„Kunst soll uns emotional berühren“

Mittwoch
KULTUR
9. MÄRZ 2016
MORGEN
Das Interview: David Philip Hefti über das Leben als Komponist, über die Aufgabe in der Gesellschaft und sein neues Orchesterwerk „Arioso“
Lesung: Texte von Villon und
Heine im Theater Felina Areal
„Kunst soll uns emotional berühren“
Die Bitterkeit
des Lebens
Von unserem Redaktionsmitglied
Stefan M. Dettlinger
Von unserem Mitarbeiter
Eckhard Britsch
Winter im Jungbusch. Graues Licht
fällt durchs Fenster und erhellt einen
Ort, der etwas künstlich Frühlingshaftes hat, proben die Zimmerpflanzen darin doch den Aufstand gegen
Kälte und Tristesse. Da sitzt er also.
Entspannt und gut gelaunt. Im Jackett. Im karierten Hemd. Ein akkurates Lächeln auf den Lippen. Einen
Hauch Intellektualität versprüht er
genauso wie einen Touch Großbürgertum. Den Ort hoch über den zusammenfließenden Wassern von
Verbindungskanal und Neckar bezeichnet er als „zweites Wohnzimmer“, und die Speisekarte des Restaurants „Küche“ kennt er auswendig. David Philip Hefti ist Komponist.
Wie einst Beethoven schreibt er per
Hand Noten auf Papier, die dann von
anderen gespielt werden. Am Montag
wird er ein Werk in Mannheim uraufführen – darüber sprechen wir.
Herr Hefti, Sie sind Komponist und
wollen sicherlich etwas Bleibendes
schaffen. Wie fühlt sich das an in einer Gesellschaft, die immer schneller und kurzlebiger wird?
David Philip Hefti: Ich fühle mich oft
wie im Auge eines Sturms. Mein Arbeitsrhythmus ist extrem langsam, da
ich nur drei bis vier Werke pro Jahr
schreibe – und draußen zieht die Welt
in Windeseile an mir vorbei. Ich genieße diese Ruhe und bin auch bei
vollem Terminkalender nur selten
gestresst. Ich entziehe mich gern und
fast immer erfolgreich der Hektik unserer Zeit. Allerdings: Ich habe noch
nie darüber nachgedacht, was mit
meinem Werk geschieht, wenn ich
einmal nicht mehr bin. Ich lebe intensiv im Hier und Jetzt und überlasse die Entscheidung der Nachwelt.
Stellen Sie sich denn die Frage, was
Sie der Gesellschaft nützen, welche
Relevanz Ihr Dasein hat?
Hefti: Ständig, ich verfolge ja auch das
tagesaktuelle Geschehen in der Welt.
Komponisten sind Seismographen
einer Gesellschaft und haben die
Möglichkeit des musikalischen Kommentars – ob nun vordergründig oder
subtil. Musik hat nicht die Macht, die
Welt zu ändern. Aber sie kann Menschen zum Nachdenken bringen, gar
inspirieren. Sie trägt also zur Weiterentwicklung einer Gesellschaft bei.
„Wir haben die Kunst, damit wir
nicht an der Wahrheit zugrunde
gehen“, meinte der auch komponierende Philosoph Friedrich
Nietzsche. Seine Zeitgenossen hießen Wagner, Verdi, Brahms oder
Mahler. Wie fühlen Sie sich mit
dem Spruch in der Welt von Heute?
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Er nennt es sein zweites Wohnzimmer: Komponist David Philip Hefti beim Espresso im Restaurant „Die Küche“ im Mannheimer Jungbusch.
Hefti: Es ist in meinen Augen die
Pflicht eines Künstlers, den Menschen den Spiegel vorzuhalten, sie
anzuregen oder gar wachzurütteln.
Die tägliche Arbeit an meinen Partituren ist aber auch meine persönliche Flucht in eine andere Welt. Die
Musik hilft mir also tatsächlich,
„nicht an der Wahrheit zugrunde zu
gehen“! Nicht zuletzt hat sie eine im
besten Sinn unterhaltende Komponente: Wir gehen ins Konzert und lassen uns während zwei Stunden in andere Gefilde entführen…
Ihr „Arioso“ entwickelt sich aus einem Knall heraus zum komplexen
sinfonischen Satz, der vielleicht
postmodern zu nennen ist. „Arioso“
ist ja etwas Gesungenes, Melodiöses, Fassbares. Welche Rolle spielt
für Sie Verständlichkeit der Musik?
