FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE Gruppenausstellung Kuratiert von Ellen Blumenstein und Daniel Tyradellis 14.6.–30.8.15 Presserundgang: Freitag, 12.6.15, 10 h Eröffnung: Samstag, 13.6.15, 17–22 h PRESSEMAPPE Inhalt - Pressemitteilung: FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE Künstler- und Werkliste Begleitprogramm Vermittlungsprogramm Publikation Katalogtext: Ellen Blumenstein im Gespräch mit Schorsch Kamerun Katalogtext: Nachwort Daniel Tyradellis Biografien der KuratorInnen Stand: 11.6.15/Änderungen vorbehalten Pressekontakt Henriette Sölter T +49 30 243459-42 [email protected] KW Institute for Contemporary Art Auguststr. 69 10117 Berlin www.kw-berlin.de www.facebook.com/KWInstituteforContemporaryArt www.facebook.com/KWFreunde PRESSEMITTEILUNG FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE Gruppenausstellung Kuratiert von Ellen Blumenstein und Daniel Tyradellis 14.6.–30.8.15 Presserundgang: Freitag, 12.6.15, 10 h Eröffnung: Samstag, 13.6.15, 17–22 h „Fire and Forget“ ist ein im Militärjargon gebräuchlicher Begriff für Waffensysteme, die aus gefahrloser Distanz zum Feind ausgelöst werden und eigenständig ihr Ziel erreichen. Die Gruppenausstellung FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE nimmt den militärischen Ausdruck zum Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit den geläufigen Vorstellungen von Krieg und Gewalt in der zeitgenössischen Kunst. Die Schau gliedert sich in die vier Themenkomplexe Grenze, Affekt, Erinnerung und Ereignis. Das Motiv der Grenze führt in die Thematik ein. An Grenzziehungen kreuzen sich unterschiedliche Kräftefelder, die unter anderem politische, ökonomische, kulturelle, religiöse oder ethnische Wechselwirkungen aufweisen. Arbeiten von KünstlerInnen wie Daniil Galkin, Barbara Kruger und Javier Téllez widmen sich Grenzziehungen, die territoriale, physische wie auch mentale Unterscheidungen mit sich bringen, die in ihrer Willkür gewalthegende Funktionen übernehmen. Der Bereich Affekt mit Arbeiten von unter anderem Clara Ianni, Joachim Köster, Gillian Wearing und He Xiangyu stellt die Frage nach Auswirkungen, die der Einsatz moderner Waffen langfristig auf die menschliche Psyche hat, wenn die fehlende körperliche Nähe zum Gegner dem gewalttätigen Akt einen konkreten Gegenstand und ein identifikatorisches Gegenüber entzieht. Untersucht werden außerdem mögliche Folgen für die Argumente und Evidenzen politischen Handelns sowie die Wege, über die diese Gewalt sich einen Ausdruck sucht – wie etwa in den Träumen und Ängsten der Menschen. Der Komplex Erinnerung widmet sich dem Potenzial von Geschichte und Erinnerung zur Verhinderung – oder Eskalation – von Gewalt: Ist sie grundlos und triebhaft, oder liegt ihr Ursprung in selbst erlittener Gewalt? KünstlerInnen wie Rudolf Herz, Kris Martin und Hrair Sarkissian fragen in ihren Arbeiten auch danach, welchen Anteil die Kunst an Erinnerung und der Möglichkeit des Verzeihens als einziger Form aktiven Vergessens haben kann. Die Kette kausaler Zusammenhänge von Gewalt reicht immer in die Geschichte hinein, während einfache Gut/Böse-Schemata nur dazu dienen, das eigene Weltbild zu schützen. Die vierte Abteilung schließlich widmet sich dem Ereignis der Gewalt. Arbeiten von Julius von Bismarck, Robert Longo, Ala Younis und anderen spiegeln den in jeder neuen Situation wieder singulären Moment des Auslösens und der Entscheidung für die Gewalt. Neue Waffentechnologien bringen den Verlust der unmittelbaren körperlichen Konfrontation und der damit verbundenen Gefahr für das eigene Leben mit sich und brauchen deshalb andere Formen des Ausdrucks für erlittene, bezeugte oder auch nur befürchtete Gewalt. Einer der Orte, an denen dies geschieht, ist die Kunst, auch wenn hier Waffen meist selbstverständlich als etwas per se Schlechtes angesehen und systematische oder historische Zusammenhänge ausgeblendet werden. Die Ausstellung versteht sich als Versuch zu zeigen, dass weder logisches oder ökonomisches Kalkül noch der Affekt allein der Komplexität der Gewalt und ihrer Gründe gerecht werden können, und setzt sich selbstreflexiv mit den Möglichkeiten und den Grenzen dessen auseinander, was Kunst zu dieser Diskussion heute beitragen kann. Als begleitendes Motiv ziehen sich durch die gesamte Ausstellung Fotografien aus der Sammlung Martin Dammann/Archive of Modern Conflict in London. Dieses dokumentarische Element lädt gemeinsam mit den künstlerischen Positionen zur Reflexion darüber ein, was künstlerische Bilder gegenüber historisch-dokumentarischen Bildern, wie sie auch im Journalismus verwendet werden, zu zeigen vermögen – und was nicht. Die ausstellungsbegleitende Publikation und das Rahmen- und Vermittlungsprogramm beleuchten das Thema aus der Perspektive anderer Disziplinen: Das Buch FRIENDLY FIRE & FORGET (Matthes & Seitz Berlin) versammelt für diesen Anlass entstandene literarische Texte deutscher und internationaler AutorInnen, darunter Schorsch Kamerun, Wladimir Kaminer und Kathrin Passig. Gäste, die von Gewalt persönlich betroffen sind oder sich beruflich damit auseinandersetzen, führen an ausgewählten Terminen durch die Ausstellung oder diskutieren einen möglichen Umgang mit ihr aus Sicht des Theaters, des Films und der Musik. Mit Arbeiten von Marina Abramović und Ulay; Ron Amir; Julius von Bismarck; Roy Brand, Ori Scialom und Keren Yeala Golan; James Bridle; Luis Camnitzer; Mircea Cantor; Jota Castro; Chto Delat; Marcelo Cidade; Jem Cohen; Martin Dammann; Öyvind Fahlström; Harun Farocki; Daniil Galkin; Rudolf Herz; Damien Hirst; Clara Ianni; Emily Jacir; Hunter Jonakin; Joachim Koester; Korpys/Löffler; Barbara Kruger; Armin Linke; Robert Longo; Jazmín López; Kris Martin; Ana Mendieta; Michael Müller; Timo Nasseri; NEOZOON; Katja Novitskova; Jon Rafman; Pipilotti Rist; Robbert&Frank Frank&Robbert; André Robillard; Julian Röder; Henning Rogge; Martha Rosler; Hrair Sarkissian; Santiago Sierra; Timur Si-Qin; Tal R; Javier Téllez; Sharif Waked; Gillian Wearing; He Xiangyu; Amir Yatziv; Ala Younis. FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Wir danken für die finanzielle Unterstützung: KW Freunde e. V. sowie Rivka Saker, dem Sammler Uli Sigg, Mr. Xue, Peng Pei-Cheng, Outset Contemporary Art Fund, Contemporary Fine Arts Berlin, KOW Berlin. Die Publikation sowie das Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm werden gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Öffnungszeiten Mi–Mo 12–19 h, Do 12–21 h, Di geschlossen Eintritt 6 €, ermäßigt 4 € Donnerstagabend-Ticket: 4 € (17–21 h, inklusive Führung um 17 h) Wir bitten um Voranmeldung zur Führung bei Mona Jas unter [email protected] KÜNSTLER/INNEN UND WERKE Marina Abramović und Ulay * 1946 in Belgrad, lebt und arbeitet in New York (US)/* 1943 in Solingen (DE), lebt und arbeitet in Amsterdam und Ljubljana LIGHT/DARK, 1978 Video, schwarz-weiß, Ton 8:15 min Studioperformance, Amsterdam, März 1978 © Marina Abramović und Ulay Courtesy Archiv Marina Abramović und LIMA Ron Amir * 1973 in Kibbutz Yehiam (IL), lebt und arbeitet in Tel Aviv MALEK, 2004 Ausstellungskopie C-Print 123 x 123 cm Courtesy der Künstler und Hezi Cohen Gallery, Israel Julius von Bismarck * 1983 in Breisach am Rhein (DE), lebt und arbeitet in Berlin POLIZEI, 2015 Dummys, Uniformen, Motoren Maße variabel Courtesy der Künstler Roy Brand, Ori Scialom und Keren Yeala Golan * 1971, * 1970, * 1974 in Tel Aviv, leben und arbeiten in Tel Aviv THE COUNTRY SAND PRINTER, 2014 XY-System aus Metall, Holz, Sand, diverse technische Elemente 520 x 290 cm Courtesy die KünstlerInnen James Bridle * 1980 in London, lebt und arbeitet in London DRONE SHADOW, laufendes Projekt Straßenmarkierungsfarbe Realisierung nach Vorlage eines Drohnenschattens Luis Camnitzer * 1937 in Lübeck (DE), lebt und arbeitet in New York (US) URUGUAYAN TORTURE SERIES, 1983–84 Serie aus 35 Fotoradierungen 82 x 62 cm Courtesy der Künstler und Parra & Romero, Madrid Mircea Cantor * 1977 in Oradea (RO), lebt und arbeitet in Paris SHOOTING, 2005 Lambda Print 30 x 40 cm Courtesy der Künstler und Dvir Gallery, Tel Aviv Jota Castro * 1965 in Lima, lebt und arbeitet in Brüssel GUANTANAMO, 2015 (2005) Ausstellungskopie Verschiedene Materialien 400 x 200 x 200 cm Courtesy der Künstler und Galerie Barbara Thumm, Berlin Chto Delat Gegründet 2003 in Moskau, leben und arbeiten in St. Petersburg (RU) Öyvind Fahlström * 1928 in São Paulo (BR), † 1978 in Stockholm EXCERPTS FROM TIME CAPSULE. ARTISTIC REPORT ON CATASTROPHES AND UTOPIA, 2015 Verschiedene Materialien Maße variabel Courtesy die KünstlerInnen und KOW Berlin SKETCH FOR WORLD MAP PART 1 (AMERICAS, PACIFIC), 1972 Offsetlithografie 95 x 110 x 7 cm Courtesy Avery-Fahlström und Aurel Scheibler, Berlin Harun Farocki * 1944 in Nový Jicin (CZ), † 2014 in Berlin Marcelo Cidade * 1979 in São Paulo (BR), lebt und arbeitet in São Paulo (BR) AMOR E ÒDIO À LYGIA CLARK, 2006 Messing 14,5 x 13 x 0,5 cm Courtesy der Künstler und Galeria Vermelho TEMPO SUSPENDO DE UM ESTADO PROVISÓRIO, 2011 22-Millimeter-Glas, Projektil, Betonsockel 100 x 160 cm Courtesy der Künstler und Galeria Vermelho Jem Cohen * 1962 in Kabul, lebt und arbeitet in New York (US) LITTLE FLAGS, 2000 Video 5:48 min Courtesy der Künstler und Lux, London Martin Dammann * 1965 in Friedrichshafen am Bodensee (DE), lebt und arbeitet in Berlin JAGDFLIEGER SEIN IST EIN SCHÖNES LAND, 2015 Aquarell, Bleistift auf Papier 300 x 420 cm Courtesy der Künstler und Galerie Barbara Thumm, Berlin NICHT LÖSCHBARES FEUER, 1969 16-Millimeter-Film, schwarz-weiß, Ton (übertragen auf Video) 25 min Courtesy Harun Farocki GbR Daniil Galkin * 1985 in Dnepropetrovsk (UA), lebt und arbeitet in Dnepropetrovsk (UA) TOURNIQUET, 2015 Installation 435 x 310 x 610 cm Courtesy der Künstler Rudolf Herz * 1954 in Sonthofen (DE), lebt und arbeitet in Paris und München (DE) DACHAU. MUSEUMSBILDER,1976/80 Serie aus 9 Fotografien 74 x 112 cm Courtesy Peter Ottmann Damien Hirst * 1965 in Bristol (UK), lebt und arbeitet in Devon (UK) und London DO IT, 1995–96 Video 1:36 min Nach einem Konzept von Hans Ulrich Obrist Courtesy der Künstler und museum in progress (www.mip.at) Clara Ianni * 1987 in São Paulo (BR), lebt und arbeitet in São Paulo (BR) und Berlin STILL LIFE OR STUDY FOR VANISHING POINT, 2015 Ausstellungskopie 9 Metallplatten perforiert mit Einschusslöchern von Munition der Berliner Polizei (Von links oben nach rechts unten den Reihen folgend) .45 ACP, 9*19 (9mm Para), .357 Magnum ™ (Teilmantelgeschoss), Flintenlaufgeschoss, .22 lfb, 12/70 Geschoss, .357 Magnum Schrotmunition FJM (Vollmantelgeschoss), 12/70 Schrotmunition, .38 SP (Special) Je 65 x 45 x 4,5 cm Courtesy die Künsterlin und Galeria Vermelho RADIUS, 2015 (2010) Ausstellungskopie Baseballschläger und Stahlkabel 80 x 50 x 90 cm Courtesy die Künstlerin und Galeria Vermelho Emily Jacir * 1970 in Bethlehem, Westjordanland, lebt und arbeitet im Mittelmeerraum BANK MIRROR, RAMALLAH, APRIL 22, 2002, 2002 C-Print 41 x 51 cm Courtesy die Künstlerin und Alexander & Bonin, New York Hunter Jonakin * in North Alabama (US), lebt und arbeitet in Minneapolis (US) JEFF KOONS MUST DIE!!!, 2011 Videospiel, Farbe, Ton, Controller 64 x 28 x 22 cm 5 min Courtesy der Künstler Joachim Koester * 1962 in Kopenhagen, lebt und arbeitet in New York (US) THE PLACE OF DEAD ROADS, 2013 Videoinstallation, Farbe, Ton 33:30 min Courtesy der Künstler und Jan Mot, Brüssel Korpys/Löffler Andree Korpys: * 1966 in Bremen (DE)/ Markus Löffler: * 1963 in Bremen (DE), leben und arbeiten in Bremen (DE) und Berlin THE NUCLEAR FOOTBALL, 2004 Video, Farbe, Ton 30:30 min Courtesy Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe GESANG DER JÜNGLINGE, 2009 Video, Farbe, Ton 14:22 min Courtesy Meyer Riegger, Berlin/Karlsruhe Barbara Kruger * 1945 in Newark (US), lebt und arbeitet in New York (US) und Los Angeles (US) OHNE TITEL, 2015 (1994) Ausstellungskopie Vinyl-Druck (ursprünglich für das Treppenhaus der Kunsthalle Basel) 310 x 230 cm Courtesy Sprüth Magers Berlin Armin Linke * 1966 in Mailand (IT), lebt und arbeitet in Mailand (IT) und Berlin ROAD BLOCK AT GAZA CITY, NETSAREIM SETTLEMENT BEACH ROAD, 2003 Video, Farbe, Ton 15 min Courtesy der Künstler Robert Longo * 1953 in New York (US), lebt und arbeitet in New York (US) MARSHALL ISLAND (BOMB NOIR), 2003 Holzkohle auf Papier 204 x 188 cm Courtesy Sammlung Zimmermann Jazmín López * 1984 in Buenos Aires, lebt und arbeitet in Buenos Aires JUEGO VIVO, 2008 Video, Farbe, Ton 1:24 min Courtesy die Künstlerin Kris Martin * 1984 in Kortrijk (BE), lebt und arbeitet in Gent (BE) UNTITLED, 2010 706 gefundene Granathülsen 200 x 200 cm Courtesy Privatsammlung, Köln und Sies + Höke, Düsseldorf Ana Mendieta * 1948 in Havanna, † 1985 in New York (US) UNTITLED (GLAS ON BODY IMPRINTS), 1972 Serie aus 6 Fotografien 64,5 x 48 cm/48 x 64,5 cm Courtesy Sammlung Gynp und Sammlung Springmeier Michael Müller * 1970 in Ingelheim am Rhein (DE), lebt und arbeitet in Berlin VON BRAUNS AUFBRUCH ZU DEN STERNEN, 1994 (2007) Bleistift, Tinte auf Papier 78 x 48 cm Courtesy der Künstler und Privatsammlung, London Timo Nasseri * 1972 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin APACHE, 2007 Federn, Epoxidharz, Styropor, Holz, Metall 210 x 185 x 45 cm Courtesy Privatsammlung, Paris