Aktualität Nr. 45 I 6. November 2015 reformierte presse 5 Innovationen sollen es richten Zweimal im Jahr ruft das «Forum Kirche und Wirtschaft» der katholischen Kirche Zug nach Kappel. Diesmal ging es um die Frage: Wie viel Wachstum brauchen wir, um glücklich zu sein? Heimito Nollé – Oswald Grübel, Peter Brabeck oder Martin Werlen: Dem Leiter des Forums Kirche und Wirtschaft, Christoph Balmer, gelingt es immer wieder, prominente Gäste nach Kappel zu holen. Zur 13. Ausgabe des Gesprächszyklus «Wirtschaft und Werte» kamen der Ökonom und Glücksforscher Bruno S. Frey, Simon Jäggi, Leiter des Ressorts Wachstum und Wettbewerb beim Seco, und Markus Koch, Partner bei Deloitte Consulting. Moderiert wurde das Gespräch vom Gründer der SRF-«Sternstunden», Erwin Koller. Industrielle Revolution 4.0 Nach einer Andacht in der Kirche widmete man sich der Frage, wie viel Wachstum unsere Wirtschaft braucht. Bringt Wachstum immer Wohlstand? Und wie hängen Wohlstand und Glück zusammen? Zunächst hatten die drei Gäste die Gelegenheit, ihre Überlegungen in einem Referat vorzustellen. Frey stellte in seiner Prä- sentation die Frage, ob Glück an das Einkommen gekoppelt ist. Es sei statistisch erwiesen, dass ein höheres Einkommen zu mehr Zufriedenheit führe. Allerdings nur bis zu einer gewissen Einkommenshöhe. Wer zu reich sei, verliere wieder etwas an Lebensglück, meinte er. Jäggi ging in seinem Vortrag auf die Frage ein, ob Wachstum notwendig mit dem Verschleiss von Ressourcen und Umwelt verbunden sei. Die Waldflächen in der Schweiz seien heute grösser als vor hundert Jahren, und auch die Seen seien weitaus sauberer. Im Endeffekt überwögen die positiven Seiten des Wachstums deutlich. Am stärksten blies DeloitteMann Koch in die Posaune des Wachstumsoptimismus: Neue Technologien und Wirtschaftsformen wie «Sharing Economy» hätten die industrielle Revolution 4.0 bereits eingeläutet. Für Europa gelte es jetzt, sich darauf einzustellen und den Rückstand zu Amerika wettzumachen. Man war sich also grundsätzlich einig: Ohne Wachstum geht es nicht. Aber wo liegen die Grenzen des Wachstums? Wann wird Wachstum destruktiv? Und wäre es nicht die Aufgabe der Ethik, eine solche Grenze festzulegen? Foto: Martin Platter Am «Forum Kirche und Wirtschaft» war man sich einig: Ohne Wachstum geht es nicht Bruno S. Frey, Markus Koch, Simon Jäggi und Moderator Erwin Koller. In der Diskussionsrunde relativierte Frey: Das Materielle sei zwar eine Voraussetzung für individuelles Glück, aber es sei «ganz bestimmt nicht das Einzige». Zum Glück gehörten auch Freundschaften, Familienbeziehungen, Gesundheit oder politische Partizipation. Auch religiöse Menschen seien oft die glücklicheren Menschen. Die Forschung habe zudem gezeigt, dass freiwillige Arbeit glücklich mache. Wenig Widerspruch Auch Jäggi relativierte seinen Standpunkt moderat, indem er zugab, dass nicht alle negativen Nebenwirkungen von Wachstum vermieden werden könnten. Einzig Koch ritt ungebremst auf der Welle der Technik-Euphorie und antwortete auf die Frage, ob man denn mit Innovationen alle Pro bleme lösen könne, klar: «Ja, das kann man.» Von ihm kam auch die fragwürdige Behauptung, wir müssten unsere Ethik neu erfinden und an den technologischen Wandel anpassen. Schade, dass gerade diese Ansicht nicht eingehender diskutiert wurde. So interessant und lebendig die Ausführungen an diesem Abend waren: Irgendwie hatte man den Eindruck, nur eine Seite gehört zu haben. Es hätte der Veranstaltung gutgetan, wäre neben den drei wirtschaftsfreundlichen Gästen auch noch die eine oder an dere kritische Stimme zu Wort gekommen. Warum nicht ein Vertreter des Konzepts der sogenannten Décroissance? Etwas mehr Widerspruch hätte die Glücksmomente der Besucher sicher noch gesteigert. Das musste nun der Apéro riche richten. «Wir wollen den Dialog auf Augenhöhe» Forumsleiter Christoph Balmer will Vorurteile zwischen Kirche und Wirtschaft abbauen Christoph Balmer ist Leiter der Fachstelle Forum Kirche und Wirtschaft der katholischen Kirche Zug. Seit 2010 organisiert er Podiumsdiskus sionen zu wirtschaftsethischen Fragen. Im Gespräch mit Heimito Nollé erklärt er, worum es ihm dabei geht. Herr Balmer, zum Forum kommen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kirche und Politik. Veranstalten Sie in Kappel ein WEF en miniature? Das ist etwas übertrieben (lacht). Man trifft sich ja nicht über mehrere Tage. Aber das Forum hat sich als Veranstaltung etabliert, an der wichtige wirtschaftsethische Fragen debattiert werden. Und die Veranstaltung wird vor allem für Networking genutzt? Auch, aber das ist nicht die Hauptsache. Im Zentrum stehen die eingeladenen Referenten und ein interessantes Thema. Hier zählt eine gute Mischung. Wir versuchen, Wissenschaft mit Wirtschaft und Theologie oder Ethik zusammenzubringen. Da wir über zwei Stunden Zeit haben, sind vertiefte Diskussionen möglich. Wie ist die Idee zu einem Forum entstanden? Das Forum ist ein «Kind» der katholischen Landeskirche Zug. 2007/08 setzte man sich zusammen und überlegte, was man unternehmen könnte, um Unverständnis und gegenseitige Vor urteile zwischen Wirtschaft und Kirche abzubauen. Das Ergebnis war eine Fachstelle, die den Dialog auf gleicher Augenhöhe und die Schaffung von gegenseitigem Mehrwert zur Aufgabe hat. 2009 wurde ich als Fachstellenleiter eingesetzt. Können Sie mit dem Forum konkret etwas verändern? Ich bin sicher, dass das Forum für Denkanstösse in der Region Zug gesorgt hat. Als Organisator des Forums habe ich einen grossen Freiraum, Themen zu gestalten. Zum Thema Zug als Standort der Rohstoffbranche zum Beispiel haben wir die erste öffentliche Veranstaltung überhaupt gemacht. Vorher war das ein Tabuthema. Und kurz darauf kam es ja im Säuliamt zu Versammlungen gegen den Rohstoffhändler Glencore.
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