Zeichnung: Nina Dulleck EIN GUTES WORT SCHENKEN Sprachbilder in der Pflege. Worte können stärken, aufbauen, heilen. Sie können aber auch ängstigen, verstören, zurückstoßen. Noch wird die Wirkung, die Worte auslösen, zu wenig bedacht. Für Pflegende ist es deshalb besonders wichtig, die eigene Sprachwahl zu reflektieren und einen Wortschatz zu entwickeln, der Patienten, Bewohnern und Angehörigen gerecht wird und ihnen vor allem „gut tut“. Von Sandra Mantz E in gutes Wort schenken, wer kennt das nicht? Ein gutes Wort tut gut, „läuft runter wie Öl“ und wirkt lange im Menschen nach. Worte gehen unter die Haut, geben Halt und tragen einen durch belastende Zeiten. Auch wenn man ein gutes Wort nicht ständig braucht – zur rechten Zeit kann es wie Balsam wirken und hier und da vielleicht sogar ein kleines Wunder auslösen. 1 Die deutsche Sprache bietet einen faszinierenden Wortschatz, es gibt gute Worte in Hülle und Fülle. Man könnte meinen, dass sie im Gesundheitswesen weit verbreitet wären. Schließlich geht es gerade hier um Verständnis, Vertrauen und Würde für kranke und alte Menschen. Bedauerlicherweise sind in der Pflegepraxis die guten Worte etwas in Vergessenheit geraten. Das ist schade – denn sie halten für Menschen wohltuende und heilsame Kräfte bereit. Die Sprache „leidet mit“ Negative Sprachbilder sind Bestandteil des Gesundheitssystems. Patienten, Senioren und Angehörige bringen belastende Stimmungsbilder und Befindlichkeiten bereits mit: Ängste, Schmerzen, Sorgen, HilfDie Schwester Der Pfleger 0. Jahrg. 6|15 Pflegen + Unterstützen Wollen Sie Menschen beruhigen, so brauchen Sie Worte und Gesten der Beruhigung. Wollen Sie Menschen Die Schwester Der Pfleger 0. Jahrg. 6|15 Orientierung und Sicherheit bieten, brauchen Sie Worte der Orientierung und Sicherheit. Die Pflegepraxis fordert von Pflegenden eine hohe Sprachsensibilität und Sicherheit in einer humanen Gesprächsführung. Lassen Sie sich animieren, wieder einmal tief in die Schatzkiste der guten Worte zu greifen – denn wer über Wortschätze verfügt, hat die Wahl. Die Absicht, empathisch im Dialog zu sein, bedarf der Worte, um dieser Intention Ausdruck zu verleihen. Die gute Absicht allein genügt nicht. Die Worte, die Sie wählen, geben Einblick in Ihre sozialen und pflegerischen Kompetenzen. Der Gesprächsprofi kennt sich in den derzeit noch vorherrschen negativen Sprachmustern gut aus, beherrscht allerdings auch die Sprache, die heilsame und ausgleichende Aspekte in sich trägt (Abb. 1). Dadurch bleibt er gelassener und wird als kompetenter, empathischer Ansprechpartner wahrgenommen. Kommunikation kann und wird niemals ein Standard sein. Wo Menschen sind, sind Emotionen, wo Emotionen sind, ist Leben. Bieten Sie den hohen Stressoren des Pflegealltags einmal ganz anders die Stirn – mit Standkraft, Souveränität und mit einem Ja für Menschen, die sich vielleicht nicht immer gut benehmen, die jedoch Menschen sind und bleiben! Beginnen Sie damit, Ihr eigenes Bewusstsein zu steigern: Denken Sie bitte immer daran, dass Sie als Pflegefachperson in der deutlich leichteren Position sind als Ihr Patient, der Senior und deren Angehörige! Erarbeiten Sie sich eine professionelle Haltung für Ihre Gesprächsanforderungen. Es stärkt Ihre Gesundheit und fördert ein beruhigendes Umfeld. Sie haben große Einflussmöglichkeiten, wenn Sie das Potenzial erkennen. Abb. 1 Kraft- und Kompetenzspirale