Bloß nie krank werden - Initiative gegen Armut durch Pflege

porträt
Bloß nie krank werden
Lange vor der Diagnose Alzheimer brauchte ihre Mutter bereits intensive
Unterstützung. Elf Jahre pflegte Anneli Wagner (57) – selbst chronisch krank –
sie nach Berufsaufgabe ganz allein.
M
eine Mutter, Jahrgang 1925, die selbst
zehn Jahre gepflegt hat, war ein liebevoller
und intelligenter Mensch. 1996 begann sie
sich zu verändern. So war das Leben mit ihr nicht
mehr einfach. Ich habe sie selbstverständlich unterstützt. Noch war ich berufstätig, meine Vermutung,
es könnte Alzheimer sein, wurde erst 2003 bestätigt.
Ich hatte eine relativ klare Vorstellung von dem,
was Pflege bei Alzheimer bedeutet. Nicht vorstellen
konnte ich mir, was es heißt, um alles kämpfen zu
Meine Mutter war rund 18 Jahre krank,
meine Pflege dauerte offiziell elf Jahre,
davon sechs Jahre Pflegestufe 3 – bis zu
­ihrem Tod Anfang 2014 daheim. Die letzten
vier Jahre pflegte ich ohne Pause.
müssen – Pflegestufe, Hilfsmittel, Kurzzeitpflege,
noch heute fehlen fast 3.000 Euro der mir zustehenden Geldleistungen.
Als ich 2010 selbst wegen Krebsverdachts ins
Krankenhaus sollte, gab es keinen Kurzzeitpflegeplatz in einem Heim, das Vereinbarungen mit dem
Sozialhilfeträger hatte. Nach sieben Wochen – ich
selbst hatte große Schmerzen – gab ich meine ­M utter
in ein Heim ohne diese Vereinbarungen, daraufhin
verweigerte das Amt die Zahlung. Unabhängige
­B eratung gab es nicht.
Meine Mutter war rund 18 Jahre krank, meine
Pflege dauerte off iziell elf Jahre, davon sechs Jahre
Pflegestufe 3 – bis zu ­ihrem Tod
Anfang 2014 daheim. Die letzten
vier Jahre pflegte ich ohne Pause.
An die Zukunft darf ich gar
nicht denken, denn ich bin selbst
chronisch krank. Ich habe studiert
Anneli Wagner und drei Berufe ausgeübt, wurde
während der Pflege erwerbsunfähig, bräuchte aber eigentlich dauerhaft einen Hinzuverdienst. Trotz meiner Pflegearbeit im Wert von
ca. 430.000 Euro gehe ich in die Altersarmut.
Das Leben mit meiner Mutter war durchaus auch
schön: ihr Lächeln, ihre kindliche Anlehnung, ihre
dankbaren Augen vor allem in den letzten Jahren.
Wenn ich an sie denke, empfinde ich Liebe und großen
inneren Frieden. Dennoch bleibt für mich ein äußerer
Unfrieden, das Nichtanerkennen des Geleisteten, die
Armut, die gesellschaftliche Ausgrenzung. Das deutsche Pflegesystem behandelt pflegende Angehörige
nicht würdig genug, das setzt sich für sie auch nach
dem Ende der Pflegesituation fort.
Info:
Die Initiative gegen Armut durch Pflege
(www.armutdurchpflege.de) setzt sich
gezielt für eine Verbesserung der Situation
pflegender Angehöriger ein.
6 | 2015
pflegepartner
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