Kolonialismus im Gepäck

Kolonialismus im Gepäck
Kritische Perspektiven auf Globales Lernen
Dokumentation der 27. Jahrestagung des LAK Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
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Kolonialismus im Gepäck
Kritische Perspektiven auf Globales Lernen
Dokumentation der 27. Jahrestagung
des LAK Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
vom 13. bis 14. Juli 2015
im Haus auf der Alb in Bad Urach
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IMPRESSUM
Redaktion: Sigrid Schell-Straub, Andreas Wenzel
Textbeiträge und Dokumentationen der einzelnen Tagungselemente:
Andreas Wenzel, zu den Workshops und Vorträgen haben die Referent/innen Texte verfasst.
Fotos: Viktoria Wildemann, Andreas Wenzel
Bezug:
Sigrid Schell-Straub
Fachpromotorin für Globales Lernen, Qualifizierung und Beratung
EPiZ
Wörthstr. 17
72764 Reutlingen
Email: [email protected]
Internet: www.epiz.de
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Reutlingen, November 2015
Wir danken allen, die die Tagung gestaltet haben, insbesondere den Organisator/innen und der
Vorbereitungsgruppe, den Referent/innen, den Protokollant/innen und den Förderern der Tagung
und der Dokumentation.
Tagungsleitung:
Robert Feil, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg LpB
Ralf Häußler, Zentrum für entwicklungsbezogene Bildung ZEB
Sigrid Schell-Straub, Fachpromotorin Globales Lernen, Entwicklungspädagogisches
Informationszentrum EPiZ, Reutlingen
Vorbereitungsteam:
Gundula Büker, Entwicklungspädagogisches Informationszentrum EPiZ, Reutlingen
Robert Feil, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg LpB
Ralf Häußler,
Zentrum für entwicklungsbezogene Bildung ZEB
Eva-Maria Hartmann, LAK Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
Dr. Ingrid Klein, LAK Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
Sigrid Schell-Straub, Fachpromotorin Globales Lernen, Entwicklungspädagogisches
Informationszentrum EPiZ, Reutlingen
Kafalo Sékongo, Fachpromotor Globales Lernen, Internationale Bildungspartnerschaften,
Entwicklungspädagogisches Informationszentrum EPiZ, Reutlingen
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Veranstalter und Förderer:
Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg
Zentrum für
entwicklungsbezogene Bildung
ZEB
Programm „Bildung trifft Entwicklung“
In Baden-Württemberg
getragen durch:
Eine-Welt-Promotor/innenprogramm
In Baden-Württemberg
gefördert durch:
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Gefördert durch:
Inhalt
S. 6
Inhalt
S. 7
Einladung
S. 8
Programm
Dokumentation
S. 9
Begrüßung, Kennenlernen, Annäherung an das Thema
S. 11
Vortrag „Kolonialismus im Gepäck“ (Prof. Bernd Overwien, Kafalo Sékongo)
S. 20
Postcolonial Energizer (Gundula Büker)
S. 21
Impuls und Gruppenarbeit „Kritische Perspektiven auf Globales Lernen“
(Eva-Maria Hartmann)
S. 29
Workshop 1: Decolonize it!
S. 30
Workshop 2: Neue Entwicklungen der lateinamerikanischen Befreiungspädagogik
S. 31
Workshop 3: Ausstellung Weiß-Schwarz des Entwicklungspolitischen Netzwerks Sachsen
S. 32
Workshop 4: Zuflucht gesucht“ – Kurzfilme für eine Kultur der Gleichwertigkeit
S. 33
Schlussrunde
S. 34
Feedback
Anhang
S. 37
Dt. Transkript „The Danger of a single Story“ von Chimananda Adichie
S. 43
Liste der TeilnehmerInnen
S. 44
Weltkulturerbe Tango
S. 45
Literaturliste
S. 46
Eindrücke vom Schwof
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EINLADUNG
an die Mitglieder des LAK und interessierte Multiplikator/innen aus Schule, schulischer und
außerschulischer Aus- und Fortbildung, Schulverwaltung, Zivilgesellschaft und Kirchen
Süd-Nord-bezogene Bildungsarbeit hat immer die Geschichte des Kolonialismus im Gepäck. Auch
Menschen, die sich mit entwicklungsbezogener Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit beschäftigen,
tragen oft unbewusst eurozentristisch, kolonialistisch geprägte Klischees und ungewollte
Diskriminierungen weiter. Sprachgebrauch, Bilder- und Medienauswahl in unseren
Bildungsveranstaltungen und auch unser Handeln im Alltag können verräterisch sein.
Unsere Tagung führt in die aktuellen, häufig hitzig und kontrovers geführten Debatten um
Kolonialismus / Postkolonialismus ein. Am Anfang steht ein Süd-Nord-Dialog zweier Experten aus
der Elfenbeinküste und Deutschland. Anschließend unternehmen wir eine Spurensuche nach
kolonialen Denkmustern in uns, in Texten und Bildern und unserer pädagogischen Praxis. Daraus
leiten wir erste Konsequenzen für die Bildungspraxis ab.
Wie immer bleibt es nicht bei der Theorie. Die Teilnehmenden sind eingeladen, sich mit ihren
Erfahrungen in die Diskussion einzubringen und sich von interessanten Praxisbeispielen für alle
Bildungsbereiche und Altersstufen inspirieren zu lassen.
Am Abend laden wir in die Welt des Tango Argentino ein, der in ein anschließendes interkulturelles
Schwofen übergeht. Schön wäre es, wenn Sie uns im Vorfeld Ihre Wünsche bzgl. Ihrer
Lieblingsmusik aus aller Welt mitteilen oder mitbringen würden.
Wir freuen uns über zahlreiche Anmeldungen und auf eine spannende Tagung und laden Sie
herzlich nach Bad Urach ein!
Sigrid Schell-Straub
Fachpromotorin Globales Lernen
im Entwicklungspädagogischen Informationszentrum EPiZ Reutlingen
Eva-Maria Hartmann
Landesarbeitskreis Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
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PROGRAMM
Montag, 13. Juli 2015
9:30
Ankommen, Kaffee und Brezeln
10:00
Begrüßung, Kennen lernen und Annäherung an das Thema
Robert Feil, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
Eva-Maria Hartmann, LAK Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
Sigrid Schell-Straub, Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Reutlingen EPiZ
10:30
Kolonialismus im Gepäck
Ein Süd-Nord-Dialog und Diskussion mit den Teilnehmenden mit
Kafalo Sékongo, Fachpromotor Globales Lernen und Internationale Bildungspartnerschaften
Prof. Dr. Bernd Overwien, Universität Kassel
12:00
Mittagessen
13:30
Postcolonial Energizer
Gundula Büker, Entwicklungspädagogisches Informationszentrum EPiZ Reutlingen
13:45
Kritische Perspektiven auf Globales Lernen
Eine interaktive Auseinandersetzung auf der Basis eigener Erfahrungen, Bilder und Texte
Eva-Maria Hartmann, LAK Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg
Sigrid Schell-Straub, Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Reutlingen EpiZ
15:30
Kaffeepause
16:00
Praxisbeispiele reflektieren
Workshoprunde 1
Workshop 1: „Decolonize it! – Globale und postkoloniale Perspektiven nachhaltig verankern“ (Außerschulische Bildung,
Arbeitsfeld Soziale Arbeit) Prof Dr. Beatrix Waldenhof, HS Esslingen; Dominic Kropp, Anja Nitschke
Workshop 2: Neue Entwicklungen der lateinamerikanischen Befreiungspädagogik (Lehrende ab Sekundarstufe II und
außerschulische Bildung ab 14 Jahre) Marcia Palma, Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung DIMOE und Ralf
Häußler, Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung ZEB Stuttgart
Workshop 3: Ausstellung Weiß-Schwarz des Entwicklungspolitischen Netzwerks Sachsen (Sekundarstufen I und II und
außerschulische Bildung) Gundula Büker, Entwicklungspädagogisches Informationszentrum EPiZ Reutlingen
Workshop 4: „Zuflucht gesucht“ – Kurzfilme für eine Kultur der Gleichwertigkeit (Grundschule und Orientierungsstufe)
Ursula Becky, interkulturelle Trainerin, Übersetzerin und Sprachdozentin, Baden-Bade
18:00
Abendessen
19:30
Weltkulturerbe Tango
Ein Schnupperkurs mit Manfred Leitner und Birgit Klein, Tangostudio eManolito, Reutlingen
20:30
Tanz, Dance, Danse, Youôrô, Danza, …
Schwofen auf die Wunschtitel der Teilnehmenden
Dienstag, 14. Juli 2015
8:00
Frühstück
9:00
Workshoprunde 2
Jede/r hat die Möglichkeit, einen weiteren Workshop zu besuchen, Angebote siehe Montag
11:00
Pause
11:30
12.00
Feedback und Ausblick
Mittagessen und Abreise
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Begrüßung, Kennenlernen, Annäherung an das Thema
Die 28. Jahrestagung des LAK ist die dritte, die im idyllisch gelegenen Haus auf der Alb der
Landeszentrale für Politische Bildung stattfindet. Als Fachreferent für Schule/Bildung begrüßt
Robert Feil die Tagungsteilnehmer/innen. Im Bezug auf die Wahl von Thema und Titel der Tagung
„Kolonialismus im Gepäck“ führt er vier Punkte als wichtig an:
1. Kolonialismus haben wir in der Deutschen Geschichte noch nicht aufgearbeitet!
2. Einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aufgrund von sozialer Lage, Geschlecht,
Religion oder Hautfarbe wollen wir als LAK, als PädagogInnen eine Kultur der Gleichwertigkeit
entgegensetzen.
3. Wie ist unser eigener Blick? Welche Zuschreibungen verwenden wir? Was davon sind
„postkoloniale Reflexe“? Was heißt „auf Augenhöhe“?
4. Braucht der Birkacher Konsens, der als Leitplanken und Orientierungshilfe die Arbeit der Eine
Welt Bildung begleitet, unter den behandelten Gesichtspunkten evtl. Ergänzungen und
Änderungen?
Auch Eva-Maria Hartmann und Sigrid Schell-Straub begrüßen die Anwesenden.
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Zum Kennenlernen wendet Eva-Maria Hartmann eine Variante des Weltspiels an Die
Teilnehmenden sollen sich entsprechend der Herkunft eines Produkts aus ihrem Frühstück auf der
Karte verteilen. Später gruppieren wir uns zu den Bildungsbereichen:
Vor / Grundschule
Außerschulische Bildung
Hochschule / Fort- / Weiterbildung
Sekundarstufe I / II
Sonstige
Dann überlegen wir, was wir „mit uns rumschleppen“.
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„Kolonialismus im Gepäck“
Prof. Bernd Overwien, Kafalo Sékongo
Zur Einleitung wird auf einen aktuellen Artikel der Welt am Sonntag verwiesen Dieser fragt unter
dem Titel „Warum in uns allen ein Rassist steckt“ danach, welche Stereotypen wir mitbringen.
