ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Wir sind Miterben Christi Predigt von Pfarrer Hansjürg Stückelberger gehalten am 7. Juni 2015 Schriftlesung: Psalm 16 Predigttext: Römer 8,14-17 „Denn alle, die vom Geiste Gottes getrieben werden, die sind Söhne Gottes. Denn ihr habt doch nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben; nein, ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann sind wir auch Erben: Erben Gottes, Miterben Christi, sofern wir mit ihm leiden, um so auch mit ihm verherrlicht zu werden.“ Liebe Gemeinde Miterben Christi – ein ganz grosses Wort! Wir haben es sicher schon oft gehört. Wir haben nicht den Geist der Knechtschaft empfangen – man könnte es auch mit dem Geist der Sklaverei übersetzen. Ich versuche heute noch einmal in drei verschiedenen Bereichen zu sagen, was das alles bedeutet. Ich möchte zeigen, wie grossartig, wunderbar und weltbewegend sich das Wort Gottes in der Befreiung ausgestaltet hat. Wir bewundern die Gebäude und Bauten, die die Römer geschaffen haben. Die Amphitheater, das Kolosseum, die fantastischen Strassen, die das Römische Reich durchzogen, so zuverlässig, dass 2 sie teilweise auch heute noch benutzt werden können. Die vielleicht wunderbarste Leistung der Technik sind die Aquädukte, die Wasserführungen. Ich habe gelesen, dass es in Rom vier verschiedene Aquädukte gab, die das Wasser aus den Bergen in die Stadt brachten. Die Römer hatten keine Röhren, die das Wasser mit Druck fassen konnten. Das Wasser musste mit dem eigenen Gefälle bis nach Rom kommen. Über Berge und Täler war es ihnen möglich, das Gefälle dieser Wasserleitungen so zu planen und zu bauen, dass es problemlos immer mit derselben Geschwindigkeit in die Stadt kam. Es gab in Rom hunderte von Bädern, die Stadt lebte in einem fantastischen Luxus. Aber dieser ganze Luxus war auf der Sklaverei aufgebaut. Im Römischen Reich gab es die Aristokraten, die regierten und den Kaiser wählten, die Freien, die Händler, die Grundbesitzer und die Sklaven. Sklaven wurden bei jeder Eroberung und jedem Sieg gemacht. Die eroberte Bevölkerung wurde jeweils versklavt. Rechtlich war ein Sklave eine Sache, er wurde nicht als richtiger Mensch oder als eine Person angesehen. Viele Sklaven wurden mit einem Brandeisen des Besitzers gekennzeichnet. Eine Sache konnte man behandeln wie man wollte. Man konnte sie beliebig verkaufen und einsetzen, Essen geben oder auch nicht. Starb ein Besitzer so wurden die Sklaven vererbt, wie eine Sache. Im Neuen Testament schreibt Paulus einige Male mahnend an die Sklaven, dass sie gegen ihre Herren nicht rebellieren sollten, sondern sie sollten ihnen dienen. Paulus mahnte auch die Herren, dass sie ihre Sklaven gut behandeln sollten. Er bekämpfte das römische Gesetz nicht. Aber – und das ist für uns heute kaum mehr nachvollziehbar – er hat dennoch das ganze Gesetz der Sklaverei und 3 das Gesetz der verschiedenen Schichten ausser Kraft gesetzt. Damit begann die Verwandlung der Welt! Paulus sagte den Herren, dass sie ihre Sklaven wie Brüder behandeln sollten, da es vor Gott kein Ansehen der Person gäbe und alle müssten im Gericht vor Gott antreten. Paulus schickte den Sklaven Onesimus zu seinem Herrn zurück mit der Bitte, Milde zu walten und ihn freizulassen. Paulus schrieb: „Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und nicht Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus“ Galater 3,28. Vor Gott sind alle Menschen gleich, sie sind sein Ebenbild; vor ihm gibt es keine Personen und Sachen. Sklaven sind vor Gott genau gleich viel wert wie ihre Herren. Sie können vom Geist Gottes erfasst werden, Gott kann sie zu einer neuen Kreatur umformen. Die Christen begannen schon im Römischen Reich, ihre Sklaven anders zu behandeln. Viele reiche Christen entliessen ihre Sklaven oder kauften sie frei, um ihnen die Freiheit zu geben. So begann die Verwandlung der Welt. Diese geistliche Gleichstellung und Befreiung der Sklaven hat über die Jahrhunderte dafür gesorgt, dass es in der christlichen Welt keine