Entscheidungen | Arbeitsrecht Lämpe | BB-Kommentar zu BAG · 13.1.2015 – 3 AZR 897/12 BAG: Auslegung einer Versorgungsordnung – Gesamtzusage und Gesamtversorgung BAG, Urteil vom 13.1.2015 – 3 AZR 897/12 Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2015-1268-1 unter www.betriebs-berater.de AMTLICHE LEITSÄTZE 1. Ein im Wege der Gesamtzusage erteiltes Versorgungsversprechen ist regelmäßig dynamisch. 2. Verspricht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Gesamtversorgung, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Betriebsrente erst beansprucht werden kann, wenn gleichzeitig eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird. BetrAVG § 1 BB-Kommentar „Gesamtversorgungszusage im Wege der Gesamtzusage – Dynamik – Bezug von Sozialversicherungsrente als Leistungsvoraussetzung“ PROBLEM Wurde eine Versorgungszusage im Wege der Gesamtzusage erteilt und ändern sich später die Inhalte einer Versorgungsordnung, auf die der Arbeitgeber mit der Gesamtzusage verwies, so stellt sich die Frage, welche Versorgungsordnung auf den Berechtigten Anwendung zu finden hat. Mit seiner Entscheidung vom 13.1.2015 festigt der 3. Senat seine Rechtsprechung zur Auslegung von Gesamtzusagen (vgl. dazu jüngst auch BAG vom 10.3.2015 – 3 AZR 56/14) und entwickelt sie bezüglich einer im Wege der Gesamtzusage gemachten Gesamtversorgungszusage insofern fort, als dass er sich mit der Notwendigkeit des Bezuges der gesetzlichen Rente als Leistungsvoraussetzung befasst. ZUSAMMENFASSUNG Die Parteien stritten darüber, ob die Beklagte der Klägerin bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres Altersversorgung schulde. Die 1963 geborene Klägerin war seit 1986 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte gewährte ihren Arbeitnehmern eine Versorgung nach einer im Wege der Gesamtzusage erteilten Versorgungsordnung aus 1959. Nach 1959 kam es mehrfach zu Änderungen. 1970 wurde einer Altersrente für weibliche Angestellte bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres eingeführt. In 1991 wurde geregelt, dass Arbeitnehmerinnen nach Erfüllung einer fünfjährigen Wartezeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres Versorgungsbezüge gewährt würden. In einer weiteren Regelung zur „Zahlung“ enthielt die Versorgungsordnung eine Bestimmung, wonach die „Versorgungsbezüge (…) gekürzt um die Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen“ geleistet werden sollten. Die Klägerin vertrat die Auffassung, bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres – unabhängig vom Bezug gesetzlicher Rente – Altersrente beanspruchen zu können. In erster Instanz wurde der Klage stattgegeben. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Das BAG hielt die Revision der Beklagten für begründet. Sie sei nicht verpflichtet, bei einem Ausscheiden nach Vollendung des 60. Lebensjahres eine Altersversorgung zu gewähren, sofern zu diesem Zeitpunkt noch keine gesetzliche Rente bezogen werde. Betriebs-Berater | BB 34.2015 | 17.8.2015 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) PRAXISFOLGEN Die Entscheidung hat zwei Schwerpunkte: die Dynamik einer Gesamtzusage und die Leistungsvoraussetzungen des Bezuges der Betriebsrente in einem Gesamtversorgungssystem. Die Feststellung, dass ein im Wege der Gesamtzusage erteiltes Versorgungsversprechen regelmäßig dynamisch zu verstehen sei, ist überzeugend. Gründe, die den Arbeitsgeber gewöhnlich bereits bei Schaffung des Versorgungswerks zu einer Gesamtzusage bewegen (Vereinfachung und Vereinheitlichung), finden so auch Entsprechung im weiteren Zeitablauf. Wird die Versorgungsordnung geändert, so hat dies Wirkungen für die aktiven Beschäftigten (BAG: „Ein solches System darf nicht erstarren.“, vgl. Rn. 20). Möchte der Arbeitgeber eine statische Bezugnahme, so kann er dies – wie das BAG klarstellt – in der Versorgungsordnung zum Ausdruck bringen. Über die Auswirkungen auf Rentenbezieher oder unverfallbar Ausgeschiedene musste vorliegend nicht entschieden werden, da die Klägerin noch bei der Beklagten beschäftigt war. Hinsichtlich der Gesamtversorgung geht das BAG davon aus, dass in der Regel der Bezug der gesetzlichen Rente als Leistungsvoraussetzung auch der betrieblichen Leistung anzusehen sei. Die Begründung des BAG fokussiert sich auf die Überlegung, dass der Versorgungsschuldner mit der Zusage eines bestimmten Gesamtversorgungsgrades eine Leistung zusage, die sich in Abhängigkeit von der gesetzlichen Rente (oder auch anderen Versorgungsbezügen) als Delta ermittele. Der Arbeitgeber habe daher keine bestimmte Versorgungsleistung, sondern einen bestimmten Gesamtversorgungsgrad für die vom Arbeitnehmer erbrachte Betriebszugehörigkeit zusagen wollen. Auch vorliegend mussten, wie in der vieldiskutierten sog. „Altersgrenzenentscheidung“ des BAG vom 15.05.2012 – 3 AZR 11/10, lediglich die Auswirkungen der Anhebung der gesetzlichen Regelaltersgrenze durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz auf eine Gesamtversorgungszusage beurteilt werden. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG entscheiden wird, wenn es sich in zukünftigen Konstellationen nicht um ein Gesamtversorgungssystem handelt. Schließlich begegnet dieser Rechtsprechung (insbesondere Überlegungen zur Übertragbarkeit) nach wie vor Kritik, da die Vertragsparteien durch die in der Versorgungsordnung festgelegte Altersgrenze das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung der betrieblichen Altersversorgung definieren. Für die Praxis bedeutet die Entscheidung, dass – zumindest sofern es sich um eine Gesamtversorgungszusage handelt – regelmäßig davon auszugehen sein wird, dass die betriebliche Rente erst ab dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente gewährt werden muss. Anhaltspunkte, dass dies anders zu bewerten ist, müssen in der Gestaltung zum Ausdruck kommen. Ebenso hängt der Charakter als Gesamtversorgungsystem nicht von einzelnen Ausgestaltungen oder Formulierungen ab. Zum Ausdruck kommen muss, dass „den Versorgungsberechtigten eine Versorgung zugesagt“ wird, die „zusammen mit anderen Versorgungsleistungen ein bestimmtes Versorgungsniveau garantiert“ (vgl. Rn. 37). Es ist erfreulich, dass es bei der Auslegungsfrage hinsichtlich der Versorgungregelungen zu einer klaren Entscheidung (hier: zu Gunsten des Arbeitgebers) kam. Philipp A. Lämpe ist Rechtsanwalt bei der auf betriebliche Altersversorgung und artverwandte Leistungen spezialisierten, bundesweit tätigen Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wiesbaden. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e. V. (aba) und schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung tätig. 2047
© Copyright 2025 ExpyDoc