P S YC H O L O G I E Kurze Leine für den inneren Schweinehund Viele Menschen fassen gute Neujahrsvorsätze und scheitern dann an der Umsetzung. Aber wer sich die richtigen Ziele setzt, genau plant und Versuchungen ausschaltet, kann sich selbst überlisten Illustration: Merridee Stein F 62 01 | 2016 Von Luise Walchshofer ünf Kilo abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, endlich den Keller aufräumen: Wenn in der Silvesternacht die Uhr zwölfmal schlägt, fasst einer Umfrage zufolge knapp ein Drittel der Österreicher gute Vorsätze für das neue Jahr. Die halten allerdings oft nicht lange. Nur wenige Tage später isst man eine Schachtel Bonbons, raucht in der Mittagspause ein, zwei, drei Zigaretten, und die Tür zum Keller ist fest zu, damit man den Saustall dort unten nicht sieht. Wieder hat der innere Schweinehund über die guten Absichten gesiegt. Das liegt daran, dass es einfach bequemer ist, auf dem Sofa zu liegen, als draußen in der Kälte laufen zu gehen. „Alle fühlenden Wesen sehnen sich nach guten Gefühlen“, zitiert der Neurobiologe und Psychiater Joachim Bauer von der Universität Freiburg den Evolutionstheoretiker Charles Darwin. „Der Grund, warum wir Menschen zur herrschenden Spezies dieses Planeten werden konnten, war aber, dass wir aufgrund unseres großen Stirnhirns in der Lage sind, längerfristig zu planen und kurzfristige Befriedigungen zugunsten späterer, größerer Befriedigungen aufzuschieben. Moderne Konsumgesellschaften, in denen jeder immer alles sofort haben kann, bergen die Gefahr, dass wir uns zurückentwickeln.“ Das heißt: Wir sind nicht nur zur Selbstdisziplin fähig, sie ist auch nützlich. Auf dem Weg dorthin gibt es Hilfsmittel, zu denen wir greifen können. Es beginnt damit, sich Ziele zu setzen. Die sollten möglichst realistisch sein. „In drei Monaten will ich aussehen wie ein Supermodel“ etwa ist nicht realistisch. Solche Ziele sind zum Scheitern verurteilt, was zu Frust führt. Frustrierende Radieschen Ist ein Ziel definiert, sollte man einen Plan erstellen, wie man es erreichen möchte. „Der soll möglichst konkret sein. ‚Ich will sportlicher werden‘ ist kein Plan“, sagt B arbara Schober, Professorin für Psychologie an der Universität Wien. „Stattdessen sollte man sich genau vornehmen, an welchen Tagen und wie lange man beispielsweise laufen geht. Es hilft auch, sich kleine Zwischenziele zu setzen. Wenn man diese erreicht hat, darf und soll man sich dafür belohnen.“ Allerdings mit Augenmaß: Wer sich gesünder ernähren möchte, sollte sich nicht mit einem Sackerl Chips belohnen, sondern eher mit so etwas wie einem Kinobesuch. Ebenso wichtig ist es, Prioritäten zu setzen. Das gesamte Leben auf einmal um- „Wir setzen unsere begrenzte Energie für Dinge ein, die uns wirklich wichtig sind“ Barbara Schober, Institut für Angewandte Psychologie der Universität Wien zukrempeln gelingt fast niemandem. „Der Prozess der bewussten Selbstregulation ist überdies sehr anstrengend, und wir haben immer nur ein begrenztes Kontingent an Energie zur Verfügung“, erklärt Barbara Schober. „Und das werde ich für Dinge einsetzen, die mir wirklich wichtig sind.“ Die Grenzen der Willenskraft hat ein Experiment des amerikanischen Psychologen Roy Baumeister aufgezeigt. Dabei wurden hungrige Studenten in einen Raum gebracht, in dem es nach frisch gebackenen Keksen duftete. Auf einem Tisch standen Schalen mit Süßigkeiten und Radieschen. Eine Gruppe durfte essen, was sie wollte, die andere nur die Radieschen. Danach bekamen die Studenten eine unlösbare Mathematikaufgabe vorgesetzt. Die Süßigkeitengruppe gab nach 20 Minuten auf, die Radieschengruppe schon nach acht. Der Grund: Diese Teilnehmer hatten vorher schon widerstehen müssen. Ihre Willenskraft war erschöpft. Darum sind wir in Zeiten großen beruflichen Stresses auch besonders anfällig dafür, unsere guten Absichten über den Haufen zu werfen. Sich selbst die Hände binden Hat man sich ein Ziel gesetzt und einen Plan erstellt, folgt die schwerste Aufgabe: durchhalten. Dabei kann es helfen, sich selbst die Hände zu binden, sagt Matthias Sutter, Professor für Wirtschaftsforschung an den Universitäten Köln und Innsbruck, der das Thema Selbstdisziplin schon lange ‣ 01 | 2016 63 P S YC H O L O G I E „Gute Gewohnheiten sind nur so lange mühsam, bis sie Routine geworden sind“ PROKR ASTINATION Aufschieben bis zum Scheitern Matthias Sutter, Wirtschaftsforscher, Universität Innsbruck und Universität Köln J 64 01 | 2016 erforscht. „Wenn man dazu neigt, sein Konto leer zu räumen, kann man beispielsweise einen Teil seines Gehalts auf ein Sparbuch überweisen oder beim Stadtbummel die Kreditkarte zu Hause lassen“, rät er. Wer abnehmen möchte, sollte erst gar keine Süßigkeiten kaufen. Im Supermarkt muss man nur fünf Minuten widerstehen, daheim Stunde damit hinzusetzen.