NEOZOON 2009 gegründet, leben und arbeiten in Dresden (DE) und Berlin BUCK FEVER, 2012 Video, Farbe, Ton 5:15 min Courtesy die Künstlerinnen Katja Novitskova * 1984 in Tallinn, lebt und arbeitet in Amsterdam SHAPESHIFTER V, 2013 Gebrochene Silikonplatten, Epoxidharz, Ton, Nagellack, Acrylgehäuse, Holzkapitell 37 x 25 x 13 cm Courtesy Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin Jon Rafman * 1981 in Montreal (CA), lebt und arbeitet in Montreal (CA) THE 9 EYES OF GOOGLE STREET VIEW, laufendes Projekt Screenshots Courtesy der Künstler (im Rahmen der Waffenlounge, 03.12– 11.01.2015, Hebbel am Ufer, Berlin) Pipilotti Rist * 1962 in Grabs (CH), lebt und arbeitet in Zürich EVER IS OVER ALL, 1997 Video, Farbe, Ton 2:38 min Courtesy die Künstlerin und Christian Flick Collection Robbert&Frank Frank&Robbert * 1989 in Wilrijk (BE)/* 1989 in Menen (BE), leben und arbeiten in Gent (BE) GUNS, 2014 146 Skulpturen (aus einer Serie von 380) Verschiedene Materialien 309 x 675 cm Courtesy die Künstler André Robillard * 1932 in La Maltournée (FR), lebt und arbeitet in Frankreich FUSIL X ALLEMAN RAPIDE RAF. GERMANY, 1992 Verschiedene Materialien 44 x 91 cm Courtesy Galerie Susanne Zander/ Delmes & Zander Julian Röder * 1981 in Erfurt (DE), lebt und arbeitet in Berlin GENOA, 2001 aus der Serie THE SUMMITS C-Print 67 x 86 cm Courtesy Russi Klenner, Berlin Courtesy der Künstler und Galerie Jo Van De Loo PROJENSDORFER GEHÖLZ, 2010 C-Print 46 x 56 cm Courtesy der Künstler und Galerie Jo Van De Loo Martha Rosler Lebt und arbeitet in Brooklyn, New York (US) Sämtliche Werke der Serie: HOUSE BEAUTIFUL: BRINGING THE WAR HOME c.,1967–72 Courtesy die Künstlerin und Galerie Nagel Draxler, Berlin/Köln BALLOONS, 1967–72 Fotomontage BEAUTY REST, 1967–72 Fotomontage CLEANING THE DRAPES, 1967–72 Fotomontage FIRST LADY (PAT NIXON), 1967–72 Fotomontage MAKEUP/HANDS UP, 1967–72 Fotomontage Henning Rogge * 1977 in Hamburg (DE), lebt und arbeitet in Hamburg (DE) PLAYBOY (ON VIEW), 1967–72 Fotomontage BEERENBRUCH, 2012 C-Print 46 x 56 cm Courtesy der Künstler und Galerie Jo Van De Loo RED STRIPE KITCHEN, 1967–72 Fotomontage MASCHERODER HOLZ, 2011 C-Print 46 x 56 cm Courtesy der Künstler und Galerie Jo Van De Loo RUNWAY, 1967–72 Fotomontage ALTWARMBÜCHENER MOOR, 2010 C-Print 46 x 56 cm VACATION GET-AWAY, 1967–72 Fotomontage ROADSIDE AMBUSH, 1967–72 Fotomontage TRON (AMPUTEE), 1967–72 Fotomontage WOMAN WITH CANNON (DOTS), 1967–72 Fotomontage 11:30 min Courtesy der Künstler und Galerie Peter Kilchmann, Zürich Hrair Sarkissian * 1973 in Damaskus, lebt und arbeitet in London Sharif Waked * 1964 in Nazareth (IL), lebt und arbeitet in Haifa (IL) und Nazareth (IL) EXECUTION SQUARES, 2008 8 aus einer Serie von 14 Fotografien 128 x 163 cm, eine Fotografie 128 x 163 cm Courtesy Privatsammlung und Kalfayan Galleries, Athen/Thessaloniki TO BE CONTINUED, 2009 Video, Farbe, Ton 41:33 min Courtesy der Künstler Santiago Sierra * 1966 in Madrid, lebt und arbeitet in Madrid CONCEPTUAL MONUMENT, 2012 2 Prints, 2-teilig 21 x 29,7 cm/180 x 90 cm Courtesy der Künstler Timur Si-Qin * 1984 in Berlin, lebt und arbeitet in Berlin UNTITLED, 2014 Schwert, Axe-Duschgel, Vitrine 176 x 34 x 34 cm Courtesy der Künstler und Société Berlin Tal R * 1967 in Tel Aviv, Israel, lebt und arbeitet in Kopenhagen HIPS SPINE PENIS, 2010–13 Glasierte Keramik 76 x 44 x 44 cm Courtesy der Künstler und Contemporary Fine Arts, Berlin Javier Téllez * 1969 in Valencia (VE), lebt und arbeitet in New York (US) und Berlin ONE FLEW OVER THE VOID (BALA PERDIDA), 2005 Video, Farbe, Ton Gillian Wearing * 1963 in Birmingham (UK), lebt und arbeitet in London SACHA AND MUM, 1996 Video, schwarz-weiß, Ton 4 min, Loop Courtesy die Künstlerin und Maureen Paley, London He Xiangyu * 1986 in Kuandian (CN), lebt und arbeitet in Beijing und Berlin TANK, 2011–13 Pflanzlich gegerbtes Leder 890 x 600 x 150 cm Sammlung Sigg Amir Yatziv * 1972 in Karmiel, Israel, lebt und arbeitet in Gent (BE) und Berlin ANTIPODES, 2008–10 Video, Farbe, Ton 30 min Courtesy der Künstler Ala Younis * 1974 in Kuwait, lebt und arbeitet in Amman TIN SOLDIERS, 2010 2.500 handbemalte Metallsoldaten 100 x 5000 cm Courtesy die Künstlerin BEGLEITPROGRAMM ON VIOLENCE Gesprächsreihe, moderiert von Tina Mendelsohn Ort: Chora, 3 € (deutsch) Drei Gespräche mit ProtagonistInnen aus den Bereichen Theater, Film und Musik fokussieren die Strategien, die in unserer Gesellschaft zur Hegung von Gewalt beziehungsweise zur Verarbeitung von Gewalterfahrungen zur Verfügung stehen. Die Gäste sprechen über ihren eigenen Umgang mit Gewalt und ihrer kulturellen/sozialen Umformung wie ihrer Kodierung im eigenen Feld. Alle Veranstaltungen werden moderiert von Tina Mendelsohn, die die Kontinuität zwischen den drei Abenden herstellt und das Wissen, das in jedem Gespräch entsteht, in die folgenden weiterträgt. Tina Mendelsohn ist Moderatorin, Filmemacherin und Journalistin. Sie lebte 15 Jahre lang in London. Jetzt erkundet sie die deutsche Hauptstadt. Seit 2001 ist sie neben den KollegInnen der ARD, des Schweizer Fernsehens und des ORF das Gesicht des ZDF der KULTURZEIT. Donnerstag, 23.7.15, 20 h ON VIOLENCE MIT ANTONIA BAUM Neben Antonia Baums Romandebüt VOLLKOMMEN LEBLOS, BESTENFALLS TOT (2011) sowie ihrem kürzlich erschienenen Buch ICH WUCHS AUF EINEM SCHROTTPLATZ AUF, WO ICH LERNTE, MICH VON RADKAPPEN UND STOSSSTANGEN ZU ERNÄHREN (2015), schreibt sie unter anderem für die FAZ über Themen wie Feminismus und Hip-Hop. Im Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Musikszene spricht sie über die Faszination für Gewalt in der Rap- und Hip-Hop-Kultur sowie darüber, ob Gewaltdarstellungen Ausdruck erlebter Gewalt sind, oder ob sie auch die Möglichkeit zur Deeskalation bieten. Donnerstag, 20.8.15, 20 h ON VIOLENCE MIT ROSA VON PRAUNHEIM Seit über 30 Jahren produziert der queere Filmregisseur Rosa von Praunheim Dokumentarfilme, die nicht nur nachhaltig zur Emanzipation der deutschen Schwulen- und Lesbenbewegung beigetragen haben, sondern auch die Szene selbst von innen heraus auf klischeehaftes Denken untersuchen. Dabei streift er Themen wie körperliche Gewalt oder rechtes Gedankengut, jedoch ohne einseitige Opfer-Täter-Zuschreibungen zu liefern. Donnerstag, 27.8.15, 20 h ON VIOLENCE MIT ULRICH MATTHES Der Film- und Theaterschauspieler Ulrich Matthes spielt als Ensemblemitglied im Deutschen Theater in Berlin und war als Mörder im Tatort sogar der BILD-Zeitung einen Artikel wert – weil er so „gut“ böse war. Im Gespräch mit Matthes geht es um die Frage, was es heißt, Gewalt auf der Bühne oder vor der Kamera auszuüben oder zu verhindern. VERMITTLUNGSPROGRAMM Donnerstags 17 Uhr sowie an den Sonntagen 5.7.15 und 9.8.15, 15 Uhr DIALOGISCHE FÜHRUNGEN Im Ausstellungsticket inbegriffen Auf Deutsch Während der gesamten Laufzeit findet donnerstags um 17 Uhr sowie an zwei Sonntagen um 15 Uhr eine dialogische Führung statt, die von vier professionellen KuratorInnen, KunstvermittlerInnen und KünstlerInnen abwechselnd mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik durchgeführt werden: Gerrit Gohlke, Kritiker und Kurator, kann schießen und hat vor Symbolen noch mehr Angst als vor Waffen. Greta Hoheisel und Julia Oehme sind Kulturwissenschaftlerinnen, deren Verhältnis zu Waffen durch mediale Narrative und Bilder aus Fiktion und Nachrichten, durch theoretische Beschäftigung, aber auch durch Familiengeschichten geprägt ist. Sie gehören zum Team von a7.außeneinsatz, einem Kollektiv, das an der Schnittstelle von Kunstproduktion und Vermittlung arbeitet. Dejan Marković, bildender Künstler, lebt und arbeitet in Berlin und Graz. Seine Arbeit untersucht mediale und politische Dimensionen der Wahrnehmung und der Erinnerung. In diesem Rahmen rücken auch militärische Bildverfahren in den Fokus. Azadeh Sharifi ist Kultur- und Theaterwissenschaftlerin und arbeitet zu postmigrantischem Theater, Rassismus und Postkolonialismus. Waffen sind Werkzeuge der Selbstverteidigung. Die Frage ist, welche Art von Waffen für die Verteidigung des Selbst notwendig ist. Ihre Waffen sind ihre Stimme und ihre Texte. Termine Do, 18.6.15, 17 h Do, 25.6.15, 17 h Do, 2.7.15, 17 h So, 5.7.15, 15 h Do, 9.7.15, 17 h Do, 16.7.15, 17 h Do, 23.7.15, 17 h Do, 30.7.15, 17 h Do, 6.8.15 , 17 h So, 9.8.15, 15 h Do, 13. 8.15, 17 h Do, 20.8.15, 17 h Do, 27.8.15, 17 h mit Azadeh Sharifi mit Azadeh Sharifi Kuratorenführung Greta Hoheisel und Julia Oehme, a7.außeneinsatz mit Azadeh Sharifi mit Gerrit Gohlke mit Dejan Marković mit Dejan Marković Greta Hoheisel und Julia Oehme, a7.außeneinsatz Greta Hoheisel und Julia Oehme, a7.außeneinsatz mit Gerrit Gohlke mit Dejan Marković mit Gerrit Gohlke Voranmeldung bei Mona Jas unter [email protected]. LAB FOR ART EDUCATION Workshops und Präsentationen KW Projects Ausstellungsbegleitend ist eine Reihe von Veranstaltungen geplant, die den gesellschaftlichen Umgang mit Waffen und Gewalt in anderen kulturellen und sozialen Bereichen in Gesprächen mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten thematisieren. Gemeinsam mit Mona Jas, die seit 2014 das Vermittlungsprogramm LAB FOR ART EDUCATION für die KW konzipiert, entwickeln die Gäste Workshops für SchülerInnen unterschiedlicher Altersklassen, aus denen Präsentationen im Ausstellungsraum KW Projects hervorgehen. Diese Interventionen reagieren auf einzelne Werke oder auch Themenbereiche und werden im Verlauf der Ausstellung weiter ausgebaut. Das LAB FOR ART EDUCATION erprobt unterschiedliche Formate der Vermittlungsarbeit, die traditionelle Grenzen und Hierarchien institutioneller Praxis überschreiten und herkömmliche Vermittlungskonzepte zugunsten eines flexiblen Austauschs mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern überdenken. Im Rahmen der Ausstellung FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE werden sowohl bestehende Kooperationen wie beispielsweise mit der Heinz Brandt Schule, der Kunsthochschule Berlin (Weißensee) – Hochschule für Gestaltung und der Jugendkunstschule Pankow fortgeführt als auch spezifisch auf die Schau zugeschnittene Programme entwickelt. Eine Kombination unterschiedlicher Formate bietet dem Publikum durch diskussionsorientierte Führungen, Workshops und themenbezogene Präsentationen im Projektraum KW Projects die Möglichkeit zu einer vertiefenden Beschäftigung mit dem Gegenstand – und den eigenen Berührungspunkten zu diesem. Ziel des Vermittlungsansatzes ist es, die Auseinandersetzung mit Gewalt und mit Waffen unweigerlich als Teil unserer Realität zu begreifen – und nicht als ein Problem, dessen man sich durch Ignoranz oder Verweigerung entledigen könnte. Für detaillierte Informationen kontaktieren Sie Mona Jas, die Leiterin des LAB FOR ART EDUCATION, unter [email protected]. PUBLIKATION FRIENDLY FIRE & FORGET Die ausstellungsbegleitende Publikation FRIENDLY FIRE & FORGET beleuchtet das Thema aus literarischer Perspektive und versammelt für diesen Anlass entstandene Texte deutscher und internationaler Autorinnen und Autoren. „Die Art und Weise, wie Gewalt ins Bild gesetzt wird, hat Anteil daran, wie sie gedeutet wird und ob sie zur weiteren Eskalation von Gewalt beiträgt oder das Gegenteil bewirkt.“ Daniel Tyradellis, Zitat aus dem Nachwort Mit Texten von: Petra Coronato Ann Cotten Ulrike Draesner Alexander Heinich Andreas Leopold Hofbauer Schorsch Kamerun Vladimir Kaminer Hartmut Lange Francis Nenik Kathrin Passig Christoph Peters Annika Reich Oliver Rohe Mark von Schlegell Frank Witzel Herausgeber: Ellen Blumenstein, Daniel Tyradellis für KW Institute for Contemporary Art Gestaltung: Dirk Lebahn Erschienen bei Matthes & Seitz Berlin 242 Seiten, davon 16 Doppelseiten Werkabbildungen s/w 111 Archivbilder von Martin Dammann/Archive of Modern Conflict Auf deutsch 150 x 210 cm Softcover 25,00 Euro ISBN 978-3-95757-169-4 Einzelne Texte auf Anfrage erhältlich unter: [email protected] ELLEN BLUMENSTEIN im Gespräch mit SCHORSCH KAMERUN EB: Eine Ausgangsfrage für »Fire and Forget« war, was Kunst als Form angesichts der realen Ereignisse überhaupt noch kann. Uns geht es um grundsätzliche und strukturelle Phänomene von Gewalt. Dabei interessieren uns verschiedene Ebenen. Die eine ist der Affekt; also: Was löst eine Waffe aus? Und: Wie gehen wir in der Gesellschaft damit um? Wir wollen mit der Ausstellung die öffentliche Diskussion über Gewalt komplexer gestalten. Im Theater ist das wohl nicht so, in der Literatur schon gar nicht, aber in der bildenden Kunst wurde der Umgang mit Waffen oft sehr einseitig gesehen: Waffen sind schlecht und müssen weg – fertig. Natürlich negieren wir das grundsätzlich nicht, aber Waffen sind nun mal so alt wie die Menschheit selbst, und diese Reduktion unterschlägt vieles von der Ambivalenz, die in der Haltung des Menschen zur Waffe und zu ihrem Schrecken steckt. SK: Ich denke schon, dass die Künste vergleichbar sind. Ich bin ja so ein CrossGenre-Typ, ich kann mir vorstellen, die Fragestellung überall ähnlich anzusiedeln. Literatur oder auch Text schafft andere Schreckensbilder, beschreibt diese völlig anders und lässt meist mehr Raum für Fantasie, weil das Visuelle fehlt. Da ist vielleicht die Kunst sogar ganz vorn, sie ist am freiesten im Umgang mit Materialien und mit Materialbeschreibung. Klar kann Film auch alles – fantastisch oder