Scham und Beschämung in professionellen Beziehungen der

Scham und Beschämung in professionellen Beziehungen
der Sozialen Arbeit
Gliederung:
1.  Grundlegendes zum Phänomen Scham (Formen und Entwicklung)
2.  Scham und Beschämung
2.a Unterscheidung von Scham und Schuld;
2.b Abwehrformen als Folge von Schamgefühlen
3. Scham und Beschämung in der Praxis Sozialer Arbeit
Prof. Dr. Margret Dörr
Scham und Beschämung in professionellen Beziehungen
1.  Grundlegendes zum Phänomen Scham (Formen und Entwicklung)
2.  Scham und Beschämung
2.a Unterscheidung von Scham und Schuld;
2.b Abwehrformen als Folge von Schamgefühlen
3. Scham und Beschämung in der Praxis Sozialer Arbeit
Scham ist eine zugleich private und hochgradig soziale
Angelegenheit.
Scham zeigt in intensiver Leibnähe die Empfindung an, im
eigenen Wertbewusstsein herabgedrückt oder bedroht zu sein.
Prof. Dr. Margret Dörr
„Wenn wir uns schämen, so schämen wir uns für etwas vor
jemandem“ (Hilge Landweer 1999).
1.  Die Relevanz des Selbstverhältnisses des leiblichen Subjekts;
2.  Die Relevanz von Normen und Regeln;
3.  Die Relevanz der Schamzeugen.
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Scham-Entstehung
•  Scham ist entwicklungspsychologisch sehr früh begründet.
•  Entscheidend ist die Kommunikation zwischen Eltern und Kind,
die über Körper und Blick stattfindet.
•  Zentral ist der Blick.
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Der Scham kommt daher in dieser Hinsicht eine positive Funktion
zu, da sie anzeigt, dass Selbstgrenzen gewahrt werden wollen.
Sie ist die Wächterin unserer psychosozialen Integrität
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Aber es gibt auch die Scham in destruktiver Form,
hervorgerufen durch massiv verletzte Selbstachtung und
Enttäuschungen narzisstischer Wünsche.
Prof. Dr. Margret Dörr
Scham und Beschämung in professionellen Beziehungen
1.  Grundlegendes zum Phänomen Scham (Formen und Entwicklung)
2.  Scham und Beschämung
2.a Unterscheidung von Scham und Schuld;
2.b Abwehrformen als Folge von Schamgefühlen
3. Scham und Beschämung in der Praxis Sozialer Arbeit
Prof. Dr. Margret Dörr
Beschämung ist eine aktive Demütigung von außen
Scham kommt von innen, das Beschämt-Werden von außen.
Schamaffekte:
•  bei Verletzung des Grundbedürfnisses nach Anerkennung und
Schutz
•  bei Verletzung des Grundbedürfnisses nach Zugehörigkeit
•  bei Verletzung der Würde
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Wichtig, zwischen Schuld und Scham respektive zwischen
moralischer und sozialer Scham zu unterscheiden:
Moralische Scham als Begleitung der Schuld, die eine
Handlung, Verantwortung, Fremdschädigung voraussetzt.
Soziale Scham zeigt das Gefühl an, in seiner Integrität
beschädigt (worden) zu sein.
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Aber wozu ist die Beschämung von anderen Menschen geeignet?
In der Seele eines Beschämten lebt ein quälender Gegner, der
ständig murmelt: „Du bist erbärmlich!“
Beschämung ist zerstörerisch!!
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Abwehrformen als Folge von Schamgefühlen
Das Ich befindet sich im Zustand existenzieller Angst. Das
Nervensystem reduziert sich dazu auf die simpelsten Muster:
Angriff, Flucht, im Boden versinken wollen, Totstellen.
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Abwehrformen von Schamgefühlen - Die Masken der Scham
•  Anpassung
•  Emotionale Erstarrung
•  Projektion
•  Beschämung und Verachtung
•  Negativismus und Zynismus
•  Suchtverhalten
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weiter zur Frage:
wozu ist die Beschämung
von anderen Menschen geeignet?
Wer einen anderen beschämen kann, spürt seine Macht, vielleicht
sogar einen Zugewinn an Mächtigkeit und schreibt damit die
Ungleichheit fest.
Die beschämte Person, die in der Beschämung ihre eigene
Unterlegenheit spürt, verliert nicht nur an Selbstachtung, sondern
zusätzlich an Kraft, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse
durchzusetzen.
Prof. Dr. Margret Dörr
Scham und Beschämung in professionellen Beziehungen
1.  Grundlegendes zum Phänomen Scham (Formen und Entwicklung)
2.  Scham und Beschämung
2.a Unterscheidung von Scham und Schuld;
2.b Abwehrformen als Folge von Schamgefühlen
3. Scham und Beschämung in der Praxis Sozialer Arbeit
Scham und Beschämung in der professionellen Praxis Sozialer Arbeit
Die Konformitätsnorm der Gegenwart ist Erfolg und
Leistungsfähigkeit eines autonomen Subjekts!
