Wissenschaft im Spannungsfeld von Freiraum und Verwertbarkeit Paul Hoyningen-Huene Leibniz Universität Hannover, Institut für Philosophie Universität Zürich, Department of Economics & Philosophisches Seminar Inhalt 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Der Freiraum: Forschungsfreiheit Grundlagenforschung Angewandte Forschung Produktentwicklung Die CDG Institutionen Forschungsfreiheit und Verwertbarkeit des Wissens Gefährdungen von Wissenschaft Resultat 2 Forschungsfreiheit In Österreich festgehalten im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) und des Universitätsgesetzes (UnivG) Primär: Freiheit von politischer Einflussnahme bezüglich der • Themen der Forschung • Methoden der Forschung • Ergebnisse der Forschung • Verbreitung der Ergebnisse der Forschung Forschungsfreiheit ist ein individuelles Freiheitsrecht: insofern ein subjektives Abwehrrecht Diese Freiheit ist nicht absolut, sondern kann eingeschränkt werden bei Kollision mit anderen Rechtsgütern: dann hat eine Abwägung stattzufinden 3 Forschungsfreiheit (2) Warum gibt es Forschungsfreiheit? • Ein liberaler Staat will generell so viel Freiheit wie möglich gewähren (wieviel und wo ist natürlich politisch kontrovers) • „Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrundeliegende Gedanke mit zu berücksichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“ (BVerfGE 47, 327) 4 Forschungsfreiheit (3) „… befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“: Dienen wobei? • Kulturaufgabe der Wissenschaft – leider wissenschaftspolitisch vielfach unterbetont: Wissen wollen, wie die Welt aussieht Trägt nicht zum BSP bei!! Nicht nützlich!! Kostet nur Geld!! Richtig Wie Oper, Ballett, Theater, Konzerte, Grünflächen, Gemäldegalerien, Museen, historische Gebäude, Romane, Gedichte, Artenschutz, Naturparks, ….. 5 Forschungsfreiheit (4) Praktische Ziele der Wissenschaft: verwertbares Wissen, für jetzt oder in der Zukunft Traditionelle Haupteinteilung von Forschungstypen nach unterschiedlichem Bezug zur Verwertbarkeit: • Grundlagenforschung • Angewandte Forschung • [Produktentwicklung] Diese traditionelle Einteilung ist heutzutage wegen der Existenz vieler Übergangsphänomene nur noch beschränkt hilfreich – bspw. zur Charakterisierung der Arbeit der CD Labors –, ist aber ein nützlicher Ausgangspunkt • 6 Grundlagenforschung Grundlagenforschung: „curiosity-driven research“, inhaltlich nicht auf Verwertbarkeit ausgerichtet Aber historische Erfahrung: Die Ergebnisse dieser Forschung können später ungeahnte Anwendungen haben; je fundamentaler die Theorie, desto mehr potentielle Anwendungen Beispiele: • Zahlentheorie (Primzahlforschung): Verschlüsselung • Quantenmechanik: Transistor, damit gesamte Elektronik • Allgemeine Relativitätstheorie: GPS • Retroviren: HIV-Therapie 7 Angewandte Forschung Angewandte Forschung: „agenda-driven research“: Forschung, um für spezifische Zwecke verwertbares wissenschaftliches Wissen zu erzeugen Typischer Unterschied zur Grundlagenforschung: weniger breiter, dafür bekannter potentieller Anwendungsbereich Typische Beispiele: Ingenieurwissenschaften inkl. Informatik und Materialwissenschaften, große Teile von Pharmakologie und Medizin, Umweltwissenschaften, etc. Notwendige Differenzierung innerhalb der angewandten Forschung: • 8 Angewandte Forschung (2) Die intendierte Anwendung kann in der angewandten Forschung näher oder ferner liegen Liegt die konkrete Anwendung eher fern, so kann man hier wieder von einer Art Grundlagenforschung sprechen: Bereitstellung der Grundlagen für sehr verschiedene Anwendungen Bsp. Materialwissenschaft (ähnlich Pharmakologie und synthetische Chemie) • Anwendungsnah: Entwicklung einer neuen Materials mit bestimmten Eigenschaften durch Modifikation eines bekannten Materials • Anwendungsferner: Verständnis der grundlegenden Prozesse bei der Bildung von bestimmten Klassen von Materialien 9 Produktentwicklung Klassisch: findet in Firmen statt: erzeugt neue Produkte Das bei der konkreten Produktentwicklung gewonnene Wissen zählt typischerweise nicht als wissenschaftliches Wissen: • nicht in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert • allenfalls patentiert (möglicherweise partiell) • ist sehr spezifisch, weil produktbezogen • vor allem im jeweiligen Produkt enthalten, und • evtl. in der Firma dokumentiert Auch hier Differenzierungen nötig: 10 Produktentwicklung (2) 1. Das konkrete marktfähige Produkt kann in der Produktentwicklung näher oder ferner liegen Bsp. Untersuchung und Entwicklung grundlegender Aspekte bestimmter Produkte, z.B. automatische Getriebe, alternative Kraftstoffe; findet auch an (Technischen) Universitäten statt 2. Gibt manchmal fließende Übergange zwischen konkreter Produktentwicklung und angewandter Forschung, z.B. • Entwicklung erdbebenresistenter Gebäude • Schokoladeforschung/-entwicklung Methodisch ist Produktentwicklung oft nicht von wissenschaftlicher Forschung zu unterscheiden: Messungen, Experimente, Simulationen etc. 11 Wo stehen die CDG Institutionen? Josef Ressel Zentren: „anwendungsorientierte Forschung“: klar im Bereich