verschleiert sein. Aber trotzdem, und das ist speziell bei meinem Kram so, hab ich gelernt, in den verschiedenen Genres mit einem ähnlichen Thema zu gar nicht so unterschiedlichen Herangehensweisen zu kommen oder mit allen Genres ähnliche Themen zu beschreiben. EB: Meine Beobachtung ist, dass Literatur, weil sie immer aus einer Perspektive heraus erzählt wird, eine stärkere Innerlichkeit besitzt. Die bildende Kunst hat heute von vornherein einen kritischen Anspruch, das heißt, man hat immer schon einen distanzierten Moment, der sich stärker auf das Außen richtet. SK: Und du meinst, Literatur hat das nicht? EB: Das weißt du besser, das ist nicht mein Genre c... 7 8 SK: Das weiß ich nicht besser, ich bin nicht der gebildete Literat – Schreiber schon eher, ich schreibe mehr als ich lese. Aber wenn Literatur Kunst sein will, hat sie ganz andere Möglichkeiten. Ich habe neulich wieder »In Stahlgewittern« von Ernst Jünger gelesen, sehr interessant: Erst ist das eine Dauerbefeuerung von grausamen Grabenkampfbeschreibungen, die aber dann zur Kunstform werden und als Flow daherkommen. Das Erschrecken ist nach 20 Seiten beschrieben, aber nach 200 Seiten werden die Beschreibungen zur Kunstsprache, und dann wird das gewissermaßen ein Kunstfilm. Deshalb glaube ich daran, dass die Künste sich annähern können. Klar, es heißt, die bildende Kunst mache die Bilder. Aber unsere Sinne verknüpfen sich im Kopf. Was uns dann wirklich anrührt, sind verschiedene Einfalltore, auf die wir gar nicht so unterschiedlich reagieren. Da stellt sich die Frage: Was will der Erzeuger eigentlich von uns? Und da ist man gar nicht so weit voneinander entfernt, vor allem wenn der Schrecken Kunst sein will oder umgekehrt. Natürlich geht man anders heran, und die Autorenschaft spielt eine große Rolle. Theater ist ja gezwungenermaßen ein kollektiver Vorgang. Meist ist da eine Idee, die kann noch klein aber scharf sein, die geht dann durch einen Gruppenfleischwolf. Du musst über die Bühne Bescheid wissen, was sie kann und was nicht, bis hin zur Technik. Und über den Körper und über Protagonisten, die das ausführen. Wenn man bildender Künstler ist, dann steht man alleine vor seiner Leinwand, seinem Projektor oder was auch immer. Natürlich kannst du auch im Theater alles alleine tun, aber wenn man so von oben draufsieht, ist das der Unterschied. EB: Aber wenn es zum Beispiel um Gewaltdarstellung geht, ist die Problematik im Theater anders gelagert als in der bildenden Kunst. Wenn du sagst, in der bildenden Kunst gehe es um Bilder, dann schaut man, auch wenn die Arbeit räumlich ist, immer auf eine Fläche. Dagegen geht es im Theater um die Frage: Stellst du Gewalt dar oder repräsentierst du sie oder wie gehst du sonst damit um? SK: Wenn man so Theater denkt. Das ist relativ vereinfacht, wenn man sich vorstellt, da macht jemand ein Stück, und da geht’s um die Frage von Gewalt oder um einen Konflikt, der über Gewalt eskaliert – ich hätte z. B. gar keine Lust, das über Schauspieler zu zeigen. EB: Wie zeigst du es? SK: Meine Grundfrage hat mit Autorität zu tun, das hängt mit meiner Biografie zusammen. Natürlich geht es da auch um Gewalt. Ein biografisches Beispiel: Der Vater knallt dem Sohn eine – ich hätte gar keine Lust, das direkt auf der Bühne zu zeigen. Ich versuche, die direkte physische Umsetzung auf der Bühne zu vermeiden. In dem Sinne mache ich auch eher Kunst im Theater und suche mir Bilder. EB: Wird diese Erfahrung dann zur Spannung zwischen den Körpern? Oder transformierst du sie in ein Bild? SK: Auf jeden Fall. Ich will zeigen, dass etwas Symbolhaftes aufeinander losgeht. Wir haben in Frankfurt am Schauspielhaus ein Stück auf diesem Platz gemacht, auf dem der Euro steht. Die Bank befindet sich auf der einen Seite und das neue Bahnhofsviertel, das gerade gentrifiziert wird, auf der anderen. »Frankfurter Rendezvous« hieß das Stück. Da haben wir eine Art Schlacht inszeniert, das heißt auf der einen Seite die per se bösen Geldspeicher und auf der anderen das möglicherweise komplexere, bunte Bahnhofsviertel, und wir haben gefragt, was die Symbole dafür sind. Wir führten ganz simpel große Fahnenauftritte auf, als handele es sich um Schlachttruppen, aber die Dinge, die dann aus den Türmen herauskamen, waren beispielsweise ein Füllfederhalter als riesiger Geschäftsvertrag-Unterschreiber oder ein Rädchen oder Chamäleon als Symbole für Wandelbarkeit und Unzuverlässigkeit. Ich suche also nach Umsetzungen, die etwas ferner liegen. In dem Sinne denke ich vielleicht künstlerisch, falls man das so bezeichnet. Kunst sucht ja oft einen Umweg. Auch wenn ich einen Text für die Band schreibe, muss ich mir überlegen: Versuche ich es direkt oder nicht? Bei unserer letzten Platte, bei der es auch um Gentrifizierung ging – da stecken wir in Hamburg ja mit- tendrin –, haben wir uns gefragt: Nennt man den Investor? Das ist sehr platt, aber vielleicht auch mal ganz gut in der Direktheit. Oder macht man es über abstrakte Geschichten, zum Beispiel anhand der Frage, wie sich Räume füllen. Da muss sich der Künstler entscheiden, und ich glaube, so ist es auch in der bildenden Kunst. Da gibt es auch den knallhart Physischen, der sich selbst etwas zufügt, sich in etwas reinwirft oder ausprobiert, wie beispielsweise Waterboarding geht, und auf der anderen Seite gibt es auch viel abstraktere Umsetzungen davon. EB: Meine Erfahrung in der bildenden Kunst ist, dass das gar nicht so leicht ist und sich auch mit der Zeit stark ändert: In der 1960er-Jahre-Performance wie bei Marina Abramoviććoder im Wiener Aktionismus gibt es die Lust an der Gewalt und der Selbsterfahrung am eigenen Körper. Performance ist heute wieder en vogue, daher kommt diese Körperlichkeit auch wieder zurück, aber dieses »Sich-Aussetzen«, das damals vorherrschend war, steht nicht mehr im Zentrum. Jetzt nimmt man Youtube-Videos und anderes Material aus dem Netz. SK: Das hat mit Gegenwart zu tun. Auch im Theater versuche ich, gegenwärtige Kunst zu machen. Natürlich gibt es im Theater zurzeit den brüllenden Nackten, der sich mit Scheiße oder Blut beschmiert, seltener. EB: Aber wo und wie taucht dann die Gewalt auf? Ist sie verbal oder symbolisch? Ich denke ja, sie kommt über den Sound. SK: Meine Art von formaler Umsetzung ist eher ein Suchen, bis hin zum Gedicht. Das kann die Gewalt besser beschreiben als das Brüllende, Kreischende. Das physische Draufschlagen und Lautsein findet im Mainstream statt. Aber wenn man in den ferneren Osten schaut, kann das schon viel besser passen. Autoritäten-bekämpfen spielt dort eine ganz andere Rolle. Hier haben wir ja sogar eine CDU-Kanzlerin, die permanent deeskaliert, was nach meiner politischen Erfahrung eher anderen Leuten zugerechnet wird. 9 10 EB: Das macht es auch schwieriger, eine eigene Position zu beziehen, denn auf der einen Seite lagert sich die Gewalt aus, wie es der Terminus technicus »Fire and Forget« sagt: Waffen, die du nur auslösen musst und die ihr Ziel dann alleine finden. Auf der anderen Seite: Was heißt feuern? Was heißt Gewalt ausüben, und wie speichert sich das in der Erinnerung und der Geschichte ab? SK: Was wir bisher besprochen haben, sind Herangehensmöglichkeiten, die in unterschiedlichen Genres vergleichbar sind. Aber das ist eine sehr spezialisierte Frage, die unheimlich drängt. Es geht aktuell ja gerade darum, was eine Drohne darf und was nicht. EB: Drohnen sind natürlich ein sehr präsentes Medium, aber das betrifft schließlich unseren gesamten Umgang mit Gewalt. Deswegen stellt sich schon die Frage, wie man das in seiner Arbeit thematisiert. SK: Da ist man natürlich auch in dem Bereich, wo sich der Mensch selbst abschafft. Ich finde, das besitzt eine hochgradige Symbolik für heute, dieses Aus-der-Ferneschalten. EB: Wie kann man strukturelle Gewalt sichtbar und spürbar machen? Das ist ein Anliegen von »Fire & Forget«, weil das die Kunst besser kann als die politische Diskussion. Nicht nur spürbar zu machen, welche Traumata hinterlassen werden, sondern auch, was die Auswirkungen sind auf unser körperliches Empfinden, auf unser Denken und unsere Wahrnehmung von Realität. SK: Ich glaube auch, dass es in unterschiedlichen Zeiten unterschiedliches Interesse daran gibt. Zum Beispiel: Will der Körper gerade etwas empfinden, oder hat er davon sowieso zu viel? Anscheinend ist unser Gehirn so überlastet, dass der Mensch sich wünscht, doch bitte irgendwas zu spüren. Zum IS fahren oder Hooligan sein? Das hat eindeutig damit zu tun. Das sind Leute, die wollen bestimmte Grenzen überschreiten, damit sie rauskommen aus der Enge. Das erlebt gerade eine Radikalisierung und pervertiert. EB: Hast du dir das IS-Video von der Verbrennung der Geisel angeschaut? SK: Nee, ich guck mir das nicht an, ich ertrag’ das nicht. Ich weiß, dass es das gibt, aber ich würde es auch nicht in einem Stück einsetzen. Manche Leute sagen, man muss das zeigen, aber ich glaube, es muss auch anders gehen. Diese Art von Realität stößt mich ab. EB: Das Interessante ist, dass der IS der Religion angehört, die von der westlichen Bilderreligion quasi plattgemacht wird – weil Bilder immer stärker sind als das Verbot – und gerade unsere Logik aufnimmt und gegen uns ausspielt. Da wird die Schraube eine Drehung zu weit gedreht. Es gibt dieses Video, »Nicht löschbares Feuer« (1969) von Harun Farocki, in dem er den Effekt von Napalm vorführt, aber auch dessen militärische und ökonomische Zusammenhänge aufzeigt. Aber der IS setzt das echte Leben ein, um etwas zu zeigen, und das geht zu weit. lichsten, wenn er kein Gesicht hat, wenn er nicht beschreibbar ist. Aber das ist meiner Meinung nach beim IS schon vorbei, die sind mittlerweile medial eingefangen. Sie haben schon Niederlagen erlitten. SK: Das ist ein interessantes Moment. Michael Haneke arbeitet ja auch mit solchem Zeug, wie in »Benny’s Video« (1992), wo du die unmotivierte Gewalt des Jungen, die komplett eskaliert, wirklich nicht mehr verstehst und auch nicht verstehen sollst. Das macht es dann auch so entsetzlich, weil sein Verhalten sich der Logik entzieht und man nichts dagegen einsetzen kann. Damit arbeitet der IS ganz bewusst. Ich glaube, eingesetzt wurde das auch schon im Mittelalter – dass du dir selber gar nicht mehr vorstellen kannst, so weit zu gehen, aber genau diese existenzielle Angst zur Abschreckung eingesetzt wird. SK: Genau, der Punkt ist, nicht beschreibbar schrecklich zu sein. Wenn das gelingt, dann bleibt die Angst, und damit wird gearbeitet. beeindrucken, dass man ihn militärisch schlagen könnte, ist unmöglich. Von daher ist es vollkommen sinnlos zu glauben, man könne durch Bewaffnung einen Schritt nach vorn machen. Trotzdem wird darüber nachgedacht, und das ist ultragefährlich, das geht uns wirklich was an. EB: Es geht ja auch gar nicht um die militärische Stärke. EB: Politisch, ökonomisch ... EB: Nur sollte man nicht denken, dass sich der IS im Stadium des Mittelalters befände. Die verkörpern etwas extrem Gegenwärtiges, das heute eine andere Form hat als früher. Was ähnlich ist, ist der strukturelle Effekt, die Angst, die ist real. SK: Wobei ich finde, das wir heute schon geschult sind, Schrecken einzuordnen, dass wir uns jetzt schon gar nicht mehr wundern. Als der IS das erste Mal auftauchte und die Jesiden die Berge hochjagte, dachte man noch: Was ist das denn? Aber mittlerweile haben sie schon ein Gesicht. Dass sie da jemanden verbrennen, ja meine Güte ... Der Schrecken ist ja dann am schreck- EB: Auf der einen Seite ist Krieg für uns im Westen nicht vorstellbar, wir sind mittlerweile anderthalb Generationen davon entfernt. Die Menschen, die den Krieg noch miterlebt haben, sterben und mit ihnen das Wissen um Gewalterfahrung. Aber mit der Eskalation in der Ukraine hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass sich hier etwas atmosphärisch geändert hat; die Angst kommt hier an. SK: Ich fand, beim Jugoslawien-Krieg war das schon einmal ganz nah, mit Joschka Fischer als Kriegsminister ... EB: Aber hast du da gedacht, das könnte bei uns landen? SK: Ja, das war nicht weit weg. Und ich denke das jetzt auch wieder, aber noch recht kühl: Was besprechen die da eigentlich? Wie können die tatsächlich darüber reden, die ukrainischen Soldaten von hier aus zu bewaffnen? Was soll das bringen? Das kann ja nur Brandbeschleuniger sein. Gegen wen kämpfen die? Militärisch kann man es nicht gewinnen, trotzdem geht es um Abschreckung. Und Putin damit zu 11 12 SK: ... in allem. Wer will das eigentlich wieder aushaltbar beziehungsweise erlebbar machen? Man hat sich gewundert, dass der Erste und der Zweite Weltkrieg so schnell hintereinander kamen, aber eigentlich gehörten sie zusammen. Es gab die Schande und den Dolchstoß, da war man noch gar nicht durch. Aber nach der Atombombe und der vollkommenen Auslöschung gab es dann das Gefühl: OK, wirklich nie wieder. Und das ist heute verwischt. Ich habe mal bei einem Gespräch über das Thema mit einer Studentengruppe erlebt, dass ein junger Mann zu mir meinte: »Schön und gut, was du da redest, aber ich will das eigentlich mal erleben, was das ist – Krieg.