Predigt über Epheser 1,5.11: Kinder und Erben Gottes

Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C
Kirchkreis Linsebühl
Predigt über Epheser 1,5.11: Kinder und Erben Gottes
Linsebühl, 30. August 2015; von Pfr. Stefan Lippuner (Himmlische Segnungen III)
Epheser 1,3-14 (Bibeltext für die ganze Predigtreihe)
Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn
Jesus Christus, der uns in den Himmeln gesegnet hat mit allem geistlichen Segen durch
Christus.
Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott. Er hat uns aus Liebe im
Voraus dazu bestimmt, seine Söhne und
Töchter zu werden durch Jesus Christus und
nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der
er uns beschenkt hat in seinem geliebten
Sohn.
In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut,
die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt und
hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, das darin besteht, in ihm sein Wohlgefallen für alle sichtbar zu machen.
Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen und in Christus alles zusammenzufassen, alles, was im Himmel und auf Erden
ist.
Durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt nach dem Plan dessen,
der alles so verwirklicht, wie er es in seinem
Willen beschliesst. Wir sind zum Lob seiner
Herrlichkeit bestimmt, die wir schon lange unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben.
Durch ihn habt auch ihr das Wort der Wahrheit
gehört, das Evangelium von eurer Rettung.
Durch ihn habt ihr das Siegel des verheissenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den
Glauben annahmt. Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen, der Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden, zum Lob seiner Herrlichkeit.
Galater 3,26.29 + 4,1-7
Denn ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes
durch den Glauben in Christus Jesus. Wenn
ihr aber Christus gehört, dann seid ihr Nachkommen Abrahams und gemäss der Verheissung seine Erben.
Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist,
unterscheidet er sich in nichts von einem Sklaven, obwohl er Herr ist über alles, im Gegenteil, er steht unter der Aufsicht von Vormündern und Verwaltern bis zum Zeitpunkt, den
der Vater festgesetzt hat. So war es auch mit
uns, als wir noch unmündig waren: Unter die
Elementarmächte der Welt waren wir versklavt. Als sich aber die Zeit erfüllt hatte,
sandte Gott seinen Sohn, zur Welt gebracht
von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, um
die unter dem Gesetz freizukaufen, damit wir
als Söhne und Töchter angenommen würden.
Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott
den Geist seines Sohnes in unsere Herzen
gesandt, den Geist, der da ruft: Abba, Vater!
So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern
Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe durch Gott.
Römer 8,14-17a
Denn die vom Geist Gottes getrieben werden,
das sind Söhne und Töchter Gottes. Ihr habt
doch nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben; nein,
ihr habt einen Geist der Kindschaft empfan-
gen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass wir
Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann
sind wir auch Erben: Erben Gottes und Miterben Christi.
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Liebe Gemeinde.
Vor kurzem haben meine Frau und ich bei einem Anwalt einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen. Ja, wir haben drei Kinder, wir besitzen ein Haus, da ist es sinnvoll, wenn man
gewisse Dinge regelt. Denn Familienzwiste entstehen am häufigsten dann, wenn es ums Erben geht (ich hoffe, bei unseren Kindern dann einmal nicht, aber im Allgemeinen ist das so).
Darum ist in Bezug auf das Erben vieles zu Recht gesetzlich stark reglementiert; bei einem
Ehe- und Erbvertrag hat man nur noch einen kleinen Spielraum.
Hauptpunkt im Gesetzeswesen über das Erben ist der, dass als erstes immer die Kinder zum
Erben kommen (abgesehen natürlich von einem allfälligen überlebenden Ehegatten). Ein
Kind zu sein, eine Tochter oder ein Sohn zu sein, heisst also immer, potentiell und zukünftig
auch ein Erbe zu sein, immer (auch wenn das Erbe in manchen Fällen dann leider nur aus
Schulden besteht). Als Kind bin ich gewissermassen per Definition auch ein Erbe.
