Kurze Leine Schweinehund

P S YC H O L O G I E
Kurze
Leine
für den inneren
Schweinehund
Viele Menschen fassen gute Neujahrsvorsätze und scheitern dann an
der Umsetzung. Aber wer sich die richtigen Ziele setzt, genau plant
und Versuchungen ausschaltet, kann sich selbst überlisten
Illustration: Merridee Stein
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Von Luise Walchshofer
ünf Kilo abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, endlich den Keller
aufräumen: Wenn in der Silvesternacht die Uhr zwölfmal schlägt,
fasst einer Umfrage zufolge knapp
ein Drittel der Österreicher gute
Vorsätze für das neue Jahr. Die halten allerdings oft nicht lange. Nur wenige Tage
später isst man eine Schachtel Bonbons,
raucht in der Mittagspause ein, zwei, drei
Zigaretten, und die Tür zum Keller ist fest
zu, damit man den Saustall dort unten nicht
sieht. Wieder hat der innere Schweinehund
über die guten Absichten gesiegt.
Das liegt daran, dass es einfach bequemer ist, auf dem Sofa zu liegen, als draußen
in der Kälte laufen zu gehen. „Alle fühlenden
Wesen sehnen sich nach guten Gefühlen“,
zitiert der Neurobiologe und Psychiater Joachim Bauer von der Universität Freiburg
den Evolutionstheoretiker Charles Darwin.
„Der Grund, warum wir Menschen zur
herrschenden Spezies dieses Planeten werden konnten, war aber, dass wir aufgrund
unseres großen Stirnhirns in der Lage sind,
längerfristig zu planen und kurzfristige Befriedigungen zugunsten späterer, größerer
Befriedigungen aufzuschieben. Moderne
Konsumgesellschaften, in denen jeder immer alles sofort haben kann, bergen die Gefahr, dass wir uns zurückentwickeln.“
Das heißt: Wir sind nicht nur zur Selbstdisziplin fähig, sie ist auch nützlich. Auf
dem Weg dorthin gibt es Hilfsmittel, zu denen wir greifen können. Es beginnt damit,
sich Ziele zu setzen. Die sollten möglichst
realistisch sein. „In drei Monaten will ich
aussehen wie ein Supermodel“ etwa ist
nicht realistisch. Solche Ziele sind zum
Scheitern verurteilt, was zu Frust führt.
Frustrierende Radieschen
Ist ein Ziel definiert, sollte man einen Plan
erstellen, wie man es erreichen möchte. „Der
soll möglichst konkret sein. ‚Ich will sportlicher werden‘ ist kein Plan“, sagt B
­ arbara
Schober, Professorin für Psychologie an der
Universität Wien. „Stattdessen sollte man
sich genau vornehmen, an welchen Tagen
und wie lange man beispielsweise laufen
geht. Es hilft auch, sich kleine Zwischenziele
zu setzen. Wenn man diese erreicht hat, darf
und soll man sich dafür belohnen.“ Allerdings mit Augenmaß: Wer sich gesünder
ernähren möchte, sollte sich nicht mit einem
Sackerl Chips belohnen, sondern eher mit so
etwas wie einem Kinobesuch.
Ebenso wichtig ist es, Prioritäten zu
setzen. Das gesamte Leben auf einmal um-
„Wir setzen unsere
begrenzte Energie für
Dinge ein, die uns
wirklich wichtig sind“
Barbara Schober, Institut für Angewandte
Psychologie der Universität Wien
zukrempeln gelingt fast niemandem. „Der
Prozess der bewussten Selbstregulation ist
überdies sehr anstrengend, und wir haben
immer nur ein begrenztes Kontingent an
Energie zur Verfügung“, erklärt Barbara
Schober. „Und das werde ich für Dinge
einsetzen, die mir wirklich wichtig sind.“
Die Grenzen der Willenskraft hat ein
Experiment des amerikanischen Psychologen Roy Baumeister aufgezeigt. Dabei
wurden hungrige Studenten in einen Raum
gebracht, in dem es nach frisch gebackenen
Keksen duftete. Auf einem Tisch standen
Schalen mit Süßigkeiten und Radieschen.
Eine Gruppe durfte essen, was sie wollte,
die andere nur die Radieschen. Danach
bekamen die Studenten eine unlösbare
Mathematikaufgabe vorgesetzt. Die Süßigkeitengruppe gab nach 20 Minuten auf,
die Radieschengruppe schon nach acht.
Der Grund: Diese Teilnehmer hatten vorher schon widerstehen müssen. Ihre Willenskraft war erschöpft. Darum sind wir in
Zeiten großen beruflichen Stresses auch
besonders anfällig dafür, unsere guten Absichten über den Haufen zu werfen.
Sich selbst die Hände binden
Hat man sich ein Ziel gesetzt und einen
Plan erstellt, folgt die schwerste Aufgabe:
durchhalten. Dabei kann es helfen, sich
selbst die Hände zu binden, sagt Matthias
Sutter, Professor für Wirtschaftsforschung
an den Universitäten Köln und Innsbruck,
der das Thema Selbstdisziplin schon lange ‣
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„Gute Gewohnheiten sind
nur so lange mühsam, bis
sie Routine geworden sind“
PROKR ASTINATION
Aufschieben bis
zum Scheitern
Matthias Sutter, Wirtschaftsforscher,
Universität Innsbruck und Universität Köln
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erforscht. „Wenn man dazu neigt, sein Konto leer zu räumen, kann man beispielsweise
einen Teil seines Gehalts auf ein Sparbuch
überweisen oder beim Stadtbummel die
Kreditkarte zu Hause lassen“, rät er. Wer
abnehmen möchte, sollte erst gar keine
Süßigkeiten kaufen. Im Supermarkt muss
man nur fünf Minuten widerstehen, daheim
Stunde damit hinzusetzen.“ Ähnlich verhält
es sich mit Sport, damit, Rechnungen
pünktlich zu zahlen oder nicht alle naselang
auf Facebook zu schauen: Irgendwann erfordert es keine Mühe mehr.