« Ich bin wirklich in dem Sinne Pazifist – ich komme einfach aus diesem Spät-68erNachhall –, dass ich verstanden habe, das darf nicht passieren, auch aus keiner Laune heraus. Aber da sind andere weiter, die können sich das vorstellen und stehen kurz vor der Testfreudigkeit. EB: Ja, es ist wie kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, als alle dachten: Was für ein Abenteuer, jetzt passiert endlich was. SK: Denn in der Gesellschaft lassen sich gewisse Abenteuer offenbar nicht mehr erleben, also spielt man so etwas durch. Das sind zum Teil sehr junge Leute, die »Danger Seekers«. Das hat auch mit dem Kapitalismus zu tun, weil er nur noch Event ist. Das Event ist zwar krass und eine abgefahrene Erfahrung, aber letztendlich ist doch alles Beschiss, Kulisse. Bei uns war das so, dass wir wirklich ein Haus besetzt haben und als Punker echte Schwierigkeiten hatten, als echte Gegenkultur wahrgenommen wurden und in echtem Widerstand zur Gesellschaft standen. »No future, das geht eh alles vor die Hunde.« Das war in der Erlebbarkeit drastisch. Aber so etwas haben wir seither im Westen nicht mehr gehabt. EB: Man hat das Gefühl, als würden Krieg oder Gewalt ein neues Gefühl von Echtheit generieren. SK: Genau, dazu gehören für mich auch Flatrate-Saufen und Jackass-sich-selberWehtun. Besonders aufgefallen ist mir das »Vice Magazine«. Ich fand das von außen immer zu pop-grell, und dann schau ich rein und die machen beides: InvestigativeLandminen-in-Syrien-Berichte und auf der anderen Seite Modefotos, wo Leute möglichst heftig tätowiert sind und aussehen wie Krieger. Also, wenn sie das eine nicht kriegen, dann wollen sie wenigstens das andere. Da merkt man, wie nah das beieinander liegt, und das finde ich echt irritierend. EB: Hast du irgendeine Idee oder ein Gefühl, ob es dazu Alternativen gibt? SK: Man müsste Entladungen anbieten, für die, die es brauchen. EB: Nicht nur für die, die es brauchen – man müsste eine Erfahrungsmöglichkeit herstellen, wie man mit der eigenen Aggression umgeht. SK: Ich glaube: Natur. Ich sag’s mal ganz platt: aufmachen, Naturgewalten erleben. Man ist ja auf der Suche nach einem Geheimnis und einer Fremde. Und das wird uns genommen, weil der Kapitalismus verstanden hat, dass das Angebot so sein muss, dass es uns überrascht. Aber es ist natürlich alles kein Geheimnis mehr. Wir kapieren, dahinter steckt eine Maschine, die das aufbereitet. Entweder Hollywood, oder die Kunst. Aber die Erlebbarkeit ist immer hingelegt, gemacht. Wenn ich mir jetzt aber vornehme, tatsächlich eine Expedition zum Nordpol zu machen, muss ich vielleicht doch noch ein bisschen was dafür tun. Du kannst dich natürlich auch von irgendwelchen Sherpas auf den Mount Everest hochtragen lassen. EB: Ja, nicht nur das, du hast die mediale Verarbeitung schon längst dabei und kannst permanent twittern und dich dabei filmen lassen. gestellt. In »I Only Wish That I Could Weep« (2001) geht es um angebliche Aufzeichnungen eines Agenten des libanesischen Geheimdienstes über die Strandpromenade in Beirut, wo sich die Dissidenten treffen. Es gibt den Operator 17, der mit der Kamera an dieser Promenade sitzt, um staatsfeindliche Aktivitäten aufzuspüren. Aber jeden Abend bei Sonnenaufgang schwenkt er die Kamera, weil er ein paar Minuten die untergehende Sonne beobachtet. Deshalb wird er dann rausgeschmissen. Das ist so einfach, bildsprachlich nichts Außergewöhnliches, alles ist genau gleich und doch anders, weil er entscheidet, dass die Sonne wichtiger ist. Und es ist nicht die Sonne als Naturereignis, sondern die Frage, worauf will ich meine Kamera richten, was mache ich mit meinem Gerät. SK: Ja, das ist Autonomie. Das ist auch das Problem von heute, dass uns die Autonomie weggenommen wurde. Uns beiden als Kunstschaffenden ja auch. Wir wissen, dass wir schon längst Teil der Nummer geworden sind. Das finde ich schön an René Pollesch, diese Grundidee, dass selbst unsere Gefühle Waren sind, dass wir in dieser Subjektivierung Verkäufer sind, auch von Gegendenken. SK: Und du kennst die Bilder zum großen Teil auch schon. Klar, die Welt ist entdeckt. Aber ich glaube, dass das trotzdem geht. Angenommen, ich habe die Sehnsucht nach einem noch nicht betretenen Techno-Keller, dann gibt’s den vielleicht in Wladiwostok, aber nicht in Berlin. EB: Und dass Subjektivität nicht Identität-Haben meint, sondern dass du diese immer wieder neu herstellen musst. EB: Die Neuheit ist gar nicht das Problem, sondern die Möglichkeiten, zur Seite zu treten. Es gibt eine Arbeit von Walid Raad, die ich sehr mag. Der macht fiktive ArchivGeschichten, also er behauptet, etwas sei gesammelt, und dabei hat er es selbst her- SK: Ja, das Heraustreten ist uns gar nicht mehr möglich. Wir dürfen auch nichts mehr ausprobieren, weil wir nicht mehr die Zeit dafür kriegen. Wenn wir beide jetzt eine extreme Idee hätten, dann wäre die morgen wahrscheinlich bei einer Moden- schau oder bei Jan Böhmermann, weil der angeblich gerade schrill ist. Ich hab mir die Sendung mal angeschaut – meine Güte, wie ein Baukasten aus Mitteln, die kultig sein sollen. Der Typ ist bestimmt ein flotter, schneidiger Vogel, aber der ist jetzt schon eingepackt. EB: Muss man also mit Zeit arbeiten? 13 14 SK: Das ist hochinteressant. Ich habe letztes Jahr ein Stück über Fluxus in Stuttgart gemacht. Ich guck mir die Sachen im Kunstmuseum an, und nichts hat mir gefallen, weil das irgendwie nervt. Krempel und kleine Boxen und Materialzeugs, macht überhaupt keinen Spaß. Aber was die damals entwickelt hatten war eine Art Netzwerk-Schaffen, das machen wir heute viel zu viel über die digitalen Medien. Die haben damals Sachen an mehreren Orten auf der Welt gleichzeitig aufgeführt, mit John Cage den Zufall ausprobiert und vor allem Zeitversuche gemacht. Das müssten wir wieder probieren, den Zufall wieder erlebbar machen. Oder erst einmal anvisieren, wie können wir überhaupt noch experimentieren? EB: Bei Fluxus frage ich mich: Geht das überhaupt ohne den Künstler, der das Ganze betreibt? SK: Und auch die Atmosphäre, in der das Ganze stattgefunden hat, diese Performance-Konzerte. Deshalb finde ich es auch schwierig, Schlingensief-Kunst auszustellen – ohne Christoph. EB: Ich finde die Talkshow, die er in der Kantine der Volksbühne gemacht hat, klasse. Da hat er zugelassen, was das Medium Fernsehen normalerweise nicht kann: Zufälligkeit und sich selbst aussetzen; er selbst ist dabei nicht immer gut weggekommen. SK: Ich hab’ ja auch bei mehreren Theatersachen mitgemacht. Und wenn man das verstanden hatte, dass man sich selbst ausprobieren muss, hat das funktioniert. Ich bin mal im Zürcher Schauspielhaus herumgelaufen, hatte eine Axt in der Hand und musste mich entscheiden: Machste was damit kaputt oder nicht. Es war immer eine Art Prozession, auch weil sich das über den Abend bewegte, man begegnete sich und vergaß das Publikum. Und da war Freiheit, auch Christoph wusste nicht, was kommt. Wenn das dann trotzdem zusammenlief, war das unglaublich. EB: Ich möchte auf etwas zurückkommen, das du vorhin angesprochen hast: In den 1980er-Jahren gab es als Nachfolge der Atombombe dieses Wissen, dass das die absolute Waffe ist. Das hat die ganze Welt im »Nie Wieder« vereint. In dieser Bedrohung gab es trotz Kaltem Krieg dieses Band, das immer einen gemeinsamen Horizont gebildet hat. SK: Wir haben zur Zeit des »No Future« tatsächlich gedacht, dass die das wieder anleiern, dass der Mensch anscheinend nicht anders kann als sich zuzuspitzen und sich am Ende so gegenüberzustehen, dass nur ein Funke das Ganze wieder in Gang bringt. EB: Ja, aber es gab eben einen Horizont, der ex negativo eine Sinngebung darstellte. Dazu gibt es eine Arbeit von Robert Longo. Er produziert große naturalistische Kohlezeichnungen, die wie Fotos aussehen. Auf diese Weise hat er eine ganze Reihe von Atompilzen gezeichnet. Es ist ein wenig so wie bei Stockhausen nach dem 11. September: Du hast das Gefühl, die Bombe erst dadurch zu verstehen, dass sie ausgelöst wurde und dass es ein Bild von ihr gibt – das die Faszination für diesen wunderschönen Pilz und seinen Schrecken vereint. SK: Ist der Pilz eigentlich so schön, weil er den Schrecken beinhaltet? EB: Wahrscheinlich. Auf einem Foto steht es nicht im Vordergrund, aber in dieser Zeichnung von Longo ist dieses Moment so ästhetisiert, so over the top, dass du realisierst: Heilige Scheiße, das ist ja auch wunderschön, und du spürst die Faszination. Aber dieses Gefühl ist heute weg. Man hat das »Nie Wieder« verloren, die Leute zwischen 20 und 30 haben dafür immer weniger Gespür. Ein absoluter Horizont des Menschlichen ist verschwunden, und das ist ein Riesenverlust. SK: Wahrscheinlich ist es woanders angekommen. EB: Man weiß eben, kein Krieg wird die Welt beenden. SK: Ja. Wir haben ein sehr diffuses Bild, das vor allem aus den Filmen kommt: Überall laufen Ratten herum, und ein paar Menschen haben es gewusst und sind in eine Unterstadt, andere haben durch einen Zufall überlebt. Es gibt da ein paar Seherfahrungen, die einen resistent gemacht haben. Es gibt zwar den Halbzeitwert, aber wir glauben, dass wir da immer wieder rausgekrochen kommen aus dem Matsch. Grenze, sowohl die geografische als auch die historische. Die Grenze macht die Gewalt überhaupt erst sichtbar. An der Grenze spürst du: Das ist zu viel, das will ich nicht. Übe ich Gewalt aus oder nicht – es gibt immer die Grenze, die den Moment der Entscheidung darstellt. Es gibt diese sehr präsenten historischen Konstellationen, seien es die Ukraine, Deutschland oder Israel, in denen die Grenze immer wieder Thema und Anlass für Gewalt ist. EB: Ist das noch menschlich, oder ist es die Annahme, dass der Mensch sich überholt haben wird? SK: Komischerweise scheint der Mensch ja so dumm zu sein, dass er den Krieg riskiert, ohne daran zu glauben, dass er daran zugrunde geht. Sonst würden die meisten doch desertieren. Da werden in der Ukraine 50.000 Menschen als Reservisten zurückgeholt, und ein Journalist kommt als Staatsverräter in den Knast, weil er in einem Youtube-Video zum Desertieren aufruft. Ich kapier wirklich nicht, wie man jemandem sagen kann: Für die Ehre deines Landes, an dem du doch eigentlich gar nicht teilhaben wolltest, musst du dich plötzlich umbringen lassen. Der Mensch braucht die Erlebbarkeit des Schreckens. Ich habe beispielsweise Flugangst, aber die Angst setzt immer erst ein, wenn ich bereits in der blöden Kiste drinstecke. Bis man es direkt vor Augen hat, scheint das Spiel mit der Angst prickelnd zu sein. Dieser Mechanismus reicht in alle Bereiche, auch in die Sexualität. Vielleicht hat es mit unserem Menschsein zu tun, dass wir alle Grenzen ausprobieren müssen. Selbst die Neurologie versucht, Grenzen auszutesten, damit sie das gefährliche Gebiet begehbar machen und zum Nächsten weitergehen kann. Deshalb schauen wir uns Schreckensbilder auch so gerne an, wir werden da sozusagen neurologisch hingetrieben. EB: Die Grenzen verschieben sich immer. Interessant, dass du das erwähnst, denn eines der Themen in der Ausstellung ist die SK: Weil der Mensch sich über Grenzen hinwegsetzt. Der Mensch macht Grenzen. 15 16 EB: Genau. Nur aus der Differenz wird eine Einheit geschlossen und das Außen definiert. Wie kann man in diesen Gegenden aus der Spirale der Gewalt hinauskommen? In Südafrika lief der große Versuch über Verzeihen. Vergessen kannst du ja nicht mit Absicht. Verzeihen ist wohl die einzige Möglichkeit, aktiv das Vergessen einzuleiten. Jedes Trauma kommt so lange wieder, bis du selbst in der Lage bist, es wegzugeben. Ich war jetzt ein paar Mal in Israel und im Libanon, die Länder sind wahnsinnig aufgeladen. von außen komplett bedroht bist, ist die Idee »Wir haben uns alle lieb« natürlich gar nicht nachvollziehbar. SK: Absolut. Trotzdem fragt man sich, wie das weitergehen soll. Eine Freundin bat mich beim letzten Gaza-Krieg, einen Aufruf zu unterschreiben. Sie ist selbst Palästinenserin, Filmemacherin, und schrieb einen Aufruf an die Bundesrepublik, dass die Israel doch bitten solle, den Gazastreifen bitteschön komplett plattzumachen. Habe ich mir nicht sauber durchgelesen und unterschrieben. Was da los war! Wenn du anfängst zu diskutieren, ist das echt schwierig, auch in der Linken. Wir hatten damals ein kleines Konzert in der Hafenstraße in Hamburg, und da kamen Meldungen aus der Szene, dass man mit den »Goldenen Zitronen«, mit mir explizit, nicht mehr auf die Bühne gehen könne. Die ganze Szene ist so gespalten. Ich glaube, man darf überhaupt nicht parteiisch denken. Ich fühle mich ja gar nicht als Deutscher, mein ganzes Bestreben ist Internationalität. Den »Deutschen« will ich gar nicht mitdenken. Aber er steckt wahrscheinlich trotzdem stark in mir drin, wahrscheinlich durch Ängste ... SK: Man hat in Israel ja auch leider das Gefühl, es wird nichts. Da steht sich so viel gegenüber. Die Geschichte dort ist auch deshalb eine andere, weil sich das Land erst aus dem Trauma heraus gebildet hat, überhaupt irgendwo sicher sein zu müssen. Der israelische Sicherheitsgedanke ist ein ganz anderer als bei uns. EB: ... und durch das Bewusstsein von Verantwortung. Die französische und englische Linke beispielsweise machen es sich wesentlich einfacher. Da gibt es krass antisemitische Tendenzen, zumindest bei den Künstlern, die ich dort kenne, da schlackern dir manchmal die Ohren ... EB: Ja, viel existenzieller. Man vergisst auch immer wieder, dass die jüdische nicht der christlichen Logik des »Liebe deinen Nächsten« entspricht. Wenn du in deiner Existenz SK: Ja, das kräuselt dann in die