Kafalo Sékongo vom EPiZ Reutlingen, Fachpromotor für Globales Lernen und internationale
Bildungspartnerschaften und Prof. Dr. Bernd Overwien von der Universität Kassel wurden im
Vorfeld gebeten, sich mit dem Thema „Kolonialismus im Gepäck“ auseinanderzusetzen und ihre
wichtigsten Erkenntnisse in prägnanten Thesen zu präsentieren. Diese werden in einem Dialog von
beiden behandelt, der sich später auch dem Publikum für kritische Fragen und Beiträge öffnet und
in der Methode „Fishbowl“ zu einer Auseinandersetzung führen soll.
Bernd Overwien
These 1:
Globales Lernen thematisiert zu wenig seine Wurzeln aus der entwicklungspolitischen Bildung,
die erhebliches Ungleichheitsgepäck in sich trägt – Stichwort Modernisierungstheorie.
Kommentar zu These 1:
Seit Anfang der neunziger Jahre führt der Begriff des Globalen Lernens gedankliche Linien der
Dritte-Welt-Pädagogik, der entwicklungspolitischen Bildung, der Friedenspädagogik, der
Menschenrechtsbildung, interkultureller Pädagogik, Ökopädagogik und des ökumenischen Lernens
zusammen. Globales Lernen thematisiert Probleme und Perspektiven im weltweiten
Zusammenhang. Innerhalb unterschiedlicher Ansätze stehen Chancen gemeinsamer
Handlungsperspektiven von Süd und Nord im Vordergrund oder, in der traditionellen
Begrifflichkeit, von „Entwicklungs-“ und Industrieländern. Dabei geht es explizit auch um weltweite
Gerechtigkeitsfragen. Insbesondere aus der Sicht des BMZ wird nach wie vor der Begriff der
entwicklungspolitischen Bildung verwendet. Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass
der Entwicklungsbegriff Botschaften enthält, die mit einem Entwicklungsgefälle, mit einem Bild
von notwendiger Entwicklung nach „unserem“ Maß zu tun hat. Wie allseits bekannt gibt es ja eine
sehr lange und differenziert-kritische Diskussion dazu. Nun wissen wir alle, dass eine Entwicklung
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nach dem Maß der Industrieländer weder wünschenswert noch überhaupt möglich ist, da die
natürlichen Ressourcen das nicht hergeben. Nord und Süd gemeinsam müssen also – etwas
idealistisch ausgerückt - sich Gedanken über die gemeinsame Zukunft auf dem begrenzten
Planeten machen. Das Konzept nachhaltiger Entwicklung (auch hier der Begriff der Entwicklung,
allerdings eingegrenzter definiert) und die Sustainable Development Goals zeigen Wege in die
Richtung, die allerdings konsequenter weiter verfolgt werden muss, als dies im UN-Kontext
erwartbar ist (in diesem Kontext interessant zu lesen: Barbara Muraca: Gut leben. Eine Gesellschaft
jenseits des Wachstums. Berlin 2014, keine 100 Seiten trotzdem inhaltsreich).
These 2:
Globales Lernen bewegt sich oft theorielos durch die Landschaft. Würden etwa Konzepte wie die
von Pike/Selby (nach Overwien/Rathenow 2009) einbezogen und Inhalte daran orientiert,
könnte die zeitliche Dimension nicht „vergessen“ werden.
Kommentar zu These 2:
Globales Lernen ist ein Begriff, der sowohl als Alltagsbegriff vorkommt, als auch wissenschaftlich
fundierte Konzepte bezeichnet. Das führt dazu, dass häufig theorielos von Globalem Lernen die
Rede ist und alles Mögliche damit bezeichnet wird, z.B. eine rein affirmative Vorbereitung auf
Globalisierung, nach dem Motto jemanden „Fit für die Globalisierung“ machen. Verschieden
akzentuierte Theorieansätze (siehe Liste unten) sehen das ganz anders. Hier geht es um einen
kritischen Blick auf weltweite Beziehungen, der – je nach Ansatz mehr oder weniger - auch die
geschichtliche Perspektive und damit die kolonialen Wurzeln der Weltbeziehungen mit einbezieht.
In allen Ansätzen geht es um weltweite Gerechtigkeitsfragen.
Auch postkoloniale Kritik befasst sich häufig nicht mit den Theorie geleiteten Ansätzen, sondern
greift oft eher zufällig einzelne Unterrichtseinheiten etc. in kritischer Absicht heraus, unabhängig
davon, ob hier bewusst der Begriff des Globalen Lernens verwendet wird oder nicht (Kritik an
dieser Kritik Overwien 2013).
Der „Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung“ der Kultusministerkonferenz
legt in seiner neuen Ausgabe (06/2015) fest, wie in fast allen Schulfächern (also auch Mathe oder
Kunst) globale Perspektiven bearbeitet werden sollen. Auch thematisiert er, wie Schulen und NRO
kooperieren können, auch in der Lehrer/innenbildung. Kritik aus postkolonialer Perspektive, die auf
die Entwurfsfassung gerichtet war, führte teils zu stärkerer Akzentuierung auch hinsichtlich
kolonialer Belastungen des Denkens.
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These 3:
Globales Lernen richtet sich zu wenig auf die Migrationsgesellschaft und trennt das thematisiert
globale Nord-Süd-Verhältnis vom Nord-Süd-Verhältnis innerhalb unserer hiesigen Gesellschaft.
Kommentar zu These 3:
Traditionell sind die Szenen der Aktivist/innen und auch die wissenschaftlichen Szenen des
Globalen Lernens und einer Migrationspädagogik bzw. des interkulturellen Lernens voneinander
getrennt, mit geringen Überschneidungen. Gerade angesichts der Fluchtkatastrophe auf dem
Mittelmeer zeigt sich überdeutlich, dass diese Trennung künstlich und falsch ist. Es geht um
Migration und Gestaltung der Migrationsgesellschaft, es geht aber auch um Fluchtursachen und
ihre Bekämpfung.
Kafalo Sékongo
''Neokolonialismus bezeichnet die Politik der Industrienationen gegenüber ehemaligen Kolonialund Entwicklungsländern mit dem Ziel, diese für eigene Zwecke zu nutzen und in wirtschaftlicher
und politischer Abhängigkeit zu halten.'' David Petry
Ich möchte vor allem mich bedanken, dass ich bei diesem Nord Süd Dialog zum Thema
Neokolonialismus meinen kleinen Beitrag leisten darf. Jedoch möchte ich am gleich Anfang meines
Statements ein Missverständnis aufräumen. Ich bin weder Experte noch Fachmann dieser
Thematik. Allerdings gebürtig aus der Elfenbeinküste, einer ''ehemaligen'' französischen Kolonie
und engagiert in der einen Welt Thematik, verstehe ich den Neokolonialismus als eine verlängerte
Form des Kolonialismus. David Petry nennt den Neokolonialismus als eine Fortsetzung des
Kolonialismus mit anderen Mitteln. Diese Mitteln können politisch, wirtschaftlich oder kulturell
sein. Ja, die grobe und direkte Form der Ausbeutung ausländischer Territorien durch europäische
Mächte wurde durch eine subtile, indirekte Form ersetzt. Dieser verschleierte Kolonialismus wird
Neokolonialismus genannt und ist genauso schädlich wie der Kolonialismus damals.
Dieser ferngesteuerte Kolonialismus bekannt als Neokolonialismus kennzeichnet hauptsächlich die
Beziehungen von Frankreich und Großbritannien zu deren ehemaligen Kolonien. Aber neben
diesen beiden Ländern kann man auch Deutschland und die USA nennen als Länder, die eine
neokoloniale Politik weiterhin betreiben. Jedoch fühlt sich Deutschland nicht wirklich
angesprochen, wenn neokoloniale Politik angeprangert wird. Das Land hätte eine geringe Zahl an
Kolonien gehabt und diese relativ schnell wieder verloren.
Zwar hat Deutschland seine Kolonien im Vergleich zu Frankreich oder Großbritannien nicht lange
regiert. Aber ein afrikanisches Sprichwort lautet: „Ein Mund, der schon mal von der Brust
getrunken hat, vergisst nie den Geschmack der Milch“. An dieser Stelle möchte ich zwei Bereiche
nennen, wo Deutschland den Dämonen des Neokolonialismus nicht widersteht.
Der wirtschaftliche Neokolonialismus
Der Neokolonialismus ist wie der Politikwissenschaftler und Philosoph Jacob Emmanuel Mabe aus
Kamerun schreibt ''die Politik der Industrienationen gegenüber ehemaligen Kolonial- und
Entwicklungsländern mit dem Ziel, diese für eigene Zwecke zu nutzen und in wirtschaftlicher und
politischer Abhängigkeit zu halten.''
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So gesehen betreibt Deutschland eine neokoloniale Wirtschaftspolitik durch die Verabschiedung
des Kaffeesteuergesetzes. Es wird eine hohe Kaffeesteuer erhoben, deren Ziel ist es das
Importieren von fertigen Kaffeewaren aus dem Globalen Süden zu verhindern oder zu erschweren.
Der Steuersatz liegt bei 2,19 Euro pro kg geröstetem Kaffee und bei 4,78 Euro pro kg löslichem
Kaffee. So wird die Industrialisierung und die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen und
Verbesserung der Lebensqualität in den Produktionsländern verhindert. In Deutschland dagegen
darf die ganze Wertschöpfungskette stattfinden, die Arbeitsplätze und hohe Lebensqualität
sichert.
In der Bildungsarbeit werden kreative Veranstaltungen angeboten mit dem Ziel die
Konsumgewohnheiten im Globalem Norden dermaßen zu verändern, dass sich die
Lebensbedingungen der Kaffeebauern im Globalen Süden verbessern. So wird in der Regel das
Einkaufen von fair-gehandeltem Kaffee als Alternative angeboten, wo die Kaffeebohnen direkt bei
einer Bauerngenossenschaft abgekauft werden, ohne Einsatz von Zwischenhändlern. Der Vorteil
hier ist es wird kontrolliert, dass keine Kinderarbeit stattfindet und die Bauern bekommen mehr
Geld für ihre Arbeit. Vom Prinzip her ist die Idee sehr gut. Aber bleibt die Bildungsarbeit bei dieser
ersten Stufe, legitimieren wir bewusst oder unbewusst das Kaffeesteuergesetz Deutschlands. Wir
unterstützen implizit die Reduktion der Länder des Globalen Südens auf die Rolle des
Rohstofflieferanten. Diesen Ländern wird die Kompetenz abgesprochen, den
Wertschöpfungsprozess auf eigenem Boden durchzuführen. Das ist ein neokoloniales Handeln.
These:
Das Kaffeesteuergesetz ist eine Ausbeutungsmaßnahme der Produktionsländer, die Deutschland
billige Rohstoffe und Arbeitsplätze für die eigene Industrie Produktionsländer sichert.
Der Neokolonialismus in der Sprache
Als einzelner Mensch kann man auch etwas mit Neokolonialismus zu tun haben. Dies geschieht im
Handeln oder in der Kommunikation. Hier werde ich mich mit Neokolonialismus in der Sprache
befassen. Unser tägliche Gebrauch mancher Wörter oder Redewendungen kann auf die koloniale
Geschichte zurückgehen. Unsere Wortwahl ist der Ausdruck einer gewissen Machtposition.
Dadurch vermittle ich anderen Menschen ein bestimmtes Bild, das meinen Klischees entspricht.
