Grüne Bewertung des Entwurfs eines Berliner Strafvollzugsgesetzes

Pressegespräch, 23.9.2015
HEILMANNS STRAFVOLLZUGSGESETZ:
TOP ODER FLOP?
Das Strafvollzugsgesetz ist das wichtigste rechtspolitische Projekt in der Amtszeit von Justizsenator
Thomas Heilmann. Berlin macht als letztes Bundesland von der Zuständigkeit für den Strafvollzug
Gebrauch: Diese ging 2006 im Zuge der Föderalismusreform vom Bund auf die Länder über.
Gestaltungswillen scheint Heilmann ganz zu fehlen. Im Gegenteil: Der Entwurf genügt weitgehend nur
verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen und setzt auf Härte. Der Entwurf bleibt an vielen
Stellen hinter dem zurück, was im Strafvollzugsgesetz des Bundes oder anderer Bundesländer
Standard war bzw. ist (siehe Seite 2-4).
RESOZIALISIERUNG – CHANCE VERTAN
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Positiv ist zwar, dass die „Grundsätze der Vollzugsgestaltung“ ausdifferenziert und im Hinblick
auf die Resozialisierung der Gefangenen erweitert werden sollen: Der Vollzug soll „von Beginn
an“ auf die Eingliederung der Gefangenen in das Leben in Freiheit hinwirken (§ 3 Abs. 2 E).
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Allerdings stellt die Kostenschätzung des Senats in Frage, ob es Rot-Schwarz mit diesem
Grundsatz ernst meint. Justizsenator Heilmann geht davon aus, dass das Gesetz „mit keinen
Kostensteigerungen“ für den Landeshaushalt verbunden sein wird, da nur die „bestehenden
Standards abgebildet und gesetzlich festgeschrieben“ werden sollen.
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Das klingt nach status quo statt nach einer Weiterentwicklung des Strafvollzugs in Richtung
Resozialisierung, die nach Meinung aller ExpertInnen zusätzliche Mittel für
Behandlungsprogramme und Therapien erfordern würde. Eine erfolgreiche Resozialisierung ist
der beste und effektivste Weg, um die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen.
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Berlins bestehende Defizite bei der Resozialisierung zeigen sich besonders an der geringen
Zahl der vorzeitigen Haftentlassungen, die nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten
Strafe möglich ist: Während im Bundesdurchschnitt mehr als 16 % der Gefangenen vorzeitig
entlassen werden (in Bayern gar 23,4 %), bildet Berlin mit 7,78 % seit Jahren und mit Abstand
das bundesweite Schlusslicht. Das deutet darauf hin, dass es Berlin bundesweit am wenigsten
gelingt, Gefangene zu befähigen, ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu
führen.
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VOLLZUGSFORMEN
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Im klaren Widerspruch zum von Heilmann formulierten Eingliederungsgrundsatz steht die
Abschaffung des offenen Vollzugs als Regelvollzug. Der offene Vollzug bietet Gefangenen die
Chance, ihren Arbeitsplatz und ihre sozialen Bindungen nicht durch die Inhaftierung zu
verlieren. Gerade der Erhalt des Arbeitsplatzes bildet einen wichtigen Schutz gegen die Gefahr
des Rückfalls.
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Die Unterbringung im geschlossenen Vollzug mit den bekannten negativen Folgen für
Gefangenen sollte vor allem dort vermieden werden, wo lediglich Ersatzfreiheitsstrafen (d.h. in
Fällen der wiederholten Beförderungserschleichung) vollstreckt werden.
Berliner Strafvollzugsgesetz (Entwurf)
Strafvollzugsgesetz des Bundes
§ 16 (1) Die Gefangenen werden im geschlossenen
oder im offenen Vollzug untergebracht.
Abteilungen des offenen Vollzugs sehen keine
oder nur verminderte Vorkehrungen gegen
Entweichungen vor.
§ 10 (1) Ein Gefangener soll mit seiner
Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des
offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er
den besonderen Anforderungen des offenen
Vollzuges genügt und namentlich nicht zu
befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der
Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten
des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen
werde.
ARBEITSPFLICHT
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Anders als geplant, hat Senat die Arbeitspflicht im Berliner Strafvollzug nicht abgeschafft.
Mangels Beschäftigungsmöglichkeiten kann er diese ohnehin nur „zur Hälfte“ umsetzen
(Beschäftigungsquote 2014: 52,1 %).
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Da die sozialrechtliche Voraussetzung für die Aufnahme in die Rentenversicherung und in
weitere Sozialversicherungen jedoch das Merkmal der „Freiwilligkeit“ der Beschäftigung ist,
sind die Gefangenen in Berlin damit weiterhin von der Rentenversicherung ausgeschlossen.
Berliner Strafvollzugsgesetz (Entwurf)
Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz
§ 24 (1) Gefangene sind zur Teilnahme an
arbeitstherapeutischen Maßnahmen oder
Arbeitstraining oder zu Arbeit verpflichtet, wenn
und soweit sie dazu in der Lage sind. […]
§ 30 (1) Den Gefangenen soll Arbeit angeboten
und ihnen auf Antrag oder mit ihrer Zustimmung
zugewiesen werden, soweit dadurch nach dem
Vollzugs- und Eingliederungsplan vorrangige
Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden.