Betrachten wir nun unseren Bibeltext aus dem Epheserbrief. Darin kommt nämlich die Thematik der Kinder und Erben ebenfalls vor; ja, ein Kind und ein Erbe zu sein, wird darin als
himmlische Segnung bezeichnet. – Ich lese nochmals die beiden entsprechenden Verse, die
im Text allerdings nicht so direkt nacheinander stehen: "Gott hat uns aus Liebe im Voraus
dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden durch Jesus Christus und nach seinem
gnädigen Willen zu ihm zu gelangen. (…) Durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt
und eingesetzt nach dem Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen
beschliesst."
Kinder und Erben Gottes durch Jesus Christus, dieser Segen aus der Himmelswelt ist uns
verheissen. Dabei, so denke ich, ist uns allerdings viel vertrauter, dass wir Söhne und Töchter
Gottes sein dürfen, als dass wir Erben Gottes sind. Diese zweite Vorstellung ist uns irgendwie
fremder als die erste. Darum möchte ich jetzt nur recht kurz auf unsere Gotteskindschaft eingehen, dafür dann etwas ausführlicher darauf, was es für uns bedeutet, auch Gottes Erben
zu sein (wobei, wie wir am Anfang gesehen haben, das eine mit dem anderen direkt zusammenhängt).
Also zuerst der kürzere Teil: "Gott hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne
und Töchter zu werden durch Jesus Christus." ‒ Es ist eine der ganz grossen Besonderheiten
des christlichen Glaubens, dass wir Menschen Gottes Kinder sein dürfen und Gott unser Vater
sein will. Das gibt es sonst in keiner Religion, eine so enge familiäre Beziehung zwischen Gott
und seinen Anhängern; das finden wir nur im christlichen Glauben.
Wie gross diese Nähe und Intimität ist, das kommt im Wort "Abba" zum Ausdruck, das wir in
den beiden Lesungen aus dem Galater- und dem Römerbrief gehört haben und das wahrscheinlich auch Jesus benutzte, als er seinen Jüngern das Unser-Vater-Gebet beibrachte. –
"Abba" ist aramäisch (eine Abwandlung von Hebräisch, die zur Zeit Jesu von den Juden gesprochen wurde) und bedeutet: "Vater". Genauer gesagt ist es die intime Form von Vater, die
von den Kindern im familiären Umfeld benutzt wurde. "Abba" entspricht also etwa unserem
"Papi" oder "Vati".
Ist das nicht ein gewaltiges, kaum vorstellbares Vorrecht, dass wir Gott, den Schöpfer des
ganzen Universums und Herrn über die ganze Welt, mit "Papi, Vati" anreden dürfen? So nahe
will Gott uns sein. Wie ein vollkommener Vater, wie der beste Papa will der grosse und allmächtige Gott für uns sorgen und unser Leben erfüllen. – Wir müssen keine Angst oder Scheu
vor Gott haben; wir stehen auch nicht in einem Knechtschafts- oder Arbeitsverhältnis mit Gott.
Denn wir haben (wie Paulus im Römerbrief schrieb) "nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben", sondern wir haben "einen Geist der Kindschaft
empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!"
Durch Jesus Christus, durch das, was er für uns getan hat, und durch unseren Glauben an
ihn sind wir Kinder Gottes, sind wir Töchter und Söhne Gottes mit allen Privilegien, die dazu
gehören. Wir dürfen also eine ganz nahe, persönliche Beziehung zu unserem himmlischen
Vater haben. Wir dürfen darauf vertrauen, dass unser Vater im Himmel allezeit für uns sorgt,
unser Leben leitet und trägt und uns hilft, wann immer wir es nötig haben.
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Und wir haben das Vorrecht, dass uns auch eine Erbschaft verheissen ist, dass wir Gottes
Erben sein dürfen. "Sind wir aber Kinder", so nochmals Paulus im 8. Kapitel des Römerbriefes, "dann sind wir auch Erben: Erben Gottes und Miterben Christi." – Und im Galaterbrief,
Kapitel 4: "Bist du aber Sohn, dann auch Erbe - durch Gott."
