Mehr haben, weniger geben? Forscher entwickeln Alternativen zu

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Mehr haben, weniger geben?
studie zeigt: Ober- und Mittelschicht nicht weniger hilfsbereit
Die Studie von Dr. Martin Korndörfer,
Prof. Dr. Stefan Schmukle (Universität
Leipzig) und Prof. Dr. Boris Egloff (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) basiert auf großen, repräsentativen Datensätzen mit bis zu 37 000 Personen. Es
handelt sich um internationale Daten
großangelegter Erhebungen, beispielsweise aus dem deutschen sozio-ökonomischen Panel (SOEP). Die Teilnehmer dieser Befragungen berichteten regelmäßig
über ihr Einkommen, ihre Bildung und
ihr Berufsprestige und gaben Auskunft zu
verschiedenen prosozialen Verhaltensweisen wie Spenden, ehrenamtlicher Tätigkeit oder der Unterstützung in alltäglichen
Situationen, zum Beispiel einem Unbekannten in der Supermarktschlange den
vorderen Platz anzubieten.
Die Analysen der Wissenschaftler ergaben
ein unerwartetes Bild: Verglichen mit Angehörigen aus unteren sozialen Schichten
waren Angehörige oberer Schichten zumeist gemeinnütziger, vertrauensvoller,
hilfsbereiter und freigiebiger. So gaben sie
in einem digitalen ökonomischen Spiel,
Foto: dpa
n Zeigen Menschen der oberen sozialen Schichten weniger soziales Verhalten als Menschen der unteren?
Spenden sie beispielsweise einen geringeren Teil ihres Einkommens für
wohltätige Zwecke? Bisherige psychologische Studien kamen tatsächlich
zu dem Ergebnis, dass sich Menschen
aus den unteren sozialen Schichten
bedingt durch ihre eigene schwierige
Lebenssituation stärker um das Wohlergehen Anderer kümmern als Menschen aus höheren sozialen Schichten.
Psychologen der Universitäten Leipzig und Mainz konnten dies in einer
aktuellen Studie nicht bestätigen – sie
fanden sogar überwiegend gegenteilige Befunde. Ihre Ergebnisse haben
die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlicht.
Mildtätigkeit hängt nicht von der sozialen Klasse ab, so eine neue Studie.
bei dem um reales Geld gespielt wurde,
mehr an einen ihnen zugeteilten Unbekannten weiter. Dabei war dieser Befund
weitestgehend unabhängig davon, welches
Land untersucht wurde (Deutschland,
USA oder eines von 28 weiteren Ländern)
und welches Maß für die soziale Schicht
benutzt wurde (Einkommen, Bildung,
Jobprestige oder eine subjektive Einschätzung des eigenen sozialen Ranges).
„Die Ergebnisse sind gerade im Hinblick
auf die aktuell immer größer werdenden
sozialen Ungleichheiten wichtig“, sagt
Martin Korndörfer. „Sie zeigen, dass An-
gehörige der mittleren und oberen sozialen Schichten den sozialen Anforderungen, die an sie gestellt werden, in größerem
Maße gerecht werden, als man dies aus
den Ergebnissen bisheriger psychologischer Studien erwarten konnte.“
Den Widerspruch zu früheren Studien,
denen zufolge Menschen aus unteren sozialen Schichten sozialer eingestellt seien,
erklären sich die Autoren durch die bisher
verbreitete Verwendung von überwiegend
kleinen Stichproben, „häufig bestehend
aus amerikanischen Studierenden, die sich
schlichtweg kaum in ihrer sozialen Klasse
unterscheiden“, so Korndörfer. „Letztlich
handeln Bessergestellte wohl weder immer
sozialer als weniger gut Gestellte, noch ist
es anders herum“, resümiert der Leipziger
Wissenschaftler. „Es gibt sicher Unterschiede abhängig davon, welches konkrete
Verhalten betrachtet wird und wichtige
Begleiterscheinungen, die wir noch nicht
genau kennen. Was wir jedoch sagen können: Die von Psychologen gern aufgestellte Behauptung, die Oberschicht sei generell weniger hilfsbereit, ist so vermutlich
nicht richtig.“
Carsten Heckmann
Forscher entwickeln Alternativen
zu Tierversuchen in der Augenheilkunde
Wissenschaftler suchen nach neuen Wegen zum Züchten von adultem augengewebe
n Physiker und Biologen der Universität Leipzig forschen seit Kurzem an
Alternativmethoden zuTierversuchen
in der Augenheilkunde. Ziel dieses
neuen Forschungsprojekts, das vom
Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) gefördert wird, ist
es, in den kommenden drei Jahren
Langzeit-Kulturmethoden von adultem Augengewebe zu entwickeln und
zu etablieren. „Die verwendeten Augengewebe werden nicht von Labortieren gewonnen, wie es bisher üblich
war, sondern von Schlachthöfen geliefert, wo sie als Abfall anfallen“, erklärt die Physikerin und Projektkoordinatorin Dr. Mareike Zink.