Hefti: Viel wichtiger ist mir die „Fasslichkeit“ meiner Musik im Sinne Weberns: Ein Werk darf niemals beliebig
klingen! Bereits beim ersten Hören
sollen – bei aller Komplexität – einige
Eckpfeiler im Gedächtnis haften bleiben. Das erreiche ich in „Arioso“
durch eine stringente Dramaturgie,
durch einen transparenten, farbigen
und abwechslungsreichen Orchestersatz sowie durch musikalische
Komponist David Philip Hefti, sein Werk und das Konzert
쮿 Der Komponist: David Philip Hefti
ist 1975 in St. Gallen geboren. Er studierte an den Musikhochschulen von
Zürich und Karlsruhe bei Rudolf Kelterborn, Wolfgang Rihm und Cristóbal
Halffter. Er wohnt in Zürich und Mannheim, von wo aus er sich als Dirigent
und Komponist engagiert. Hefti versteht sich zwar als Komponist in der
Traditionen der Moderne, will aber,
dass seine Musik unmittelbar Menschen anspricht. Er gehört zu den
meistgespielten Schweizer Komponisten der vergangenen Jahre.
Gesten wie Melodiefragmente. „Arioso“ entstand während der Arbeit an
meiner ersten Oper „Annas Maske“
und ist daher eine Hommage an die
Kunst des Singens und an das Nationaltheaterorchester, das sich mehrheitlich Opernaufführungen widmet.
Es geht auch um Verstehen. Die
Leute sagen doch gern: Ich verstehe
nichts von klassischer Musik…
Hefti: Kunst ist nicht dazu da, um verstanden zu werden – im Gegenteil: Sie
soll uns emotional berühren und Fra-
쮿 Das Werk „Arioso“: Es gehört zu
Heftis Eigenarten, dass er seine
Werke in Beziehung mit Programmen
setzt. So hat das rund 17-minütige
„Arioso“ eine vielleicht nicht unverhohlene, wohl aber psychologische
Nähe zu Brahms’ Violinkonzert und
Mahlers Adagio aus der „Zehnten“,
die im gleichen Konzert erklingen.
쮿 Das Konzert: 14./15. März, 20 Uhr,
Rosengarten Mannheim. Nationaltheaterorchester unter Hefti. Solistin
in Johannes Brahms’ Violinkonzert:
Viviane Hagner (Info: 0621/2 60 44).
gen aufwerfen. Insofern ist es für einen Konzertbesucher sogar ideal,
nichts von klassischer Musik zu verstehen. Die einzigen Voraussetzungen für ein intensives Konzerterlebnis sind Neugier und Offenheit.
Ist das Ihr Ernst?
Hefti: Absolut! Es wäre mein Traum,
ganz ohne Fachwissen in ein Konzert
gehen zu können. Das analytische
Gehör läuft aber im Hintergrund immer mit. Leider. Aus diesem Grund
sind Kinder oft die besten Zuhörer, da
BILD: RINDERSPACHER
sie eine enorme Begeisterungsfähigkeit mitbringen, und ihre Ohren noch
nicht verdorben sind. Natürlich gibt
mir ein Konzert auch die intellektuelle Stimulation, ohne die ich nicht leben kann. Es ist äußerst reizvoll, das
Gehörte in den Kontext der Musikgeschichte zu stellen und die Zusammenhänge zu entdecken.
Gelitten haben beide; am Ich, am Leben, an den Umständen, kurzum an
allem, was eine sensible Künstlerseele irgendwann nicht mehr aushalten möchte. Die Rede ist von den
Dichtern François Villon und Heinrich Heine, die der Schauspieler
Ernst Alisch im Theater des FelinaAreals in Mannheim zusammenspannte und in eindrucksvoller Rezitation vortrug. Eine Koppelung, die
Sinn macht, denn beide hinterfragten Dasein und Gesellschaft, versuchten den Ausbruch, um letztlich
zu scheitern. Oder doch nicht? Warum sagen und geben uns die Balladen und Gedichte der beiden auch
heute noch so viel?
Zum Beispiel Heines „Götterdämmerung“, in der er die Scheinwelt von Liebe und Glück, Unbefangenheit und Eitelkeit aufs Korn
nimmt. Denn draußen vor dem
Tore, wo Jungfrauen töricht auf die
Tändeleien warten, da reißt Heine
dem „eignen Engel“ die Seligkeit aus
zärtlicher Umschlingung. Denn in
ironisch-böser Brechung spürt der
Dichter dem Zusammenbruch aller
Illusion nach, die im metaphorischen Dunkel der Nacht münden
muss. Bei François Villon, dem Vagabunden, Messerstecher, Bürgerschreck, Räuber und hoffnungslos
am Leben hängenden Magister Artium (1452), geht es robuster zu. Denn
seine Balladen reflektieren die Wut,
die den Dichter umtreibt („Vor vollen Schüsseln muss ich Hunger leiden“), seinen bitteren Spott über das
Establishment und seine Angst, die
er mit frechen Reimen kaschiert.