An dieser Stelle möchte ich an eine surreale Debatte erinnern, die vor drei Jahren in der Rubrik
Leserbrief der Tübinger Zeitung Schwäbisches Tagblatt stattfand, die sogenannte MohrenkopfDebatte. Es entwickelte sich zwei gegensätzlichen Thesen über die Weiterverwendung des Wortes
Mohrenkopf.
Die Vertreter/innen der einen These, meist Deutsche, fanden die Bezeichnung Mohrenkopf neutral
und deshalb durfte das Wort genauso wie die Wörter Berliner oder Hamburger weiter verwendet
werden. Sie argumentieren, das Wort Mohrenkopf würde man ohne Hintergedanken verwenden.
Afrikaner/innen sollten eher nicht so empfindlich reagieren.
Die Gegner des Wortes begründeten, dass das Wort Mohr rassistisch konnotiert sei. Es würde auf
der einen Seite Afrikaner/innen als minderwertige Objekte bezeichnen und auf der anderen Seite
signalisiert das Wort Mohr alle Stereotypen, die Europäer im Mittelalter über Menschen dunkler
Hautfarbe hatten.
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Ich bin auch der Meinung, dass das Wort Mohrenkopf mit Stereotypen negativ beladen ist. Die
Symbolik in der Bezeichnung eines Gebäcks mit Mohrenkopf passt gut zum heutigen Thema des
Neokolonialismus. Es symbolisiert die Machtbeziehung zwischen Industrieländern und Länder des
Globalen Südens. Die Länder des Globalen Südens - hier symbolisiert durch den Mohrenkopf stehen den Industrieländern zur Verfügung. Diese können, um ihre Existenz zu sichern den
Globalen Süden greifen und mit Haut und Haar auffressen wie einen Mohrenkopf.
Viele andere Redewendungen drücken die Infantilisierung afrikanischer Länder aus: Man hört z.B.
oft: Junge Demokratien, junge Gesellschaften, Entwicklungsländer etc.
Der Neokolonialismus ist aktuell und hat unterschiedliche Erscheinungsformen. Aber egal welche
Form er hat, dient er bloß den Interessen der Industrieländer und dabei sind die Länder des GS die
Verlierer. Allerdings sind viele Eliten des Globalen Südens auch Anhänger des Neokolonialismus
und tragen dazu bei, dass die eigenen Länder immer vom Globalen Norden abhängig bleibt.
Neokolonialismus
Neokolonialismus bezeichnet die Politik der Industrienationen gegenüber ehemaligen Kolonialund Entwicklungsländern mit dem Ziel, diese für eigene Zwecke zu nutzen und in wirtschaftlicher
und politischer Abhängigkeit zu halten. Der Begriff verbreitete sich nach dem Zweiten Weltkrieg.
Hintergrund waren die Unabhängigkeitsbestrebungen zahlreicher Kolonien – und hier vor allem
vieler afrikanischer Länder. Der in Kamerun geborene Politikwissenschaftler und Philosoph Jacob
Emmanuel Mabe beschreibt es so:
„Der Neokolonialismus äußerte sich besonders in der Politik Großbritanniens und Frankreichs.
Beide Staaten entließen ihre ehemaligen Kolonien ab den 1960er Jahren zwar formal in die
politische Unabhängigkeit, behielten dennoch ihre Ideologie einer kulturellen Assimilation oder
Bindung bei und beuteten die Länder auch weiterhin systematisch aus.“
Neokolonialismus ist sozusagen die Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln. Diese
Mittel können wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Art sein.
Zum politischen Neokolonialismus gehört beispielsweise die Unterstützung oder Installation von
Diktaturen und Unrechtsregimen. Geschehen insbesondere in Afrika und Lateinamerika. Ein
Beispiel ist die jahrzehntelange politische Einflussnahme Frankreichs auf den afrikanischen Staat
Gabun. So sahen Kritiker/innen im ehemaligen Präsidenten von Gabun, Omar Bongo Ondimba, der
im Juni 2009 nach 41 Jahren Amtszeit verstorben war, eine Marionette der ehemaligen
Kolonialmacht.
Auch den USA wurde politischer Neokolonialismus vorgeworfen. Hier deutet sich seit dem
Präsidentenwechsel ein neuer Kurs an: Präsident Obama hat bei seinem Besuch in Ghana indirekt
angekündigt, dass die Vereinigten Staaten fortan keine Unrechtsregime mehr unterstützen werden.
Neben dem politischen gibt es auch das Phänomen eines kulturellen Neokolonialismus: Westliche
Werte werden unter Zurückdrängung der heimischen Kultur importiert. Allerdings werden für die
kulturelle Dominanz des Westens auch die lokalen Eliten in den ehemaligen Kolonien
verantwortlich gemacht. Der bereits zitierte Politikwissenschaftler Mabe schreibt dazu:
„Die wissenschaftlichen und politischen Eliten Afrikas sind vorrangig selbst für die kulturelle
Abhängigkeit ihrer Länder verantwortlich, zumal sie nicht nur alle kulturellen Modelle der
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Industriestaaten schamlos kopieren, sondern sich ständig von europäisch-westlichen Ideen und
Theorien inspirieren oder beeinflussen lassen.“
Die dritte, stark an Bedeutung gewinnende Form ist der wirtschaftliche Neokolonialismus. Bei
diesem geht es darum, die Ressourcen sowie die Finanz- und Warenmärkte ärmerer Länder direkt
oder indirekt zu kontrollieren. In der Kritik stehen vor allem Institutionen wie der Internationale
Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation WTO. Der Vorwurf lautet: Durch
Schuldenerlasse oder die gezielte Vergabe beziehungsweise Nicht-Vergabe von Krediten würden
sie Drittweltländer gefügig machen. Diese handelten dann im Interesse der Industrienationen und
nicht im Sinne der eigenen Bevölkerung.
In jüngster Zeit haben Kritiker verstärkt vor einer neuen Form von wirtschaftlichem
Neokolonialismus gewarnt. So etwa Jacques Diouf, Chef der UN-Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation FAO. Sein Vorwurf: Reiche Staaten sichern sich verstärkt fruchtbares
Ackerland in armen Ländern, um so die Versorgung mit Nahrungsmitteln im eigenen Land
sicherzustellen. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Nahrungsmittelkrise sowie die starken
Preisschwankungen bei Agrarerzeugnissen. Anders gesagt: „Die Erde wird knapp“ – wie es die
Süddeutsche Zeitung einmal treffend formulierte. Dadurch verschärft sich der weltweite
Wettbewerb um landwirtschaftlich nutzbare Flächen – vor allem in Afrika. Denn allein dort stehen
nach Angaben einer UNO-Wirtschaftskommission 733 Millionen Hektar Ackerland zur Verfügung.
Das Erstaunliche: Viele Entwicklungsländer verschenken diese Agrarflächen quasi an ausländische
Firmen. Sie erhoffen sich im Gegenzug einen Entwicklungsschub: etwa durch neue Technologien
oder durch Investitionen in Schulen, Krankenhäuser und Straßen. In manchen Fällen ist diese
Hoffnung nicht unbegründet. Meist sind die Folgen für die lokale Bevölkerung jedoch dramatisch:
Während ausländische Firmen die Ernteerträge in ihre Heimatländer exportieren, leiden die
Menschen in den Anbaugebieten unter Hunger. Hinzu kommen zum Teil massive
Umweltzerstörungen und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen.
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist die Insel Madagaskar, über die wir im Laufe dieser Sendung
noch ausführlich berichten werden. Dort versuchte die koreanische Firma Daewoo Logistics Ende
2008 die Rechte an 1,3 Millionen Hektar Land zu erwerben – was rund der Hälfte der fruchtbaren
Fläche des Landes entspricht. Dadurch sollten rund 50 Prozent des südkoreanischen Maisbedarfs
gedeckt werden.
Das Beispiel Daewoo und Madagaskar ist überaus bemerkenswert: Denn Südkorea ist selbst eine
ehemalige Kolonie – und war lange Zeit Entwicklungsland. Nach der Unabhängigkeit von Japan
blieb Südkorea bis in die 1960er Jahre eines der ärmsten Ländern der Welt.
Neokolonialismus wurde aber nicht nur Staaten oder Konzernen wie Daewoo unterstellt. Auch
Umweltschutzorganisationen wurden kritisiert. In einigen Fällen würden diese – zusammen mit der
Weltbank – die Regierungen von Drittweltländer indirekt dazu zwingen, Naturschutzgebiete einzurichten – etwa gegen Fördergelder oder Schuldenerlasse. Die lokale Bevölkerung verliere so
unter Umständen ihre Lebensgrundlage, da in den Schutzgebieten weder gejagt noch Ackerbau
betrieben werden darf. Hiervon sind vor allem indigene Völker betroffen. Auf derartige Vorfälle
weist die amerikanische Anthropologin Janice Harper auf Beispiele aus Madagaskar hin.
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Wesentlicher Unterschied zwischen dem Neokolonialismus des 20. und 21. Jahrhunderts und dem
klassischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts: Nicht mehr nur klassische Kolonialmächte,
sondern auch Länder wie Saudi-Arabien oder reiche Golfstaaten werden neokolonialistisch aktiv.
Beispielsweise haben sich die Vereinigten Arabischen Emirate große Flächen Ackerland in Pakistan
gesichert. China unternimmt seit geraumer Zeit ähnliche Versuche, etwa in Afrika oder asiatischen
Ländern wie Birma.
Es bleibt also fraglich ob der ideologisch stark aufgeladene Begriff „Neokolonialismus“ überhaupt
geeignet ist, die aktuellen Entwicklungen angemessen zu beschreiben. Zumal viele ehemalige
Kolonialmächte außenpolitisch verstärkt auf einen Dialog mit den ärmeren Staaten setzen. Und
anders als im 19. Jahrhundert basiert der Neokolonialismus weit weniger auf der Idee der
Überlegenheit einer Rasse über die andere. Im Vordergrund steht nun vor allem wirtschaftliche
Ausbeutung.
Dialog
Zunächst wird den Referenten nun Raum gegeben, direkt aufeinander einzugehen.
Bernd auf Kafalo:
Bernd macht darauf aufmerksam, dass häufig Interessenspolitik in ärmeren Ländern betrieben
würde. Als Beispiel nennt er Äthiopien, in das 500 Mio. € für Bildung geflossen seien, diese würden
genutzt werden als Instrument, um die Bevölkerung als „Feinde unserer Feinde“ zu „erziehen“.
Kafalo auf Bernd:
Kafalo meint, der Begriff der „Augenhöhe“ solle nicht nur im kolonialen Kontext angewendet
werden, sondern auch materiell. Man müsse die Welle des Wohlstand thematisieren Während
arme Länder ausgebeutet werden, spricht man von den „Geberländern“, die „Entwicklungshilfe“
leisteten. Eigentlich müsste man die Rohstoff-Länder als „Geberländer“ bezeichnen und diese
könnten auch eine Form von Intelligenz entwickeln, andere auszunutzen.