Schuldfrage bis hin zur »German Angst«, ein hochinteressantes Thema. Du kannst das nicht frei beurteilen dürfen, sonst bekommt das sofort eine Farbe, die du möglicherweise gar nicht meinst. EB: Das ist wie mit Freude an Gewalt. SK: Ja, ich check’ ja die Freude an Gewalt. Hab ich ja auch gemacht. EB: In Deutschland ist das nicht salonfähig. In anderen kulturellen Kontexten dagegen, in den USA sowieso, ist das schon eher der Fall. Aber ich hatte noch nie das Bedürfnis, eine Waffe in der Hand zu halten. SK: Ist das maskulin? Etwas Archaisches? EB: Es ist eben phallisch, es gibt Macht. Ich würde beispielsweise gern mal bei einer Flugshow dabei sein. Die Tornados stehen in der Luft, und dann geht’s los und zack, weg sind sie. Das ist auch total phallisch. SK: Bei unseren Hafenstraßenkämpfen, die wir eher spontan über unsere Netzwerke veranstaltet hatten, ist man los, weil die Bullen angeblich die Häuser räumen wollten, und hat dann eine Kaufhausstraße eingeschlagen – Scherbendemo. Aber warum hat man das gemacht? Einerseits weil man geglaubt hat, dass das richtig ist, aber auch aus purem Thrill. Oder letztes Jahr bei der Rote Flora-Demo: Da waren 5.000 Leute, und 4.000 davon hatten einfach richtig Bock auf Steineschmeißen. Das gibt’s, und das hab ich nicht ... mehr. Ich wollte Grenzen ausprobieren – und weil das wirklich meine Ideale waren –, aber auch mal angreifen oder mich wehren müssen. EB: Komisch, ich weiß nicht, wo ich das hingetan habe. Ins Tanzen vielleicht ... SK: Das klingt jetzt unglaublich Genderstudies-feindlich, aber ich glaube, dass die Männchen da noch leicht andere Interessen haben. EB: Es ist vielleicht manifester. Aber in Abu Ghraib, im Folterskandal, waren Frauen viel perfider als Männer. SK: Vielleicht liegt das daran, dass sie da weniger emotional rangehen. EB: Folter ist ja auch ex negativo eine Art Beziehung. Jedenfalls ist es weniger das Draufhauen als das subtil Grausam-Sein. Ich glaube, Gewaltpotenzial gibt’s auf beiden Seiten. SK: Aber in unserer Sozialisation werden wir noch immer so erzogen. Wir sehen die Bilder von männlicher Gewalt, auch wenn es Actionheldinnen gibt. Ich komme ja aus der Popkultur: Und da sind es ausschließlich die Männchen, die balzen. EB: Ich habe trotzdem den Eindruck, dass es in der Popkultur wesentlich emanzipiertere und selbstbestimmtere Frauenbilder gibt als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. SK: Letzten Endes nicht. Madonna betreibt ihre feministischen Ideen vor allem als Geschäftsfrau, aber was am Ende davon übrigbleibt, ist der Körpereinsatz. Man sagt zwar: »Verwalte deinen Körper selbst«, aber eigentlich meint man »mit den Waffen einer Frau«. Auch die »Riot Girls« machen das aus einem Genderstudies-Ansatz heraus, aber die machen das schon richtig. Aber insgesamt ist es immer noch ein 80/20-Ding. 17 18 Daniel Ty radellis Friendly: Fire & Forget. Ein Nachwort »There is a war between the ones who say there is a war And the ones who say that there isn’t.« Leonard Cohen Die Gewalt ist immer schon da. Auch ihre Hegung geht nicht gänzlich ohne sie ab. Aussicht, der Gewalt dauerhaft zu entkommen, besteht kaum.1 Man kann sich nur zu ihr verhalten. Wie also mit Gewalt umgehen? Wie sie darstellen, analysieren, bewerten – und Nachwort 217 218 wie sie begrenzen, vermindern oder verhindern? Fragen, die so alt sind wie die Menschheit. Am Anfang war, auch, die Gewalt. Was Gewalt in einer und für eine Gesellschaft bedeutet, muss je und je neu definiert werden. Wenn sie, wie es durch die gesamte Geschichte ihrer Theoretisierung – von Blaise Pascal bis Judith Butler – immer wieder getan worden ist, als ebenso schöpferisch wie zerstörend verstanden werden kann, dann wird jede genauere Bestimmung, die nicht vom Einzelfall ausgeht, schwierig. In vorsichtiger Annäherung lässt sich vielleicht sagen: Gewalt liegt vor, wenn jemand oder etwas in Mitleidenschaft gezogen wird: eingeschüchtert, bedrängt, schockiert, verletzt, zerstört, getötet – aber auch geformt, gebildet, erzogen, erregt. Gerade diese Vielfalt möglicher Erscheinungsformen stellt immer wieder neu vor die Aufgabe, der Ambivalenz wie der Wucht der Gewalt einen je nach Zeit, gesellschaftlicher Situation und gängiger (Bild-)Sprache angemessenen Ausdruck zu verleihen. Der Philosoph Jean-Luc Nancy hat in seinem Essay »Bild und Gewalt«2 ein Beispiel gewählt, das quer zu den etablierten Unterscheidungen wie setzende, waltende, hegende, erhaltende, zer- störerische, unmittelbare, repräsentierte, codierte oder struktu- ken wäre. Vielmehr ist es gleichermaßen eine Behauptung, die relle Gewalt steht: das Bild einer verrosteten Schraube, die man sich als solche zur Diskussion stellen muss, um dem Gefüge gerecht aus einem Stück Holz entfernen möchte. Man kann dies tun, in- zu werden. Während die Wissenschaften versuchen, dieser Auf- dem man sich die Sache genau anschaut, mit Kriechöl und einem gabe durch schrittweise nachvollziehbare quantitative und qua- geeigneten Schraubenzieher bewaffnet und die Schraube vor- litative Argumente zu begegnen, kann die Kunst sich dabei nur sichtig hinausdreht. Oder man greift zur Zange und zieht mit in begrenztem Maße elaborierter Argumentationen bedienen; sie aller Kraft an der Schraube, bis sie sich aus dem Holz löst. Im einen fokussiert das Bildganze, die Einheit eines Werks, in dem Sinn Fall lässt man sich auf das konkrete Gefüge ein und sucht die kondensiert. hierfür angemessene Lösung; im anderen benutzt man ein Ver- Dies ist nicht nur eine ästhetische Frage. Die Art und Weise, wie fahren, das unabhängig von der Situation »funktioniert«, sich so Gewalt ins Bild gesetzt wird, hat Anteil daran, wie sie gedeutet wenig wie möglich einlässt und dadurch irreparable Wunden wird und ob sie zur weiteren Eskalation von Gewalt beiträgt oder hinterlässt, zersplittertes Holz und eine verbogene Schraube. Kurz: das Gegenteil bewirkt. Jede Darstellung von Gewalt hat Anteil »Gewalt kann vorläufig als das Ins-Werk-Setzen einer Kraft definiert daran, Vergessen aktiv zu verhindern, und es ist eine gesellschaft- werden, die dem dynamischen oder energetischen System, in das liche Entscheidung, dies zu bejahen. Seit dem Augenblick, an dem sie eingreift, fremd bleibt.«3 die Erinnerung an Leid und Tod als Teil kultivierten Menschseins Es spricht viel dafür, die Frage nach der Gewalt auf diese Weise zu erkannt wurde, kann man sich schwer vorstellen, wie ein Jenseits fassen, auch wenn und weil dies nicht bedeutet, schematisierbare Antworten zu geben. Jeder Einzelfall bleibt angewiesen auf eine Analyse, die selbst Teil der Frage danach ist, ob auch dabei Gewalt 219 220 der Gewalt zu realisieren wäre. Auch wenn man die Gewaltdarstellung als Warnung begreift, geschieht dies um den Preis einer bleibenden Erinnerung, die diese nicht auslöscht, sondern mit am Werk ist beziehungsweise inwiefern sich die Analysemethoden sich führt. Kunst ist ein solcher Erinnerungsspeicher, und darin bereits einer Gewaltgeste verdanken, die die Reichweite ihrer Kraft lag über Jahrhunderte hinweg eine ihrer gesellschaftlichen und – und das heißt hier: Nicht-Gewalt – bestimmen. faszinationsgeschichtlichen Funktionen. Nur wenn sie dabei die Bezogen auf die Kunst bedeutet dies, dass ein Werk für ein gege- Widersprüchlichkeit der Gewalt mit sich führt, taugt sie auch für benes Gefüge, in dem Gewalt wirkt oder wütet, eine Übersetzung ihre Hegung. Sie zu ignorieren ist keine Alternative, sondern führt, finden muss, die es auch für den nicht unmittelbar beteiligten aller Erfahrung nach, nicht zu weniger Gewalt, sondern zur umso Betrachter erkennbar macht. Auch wenn die freiwerdenden Af- unkalkulierbareren Eruption. Dies gilt auch für die Geste des Ver- fekte es suggerieren und die Versuchung da ist, sie als solche in zeihens, die ohne Erinnerung nicht auskommt; wer kann ent- Szene zu setzen: Die sichtbar gemachte Gewalt ist nicht ihre ei- scheiden, ob sie währt? gene Wahrheit, es geht gleichermaßen um die Sichtbarmachung der Faktoren, die dagegen sprechen, sie als Wahrheit anzusehen Die Ausstellung Fire and Forget versammelt Werke, die sich auf – und das heißt, sie als gute oder schlechte zu fassen. So wie der sehr unterschiedliche Weise dieser Aufgabe stellen. Bei den für Trieb kein festes Objekt hat, sondern es sich je und je neu sucht, die Ausstellung ausgewählten Arbeiten handelt es sich fast aus- um eine vorläufige Antwort zu finden, was er ist, so ist auch das schließlich um bereits existierende Kunstwerke, die sich also un- Bild, an und in dem Gewalt identifizier- und damit kommunizier- abhängig vom Anlass mit der Frage nach der Gewalt beschäftigt bar wird, keines, das als bloße Abbildung, Repräsentation zu den- haben. Das Motiv der Waffe spielt dabei eine zentrale Rolle, da sich in ihr zahlreiche Fragen, die sich an die Gewalt stellen lassen zu liefern. Vielmehr möchten wir auch jenen, die diese nicht ken- und vor die die Gewalt einen stellt, von selbst verdichten: Eine nen, die damit jeweils individuell verbundene Komplexität der Waffe ist als Agent der Gewalt sofort erkennbar, bereits ihre An- Frage nach der Gewalt erfahrbar machen. Ein solches Vorgehen wesenheit verändert das Gefüge eines Raumes, und schon durch scheint uns notwendig, wenn man sich der Wahrnehmung und ihre Betrachtung kann das gesamte Arsenal menschlicher Emo- Deutung von Gewalt in unserer Gesellschaft mit Mitteln der Äs- tionen durchmessen werden. thetik nähern will. In letzter Konsequenz geht es darum, die Po- Selbstredend sind die Kontexte, aus denen heraus die verschie- tenziale der Kunst zu nutzen, um das Denken und Fühlen in Be- denen Werke entstanden sind, höchst unterschiedlich. Um nicht wegung, mithin offen zu halten. Auch darin liegt eine Gewalt- nur Einzelpositionen aneinanderzureihen, die lediglich durch geste. Sie ist unvermeidlich, will man nicht vor der manifesten den Begriff Gewalt zusammengehalten werden, haben wir uns Gewalt in unserer Gegenwart die Augen verschließen. entschieden, die Ausstellung in vier Themenkomplexe zu gliedern: Dies gilt umso mehr, als dass die Wahrnehmung der Kunst durch Grenze, Affekt, Erinnerung, Ereignis. Grenze eröffnet die Ausstel- ihre Präsentation im musealen Kunst-Raum stark gefiltert ist. Das lung, indem sie nach der Unausweichlichkeit von Gewalt fragt, Dargestellte bleibt oftmals im Modus des Als-ob, überlagert von die gebraucht wird, um andere Gewalt zu verhindern; sie folgt den Einhegungen, die der White Cube kathartisch mit sich bringt. aber auch den Spuren und Narben, die mit jeder solchen Grenz- Der Kunstbesuch wird so zum Kunstgenuss auch da noch, wo das ziehung verbunden sind. Affekt widmet sich den emotionalen Gezeigte schockiert. Es ist zudem nicht einfach, hier Werke zu Eindrücken, der Faszination und der gesellschaftlichen Codierung von Waffen und der von ihnen ausgehenden Gewalt. Erinnerung fragt nach den Möglichkeiten der Kunst, erlittene Gewalt vor dem 221 222 identifizieren, die sich affirmativ mit Gewalt auseinandersetzen; im Umfeld der professionalisierten Kunstrezeption scheint es ausgemacht, dass Gewalt etwas Negatives ist. Und selbst wenn Vergessen zu bewahren – und untersucht die Ambivalenz, die dies nicht die Intention des Künstlers oder der Künstlerin war, damit verbunden ist. Ereignis schließlich ruft ins Gedächtnis, dass wird das Werk im Rahmen einer musealen Präsentation wie selbst- Affekt, Wissen und Erinnerung Facetten einer jeweils neu zu tref- verständlich als Kritik an der Gewalt wahrgenommen. fenden Entscheidung zur Anwendung von Gewalt sind, die diese In einer anderen Kunstform, der Literatur, verhält es sich nahezu beeinflussen, die sich aber niemals auf sie reduzieren lassen. Auch umgekehrt: Eine bloß negative Darstellung von Gewalt wird künst- dies ist ein Spielraum des Menschlichen. lerisch als unterkomplex wahrgenommen, und die in diesem Band Die sich durch diese Gliederung ergebenden Gruppierungen ver- unter dem Titel Friendly Fire & Forget versammelten Texte sind folgen die Absicht, die in den einzelnen Werken enthaltenen Wi- in diesem Sinne Ergänzungen oder Komplemente der Ausstellung. dersprüche für den Betrachter noch weiter zuzuspitzen, Gewiss- Das Friendly Fire, mit dem militärwissenschaftlich jener Beschuss heiten entgegenzuwirken, die fast unvermeidlich sind, wenn man umschrieben wird, der von den eigenen Truppen versehentlich die Hintergründe und Kontexte der jeweiligen Werke nicht gut oder fahrlässig verursacht oder als Kollateralschaden von vorn- kennt. Hätte das Wort nicht so eine pejorative Konnotation, könn- herein ins Kalkül gezogen wird und der die eigenen Soldaten tötet, te man sagen, dass sich dieser kuratorische Zugang auch einer versteht sich hier als flankierendes Störfeuer in der Frage, was pädagogischen Absicht verdankt. Tatsächlich geht es uns um eine Kunst kann, um – heute – Gewalt zu denken. Die narrativen Mög- Wirksamkeit der Kunst, die weniger darin besteht, Experten, die lichkeiten der Literatur, die sichtbare Abgeschlossenheit ihrer die Hintergründe und Kontexte kennen, ihre Repräsentationen Form und die Freiheit, hin und her blättern zu können, scheinen eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Widersprüchlich- lich das Vergessen der körperlichen Begegnung, des Blicks des keit von Gewalt zu begünstigen. Auffällig