Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz – ein integratives Modell für ein betriebliches Gesundheitsmanagement Systematisch vorgehen, gezielt entschleunigen, gesunde Führung entwickeln DISSERTATION der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG) zur Erlangung der Würde einer Doktorin der Wirtschaftswissenschaften Vorgelegt von Leonie Spalckhaver aus Deutschland Genehmigt auf Antrag von Prof. Dr. Heike Bruch und Prof. Dr. Martin Hilb Dissertation Nr. 4375 Difo-Druck GmbH, Bamberg 2015 II Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 22. Oktober 2014 Der Rektor: Prof. Dr. Thomas Bieger III Danksagung Viele Menschen haben mich auf dem Weg zu meiner Dissertation begleitet und unterstützt. Bei ihnen möchte ich mich herzlich bedanken: Prof. Dr. Heike Bruch, die mich als meine Doktormutter immer unterstütze und mir gerade in schwierigen Zeiten mit viel Verständnis und Zuversicht den Rücken stärkte. Prof. Dr. Martin Hilb, der mir als Korreferent wertvolle Rückmeldungen zu meiner Arbeit gab. Meinen Interviewpartnern, mit deren Hilfe es mir möglich war, wertvolle Praxisbeispiele in meine Dissertation zu integrieren: Dr. Christian Gravert, Leiter Gesundheitsmanagement und leitender Arzt der Deutsche Bahn AG, Ernst Kaiser, Verantwortlicher für das betriebliche Gesundheitsmanagement bei SMA Solar Technolgoy AG, Prof. Dr. Reinhard Nöring, leitender Werkarzt der Volkswagen AG und Uwe Ross, Verantwortlicher für das betriebliche Gesundheitsmanagement bei B.Braun Melsungen AG. Dr. David Maus und Dr. Justus Kunz, Geschäftsleitung der energy factory St. Gallen AG, sowie meinen Kollegen in der energy factory sowie am I.FPM und CDI der Universität St. Gallen, die mich mit fachlicher und emotionaler Unterstützung bei dieser Arbeit begleitet haben. Unter ihnen sind Mario Banovic, Dr. Miriam Baumgärtner, Prof. Dr. Stephan Böhm, Dr. Simon de Jong, Dr. David Dwertmann, Andrea Fischer, Josef Fischer, Richard Heinzer, Christian Hintermayer, Dr. Hendrik Hüttermann, Silja Kennecke, Dr. Petra Kipfelsberger, Dr. Simon Körner, Sandra Kowalevski, Caroline Kranabetter, Prof. Dr. Florian Kunze, Nina Lins, Dr. Ulrich Leicht-Deobald, Dr. Jens Maier, Geraldine Mildner, Anna München, Ivonne Preusser, Dr. Anneloes Raes, Markus Rittich, Sebastian Schenk, Andrea Schmid, Dr. Christian Schudy, Anna Schuler, Slawomir Skwarek, Dr. Anne Spychala, Nicole Stambach und Jette Wiegel. Ganz besonders danke ich meiner Familie und meinem Partner Nicholas Holmes, deren Unterstützung und Rückhalt ich mir zu jeder Zeit gewiss sein konnte. St. Gallen, Dezember 2014 Leonie Spalckhaver IV Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................ III Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................VI Tabellenverzeichnis .......................................................................................................... VIII Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................IX Zusammenfassung................................................................................................................. X Executive summary..............................................................................................................XI 1 Einleitung ................................................................................................................. 1 1.1 Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz gewinnt an Relevanz ....................................1 1.2 Ein integratives betriebliches Gesundheitsmanagement als Antwort auf eine alarmierende Entwicklung ............................................................................................5 1.2.1 Operationalisierung psychischer Gesundheit ........................................................6 1.2.2 Ursachen von emotionaler Erschöpfung – Das Job Demands-ResourcesModell ....................................................................................................................7 1.2.3 Systematischer Ansatz ...........................................................................................9 1.2.4 Erkennen und Vermeiden der Beschleunigungsfalle...........................................10 1.2.5 Gesunde Führung .................................................................................................11 1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit ...............................................................................12 1.3.1 Forschungsansatz, Datenquellen und Vorgehen ..................................................12 1.3.2 Aufbau der vorliegenden Arbeit ..........................................................................14 2 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz .................... 