Methode Fishbowl
Sigrid Schell-Straub lädt nun das gesamte Publikum zur Teilnahme am Fishbowl-Format ein. Dabei
werden zwei Stuhlkreise ineinander gebildet. Im Inneren sitzen ein Moderator, die Referenten
sowie auf einem weiteren leeren Stuhl wechselnd aus dem Publikum Beitragende mit Fragen und
Redebeiträgen. Der Rest des Publikums sitzt im äußeren Stuhlkreis.
In dem Format wurden unter anderem folgende Aspekte diskutiert. Jemand war enttäuscht und
hatte sich weitaus mehr theoretischen Input erwartet, es sei nur wenig Neues dabei gewesen. Es
wurde auch aufgerufen, mit der Sprache sensibler umzugehen, so sei es zum Beispiel als
postkoloniale Opferstilisierung auffassbar, wenn man ständig von „Ausbeutung“ spreche. Kafalo
gibt in diesem Zusammenhang auch das anschauliche Bild „Korruption ist wie Tango, da tanzt man
zu zweit.“ Bernd beobachtet, dass viele sagen, „Wir dürfen nicht kritisieren, dass Diktatoren an die
Macht kommen, wenn wir die Verhältnisse mit erzeugt haben“. Kafalo stimmt Bernd zu, dass man
da kritisieren dürfe, nur mit europäischen Augen „komme es schlecht“.
Postkoloniale Interventionen wurden als Methode postkolonialer Kritik genannt. Sie seien sinnvoll
zum Perspektiven wechseln und auch theoretisch fundiert. Es sei vor allem wichtig, Interessen zu
problematisieren. Bernd wiederholt, dass sich die Kritiker nicht mit dem Globalen Lernen in der
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heutigen Form auseinandergesetzt hätten, sondern dem „alten Orientrahmen“. Erstmals heute
gebe es auch im akademischen Rahmen im Globalen Lernen Menschen mit Migrationsgeschichte.
Tshamala Schweitzer stellt die Frage in den Raum, ob Neokolonialismus als Waffe gegen den Terror
genutzt werde und meint, das Globale Lernen profitiere vom Neokolonialismus und die
Entwicklungspolitik profitiere vom Leiden des Südens. Kafalo bestätigt das und macht auf
Problematik aufmerksam, dass viele NGOs für ihre eigene Existenz kämpften und somit auch
wollten, dass de Armut weiterexistiere. Dies könne natürlich nur ein „Selbstverständnis auf Zeit“
sein, denn wenn die Armut weg wäre, könnte man auch aufhören. Solange man nur die Symptome
bekämpfe, sei es, „als ob man einem Diarrhoe-Patienten Klopapier anbiete.“ Das Problem seien die
Verhältnisse. Als Beispiel werden Bauern genannt, mit ihren Kindern „als Lebensversicherung“.
Schickten die diese auf die Schule, dann gehe die Landwirtschaft kaputt, doch eigentlich sollte
diese modernisiert werden. Bernd verweist nochmal auf das Beispiel Äthiopien, das zeige, dass
Entwicklungspolitik oft Interessenspolitik sei. Im Bezug auf Klimawandel und Ressourcen müsse
man gemeinsam Lösungen finden.
Im Globalen Lernen habe man sich noch wenig mit dem Umgang mit Menschenrechten bei der
fehlgeleiteten Flüchtlingspolitik auseinandergesetzt. Man müsse den Fokus „hier vor der Haustür“
setzen und gemeinsam arbeiten. Fluchtursachen würden auch zu wenig thematisiert. Als
Schlagwörter fallen Fisch, Hühnerteile und Baumwolle. So habe man beispielsweise in
Mauretanien ein Flüchtlingslager in einer stillgelegten Fischfabrik eingerichtet. Außerdem müsste
man sich mit PEGIDA, usw. auseinandersetzen.
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Literatur:
Kurze Handbuchartikel
http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/186617/handbuch-politische-bildung):
Asbrand, Barbara; Scheunpflug, Annette (2014): Globales Lernen. In: Sander, Wolfgang (Hrsg.):
Handbuch politische Bildung. Schwalbach/Ts., 401-412
Overwien, Bernd (2014): Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. In Sander,
Wolfgang: Handbuch politische Bildung, Schwalbach, S. 375-382
Weitere Literatur:
Danielzik, Chandra-Milena (2013): Postkoloniale Perspektiven auf Globales Lernen und Bildung für
nachhaltige Entwicklung. In: ZEP, Heft 1, S. 26-33, siehe:
http://www.waxmann.com/index.php?
id=zeitschriftendetails&no_cache=1&eID=download&id_artikel=ART101266&uid=frei
(10.08.2015)
KMK/BMZ (2007/2015): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im
Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bonn (Neuauflage 2015, siehe:
http://www.globaleslernen.de/sites/default/files/files/linkelements/or_abschlussentwurf_din_a_4_final_21.07.15.pdf (10.08.2015 - Druckfassung i.V.)
Overwien, Bernd (2013): Falsche Polarisierung. Die Critical Whiteness-Kritik am Globalen Lernen
wird ihrem Gegenstand nicht gerecht. In: Blätter des IZ3W, Freiburg 8/2013, S. 38-41, siehe:
http://www.globaleslernen.de/sites/default/files/files/link-elements/iz3woverwien_globales_lernen_neu_kurzbeo-24-07-2013end.pdf (10.08.2015)
Overwien, Bernd; Rathenow, Hans-Fred (Hrsg.) (2009): Globalisierung fordert politische Bildung.
Opladen
Seitz, Klaus (2002): Bildung in der Weltgesellschaft. Gesellschaftstheoretische Grundlagen
Globalen Lernens. Frankfurt a.M.
Selby, David; Rathenow, Hanns-Fred (2003): Globales Lernen : Praxishandbuch für die
Sekundarstufe I und II. Berlin
Wintersteiner, Werner; Grobbauer, Heidi; Diendorfer, Gertraud; Reitmair-Juarez, Susanne (2014):
Global Citizenship Education. Politische Bildung für die Weltgesellschaft. Wien:
Österreichische UNESCO-Kommission, siehe:
http://www.uni-klu.ac.at/frieden/downloads/Unesco-Broschure%281%29.pdf (31.7.2015)
19
Postcolonial Energizer
Gundula Büker
20
„Kritische Perspektiven auf Globales Lernen“
Eva-Maria Hartmann, Sigrid Schell-Straub
Unter der Beschreibung „Eine interaktive Auseinandersetzung auf der Basis eigener Erfahrungen,
Bilder und Texte“ im Programm verbarg sich eine interessanter Methodenmix. Ausgangspunkt und
gemeinsame Basis war die Rede „The danger of a single story“ der Autorin Chimamanda Adichie,
die wir in Form eines deutsch untertitelten englischsprachigen Youtube-Videos hören und sehen
konnten. Ein Transkript der Rede finden Sie im Anhang.
Daraufhin teilten wir uns in Gruppen auf, um uns den folgenden Aspekten zu widmen:
•
Geschichten erzählen von Macht
•
Geschichten schaffen Differenzen
•
Geschichten transportieren Geschichte
•
Geschichten sind wichtig
•
Geschichten konstruieren (positive und negative) Realität
•
Geschichten formen Klischees
Jede Gruppe bekam an einem Arbeitstisch ein zentrales Zitat, eine Leitfrage sowie weitere
Arbeitsmaterialien wie Textausschnitte, Fotos, Karikaturen, usw. und sollte nach einer Arbeitsphase
Flipcharts mit ihren erarbeiteten Schwerpunkten dazu beschreiben. In einer weiteren Runde
wurden die Gruppen so zusammengebracht, dass von jeder Arbeitsgruppe eine Person in der
neuen Gruppe war. Somit konnten reihum die Flipchart-Plakate von einem Vertreter der jeweiligen
Arbeitsgruppe erklärt werden. (Methode Gruppenpuzzle)
Im Folgenden finden Sie die Themen der Gruppen und die Plakate der Gruppenarbeit.
21
22
Geschichten erzählen von Macht
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Geschichten schaffen Differenzen
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Geschichten transportieren Geschichte
25
Geschichten sind wichtig
26
Geschichten konstruieren (positive und negative) Realität
27
Geschichten formen Klischees
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Workshop 1: Decolonize it!
Referent/innen
Anja Nitschke und Dominic Kropp
In dem Workshops wurde zu Beginn kurz das Projekt
„Decolonize It!“ der Hochschule Esslingen vorgestellt. In
diesem Projekt geht es darum, Studierende der Sozialen
Arbeit für die Themen (Post-)Kolonialismus, Rassismus und
für eine kritische Auseinandersetzung mit
Entwicklung(zusammenarbeit) zu sensibilisieren. Die
Studierenden des zweisemestrigen Schwerpunkts
"Internationale Dimensionen Sozialer Arbeit im Kontext
entwicklungspolitischer Herausforderungen" sollen die von
Dominic Kropp und Anja Nitschke (freie Trainer/innen der
Bildungsarbeit) in einer Multiplikator/innenschulung
vermittelten Themen in die praktische Umsetzung eines
Projektes integrieren. Nach dieser kurzen Vorstellung des
Projektes lag das Hauptaugenmerk des Workshops darin anhand einer Methode der Schulung mit
den Teilnehmer/innen selbst über die Rassismus und (Post-)Kolonialismus, insbesondere bezogen
auf die eigene Praxis, zu reflektieren. Dazu wurde das Gedicht "The Brainage" des Spoken-WordKünstlers Philipp Khabo Köpsell besprochen und nach folgenden Schwerpunkten analysiert und
diskutiert:
* Wissen schafft …. Grenzen, …. Definition, … Mensch und Nation.
* Wissen schafft Wissen, wie das Wissen beginnt, Wissen schafft
Wissen, wer das Wissen bestimmt
* Wissen bestimmt, wann der erste Weiße Mensch klassifiziert und
rassifiziert hat (Niemand weiß mehr über den weiß-blauen Fisch
als der Fischer der sie fängt.)
* Wissen schafft … Wahrheit, … Standards und Konsens
* Wissen schafft … Widerstand, … Terroristen und Waffen
* es geht darum altes zu verlernen und aufzubrechen aber es wird
mehr kosten als wir bereit sind zu opfern
Im Anschluss haben wir nochmals die Rückschlüsse aus dem Gedicht exemplarisch für unser
Projekt „Decolonizie It!“ vorgestellt. So geht es darum bei den Studierenden neues und anderes
Wissen zu verankern, also Theorien, Vorstellungen des Globalen Südens in die Lehre zu integrieren,
den eurozentrischen Diskus der Hochschulen in Frage zu stellen und neue Wege aufzuzeigen sich
machtkritisch im Feld der Wissensproduktion zu verorten. Selbstreflexion, Erarbeitung einer
inneren Haltung und Umgang mit eigenen Widerständen zu den Themen (Post-)Kolonialismus und
Rassismus sind elementarer Bestandteil des Projektes.
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Workshop 2: Neue Entwicklungen
der lateinamerikanischen
Befreiungspädagogik
ReferentInnen
Marcia Palme und Ralf Häussler
Postkolonialismus im Lateinamerikanischen Kontext
Einen Zugangspunkt für die lateinamerikanischen
Debatten zum Postkolonialismus ist die „Pädagogik
der Unterdrückten“ von Paulo Freire. Freire spricht
vom Unterdrücker, der in Geist und Seele des
Unterdrückten eingewandert ist und durch einen
pädagogischen und praxisorientierten Prozess aus
dem Unterdrückten ausgetrieben werden muss.
