Liebe und Hass – Josef und seine Familie (1. Teil Predigtreihe Josef: 1. Mose 37,1-14.18-20.23-28) Predigt von Pfrn. Marianne Botschen, gehalten am 30.8. 2015 in Weiningen und Geroldswil Wir starten mit diesem Gottesdienst eine 4-teilige Predigtserie zu Josef. Heute stehen Josef und seine Familie im Zentrum. Auch in der besten Familie herrscht nicht immer eitel Sonnenschein. Da läuft manches daneben. Was zum Beispiel, wenn eines der Kinder bevorzugt wird und sich auch entsprechend aufführt? Was, wenn in einer Familie nicht einfach nur Liebe, sondern Vergeltungsgedanken eine Rolle spielen? Damit sind wir schon mitten in der Problematik drin. Das heutige Thema trägt den Titel: Liebe und Hass – Josef und seine Familie. Eltern werden ist nicht schwer, Elternsein dagegen sehr… Den ersten Teil unseres Predigttextes haben sie bereits in der Lesung gehört. (1. Mo.37,1-14) Was ist ihnen dabei durch den Kopf gegangen? Da ist der Vater Jakob. Er ist reich gesegnet. Er hat zwölf sehr verschiedene Söhne. Er liebt sie alle. Aber einen von ihnen bevorzugt er; Josef, unsere Hauptfigur. Jakob hat Josef erst spät noch bekommen. Die Bibel berichtet es ganz offen: Josef ist Jakobs Lieblingssohn. Über ihn weiss der Vater alles, was bei seinen Söhnen abläuft, auch das Schlimme. So würden wir den jungen Josef heute wohl abschätzig als ‚Täderlichatz‘ oder ‚Rätschbäse‘ bezeichnen. Er ist intelligent und sieht gut aus. Er wird privilegiert behandelt, bekommt ein besonders schönes Kleid. Ob sich dieser Vater bewusst ist, was er damit tut? Wie er offensichtlich den einen verwöhnt und für die anderen ungerecht wirkt? Hat es sie auch innerlich geschaudert bei der Beschreibung dieser Familie? Wie kann ein Vater nur so etwas tun; ein Kind ganz offensichtlich den anderen vorziehen? Es mag ja durchaus einmal vorkommen, dass einem ein Kind etwas näher steht; wir sind Menschen und da spielen Sympathien eine Rolle. Aber gleich so? Josef ist vermutlich das verwöhnteste Kind der Literaturgeschichte! Er wird rundheraus bevorzugt, verhätschelt und ist dementsprechend eitel. Kein Wunder, sind seine Brüder eifersüchtig und hassen ihn. Spontan würde ich sagen: Jakob, der Vater ist schuld, dass es so schief gelaufen ist. Er hat Josef derart verwöhnt, dass dieser überhaupt kein ‚Gspüri‘ hat, was man tut und was nicht. So prahlt er vor Brüdern und Vater mit seinen Träumen. Es erstaunt uns nicht, dass in diesen Träumen selbstverständlich er, Josef, der Beste ist: Er ist die Garbe, vor der sich die anderen Garben verneigen Ja noch extremer: Sogar Sonne, Mond und 11 Sterne verneigten sich vor ihm. Es ist klar, dass er damit seine Familie meint… Klüger wäre es gewesen, Josef hätte solche Träume für sich behalten. Doch keinen Moment zögert er. Da würde ich sagen: Dieser Josef hat den GW, den Grössenwahn! Sein Vater hat das mitverschuldet: Jakob verstösst nach allen Regeln der Kunst gegen das ABC der Pädagogik und sein eingebildeter Sohn ist das Resultat. Heutzutage, würde man solch einen Vater dringend in einen Erziehungskurs schicken oder ihm sogar eine Erziehungshilfe finanzieren… Hier möchte ich eine ersten Zwischenhalt machen und auf uns schauen: Die Geschichte von Josef und seiner Familie ist wie ein Spiegel. Wo