16 2.1 Theoretischer Hintergrund ..........................................................................................16 2.1.1 Vom Arbeitsschutz zum betrieblichen Gesundheitsmanagement .......................16 2.1.2 Den Fokus auf die Psyche richten .......................................................................17 2.1.3 Systematik als entscheidender Faktor..................................................................18 2.1.4 Zusammenhang zwischen einem systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagement und dem Grad emotionaler Erschöpfung....................18 2.2 Methode ......................................................................................................................20 2.2.1 Skalen ..................................................................................................................20 2.2.2 Analyse zur Hypothesentestung ..........................................................................23 2.3 Ergebnisse ...................................................................................................................23 2.3.1 Häufigkeitsverteilung ..........................................................................................23 2.3.2 Ergebnisse der Hypothesentestung ......................................................................25 2.3.3 Anwendungsorientierte Exploration ....................................................................28 2.4 3 Zwischenfazit und Praxisbeispiele .............................................................................31 Vermeidung von Überbeschleunigung .................................................................. 43 3.1 Theoretischer Hintergrund ..........................................................................................43 3.1.1 Auswirkungen der Beschleunigungsfalle – zum Stand der Forschung ...............45 V 3.1.2 Zusammenhang der Beschleunigungsfalle mit dem Grad emotionaler Erschöpfung .........................................................................................................45 3.1.3 Entschleunigungsmassnahmen ............................................................................47 3.2 Methode ......................................................................................................................48 3.2.1 Skalen ..................................................................................................................48 3.2.2 Analyse zur Hypothesentestung ..........................................................................51 3.3 Ergebnisse ...................................................................................................................51 3.3.1 Häufigkeitsverteilung ..........................................................................................51 3.3.2 Ergebnisse der Hypothesentestung ......................................................................53 3.3.3 Anwendungsorientierte Exploration ....................................................................57 3.4 4 Zwischenfazit und Praxisbeispiele .............................................................................66 Entwicklung einer gesunden Führung ................................................................... 71 4.1 Theoretischer Hintergrund ..........................................................................................71 4.1.1 Führung und Gesundheit – zum Stand der Forschung ........................................71 4.1.2 Zusammenhang zwischen gesunder Führung und dem Grad emotionaler Erschöpfung .........................................................................................................74 4.2 Methode ......................................................................................................................77 4.2.1 Skalen ..................................................................................................................78 4.2.2 Analyse zur Hypothesentestung ..........................................................................80 4.3 Ergebnisse ...................................................................................................................80 4.3.1 Häufigkeitsverteilung ..........................................................................................80 4.3.2 Ergebnisse der Hypothesentestung ......................................................................81 4.3.3 Anwendungsorientierte Explorationn ..................................................................85 4.4 5 Zwischenfazit und Praxisbeispiele .............................................................................98 Zusammenfassende Diskussion und Empfehlungen für die Praxis ..................... 105 5.1 Kernerkenntnisse und Implikationen für die Praxis .................................................105 5.2 Limitationen der Arbeit und weiterer Forschungsbedarf..........................................109 5.3 Abschliessendes Fazit ...............................................................................................111 Literaturliste ....................................................................................................................... 112 Lebenslauf .......................................................................................................................... 123 VI Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Zunahme der psychischen Störungen (Arbeitsunfähigkeitstage) nach BKK Gesundheitsreport 2013 .................................................................................. 2 Abbildung 2: Aufbau der vorliegenden Arbeit ................................................................... 