Fall 30 (Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen bei der AG): Aktionäre der B-AG sind M, U, S und F mit einer Beteiligungsquote von je 25%. Nachdem M wiederholt kritische Fragen zur Geschäftsführung gestellt hat, kommt es zwischen den Aktionären zu erheblichen Spannungen. U, S und F überlegen daher, wie sie den Einfluss des M beschneiden können. Sie wollen – zumal sie persönlich gerade gut bei Kasse sind – folgendermaßen vorgehen: Das Kapital der AG soll um 630.000 € auf 1,03 Mio. € erhöht werden. U, S und F wollen davon jeweils ein Drittel (210.000 €) übernehmen. Dabei wissen sie, dass M sich gegenwärtig nicht an der Kapitalerhöhung beteiligen kann, weil er sich, um seinem in Not geratenen Sohn zu helfen, recht hoch verschuldet hat und erst in einigen Monaten wieder hinreichend liquide sein wird. M wendet sich dann auch energisch gegen den Plan seiner Mitaktionäre. Er verweist darauf, dass eine Kapitalerhöhung derzeit nicht erforderlich sei, weil die Gesellschaft einerseits liquide ist und über ausreichende Rücklagen verfügt, andererseits größere Investitionen gar nicht geplant seien. In einigen Monaten könne man über die Pläne erneut sprechen. Die Aktionäre bestreiten die Einwände in der Sache nicht, meinen aber, die Kapitalerhöhung sei eine unternehmenspolitische Maßnahme, die im Ermessen der qualifizierten Mehrheit liege. Es wäre kurzsichtig, wenn die günstige Gelegenheit zur Stärkung der Eigenkapitalbasis nicht genutzt würde. Demgemäß wird die Kapitalerhöhung mit den Stimmen von U, S und F beschlossen. Einen Tag später sucht M Rat bei einem Rechtsanwalt. Er möchte wissen, was er gegen den Beschluss unternehmen kann. - Lösung: o M könnte den Hauptversammlungsbeschluss über die Kapitalerhöhung gerichtlich angreifen. Hauptversammlungsbeschlüsse können nichtig oder anfechtbar sein. o Sollte der Beschluss nichtig sein, so könnte M ihn mit einer Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG oder mit einer Feststellungsklage gem. § 256 ZPO angreifen. Vorliegend ist allerdings kein Grund ersichtlich, der die Nichtigkeit des Beschlusses verursachen könnte. o M könnte versuchen, den Beschluss mit einer Anfechtungsklage gem. § 246 AktG anzugreifen. Hierfür müsste er anfechtungsbefugt (§ 245 AktG) sein und es müsste einen Anfechtungsgrund geben. Außerdem darf der anfechtbare Beschluss nicht von der Hauptversammlung bestätigt worden sein, § 244 AktG. o An der Anfechtungsbefugnis des M nach § 245 AktG bestehen keine Zweifel. Auch wurde der Beschluss nicht iSv. § 244 AktG bestätigt. o Fraglich ist, ob auch ein Anfechtungsgrund besteht. Das ist der Fall, wenn der Beschluss das Gesetz oder die Satzung verletzt, § 243 Abs. 1 AktG. o Vorliegend könnte der Beschluss rechtswidrig sein. Verstöße gegen das geschriebene Recht oder die Satzung sind nicht ersichtlich. In Betracht kommt allerdings ein Verstoß gegen die ungeschriebene Treuepflicht. o Grundsätzlich ist die Auffassung von U, S und F, dass Kapitalerhöhungen im Ermessen der (qualifizierten) Aktionärsmehrheit stehen und keiner besonderen Begründung bedürfen, zwar zutreffend. o Wird allerdings ein Kapitalerhöhungsbeschluss ohne ein entsprechendes Finanzierungsinteresse der Gesellschaft gefasst, um gezielt den Einfluss von Minderheitsaktionären zurückzudrängen, die zwar formal ein Bezugsrecht erhalten, sich aber wegen fehlender finanzieller Mittel nicht an der Kapitalerhöhung beteiligen können, so ist der Beschluss treuwidrig. So lag es hier. Der wirkliche Zweck der Kapitalerhöhung bestand darin, den Einfluss des M zu beschneiden. Das legitime Interesse an einer Stärkung der Eigenkapitalbasis der AG kann auch durch eine zeitlich leicht verzögerte Kapitalerhöhung gewahrt werden. o M kann den Beschluss deshalb innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erfolgreich mit einer Anfechtungsklage angreifen.
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