnik nur dann Absatzchancen, wenn ihre
Produkte Alleinstellungsmerkmale aufweisen. Dazu gehören Ausbildungshilfen für Bedienungspersonal, turnusmäßige Wartungsleistungen während der Betriebslaufzeit oder – was aktuell besonders wichtig erscheint – Finanzierungslösungen.
Projekte zur Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
Gesundheitsministerium der Republik Sacha
(Jakutien)
Bau eines Onkologischen Zentrums
4,0 Mrd. Rubel
PET-Technology-Rosnano (www.pet-net.ru,
Bau von zwei Onkologischen Zentren in Balaswww.rosnano.ru) und Regierung des Moskauer chicha und Podolsk
Gebiets
1,0 Mrd. sowie
1,9 Mrd. Rubel
Rosnano (www.rosnano.ru),
Rosatom (www.rosatom.ru),
Föderale Universität des Fernen Ostens
Bau eines Tomographiezentrums (Wladiwostok)
2,5 Mrd. Rubel
Russisch-chinesisches Unternehmen
Snabpolimer-Medizina
Produktion von Einwegspritzen und Kunststoffprodukten zur Transfusion und Lagerung von
Blut (Nischni Nowgorod)
1,4 Mrd. Rubel
Medtechnopark (www.imtcenter.ru) und
Gesundheitsministerium der RF
Industriepark für Medizintechnik (Nowosibirsk)
1,0 Mrd. Rubel
General Electric Healthcare und Regierung
des Moskauer Gebiets
Produktion von Diagnoseausrüstung für Herz-,
Gefäß- und Krebserkrankungen
1,0 Mrd. Rubel
Quelle: Recherche von Germany Trade and Invest
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B R A N C H E N C H E C K 2 / 2 0 1 5 | U M W E LT T E C H N I K
FESTMÜLLVERWERTUNG
MAUSERT SICH ZUM
GESCHÄFTSFELD IN
RUSSLAND
Umwelttechnik ist in Russland aufgrund der aktuellen
Wirtschaftskrise nur schwer verkäuflich. Die Kunden – Regionen, Städte und Gemeinden – haben eklatante Finanzierungsprobleme. Unterdessen wachsen
die Müllberge weiter. Mancherorts stellen sie eine
ernsthafte Umweltbedrohung dar. Was die Ökonomie
nicht schafft, erzwingt daher die Natur: Investitionen
der öffentlichen Hand in die nachhaltige Festmüllentsorgung. / Von Ullrich Umann
Die Festmüllverwertung wird vielleicht doch noch „Big Business“ in
Russland. Nach Jahren des Stillstands in der Abfallbranche will das
Moskauer Gebiet den Anfang machen. Im Laufe von fünf Jahren
sollen 15 Wärmekraftwerke gebaut werden. Die Besonderheit bei
diesen Anlagen besteht darin, dass sie zum Verfeuern von Festmüll
geeignet sind. Im Ergebnis sollen 80 Prozent weniger Abfälle auf
Deponien landen.
Eine entsprechende Absichtserklärung wurde im Juni 2015 zwischen dem Moskauer Gebiet und einem Joint Venture aus der
Staatsholding Rostec und dem japanisch-schweizerischen Unternehmen Hitachi Zosen Inova unterzeichnet. Zur ausreichenden
Versorgung der Kraftwerke mit Brennstoff ist vorgesehen, ein an die
regionale Spezifik angepasstes System zum Sammeln und Transportieren von Abfällen zu entwickeln.
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Hohe Kosten behindern Umweltprojekte
Dass es sich bei diesem Vorhaben der Region Moskau vorrangig
um eine umweltpolitische und weniger um eine kommerzielle Entscheidung handelt, wird daraus ersichtlich, dass Hitachi Zosen Inova vor Ablauf aller Planungen nicht einmal in der Lage sein wird, die
Kosten pro Anlage genau zu beziffern. Die Region hat sich dennoch
auf Verhandlungen eingelassen.
Vorerst wird der Wert aller 15 Anlagen vorsichtig auf 400 Milliarden Rubel (5,81 Milliarden Euro, 1 Euro = 68,79 Rubel, Stand:
23.10.2015) geschätzt. Für die finanzielle Belastung des Regionalbudgets ist mittel- bis langfristig ebenfalls einzukalkulieren,
dass es beim derzeitigen Stand der Technik auf eine Subventionierung der Elektro- und Wärmeenergie hinausläuft, die aus der
Müllverbrennung gewonnen wird. Bislang fallen bei der Energieerzeugung aus Festmüll nämlich höhere Gestehungskosten an
als bei herkömmlichen Energieträgern. Der Einspeisungspreis
ins Netz könnte dadurch höher ausfallen als die derzeit geltenden Strom- und Wärmegebühren, die der Endverbraucher zu
bezahlen hat.