15 Abbildung 3: Einfluss von BGM-Systematik und BGM-Budget auf emotionale Erschöpfung – erwartetes Modell ................................................................ 20 Abbildung 4: Verbreitung durchschnittlicher emotionaler Erschöpfung in Unternehmen 23 Abbildung 5: Verbreitung eines systematischen BGM in Unternehmen ........................... 24 Abbildung 6: Verbreitung von BGM-Budget in Unternehmen .......................................... 24 Abbildung 7: Einfluss von BGM-Systematik und BGM-Budget auf emotionale Erschöpfung – Ergebnisse ............................................................................ 27 Abbildung 8: Verbreitung einzelner BGM-Aspekte in Unternehmen ............................... 29 Abbildung 9: Verbreitung einzelner BGM-Aspekte in Unternehmen mit emotionaler Erschöpfung und ohne .................................................................................. 31 Abbildung 10: BGM-Zyklus ................................................................................................ 32 Abbildung 11: VDV-Verfahren in Bewertungssystematik .................................................. 35 Abbildung 12: Ablauf des VDV-Verfahrens bei der DB AG .............................................. 36 Abbildung 13: Einfluss von Entschleunigungsmassnahmen und Beschleunigungsfalle auf emotionale Erschöpfung – erwartetes Modell .............................................. 48 Abbildung 14: Verbreitung der Beschleunigungsfalle in Unternehmen .............................. 51 Abbildung 15: Verbreitung von Entschleunigungsmassnahmen in Unternehmen ............... 52 Abbildung 16: Verbreitung der einzelnen Entschleunigungsmassnahmen in Unternehmen53 Abbildung 17: Einfluss von Entschleunigungsmassnahmen und Beschleunigungsfalle auf emotionale Erschöpfung – Ergebnisse ......................................................... 55 Abbildung 18: Einfluss von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion auf Überlastung und Mehrfachbelastung – Modell59 Abbildung 19: Verbreitung der einzelnen Beschleunigungsfallendimensionen in Unternehmen ................................................................................................ 60 Abbildung 20: Verbreitung von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion in Unternehmen ..................................................... 60 Abbildung 21: Einfluss von Massnahmen zur Anforderungsreduktion auf Überlastung – Ergebnisse .................................................................................................... 62 Abbildung 22: Einfluss von Massnahmen zur Anforderungsreduktion und zur Ressourcensteigerung auf Überlastung – Ergebnisse................................... 62 Abbildung 23: Einfluss von Massnahmen zur Ressourcensteigerung auf Mehrfachbelastung – Ergebnisse ................................................................................................. 64 Abbildung 24: Einfluss von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion auf Mehrfachbelastung – Ergebnisse ..................... 64 Abbildung 25: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung in Unternehmen mit gering und mit stark ausgeprägter Beschleunigungsfalle ............................................... 66 Abbildung 26: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung und Beschleunigungsfalle in Unternehmen mit gering und mit stark verbreiteten Entschleunigungsmassnahmen ..................................................................... 67 Abbildung 27: Verbreitung von Mehrfachbelastung in Unternehmen mit gering und mit stark verbreiteten Massnahmen zur Anforderungsreduktion ....................... 68 Abbildung 28: Verbreitung von Überlastung in Unternehmen mit gering und mit stark verbreiteten Massnahmen zur Ressourcensteigerung................................... 69 Abbildung 29: Einfluss von gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung ......................................... 77 VII Abbildung 30: Verbreitung gesunder Mitarbeiterführung und gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung in Unternehmen ................................................................ 81 Abbildung 31: Einfluss von gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung ......................................... 83 Abbildung 32: Verbreitung der einzelnen Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung und gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung in Unternehmen ................... 86 Abbildung 33: Einfluss der einzelnen Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung – Modell ............................................................... 87 Abbildung 34: Einfluss der einzelnen Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung – Ergebnisse ......................................................... 89 Abbildung 35: Einfluss der einzelnen Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung auf gesunde Achtsamkeit und gesundes Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung – Modell.................................................................. 91 Abbildung 36: Einfluss der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung auf gesunde Achtsamkeit der Mitarbeiterführung .............................................. 