Sklaverei gab oder diese aufgehoben wurde, wie zum Beispiel in Amerika. Der grösste und blutigste Krieg, den Amerika je geführt hatte, war die Befreiung der Sklaven. Für uns ist es selbstverständlich, dass alle Menschen vor Gott gleich und Gottes Ebenbilder sind. Das ist nicht überall so. Im Koran ist Sklaverei auch heute noch eine ‚normale‘ Sache. Im Sudan gibt es viele Christen und Animisten, die von Muslimen versklavt sind. Im Koran sind die Freien die Obersten, dann folgen die Muslime, die Frauen sind, die Freien, die keine Muslime sind usw. Zuunterst sind die Frauen, die Sklaven sind. Im Hinduismus darf die unterste Schicht der Dalit nicht rebellieren und ihren Sta- 4 tus nicht verändern, da sie sonst die Möglichkeit verlieren im nächsten Leben, etwas höher geboren zu werden. Sie sollen ihre Armut und ihren Status als die Verachteten und Untersten akzeptieren. Die Obersten, die Brahmanen wissen genau, dass das die richtige Ordnung dieser Welt ist. Im Christentum ist es anders. Gott hat uns von der Knechtschaft durch die Menschen befreit. Er hat uns zum Denken befreit. Die islamische Lehre von der Hingabe an Allah und seinem absoluten, totalen Willen wirkt gleichzeitig auch als Denkverbot. So auch im Hinduismus. Dieses Akzeptieren des untersten Status und der anderen Kasten, wirkt als ein Denkverbot. Es soll nichts verändert oder neu erfunden werden. Alle technischen Erfindungen, die die heutige zivilisierte Welt ausmacht, sind in der westlichen Welt erfunden worden, weil es für die Christen kein Denkverbot gibt! Die ganze Welt hat davon profitiert, dass die westliche Welt bereits im Mittelalter zu forschen begann. Forschung in der Technik, Natur und Medizin. Durch das Freimachen des Denkens, begann Gott die Welt zu verändern. Wir sind die Privilegierten! Als Schweizer profitieren wir von diesem freien Denken und dem entstandenen Wohlstand fast am meisten. Ich bin manchmal sehr traurig, dass so viele Menschen nicht wissen und schätzen, wer ihnen die heutige Freiheit und Wohlstand gebracht hat. Sie machen sich über das Christentum lustig. Wir sind Privilegierte, dass wir nicht den Geist der Knechtschaft empfangen haben. Gott schenkt uns aber auch die Befreiung von geistlichen Mächten. Auch im Römischen Reich musste man die römischen Götter fürchten. Jeder Geschäftsmann musste dem Gott des Geschäftes dienen oder dem Gott der Liebe oder des Krieges. Wer das nicht tat, beging einen grossen Fehler. 5 Die Stadt Rom hat diese Götter offiziell verehrt und baute ihnen Tempel. Die Christen waren verachtet, weil sie störend und asozial wirkten, da sie bei diesem Kult nicht mitmachten. Die Götter des Altertums waren teilweise entsetzlich und grausam. Die Azteken und die Inkas opferten Tausende Gefangene, um die Götter zufrieden zu stellen. Heute haben wieder viele Menschen Angst vor der Zukunft und ihrem Schicksal. Deshalb haben die Esoterik, Kartenleger, Geistheiler oder Menschen mit spiritistischen Praktiken grossen Zulauf. Die Menschen haben kein Vertrauen zu einem liebenden Vater im Himmel. Wir sind durch Jesus Christus von diesen Dingen befreit und wissen, dass er uns liebt. Deshalb haben wir nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, sondern uns wird bei der Annahme Jesu Christi den Geist der Kindschaft verliehen. Deshalb sind wir Söhne Gottes, Kinder Gottes und Miterben Christi! Das ist immer wieder eine wunderbare Erfahrung. Ich meine, dass wir in unserem Inneren eine Art Geheimfach haben. Wir haben alle Gedanken und Gefühle, die wir lieber für uns behalten. Gut, dass sie nicht auf der Stirn zu lesen sind! Niemand weiss, welche Gedanken ich neben all den guten Dingen, die ich sage und denke, auch noch in mir hege. Gott gegenüber dürfen wir dieses Geheimfach öffnen und ihn in unsere innersten Gedanken und Gefühle einweihen. Das ist eine wunderbare Erfahrung für uns Christen. Durch Jesus Christus nimmt er all das Schwierige, Belastende und Sündhafte weg. Es gibt für Christen kaum eine wunderbarere Erfahrung als das Gefühl, dass