Tagung „Entsicherte Kindheit“ Fachhochschule Erfurt, 27. Mai 2015

Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Tagung „Entsicherte Kindheit“
Fachhochschule Erfurt, 27. Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
Prof. Dr. Wilhelm J. Brinkmann
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
Prof. Dr. Wilhelm J. Brinkmann
Gliederung:
1. Zur familialen Autonomie: Die Autonomie der
Familie ist relativ. Das Familienleben hat eine
beziehungsdynamische Innenseite und eine
sozialökologische Außenseite.
2. Zum gesellschaftlichen Druck: Die Entsicherung
der Kindheit wird begleitet von einer zunehmenden
(kontraproduktiven) Pädagogisierung der Kindheit.
3. Konsequenzen und Perspektiven:
 Rechte für Kinder,
 eigene Grundsicherung für Kinder,
 Partizipation von Kindern,
 Kultur der Wertschätzung statt Bildungskonkurrenz.
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
Prof. Dr. Wilhelm J. Brinkmann
Gliederung:
1. Zur familialen Autonomie: Die Autonomie der
Familie ist relativ. Das Familienleben hat eine
beziehungsdynamische Innenseite und eine
sozialökologische Außenseite.
2. Zum gesellschaftlichen Druck: Die Entsicherung
der Kindheit wird begleitet von einer zunehmenden
(kontraproduktiven) Pädagogisierung der Kindheit.
3. Konsequenzen und Perspektiven:
 Rechte für Kinder
 eigene Grundsicherung für Kinder
 Partizipation von Kindern
 Kultur der Wertschätzung statt Bildungskonkurrenz
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Vorab:
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche
Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche
Gemeinschaft.
(Art. 6 (2) GG)
Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber
sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter
selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.
(Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis
Napoleon)
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
1. Zur familialen Autonomie
Schutz- und Risikofaktoren im Familienalltag I:
die beziehungsdynamische Innenseite
 die Lebensgeschichten der Eltern:
persönlichkeitsspezifische Lebenserfahrungen
 die gemeinsame Familiengeschichte:
beziehungstypische Kompetenzen
 die beziehungsdynamische Stellung des Kindes/
der Kinder
 …
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Schutz- und Risikofaktoren im Familienalltag II:
Die sozialökologische Außenseite
 Die materiellen Lebensverhältnisse
 Die soziale Integration auf der Mikro-, Meso- und
Makroebene
 Soziale Werte und Normen, kulturelle Muster,
pädagogische Leitbilder (im sozialen Wandel)
 …
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Die Dynamik familialen Scheiterns
Vier große Räder greifen ineinander:
1. Beziehungsstörungen zwischen einzelnen oder
allen Familienmitgliedern,
2. objektiv belastende Lebensumstände und
Lebensereignisse,
3. subjektiv verfügbare Kräfte und Kompetenzen
der Beteiligten,
4. soziale Ressourcen, psychosoziale Dienste,
soziale Netzwerke
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
2. Zum gesellschaftlichen Druck: Beispiele
kontraproduktiver Konsequenzen des
gesellschaftlichen Strukturwandels
Gesellschaft als „ärgerliche Tatsache“ (Dahrendorf)
Risiken und Nebenwirkungen:
 Der „Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“
(Alexander Kluge)
 Folgen der ökologischen Belastung
 Folgen der Nutzung der Atomkraft
 Folgen der Reproduktionsmedizin und
Gentechnologie
 Der „Geist des Kapitalismus“ und die Folgen
für die Ethik
 Einschränkungen der Bewegungs-, Erfahrungsund Spielmöglichkeiten von Kindern in kommunalen Lebensräumen
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
 Historische Veränderungen der Qualität des
Familienlebens
 Einzelkinder
 steigende Quote von Trennungen
 Kompensation von Beziehungsmangel durch
Konsum
 zeitweilige Stilllegung von Konflikten durch Medien
 Unerwünschtheit von Kindern im zweckrationalen
Lebensalltag der Erwachsenen: Öffentlichkeit
wird von Kindheit thematisch gereinigt.
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
 Pädagogische Spezialeinrichtungen sind in ihrem
Innenbereich nur bedingt kindgerecht gestaltet.
(provokative Stichworte: „Bewahranstalten“,
„Lernfabriken“, „Unterrichtsvollzugsbeamte“ vs.
„kreativer Müßiggang“: Günter Grass)
 Veränderung der Aneignung von Kultur
 Zunehmender Konsum & zunehmende „Erfahrung
aus zweiter Hand“
 Reduktion von Eigentätigkeit
 mediatisierte Aneignung der symbolischen Kultur
 Brachliegen der Sinne & „Verkümmerung“ der
Phantasie
 Digitalisierung
 Zunehmende Pädagogisierung der Kindheit
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
Moderne Kindheit steht im Spannungsverhältnis
von Selbsttätigkeit und Fremdbestimmung –
zunächst wurde ein Eigenraum für Kindheit eröffnet,
nun wird er durch Pädagogik fremdbestimmt.
Die Pädagogisierung der Kindheit ist wie eine
Wohltat, die zur Plage wird.
 Kindheit als „Vorhang, den man zwischen
vernünftige Menschen zieht“ (Ivan Illich).
 Man kann Kindheit nicht nach betriebswirtschaftlichen Maßgaben bewirtschaften (Paolo Freire).
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Pädagogisierung der Kindheit:
„Gewinne“ und „Verluste“
Einerseits wird das Wissen über die Eigenwelt des
Kindes und das Eigenrecht des Kindseins immer
umfangreicher und genauer,
andererseits wird Kindheit als soziale Lebenslage
immer mehr auf den pädagogischen Bereich eingeschränkt und aus den anderen gesellschaftlichen
Sektoren ausgegrenzt.
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
3. Konsequenzen und Perspektiven
Notwendig und vorrangig ist die Verstärkung der
Teilnahme und der Beteiligung von Kindern am
Leben der Erwachsenen und die Verminderung der
Abtrennung der Generationen voneinander.
3.1 Rechte des Kindes müssen im Grundgesetz und
in den Landesverfassungen verankert werden.
3.2 Kinder müssen eine eigene materielle Grundsicherung erhalten, unabhängig von den Höhen
und Tiefen der Erwerbsbiographie ihrer Eltern.
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015
Kindheit zwischen familialer Autonomie
und gesellschaftlichem Druck
Prof. Dr. Wilhelm J. Brinkmann
3.3 Notwendig ist eine weitgehende Partizipation
von Kindern auf den verschiedenen politischen
Ebenen, und zwar um so weiter gehend, je näher
die Politik den Kindern ist, das heißt, je unmittelbarer politische Entscheidungen die Weichen
für den Lebensalltag von Kindern stellen.
3.4 Notwendig ist eine Kultur der Anerkennung und
Wertschätzung, von Vertrauen und Solidarität,
von Unterstützung und Toleranz – auch und vor
allem Minderheiten gegenüber.
Tagung “Entsicherte Kindheit”
Fachhochschule Erfurt, 27.Mai 2015