Naomi Feil Kurzbeschreibung - Familienorientierte Pflege und

Der Ansatz der Validation nach Naomi Feil
Naomi Feil entwickelte zwischen 1963 und 1980 eine Methode speziell für den Umgang
mit desorientierten alten Menschen und nannte sie Validationsmethode.
Naomi Feil wurde 1932 in München geboren; im Alter von vier Jahren verließ sie mit ihrer
Familie Deutschland. Die Familie siedelte in die Vereinigten Staaten von Amerika
über, wo die Eltern ein Altenheim leiteten, so dass Naomi quasi in einem Altersheim
aufwuchs. Sie erlebte daher von frühester Jugend an, wie schwierig der Umgang mit
verwirrten Menschen in einem Altenheim sein kann, und dass eine realitätsorientierte
Kommunikation bei desorientierten Menschen häufig zu Aggressionen führen kann.
Während ihres Studiums der Sozialarbeit kam sie mit Ansätzen der behavioristischen, der
analytischen und der humanistischen Psychologie in Kontakt, die die theoretischen
Grundlagen ihrer Validationsmethode bilden.
Was bedeutet Validation? Valide heißt: wertvoll, gültig, wert sein. Validation kann mit
Wertschätzung übersetzt werden.
Fells These lautet: Es gibt immer einen Grund hinter dem Verhalten von desorientierten,
sehr alten Menschen. Jeder Mensch ist wertvoll - wie desorientiert er auch sein mag.
Validation orientiert sich an einem verstehenden Ansatz im Umgang mit desorientierten
Menschen. Anerkennung der Gefühle und Wertschätzung der Person stehen hier im
Mittelpunkt.
Validation wurde entwickelt für:
• sehr alte Menschen zwischen 80 und über 100 Jahren
• sehr alte Menschen, die mangelhaft oder unglücklich orientiert resp. desorientiert sind
• sehr alte Menschen, die ein relativ «glückliches» Leben geführt haben, aber ernste
Krisen ihr ganzes Leben lang geleugnet haben
• sehr alte Menschen, die an überlebten Rollen festhalten
• sehr alte Menschen, die Beeinträchtigungen des Gehirns, der Sehkraft und des Ge
hörsinns aufweisen
• sehr alte Menschen, die in ihrer Bewegung und Gefühlskontrolle eingeschränkt sind
sowie ein mangelhaftes Kurzzeitgedächtnis haben
• sehr alte Menschen, die unbewältigte Gefühle haben, diese aber auf der unbewussten
Ebene ausdrücken (Feil 2000: 30).
Die Prinzipien der Validation sind: Empathie, Wärme, Achtung, den alten Menschen
kennen und sein Ziel verstehen lernen. Validation will nicht Einsicht bei den sehr alten
Menschen vermitteln oder sie konfrontieren. Feil stellt die Hypothese auf, dass sehr alte,
verwirrte Menschen einen Rückzug in die Vergangenheit vollziehen. Dieser Rückzug
geschieht, um die altersbedingten Einschränkungen zu mildern. Die Vergangenheit und
die Biografie der Person bekommen somit eine besondere Bedeutung. Damit verbunden
treten aber auch unbearbeitete Konflikte aus der Vergangenheit zutage, die wiederum
Verwirrtheit fördern.
Ziel der Validation ist es, desorientierte Menschen durch Wertschätzung vor einem
weiteren Rückzug in die Desorientierung zu bewahren.
Feil unterscheidet vier Stadien der Desorientiertheit, denen sie jeweils unterschiedlich
angemessene Kommunikationstechniken und Umgangsformen zuordnet:
Stadium I: Mangelhafte/unglückliche Orientierung
In diesem Stadium seien die Personen noch orientiert, sind sich gelegentlicher Verwirrung
und Vergesslichkeit bewusst und überspielen sie mit Ausreden, um die Gedächtnislücke
zu füllen.
Sie können noch hören, sehen und sprechen und sind noch mobil, widersetzen sich
jedoch Veränderungen, leugnen Gefühle, andere werden beschuldigt, dass sie ihnen
etwas entwendet haben.