Rezitation mit Musik
Brauchen Sie einen Kippschalter?
Hefti: Ja, das wäre großartig! Und
wenn wir schon dabei sind: Auch Ohrenlider hätte ich gerne.
Um die Welt draußen mit den hässlichen Geräuschen auszublenden?
Hefti: Das klingt mir zu pessimistisch,
da ich auf keinen Fall die wundervollen Geräusche dieser Welt missen
möchte. Es wäre aber fantastisch,
wenn man mit Ohrenlidern selektiv
etwa die Musikdauerberieselung in
Aufzügen, Restaurants und öffentlichen Räumen ausblenden könnte.
Auch bei gewissen Gesprächen könnte das hilfreich sein… (lacht)
Sie meinen Gespräche wir unseres?
Hefti: Die Frage war nach meiner
Steilvorlage zu erwarten! (lacht) Ich
fand unser Gespräch sehr erfrischend, vielen Dank dafür!
Ernst Alisch hat mit seiner Rezitation
diese vielen Facetten beider Dichter
offengelegt, ohne etwa nach alter
Mimenart zu überziehen. Das glückt
ihm außerordentlich nahegehend
und intensiv. Komplementär gesellt
sich dazu die Musik von Johannes
Alisch, der auf einem interessanten
Instrument improvisierend delikate
Klänge beisteuert. Die dem Cello ähnelnde „Campanula“ ist im Korpus
der Glockenblume nachgebildet
und verfügt zur üblichen Quintstimmung über obertonreiche Resonanzsaiten. Was ein ganz eigenwertiges Klangspektrum ergibt, das der
Musiker sensibel ausnutzt.
i
Wieder am 11. und 12.3 , 20 Uhr,
Felina-Areal, Mannheim.
Was morgen wichtig ist
쮿 Konzert von Sarah Connor
Kabarett: Gerhard Polt und seine Musikanten begeistern in der Heidelberger Stadthalle
Kulturpolitik: Heidelberger Künstlerinnenpreis ohne Gründerin
Spöttisches Poltern
Sperber nicht mehr in Jury
Von unserem Mitarbeiter
Eckhard Britsch
Das sind wirklich drei lustige Musikanten, die Gerhard Polt dabei hat.
Christoph, Karl und Michael Well
haben flugs ein Heidelberg-Liedchen getextet, in dem einiger Spott
über die Neckarstadt und ihre Granden verbreitet wird.
Die Biermoos-Brothers sind
schlau, sie krallen sich kurz vor dem
Auftritt einen Szene-Kenner und lassen sich berichten, wie es ums Kongresszentrum und andere örtliche
Delikatessen steht. Das wird dann in
einen leicht guttural klingenden
Sound verpackt und nimmt die Hörer gleich mit in die rasante Fahrt
durchs gesellschaftliche Panoptikum. Dass sie diesen cleveren Trick
anderswo anwenden, tut dem Spaß
keinen Abbruch, denn der funktioniert ebenso in Kreuztal. Das liegt bei
Siegen, und auch dort war die Stadthalle rappelvoll.
Polt und seine hochmusikalischen Mitspieler, Sänger, Geschichtenerzähler und Tänzer sind anschauliche Welterklärer. Denn der
Kosmos spiegelt sich im Kleinen, im
Marktflecken Hausen, wo die Eitelkeiten und das Paradoxe, Demokra-
tie und Geschichte ihren festen Platz
haben. Der neue Kreisverkehr wird
zum Synonym dafür, was alles
schiefgehen kann: Wer in Hausen
haust, dem erschließt sich nahtlos
das große Ganze. Die vordergründige Koketterie lässt aber immer den
galligen, ja auch bösen Hintergrund
aufleuchten, vor dem sich das alles
abspult. Wenn auch einige Hörer direkte Polit-Bosheiten vermisst haben mögen, der Gerhard Polt verpackt sie in räsonierende Monologe,
deren Biss in ironischer Brechung
umso nachhaltiger daherkommt.
Toleranter sei er geworden seit
dem Rentnerdasein. Das exemplifiziert er anhand seiner sanften Hin-
Zupackend: Gerhard Polt.