In Kooperation mit dem Physiker Prof.
Dr. Stefan Mayr und dem Biologen Dr.
Mike Francke wird ein neuartiger Ansatz
verfolgt. Damit ist es möglich, Augengewebe außerhalb des Körpers über längere
Zeit in seiner organotypischen Struktur
zu kultivieren. Diese Methoden sollen
dann als Ersatz für Versuche an lebenden
Tieren zur Erforschung neurodegenerativer Augenerkrankungen, für Tests von
Wirkstoffen, die Erprobung chirurgischer
Techniken und zur Grundlagenforschung
dienen.
Ein wichtiger Meilenstein soll die Entwicklung eines neuartigen Gewebe-Bioreaktors darstellen, mit dem das nahezu
intakte Auge außerhalb des Körpers kultiviert werden kann, um daran Augenkrankheiten und Wirkstoffe zu erforschen. „Zum Ende des Projekts wird es
möglich sein, in verschiedenen Bereichen
der augenmedizinischen Forschung Tierversuche durch Untersuchungen an Gewebe von Schlachttieren zu ersetzen“, er-
läutert Zink. In jedem Fall könnten
vielfältige Studien, die bisher an lebenden
Tieren durchgeführt wurden, durch sogenannte In-vitro-Studien ersetzen werden,
die außerhalb lebendiger Organismen
stattfinden, wie etwa in Gewebekulturen.
„Dabei spielen vor allem neuartige Testaufbauten eine wichtige Rolle, mit denen
die biomechanischen Eigenschaften von
Augengewebe studiert werden sollen. Insbesondere Veränderungen der Netzhautmechanik spielen eine wichtige Rolle bei
degenerativen Augenerkrankungen“, sagt
die Physikerin.
„Komplexe Untersuchungen sind derzeit
mit den etablierten Kultivierungsverfahren in vielen Bereichen unmöglich, da
Gewebe wie eine Netzhaut nur sehr kurze
Zeit außerhalb des Organismus erhalten
werden kann. Zum einen ist die Versorgung mit Nährstoffen und Gas wie Sauer-
stoff schwierig, zum anderen reagieren
verschiedene Zellen in der Netzhaut auf
die Kulturbedingungen, wobei deren
Struktur zerstört wird“, erläutert Dr.
Francke, der seit Jahren Augenerkrankungen erforscht. Diese Probleme könnten
durch den zu entwickelnden Bioreaktor
weitgehend überwunden werden.
Sowohl der Bioreaktor, als auch die Erforschung der biomechanischen Eigenschaften des Augengewebes in diesem
Projekt basieren auf dem Einsatz spezieller nanostrukturierter Substrate. Diese
von der Arbeitsgruppe von Prof. Mayr
entwickelten Materialien zeigen einzigartige Eigenschaften, die es erstmals ermöglichen, komplexes adultes Gewebe wie das
der Retina über mindestens zwei Wochen
in vitro zu erhalten und mechanisch zu
stimulieren.
Susann Huster
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Liebigstrasse aktueLL