Dem Beispiel des Moskauer Gebiets werden andere Regionen
trotz Mehrkosten folgen. Denn die vorhandenen ingenieurtechnischen Einrichtungen zur Festmüllbeseitigung sind schon lange
an ihre Belastungsgrenzen gestoßen. Nach Angaben der Umweltbehörde Rosprirodnadzor liegt die Zahl der Unternehmen
zum Transportieren, Sortieren und Verwerten von Abfällen landesweit bei unter 400. Es existieren offiziell 1.092 Deponien.
Das reicht aber nicht aus, um der Müllberge Herr zu werden. Die
Ausweitung wilder Deponien lässt sich ohne Investitionen nicht
mehr eindämmen.
U M W E LT T E C H N I K
Industrie zur Müllverwertung unterentwickelt
Investoren warten auf neue Regularien
Nur maximal fünf Prozent der Festabfälle werden industriell verwertet, so Rosprirodnadzor. Ein Tiefstwert, der auf Dauer nicht hinnehmbar sei. Das Föderale Zentrum für Projektfinanzierung (FCPF),
ein Tochterunternehmen der Außenwirtschaftsbank VEB speziell für
Kommunalprojekte, schlägt deshalb vor, in stärkerem Maße private
Investoren in Umweltprojekte der Städte und Gemeinden, darunter
zur Abfallverwertung, einzubeziehen.
Bislang scheiterte der Bau von Anlagen zur Müllentsorgung durch
private Investoren in der Regel an nicht gegebenen Garantien zur
Mindestmenge für angelieferten Müll. Auch gibt es bis heute keine
Dienstleistungstarife zur Müllverbrennung. Ein solches Tarifwerk
soll erst noch geschaffen werden. Hinzu kommt, dass die Duma
trotz jahrelanger Diskussion immer noch kein föderales Gesetz für
Public Private Partnerships verabschiedet hat. Bis regulative Besserungen eintreten, beschränken potenzielle Brancheninvestoren
ihre Aktivitäten daher auf die Sondierung des Markts.
Bislang waren private Initiativen in Kommunalprojekten entweder
schon im Ansatz gescheitert oder sie konzentrierten sich vornehmlich auf das Einsammeln und Trennen von Festmüll. Zumindest die
Verwertung von Rohstoffen nach der ersten Abfalltrennung versprach einen relativ schnellen Rücklauf der investierten Mittel.
Projekte zur Abfallentsorgung in Russland
Unternehmen
Projekt
Investitionssumme
Mediterranean Development (www.medscpa.com)
Müllverarbeitungswerk in Dagestan
60 Mio. Euro
Gebietsverwaltung Irkutsk
Müllverarbeitungswerk im Gebiet Irkutsk
3,2 Mrd. Rubel
(46 Mio. Euro)
Ekologija-Nowosibirsk und Stadtverwaltung
Nowosibirsk
zwei Müllverarbeitungsanlagen im Gebiet Nowosibirsk
44 Mio. Euro
Gruppe EKO-Sistema (www.eco.system.ru) und
Bollegraaf (www.bollegraaf.com)
Müllverarbeitungsanlage und Mülldeponie im Gebiet
Rjasan
22 Mio. Euro
Staatsholding Rostec und Stadtverwaltung Nischni
Tagil
Festmülldeponie, Sortierungsanlage und vier Umschlagstationen in Nischni Tagil
1,2 Mrd. Rubel
(17,3 Mio. Euro)
Verwaltung St. Petersburg
Anlage zur Beseitigung gefährlicher Industrie- und
Medizinabfälle in Krasny Bor, St. Petersburg
k.A.
Umrechnung laut EZB-Wechselkurs vom 19.11.2015: 1 Euro = 69,4086 Rubel
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest
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Impressum:
Branchencheck Russland 2/2015
Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK)
1. Kasatschij per. 7, 119017 Moskau
Tel.: +7 (495) 234 49 50
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Germany Trade and Invest (GTAI)
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Redaktion: Jens Böhlmann (AHK), Bernd Hones, Ullrich Umann, Edda Wolf (GTAI)
Redaktionelle Mitarbeit: Eleonora Dubinina, Lena Steinmetz (AHK)
Design und Layout: Hans Winkler
Redaktionsschluss: Dezember 2015
Druck: Samoprint, Chilkow pereulok 2/5, Moskau
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