im Gespräch Kraft- und Kompetenzgewinn SPRACHEN WORTE GESTEN wecken Lebensgeister machen Mut beruhigen bringen zum Lachen erfreuen erheitern entspannen trösten bauen auf bringen Augen zum Strahlen lassen durch- und aufatmen schenken Menschlichkeit machen froh bauen Vertrauen auf tragen Würde, Respekt und Freundlichkeit bereits in sich. Entdecken Sie Ihre eigenen Kommunikationsmuster, Erweitern Sie Ihren Wortschatz, Hören Sie genau hin und sprechen Sie in der Sensibilisierungszeit weniger, Öffnen Sie alle Sinneskanäle und erweitern Sie Ihre Wahrnehmung für das, was tatsächlich geschieht, Werden Sie zum Pionier der guten und heilsamen Worte, Erlauben Sie sich Humor und Abenteuergeist. Gesprächs-LAIE Empathie und gute Worte als Kompetenzmerkmal GUTE WORTE … Gesprächs-PROFI losigkeit, Problemorientierung und auch Angst vor dem Tod. Diese Bilder wirken auf ihr Verhalten ein und prägen auch den Kontakt mit Professionellen. Der Leidensdruck pulsiert, und die Stimmungsbilder in Pflegeteams sind zunehmend bedrückend. Verstärkt wird diese Situation durch unbewusste Sprachaspekte: n die Sprache der Sorge und Belastungen. Schlüsselworte sind: sollen, kümmern, Sorgen machen, versorgen, Beschwerden, Kummer haben und niedergeschlagen sein… n die Sprache der Krankheiten und Verletzungen. Schlüsselworte sind: der Kollaps, der Krampf, die macht mich verrückt, mich trifft der Schlag, auf dem Zahnfleisch gehen… n die Sprache der Angst- und Stressorientierung. Schlüsselworte sind: müssen, fertig werden, stressig, schnell, beeilen, kurz, gleich… n die Sprache des Leidens und Sterbens. Worte der Trauer, Wut und Hilflosigkeit… n die Sprache der Abwertung und Ironie. Schlüsselaussagen sind: Die nervt, der Zugang, die Schmitt, immer ich, die Alte spinnt, na vielen Dank, da können Sie Gift darauf nehmen… n die Sprache der Rivalität und Konkurrenz. Schlüsselaussagen sind: Der kann mich mal, typisch Arzt, typisch Schüler, bei der musst du aufpassen, ist ja nicht auszuhalten, dieses Gejammer, die hat doch keine Ahnung, der ist nicht zu gebrauchen… n die Sprache der Menschenlosigkeit. Schlüsselaussagen: Zimmer 11 klingelt, der Blutdruck liegt im oberen Fach, machst du Apotheke?, die Varizen müssen vor 7 Uhr im OP sein… n die Sprache der Problemorientierung, des Mangels und der Vieldeutigkeit. Schlüsselworte: aber, trotzdem, eigentlich, vielleicht, keine Zeit, keine Ahnung, Problempatient… SPRACHE, WORTE, GESTEN … … der Gesundheit und Heilung … des Lebens und der Zuversicht … der Empathie und Menschlichkeit … der Belastung und Sorgen … der Krankheiten und Verletzungen … des Stresses und der Angstorientierung Kraft- und Kompetenzverlust 2 Reden IST pflegen und Sprache IST wie Medizin Pflegende, die empathisch kommunizieren möchten, brauchen Worte der Achtsamkeit. Achtsam sein bedeutet: „aufmerksam, fürsorglich, jemandem oder etwas Beachtung schenken“. Der Schatz im Satz: Bei einem Verbandswechsel können Sie sagen: „Frau Weber, ich bin ganz achtsam mit Ihrem Bein“ statt: „Ich bin ganz vorsichtig“. Oder bei einer Blutabnahme: „Sie haben zarte Venen“ statt: „Das Problem sind Ihre Venen.