Claude Debussy (1862–1918): „Children`s Corner“ Claude Debussy

Claude Debussy (1862–1918): „Children’s Corner“
Claude Debussy gehört zu den großen Einzelerscheinungen der abendländischen
Musikgeschichte: Ebenso entschieden, wie er als junger Mann überzeugter Anhänger
Richard Wagners war, jenes Musik-Titanen, der mehr als eine ganze Generation von
Komponisten prägte, kehrte er sich später vom Bayreuther Meister und der damals
üblichen Art des Komponierens vollständig ab und entwickelte eine eigene Klangwelt und
Ästhetik.
Seit dieser Abkehr erfolgen bei Debussy musikalische Verläufe nicht mehr in einer
zwingenden, beinahe logischen Abfolge, wie das seit Beethoven der – im Wortsinn –
„gute Ton“ war: nun entstehen Klänge quasi aus dem Nichts, verblühen wieder, eine
musikalische Floskel treibt wie eine Blume auf dem Wasser vorbei, Harmonien und
Klangfarben lösen einander in einer Weise ab, die nach den Regeln der „richtigen“ Lehre
niemals aufeinander folgen dürften. Auch das konstrastierende Prinzip der „sinfonischen
Arbeit“ wird aufgegeben – es ist dies eine völlig neue, man könnte beinah sagen: eine
psychedelische Welt, die der Franzose da erschuf.
Auch als Pianist ging Debussy völlig neue Wege. Als exzellenter Klavierspieler erweiterte
er die Möglichkeiten des Klaviers - nicht in die ausgesprochen virtuose Richtung eines
Franz Liszt, der seine stupende Technik einsetzte, um „unerhörte“ Effekte zu erzielen,
sondern mehr um das Klavier reicher in seinen Ausdrucksmöglichkeiten zu machen wobei die technischen Anforderungen bei Debussy durchaus immens sind.
„Children´s Corner“, eine kleine Sammlung von sechs Klavierstücken, bildet in dieser
Hinsicht – ähnlich wie der „Weihnachtsbaum“ in Liszts Schaffen – eine Ausnahme. Der
kleine Zyklus entstand als „Hommage“ an seine damals dreijährige Tochter EmmaClaude, genannt Chouchou: Nicht, dass die Kleine mit ihren drei Jahren die Stücke schon
hätte spielen sollen, obwohl die technischen Anforderungen hier deutlich unter dem bei
Debussy üblichen Niveau liegen. Der glückliche Vater wollte wohl einfach eine liebevolle
Beschreibung der kindlichen Empfindungswelt seiner Tochter komponieren: so wurde
„Children´s Corner“ ein Meisterstück, aber kein Kinderstück.
Neben typisch Debussyischen Formen kommt mit „Golliwogg´s Cakewalk“ auch ein
wirklicher Cake-walk vor; musikalisch handelt es sich um einen Ragtime, wie wir ihn vor
allem von Scott Joplin kennen („Der Entertainer“). Debussy begeisterte sich für diese
neuen Klänge aus Amerika (wie überhaupt für alles musikalisch Neue: Wesentlichen
Einfluss auf sein Schaffen hatte die Weltausstellung 1889 in Paris, bei der er die bis dahin
in Europa so gut wie unbekannten asiatischen Gamelan-Musiker hörte und diese Klänge
© Peter Stangel, 2010
in seine Musik einband). So ist auch „The Little Negro“ (ein heute höchst politisch
unkorrekter Titel) ein Ragtime, ein kleines musikalisches Kunststückchen, für Anfänger
auf dem Klavier geschrieben.
Über die englischen Titel des Werkes wurde viel spekuliert; am wahrscheinlichsten ist es,
dass Debussy sie wegen Chouchous englischer Gouvernante wählte; und so wurde dann,
aus Unkenntnis der englischen Sprache, aus Jumbo´s, des berühmten Elefanten
Wiegenlied, „Jimbo´s Lullaby“.
Debussys Musik ist, trotz der Titel, die die meisten seiner Werke tragen, sehr abstrakt
und kaum in tatsächliche Bilder zu fassen. Natürlich evozieren die getupften, auf- und
niederschwebenden Noten von „The Snow is dancing“ die Flocken, aber schon bald finden
sich Passagen, die sich weit von der Beschreibung irgendeines Gegenstandes oder auch
nur einer Situation entfernen. So müssen - und können – wir uns beim Zuhören den
Bildern hingeben, die in uns beim Lauschen aufsteigen; sie werden bei jedem etwas
anders sein.
Interessant ist ein Zitat, das Debussy in „Golliwogg´s Cakewalk“ versteckte: im Mittelteil
finden sich – viermal gespielt, damit man es ja nicht überhört – die berühmten ersten
Noten aus Wagners „Tristan und Isolde“. Doch kaum hebt das große Schmachten an,
werden sie wie von einer Komikertruppe durch Giggeln und Kichern unterbrochen. Diese
kleine, kunstvolle „Gemeinheit“ bildete den Ausgangspunkt für meine Geschichte.
Auch „The Little Shepherd“ verweist in der Geschichte auf „Tristan und Isolde“: Das
Stück wurde angeblich durch die kleine Holzfigur eines Schäferjungen mit einem Aulos,
dem Instrument der griechischen Hirten – inspiriert. Eine solche Schäfer-Figur tritt auch
in Wagners Oper auf: der dritte Akt wird von einem Hirtenjungen mit seinem Instrument
eingeleitet.
Die Bearbeitung für die taschenphilharmonie
Ein Klavierstück für ein Ensemble zu instrumentieren erfordert immer, sich in die
Instrumentationsgewohnheiten des jeweiligen Komponisten zu vertiefen, um die
typischen Klangfarben zu erreichen. Im Falle Debussys ist die Harfe ein unverzichtbarer
Bestandteil des Klangkörpers; alle anderen Klangwirkungen können durch die typischen
Kombinationen der Instrumente hervorgebracht werden, wie sie Debussy in seinen
Orchesterwerken verwendet hat – wir spielen also mit unserer „Standardbesetzung“ von
5 Bläsern und 5 Streichern plus Harfe.
© Peter Stangel, 2010