Die Vergebung der Sünden

Predigtreihe zum Jahr des Glaubens
Die Vergebung der Sünden
Predigten in den Messfeiern am 24./25.08.2013
21. Sonntag im Jahreskreis C
Liebe Schwestern und Brüder,
Der Mensch - gejagt von Sünde und Schuld
als ich Theologie studierte, gab es in Würzburg als Professor für das
Fach Moraltheologie den gebürtigen Niederbayern Georg Teichtweier, eine bayerisch-barocke Erscheinung und auch ein bayerischderber Redner, der zu drastischen Formulierungen greifen konnte, um
uns Studenten einen Sachverhalt klar zu machen.
Als es in der Vorlesung über die Erlösungslehre um unser heutiges
Thema ging, die Vergebung der Sünden, war es dem Herrn Professor
ein großes Anliegen, dass wir verstehen: Wenn es um die Sünde und
die Vergebung geht, dann sollen wir ganz sorgfältig darauf achten,
dass wir die Menschen mit unserer Predigt und unserer Seelsorge die
Menschen nicht vor uns her treiben, indem wir ihnen Angst machen.
Er erzählte als abschreckendes Beispiel von der Predigt eines Priesters, der wohl auch Jäger gewesen war. Um den Gläubigen die Dramatik von Sünde und Vergebung deutlich zu machen, habe dieser zuerst die Wirkung der menschlichen Sünde geschildert, nämlich die
Entfernung des Menschen von Gott, und dann die Reaktion Gottes
darauf, nämlich die Erlösung des Menschen durch Jesus Christus.
Und schließlich habe er die Gläubigen – ganz alter Jäger – aufgefordert, in Sündennöten immer zu beten: „Gott, jag mich alte Sündensau
mit deinen Gnadenhunden!“
Nochmals: Das war ein abschreckendes Beispiel. Aber steckt da nicht
doch ein Körnchen wahrer menschlicher Erfahrung drin? Die Erfahrung nämlich, dass die Sünde den Menschen von Gott trennt.
Man muss kein glaubender Mensch sein, um eigenes Fehlverhalten
wahrzunehmen und sich von ihm belastet zu erleben. Auch die Lebensläufe von kirchen- und von gottesfern lebenden Menschen kennen die Erfahrung, die im Psalm 32 des Alten Testamentes beschrieben ist: „3 Solang ich es verschwieg, waren meine Glieder matt, / den
ganzen Tag musste ich stöhnen. 4 Denn deine Hand lag schwer auf
mir bei Tag und bei Nacht; / meine Lebenskraft war verdorrt wie
durch die Glut des Sommers.“ (Ps 32,3f.)
Dass Sünde, Schuld und Falschheit belasten und krank machen kann:
Das bezeugen unter anderem auch die zahlreichen therapeutischen
Angebote, die es in unserer Gesellschaft gibt. Auch das ist oft Thema
in den Gesprächen der Menschen mit ihren Therapeuten: Dass sie
sich belastet, matt und wie verdorrt fühlen ― nicht selten aufgrund
eigener Schuld.
Die Erfahrung der Vergebung
Der Psalm 32 baut diese Erfahrung ein in einen „Lernprozess“. So
beschreibt er ihn: „Wohl dem, dessen Frevel vergeben / und dessen
Sünde bedeckt ist. 2 Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld
nicht zur Last legt / und dessen Herz keine Falschheit kennt. 3 Solang
ich es verschwieg, waren meine Glieder matt, / den ganzen Tag
musste ich stöhnen. 4 Denn deine Hand lag schwer auf mir bei Tag
und bei Nacht; / meine Lebenskraft war verdorrt wie durch die Glut
des Sommers. 5 Da bekannte ich dir meine Sünde / und verbarg nicht
länger meine Schuld vor dir. Ich sagte: Ich will dem Herrn meine
Frevel bekennen. / Und du hast mir die Schuld vergeben. 6 Darum
soll jeder Fromme in der Not zu dir beten; / fluten hohe Wasser
heran, ihn werden sie nicht erreichen. 7 Du bist mein Schutz, bewahrst mich vor Not; / du rettest mich und hüllst mich in Jubel.“
So beschreibt der Psalm die Glaubenserfahrung eines gottesfürchtigen Menschen: Wenn er, belastet und dadurch eingeschränkt, Gott
seine Schuld bekennt, wird ihm die Sünde vergeben; er erlebt dies als
eine Rettung und fühlt sich neu geboren.
Die Botschaft Jesu von der Versöhnung
Jesus hat diese Erfahrung in ein Gleichnis gekleidet, von dem der heilige Hieronymus sagt, dass es alles enthält, was uns das Jesus mit seiner Botschaft vom Reich Gottes sagen will. Sie kennen dieses Gleichnis gut als das Gleichnis vom verlorenen Sohn und dem barmherzigen Vater. (Vgl. Lk 15,11-32)
Dieses Gleichnis beschreibt Schuld und Sünde: Schuld und Sünde ist,
wenn einer sich von Gott entfernt und nicht mehr bei seinem Vater
sein will. „Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land.“ (Lk 15,13) Das Gleichnis beschreibt die Folgen der Sünde: Den Verlust all dessen, was das Leben
lebenswert macht, das Scheitern des Lebens in der Fremde. Es beschreibt den einzigen Weg aus dieser Misere: Die Einsicht in den
Fehler und den Entschluss zum Rückweg. „Ich will aufbrechen und
zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt.“ (Lk 15,18) Das Gleichnis beschreibt die Vergebung: Der Vater nimmt seinen Sohn wieder
auf. „Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und
küsste ihn.“ (Lk 15,20) Und dann beschreibt es, wie sehr sich durch
die Umkehr und die Vergebung das Leben ins Positive wendet: „Wir
wollen essen und fröhlich sein. Denn mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ (Lk 15,23f.)