Das Verhalten ist oft verletzend, und die betroffenen Menschen verängstigen oder
vertreiben durch ihr Verhalten Freunde und Angehörige.
Da die Personen in diesem Stadium Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle auszudrücken,
empfiehlt Feil Pflegenden, Gefühle nicht anzusprechen. Sie empfiehlt, die Personen, die ja
noch verbale Fähigkeiten besitzen, über Fakten sprechen zu lassen durch Fragen nach
wer, was, wo, wann, wie.
Warum-Fragen sollen vermieden werden, da die Person darauf keine
rationale Antwort geben kann. Aussagen der Person sollen durch Umformulieren
wiederholt und es soll besonders auf Schlüsselworte der Person geachtet werden.
Menschen in diesem Stadium würden sich vor vertraulichen Beziehungen und
Berührungen zurückziehen, sie würden sich sogar bedroht fühlen, daher sollten Pflegende
es bei Händeschütteln oder einer sanften Berührung des Armes belassen.
Stadium II.: Zeitverwirrtheit -Verlust der kognitiven Fähigkeiten
Stadium II fährt laut Feil zu Verlust der Selbstkontrolle, der Kommunikationsfähigkeit und
der Fähigkeit zu sozialem Verhalten.
Diese Menschen würden auf fürsorgliche Berührungen und Blickkontakt mit
Stressverminderung reagieren. Sie können noch singen und tun dies auch gerne und gut.
Sie können häufig noch lesen, aber nicht mehr schreiben.
Empfohlen wird auch hier die Frage- und Kommunikationstechnik wie in Stadium I.
Da die Menschen zudem häufig in ihrem Seh- und Hörvermögen beeinträchtigt sind, soll
man nahe an sie herantreten, um von ihnen gesehen oder gehört zu werden. Man soll sich
frontal vor diese Menschen hocken, wenn sie im Stuhl sitzen, um direkten Blickkontakt
herzustellen. Die Stimme soll klar, warm und eher tiefer sein, da scharfe und schrille
Klänge für diese Menschen unerträglich seien. Ebenso seien hohe und schwache Töne
von Hörgeschädigten nicht gut wahrnehmbar.
Bekannte Musik oder Lieder aus der Kindheit bleiben auch diesen Menschen im
Gedächtnis, und sie sind fähig, in altbekannte Melodien einzustimmen. Daher soll man mit
diesen Menschen singen.
Stadium III: Sich wiederholende Bewegungen ersetzen die Sprache.
In diesem Stadium wird die Sprache unverständlich. Es werden Klänge durch die Zunge,
Zähne oder Lippen erzeugt, z. B, frühe Laute wie «ma ma ma» oder die Bewegung der
schmatzenden Lippen. Wiederkehrende, stereotype Wiegebewegungen setzen ein. Die
betroffenen Menschen würden noch Kinderlieder kennen, die stereotypen Bewegungen
würden die Personen am Leben erhalten, das Denkvermögen ist geschwunden, Tanzen
und Singen sind noch möglich, das Denken und Sprechen nicht mehr.
Empfohlen werden die Techniken wie bei Stadium II, jedoch fordert Feil zu intensiveren,
sanften Berührungen der Handflächen, der Wangen, des Nackens auf. Weiterhin empfiehlt
sie die Körperbewegungen der Personen zu spiegeln durch Nachahmen des Atems, der
Bewegung der Hände und Füße.
Stadium IV: Vegetieren - totaler Rückzug nach innen
In diesem Stadium verschließen sich die betroffenen Menschen völlig vor der Außenwelt.
Sie erkennen keine nahen Angehörigen und zeigen kaum Gefühle. Die Augen sind
geschlossen, sie zeigen kaum Bewegung, befinden sich in embryonaler Stellung. Diese
Menschen brauchen laut Feil - neben Musik und dem Sprechen mit beruhigender,
fürsorglicher Stimme – Berührung und Fürsorge (Feil 2000: 49 ff.).