“ Ähnlich verhält es sich mit Sport, damit, Rechnungen pünktlich zu zahlen oder nicht alle naselang auf Facebook zu schauen: Irgendwann erfordert es keine Mühe mehr. Dass sich Willensstärke bezahlt macht, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010, bei der ein internationales Forscherteam das Leben tausend neuseeländischer Kinder von der Geburt bis zum 32. Lebensjahr verfolgte. Durch Beobachtungen, Beschreibungen des Verhaltens von Lehrern und Eltern sowie Selbstbeschreibungen der Kinder wurde ihre Selbstdisziplin erhoben und danach mit ihren Lebensweisen als Jugendliche und Erwachsene verglichen. Selbstdisziplinierte Kinder waren später gesünder, hatten seltener Übergewicht oder Alkoholprobleme, mehr Geld auf dem Konto, eine bessere Altersvorsorge und waren weniger häufig geschieden. den ganzen Abend. Wer zu viel Zeit im Internet verplempert, kann damit beginnen, Instagram und Facebook von seinem Handy zu löschen. Stellen Sie sich an den Pranger Auch Selbstüberwachung kann zum Ziel führen. Matthias Sutter berichtet in seinem Buch „Die Entdeckung der Geduld“ von einer Studie, bei der Studenten gebeten wurden, über einen gewissen Zeitraum ihre Einnahmen und Ausgaben zu notieren. „Mit der Zeit sanken die Ausgaben, weil sie einen Überblick hatten, wofür sie ihr Geld ausgaben und welche Ausgaben unnötig waren“, erklärt Sutter. Wer gesünder leben möchte, kann beispielsweise ein Sport- oder Essenstagebuch führen. Etwas aufzuschreiben führt uns unsere eigene Inkonsequenz vor Augen und macht es schwieriger, uns selbst in die Tasche zu lügen. Nützlich ist es auch, anderen von den guten Vorsätzen zu berichten. Wer in der Silvesternacht dem ganzen Freundeskreis erzählt hat, nicht mehr zu rauchen, steht blöd da, wenn er am 15. Jänner mit einer Zigarette erwischt wird. Nicht zuletzt ist es wichtig, genug zu schlafen und zu essen. Sowohl Unterzucker als auch Müdigkeit schwächen die Willenskraft. Selbstdisziplin zu erlernen mag nicht immer lustig sein, aber es gibt auch eine gute Nachricht: „Es ist nur anstrengend, sich gute Gewohnheiten anzueignen. Sind sie einmal zur Routine geworden, braucht man nur mehr wenig Willenskraft dafür“, Joachim Bauer: sagt Matthias Sutter. Als Beispiel nennt er Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung das Erlernen eines Instruments. „Am Anfang ist es aufregend, dann muss man sich des freien Willens. zum Üben überwinden, aber irgendwann Blessing Verlag, € 20,60 wird es Teil des Alltags, sich täglich eine Disziplin macht glücklich Illustration: Merridee Stein eder kennt das: Statt unange nehme Dinge sofort zu erledi gen, schiebt man sie auf die lange Bank. Prokrastination lautet der wissenschaftliche Ausdruck für dieses Verhalten. Bei manchen Menschen kann es zu einer ernst zu nehmenden Arbeitsstörung werden, unter der Betroffene sehr leiden. Sie kann sogar zu beruflichem Scheitern führen. Laut Prokrastinationsambulanz der Uni Münster sind die Gründe dafür vielfältig, etwa Defizite in Zeitmanagement und Prioritäten setzung oder Versagensängste. Behandeln lässt sich diese Störung durch eine neue Struktu rierung des Arbeitsverhaltens. Dass disziplinierte Menschen reicher sind, mag niemanden überraschen. Eher schon, dass sie auch glücklicher sind als die sogenannten liebenswerten Chaoten. Sie werden weder ständig von unerledigten Aufgaben geplagt, die in ihrem Kopf herumspuken, noch bringen sie sich durch ihre eigene Inkonsequenz in die Bredouille. „Studien zeigen, dass Menschen, die ihre längerfristigen Ziele, wie zum Beispiel Reduktion von Übergewicht, nicht erreichen, weil sie sich immer wieder von kurzfristigen Verlockungen und Ablenkungen abhalten lassen, unterm Strich kein glückliches Leben führen. Süchtig zu sein macht nicht glücklich“, erklärt Psychiater Joachim Bauer. „Dabei ist es egal, ob ich vom Smartphone, von Süßigkeiten, von Alkohol oder vom Rauchen abhängig bin.“ Aufruf zu Kontrollsucht und Pedanterie ist dies aber keiner. „Das Leben soll Freude machen. Selbststeuerung heißt nicht, die Genüsse des Lebens zu verdammen, sondern eine gute Balance zu finden zwischen Lust und Selbstkontrolle“, sagt Bauer. Denn wer seinen inneren Schweinehund gut abgerichtet hat, der darf ihn ruhig hin und wieder von der Leine lassen. Roy Baumeister, John Tierney: Die Macht der Disziplin. Wie wir unseren Willen trainieren können. Goldmann, € 10,30 01 | 2016 65
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