ist, dass zahlreiche der bedrohten, verletzten, sterbenden anderen. Tötungshemmung eigens für das Buch verfassten Beiträge sich theoretischer, philo- wird so zu einer rein imaginären Größe. Inwiefern diese durch sophischer und kulturwissenschaftlicher Referenzen bedienen, künstlich wachgerufene Affekte, also etwa durch Kunst, wieder zu die ihnen eine Orientierung oder einen Abstoßpunkt für die ei- aktivieren ist oder ob es breitere gesellschaftliche Diskussionen genen Reflexionen über das liefern, was (Waffen-)Gewalt in ihrer der konkreten Zusammenhänge sind, die dazu beitragen, die Men- Ambivalenz ist. Sie machen auch deutlich, dass ein sich allein auf schen vor vorschnellen Urteilen bei der Ausübung zu schützen, ist die Erfahrungen und Erlebnisse verlassender Umgang mit der eine offene Frage. Gewalt vielen Autoren nicht hinreicht, um der Gewalt einen ad- Dass die Gewalt etwa von Terroristen Unschuldige tötet, löst Em- äquaten Ausdruck zu verleihen. pörung aus; dass eine um Potenzen größere Zahl unschuldiger Die sich durch das Buch hindurchziehenden Fotografien aus der Zivilisten durch Kriegseinsätze der Armeen von Ländern der Ers- Sammlung von Martin Dammann/Archive of Modern Conflict ten und Zweiten Welt getötet wurde, ignoriert man dabei geflis- stellen ihrerseits die Frage danach, mit welchen Mitteln das Ge- sentlich. Eben dies meint Forget auch: Das »Vergessen« von Zu- füge von Gewalt, das man Krieg nennt, darzustellen ist. Die Pri- sammenhängen, das aktive Ignorieren, man könnte auch sagen: vataufnahmen aus den beiden Weltkriegen können als individu- die von sich selbst überzeugte Dummheit, die nicht nur eine elle Versuche verstanden werden, sich ein Bild zu machen und so Leidenschaft des Menschen, sondern auch seine manifesteste die manifeste Gewalt zu verarbeiten, sie in die eigene Biografie zu integrieren oder Außenstehenden zu vermitteln. Eine Auswahl 223 224 Gewalt ist: sich nicht auf die konkreten Zusammenhänge, ihre Vorgeschichte, ihre Gründe einzulassen; die Neigung, Kausalket- der in diesem Buch abgebildeten Fotografien findet sich über die ten zugunsten besserer Übersicht nicht zu lang werden zu lassen. gesamte Ausstellung in den Räumen verteilt; sie begleiten und Auch hier ist der Affekt wieder dasjenige, was das Urteil fällt, skan- kommentieren als Fremdkörper die präsentierten Werke. Gerade diert von den abstrakten Haltungen, die man als freiheitslieben- die Unterschiedlichkeit der Genres trägt dazu bei, die Kunstwer- der Bürger nun einmal das Recht und die Pflicht zu haben meint. ke und ihre Ausdrucksmöglichkeiten noch einmal anders zu be- Fire steht für das Auslösen, Abfeuern der Waffe – sei dies eine trachten. Beleidigung, ein Faustschlag, ein Schuss oder der Befehl zur Auch der Titel der Ausstellung, Fire and Forget, ist dem Militärjar- Blockade von Hilfsleistungen. Dabei bleibt es wesentlich, die gon entnommen. Er bezeichnet Waffen, die nach ihrem Abschuss Spannung aufrechtzuerhalten in dem Wissen, dass jedes Fire die selbsttätig ihr Ziel suchen, sodass der Soldat das Geschehen aus Handlung eines Menschen bleibt, der in jeder Situation neu ent- sicherer Entfernung verfolgen kann und Zeit hat, sich dem nächs- scheiden muss, ob er auslöst oder nicht und aus welchem Grund ten Ziel zu widmen. Waffentechnologien, die dem Aggressor eine er das tut. weitgehend gefahrlose Anwendung von Gewalt erlauben, weil der Kunst kann in diesem Sinne eine Waffe sein, die das Vergessen Zeitpunkt ihres Auslösens und die unmittelbare wie mittelbare befördert, indem sie die Blicke vernebelt; sie kann aber auch eine Reaktion des Angegriffenen so weit auseinanderliegen, dass Waffe gegen das Vergessen sein. Im besten Falle ist sie beides zu- menschliche Affekte als Urteilskraft oder Handlungsagenten aus- gleich, Erinnerung und Vergessen. Kunst kann ein Projektil im fallen, stellen heute den Normalfall unserer Wahrnehmung von Sinne Antonin Artauds sein, das auf die Sinnesorgane des Be- kriegerischer Gewalt dar. Auch dies ist ein aktives Vergessen, näm- trachters wirkt und durch die dabei entstehenden Affekte die Sicherheit seines Urteils ins Wanken bringt. Dies ist eine der allgemeinsten Definitionen von Kunst überhaupt: den Streit im Werk zu zeigen, also die Widersprüche und Paradoxa, die jedem Sinnerleben zugrunde liegen, in actu zu präsentieren und damit jeder Abschließung des Sinns entgegenzuwirken. Erst das Abgeschlossene evoziert Gewalt, die eindringen möchte, ohne sich einzulassen: Altruzid. Eine Kunstausstellung, die sich diesem Problem stellen will, muss sich auch mit der Frage auseinandersetzen, welche Funktion ihrer Präsentation im gesellschaftlichen Rahmen zukommt. Werke zu versammeln, die alle auf ihre Weise die Schrecken von Waffen und Gewalt zeigen, ist weitgehend wirkungslos, wenn die Art ihrer musealen Präsentation nur jene erreicht, die sich dieses Sachverhaltes sicher sind und zur Bestätigung die passende Darstellung besichtigen wollen. Eine Alternative kann nur in einer Öffnung des musealen Raums für andere Aspekte als bloß jene bestehen, die der Kunst und ihrer Rezeptionstradition immanent sind. Werke gezielt in Konstellationen zueinander zu bringen, macht sie einer breiteren öffentlichen Diskussion zugänglich und bewahrt die Kunst vor ihrer Abschließung. Nur dann kann sie wirksam werden. Den Versuch einer Öffnung und eines Dialogs zwischen den Genres überhaupt erst ermöglicht haben, dafür danken wir allen beteiligten Künstlern und Autoren, die sich mit ihren Werken an Fire and Forget in der Ausstellung oder im Buch beteiligt haben. Ohne sie gäbe es nichts zu sehen, zu hören oder zu lesen. 1Anderer Meinung ist René Girard, »Hiob. Ein Weg aus der Gewalt«, Ostfildern 1999; ders., »Das Heilige und die Gewalt«, Ostfildern 2012 2 Jean-Luc Nancy, »Bild und Gewalt«, in: Burkhardt Wolf/D.T., »Die Szene der Gewalt. Bilder, Codes und Materialitäten«, New York u. a. 2007, S. 33 – 44 3 Ebd., S. 33 225 226 BIOGRAFIEN DER KURATOR/INNEN Ellen Blumenstein Ellen Blumenstein ist seit Januar 2013 Chefkuratorin der KW Institute for Contemporary Art. Sie hat unter anderem die Ausstellungsprojekte RELAUNCH (2013), Kader Attia: REPARATUR: 5 AKTE (2013), ECHTE GEFÜHLE: DENKEN IM FILM (2014, gemeinsam mit Franz Rodenkirchen und Daniel Tyradellis) und Ryan Trecartin: SITE VISIT (2014, gemeinsam mit Klaus Biesenbach) kuratiert. Zwischen 1998 und 2005 arbeitete sie bereits für die KW, wo sie zuletzt mit Klaus Biesenbach und Felix Ensslin das Ausstellungsprojekt ZUR VORSTELLUNG DES TERRORS: DIE RAF-AUSSTELLUNG (2005) realisierte. Vor ihrer Ernennung zur Chefkuratorin der KW arbeitete sie als freie Kuratorin. Sie kooperierte mit der spanischen Künstlerin Dora García für deren Talkshow KLAU MICH! auf der dOCUMENTA (13) (2013) in Kassel und kuratierte unter anderem den Isländischen Pavillon auf der Biennale di Venezia (2011), die Sommerakademie AGULHAS NEGRAS – ON THE NECESSITY TO DISCUSS SOCIAL FUNCTIONS OF CONTEMPORARY ART in São Paulo/Campos do Jordão, BR (2008) und die Ausstellung ZWISCHEN ZWEI TODEN am ZKM in Karlsruhe (2007, gemeinsam mit Felix Ensslin). Ellen Blumenstein ist außerdem Gründerin des Veranstaltungsortes Salon Populaire und eine der BegründerInnen der Initiative Haben und Brauchen. Daniel Tyradellis Daniel Tyradellis ist Philosoph und Kurator. Zwischen 2000 und 2006 war er Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs CODIERUNG VON GEWALT IM MEDIALEN WANDEL an der Humboldt-Universität Berlin und verfolgt seither zahlreiche Forschungen zum Themenkomplex der Gewalt. In seinen kuratorischen Projekten bewegt er sich programmatisch zwischen Kunst und Wissenschaft. Tyradellis hat zahlreiche interdisziplinäre Ausstellungen kuratiert, unter anderem SCHMERZ (2007, Hamburger Bahnhof, Berliner Medizinhistorisches Museum) und WUNDER (2011/12, Deichtorhallen Hamburg). Aktuell ist seine Ausstellung FREUNDSCHAFT im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen. In den KW hat er bereits zusammen mit Ellen Blumenstein und Franz Rodenkirchen ECHTE GEFÜHLE: DENKEN IM FILM (2014) kuratiert. Zu seinen Publikationen gehören DIE SZENE DER GEWALT (herausgegeben gemeinsam mit Burkhardt Wolf und Peter Lang, Peter Lang Verlag, 2007), WAS HEISST UNS DENKEN? (gemeinsam mit Jean-Luc Nancy, diaphanes, 2013), FIGUREN DER GEWALT (herausgegeben gemeinsam mit Lars Friedrich, Karin Harrasser und Joseph Vogl, diaphanes, 2014) sowie MÜDE MUSEEN (edition Körber, 2014). 2016 erscheint DIE KUNST IN DER GESELLSCHAFT im Verlag Matthes & Seitz Berlin. Programm Juni Juli August ’15 Eintritt: 6 €, 4 € ermäßigt Donnerstagabend-Ticket (17 − 21 h) 4 €, inklusive einer dialogischen Führung um 17 h Öffnungszeiten: Mi – Mo 12 − 19 h Do 12 − 21 h, Di geschlossen KW Institute for Contemporary Art Auguststraße 69, 10117 Berlin www.kw-berlin.de Liebe Besucherinnen und Besucher, willkommen zum Sommerprogramm der KW Institute for Contemporary Art! Von Juni bis August 2015 steht die Institution im Zeichen der Gruppenausstellung FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE, die sich mit geläufigen Vorstellungen von Gewalt in der zeitgenössischen Kunst auseinander setzt und Werke von mehr als 50 internationalen Künstlerinnen und Künstlern im gesamten Haus präsentiert. Das Projekt wird von einem Rahmen- und Vermittlungsprogramm begleitet, das Einblicke in andere künstlerische Bereiche und deren Umgang mit dieser Thematik gibt. Parallel erscheint im Buchhandel FRIENDLY FIRE & FORGET (Matthes & Seitz Berlin) mit einer für diesen Anlass entstandenen Sammlung literarischer Texte. Wir freuen uns auf die zweite Zusammenarbeit mit dem FOREIGN AFFAIRS Festival der Berliner Festspiele, anlässlich derer wir eine neue Produktion von Georgia Sagri in Auftrag gegeben haben sowie zwei Stücke der Performerin Angélica Liddell präsentieren. Außerdem finden Sie auf den folgenden Seiten wie gewohnt Informationen zu unseren Ausstellungs- und Veranstaltungsreihen ARCH+ FEATURES, FREQUENCIES, THE PERFORMATIVE MINUTE und SEIZING THE IVORY TOWER sowie Informationen über unsere Editionen, die KW Residencies und die KW Freunde. Viel Vergnügen! 1 FIRE AND FORGET. O N VIOLENCE 1 4. 6. � 30. 8. 2015 FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE Gruppenausstellung Kuratiert von Ellen Blumenstein und Daniel Tyradellis Eröffnung: Samstag, 13. 6. 15, 17 − 22 h 1 4. 6. − 30. 8 . 15 Alle Orte „Fire and Forget“ ist ein aus dem Militärjargon stammender Begriff für Waffensysteme, die nicht mehr im unmittelbaren Kampf mit einem Gegner eingesetzt, sondern aus sicherer Entfernung ausgelöst werden. Durch den damit verbundenen Verlust klarer Grenzsetzungen stellen die Waffen elementare Gegensätze in Frage: Nähe und Ferne, Innen und Außen, Privat und Öffentlich, Freund und Feind, letztlich sogar Gewalt und Gewaltlosigkeit und damit Krieg und Frieden. Die Ausstellung FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE nimmt den militärischen Ausdruck zum Ausgangspunkt, um die herkömmlichen Vorstellungen von Krieg und Waffengewalt anhand der vier Themenkomplexe GRENZE, AFFEKT, ERINNERUNG und EREIGNIS zu überprüfen. Das Projekt umkreist die mit neuen Technologien einhergehende Dimension von Gewalt, die auch neue Strategien ihrer Hegung notwendig macht. 4 Hierzu orientiert sich die Ausstellung an den sichtbarsten Agenten von Gewalt: den Waffen. An ihre ästhetischen und materialen Erscheinungsformen lagern sich von jeher Triebe, Affekte und Erinnerungen an, die in Kunstwerken genutzt werden, um Gewalterfahrungen auszudrücken und den Umgang mit ihnen zu reflektieren. Mit den Mitteln der Kunst widmet sich die Schau den Auswirkungen, die der Einsatz dieser Waffen langfristig auf die menschliche Psyche hat: Mit dem Verlust der unmittelbaren körperlichen Konfrontation und der damit verbundenen Gefahr für das eigene Leben werden Affekte wie Tötungshemmung oder Überreaktion, Mitgefühl oder Hass von der konkreten Situation abgespalten. Gleichzeitig wird potenziell jeder einzelne Mensch zum Opfer, welches nicht nur auf öffentlichen Plätzen oder zu Hause, sondern an jedem beliebigen Ort der Welt jederzeit überwacht, ausspioniert und angegriffen werden kann – ohne den Angreifer je zu Gesicht zu bekommen. Die Ausstellung fragt nach den Aporien politischen Handelns und der Bedeutung, die Geschichte, Erinnerung und Vergessen für den Ausbruch – oder die Verhinderung – von Gewalt unter diesen veränderten Vorzeichen haben können. 5 Daniil Galkin, TOURNIQUET, 2013, Installationsansicht PinchukArtCentre Foto: Sergey Illin, zur Verfügung gestellt von PinchukArtCentre © 2013 I GRENZEN formen das politische wie das persönliche Verhältnis zu Gewalt. Waffen sind ein Wort für alle jene Dinge und Maßnahmen, die Grenzen errichten, erhalten oder im Namen neuer Grenzen bereits bestehende zu überschreiten trachten. An der Grenze kreuzen sich unterschiedliche Kräftefelder, die sowohl ästhetische, technologische, sexuelle, ökonomische als auch moralisch-politische Implikationen aufweisen. Der Einsatz von Waffen verändert oder affirmiert entweder das durch die Grenze markierte politische, soziale und / oder ökonomische Kräfteverhältnis; oder ihre schiere Anwesenheit reicht bereits als Drohung aus, um den Status Quo nicht weiter infrage zu stellen. Anders ausgedrückt: Jede territoriale, physische oder auch geistige Unterscheidung errichtet eine bestimmte Ordnung, die gewalthegende Funktionen übernehmen kann, aber gleichzeitig selbst Gewalt ausübt, deren Maß sich oftmals erst langfristig zeigt. Sie bestimmt, wer Freund und wer Feind, was dem Eigenen zugehörig oder fremd ist, aber sie symbolisiert auch die gesellschaftliche Sanktion, die durchsetzt, dass dem Fremden oder dem Feind kein Schaden zugefügt wird – es sei denn, diese Grenze wird verletzt. 