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BESUCHSZEITEN
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Auch wenn der Senat auf die Kritik von AnwältInnen sowie Sozialverbänden reagiert und die
Mindestbesuchszeit von einer auf zwei Stunden erhöht hat, bleibt der Entwurf damit immer
noch hinter dem etwa in Brandenburg geltenden Standard zurück. Die Gefangenen haben dort
Anspruch auf mindestens vier Stunden Besuch pro Monat.
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Es muss an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden, dass die Aufrechterhaltung sozialer
Kontakte eine ganz entscheidende Rolle bei der sozialen Wiedereingliederung spielt. Die
gesetzliche Regelung sog. Langzeitbesuche in § 29 Abs. 4 ist zwar im Grundsatz zu begrüßen.
Wie an vielen anderen Stellen sieht der Entwurf jedoch lediglich eine Ermessensvorschrift
(„kann“) vor, statt den Gefangenen einen sicheren (einklagbaren) Anspruch zu gewähren.
Damit ist die Gefahr verbunden, dass Langzeitbesuche und andere in das Ermessen der Anstalt
gestellte „Privilegien“ als Belohnung für besonders angepasstes Vollzugsverhalten
instrumentalisiert werden. Ein solcher Stufen- bzw. Chancenvollzug führt nur vorübergehend
und vordergründig zu einer Anpassung an das fremdbestimmte Leben im Strafvollzug. Für eine
dauerhafte Resozialisierung ist damit wenig gewonnen.
Berliner Strafvollzugsgesetz (Entwurf)
Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz
§ 29 (1) Die Gefangenen dürfen regelmäßig
Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt
mindestens zwei Stunden im Monat. Bei Besuchen
von minderjährigen Kindern der Gefangenen
erhöht sich die Gesamtdauer der Besuchszeit nach
Satz 2 um eine weitere Stunde. Näheres zum
Verfahren und zum Ablauf der Besuche regelt die
Anstalt. […]
§ 34 (1) Die Gefangenen dürfen regelmäßig
Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt im
Vollzug der Freiheitsstrafe und der
Untersuchungshaft mindestens vier, im Vollzug der
Jugendstrafe und der Untersuchungshaft an
jungen Untersuchungsgefangenen mindestens
sechs Stunden im Monat. [...]
(4) Die Anstalt kann über Absatz 1 hinausgehend
mehrstündige, unbeaufsichtigte Besuche
(Langzeitbesuche) zulassen, wenn dies zur Pflege
der familiären, partnerschaftlichen oder diesen
gleichzusetzender Kontakte der Gefangenen
geboten erscheint und die Gefangenen hierfür
geeignet sind.
(4) Mehrstündige, unbeaufsichtigte Besuche
(Langzeitbesuche) sind zuzulassen, wenn dies zur
Pflege der familiären, partnerschaftlichen oder
ihnen gleichzusetzender Kontakte der Straf- und
Jugendstrafgefangenen geboten er-scheint und
die Straf- und Jugendstrafgefangenen hierfür
geeignet sind. Die Entscheidung trifft die
Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter.
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PAKETE
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Mit dem Verbot der sog. Oster-, Weihnachts-, und Geburtstagspakete fällt der Entwurf sogar
noch hinter das geltende Strafvollzugsgesetz des Bundes zurück.
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Abgesehen davon, dass den Gefangenen im Rahmen des Anstaltseinkaufs Waren zu teils
erheblich überhöhten Preisen angeboten werden, ist der Erhalt eines Pakets für viele
Inhaftierte, die keine regelmäßigen Besuch erhalten, der einzige Bezug zu Menschen außerhalb
des Strafvollzugs. Wenn beispielsweise Brandenburg ohne Paketverbot auskommt, sollte dies in
Berlin auch möglich sein.
Berliner Strafvollzugsgesetz (Entwurf)
Strafvollzugsgesetz des Bundes
§ 41 (1) Den Gefangenen kann gestattet werden,
Pakete zu empfangen. Der Empfang von Paketen
mit Nahrungs-, Genuss- und Körperpflegemitteln
sowie Arzneimitteln ist untersagt.
§ 33 (1) Der Gefangene darf dreimal jährlich in
angemessenen Abständen ein Paket mit Nahrungsund Genussmitteln empfangen. Die
Vollzugsbehörde kann Zeitpunkt und
Höchstmengen für die Sendung und für einzelne
Gegenstände festsetzen.
KOMMUNIKATION
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Die Kommunikation per Internet und E-Mail seit eine Selbstverständlichkeit. Entgegen
Heilmanns früherer Ankündigungen soll dies aber auch in Zukunft nicht für den Berliner
Strafvollzug gelten. Dies widerspricht dem Angleichungsgrundsatz in § 3 Abs. 3 E, wonach das
Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist.
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Missbrauch der Kommunikation könnte durch technische Kontrollen begegnet werden, wie es
z.B. in Norwegen seit Jahren erfolgreich praktiziert wird.
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Stattdessen folgt Berliner dem Vorbild anderer Bundesländer und stellt „andere Formen der
Telekommunikation“ in § 40 E unter einen doppelten Vorbehalt: Danach „kann“ die Anstalt es
Gefangenen gestatten „von der Aufsichtsbehörde zugelassene Formen der Telekommunikation
auf ihre Kosten zu nutzen“.
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