Die Konformitätsnorm der Gegenwart ist Erfolg und Leistungsfähigkeit eines
autonomen Subjekts!
Allerdings ohne dass für eine immer größer werdende Gruppe von Menschen
die gesellschaftlichen, milieuspezifischen und individuellen
Voraussetzungen zur Befähigung von Selbstbestimmung hinreichend zur
Verfügung gestellt werden.
„Die Scham der Armen und die Schamlosigkeit der Reichen“ (Marks 2011, S.
138) haben das Gefälle zwischen Arm und Reich in einer Weise gesteigert,
dass Stefan Selke (2013) empirisch gut begründet von dem „Schamland“
Deutschland“ reden kann.
Fordern und Fördern
Schamanlässe können bereits in der Struktur des Normativen
enthalten sein - der Unterscheidung von Sein und Sollen;
In den ‚helfenden‘ Kontexten ist der „aktivierende“ Auftrag
eingebettet in normativ ausgerichtete, sozialkulturelle und
ökonomische Leistung- und Erfüllungserwartungen.
These:
in den institutionellen Arrangements der Sozialen Arbeit
konstituieren sich Rollenbeziehungen, in denen sich auf der Ebene
sozialer Interaktionsprozesse zwischen Professionellen und
Adressat_innen Schamgefühle und Beschämung reproduzieren
können, die auch die psychosozialen Fachkräfte nicht unberührt
lassen.
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Adressat_innen bringen ihre Schamgeschichte – als Spiegel realer
gesellschaftlicher Erfahrungen von Ausgrenzungs- und Missachtungsprozessen – in die diversen Felder der Sozialen Arbeit mit ein.
Hilfe und Beschämung selbst können konstitutiv zusammenhängen:
z.B. die Problematik der Identifizierung und Etikettierung
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Wie können sich Schamaffekte in der konkreten Berufspraxis zeigen?
Erwartbar ist die Scham darüber, überhaupt der Unterstützung
durch die Profession Sozialer Arbeit zu bedürfen und damit gegen
die Autonomieforderung in unserer neoliberalen Gesellschaft zu
verstoßen.
Im Umgang mit Scham gilt es, diese Scham nicht auszureden, auch
wenn man zu erkennen geben sollte, dass man selber die
Notwendigkeit der Beschämung nicht teilt.
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Erwartbar sind aber auch die Masken der Scham
z.B.
•  Unverschämtes und aggressives Verhalten
•  Arroganz und/oder Flucht in Unwahrheiten
•  Idealisierung der Fachkräfte
•  Schweigen, Intellekualisierung
•  Passive Unterwerfung unter Hilfemaßnahmen
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Erwartbar sind aber auch die Masken der Scham auf
Seiten der Fachkräfte – auch wir haben eine eigene
Scham- und Beschämungsgeschichte.
Nicht unbekannt dürfte uns insbesondere die Inkompetenz-Scham
sein:
•  Taubheit; Unverschämtes und aggressives Verhalten
•  Arroganz; Flucht; Taubheit; Schweigen; Intellektualisierung
•  Idealisierung von Teamkolleg_innen
•  Passive Unterwerfung unter vorgegebene Programme
Prof. Dr. Margret Dörr
Keine Emotion betont die interaktionelle Seite der pädagogischen
Beziehung mehr als Scham.
Diese Gefahr besteht insbesondere unter Stress, z.B. unter dem
Eindruck einer Beschämung – wodurch das eigene SchamAbwehrprogramm „getriggert“ wird.
Wenn wir als Fachkräfte der Sozialen Arbeit uns solidarisch nicht
offensiver gegen ungenügende Rahmenbedingungen, gegen die
pauschale gesellschaftliche Abwertung, gegen unverschämten
Zeitdruck, Zumutungen … bei der Wahrnehmung unserer
gesellschaftlichen Aufgabe zur Wehr setzen, wie sollen wir dann mit
den Beschämungen und Schamgefühlen unserer Adressat_innen
gekonnt umgehen können?
Weiterführende Literatur zum Thema Scham
Hilgers, M (20124): Scham. Gesichter eines Affekts. Göttingen
Lansky, M.R. (2008): Beobachtungen und Dynamik der Einschüchterung. In: Psyche,
62, 929-961
Marks, St. U.a. (2011): Scham – die tabuierte Emotion. Ostfildern
Tiedermann, J.L. (2013): Scham. Gießen
Wurmser, L. (1990): Die Maske der Scham. Berlin
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