Die kolonialen und rassistischen Denkstrukturen, die durch die Eroberung des
lateinamerikanischen Kontinents ab 1492 in Lateinamerika implementiert wurden sind durch die
Befreiungs-Pädagogik von Freire und die seit den 60iger Jahren entstandene „Theologie der
Befreiung“ kritisiert worden. Daraus entstanden ein neuer gesellschaftlicher Diskurs und eine neue
Praxis in Kirche und Gesellschaft.
Aktuell zeigt sich dies in den Debatten um die neuen Gesellschaftsmodelle, die in Venezuela,
Bolivien, Ecuador u.a. entwickelt wurden. In ihnen werden die Rechte der Marginalisierten und
Indigenen Bevölkerungen aufgewertet, ein neues Verständnis von Natur markiert und neue
Entwicklungsmodelle, die sich z.B. am „Buen vivir“, dem „Guten Leben“, orientieren, theoretisch
erarbeitet und praktisch umgesetzt – mit allen
Widersprüchlichkeiten die sich z.B. an der Bedeutung des
Extraktivismus für die lateinamerikanischen Gesellschaften
entzünden.
Kirchen und Soziale Bewegungen befinden sich in Konflikten
um sogenannte Mega-Projekte, Land- und Territorialrechte,
Lebensräume von Kleinbauern und Indigenen, die eine
neue Form des Kampfes gegen den Kolonialismus
markieren.
In der Bildungs- und Solidaritätsarbeit im schulischen und
außerschulischen Bereich entstehen neue Formate wie die
sogenannte Lobby- und Advocacy-Arbeit, die an die Stelle
der früheren Solidaritätsarbeit tritt und nach der
politischen Artikulation von Bildungs-Erkenntnissen ebenso
fragt, wie nach einer veränderten Form des Handelns, im
privaten Einkauf ebenso wie in der Wirtschafts- und
Handelspolitik der Industrienationen mit den Ländern des
Globale Südens.
Marcia Palma, Theologin im Dienst für Mission, Ökumene
und Entwicklung / DIMOE und Ralf Häußler, ZEB
30
Workshop 3: Ausstellung Weiß-Schwarz
des Entwicklungspolitischen Netzwerks
Sachsen
(Sekundarstufen I und II und außerschulische Bildung)
Referentin: Gundula Büker
Im Mittelpunkt dieses Workshops stand die Ausstellung „WeißSchwarz“ des Entwicklungspolitischen Netzwerks Sachsen e.V.
(ens) sowie die dazu vom Netzwerk entwickelten didaktischen
Materialien. Ziel des Workshops war eine kritische Betrachtung
der Ausstellung, eine Vorstellung der entwickelten Materialien
und Methoden und anderer Bildersets zum Globalen Lernen
sowie die Reflexion für die eigene pädagogische Praxis.
Die Ausstellung zeigt Bilder, die irritieren und die Betrachtenden
ihre eigenen Bilder im Kopf und Stereotype in Frage stellen lassen sollen. Inwieweit der Ausstellung
dies gelingt und mit welchen Mitteln dies geschieht, wurde nach einer einführenden Übung und
einem Gang durch die Ausstellung kritisch diskutiert. Weitere Methoden, mit den Bildern und
angesprochenen Themen der Ausstellung zu arbeiten, wurden durchgeführt und reflektiert. Dabei
wurde ein besonderes Augenmerk auf solche Methoden gelegt, die unser koloniales Erbe in
Hinblick auf Rassismus und Sterotype thematisieren. Zum Abschluss wurden weitere Bildersets
vorgestellt, die sich im Rahmen des Globalen Lernens eignen, um koloniale Bezüge mit Lernenden
der Sekundarstufe I und II sowie der Erwachsenenbildung in den Blick zu rücken.
Weitere Informationen hier:
http://www.einewelt-sachsen.de/publikationen/ausstellung-weis-schwarz
Eine Materialmappe ist unter folgendem Link zu finden:
http://www.einewelt-sachsen.de/wp-content/uploads/2014/02/sw_bildungsmappe.pdf
31
Workshop 4: Zuflucht gesucht“ – Kurzfilme für
eine Kultur der Gleichwertigkeit
Der Einsatz von Film- und Arbeitsmaterialmaterial zum Thema
„Flucht – Flüchtlingsschicksale- Ankommen in Europa“ in der Grundschule
Referentin: Ursula Becky
Bei dem Workshop sollte zum einen der englische beim SWR erschienene Kurzfilm „Zuflucht“
gezeigt, zum anderen das speziell für diesen Film im Auftrag des SWR erstellte Arbeitsmaterial für
den Einsatz in Grundschulen vorgestellt werden.
Der Workshop gab Raum für den – kontrovers geführten – Dialog, ab welchem Alter es sinnvoll
erscheint, derartiges Material einzusetzen, und wenn ja, mit welchem didaktischen Auftrag.
Die 5 (authentischen!) Einzelschicksale, die der Film in Zeichentrickformat aus kindlicher und sehr
bewegender Perspektive nachzeichnet, sprechen durchweg die Gefühlsebene der Zuschauer an.
Die hierzu entwickelten Arbeitsblätter führen – ebenfalls mit emotionalen Methoden – an
interkulturelle Themen wie Heimatgefühle, Fremdheitsmanagement und Zugehörigkeit heran.
Sowohl Film als auch das dazu bei SWR (www.planet-schule.de) erschienene Material regen zu
einem Perspektivwechsel und zu einer kulturellen Eigensensibilisierung an – beides Grundvoraussetzungen für die Entwicklung von interkultureller Kompetenz.
Im Workshop wurden zwei der Kurzfilme gezeigt, Arbeitsblätter vorgestellt und auch teilweise
selbst durchgearbeitet. Dabei wurde deutlich, dass die Wichtigkeit des Themas „interkulturelles
Lernen“ in der Grundschule nahezu einhellig befürwortet wird, die Auswahl des hierfür
eingesetzten Materials jedoch in hohem Maße von der Biografie der teilnehmenden Kinder
abhängt.
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Abschlussrunde
Robert Feil beschließt am Mittag des zweiten Tages die Tagung mit Informationen und Reflexionen,
die die Arbeit des Landesarbeitskreises Bildung für Eine Welt Baden-Württemberg betreffen.
1. Muss der Birkacher Konsens adaptiert werden?
Hinsichtlich der gewonnenen Erkenntnisse bzgl. des „Kolonialismus im Gepäck“ sieht er folgende
Baustellen:
– Bei zwei sehr allgemeinen Formulierungen müsste stärker differenziert werden
– „Neue Lernkultur“ sei eine Worthülse, man solle lieber die dahinter steckenden Prinzipien
konkreter nennen
– Interessen aller Akteure
– Bezug Globales Lernen für die Leitperspektiven herausstreichen
– Beitrag für die Fortbildung von Multiplikatoren und Lehrenden hinzufügen
2. Global Teacher
Die LpB bietet eine Fortbildung zum „Global Teacher“ in zwei Modulen. Informationen hierzu gibt
es bei Robert Feil. Dabei sollen sich vor allem außerschulische Lernorte vorstellen. Das Programm
wird ohne eine Internetplattform gemacht werden.
3. Bildungsplan
Der DEAB wurde gebeten, Stellung zu nehmen. Sigrid Schell-Straub koordiniert und wird ein Raster
erarbeiten. Wer daran mitarbeiten möchte, solle sich in eine Liste eintragen.
4. Umzug der Webseite
Das Plenum stimmt einem Umzug der Webseite zu.
5. Kongress in Reutlingen
findet am 6.10. statt
6. Verweis auf DEAB Jubiläumsbroschüre
7. Dank an alle Beteiligten
8. Das Feedback „Was nehme ich mit? Für mich, den LAK und für mein pädagogisches Handeln?
finden Sie auf den nächsten Seiten.
33
Feedback LAK Tagung 2015
Was nehme ich mit?
Für mich
– Es gibt noch so viel zu lernen und begreifen
– Impulse, Nachdenklichkeit, Bedürfnis, das Themenfeld zu strukturieren
– Schön, dass ich dabei sein konnte und auch viel Kontakt mit jungen Menschen hatte
– mehr konkrete Infos zum Thema Kolonialismus/Neokolonialismus hätte ich mir gewünscht
– innerliche Berührung, Unruhe, Widersprüche
– Austausch mit Praktiker*innen, die aus einer eher anderen Richtung kommen (v.a.
Ideologisch)
– Ich nehme die Frage mit, warum es oft so schwer ist, andere (z.B.postkoloniale)
Perspektiven zu akzeptieren? Warum können Bilder*innen sich nicht für neue Perpektiven
öffnen?
– Wichtiger / notwendiger Austausch
– Bestätigung / Ermutigung für meine Arbeit
– Denkanstöße zum Thema Globales Lernen mitnehmen
– Den eigenen neokolonialen Umgang mit Menschen aus dem globalen Süden thematisieren
– Ich konnte durch den Erfahrungsaustausch viel lernen
– Die Gefahr der einzigen Geschichte → Spitze
– fühle mich bestätigt methodisch, „wir erzählen uns (gegenseitig) Geschichten“
– Hotspot zum Fachwissen kognitiver Hotspot
– Chimanamanda Adichie ist für mich eine Form der „Weiterentwicklung“ einer Gerüstes wie
von Paulo Freire, im afrikanischen (im s/w?) Kontext
– Update zur aktuellen Diskussion
– Gelassenheit
– Wiederaufweckung meines Interesses an postkolonialen Themen
– Der Input war – z.B. von Overwien oder Sékongo – zu wenig. Ich wollte VIEL mehr lernen
– Anregung hinsichtlich – interdisziplinärer und interkultureller / internationaler
Zusammenarbeit im Bildungskontext → wichtig und konstruktiv
– Bereitschaft und Offenheit zu kritischer Auseinandersetzung → kontinuierlich, wichtig
– Die Ressentiments auf den verschiedenen Seiten sind teilweise immer noch sehr stark,
sodass ein offener, konstruktiver Dialog oft nicht möglich ist
– Sensibler zu werden
– für Postkolonialismus im Globalen Lernen
– sicher aber auch nicht in einen Topf werfen zu lassen mit den Vertretern des
Helfersyndroms
– Anregung für persönliche Weiterbildung zum Thema Postkolonialismus in theoretischer
Hinsicht
Für den LAK
– noch mehr wissenschaftlich, tiefgreifender Input zu der Kolonialismus-Debatte wäre
hilfreich gewesen, um die Diskussion darauf aufbauen zu können. So könnte die Debatte
besser über einen Meinungsaustausch hinaus zu gehen
34
– Mir gefällt gut, dass der LAK seine kontroversen Meinungen aufrecht erhält und
wertschätzt
– Er bietet den Raum, alle Meinungen zu hören und diese stehen zu lassen
– Vielen Dank für Ihre Bemühungen und besonders ihr Engagement
– leider keine Zeit fürs Feedback – sollte anders werden
– über „Postkolonialismus“ weiß ich immer noch nichts, das Thema „Neokolonialismus“
wurde inhaltlich nicht angetippt → hat der LAK prinzipiell etwas gegen theoretische
Grundlagen bzw. deren Vermittlung? Wenn ja, finde ich das änderungswürdig.