“ Im emotionalen Dialog mit Angehörigen ist es achtsamer zu sagen: „Das ist eine bedeutsame Information für Sie, ich frage gerne für Sie nach“ anstelle von: „Da muss ich erstmal nachfragen“. Bei der Übergabe können Sie weitergeben: „Frau Zeitler, 93 Jahre, reagiert bei der Grundpflege empfindsam auf Stress und schnelle Bewegungen“ statt: „Frau Zeitler wehrt sich beim Waschen und macht nicht richtig mit“. Eine belebte Sprache im Pflegealltag: Entlarven Sie die Floskeln des Alltags und überraschen Sie Patienten und Senioren mit Wortschätzen in beliebigen Varianten. Statt dem üblichen „Mahlzeit“ können Sie sagen: Guten Appetit! Herzhaften Appetit, Herr Schulz. Liebe geht durch den Magen, Frau Krenz. Die Suppe gibt Ihnen Kraft, Frau Schenk. Frau Reinhard, ich wünsche Ihnen eine gesegnete Mahlzeit. … Lichtblicke mit Wortgeschenken: Sie gehen am Morgen in ein Bewohner- oder Patientenzimmer, und anders als sonst begrüßen Sie heute mit den Worten: „Frau Seipel, heute dürfen Sie sich etwas aussuchen: „Guten Morgen“ „Wunderschönen guten Morgen“ oder „Einen vergnügten guten Morgen“ – was hätten Sie denn heute gerne?“ Die Welt der heilsamen Worte Sprache ist ein höchst sensibles Medium zwischen dem Menschen und seiner Umgebung. Sie dient dem TYPISCHE SPRACHBILDER IN DER PFLEGE Die „Übergabe am Bett“ Viele Stationen möchten seit Jahren die „Übergabe am Bett“ etablieren. Das gelingt auf einigen Stationen sehr gut, und wird von Patienten und Pflegenden gleichermaßen positiv erlebt. Aber oft zeigt sich auch, dass der Kern dieser Idee – nämlich den Patienten in das Übergabegespräch (als Partner) einzubeziehen – nicht gelebt wird. Da hat man das Gefühl, dass die Übergabe, die ja traditionell in einem Stationszimmer oder Pflegestützpunkt stattfand, einfach nur in einen anderen Raum verlegt wurde. Rein sprachlich betrachtet machen die Mitarbeiter alles richtig: Sie machen die Übergabe AM Bett. Leichter wäre es, wenn die Vorgabe konkret formuliert würde, zum Beispiel „Übergabe mit dem Patienten“, „Übergabe mit Patientengespräch“, „Patientengespräch mit Übergabe“. Man könnte zwar entgegnen: „Aber meine Mitarbeiter wissen doch, was gemeint ist“. Ja, möglicherweise. Vielleicht aber auch nicht. Eindeutigkeit entscheidet manchmal nur eine Nuance im Ausdruck. „Auf die Glocke gehen“ Auf „die Klingel oder die Glocke gehen“ ist ein typischer Ausdruck, der in seiner tatsächlichen Aussage gar nicht mehr hinterfragt wird. Wir sagen zudem: „Es hat geklingelt“ oder „Es ist die 21“ (gemeint ist Zimmer 21) und nicht „Der Patient oder der Bewohner Herr XY hat geklingelt“. Im Sinne der Formulierung ist das „Auf-die-Klingel-gehen“ eine rein mechanische Aktivität, in der der Patient und sein Anliegen nachrangig sind. Der Patient verschwindet hinter der Glocke, die offenbar in ihrer Größe eine wichtigere Bedeutung gewonnen hat als das Anliegen des Patienten. Oft ist das zwar nicht so gemeint, aber die Bezeichnung legt es nahe. Und auch wenn Pflegende viele Dinge sagen, die sie nicht meinen und wenn die Absicht dahinter eine gute ist, befreit dies weder von der Wirkung noch von der Verantwortung. Schüler werden sehr häufig „geschickt“, um die „Glocke“ auszumachen. Sie lernen viel zu wenig, welche Chance und welche fachliche Verantwortung in dieser „Minute“ liegt. Die Möglichkeit, mit dem Patienten in Kommunikation zu gehen, wird den Pflegenden selbst zur „Last“. „Wir haben nie Zeit für Gespräche!?“, heißt es oft. Doch, hier schon - aber viele sehen in dieser Situation nur das innewohnende Bild des umgangssprachlichen Ausdrucks. 3 Die Schwester Der Pfleger 0. Jahrg. 