Angewandte Forschung • Fragestellungen aus möglichen Anwendungen in der Wirtschaft • Kooperation mit Fachhochschulen zur Beantwortung spezifischer Anwendungsfragen • Gesuchtes Wissen ist typischerweise vor allem im Kontext der intendierten Anwendungen relevant 12 Wo stehen die CDG Institutionen? (2) Christian Doppler Labors: „anwendungsorientierte Grundlagenforschung“: „zwischen“ Grundlagenforschung und angewandter Forschung: • Fragestellungen aus möglichen Anwendungen in der Wirtschaft • Gewonnenes Wissen zählt zum Grundlagenwissen der Disziplin: es ist nicht nur im Kontext der angestrebten Anwendung wissenschaftlich von Bedeutung Also: Grundlagenforschung innerhalb der angewandten Wissenschaft Klassisches (und drastisches) Beispiel einer solchen Art von Forschung: Plasmaphysik im Kontext der Entwicklung eines Fusionsreaktors Aktuelles Beispiel: Ausscheidungsgehärtete Legierungen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften (nach der Pause) 13 Forschungsfreiheit und Wissensverwertung Zunächst zurück zur Forschungsfreiheit: Freiheit von politischer Einflussnahme bezüglich der • Themen der Forschung • Methoden der Forschung • Ergebnisse der Forschung • Verbreitung der Ergebnisse der Forschung Ist primär ein Abwehrrecht und kein Anspruchsrecht gegenüber dem Staat, d.h. die Forschungsfreiheit impliziert keinerlei Verpflichtung der Staates, einen Wissenschaftler bei einem Forschungsvorhaben zu unterstützen 14 Forschungsfreiheit und Wissensverwertung (2) Das bedeutet: Um die Finanzierung jeglicher Forschung haben sich die Forschenden selber zu kümmern, aus der Forschungsfreiheit folgt kein diesbezüglicher Rechtsanspruch Es ist daher kein Eingriff in die Forschungsfreiheit, wenn der Staat (oder andere Institutionen) durch Finanzierungsangebote die Forschung lenken (Auch die Nicht-Finanzierung von Forschung – und damit evtl. ihre faktische Verhinderung – steht mit der Forschungsfreiheit nicht grundsätzlich im Widerspruch) Daher stellt die spezifische Förderung von (wirtschaftlich) verwertbarer Forschung keinen Widerspruch zur Forschungsfreiheit dar 15 Forschungsfreiheit und Wissensverwertung (3) Welche Forschung vom Staat gefördert wird, ist eine politische Frage – soweit nicht andere Rechtsvorschriften die Förderung von Forschungsvorhaben zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben verlangen, z.B. Ressortforschung in Bundesämtern Die brisante (politische) Frage ist der „Forschungsmix“ unterschiedlichster Anteile: Grundlagenforschung vs. angewandte Forschung (etc.); Natur- vs. Ingenieur- vs. Geistes- vs. Sozialwissenschaften; Verteilung auf unterschiedliche Institutionen mit oder ohne Kooperationen mit dem privaten Sektor, etc. Es besteht also keine Gefährdung der Forschungsfreiheit durch die (staatlichen) Förderung verwertbaren wissenschaftlichen Wissens Aber gibt es andere Gefährdungen? 16 Gefährdungen der Wissenschaft Zentralpunkt des wissenschaftlichen Ethos: Verpflichtung auf Objektivität Dieses Ethos ist durch verschieden Akteure gefährdet: • durch den Staat; dagegen soll die rechtlich gesicherte Wissenschaftsfreiheit schützen • durch die Wissenschaftler selbst: Durch überbordenden Ehrgeiz oder sonstige Persönlichkeitsdefekte von Forschern, die zu Fälschungen und Betrug aller Art führen können Dies gilt für alle Formen der Wissenschaft 17 Gefährdungen der Wissenschaft (2) Bei verwertbarem Wissen gibt es weitere Gefährdungen: • Nicht-Publikation des u.a. mit öffentlichen Mitteln gewonnenen Wissens aus Wettbewerbsgründen • Unkorrekte/übertriebene Darstellung der Verwertbarkeit/ Nützlichkeit des Wissens Bsp.: Grippemittel Tamiflu • Nicht-Untersuchen, Verschweigen, Verschleiern oder Herunterspielen möglicher negativer Nebenwirkungen des gewonnenen Wissens und seiner Anwendung Diese Gefährdungen sind real, liefern aber kein grundsätzliches Argument gegen eine auch staatliche Förderung der Gewinnung verwertbaren Wissens 18 Resultat 1. 2. 3. Die Zeiten, in denen Forschung nur an Universitäten und sonstigen Forschungsinstitutionen, und Entwicklung isoliert davon nur in Firmen betrieben wurde, sind lange vorbei. Forschung wird in der Zukunft vermutlich noch vermehrt in Kooperation mit der Wirtschaft, mit Stiftungen und weiteren Partnern stattfinden. Den drei spezifischen Gefährdungen der Forschung, die zu verwertbarem Wissen führt, sollte widerstanden werden Dies gilt schon aus moralischen Gründen – aber diese sind notorisch kraftlos 19 Resultat (2) • • • Die Frage der Publikation/Patentierung etc. der Ergebnisse sollte vertraglich vorab geregelt so werden, dass die berechtigten Interessen der beteiligten Parteien angemessen berücksichtigt werden (sonst verliert man den Anreiz für solche Kooperationen) – dies ist Standardpraxis der CDG Übertreibungen der Nützlichkeit bzw. Herunterspielen der Schädlichkeit des gewonnen Wissens: mögen kurzfristig Vorteile verschaffen, mittel- und langfristig sind sie extrem gefährlich, weil sie zu irreversiblem und katastrophalem Reputationsverlust aller beteiligten Partner führen können 20
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