So schildert Jesus den Zusammenhang von Sünde und Vergebung. Er
malt die Glaubenserfahrung des Psalms 32 mit dem Bild von Vater
und Sohn aus, so dass wir sogar sagen könnten: Dieses Gleichnis ist
nicht nur das Gleichnis vom verlorenen Sohn und dem barmherzigen
Vater, sondern auch das Gleichnis vom erlösten Sohn und dem erfreuten Vater. Jesus sagt kurz vorher nach dem Gleichnis von der
wiedergefundenen Drachme – und es klingt wie eine Überschrift über
das dann folgende Gleichnis vom wiedergefundenen Sohn: „Ich sage
euch: Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen
einzigen Sünder, der umkehrt.“ (Lk 15,10)
Die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu
Aber nicht genug damit, dass Gott uns wie ein guter Vater die Tür offenhält, sich über unsere Rückkehr freut, uns wieder als Kind annimmt und sich mit uns darüber freut. Nein, er geht noch einen
Schritt weiter, und zwar den entscheidenden Schritt. Der Apostel
Paulus beschreibt diesen Schritt Gottes in seinem Brief an die Kolosser wie folgt: „12 Dankt dem Vater mit Freude! … 13 Er hat uns der
Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines
geliebten Sohnes. 14 Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden. … 19 Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in
ihm wohnen, 20 um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel
und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat
am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,12f.14.19-20)
Paulus sagt hier: Durch den Kreuzestod Jesu sind wir von unseren
Sünden erlöst; durch Jesus haben wir den Zugang zu Gott; auf diesem
Weg kehren wir heim. Oder mit anderen Worten, diesmal aus dem
großen Loblied der Osternacht: „O unfassbare Liebe des Vaters: Um
den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin!“ Gott hat sich durch
seinen Sohn mit uns solidarisiert; Jesus, der ohne Sünde war, hat für
uns Sünder unsere Sünden getilgt.
Das Bekenntnis der Vergebung der Sünden
Liebe Schwestern und Brüder! Wir brauchen nicht von unseren Sünden gejagt durch das Leben zu hetzen. Mein Moralprofessor hatte
recht: Ein falsches Bild. Gott jagt uns nicht, er rettet uns. Wir sind
nicht auf der Flucht vor uns selbst, weil wir Sünder wären, sondern
wir sind auf dem Heimweg, wenn wir umkehren. Auf diesem Weg
gehen wir seit unserer Taufe; wir beschreiten Schritt für Schritt in
Zeiten der Umkehr und der Vergebung; und wir finden uns wieder
auf ihm, wenn wir abgeirrt sind und umkehren.
Deshalb bekennen wir mit den Christen aller Konfessionen „die eine
Taufe zur Vergebung der Sünden“. Wir sind erlöst und uns wurde bei
der Taufe das weiße Gewand der Erlösten angezogen.
Deshalb brauchen wir selbst in schwerer Sünde nicht zu verzagen.
Wir können im Sakrament der Versöhnung, in der Beichte, zurückfinden. Der heilige Tertullian nennt die Beichte „die zweite [Rettungs]planke nach dem Schiffbruch des Verlusts der Gnade«. (Katechismus der Katholischen Kirche 1446). Dort können wir die erlösenden Worte hören: „Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod
und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und
den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den
Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche
ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.“ (Liturgie der ‚Feier der Versöhnung)
Und wir können selbst Sünden vergeben. Denn nicht nur zu Petrus
hat Jesus gesagt: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im
Himmel gelöst sein.“ (Mt 16,19). Kurz nach diesem Wort spricht Jesus zu den Jüngern von der Verantwortung für die Brüder und
Schwestern und sagt zu ihnen: „Amen, ich sage euch: Alles, was ihr
auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein
und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel
gelöst sein.“ (Mt 18,18) Als dann Petrus – ausgerechnet Petrus! –
nachfragt: „Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er
sich gegen mich versündigt? Siebenmal?“ erhält er die Antwort Jesu:
„Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“
Die Kirche – eine Gemeinschaft der Vergebung
Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir uns das gesagt sein: Wir
sind eine Gemeinschaft der Barmherzigkeit und der Versöhnung, eine
Kirche, die die Vergebung der Sünden bekennt und praktiziert!
Oft sollten wir wie Huub Oosterhuis beten:
Herr, Gott, du bist nicht glücklich mit uns,
wenn wir einander unglücklich machen.
Du erträgst es nicht,
wenn wir nicht einander verzeihen und vergeben wollen.
Im Licht deines Sohnes sehen wir die Sünde der Welt.
Seit er gekommen ist, ermessen wir, wie hart und gnadenlos Menschen miteinander umgehen.
Du erträgst es nicht,
dass eins deiner Menschenkinder verloren geht,
weil ihm von Menschen nicht vergeben wird.
Wir bitten dich, komm uns entgegen,
so wie wir uns von dir entfernt haben.
Viel mehr als wir dich suchen,
bist du auf der Suche nach uns.
Zerbrich den Kreislauf des Bösen,
dass wir nicht Böses mit Bösem vergelten.
Lass uns miteinander barmherzig sein,
weil du uns zuvor schon vergeben hast.
Amen.
Gerhard Weber, Pfr.