und wie komme ich in dieser Geschichte vor? Wie bin ich als Vater und Mutter? Wie sehe ich meine Kinder und wie sehen sie mich? Wie steht es mit meinen Eltern, meinen Geschwistern? Bei den meisten sind die Kinder schon ausgeflogen. Sicher sind sie einverstanden: Wir lieben unsere Kinder immer noch! Aber - habe ich wirklich alle gleich gern? Oder muss ich mir eingestehen, dass mir eines besonders nahe ist? Dass es schwierig ist, alle gleich gerne zu haben… Wir sind und bleiben Menschen. Es ist nicht einfach, Vater und Mutter zu sein. Wenn ich gewisse Geschichten höre denke ich sogar, dass es mit Pubertierenden oder erwachsenen Kindern noch herausfordernder wird. Speziell wenn dann noch Schwiegertöchter und Enkelkinder dazu kommen… In all dem ist niemand ist perfekt, auch wenn es nicht ganz so extrem läuft wie bei Jakob und Josef. Ja, es passieren auch uns psychologisch gebildeten Menschen des 21. Jahrhunderts Fehler! In all diesen Erziehungs- und Beziehungsfehlern hilft es, ehrlich zu sein und wo nötig und möglich Gegensteuer zu geben. Wenn ich mir eingestehe, wie ich wirklich bin, besteht die Chance zu einer Korrektur. Vielleicht hat ja der besonders schwierige Sohn, die sehr abgrenzende Tochter meine Liebe besonders nötig? Glaubwürdig sind wir dort, wo wir unseren Kindern gegenüber zu unseren Fehlern stehen können. Es geschieht dort, wo wir 2 ihnen sagen, dass es uns leid tut und wir ihnen manches schuldig geblieben sind. Das ist eine Herausforderung. Doch solch ein Schritt kann Vieles verändern. Selbst nach Jahren, in denen es nicht gut gelaufen ist. Niemand kann die Zeit zurückdrehen, aber auch mit erwachsenen Kindern können Eltern ihre Rolle überdenken und allenfalls das Gespräch suchen. Und Kinder können das umgekehrt genauso tun. Liebe und Gerechtigkeit Soweit zu Jakobs Vaterrolle. Dazu bin ich bei der Vorbereitung auf einen weiteren interessanten Gedanken von Pfarrer Klaus Guggisberg gestossen. Er sieht es nicht nur negativ, dass Jakob seinen Sohn Josef derart offensichtlich bevorzugt. Es ist einfach unser heutiges Verständnis, dass Liebe und Gerechtigkeit zusammen gehört. Da schneidet die Mutter Kuchen und die kleine Tochter schaut zu: „Wie? bekommen ich nur ein so kleines Stück?“ „Nein das ist für deinen Bruder.“ „Was? Bekommt der ein so grosses Stück?“ So tönt es von klein auf und setzt sich fort bis ins Alter. Man hat immer wieder das Gefühl, man komme zu kurz. In allen Variationen. Am Anfang ist es vielleicht ein Stück Kuchen. Bei Jakob ist es ein kostbares Gewand, das er Josef und nur Josef schenkt… Als ich an unsere Familie gedacht habe, ist mir zur Frage nach Gerechtigkeit das Bus Abo in den Sinn gekommen. Der eine Sohn wollte nicht mehr mit dem Velo nach Urdorf zur Schule fahren. Und selbstverständlich meldet sich der ältere Bruder, der immer noch fleissig in die Pedale tritt: „Und ich?