6|15 Wohlbefinden und der Schaffenskraft ALLER. Die Kunst des Sprechens zu kultivieren, zeugt von Respekt, Verantwortungsbewusstsein und der Liebe zum eigenen Beruf. Stimmige Worte – dem Menschen und der Situation angemessen – bieten Orientierung, Sicherheit und Vertrauen. Heimbewohner, Patienten und deren Angehörige fühlen sich dadurch gut beraten und kompetent begleitet. Im eigenen Team und in den interdisziplinären Anforderungen nähren Sie mit Ihrem Anspruch für Sprachkompetenz eine hohe Pflegequalität und einen friedvollen Geist miteinander. Denken, Sprechen und Handeln hängen eng zusammen. Welchen wunderbaren Wortschatz uns die deutsche Sprache bietet, zeigt sich beispielsweise in Worten wie: herzerfrischend, vertraut, liebäugeln, ermutigen, warmherzig, sanft, bezaubernd, wunderbar, Feingefühl, Sanftmut, beherzigen, faszinierend, behütet, Sanftmut … Und die folgenden Ausdrücke zeigen, wie viel Worte zu geben vermögen: um die Wette strahlen, wertschätzend antworten, lebendig erzählen, die Hand reichen, aufmerksam sein, Heimat schenken, Halt geben, ansteckend lachen … Der Philosoph und Dichter Khalil Gibran drückte es so aus: „Alles Wissen ist leer, wenn man nichts damit tut. Und alles Tun ist leer, wenn ihm die Liebe fehlt.“ Die Schwester Der Pfleger 0. Jahrg. 6|15 Lesen Sie mehr von der Autorin in ihrem neuen Buch: Arbeitsbuch Kommunizieren in der Pflege: Mit heilsamen Worten pflegen. Von Sandra Mantz, 160 S., Kohlhammer 2015, 24,99 Euro Die vorherrschenden Denk- und Sprachmuster im Pflegealltag weisen alarmierend auf eine vieldeutige, floskelhafte, wenig vertrauenserweckende und dem Menschen ferne Kommunikation hin. Sie erschöpft alle am Pflegeprozessbeteiligten Menschen. Dieses Buch regt zur kritischen Selbstreflektion an, sensibilisiert für Chancen und Risiken im eigenen Kommunikationsverhalten und erweitert das Bewusstsein für die Kraft der heilsamen Worte im Pflegeberuf. Es bietet Praxisnähe, Wortschätze, Übungsvielfalt und macht Mut zum guten Gespräch. Brauchen Sie für gute Worte mehr Zeit? Nein. Sie sprechen sowieso. Ein „gutes Wort“ dauert nicht länger als ein „floskelhaftes Wort“, ist ein Geschenk und belebt die Qualität im Dialog. Kosten „gute Worte“ Geld? Nein. Gedanken sind frei, und so stehen Ihnen Wortschätze kostenfrei und jederzeit zur Verfügung. Was kann passieren, was riskieren Sie mit „einem guten Wort“? Gleich und gleich gesellt sich gerne, insofern ist das Schlimmste, das Ihnen passieren kann, dass die Welt in Ihnen und um Sie herum etwas heller, freundlicher und menschlicher wird. Bleibt die Frage, wie viel Glück Sie ertragen. Wenn Pflegende sprechen, bringen sie im besten Falle ihre gesamte soziale und fachliche Kompetenz zum Ausdruck. Es ist deshalb ein kraftvoller Impuls in Richtung Menschlichkeit, Schritt für Schritt Gesprächskompetenzen und eine Sprachsensibilisierung in den eigenen Berufsreihen aufzubauen. Dies schützt unsere Gesundheit, wertet unser Berufsbild auf und stärkt unseren Selbstwert. Nicht das Komplizierte bringt uns in hohen Anforderungen weiter, sondern das Einfache. Manchmal beginnt es mit einem „guten Wort“. Sandra Mantz, Pflegefachkraft, Fachweiterbildungsleiterin für humane Gesprächs- und Sprachkompetenz der Health Care Branche Leiterin der SprachGUT® Akademie, Hansaring 8, 63843 Niedernberg http://www.sprachgut-akademie.de/ [email protected] www.Sandra-Mantz.de [email protected] 4
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