Damit kommen wir nun zum zweiten Teil dieser himmlischen Segnung: "Durch ihn (durch
Christus) sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt." ‒ Es ist ein etwas eigenartiger Gedanke, dass wir Gottes Erben sein sollen. Vom Erben spricht man ja gewöhnlich
immer erst, wenn der Erblasser verstorben ist. Doch Gott ist ja sicher nicht tot, wie können
wir dann seine Erben sein? (Wobei man in einem gewissen Sinn doch sagen könnte, dass
Gott sehr wohl gestorben ist, nämlich in seinem Sohn Jesus Christus, als dieser am Kreuz
sein Leben hingab; dies nur in Klammern bemerkt.)
Ich denke, es hilft uns weiter, wenn wir uns bewusst machen, dass der Begriffsbereich von
Erbe und Erben in den Sprachen der Bibel (im Griechischen wie im Hebräischen) nicht so
eng gefasst wird wie im Deutschen und nicht nur im Zusammenhang mit dem Tod eines Erblassers zu verstehen ist. – Ein Erbe ist einfach ein legitimer Nachkomme, der Anrecht hat auf
den Besitz seines Vorfahrens und diesen zum eigenen Besitz zugesprochen erhält, auch
wenn der Vorfahre noch völlig munter und lebendig ist. Der Erbe hat von dem Moment an, in
dem er mündig wird, das Besitzrecht an allem, was seinem Vorfahren, seinem Vater gehört.
Natürlich hat er zu der Zeit noch nicht das volle und alleinige Verfügungsrecht darüber, aber
es gehört doch bereits ihm und kann ihm nicht mehr streitig gemacht werden.
Sie kennen vermutlich das Gleichnis vom verlorenen Sohn, oder treffender genannt: von den
beiden verlorenen Söhnen und ihrem liebenden Vater [Lukas 15,11-32]. Der jüngere Sohn
fordert darin seinen Teil des Erbes, des Besitzes, der ihm zusteht, und will damit in die Welt
hinaus; und er erhält sein Erbe, zu Lebzeiten seines Vaters. Der ältere Sohn dagegen bleibt
zuhause und arbeitet.
Das Tragische ist nun (das zeigt sich dann, als der jüngere Sohn abgebrannt wieder heimkehrt), das Tragische ist, dass dieser ältere Sohn sich gar nicht bewusst ist, dass er als Sohn
ja auch Erbe ist und darum Anspruch hat auf alles, was seinem Vater gehört. Er sieht sich
nicht als Sohn und Erbe, sondern nur als Arbeiter und Knecht seines Vaters. "All die Jahre
diene ich dir nun", sagt er verbittert zu seinem Vater, "und nie habe ich ein Gebot von dir
übertreten. Doch mir hast du nie einen Ziegenbock gegeben, dass ich mit meinen Freunden
hätte feiern können." – Woraufhin der Vater diese Sicht zurechtrücken muss: "Kind, du bist
immer bei mir, und alles, was mein ist, ist dein."
"Alles, was mein ist, ist dein", das ist der springende Punkt bei dem, was gemäss biblischem
Verständnis ein Erbe ist. Und in diesem Sinn dürfen nun auch wir Erben Gottes sein: Alles,
was Gott gehört, gehört auch uns. – Haben wir das wirklich verstanden? Ist uns bewusst, was
das bedeutet? Alles, was Gott gehört, gehört auch uns als seinen Erben, als seinen Töchtern
und Söhnen. Und "alles" bedeutet wirklich alles: totale Versorgung mit dem, was wir nötig
haben, ja Wohlstand und Reichtum, dann natürlich auch Gesundheit (körperliche wie seelische) und Kraft, innere Zufriedenheit und Festigkeit, Freiheit von Schuld, von den Mächten
des Bösen und von jeglicher Bedrückung usw.; kurz: ein Leben in der Fülle und umfassender
Segen.