Dass sich Willensstärke bezahlt macht,
zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010, bei der
ein internationales Forscherteam das Leben tausend neuseeländischer Kinder von
der Geburt bis zum 32. Lebensjahr verfolgte. Durch Beobachtungen, Beschreibungen
des Verhaltens von Lehrern und Eltern
sowie Selbstbeschreibungen der Kinder
wurde ihre Selbstdisziplin erhoben und danach mit ihren Lebensweisen als Jugendliche und Erwachsene verglichen. Selbstdisziplinierte Kinder waren später gesünder,
hatten seltener Übergewicht oder Alkoholprobleme, mehr Geld auf dem Konto,
eine bessere Altersvorsorge und waren
weniger häufig geschieden.
den ganzen Abend. Wer zu viel Zeit im Internet verplempert, kann damit beginnen,
Instagram und Facebook von seinem Handy zu löschen.
Stellen Sie sich an den Pranger
Auch Selbstüberwachung kann zum Ziel
führen. Matthias Sutter berichtet in seinem
Buch „Die Entdeckung der Geduld“ von
einer Studie, bei der Studenten gebeten
wurden, über einen gewissen Zeitraum ihre
Einnahmen und Ausgaben zu notieren.
„Mit der Zeit sanken die Ausgaben, weil sie
einen Überblick hatten, wofür sie ihr Geld
ausgaben und welche Ausgaben unnötig
waren“, erklärt Sutter. Wer gesünder leben
möchte, kann beispielsweise ein Sport- oder
Essenstagebuch führen. Etwas aufzuschreiben führt uns unsere eigene Inkonsequenz vor Augen und macht es schwieriger,
uns selbst in die Tasche zu lügen.
Nützlich ist es auch, anderen von den
guten Vorsätzen zu berichten. Wer in der
Silvesternacht dem ganzen Freundeskreis
erzählt hat, nicht mehr zu rauchen, steht
blöd da, wenn er am 15. Jänner mit einer
Zigarette erwischt wird. Nicht zuletzt ist es
wichtig, genug zu schlafen und zu essen.
Sowohl Unterzucker als auch Müdigkeit
schwächen die Willenskraft.
Selbstdisziplin zu erlernen mag nicht
immer lustig sein, aber es gibt auch eine
gute Nachricht: „Es ist nur anstrengend,
sich gute Gewohnheiten anzueignen. Sind
sie einmal zur Routine geworden, braucht
man nur mehr wenig Willenskraft dafür“,
Joachim Bauer:
sagt Matthias Sutter. Als Beispiel nennt er
Selbststeuerung.
Die Wiederentdeckung das Erlernen eines Instruments. „Am Anfang ist es aufregend, dann muss man sich
des freien Willens.
zum Üben überwinden, aber irgendwann
Blessing Verlag,
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wird es Teil des Alltags, sich täglich eine
Disziplin macht glücklich
Illustration: Merridee Stein
eder kennt das: Statt unange­
nehme Dinge sofort zu erledi­
gen, schiebt man sie auf die lange
Bank. Prokrastination lautet der
wissenschaftliche Ausdruck für
dieses Verhalten. Bei manchen
Menschen kann es zu einer ernst
zu nehmenden Arbeitsstörung
werden, unter der Betroffene
sehr leiden. Sie kann sogar zu
beruflichem Scheitern führen.
Laut Prokrastinationsambulanz
der Uni Münster sind die Gründe
dafür vielfältig, etwa Defizite in
Zeitmanagement und Prioritäten­
setzung oder Versagensängste.
Behandeln lässt sich diese
Störung durch eine neue Struktu­
rierung des Arbeitsverhaltens.
Dass disziplinierte Menschen reicher sind,
mag niemanden überraschen. Eher schon,
dass sie auch glücklicher sind als die sogenannten liebenswerten Chaoten. Sie werden weder ständig von unerledigten Aufgaben geplagt, die in ihrem Kopf herumspuken, noch bringen sie sich durch ihre eigene
Inkonsequenz in die Bredouille. „Studien
zeigen, dass Menschen, die ihre längerfristigen Ziele, wie zum Beispiel Reduktion von
Übergewicht, nicht erreichen, weil sie sich
immer wieder von kurzfristigen Verlockungen und Ablenkungen abhalten lassen, unterm Strich kein glückliches Leben führen.
Süchtig zu sein macht nicht glücklich“, erklärt Psychiater Joachim Bauer. „Dabei ist
es egal, ob ich vom Smartphone, von Süßigkeiten, von Alkohol oder vom Rauchen abhängig bin.“
Aufruf zu Kontrollsucht und Pedanterie
ist dies aber keiner. „Das Leben soll Freude
machen. Selbststeuerung heißt nicht, die
Genüsse des Lebens zu verdammen, sondern eine gute Balance zu finden zwischen
Lust und Selbstkontrolle“, sagt Bauer.
Denn wer seinen inneren Schweinehund
gut abgerichtet hat, der darf ihn ruhig hin
und wieder von der Leine lassen.
Roy Baumeister,
John Tierney: Die
Macht der Disziplin.
Wie wir unseren Willen
trainieren können.
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