94 Abbildung 37: Einfluss der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung auf gesundes Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung ..................................... 95 Abbildung 38: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung in Unternehmen mit stark und mit gering ausgeprägter gesunder Mitarbeiterführung ................................. 98 Abbildung 39: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung und gesunder Mitarbeiterführung in Unternehmen mit stark und mit gering ausgeprägter gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung ............................................................. 99 Abbildung 40: Modell eines integrativen BGM ................................................................. 106 Abbildung 41: Erweitertes Modell eines integrativen BGM .............................................. 109 VIII Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Emotionale Erschöpfung – Skala ...................................................................... 21 Tabelle 2: BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit – Items ........................................ 22 Tabelle 3: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen emotionale Erschöpfung, BGM-Budget und BGM-Systematik .......................................... 26 Tabelle 4: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs von BGM-Budget und BGM-Systematik mit emotionaler Erschöpfung............................................... 28 Tabelle 5: Beschleunigungsfalle – Skala ........................................................................... 49 Tabelle 6: Entschleunigungsmassnahmen – Skala ............................................................. 50 Tabelle 7: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen emotionale Erschöpfung, Beschleunigungsfalle und Entschleunigungsmassnahmen ......... 54 Tabelle 8: Mediationsanalyse zur Testung des Zusammenhangs zwischen Entschleunigungsmassnahmen, Beschleunigungsfalle und emotionaler Erschöpfung ...................................................................................................... 56 Tabelle 9: Faktorenanalyse der Entschleunigungsmassnahmen-Items .............................. 58 Tabelle 10: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen Überlastung, Mehrfachbelastung, Massnahmen zur Ressourcensteigerung und Massnahmen zur Anforderungsreduktion ............................................................................... 61 Tabelle 11: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs von Massnahmen zur Anforderungsreduktion und zur Ressourcensteigerung mit Überlastung ......... 63 Tabelle 12: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion mit Mehrfachbelastung ........................................................................................................................... 65 Tabelle 13: Gesamtaufbau des Instruments Health-oriented Leadership zur Erfassung gesunder Führung .............................................................................................. 73 Tabelle 14: Gesunde Mitarbeiterführung – Skala ................................................................ 79 Tabelle 15: Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung – Skala ...................................... 80 Tabelle 16: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen emotionale Erschöpfung, gesunde Mitarbeiterführung und gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung ................................................................................................ 82 Tabelle 17: Mediationsanalyse zur Testung des Zusammenhangs zwischen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung, gesunder Mitarbeiterführung und emotionaler Erschöpfung .................................................................................. 84 Tabelle 18: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variable emotionale Erschöpfung und der Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung .................... 88 Tabelle 19: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs der Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung mit emotionaler Erschöpfung ............................. 90 Tabelle 20: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung sowie gesunder Achtsamkeit und gesunden Vorbildverhaltens der Mitarbeiterführung ........................................................ 93 Tabelle 21: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung mit gesunder Achtsamkeit der Mitarbeiterführung ............................................................................................ 96 Tabelle 22: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung mit gesundem Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung ...................................................................................... 97 Tabelle 23: Hypothesenübersicht ....................................................................................... 