– Methodik und alles andere – prima, weiter so
– bisschen genauer hingucken bei den ReferentInnen für Workshops
– Den Neokolonialismus weiter so zu thematisieren ist sehr gut
– Es war wichtig, dieses Thema aufzugreifen. Ich sehe (derzeit) keine
Möglichkeit/Notwendigkeit, das Thema seitens des LAK weiter zu verfolgen
– Intensivere Auseinandersetzung in der Schule wünschenswert. Input/Workshops
gleichermaßen
– Phoenix-Weiterbildungen für MultiplikatorInnen anbieten. → tiefgreifende Reflexion über
Verinnerlichung von Bildern. Es braucht Zeit und Raum. Verinnerlichungen bei jedem
Individuum stärker thematisieren
– Thema „Migrationsgesellschaft BRD“
– Statt Neo-Kolonialismus fände ich die Auseinandersetzung mit Neo-Liberalismus, der ALLE
kleinen Leute betrifft, wichtig
– Guter Ansatzpunkt für Weiterentwicklung des Birkacher Konsens
– Subber Sache :-)
– Themenfeld für mich und meine Zielgruppen stärker zu strukturieren und systematisieren
– Sprache des Kolonialismus/Neokolonialismus → Welche ist das? Wie gehe ich damit um?
Für mein pädagogisches Handeln
– Umgang mit Sprache/Bildern via Medien
– Themen/Methodenvielfalt gut
– Ende etwas schwach, da unsinnige Pause kurz vor dem Mittagessen und Ankündigungen
nicht immer relevant und stellen ein Ausschleifen dar.
– Neokolonialismus-Debatte integrieren
– Neues Material, persönliche Anregungen
– Es war toll, zu wissen, dass immer noch mehr gemacht wird in dieser Richtung
– Es ist zentral, immer mehrere Geschichten von einer Kultur, einer Person, etc. zu erzählen,
um nicht nur Klischees zu reproduzieren
– Politisierung
– Theoretischer Rahmen
– Akzeptanz von Initiative, Widerstand und Frustration
– (stärkerer) Mitbeinbezug postkolonialier Perspektiven in Projektkonzeption(sideen)
– Viele methodische Einfälle und Ideen – wie immer! Danke!
– Balance zwischen „sich positionieren“ und gleichzeitig offen sein für Neues → Offenheit
– Vernatwortung in der Bildungsarbeit bezüglich der Bilder und Sprache (verbal und
nonverbal)
– (Interdisziplinärer) Austausch kontinuierlich und konstruktiv → wichtig
35
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Nichts, da nicht mehr in der Schule tätig
Verdeutlichung der Wichtigkeit machtkritischer Perspektiven
mehr Vorsicht
Material noch einmal überarbeiten/anschauen
Darauf zu achten, nicht nur die „eine Geschichte“ zu erzählen und nicht mit dem „zweitens“
zu beginnen
Deutlich geworden, dass das Spektrum des Globalen Lernens noch weiter zu ziehen ist, im
Sinne des eigenen unterrichtlichen Handelns
Besserer Umgang mit Bildern in der Bildungsarbeit
Viel Inspiration und Unterrichtsmaterialien (Brainage Gedicht), Kurzfilme, u U-Material
Grundschulmaterialien können locker (in modifizierter Form) auch für die Mittelstufe
eingesetzt werden → Tolle Ideen, nicht zu „verkopft“
36
Anhang
The Danger of a Single Story
Chimamanda Adichie: Die Gefahr einer einzigen Geschichte
Translated by Katja Tongucer
Reviewed by Regina Saphier
http://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story/transcript?
language=de
00:11 Ich bin eine Geschichtenerzählerin. Und ich möchte Ihnen ein paar persönliche Geschichten erzählen, über das,
was ich "Die Gefahr der einzigen Geschichte" nenne. Ich bin auf einem Universitätsgelände im Osten Nigerias
aufgewachsen. Meine Mutter sagt, dass ich mit zwei Jahren zu lesen angefangen habe; ich denke allerdings, dass vier
wohl eher der Wahrheit entspricht. Ich fing also früh an zu lesen. Und was ich las, waren britische und amerikanische
Kinderbücher.
00:38 Ich fing auch früh an zu schreiben. Und als ich, mit ungefähr sieben Jahren, anfing zu schreiben, mit Bleistift
geschriebene Geschichten mit Buntstiftbildern, die meine arme Mutter gezwungen war zu lesen, schrieb ich genau die
Art von Geschichten, die ich las. All meine Charaktere waren weiß und blauäugig. Sie spielten im Schnee. Sie aßen
Äpfel. (Gelächter) Und sie sprachen viel über das Wetter, wie schön es war, dass die Sonne herauskam. (Gelächter)
Nun, und dabei lebte ich in Nigeria. Ich war niemals außerhalb Nigerias gewesen. Wir hatten keinen Schnee. Wir aßen
Mangos. Und wir sprachen niemals über das Wetter, weil das nicht nötig war.
01:25 Meine Charaktere dranken auch viel Ingwer-Limonade, weil die Menschen in den britischen Büchern, die ich las,
Ingwerlimonade tranken. Es spielte keine Rolle, dass ich nicht wusste, was Ingwer-Limonade ist. (Gelächter) Und noch
jahrelang hatte ich das tiefe Verlangen, Ingwer-Limonade zu probieren. Aber das ist eine andere Geschichte.
01:43 Ich denke, diese Geschichte zeigt, wie beeinflussbar und schutzlos wir angesichts einer Geschichte sind,
besonders als Kinder. Da alles, was ich gelesen hatte, Bücher waren, in denen die Personen Ausländer waren, war ich
überzeugt, dass Bücher, von Natur aus, Ausländer enthalten mussten. Und sie mussten von Dingen handeln, mit denen
ich mich nicht identifizieren konnte. Nun, dies änderte sich, als ich afrikanische Bücher entdeckte. Es gab nicht viele
davon. Und sie waren nicht so einfach zu finden wie ausländische Bücher.
02:14 Aber durch Autoren wie Chinua Achebe und Camara Laye, wandelte sich meine Wahrnehmung von Literatur. Ich
37
erkannte, dass Menschen wie ich, Mädchen mit schokoladenbrauner Haut, deren krause Haare sich zu keinem Pferdeschwanz binden ließen, auch in der Literatur existieren konnten. Ich begann über Dinge zu schreiben, die ich verstand.
02:35 Nun, ich liebte die amerikanischen und britischen Bücher, die ich las. Sie regten meine Fantasie an. Sie
eröffneten mir neue Welten. Aber die unbeabsichtigte Folge davon war, dass ich nicht wusste, dass Menschen wie ich
in der Literatur existieren konnten. Die Entdeckung afrikanischer Autoren machte mit mir folgendes: Sie rettete mich
davor, nur eine einzige Geschichte zu kennen, über die Natur von Büchern.
02:58 Ich stamme aus einer konventionellen, nigerianischen Familie der Mittelklasse. Mein Vater war Hochschullehrer.
Meine Mutter war Verwaltungsangestellte. Und bei uns lebten, wie es die Norm war, Bedienstete, die oft aus den
umliegenden Dörfern kamen. In dem Jahr, in dem ich acht wurde, bekamen wir einen neuen Hausdiener. Sein Name
war Fide. Das einzige, was meine Mutter uns über ihn erzählte, war, dass seine Familie sehr arm war. Meine Mutter
schickte Süßkartoffeln und Reis und unsere alten Kleider zu seiner Familie. Und wenn ich mein Abendessen nicht
aufaß, sagte meine Mutter: "Iss dein Essen auf! Ist dir nicht klar, dass Menschen wie die Familie von Fide nichts
haben." Deshalb hatte ich großes Mitleid mit Fides Familie.
03:42 Dann, an einem Samstag, besuchten wir sein Dorf. Und seine Mutter zeigte uns einen wunderschön
geflochtenen Korb aus gefärbtem Bast, den sein Bruder gemacht hatte. Ich war überrascht. Es wäre mir wirklich nicht
eingefallen, dass jemand aus seiner Familie irgend etwas herstellen könnte. Alles was ich über sie gehört hatte war, wie
arm sie waren, so dass es für mich unmöglich geworden war, sie als irgend etwas anderes zu sehen als arm. Ihre Armut
war die einzige Geschichte von ihnen, die ich kannte.
04:12 Jahre später dachte ich daran, als ich Nigeria verließ, um in den USA zu studieren. Ich war 19. Meine
amerikanische Zimmergenossin war mit mir überfordert. Sie fragte mich, wo ich so gut Englisch zu sprechen gelernt
hatte, und war verwirrt als ich ihr sagte, dass in Nigeria zufälligerweise Englisch die Amtssprache ist. Sie fragte, ob sie
das, was sie meine "Stammesmusik" nannte, hören dürfe, und war dementsprechend sehr enttäuscht, als ich meine
Kassette von Mariah Carey hervorholte. (Gelächter) Sie nahm an, dass ich nicht wusste, wie man einen Herd bedient.
04:49 Was mich wirklich betroffen machte: Sie hatte Mitleid mit mir, bevor sie mich überhaupt gesehen hatte. Ihre
Grundhaltung mir gegenüber als Afrikanerin, war eine Art gönnerhaftes, gut meinendes Mitleid. Meine
Zimmergenossin kannte nur eine einzige Geschichte über Afrika. Eine einzige verhängnisvolle Geschichte. Diese einzige
Geschichte enthielt keine Möglichkeit für Afrikaner, ihr in irgendeiner Weise ähnlich zu sein. Keine Möglichkeit für
vielschichtigere Gefühle als Mitleid. Keine Möglichkeit für eine Beziehung als gleichberechtigte Menschen.
05:20 Ich muss erwähnen, dass ich mich, bevor ich in die USA kam, nie bewusst als Afrikanerin identifiziert hatte. Aber
in den USA wendeten sich die Menschen an mich, wann immer es um Afrika ging. Auch wenn ich nichts über Orte wie
Namibia wusste. Aber ich begann diese neue Identität anzunehmen. Und in vielerlei Hinsicht, bezeichne ich mich nun
als Afrikanerin. Obwohl ich immer noch ziemlich ärgerlich werde, wenn Afrika als ein Land bezeichnet wird. Das
jüngste Beispiel erlebte ich bei meinem ansonsten wunderbaren Flug von Lagos vor zwei Tagen, bei dem es eine
Durchsage der Virgin Fluggesellschaft gab über Wohltätigkeitsarbeit in "Indien, Afrika und anderen Ländern."
(Gelächter)
05:55 Nachdem ich also einige Jahre in den USA als Afrikanerin verbracht hatte, begann ich die Reaktion meiner
Zimmergenossin auf mich zu verstehen. Wäre ich nicht in Nigeria aufgewachsen, und alles, was ich über Afrika wusste,
stammte aus den gängigen Darstellungen, dann würde auch ich denken, Afrika sei ein Ort wunderschöner
Landschaften, wunderschöner Tiere, und unergründlichen Menschen, die sinnlose Kriege führen, an Armut und AIDS
sterben, unfähig sind für sich selbst zu sprechen, und die darauf warten, von einem freundlichen, weißen Ausländer
gerettet zu werden. Ich würde Afrikaner auf die gleiche Weise betrachten, wie ich als Kind Fides Familie betrachtet
hatte.