“ Ich gestehe: Wir haben ihm den entsprechenden Geldbetrag überwiesen, so dass er es für den Bus verbrauchen oder lieber für etwas anderes einsetzen kann. Es wäre für uns nicht gerecht, wenn einer mehr als der andere bekäme. Unser Gerechtigkeitsempfinden hört mit Schulschluss nicht auf. Später geht es um den Lohn, die Karriere, das Erbe… Am Anfang sind die Eltern nicht gerecht, später die Lehrer, der Chef, der Staat, die böse Welt, ja sogar Gott… Mein Gerechtigkeitsempfinden hat sich diese Woche gemeldet, als ich hörte, wie gewisse gute Schüler in kürzester Zeit eine Lehrstelle quasi auf dem Silbertablett serviert bekamen und sogar auswählen konnten. Auf der anderen Seite kenne ich Jugendliche, die über Monate hinweg zig Absagen bekamen, einfach, weil sie zwar fleissig waren, aber nicht unbedingt mit guten Noten glänzten. –Ist das gerecht? Da kann uns die Josefsgeschichte lehren: Auf Dauer kommt niemand zu kurz! Ganz anders als wir es ganz Kleinkinder-like aufrechnen, kann wahre Liebe manchmal auch eine andere Gerechtigkeit beinhalten. Sie wiegt nicht immer genau ab, damit ja immer alle gleichviel bekommen. Zur Liebe kann auch die Freiheit gehören, sich in einer konkreten Situation ganz besonders um einen bestimmten Menschen zu kümmern. In der Bibel gibt es erstaunlicherweise viele Beispiele, wo sich Liebe speziell Einzelnen zuwendet – konkret sich auf jene konzentriert, die sie auch besonders brauchen. Ich denke an Jesu Gleichnis vom verlorenen Schaf: Da lässt Gott als der gute Hirte 99 Schafe im Stich, um das Eine in Not zu finden. Oder als die Frommen und Schriftgelehrten -gekränkt wie Josefs Brüder hunderte Jahre früher- Jesus fragen, warum er sich ausgerechnet denen zuwende, die als unrein und aus der Gesellschaft ausgestossen gelten: Den Zöllnern und Sündern, den Dirnen, Aussätzigen und Invaliden. Da antwortet Jesus klar: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken (Lk. 5,31) Man könnte den Beginn der Josefsgeschichte also auch ganz anders einordnen: Der Familienfriede zerbricht nicht so sehr wegen Jakobs grobem Erziehungsfehler. Sondern genauso, weil es die anderen, erwachsenen Söhne nicht ertragen, dass Liebe sich manchmal um jemanden besonders kümmert… Der Hass der Brüder Ich lese ihnen vor, was Josefs Brüder heimtückisch geplant haben: 1. Mose 37,18-20.23-28. Unvorstellbar! Den eigenen Bruder derart behandeln – das können nur Menschen tun, die zutiefst von Hass erfüllt sind. Nachdem Josef seinen Traum von den sich verneigenden Garben erzählt hat, heissts denn auch wortwörtlich: Die Brüder warfen all ihren Hass auf Josef. Unter Hass verstehen wir Deutschsprachigen eine Gesinnung. Man liebt oder hasst jemanden – länger dauernd. Im Hebräischen haben Liebe und Hass eine 3 andere Bedeutung: Sie sind eine Tat, oder zumindest der Anfang einer Tat. Der Theologe Claus Westermann beschreibt das so: ‚Das Werfen des Hasses auf einen anderen ist wie das Spannen eines Bogens. Der Pfeil muss nun in jedem Moment von diesem gespannten Bogen losschnellen‘. Spüren sie es? Das ist noch viel brutaler als Hass als allgemeine Gesinnung. Der Hass schnellt früher oder später los wie ein Pfeil, der trifft… Interessant dünkt mich, wen Josefs Brüder im Visier haben. Eigentlich müsste ihr Hass den Vater treffen. Doch auf ihn zu zielen wagen sie nicht. Allein ihr jüngster Bruder wird zur Zielscheibe. Natürlich sie wollen mit seinem angeblichen Tod auch den Vater strafen. Aber ausbaden muss das Schlamassel Josef. Immerhin wird er nicht umgebracht. Aber als Sklave verkauft zu werden, ist alles andere als lustig. Hier möchte ich vorgreifen und sie ‚gluschtig‘ machen auf die Folgegeschichte. Manches läuft ungerecht im Leben von Josef – zuerst wird er ungerecht bevorzugt, dann wollen ihm die verschiedensten Menschen ungerecht einen Strick drehen. Doch erstaunlicherweise beweist Josef jedes Mal, dass er weitaus mehr ist als ein verwöhntes Vatersöhnchen. Natürlich war es nicht grad vorbildlich, wie sein Vater ihn allen anderen vorgezogen hat. Doch wenn ich weiterlese, wie Josefs Leben verlaufen ist, nachdem ihn der brutale Hass seiner Brüder getroffen hat, sehe ich die Sache mit dem Verwöhnen nicht so negativ. Ein Kind wird allzu leicht verwöhnt, wenn es alles bekommt und zwar sofort. Wenn Verwöhnen bedeutet: Kleine Diktatoren heranziehen, eitle Egoisten, dann ist es schädlich und wird Kinder nicht gerade zu sympathischen Mitmenschen heranwachsen lassen. Verwöhnen, das entmündigt und keine Chance zum Erproben gibt, macht schwach und lebensuntüchtig. Wenn Verwöhnen aber heisst: Dem Kind alle Liebe geben, ihm den Rücken stärken, es aufbauen, dann gibt es eine Basis für das spätere Leben, die nicht nur durch Höhen, sondern auch durch Tiefen trägt. Offensichtlich hat Josefs Vater ihm Rückgrat, Glaube und Werte mitgegeben. Josef hat nicht nur den Verkauf in die Sklaverei und das Gefängnis überstanden, sondern konnte Jahre später vergeben und seinen Brüdern mit Liebe begegnen. Er war sich der Liebe seines Vaters so sicher, dass er wahrhaftig schwere Zeiten innerlich unbeschadet hat durchstehen können. Dazu hat ihm sein Vertrauen in Gott geholfen. Vermutlich hat er auch das durch die Zuwendung seines Vaters gelernt... Josefs Brüder bekommen ebenfalls die Chance, ihren guten Kern zu zeigen und eine neue Beziehung zu ihrem Bruder aufzubauen. Sie werden nach einigen Wirren erleben: Nur dank Josefs besonderer Stellung als rechte Hand des Pharaos in Ägypten, wird unsere ganze Grossfamilie vom Hungertod bewahrt. So sind die Träume von Josef keine Einbildung. Gott hat wirklich mit ihm und seiner Familie etwas Besonderes vor. Nicht nur Josef wird überleben. Die ganze Familie wird dank ihm überleben. Und auch Ägypten wird dank ihm überleben. –Erinnern wir uns? Niemand kommt zu kurz… So ist die Josefsgeschichte zwar auf den ersten Blick unfair, aber sie macht gleichzeitig Mut: Denn am Schluss steht Versöhnung. Josef sagt nach dem Tod ihres Vaters zu seinen Brüdern: „Ihr zwar habt Böses mit mir geplant, Gott aber hat es zum Guten gewendet.“ (1. Mose 50,20)Trotz allem, was in dieser Familie schief gelaufen ist, ist es zuletzt gut gekommen. Offensichtlich hat noch ein anderer seine Hand über diese Familie gelegt. Gott aber hat es zum Guten gewendet. Ich lade sie ein, das in Anspruch zu nehmen für die Familiensituation, in der sie stehen: Selbst wenn es noch so ‚strub‘ zu und hergehen mag und gewisse Dinge alles andere als perfekt laufen, heisst das nicht, dass damit alles verloren ist. Und wenn wir als Einzelne, Ehepartner und Familien gefordert sind, nicht durch Ungerechtigkeit und Hass, sondern durch andere Probleme und Krankheit: Gott kann es zum Guten wenden! Halten wir daran fest, selbst wenn wir im Moment noch im Dunkel der Zisterne sitzen und kein Ausweg in Sicht ist? Amen.
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