108 IX Abkürzungsverzeichnis α β Abb. AG BAuA BDA BGF BGM BMAS CI df DGB d.h. e.g. et al. etc. EUR F GL HoL HR Hrsg. ICC JD-R M MBI-GS MA N n.s. OLS p r R2 SD s.e. TAL TFL u.a. z.B. Cronbach’s alpha Beta-Koeffizient Abbildung Aktiengesellschaft Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände betriebliche Gesundheitsförderung betriebliches Gesundheitsmanagement Bundesministerium für Arbeit und Soziales Confidence Interval (Konfidenzintervall) Degrees of Freedom (Freiheitsgrade) Deutscher Gewerkschaftsbund das heisst exempli gratia (zum Beispiel) et alii (und andere) et cetera (und so weiter) Euro F-Test Wert Geschäftsleitung Health-oriented Leadership Human Resources Herausgeber Intraclass Correlation Coefficient Job Demands-Resources Mean (Mittelwert) Maslach Burnout Inventory – General Survey Mitarbeiter Number (Anzahl) non significant (nicht significant) Ordinary Least Squares p-Wert Pearson Produkt-Moment Korrelationskoeffizient Bestimmtheitsmass Standard Deviation (Standardabweichung) Standard Error (Standardfehler) transactional leadership (transaktionale Führung) transformational leadership (transformationale Führung) unter anderem zum Beispiel X Zusammenfassung Das Thema psychische Gesundheit von Mitarbeitern wird immer wichtiger für Organisationen. Oft fehlt es Unternehmen jedoch an Wissen, worauf es bei einem integrativen betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) mit Fokus auf psychische Gesundheit ankommt und wie es nachhaltig etabliert werden kann. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, diese Wissenslücke zu schliessen. Zunächst wird der Zusammenhang zwischen einem systematisch aufgebauten BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit und dem Grad emotionaler Erschöpfung – eine Dimension von Burnout – von Mitarbeitern untersucht. Die Ergebnisse lassen darauf schliessen, dass ein systematisches BGM emotionale Erschöpfung reduzieren kann. Entscheidend sind hier insbesondere Analysen am Anfang und am Ende eines BGM-Zyklus. Anschliessend wird untersucht, wie die Beschleunigungsfalle – eine Überlastung auf Organisationsebene – mit emotionaler Erschöpfung zusammenhängt. Hier kann konstatiert werden, dass die Beschleunigungsfalle zu emotionaler Erschöpfung bei Mitarbeitern führt. Zusätzlich wird gezeigt, dass gezielte Entschleunigungsmassnahmen sowohl die Beschleunigungsfalle als auch emotionale Erschöpfung reduzieren können. Massnahmen zur Ressourcensteigerung reduzieren besonders stark die Überlastung wohingegen Massnahmen zur Anforderungsreduktion insbesondere Mehrfachbelastung reduzieren. Als letztes wird der Zusammenhang zwischen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung, gesunder Mitarbeiterführung im Unternehmen und dem Ausmass emotionaler Erschöpfung von Mitarbeitern untersucht. Aus den Ergebnissen kann der Schluss gezogen werden, dass eine gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung zu gesunder Mitarbeiterführung im Unternehmen führt, was wiederum emotionale Erschöpfung von Mitarbeitern reduziert. Besonders wichtig sind gesunde Achtsamkeit der Geschäftsleitung sowie gesunde Achtsamkeit und gesundes Vorbildverhalten von Führungskräften generell. Die Ergebnisse werden jeweils mit Best-Practice Beispielen untermauert und anschliessend in ein integratives Modell für ein BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit zusammengeführt. XI Executive summary The mental health of employees is an increasingly important issue for modern companies. However, businesses often lack the knowledge of what is essential in an integrative occupational health management (OHM) solution that has a specific focus on mental health, as well as how it can be implemented in a sustainable way. The objective of this paper is to make a contribution to close this knowledge gap. First, this paper examines the relationship between a systematically-implemented OHM solution with a focus on mental health and the degree of emotional exhaustion – one dimension of burnout – of employees. The results imply that a systematic OHM solution can reduce emotional exhaustion. Analyses at the beginning and at the end of an OHM cycle are especially effective. It is subsequently examined how the acceleration trap – an overload at the organizational level – is related to emotional exhaustion, with the conclusion that the acceleration trap causes emotional exhaustion among employees. However, it is shown that targeted deceleration measures can reduce both the acceleration trap and the resulting emotional exhaustion. Resource-enhancing measures can reduce overloading whereas demand-reducing measures are suitable to tackle multi loading. Finally, this paper looks at the relationship between a healthy self-leadership approach from the top management, healthy leadership targeted at employees, and the extent of emotional exhaustion of employees. The results show that a healthy selfleadership approach from the top management leads to healthy leadership targeted at employees, which then reduces the emotional exhaustion of employees. Healthy mindfulness of the top management directed at their own health, as well as healthy mindfulness and being a healthy role model of people managers directed at their employees is especially important. The results are all supported with best-practice examples and are