06:34 Ich denke, diese einzige Geschichte Afrikas stammt letztlich aus der westlichen Literatur. Nun, hier ist ein Zitat
aus den Schriften eines Londoner Kaufmanns namens John Locke, der 1561 nach Westafrika segelte und faszinierende
Aufzeichnungen seiner Reise machte. Nachdem er die schwarzen Afrikaner als "Bestien, die keine Häuser haben"
bezeichnet, schreibt er: "Es sind auch Menschen ohne Köpfe, die Mund und Augen in ihrer Brust haben."
07:04 Nun, ich muss jedes Mal lachen, wenn ich das lese. Und man muss die Vorstellungskraft von John Locke
bewundern. Aber was seine Aufzeichnungen so wichtig macht, ist, dass sie den Anfang einer Tradition darstellen,
Geschichten über Afrika im Westen zu erzählen. Eine Tradition von Schwarzafrika als ein Ort von Schlechtem, von
Unterschieden, von Dunkelheit, von Menschen die, mit den Worten des grandiosen Poeten, Rudyard Kipling, "halb
Teufel, halb Kind" sind.
07:31 Und langsam wurde mir klar, dass meine amerikanische Zimmergenossin während ihres Lebens unterschiedliche
38
Versionen dieser einzigen Geschichte gehört und gesehen haben musste, genau wie dieser Professor, der mir einmal
sagte, dass mein Roman nicht "authentisch afrikanisch" sei. Nun, ich war schon bereit zuzugeben, dass einige Dinge in
dem Roman nicht stimmten, dass er an einigen Stellen misslungen war. Aber ich konnte mir wirklich nicht vorstellen,
dass er nicht das geworden war, was man authentisch afrikanisch nannte. Ich wusste tatsächlich nicht, was afrikanische
Authentizität war. Der Professor sagte mir, dass meine Charaktere ihm, einem gebildeten Mann aus der Mittelschicht
zu sehr ähnelten. Meine Charaktere fuhren Autos. Sie hungerten nicht. Deshalb waren sie nicht authentisch
afrikanisch.
08:20 Aber ich muss schnell hinzufügen, dass auch ich in der Frage der einzigen Geschichte nicht ganz unschuldig bin.
Vor ein paar Jahren reiste ich aus den USA nach Mexiko. Das politische Klima in den USA war damals angespannt. Und
es gab andauernde Einwanderungsdebatten. Und, wie so oft in Amerika, wurde Einwanderung zum Synonym für
Mexikaner. Es gab unendlich viele Geschichten über Mexikaner als Menschen, die das Gesundheitssystem schröpften,
sich über die Grenze stahlen, an der Grenze verhaftet wurden, und solche Dinge.
08:53 Ich erinnere mich, wie ich an meinem ersten Tag in Guadalajara herumlief, beobachtete wie die Menschen zur
Arbeit gingen, wie sie auf dem Marktplatz Tortillas zusammenrollten, rauchten und lachten. Ich erinnere mich, dass ich
zuerst ein wenig überrascht war. Und dann war ich zutiefst beschämt. Ich hatte erkannt, dass ich von diesen
Medienberichten über Mexikaner so durchdrungen worden war, dass diese in meinem Kopf ausschließlich zu
bedauernswerten Immigranten geworden waren. Ich glaubte die einzige Geschichte über Mexikaner und ich konnte
nicht beschämt genug über mich sein. So kreiert man also eine einzige Geschichte, man zeigt eine Seite eines Volkes,
und nur diese eine Seite, immer und immer wieder, und dann wird diese Seite zur Identität.
09:37 Es ist unmöglich über die einzige Geschichte zu sprechen, ohne über Macht zu sprechen. Es gibt ein Wort, ein
Igbo Wort, an das ich immer denke, wenn ich über die Machtstruktur der Welt nachdenke. Es heißt "nkali." Es ist ein
Substantiv, das in etwa übersetzt werden kann als "größer sein als ein anderer." Wie unsere Wirtschafts- und
politischen Welten, definieren sich auch Geschichten durch das Prinzip von nkali. Wie sie erzählt werden, wer sie
erzählt, wann sie erzählt werden, wie viele Geschichten erzählt werden, wird wirklich durch Macht bestimmt.
10:11 Macht ist die Fähigkeit, die Geschichte einer anderen Person nicht nur zu erzählen, sondern sie zur
maßgeblichen Geschichte dieser Person zu machen. Der palästinensische Dichter Mourid Barghouti schreibt, dass der
einfachste Weg ein Volk zu enteignen darin besteht, seine Geschichte zu erzählen und mit "zweitens" zu beginnen.
Beginnt man die Geschichte der nordamerikanischen Ureinwohner mit den Pfeilen und nicht mit der Ankunft der
Briten, erzählt man eine ganz andere Geschichte. Beginnt man die Geschichte mit dem Scheitern des afrikanischen
Staates und nicht mit der Errichtung des afrikanischen Staates durch Kolonisierung, erzählt man eine völlig andere
Geschichte.
10:51 Unlängst sprach ich an einer Universität, wo ein Student mir sagte, es sei solch eine Schande, dass nigerianische
Männer Missbrauchstäter sind, wie der Vater in meinem Roman. Ich sagte ihm, dass ich kürzlich einen Roman gelesen
hätte, mit dem Titel "American Psycho" -- (Gelächter) -- und dass es solch eine Schande sei, dass junge Amerikaner
Serienmörder sind. (Gelächter) (Applaus) Nun, offensichtlich sagte ich dies in einem Anflug leichter Irritation.
(Gelächter)
11:29 Es wäre mir nie in den Sinn gekommen zu denken, nur weil ich einen Roman gelesen hatte, in dem eine Person
ein Serienmörder war, dass dieser irgendwie alle Amerikaner repräsentierte. Und jetzt bin ich natürlich kein besserer
Mensch bin als dieser Student, aber weil Amerika kulturelle und wirtschaftliche Macht besitzt, kannte ich viele
Geschichten über Amerika. Ich hatte Tyler und Updike und Steinbeck und Gaitskill gelesen. Ich kannte nicht nur eine
einzige Geschichte über Amerika.
11:54 Als ich vor ein paar Jahren lernte, dass Autoren mit einer unglücklichen Kindheit aufwarten müssen, um
erfolgreich sein zu können, begann ich darüber nachzudenken, wie ich schlimme Dinge erfinden könnte, die meine
Eltern mir angetan hatten. (Gelächter) Aber die Wahrheit ist, dass ich eine sehr glückliche Kindheit hatte, voller Lachen
und Liebe, in einer sehr eng verbundenen Familie.
12:16 Aber ich hatte auch Großväter, die in Flüchtlingslagern starben. Mein Cousin Polle starb, weil er keine
ausreichende medizinische Versorgung bekam. Einer meiner besten Freunde, Okoloma, starb bei einem
Flugzeugunglück, weil unsere Feuerwehrautos kein Wasser hatten. Ich wuchs unter repressiven Militärregimen auf, die
Bildung nicht wertschätzten, so dass manchmal die Gehälter meiner Eltern nicht bezahlt wurden. Und so erfuhr ich als
Kind, wie die Marmelade vom Frühstückstisch verschwand, dann verschwand Margarine, dann wurde Brot zu teuer,
danach wurde die Milch rationiert. Und vor allem, drang eine Art alltäglicher politischer Angst in unser Leben ein.
12:57 All diese Geschichten machen mich zu der Person, die ich bin. Aber wenn man nur auf diesen negativen
39
Geschichten beharrt, wird damit meine Erfahrung abgeflacht und viele andere Geschichten, die mich formten werden
übersehen. Die einzige Geschichte formt Klischees. Und das Problem mit Klischees ist nicht, dass sie unwahr sind,
sondern dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen Geschichte.
13:24 Afrika ist natürlich ein Kontinent mit vielen Katastrophen. Es gibt ungeheure, wie die schrecklichen
Vergewaltigungen im Kongo. Und deprimierende, wie die Tatsache, dass sich in Nigeria 5000 Menschen auf eine freie
Arbeitsstelle bewerben. Es gibt aber auch andere Geschichten, die nicht von Katastrophen handeln. Und es ist sehr
wichtig, sogar genauso wichtig, über sie zu reden.
13:44 Ich hatte immer das Gefühl, es sei unmöglich, sich richtig mit einem Ort oder einer Person zu beschäftigen,
wenn man sich nicht mit allen Geschichten dieses Ortes oder dieser Person beschäftigt. Die Folge der einzigen
Geschichte ist diese: Es beraubt die Menschen ihrer Würde. Sie erschwert es uns, unsere Gleichheit als Menschen zu
erkennen. Sie betont eher unsere Unterschiede als unsere Gemeinsamkeiten.
14:08 Was wäre, wenn ich nun vor meiner Reise nach Mexiko die Einwanderungsdebatte auf beiden Seiten verfolgt
hätte, auf der amerikanischen und der mexikanischen? Was wäre, wenn meine Mutter uns erzählt hätte, dass Fides
Familie arm und fleißig ist? Was wäre, wenn wir einen afrikanischen Fernsehsender hätten, der verschiedene
afrikanische Geschichten in der ganzen Welt verbreitet? Was der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe "ein
Gleichgewicht der Geschichten" nennt.
14:33 Was wäre, wenn meine Zimmergenossin von meinem nigerianischen Verleger Mukta Bakary wüsste, einem
bemerkenswerten Mann, der seinen Job in einer Bank kündigte, um seinen Traum von einem eigenen Verlagshaus zu
verwirklichen? Nun, in der gängigen Meinung lasen Nigerianer keine Literatur. Er war anderer Meinung. Er glaubte,
dass Menschen, die lesen können auch lesen würden, wenn man Literatur für sie erschwinglich und zugänglich macht.
14:55 Kurz nachdem er meinen ersten Roman veröffentlicht hatte, ging ich zu einem Interview in ein Fernsehstudio in
Lagos. Und eine Frau, die dort als Bürobotin arbeitete, kam auf mich zu und sagte: "Ich mochte Ihren Roman sehr
gerne. Mir gefällt das Ende nicht. Sie müssen jetzt eine Fortsetzung schreiben und dort wird Folgendes passieren..."
(Gelächter) Und sie erzählte mir weiter, was ich in der Fortsetzung zu schreiben hätte. Nun, davon fühlte ich mich nicht
nur geschmeichelt, ich war sehr bewegt. Das war eine Frau, ein Teil der gewöhnlichen Masse Nigerias, die angeblich
keine Bücher lesen. Sie hatte nicht nur das Buch gelesen, sie hatte es zu ihrem Eigentum gemacht und fühlte sich dazu
berechtigt, mir zu erzählen, was ich in der Fortsetzung zu schreiben hätte.