wir mit dem Vater wieder ganz eins sind. Nun weiss ich, dass er mir vergeben hat und mich trotzdem liebt. Für uns Christen wandelt sich das Geheimfach in ein Schatzkästlein. Denn aus den negativen Gefühlen 6 und Erfahrungen, den Ängsten und den Sünden, die wir mit uns tragen wird ein Schätzkästlein, in dem wir die wunderbaren Erfahrungen mit Gott bewahren. Er hat mich wieder angenommen, ich habe es mit ihm erlebt. Das ist eine Quelle der Freude und der Zuversicht. Eine Freude, die die anderen Menschen nicht haben. Wir sind privilegierte Menschen, weil wir diesen Geist Gottes haben, der uns bestätigt, dass wir Gottes Kinder sind, seine Miterben. In unserem Leben kommt einmal die Zeit, wo wir wissen, dass der grösste Teil unseres Lebens vorbei ist. Wir haben vieles gemacht und geleistet, aber jetzt ist es vorbei und wir können es nicht mehr ändern. Wir blicken zurück und überlegen, ob das eine oder andere vielleicht besser gelaufen wäre, wenn wir damals anders entschieden hätten? Wir stellen fest, dass es leider Menschen gibt, die wir beleidigt und schwer enttäuscht haben, obwohl wir dies nicht wollten. Wir können es nicht mehr ändern. Wir machen uns Gedanken über unsere Zukunft: Was geschieht nun? Wohin gehen wir? Die Gedanken an unseren Tod einfach auszuschliessen und auszuklammern, hilft nichts. Der Tod wartet trotzdem auf uns. Ist der Tod wie ein Erlöschen eines Streichholzes? Oder eine Kerze, die eine Zeitlang brennt, dann plötzlich auslöscht und niemand interessiert sich mehr dafür? Wir wissen, dass wir Miterben Christi sind. Was wir jetzt schon bekommen haben, die soziale Befreiung und Aufwertung, die innere Befreiung sind nur ein Erbvorbezug. Wenn Eltern den Kindern bereits etwas vorweg geben, um ihnen zu helfen, ist das ein Erbvorbezug. Das eigentliche Erbe steht uns aber noch bevor. Wir wissen, dass wir auf das Sterben zugehen und dort erwartet uns das ganz grosse, wunderbare Erbe Christi. Wie es einmal genau 7 sein wird, können wir uns nicht vorstellen. Wir wissen aber, dass es so schön und grossartig sein wird, dass es all unsere Vorstellungen übersteigt. Es ist zu vergleichen mit einer Türe, die vor uns ist. Eines Tages werden wir durch diese Türe hindurch gehen und eingehen in die Welt Gottes. Dort heisst es dann: „Er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Schmerz, noch Geschrei wird mehr sein, denn das erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu!“ Offenbarung 21, 4 und 5. Wir haben diese wunderbare Zukunft vor uns. Wenn wir daran denken, sind wir jedoch nicht immer so getrost und erfreut, weil wir noch nicht erlöst sind. Es gibt auf diesem Weg noch viele Rückschläge und Lasten zu tragen, oder Schmerzen warten auf uns. Aber am Ende sind wir eingeladen an das grosse, wunderbare Fest mit Jesus Christus. Wir sind Miterben Christi – ja, wir sind privilegiert. Amen. 8 Bibeltext Schriftlesung: Psalm 16 Behüte mich, Gott, denn bei dir suche ich Zuflucht. Ich spreche zum Herrn: Du bist Herr, mein Glück ist nur bei dir. An den Heiligen, die im Lande sind, an den Herrlichen habe ich grosses Gefallen. Zahlreich sind die Schmerzen derer, die einen anderen umwerben. Opfer von Blut will ich ihnen nicht bringen und ihren Namen nicht auf meine Lippen nehmen. Herr, du mein Besitz und Becher, du hältst mein Los in Händen. Auf schönes Land fiel mir die Messschnur, mein Erbe gefällt mir wohl. Ich preise den Herrn, der mich beraten hat, auch des Nachts mahnt mich mein Inneres. Allezeit habe ich den Herrn vor Augen, steht er mir zur Rechten, wanke ich nicht. Darum freut sich mein Herz und jauchzt meine Seele, auch mein Leib wird sicher wohnen. Denn du gibst mein Leben nicht dem Totenreich preis, du lässt deinen Getreuen das Grab nicht schauen. Du zeigst mir den Weg des Lebens, Freude in Fülle ist vor dir, Wonne in deiner Rechten auf ewig. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag 10.00 Uhr, Bibelstunden: Mittwoch 15.00 Uhr Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon 044 776 83 75
© Copyright 2024 ExpyDoc