subsequently consolidated in an integrative model of OHM with a focus on mental health. Einleitung 1 1 Einleitung 1.1 Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz gewinnt an Relevanz „Arbeit macht krank: Die Zahl der Burnout-Diagnosen steigt“ (Schweiz am Sonntag, 10. September 2011) „Psychische Belastung im Job – Woher der Stress am Arbeitsplatz kommt“ (Süddeutsche.de, 15. Mai 2012) „Das erste deutsche Burn-out-Ranking – Welche Konzerne ihre Mitarbeiter krank machen“ (manager magazin, Juni 2012, S. 1) „Krankschreibung: Tausende Arbeitnehmer fehlen wegen psychischer Leiden“ (Spiegel Online, 13. August 2012) „Burnout und Depression – Manager sind auch nur Menschen“ (Neue Zürcher Zeitung, 14. August 2013) Dies sind nur einige der Schlagzeilen, die man in den letzten Jahren in Zeitungen und Zeitschriften lesen konnte – und sie sind begründet: Am 29.01.2013 veröffentlichte die Bundesanstalt für Arbeit und Gesundheit (BAuA) die Ergebnisse einer aktuellen Studie über Stress. Demnach berichten 43 % der Beschäftigten in Deutschland von einer Zunahme von Stress und Arbeitsdruck in den letzten zwei Jahren. Insgesamt fühlen sich 19 % mit ihrem Arbeitspensum überfordert (Lohmann-Haisla, 2013). Diese Entwicklung machte sich in den letzten Jahren bereits beim Krankenstand in Deutschland bemerkbar. Nach dem aktuellen BKK Gesundheitsreport (BKK Bundesverband, 2013) sind die Arbeitsunfähigkeitstage auf Grund von psychischen Störungen 2012 gegenüber dem Vorjahr erneut angestiegen. Betrugen sie 2011 noch 14,1 %, lagen sie 2012 bereits bei 14,7 %. Psychische Störungen sind mit durchschnittlich 39,4 Tagen zudem an führender Stelle in Hinblick auf die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage pro erkrankten Beschäftigten. Bis auf wenige Ausnahmen ist der Anteil der psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeit von Jahr zu Jahr gestiegen. Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage auf 2 Einleitung Grund von psychischen Erkrankungen seit 1998 mehr als verdoppelt (BKK Bundesverband, 2013, S. 37). Abbildung 1: Zunahme der psychischen Störungen (Arbeitsunfähigkeitstage) nach BKK Gesundheitsreport 2013 Lag der Anteil der Fehlzeiten auf Grund von psychischen Störungen 2010 noch auf dem vierten Platz hinter Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, Krankheiten des Atmungssystems und Verletzungen und Vergiftungen, so lag er 2012 auf dem zweiten Platz (BKK Bundesverband, 2013). Krankheiten des Muskel-SkelettSystems stehen zwar nach wie vor an der Spitze der Fehlzeiten, allerdings gibt es Hinweise darauf, dass auch diese Krankheiten zumindest zum Teil psychische Ursachen haben (Linton, 2001). Eine Studie der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (Eurofound) aus dem Jahr 2007 zeigte, dass Mitarbeiter, die dauerhaft psychische Belastung bei der Arbeit empfinden, ein rund sieben Mal höheres Risiko haben, an Rücken- oder Muskelschmerzen zu leiden als Mitarbeiter ohne psychische Belastung. Nicht nur Fehlzeiten und Krankheitstage, auch Frühpensionierungen sind häufig eine Folge von psychischer Belastung. Dem BKK Gesundheitsreport zufolge gehen nur 41 % der Angestellten davon aus, „die Belastungen bis zum Rentenalter von 65 Jahren aushalten zu können“ (BKK, Siebecke & Ciesinger, 2010, S. 73). Jeder Zehnte ist der Meinung, der Belastung nicht einmal bis zum 50. Lebensjahr gewachsen zu sein. Bei einem Durchschnittsalter von 43 Jahren sagten die Betroffenen: „Eigentlich müsste ich jetzt schon aufhören“ (Siebecke & Ciesinger, 2010, S. Einleitung 3 73). Die Tendenz, die diese Selbsteinschätzungen aufzeigen, alarmiert inzwischen auch die deutsche Politik. Der Ausschuss für Arbeitsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) schrieb in seiner arbeitsmedizinischen Empfehlung von 2011 (Becker, Breucker, Ducki, Engelhardt-Schagen, Glomm, Kilian, Krempien, Peterson, Petereit-Haack, Schoeller, Stork, Wagner & Wolters, 2011, S. 9): „Psychische Erkrankungen stellen neben den Muskel-Skelett-Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen den häufigsten Grund für eine Frühberentung dar. Im Interesse der Beschäftigten und der Unternehmen muss die Erhaltung und (Wieder)Herstellung psychischer Gesundheit im Betrieb höchste Priorität erhalten.“ Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Seit einigen Jahren rückt ein bisher vernachlässigtes Phänomen immer mehr in den Fokus – der sogenannte Präsentismus. Der Begriff Präsentismus, der in der Vergangenheit schlicht mit dem erstrebenswerten Zustand der Anwesenheit am Arbeitsplatz gleichgesetzt wurde, beschreibt heute vor allem das Verhalten von Mitarbeitern, trotz Krankheit zur Arbeit zu gehen, und – je nach Forschungsrichtung – die durch die Krankheit verursachte Leistungseinschränkung der Mitarbeiter (Steinke & Badura, 2011; Uris, 1955; Canfield & Soash, 1955; Schmidt & Schröder, 2010). Was den Präsentismus für Unternehmen so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass er weniger leicht zu erfassen ist als Fehlzeiten und somit oft unentdeckt bleibt (Brandenburg & Nieder, 2009). Gefährlich ist dies aus zwei Gründen: Zum einen kann sich der Krankheitszustand durch Präsentismus – also die Anwesenheit bei der Arbeit