Fells Konzept ist von der gerontopsychiatrischen Pflege größtenteils mit Begeisterung
aufgenommen worden, da man sich durch diese sehr konkreten Handlungsanweisungen,
die Feil durch ihre Bücher, Schriften, Videos und zahlreichen öffentlichen Auftritte - auch in
Deutschland - verbreitete, weniger hilflos im Umgang mit verwirrten und desorientierten
Menschen fühlte. Es schien jetzt eine Technik im Umgang mit Desorientierten gefunden zu
sein, die man nur erlernen musste.
Zudem haben sich zahlreiche Validations-Organisationen im deutschsprachigen Raum
und im europäischen Ausland gebildet. Ferner gibt es sogenannte ((Nachahmer» bzw.
Weiterentwickler der Methode (Nicole Richard - Integrative Validation; Brigitte Scharb Spezielle Validierende Pflege; Cora van der Kooij - Mäeutisches Konzept).
Blumhardt (2004) hat Kritik und Inkongruenzen an diesem Ansatz recherchiert und kommt
dabei zu folgenden Ergebnissen:
• Das Konzept beruht vorwiegend auf Erfahrungswissen, die Ursachen von Verwirrtheit
und der empfohlene Umgang sind nicht beweisbar.
• Feil wählt für ihr Konzept nur sehr alte desorientierte Menschen aus. Junge Alte
zwischen 50 und 70 Jahren durchlaufen aber, so Blumhardt, einen anderen
Krankheitsprozess als alte. Validation nach Feil richtet sich ausschließlich an Hochbetagte
mit desorientiertem
Verhalten, ungeachtet der Diagnose von Medizinern. Ebenso ist die Zielgruppe nach Feil
nicht durch psychische Erkrankungen gekennzeichnet. Das gleichzeitige Auftreten
mehrerer Erkrankungen bei desorientierten alten Menschen ist jedoch keine Seltenheit.
• Es ist nicht empirisch beweisbar, dass tatsächlich immer unverarbeitete Konflikte zur
Verwirrung im hohen Alter führen.
• Feil deutet viele Handlungen der Menschen symbolisch. Die Pflegenden sollen diese
Symbole deuten. Die Deutung der Symbole ist nur vor dem Hintergrund der persönlichen
Lebensgeschichte möglich. Feil deutet z. B., dass eine Hand für ein Baby stehen kann, ein
Messer für Wut, ein Schuh für ein Kind. Diese Symboldeutung kann als zu schematisch
kritisiert werden, Symbole können durchaus mehrere Bedeutungen haben.
• Es gibt einen Widerspruch in der Formulierung Feils, denn Validation soll den alten
Menschen helfen, unverarbeitete Gefühle zu verarbeiten, und gleichzeitig postuliert sie,
die
Menschen in ihrem So-Sein zu belassen.
• Etwas zu verarbeiten bedeutet jedoch auch, dass es zu einem Resultat, einem Ergebnis
führen müsste. Das ist aber bei der Validation nicht unbedingt nötig.
• Biografiearbeit kann auch negative Folgen für die verwirrten Menschen haben: Wenn sie
auf Fragen zu ihrer Lebensgeschichte nicht mehr antworten können, kann dies ihren
Rückzug beschleunigen.
• Der gesprächspsychologische Ansatz Rogers wurde auf Demente übertragen, ohne die
demenzspezifische Problematik zu vertiefen.
• Es wurde noch nicht valide und überprüfbar gemessen, wie stark Validation die
Desorientierung positiv beeinflusst und welche Wirkungen man mit einem validierenden
Gespräch bei Demenzkranken erzielen kann (Blumhardt 2004:10 ff.).
Die Methode der Validation nach Naomi Feil, die eine breite Zustimmung in der Altenpflege
erfährt, ist demnach nicht frei von Kritik und daher auch kritisch zu reflektieren. Ohne
Zweifel bedarf es für einen anerkennenden, respektvollen und würdevollen Umgang mit
desorientierten alternden Menschen eines humanistischen Menschenbildes. Validation
kann da - trotz der aufgeführten kritischen Anmerkungen - dennoch eine Orientierung
geben.
Entnommen dem Buch: Kommunikative Kompetenzen in der Pflege
Von Mathias Elzer und Claudia Sciborski ; Verl: Huber Bern 2007