BILD: ROTHE
führung des Enkels, liebevoll Bubi
genannt, in die großen Zusammenhänge, welche unser Dasein begründen. Beispielhaft im neuen Haus der
Geschichte zu Hausen, wo Devotionalien rund um Stoiber und den
Landrat erhellen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Beziehungen, die zum gloriosen Schein der
Akteure beitragen. Polt setzt die Giftspritzen subkutan, und wenn sie ihre
Wirkung zeitverzögert entfalten, bedingt auch durch das Hausener
Idiom, sind sie nicht minder effektiv.
Bajuwarischer Humor
Köstlich gelingt die musikalische Parodie auf die Festlichkeiten zur Weihe des neuen Feuerwehrhauses. Ein
gewisser Georg Friedrich Händel
blieb mit seiner Kutsche zwischen
Wien und London in Hausen hängen, und rastlos komponierte er eine
Suite, die alles parodiert, was sich,
zwischen Tanz der Feuerwehr-Jungfrauen und Segnung durch den
Monsignore zuträgt. Der Vorrat
scheint unerschöpflich, etwa wenn
Polt den automobilen Wahn verherrlicht, sich aber gleichzeitig ökologisch gibt: Elfenbein-Bedienungsknöpfe, die gehen gar nicht. Am
Ende helle Begeisterung.
Das Theater der Stadt
und die Stadt Heidelberg selbst haben
nach Informationen
unserer Zeitung der
Mit-Gründerin und
langjährigen Jurorin
des Heidelberger Künstlerinnenpreises Roswitha Sperber (Bild) die Zusammenarbeit in der Jury aufgekündigt. Über den Grund dieses Schritts
gibt es verschiedene Spekulationen.
Eine davon besagt, es habe Probleme
bei der Kommunikation zwischen
Sperber und den anderen Protagonisten der Auszeichnung gegeben.
Die Pressestelle der Stadt bestätigte
gestern zumindest die personelle
Umbesetzung des Gremiums.
Die Sängerin Roswitha Sperber
gehört neben dem Land BadenWürttemberg zur Gründerin des
Heidelberger Künstlerinnenpreises.
Die Auszeichnung will das Schaffen
zeitgenössischer Komponistinnen
unterstützen.
dms (BILD: ROTHE)
Ihr Erfolgsalbum „Muttersprache“ mit deutschsprachigen
Texten stellt die Popsängerin
Sarah Connor um 20 Uhr in
der SAP Arena vor.
쮿 Ulla Meinecke im Capitol
Auch eine starke Stimme:
Deutsch-Pop-Veteranin Ulla
Meinecke tritt um 20 Uhr im
Capitol Mannheim auf.
쮿 Schräges mit Johanna Zeul
Im Heidelberger Karlstorbahnhof präsentiert Johanna
Zeul um 21 Uhr wunderbar
schräge Popsongs.
Klassik: Konzert des Kurpfälzischen Kammerorchesters im Rittersaal des Mannheimer Schlosses
Flinke Finger und wohlige Klänge
Der wichtigste Programmpunkt kam
gleich zu Beginn des jüngsten AboKonzerts des Kurpfälzischen Kammerorchesters (KKO) im Rittersaal
des Mannheimer Schlosses. Das
Ehepaar Josephine und Hans-Werner Hector erhielt den „Ehrenpreis
des KKO für außergewöhnliche Verdienste“. Das Ehepaar hatte in einer
Zeit größter finanzieller Probleme –
das Land Rheinland-Pfalz hatte die
Unterstützung eingestellt – die Existenz des Orchesters gesichert.
Musik gemacht wurde dann auch
noch, und das auf einem Niveau, das
das Engagement der Hectors im
Nachhinein vollauf rechtfertigte.
Auch bei der Auswahl der Solisten
hatte man bei diesem Konzert ein
glückliches Händchen.
Die Fagottistin Rie Koyama bewies bei Antonio Vivaldis FagottKonzert d-Moll, dass sie nicht nur
beeindruckend flinke Finger besitzt,
sondern auch einen ausnehmend
schönen Ton – der zweite Satz des
Konzerts wurde so zu einer lyrischen
Preziose.
Beim Spiel des Hornisten Christoph Eß vergaß man, wie heikel störungsanfällig sein Instrument ist – da
gab es bei Mozarts Hornkonzert EsDur KV 417 trotz allerhöchster spieltechnischer Anforderungen keine
Kiekser und keinen verrutschten
Ton, dafür umso mehr hornistischen Wohlklang; es ist ein reines
Vergnügen, Christoph Eß zuzuhören.
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