15:32 Was wäre also, wenn meine Zimmergenossin von meiner Freundin Fumi Onda wüsste, einer mutigen Frau, die
eine TV Show in Lagos moderiert, und die fest entschlossen ist, die Geschichten zu erzählen, die wir lieber vergessen
würden? Was wäre, wenn meine Zimmergenossin von der Herzoperation wüsste, die letzte Woche im Krankenhaus
von Lagos durchgeführt wurde? Was wäre, wenn meine Zimmergenossin von der heutigen nigerianischen Musik
wüsste. Talentierte Menschen singen auf Englisch und Pidgin und Igbo und Yoruba und Ijo. Sie vermischen Einflüsse
von Jay-Z über Fela und Bob Marley bis hin zu ihren Großvätern. Was wäre, wenn meine Zimmergenossin von der
Anwältin wüsste, die vor Kurzem in Nigeria vor Gericht zog, um gegen ein lächerliches Gesetz anzugehen, das von
Frauen die Zustimmung des Ehemanns erforderte, wenn sie ihren Ausweis verlängern möchten? Was wäre, wenn
meine Zimmergenossin von Nollywood wüsste, wo viele innovative Menschen trotz großer technischer
Schwierigkeiten Filme machen? Filme, die so erfolgreich sind, dass sie wirklich das beste Beispiel dafür sind, dass
Nigerianer auch annehmen, was sie produzieren. Was wäre, wenn mein Zimmergenossin von meiner tollen,
ehrgeizigen Friseurin wüsste, die gerade erst ihr eigenes Geschäft eröffnet hat, in dem sie Haarverlängerungen
verkauft? Or von den Millionen Nigerianern, die ein Geschäft eröffnen und manchmal scheitern, die aber ihr Streben
weiter nähren?
16:46 Jedes Mal, wenn ich zu Hause bin, werde ich mit den üblichen Ärgernissen der meisten Nigerianer konfrontiert:
unsere misslungene Infrastruktur, unsere gescheiterte Regierung. Aber ich erfahre auch die unglaubliche
Widerstandsfähigkeit von Menschen, die Erfolg haben - eher trotz der Regierung, als wegen ihr. Ich gebe jeden
Sommer Schreibkurse in Lagos. Und ich finde es erstaunlich, wie viele Menschen sich einschreiben, wie viele
Menschen unbedingt schreiben möchten, um Geschichten zu erzählen.
17:13 Mein nigerianischer Verleger und ich haben gerade eine gemeinnützige Organisation, Farafina Trust gegründet.
Und wir haben große Träume davon, Büchereien zu bauen und bestehende Büchereien neu auszustatten und
staatlichen Schulen Bücher zur Verfügung zu stellen, deren Büchereien ganz leer sind, und auch viele, viele Lese- und
Schreibkurse abzuhalten, für jene Menschen, die unbedingt unsere vielen Geschichten erzählen möchten. Geschichten
sind wichtig. Viele Geschichten sind wichtig. Geschichten wurden benutzt um zu enteignen und zu verleumden. Aber
Geschichten können auch genutzt werden um zu befähigen und zu humanisieren. Geschichten können die Würde
eines Volkes brechen. Aber Geschichten können diese gebrochene Würde auch wiederherstellen.
40
17:55 Die amerikanischer Schriftstellerin Alice Walker schrieb Folgendes über ihre Verwandten aus dem Süden, die in
den Norden gezogen waren. Sie gab ihnen ein Buch über das Leben im Süden, das sie hinter sich gelassen hatten. "Sie
saßen herum, lasen das Buch, hörten mir zu, wie ich aus dem Buch vorlas, und ein Stück vom Paradies wurde
zurückerobert." Ich möchte gerne enden mit diesem Gedanken: Dass wir, wenn wir die einzige Geschichte ablehnen,
wenn wir realisieren, dass es niemals nur eine einzige Geschichte gibt, über keinen Ort, dann erobern wir ein Stück
vom Paradies zurück. Vielen Dank. (Applaus)
41
Liste der TeilnehmerInnen
Name
Vorname
Becky
Büker
Feil
Hartmann
Häußler
Kropp
Nitschke
Overwien, Prof. Dr.
Palma
Schell-Straub
Sékongo
Waldenhof, Prof. Dr.
Armbruster
Berger
Bah
Crüsemann
Esslinger
Francois
Fulterer
Frank
Grab
Herkommer
Hoffmann
Ionica
Kaphegyi
Kuntz
Mack
Radeke
Rehfuss
Reinhard
Schellhorn-Pintat
Schuh
Schuhmacher
Schwarz
Schweizer
Schwarzmeier
Schwinge
Straub
Waldt
Weber
Wenzel
Wildemann
Winkler
Zahn
Ursula
Gundula
Robert
Eva-Maria
Ralf
Dominic
Anja
Bernd
Marcia
Sigrid
Kafalo
Beatrix
Thorsten
Michaela
Ahmadou
Yasna
Pedrine
Isabelle
Christian
Katharina
Christine
Claudia
Karola
Iuliana
Vera
Gerhard
Kathrin
Gabriele
Horst
Barbara
Nadja
Ruth
Luzia
Hans-Werner
Tshamala
Rainer
Celine
Gunther
Bettina
Angelika
Andreas
Viktoria
Gabriele
Barbara
42
Referent/in/
Veranstalter (R)
Teilnehmende (TN)
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Weltkulturerbe Tango
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LISTE LITERATURTISCH LAK-JAHRESTAGUNG „Kolonialismus im Gepäck“
In Grün die in der EPiZ-Bibliothek erhältlichen Publikationen
-
Adichie, C.N.: Heimsuchungen. 12 Erzählungen
-
Adichie, Chimamanda Ngozi: Blauer Hibiskus: Roman
-
Andreotti: Actionable Postcolonial Theory in Education
-
Andreotti: Postcolonial Perspectives on Global Citizenship Education
-
Arndt, Susan/Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.) (2011): Wie Rassismus aus Wörtern spricht: Kerben des
Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster: Unrast
Verl.
-
Becker, Sonja: Globales Lernen aus weissseinskritischer Perspektive. In: Overwien. Bernd (Hrsg.):
Erkennen, Bewerten, (Fair-) Handeln. Download: http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/9783-89958-744-9.volltext.frei.pdf
-
BER: Develop-mental Turn
-
BER: von Trommlern und Helfern
-
Brenner, Verena: Krieg und Flucht im Unterricht, Berghof Foundation
-
Entwicklungspolitisches Netzwerk Sachsen ENS e.V.: Mappe mit Bildungsmaterialien zur Ausstellung
“Weiß-Schwarz”
-
EPiZ Berlin: G+ - Alle Kinder sind gleich (inkl. Einheit zu Adichies „Single Story“, Erz. Ausb),
Download http://www.epiz-berlin.de/wp-content/uploads/2014-Diversity-in-der-K-J-Arbeit-AlleKinder-sind-gleich.pdf
-
EPiZ Berlin: G+ - Globales Lernen for Beginners (einheit Erz. Ausb. „Fallstricke GL Beispiel Indianer)
-
EPiZ Berlin: Super-Bücher – Kinder- und Jugendbücher für Globales Lernen. Download
http://www.epiz-berlin.de/wp-content/uploads/2015-Super-B%C3%BCcher_Empfehlungsliste.pdf
-
Glokal e.V.: mit kolonialen Grüßen
-
Habermann, Friederike: Der Unsichtbare Tropenhelm
-
Henke, Simone (2013): Kulturelle Diversität im Globalen Lernen - Eine ethnologische Analyse von
Arbeitsmaterialien des Freiwilligendienstes weltwärts. Tübingen: Unveröffentlichte Magisterarbeit.
-
Iz3W, Ausgabe 329: Dossier: Alles so schön bunt hier – Globales Lernen mit Defiziten
-
Kerner, Ina: Postkoloniale Theorien zur Einführung
-
mohio e.V. (2013): Das Boot ist voll und 10 weitere Dialoge zu Ethik und Globalisierung.
CD+Broschüre bestellen unter
-
Muriel, Lucía: Die (bundesdeutsche) Eine-Welt aus einem Guss?
-
Offene Briefe: Decolonize Orientierungsrahmen
-
Scharathow, Wiebke/Leiprecht, Rudolf (2011): Rassismuskritik. Band 2: Rassismuskritische
Bildungsarbeit. Wochenschau Verlag. Schwalbach.
-
Sow, Noah: Deutschland schwarz weiss
-
Tuckermann, Anja; Schulz, Tine: Alle da! Unser kunterbuntes Leben
-
Wagner-Kyora/Wilczek/Huneke (hrsg.): Transkulturelle Geschichtsdidaktik
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DOKUMENTE ZUM THEMA „KOLONIALISMUS IM GEPÄCK“ IM DOWNLOAD*:
→ Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER): Checklisten zur Vermeidung von Rassismen in
der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit.
http://ber-ev.de/download/BER/09-infopool/checklisten-rassismen_ber.pdf
→ Bundeszentrale für politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Ausgabe 4445/2012: Kolonialismus.
http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/146987/kolonialismus
→ Chandra-Milena Danielzik: Überlegenheitsdenken fällt nicht vom Himmel. Postkoloniale
Perspektiven auf Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: ZEP - Zeitschrift für
internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 1/2013.
http://www.waxmann.com/index.php?
id=zeitschriftendetails&no_cache=1&eID=download&id_artikel=ART101266&uid=frei
→ DGB – Bildungswerk Thüringen e.V.: Baustein zur nicht-rassistischen Bildungsarbeit.
http://www.baustein.dgb-bwt.de/Inhalt/index.html
→ EBASA e.V.: Kultur Global Lernen - Ideen und Methoden für kultursensibles Globales Lernen.
http://www.ebasa.org/index.php?
eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/files_redaktion/doc/ebasaFINAL_Einzelseiten.pdf&t=1436458868&hash=5ba57d8bf8e4cd91958d0b08eaccfc78
→ EBASA e.V.: Solidarität Global Lernen - Anregungen für eine rassismuskritische Bildungsarbeit zu
globalen Themen.
http://www.ebasa.org/index.php?
eID=tx_nawsecuredl&u=0&file=fileadmin/files_redaktion/doc/Solidaritaet_Global_Lernen_sw_ebas
a_broschuere.pdf&t=1436458448&hash=751d2a77b0cced91d30ea578663d428b
→ GLOKAL e.V.: Bildung für nachhaltige Ungleichheit.
http://www.glokal.org/publikationen/bildung-fuer-nachhaltige-ungleichheit/
→ Konrad, Katrin: Globales Lernen und die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen. Diplomarbeit
im Fach Sozialpolitik.
http://www.whitecharity.de/Konrad.pdf
→ Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (LEO) und Elina Marmer (Hrsg.):
Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehrund Lernmaterialien.
http://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-RassismuskritischerLeiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf
→ ZEP - Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 4/2014:
Afrikabilder.
http://www.waxmann.com/index.php?
id=zeitschriftendetails&no_cache=1&tx_p2waxmann_pi1[id_zeitschrift]=ZEI1009&tx_p2waxmann_
pi1[id_ausgabe]=AUG100216&tx_p2waxmann_pi1[show]=showAusgabeInhaltsangabe
→ Ziai, Aram (2004): Imperiale Repräsentationen. Vom kolonialen zum Entwicklungsdiskurs. In:
Sopos (4).
http://www.sopos.org/aufsaetze/408aa83c03940/1.phtml
45
Schwof
bis in
die Nacht
46