Wenn wir also etwas brauchen oder haben möchten, dann müssen wir uns nicht wie ein Untertan vor seinem König in den Staub werfen und eine demütig verfasste Bittschrift überreichen; wir müssen nicht wie ein Arbeiter mit Zittern und Zagen zum Chef gehen und ihn vorsichtig anfragen, ob nicht vielleicht, unter Umständen etwas mehr möglich wäre. – Nein, wir
sind mündige Söhne und Töchter, wir sind Erben Gottes! Uns gehört das alles bereits, und
wir dürfen, ja sollen es freudig und dankbar von unserem Papa im Himmel empfangen und in
Anspruch nehmen.
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Gibt uns das nicht ein ganz neues Lebensgefühl, eine neue Lebenserfahrung, wenn wir diesen unseren Stand wirklich erkannt und erfasst haben? "Gott hat uns aus Liebe im Voraus
dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden. Wir sind auch als Erben vorherbestimmt
und eingesetzt." – Gewaltig!
Eine Einschränkung bzw. Präzisierung muss ich jedoch zum Schluss noch anbringen; ich
habe schon öfters darauf hingewiesen und auch im Text aus dem Epheserbrief kommt es
deutlich zum Ausdruck: Alle Segnungen Gottes, auch diejenige, dass wir Kinder und Erben
Gottes sein dürfen, haben wir einzig und allein durch Jesus Christus und in Jesus Christus. –
"Durch Jesus Christus" heisst: durch das, was er für uns getan hat. Jesus Christus ist der
einzige wesensmässige Sohn und Erbe Gottes. Er wurde ein Mensch und wurde dann als
Sühnopfer an unserer Stelle am Kreuz getötet (davon habe ich vor zwei Wochen gesprochen).
Auf diese Weise hat er uns erlöst und befreit von aller Schuld und hat die Trennung, die
zwischen uns Menschen und Gott bestand, beseitigt. Durch das Sterben von Jesus Christus
für uns und durch seine anschliessende Auferstehung wird unsere Beziehung zum himmlischen Vater wiederhergestellt und dürfen wir Kinder und Erben Gottes sein.
Und wir sind es "in Jesus Christus", das bedeutet: in der Verbundenheit mit Jesus Christus,
in der Hingabe unseres Lebens an ihn. Kinder Gottes, Söhne und Töchter und damit Erben
Gottes sind wir nämlich nicht von Geburt an und automatisch, sondern wir werden erst dazu,
wenn wir an Jesus Christus glauben, wenn wir also ihm unser Leben ganz anvertrauen und
übergeben. – Ich habe ja bereits am Anfang des Gottesdienstes die Worte aus dem 1. Kapitel
des Johannes-Evangeliums genannt, wo es heisst: "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht,
Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben" [Johannes 1,12].
Ich wünsche uns allen, liebe Gemeinde, dass wir nie vergessen, was wir durch Jesus Christus
und in Jesus Christus sind, nämlich geliebte Kinder Gottes und seine Erben – und dass wir
tatsächlich auch als solche leben: in inniger Gemeinschaft mit unserem himmlischen Vater
und so, dass wir nicht verpassen, was uns schon gehört, sondern den Reichtum, die Fülle
und den Segen unseres Erbes bewusst und konkret in Anspruch nehmen.
AMEN
Gebet
Gott, unser himmlischer Vater, unser Papa durch Jesus Christus.
Wir danken dir von Herzen, dass wir durch den Glauben deine Kinder sein dürfen
und dass du unser allgütiger und allmächtiger Vater bist.
Wir danken dir für die enge Beziehung, die wir mit dir haben dürfen;
dass du uns immer und überall ganz nahe bist.
Und wir danken dir für das grossartige Erbe, das du uns zugesprochen hast
durch deinen Sohn und unseren Bruder Jesus Christus.
Bitte hilf uns durch deinen Heiligen Geist, dass wir uns wirklich bewusst sind
und immer wieder bewusst machen, wer wir in Christus sind und was uns zusteht.
Wir wollen nicht wie Knechte und Arbeitskräfte leben, sondern als deine Söhne und Töchter.
Wir wollen nicht in Armseligkeit und Mangel leben, sondern im Reichtum deines Segens,
auf den wir als deine Erben ein Anrecht haben.
Danke, unser Vater, dass wir zu dir gehören.
Wir vertrauen ganz auf dich.
Amen.