7 Der zweite Bereich widmet sich künstlerischen Arbeiten, die sich mit dem AFFEKT, den Waffen auslösen, auseinandersetzen, ihn thematisieren oder nutzen. Der Affekt verortet die Gewalt allein in der Gegenwart, denn er hat kein Gedächtnis und erlebt jeden Konflikt, als wäre er der erste (und einzige). Er ist insofern „wahr“, als dass er für alle gilt und an Empfindungen rührt, denen man sich weder durch Wissen noch durch Erfahrung entziehen kann. Insofern stellt dieser Bereich die Frage nach der Gewalt systematisch: Was geschieht in der menschlichen Psyche, wenn es keine körperliche Nähe zum Gegner mehr gibt, die der erfahrenen oder ausgeübten Gewalt einen konkreten Gegenstand und ein identifikatorisches Gegenüber liefert? Ist diese Gewalt spurenlos oder sucht sie sich doch einen Ausdruck – und sei es verzögert in den Träumen und Ängsten der Menschen? Welche Rolle spielt der Verlust an kollektiv geteilter Erfahrung für die gewaltverhindernde Funktion am eigenen Leib erfahrener Gewalt? Dabei geht es immer auch um die Frage nach dem Ursprung von Gewalt – bricht sie eruptiv, triebhaft aus dem Menschen heraus, oder ist sie das Resultat erlittener Gewalt? 8 He Xiangyu, TANK, 2011 � 13, pflanzlich gegerbtes Leder C ourtesy Sammlung Sigg II 10 Jem Cohen, LITTLE FLAGS, 2000, Videostill C ourtesy der Künstler und Lux, London III Die künstlerischen Arbeiten im ersten Obergeschoss untersuchen das Potenzial von Geschichte und ERINNERUNG, Gewalt zu verhindern – oder aber sie als Trauma oder Racheimpuls erst eskalieren zu lassen. Die meisten Konflikte haben konkrete Ursachen und Wurzeln, jede Handlung in der Gegenwart beruht auf früheren eigenen Entscheidungen oder denen anderer, die bestimmen, in welchem Verhältnis Einzelne, Gemeinschaften oder Staaten heute zueinander stehen. Eine einmal getroffene Entscheidung kann nicht rückgängig gemacht, sondern nur durch eine neue Entscheidung überschrieben werden. Sich zu erinnern bedeutet, Kausalketten nicht zum Schutz des eigenen Weltbildes zu verkürzen und durch einfache Gut / Böse-Schemata zu ersetzen. Wenn es um einen „angemessenen“ Umgang mit Gewalt geht – was nur bedeuten kann, Strukturen zu schaffen, die Gewalt hegen, ohne dabei selbst „zu viel“ Gewalt aufzuwenden –, spielen Erinnerung und die Möglichkeit des Verzeihens als einzige Form „aktiven Vergessens“ eine zentrale Rolle. 11 IV Die Distanzierung von dem Augenblick der Entscheidung zu seinen sichtbaren Folgen verlangt nach Repräsentationen dieser Folgen, die in der Lage sind, diese differenziert ins Bewusstsein zu tragen. Mehr als alles andere ist hier die Kunst in ihrem Potenzial gefragt, Verdrängtem, Ungedachtem und Uneingestandenem einen Ausdruck zu verleihen. Die letzte Abteilung der Ausstellung versammelt Werke, die dieser Herausforderung auf sehr unterschiedliche Weise begegnen. 12 Damien Hirst, DO IT, 1995 � 96, Videostill C ourtesy der Künstler und museum in progress (www.mip.at) Die vierte Abteilung im zweiten Obergeschoss schließlich widmet sich dem EREIGNIS der Gewalt. Ungeachtet der konkreten Konstellation, den historischen Erfahrungen und der emotionalen Beteiligung bleibt der Moment, eine Waffe auszulösen und damit letale Gewalt auszuüben, eine individuelle Entscheidung, die immer wieder neu zu treffen ist. 13 ARCHIVBILDER Als begleitendes, kommentierendes Motiv ziehen sich durch die gesamte Ausstellung Fotografien aus der Sammlung Martin Damann / Archive of Modern Conflict. Dieses dokumentarische Element lädt gemeinsam mit den künstlerischen Positionen zur Reflexion darüber ein, was künstlerische gegenüber historisch-dokumentarischen Bildern, wie sie auch im Journalismus verwendet werden, zu zeigen vermögen – und was nicht. Die privaten Fotografien aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg geben Einblicke in die Kriegsrealität und stellen zur Diskussion, inwiefern sich der dokumentarische und künstlerische Anspruch unterscheiden, sich Bilder von der Gewalt zu machen – als Erinnerung, Mahnung oder Bewältigung. Abbildungen von links nach rechts: SONNENBADENDE AUF EINEM HALBVERSUNKENEN RUSSISCHEN PANZERWRACK (Foto eines Deutschen), WK II, o. O., verm. 1943 V2-RAKETEN-AGGREGAT IN DER FERTIGUNGSANLAGE MITTELBAU-DORA (Foto eines Amerikaners), Nordhausen, 1945 JUXBILD DEUTSCHER SOLDATEN, WK II, o. O., o. J. FOTO VOM EINSCHLAG EINER STUKA-ANGRIFFES, WK II, Ostfront, o. O., o. J. Courtesy Martin Damann /Archive of Modern Conflict 14 15 Publikation FRIENDLY FIRE & FORGET Die ausstellungsbegleitende Publikation FRIENDLY FIRE & FORGET beleuchtet das Thema aus literarischer Perspektive und versammelt für diesen Anlass entstandene Texte deutscher und internationaler Autorinnen und Autoren. „Die Art und Weise, wie Gewalt ins Bild gesetzt wird, hat Anteil daran, wie sie gedeutet wird und ob sie zur weiteren Eskalation von Gewalt beiträgt oder das Gegenteil bewirkt.“ Daniel Tyradellis, Zitat aus dem Nachwort Mit Texten von: Petra Coronato, Ann Cotten, Ulrike Draesner, Alexander Heinich, Andreas L. Hofbauer, Schorsch Kamerun, Wladimir Kaminer, Hartmut Lange, Francis Nenik, Kathrin Passig, Christoph Peters, Annika Reich, Oliver Rohe, Mark von Schlegell, Frank Witzel Herausgeber: Ellen Blumenstein, Daniel Tyradellis für KW Institute for Contemporary Art Gestaltung: Dirk Lebahn Erschienen bei Matthes & Seitz Berlin ISBN 978-3-95757-169-4 16 17 Begleitprogramm Ausstellungsbegleitend ist eine Reihe von Veranstaltungen geplant, die den gesellschaftlichen Umgang mit Waffen und Gewalt in anderen kulturellen und sozialen Bereichen in Gesprächen mit unterschiedlichen Expertinnen und Experten thematisieren. Gemeinsam mit Mona Jas, die seit 2014 das Vermittlungsprogramm LAB FOR ART EDUCATION für die KW konzipiert, entwickeln die Gäste Workshops für SchülerInnen unterschiedlicher Altersklassen, aus denen Präsentationen im Ausstellungsraum KW PROJECTS hervorgehen. Diese Interventionen reagieren auf einzelne Werke oder auch Themenbereiche und werden im Verlauf der Ausstellung weiter ausgebaut. Während der gesamten Laufzeit findet jeden Donnerstag um 17 Uhr eine dialogische Führung statt, die von vier professionellen KuratorInnen, KunstvermittlerInnen und KünstlerInnen abwechselnd mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik durchgeführt werden. Voranmeldungen bitte unter [email protected]. 18 Juni Donnerstag, 18. 6. 15, 17 h: Azadeh Sharifi / Kulturwissenschaftlerin Donnerstag, 25. 6. 15, 17 h: Azadeh Sharifi / Kulturwissenschaftlerin Juli Sonntag, 5. 7. 15, 15 h: Greta Hoheisel und Julia Oehme, a7.außeneinsatz / Kulturwissenschaftlerinnen Donnerstag, 9. 7. 15, 17 h: Azadeh Sharifi / Kulturwissenschaftlerin Donnerstag, 16. 7. 15, 17 h: Gerrit Gohlke / Kurator und Autor Donnerstag, 23. 7. 15, 17 h: Dejan Markovic / Künstler Donnerstag, 30. 7. 15 , 17 h: Dejan Markovic / Künstler August Sonntag, 9. 8 . 15, 15 h: Greta Hoheisel und Julia Oehme, a7.außeneinsatz / Kulturwissenschaftlerinnen Donnerstag, 13. 8 . 15, 17 h: Gerrit Gohlke / Kurator und Autor Donnerstag, 20. 8 . 15, 17 h: Dejan Markovic / Künstler Donnerstag, 27. 8 . 15, 17 h: Gerrit Gohlke / Kurator und Autor 19 Veranstaltungen 21 FREQUENCIES: GABRIEL SALOMAN Donnerstag 20 h 30. 7. 15 ON VIOLENCE MIT ROSA VON PRAUNHEIM Donnerstag 20 h Donnerstag 20 h 20. 8 . 15 27. 8 . 15 ON VIOLENCE MIT ULRICH MATTES THE PERFORMATIVE MINUTE: MARKUS ZIMMERMANN27 6. 8 . 15 Donnerstag 20 h 26 25 ERÖFFNUNG: SEIZING THE IVORY TOWER #5: FRANZISKA WILDT 35 STUDIOLO: DARIA MELNIKOVA28 6. 8 . 15 Donnerstag 19 h August ’15 ON VIOLENCE MIT ANTONIA BAUM 25 Donnerstag 20 h 23. 7. 15 33 ARCH+ FEATURES 40: FLÄMISCHE ARCHIITEKTUR 16. 7. 15 Donnerstag 20 h 29 FREQUENCIES: ANDREW PEKLER, GIUSEPPE IELASI 31 9. 7. 15 Donnerstag 20 h Samstag14− 22 h FOREIGN AFFAIRS: GEORGIA SAGRI ERÖFFNUNG: SEIZING THE IVORY TOWER #4: WERHAHN & PUSCHENDORF 35 2. 7. 15 Donnerstag 19h 4. 7. 15 FOREIGN AFFAIRS: ANGÉLICA LIDDELL LESIONES INCOMPATIBLES CON LA VIDA 1. / 2. 7. 15 Mi / Do 21 h 31 FOREIGN AFFAIRS: ANGÉLICA LIDDELL VIA LUCIS 1. / 2. 7. 15 Mi / Do 20 h Juli ’15 30 32 ARCH+ DISPLAYS: ROOMS OF MANIFESTOES 18. 6. 15 Donnerstag 20 h 4 29 27 Seite Samstag17 − 22 h eröffnung: 13. 6. 15 FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE Donnerstag 20 h 11. 6. 15 THE PERFORMATIVE MINUTE: DAFNA MAIMON 4. 6. 15 Donnerstag 20 h Juni ’15 25 Seit über 30 Jahren produziert der queere Filmregisseur Rosa von Praunheim Dokumentarfilme, die nicht nur nachhaltig zur Emanzipation der deutschen Schwulen- und Lesbenbewegung beigetragen haben, sondern auch die Szene selbst von innen heraus auf klischeehaftes Denken untersuchen. Dabei streift er Themen wie körperliche Gewalt oder rechtes Gedankengut, jedoch ohne einseitige OpferTäter-Zuschreibungen zu liefern. ON VIOLENCE MIT ROSA VON PRAUNHEIM Ort: Chora, 3 € (deutsch) ON VIOLENCE MIT ANTONIA BAUM Ort: Chora, 3 € (deutsch) Antonia Baum schreibt neben ihrem Romandebüt VOLLKOMMEN LEBLOS, BESTENFALLS TOT sowie ihrem kürzlich erschienenen Buch ICH WUCHS AUF EINEM SCHROTTPLATZ AUF, WO ICH LERNTE, MICH VON RADKAPPEN UND STOSSSTANGEN ZU ERNÄHREN bei der FAZ über Themen wie Feminismus und Hip-Hop. Im Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Musikszene spricht sie über die Faszination für Gewalt in der Rap- und Hip-Hop-Kultur sowie darüber, ob Gewaltdarstellungen Ausdruck erlebter Gewalt sind, oder ob sie auch die Möglichkeit zur Deeskalation bieten. 20. 8 . 15, 20 h Drei Gespräche mit ProtagonistInnen und Protagonisten aus den Bereichen Kunst, Theater, Film und Musik fokussieren die Strategien, die in unserer Gesellschaft zur Hegung von Gewalt beziehungsweise zur Verarbeitung von Gewalterfahrungen zur Verfügung stehen. Die Gäste sprechen über ihren eigenen Umgang mit Gewalt und ihrer kulturellen / sozialen Umformung wie ihrer Kodierung im eigenen Feld. Alle Veranstaltungen werden moderiert von Tina Mendelssohn, die die Kontinuität zwischen den drei Abenden herstellt und das Wissen, das in jedem Gespräch entsteht, in die folgenden weiterträgt. 23. 7. 15, 20 h 24 BEGLEITPROGRAMM: FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE 27 Dafna Maimons jüngstes hybrides Videound Performanceprojekt beschäftigt sich mit Identitätskonstruktionen, die Definitionen des Selbst, des Anderen und des Körpers herausfordern. Für diesen Abend inszeniert sie eine selbstreflexive Ballettklasse, in welcher das Publikum entscheiden kann, ob es beobachten, mitmachen oder vielmehr das Publikum spielen will. Markus Zimmermann Ort: Chora, 3 € (deutsch / englisch) Dafna Maimon HUMAN COMMA BEING � THE CLASS Ort: Chora, 3 € (englisch) Der in Berlin lebende Künstler Markus Zimmermann nutzt Skulpturen als Ausgangspunkt für die Annahme, dass Objekte als Überträger von kollektiven und persönlichen Erinnerungen Markenwerten oder sozialen Normen dienen können. In seiner ortsspezifischen Version seines Projektes SUPERFILIALE (fortlaufendes Projekt) adressiert er die Tauschökonomie in einer Kunstinstitution. 6. 8 . 15, 20 h 4. 6. 15, 20 h THE PERFORMATIVE MINUTE zeigt an jedem ersten Donnerstag des Monats eine speziell für die KW neu produzierte Performance junger Berliner und internationaler Künstlerinnen und Künstler. Kuratiert von Adela Yawitz. THE PERFORMATIVE MINUTE 26 Der Film- und Theaterschauspieler Ulrich Matthes spielt als Ensemblemitglied im Deutschen Theater in Berlin und war als Mörder im Tatort sogar der BILD-Zeitung einen Artikel wert – weil er so „gut“ böse war. Im Gespräch mit Matthes geht es um die Frage, was es heißt, Gewalt auf der Bühne oder vor der Kamera auszuüben oder zu verhindern. ON VIOLENCE MIT ULRICH MATTHES Ort: Chora, 3 € (deutsch) 27. 8 . 15, 20 h Andrew Pekler, Giuseppe Ielasi FEED 070915 Ort: Chora, 10 € Indem er mit improvisierten Kompositionen arbeitet, integriert Andrew Pekler Elemente aus Jazz, Pop, elektronischer und klassischer Musik in seine eigenen Loops. Der Mailänder Gitarrist Ielasi interessiert sich für Soloperformances, in denen Gitarre als primärer Klang auftaucht aber, unter Einbezug von Mehrkanalsystemen eine ortsspezifische Erfahrung geschaffen wird. Gabriel Saloman FEED 061115 Ort: Chora, 10 € Der Miasmah-Aufnahmeabend zeigt Gabriel Saloman, einen multidisziplinären Künstler aus Vancouver. Während seine Soloprojekte Geräusche und Klanglandschaften als Emanzipation von autoritären Gesellschaftsordnungen erkunden, ist er auch für seine Kollaborationsprojekte Yellow Swans, Chambers und Diadem bekannt. 29 9. 7. 15, 20 h 11. 6. 15, 20 h Die Serie erkundet die Grenzbereiche von Sound und neuen Medientechnologien. FREQUENCIES wird von FEED, der in Berlin ansässigen Plattform für direkte Erfahrungen, konzipiert. FREQUENCIES 28 DARIA MELNIKOVA Ort: Studiolo, freier Eintritt (englisch) Das STUDIOLO dient als halböffentlicher Raum für Diskussionen und für prozessorientiertes künstlerisches und wissenschaftliches Arbeiten. Gemeinsam mit akademischen Kooperationspartnern finden hier Seminare, Workshops und Präsentationen statt. Zudem stellen die GastkünstlerInnen der KW hier ihre laufenden Projekte vor. Daria Melnikova ist die Gewinnerin des ersten kim? Residency Award in 2015. Organisiert von kim? Contemporary Art Centre in Riga werden vielversprechende lettische Künstlerinnen und Künstler mit Residencies in Kollaboration mit Partnern ausgezeichnet. Melnikova arbeitet in verschiedenen Medien wie Malerei, Druckgrafik und Skulptur. Dabei ist sie mit Handwerkstraditionen vertraut, wendet diese aber in ihrer künstlerischen Praxis an und kombiniert sie mit neuen Technologien. Am Ende ihres zweimonatigen Aufenthaltes in den KW bietet sie einen Einblick in ihre aktuellen Projekte. 30. 7. 15, 20 h STUDIOLO Georgia Sagri MY FIRST SCIENCE FICTION BOOK, RELIGION Ort: Studiolo, freier Eintritt Die achtstündige Performance der Künstlerin und der mitwirkenden MusikerInnen macht die Möglichkeiten einer nichtindividuellen Annäherung an das Religiöse erfahrbar und definiert das „Material“ des Glaubens durch die Loslösung von ihren ursprünglichen Bedeutungen neu, wobei die Mikrobewegungen und -veränderungen der unterschiedlichen Riten kontinuierlich dekonstruiert und ausgestellt werden. Über die Projektwebseite kann man die Performance online verfolgen und Kommentare mit anderen teilen. Angélica Liddell LESIONES INCOMPATIBLES CON LA VIDA Ort: Chora, 10 €, 8 € ermäßigt (in Spanisch mit englischen und deutschen Untertiteln) In dieser frühen Performance beschwört Angélica Liddell die selbstgewählte Kinderlosigkeit als Waffe der Rebellion gegen eine frauenfeindliche und patriarchale Gesellschaft, die Frauen nur in drei Kategorien akzeptiert: als Jungfrauen, Mütter oder Huren. Ihr eigener, nichtgebärender Körper wird zu einem Instrument der Revolte. Der Abend wird ausschließlich von Angélica Liddell gestaltet: Als Autorin, Regisseurin und Performerin präsentiert sie ihr anklagendes und sehr persönliches Protestgedicht. 31 4. 7. 15, 14 � 22 h 1. / 2 . 7. 15, 21 h 30 Die Veranstaltungen von Angélica Liddell, VIA LUCIS und LESIONES INCOMPATIBLES CON LA VIDA, können für einen Gesamtpreis von 12 Euro (ermäßigt 8 Euro) kombiniert werden. Angélica Liddell VIA LUCIS Ort: Studiolo, 6 €, 4 € ermäßigt (deutsch / spanisch) Seit 2013 kooperieren die KW und FOREIGN AFFAIRS und entwickeln gemeinsam Projekte an der Schnittstelle von Ausstellen und Aufführen. Themenschwerpunkt in diesem Jahr sind unterschiedliche Zeitkonzepte in den Künsten. Angélica Liddell, Focus-Künstlerin des diesjährigen FOREIGN AFFAIRS Festivals, hat eine Auswahl eigener Gedichte zusammengestellt, die Altea Garrido und Irm Hermann in dieser Lesung sowohl im spanischen Original als auch in der deutschen Übersetzung präsentieren. Dabei begeben sie sich in sphärische Abgründe und jauchzende Höhenflüge, die Liddell als Poetin und als Dramatikerin zeigen und den kreativen Prozess ihrer Performances kontextualisieren. 1. / 2 . 7. 15, 20 h FOREIGN AFFAIRS 33 Das ARCH+ FEATURES ist Flandern gewidmet, das gegenwärtig eine der interessantesten Architekturszenen Europas hat. Basierend auf der kommenden ARCH+-Ausgabe über die Architektur Flanderns werden die Architekturpraxis, die theoretischen Standpunkte wie auch die kulturellen und politischen Umstände diskutiert, die diese Entwicklung ermöglicht haben. ARCH+ FEATURES 40: FLÄMISCHE ARCHITEKTUR Ort: Chora, 3 € (englisch) 16. 7. 15, 20 h 32 ARCH+ DISPLAYS ROOM OF MANIFESTOES / WAI ARCHITECTURE THINK TANK Ort: Arch+ Studio, 3. OG, 3 € (englisch) Die Serie von Gastpräsentationen führender ArchitektInnen, StadtplanerInnen und ArchitekturwissenschaftlerInnen des Berliner Magazins ARCH+ fokussiert Diskurse zeitgenössischer Architektur und Urbanität. Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums von Kasimir Malewitschs DAS SCHWARZE QUADRAT (1915) würdigt ROOM OF MANIFESTOES die Bedeutung von Manifesten bei der Entwicklung visionärer Ideen sowie sozialen, politischen und ästhetischen Projekten im 20. Jahrhundert und bekräftigt deren latentes Potenzial für die diskursive Weiterentwicklung der zeitgenössischen Architektur. 18. 6. 15, 21 h ARCH+ FEATURES SEIZING THE IVORY TOWER 34 Frank Sperling, aus der Serie PRIVATE HERMANN, 2014 � 15, Inkjet-Print © Frank Sperling Ausstellungsserie 15. 3 . � 6. 9. 15 Ort: 3½ Die Ausstellungsserie im Zwischengeschoss 3 ½ widmet sich der Faszination am Abseitigen, Unbeachteten oder Verborgenen. SEIZING THE IVORY TOWER zeigt junge KünstlerInnen mit speziell für 3 ½ entwickelten Produktionen oder Installationen, die Geschichten, Ereignisse und Phänomene gesellschaftlicher wie persönlicher Randbereiche mit unterschiedlichen Strategien erforschen und sichtbar machen. Kuratiert von Nina Mende 29. 5 . � 28. 6. 15 Eröffnung: 28. 5 . 15, 19 h SEIZING THE IVORY TOWER #3: Frank Sperling 3. 7. � 2 . 8 . 15 Eröffnung: 2. 7. 15, 19 h SEIZING THE IVORY TOWER #4: Werhahn & Puschendorf 7. 8 . � 6. 9. 15 Eröffnung: 6. 8 . 15, 19 h SEIZING THE IVORY TOWER #5: Franziska Wildt 35 KW RESIDENCIES Das Atelierprogramm KW RESIDENCIES arbeitet mit internationalen Kunstinstitutionen und ExpertInnen zusammen, um je einer Künstlerin / einem Künstler einen Aufenthalt in den KW zu ermöglichen. Die Residency umfasst zwischen zwei und sechs Monate und bietet Gelegenheiten für den Austausch zwischen KünstlerInnen und dem kuratorischen Team und dem Programm der KW. Daria Melnikova, STILL LIFE WITH CHEESE, 2015 © Daria Melnikova Das Residency-Programm nimmt die Geschichte der KW als Ort künstlerischer Produktion auf und lädt die Künstlerinnen und Künstler dazu ein, ihren Arbeitsprozess und ihre aktuellen Projekte mit dem Publikum zu teilen. Diese Projekte werden zum Abschluss ihres Aufenthalts im STUDIOLO vorgestellt. Der aktuelle Gast der KW RESIDENCIES ist Daria Melnikova, die Gewinnerin des kim? Residency Award, eine Kooperation mit dem kim? Contemporary Art Centre in Riga. Die KW arbeiten mit Institutionen in Deutschland und weltweit zusammen, um internationale KünstlerInnen bei ihrem Aufenthalt in Berlin zu unterstützen. Weitere Partner dafür sind das Medienboard Berlin-Brandenburg, Iaspis und der DAAD. 37 LAB FOR ART EDUCATION Das LAB FOR ART EDUCATION erprobt unterschiedliche Formate der Vermittlungsarbeit, die traditionelle Grenzen und Hierarchien institutioneller Praxis überschreiten und herkömmliche Vermittlungskonzepte zugunsten eines flexiblen Austauschs mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern überdenken. LAB FOR ART EDUCATION im Worshop Foto: Mona Jas Im Rahmen der Ausstellung FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE werden sowohl bestehende Kooperationen wie beispielsweise mit der Heinz-Brandt-Schule und der Kunsthochschule Berlin Weißensee fortgeführt, als auch spezifisch auf die Schau zugeschnittene Programme entwickelt. Eine Kombination unterschiedlicher Formate bietet dem Publikum durch diskussionsorientierte Führungen, Workshops und themenbezogene Präsentationen im Projektraum KW PROJECTS die Möglichkeit zu einer vertiefenden Beschäftigung mit dem Gegenstand – und den eigenen Berührungspunkten zu diesem. Ziel des Vermittlungsansatzes ist es, die Auseinandersetzung mit Gewalt und mit Waffen unweigerlich als Teil unserer Realität zu begreifen – und nicht als ein Problem, dessen man sich durch Ignoranz oder Verweigerung entledigen könnte. Für detaillierte Informationen kontaktieren Sie gerne Mona Jas, die Leiterin des LAB FOR ART EDUCATION, unter [email protected]. 39 EDITIONEN Die KW legen gemeinsam mit KünstlerInnen ausgewählter Ausstellungen Editionenen auf, deren Erlös dem Ausstellungsprogramm der KW zugute kommt. Weitere Informationen: www.kw-berlin.de/de/editions Elín Hansdóttir auf Fine Art Pearl, unterschiedlich Archivarischer Tintenstrahldruck vom Künstler STREAM, 2015 81,5 cm 40 benannt und signiert, einzeln bemalt 80 110 cm Limitierte Edition von 45, 800 € 15 Unikate, 1.500 € Institute for Human Activities 8. Berlin Biennale für Selbstportrait von Djonga Bismar 9 PLUS 1, 2014 MULTIPLE, 2014 und Manenga Kibwila Schokolade 11 11 11 cm Unlimitierte Editionen, jeweils 39,95 € Ilit Azoulay SECOND OPTION, 2014 Tintenstrahldruck 50 110 cm zeitgenössische Kunst 11-teilige Posteredition mit Motiven von Andreas Angelidakis, Zachary Cahill, Mariana Castillo Deball, Shilpa Gupta, Glenn Ligon, Goshka Macuga, Shahryar Nashat, Olaf Nicolai, Otobong Nkanga, Wolfgang Tillmans, Danh & Phung Vo 100 70 cm Limitierte Edition von 150, 375 € Limitierte Edition von 25, 1.200 € Cyprien Gaillard Nedko Solakov (THE TASTE OF THE ROSY CITY), 2012 KW LOVER, 2014 Digitaler Pigmentprint auf Hahnemühle Photo Rag, signiert 20,2 25 cm OHNE TITEL Siebdruck auf Archivkarton, signiert 40 60 cm Limitierte Edition von 44, 1.850 € Limitierte Edition von 25, 800 € Aura Rosenberg Nedko Solakov Souvenir auf einem Podest EMERGENCY 1–15, 2014 Zeichnung auf digitalem Pigmentprint 40 Elín Hansdóttir, STREAM, 2015 Courtesy Elín Hansdóttir und i8 Gallery, Reykjavík SIEGESSÄULE, 2003 Höhe: 24 cm Unlimitierte Edition von 1.000, 120 € 41 Die KW Freunde wurden 1996 mit dem Ziel gegründet, das Programm der KW Institute for Contemporary Art zu unterstützen. Alljährlich fördern die KW Freunde ein besonderes Ausstellungsprojekt. In diesem Jahr liegt der Fokus auf der Schau FIRE AND FORGET. ON VIOLENCE und dessen begleitendem Lesebuch FRIENDLY FIRE & FORGET. Die KW Freunde begleiten das umfangreiche und vielseitige Programm der Institution: Als Mitglied genießen Sie Einladungen zu exklusiven Vorbesichtigungen und Gesprächen mit eingeladenen KünstlerInnen und KuratorInnen sowie zu Sonderveranstaltungen der KW. Zudem organisieren die KW Freunde ausgewählte Künstlergespräche, sowie Atelier- und Sammlungsbesuche in Berlin, und darüber hinaus und laden sie einmal jährlich zu einer internationalen Kunstreise ein. Als KW Freund erhalten Sie Rabatt auf ausgewählte Publikationen und Editionen der KW. Wir laden Sie herzlich ein, Mitglied bei den KW Freunden zu werden und das Programm der KW zu unterstützen! Werden Sie KW Freund: T +49 30 2434 5948 [email protected] www.kw-freunde.de 42 Kris Martin, OHNE TITEL, 2010, 706 gefundene Granathülsen C ourtesy Privatsammlung, Köln und Sies + Höke, Düsseldorf, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf KW Freunde Impressum KW Institute for Contemporary Art KUNST-WERKE BERLIN e.V. Auguststraße 69, 10117 Berlin T +49 30 2434 590 F +49 30 2434 5999 [email protected] www.kw-berlin.de Öffnungszeiten: Mi – Mo 12 – 19 h Do 12 – 21 h, Di geschlossen Eintritt: 6 €, 4 € ermäßigt Donnerstagabend-Ticket (17–21 h) 4 €, inklusive einer dialogischen Führung um 17 h (deutsch / englisch) KW Institute for Contemporary Art Das Programm der KW Institute for Die Performance MY FIRST SCIENCE Chefkuratorin: Ellen Blumenstein Unterstützung des Regierenden Sagri wird zusammen mit Berliner Direktorin: Gabriele Horn ProjektmanagerInnen: Jan Sauerwald, Anke Schleper Assistenzkuratorin: Nina Mende Kuratorische Assistenz: Contemporary Art wird durch die Bürgermeisters von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten ermöglicht. Maurin Dietrich Die Ausstellung FIRE AND FORGET. und Residencies: Adela Yawitz Kulturstiftung des Bundes. Kuratorin öffentliche Veranstaltungen Praktikantin: Elena Setzer ON VIOLENCE wird gefördert durch die Technische Leitung: Matten Vogel Wir danken für die finanzielle Redaktion FIRE AND FORGET. sowie Rivka Saker, dem Sammler Uli ON VIOLENCE: Ellen Blumenstein, Daniel Tyradellis Design: Studio Quentin Walesch Unterstützung der KW Freunde e. V. Fine Arts Berlin, KOW Berlin. Die Performance LESIONES INCOMPATIBLES CON LA VIDA von Berliner Festspiele/Foreign Affairs präsentiert. THE PERFORMATIVE MINUTE mit NRW Forum. Die Publikation sowie das Vermittlungs- Courtesy der Künstler und Jan Mot, gefördert durch die Bundeszentrale für Abbildung auf Seite 2 / 3: Reynolds Gallery, London. Dafna Maimon wird unterstützt von Joachim Koester, THE PLACE OF Brüssel Friedrich, Berlin und Anthony Contemporary Art Fund, Contemporary Berlin. Alle Rechte vorbehalten. DEAD ROADS, 2013, Videostill, Mit Unterstützung der Galerie Lars Sigg, Mr. Xue, Peng Pei-Cheng, Outset © KW Institute for Contemporary Art, Abbildung auf dem Umschlag: Istanbul Biennial, 2015 produziert. LUCIS werden gemeinsam mit den Maurin Dietrich, Nina Mende, Henriette Sölter, Tina Wessel, Adela Yawitz Festspiele / Foreign Affairs und der Angélica Liddell und die Lesung VIA Aufbauteam: Kartenrecht Texte und Redaktion: Hendrik Bartels, FICTION BOOK, RELIGION von Georgia und Veranstaltungsprogramm werden politische Bildung. Die Residency von Daria Melnikova ist eine Kooperation mit dem kim? Contemporary Art Centre, Riga und den KW Institute for Contemporary Art. Julian Röder, GENOA, 2001, Das LAB FOR ART EDUCATION ist C-Print, Courtesy Russi Klenner, Berlin kreative Schulen und von Künste aus der Serie THE SUMMITS, Abbildung auf Seite 20: Barbara Kruger, OHNE TITEL, 1994 / 2015, ursprünglich für das Treppenhaus der Kunsthalle Basel, Vinyldruck, Courtesy Sprüth Magers kofinanziert von den Kulturagenten für öffnen Welten. FIRE AND FORGET. O N VIOLENCE 1 4. 6. � 30. 8. 2015
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