trotz Krankheit – für die Mitarbeiter verschlimmern oder sogar chronifizieren (Wieland, Hammes & Winkler, 2012). Zum anderen gibt es Hinweise darauf, dass Präsentismus einen grösseren Produktivitätsverlust verursacht als Absentismus, womit er zum Teil hohe versteckte Kosten birgt (Brandenburg & Nieder, 2009). Stewart, Ricci, Chee und Morganstein (2003) konnten in einer Studie zeigen, dass 66 % der krankheitsbedingt eingebüssten Arbeitsproduktivität auf Präsentismus zurückzuführen ist – fast doppelt so viel wie der durch Absentismus verursachte Produktivitätsverlust. Psychische Erkrankungen scheinen besonders starke Produktivitätseinbussen mit sich zu bringen (van den Heuvel, Geuskens, Hooftman, Koopes & van den Bossche, 2010; Riedel, Grossmeier, Haglund-Howieson, Anderson & Terry, 2009). Loeppke, Taitel, Haufle, Parry, Kessler und Jinnett (2009) zeigten, dass psychische im Vergleich zu anderen Erkrankungen nicht nur 4 Einleitung die höchsten Gesamtkosten verursachen, sondern dass der Anteil der Präsentismuskosten an den Gesamtkosten bei dieser Art der Erkrankungen ebenfalls am grössten ist. Eine amerikanische Studie, in der die Daten aus mehreren Studien konsolidiert wurden, kam zu dem Ergebnis, dass die jährlichen Präsentismuskosten für psychische Erkrankungen pro Mitarbeiter bei rund 246 US $ liegen und damit 71 % der Gesamtkosten für diese Krankheitsgruppe ausmachen (Goetzel, Long, Ozminkowski, Hawkings, Wang & Lynch, 2004). Was die oben aufgeführten Statistiken deutlich aufzeigen, ist die Tatsache, dass sowohl psychisch bedingter Absentismus als auch psychisch bedingter Präsentismus eine hoch relevante Herausforderung der heutigen Arbeitswelt darstellen – gerade in Zeiten des demographischen Wandels und des damit einhergehenden Fachkräftemangels. Inzwischen werden auch in Deutschland von Politik und Sozialpartnern Konsequenzen aus dieser alarmierenden Entwicklung gezogen. In einer gemeinsamen Erklärung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im September 2013 wurde Folgendes zusammengefasst: „Der Schutz vor gesundheitlichen Risiken ist eine ethische Frage – aber nicht nur: Auch aus ökonomischen Gründen ist es notwendig, mögliche Beeinträchtigungen durch arbeitsbedingte psychische Belastung frühzeitig zu erkennen und zu minimieren, um spätere lange Fehlzeiten zu vermeiden. Künftig wird es in Deutschland erheblich weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter geben, und das Durchschnittsalter der Beschäftigten wird steigen. Auch deshalb sind die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt so zu gestalten und eigenverantwortliches und gesundheitsbewusstes Handeln so zu fördern, dass die Menschen gesund, motiviert und qualifiziert bis zum Rentenalter arbeiten können. Daher ist es wichtig, das Wissen über mögliche Gefährdungen, deren Vermeidung und die damit verbundenen gesetzlichen Pflichten in die Unternehmen und die öffentliche Verwaltung zu bringen“ (BMAS, BDA & DGB, 2013). Im Oktober 2013 wurde das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz im deutschen Arbeitsschutzgesetz fest verankert (Bundesgesetzblatt, 2013, S. 3847). In § 4 Nr. 1 ArbSchG heisst es neu: „Die Arbeit ist so zu gestalten, daß eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.“ In § 5 Abs. 3 ArbSchG wurde die Liste der zu berück- Einleitung 5 sichtigenden Gefährdungsfaktoren um „psychische Belastungen bei der Arbeit“ erweitert. Die Schweiz hat das Thema psychische Gesundheit bereits 1993 in ihr Arbeitsgesetz aufgenommen. So heisst es in Verordnung 3 im Grundsatz von Artikel 2: „Der Arbeitgeber muss alle Massnahmen treffen, die nötig sind, um den Gesundheitsschutz zu wahren und zu verbessern und die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.“ Dass die Aufnahme des Themas „psychische Gesundheit“ allein jedoch nicht ausreicht, zeigt die Entwicklung in Bezug darauf in der Schweiz. In einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) von 2010 gaben 34 % der befragten Schweizer Erwerbstätigen an, sich chronisch gestresst zu fühlen. Das sind 7 % mehr als im Jahr 2000 (Grebner, Berlowitz, Alvarado & Cassina, 2010). 2012 erwarteten fast 80 % der Schweizer Erwerbstätigen zudem einen Anstieg arbeitsbedingten Stresses in den kommenden fünf Jahren (Klahr, Higton & Harris, 2012). Die Tatsache, dass das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz nun auch in Deutschland gesetzlich verankert ist, zeigt, dass die Entwicklung der letzten Jahre durchaus ernst genommen wird. Psychische Gesundheit der Mitarbeiter ist damit keine Privatsache mehr, sie liegt – zumindest zum Teil – auch in der Verantwortung des Arbeitgebers. Dies soll weder den Mitarbeiter aus seiner Verantwortung entlassen, auf die eigene Gesundheit zu achten, noch soll es die Tatsache ignorieren, dass psychische Gesundheit auch stark von individuellen und nicht nur von durch den Arbeitgeber beeinflussbaren Faktoren abhängig ist (Elovainio, Kivimäki, Stehen & Kallimäki-Levanto, 2000; Maslach, Schaufeli & Leiter, 2001). Eine Aufnahme des Themas in das Arbeitsschutzgesetz signalisiert jedoch, dass der Arbeitsplatz, und damit der Arbeitgeber, einen starken Einfluss auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter hat und mit diesem Einfluss verantwortlich umgehen muss. 1.2 Ein integratives betriebliches Gesundheitsmanagement als Antwort auf eine alarmierende Entwicklung Das Arbeitsschutzgesetz ist wichtig, jedoch greift es oft zu kurz. Dies hat auch die Wirtschaft erkannt, weshalb immer mehr Unternehmen ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) haben. Bei einem BGM handelt es sich um „die Organisation der Gesundheit im betrieblichen Kontext. Gesundheitsmanagement hat die Auf- 6 Einleitung gabe, verschiedene gesundheitsbezogene Massnahmen in einem Unternehmen zu planen, zu adressieren, zu organisieren und untereinander abzustimmen“ (Bamberg, Ducki & Metz, 2011, S. 128). Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass sich die Investition in ein BGM finanziell für Unternehmen lohnt (Aldana, 2001; Bertera, 1990; Badura, Schröder & Vetter, 2008; Goetzel & Ozminkowski, 2008). Ein BGM adressiert zunächst die Mitarbeitergesundheit generell. Es können zum Beispiel Sportkurse angeboten oder rückengerechte Arbeitsplätze bereitgestellt werden. Angesichts der oben beschriebenen Entwicklung setzen jedoch stets mehr Unternehmen auf ein BGM mit Fokus auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter. Hierfür gibt es bereits verschiedene Modelle, die sich oft gut ergänzen oder aufeinander aufbauen (Bamberg et al., 2011; Ulich & Wülser, 2010; Uhle & Treier, 2011). Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, was die Erfolgsfaktoren eines solchen BGM mit Fokus auf die psychische Gesundheit sind und welche Aspekte in der Praxis daher besonders berücksichtigt werden sollten. 1.2.1 Operationalisierung psychischer Gesundheit Psychische Gesundheit ist ein breites Feld und ein vager Begriff. Um eine Eingrenzung vorzunehmen und mit einem einheitlichen, messbaren Konstrukt zu arbeiten, soll diese Arbeit sich schwerpunktmässig mit emotionaler Erschöpfung beschäftigen. Emotionale Erschöpfung ist – neben Depersonalisation und reduzierter Selbstwirksamkeit – eine der Subdimensionen von Burnout (Maslach et al., 2001). Es handelt sich hierbei um einen Zustand extremer Ermüdung als Resultat von aufgebrauchten emotionalen Ressourcen (Maslach & Jackson, 1981). Emotionale Erschöpfung bildet die Kernkomponente von Burnout und kann darüber hinaus als eigenständige Fehlbeanspruchung gesehen werden (Cropanzano, Rupp & Byrne, 2003; Maslach et al., 2001). Sie stellt zudem die erste Phase eines längeren Entwicklungsprozesses von Burnout dar (Maslach & Jackson, 1981; Nitzsche, Driller, Kowalski & Pfaff, 2010; Ulich & Wülser, 2010) und eignet sich daher besonders gut zur Erfassung in Unternehmen, da Mitarbeiter mit einem fortgeschrittenen Burnout möglicherweise bereits von der Arbeit freigestellt wurden und dadurch nicht an einer Befragung teilnehmen können. Einleitung 7 Seit 2004 sind die Krankheitstage mit der Zusatzdiagnose Burnout kontinuierlich angestiegen. Wurden im Jahr 2004 mit dieser Diagnose noch 4,6 Krankheitstage je 1 000 Mitarbeiter erfasst, so verzehnfachten sich die Krankheitszeiten mit dieser ärztlichen Angabe bis 2009 auf 47,1 Arbeitsunfähigkeitstage je 1 000 Mitarbeiter (BKK Bundesverband, 2010). 2010 waren es sogar schon 63,2 Tage pro 1 000 Mitarbeiter (BKK Bundesverband, 2011). Burnout – insbesondere emotionale Erschöpfung – wird unter anderem assoziiert mit Absentismus, Präsentismus, reduzierter Leistung, stärkerer Wechselneigung und reduzierter Mitarbeiterzufriedenheit (Demerouti, Le Blanc, Bakker, Schaufeli & Hox, 2009; Maslach et al., 2001; Fogarty, Singh, Rhoads & Moore, 2000). In der wissenschaftlichen Literatur wurde der Begriff Burnout erstmals 1974 von Freudenberger verwendet (Freudenberger, 1974; Burisch, 2006). Burisch zufolge beschreibt er bei Freudenberger zunächst einen „psychischen und physischen Abbau der meist ehrenamtlichen Mitarbeiter alternativer Hilfsorganisationen“ (Burisch, 2006, S. 6). Auch Maslach reduzierte das Phänomen Burnout zunächst auf Mitarbeiter von helfenden Berufen wie zum Beispiel Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter und Pflegepersonal (Maslach & Goldberg, 1999). Schaufeli, Salanova, González-Romá und Bakker (2002) schrieben später, der Grund für die Tatsache, dass Burnout lange Zeit nur in Helferberufen festgestellt wurde, läge an der Formulierung der Items im Maslach Burnout Inventory (MBI), die sich insbesondere auf Helferberufe bezögen. Mit der Publikation des Maslach Burnout Inventory – General Survey (MBI-GS; Maslach & Jackson, 1981), einer generalisierten Version des MBI, in der vor allem die Items in der Sub-Skala zu Depersonalisation umformuliert wurden, konnten die drei Dimensionen des Burnouts auch in anderen Berufen festgestellt werden (Leiter & Schaufeli, 1996). 1.2.2 Ursachen von emotionaler Erschöpfung – Das Job DemandsResources-Modell „Wenn eine Angelschnur reisst – war dann die Leine zu dünn oder der Fisch zu schwer?“ (Burisch, 2006, S. 198). 8 Einleitung Mit dieser Analogie versucht Burisch (2006) die Spaltung der Wissenschaft über Persönlichkeit versus Umwelt als erschöpfungsverursachende Faktoren zu verdeutlichen. Einige Forscher konnten zum Beispiel zeigen, dass es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale gibt, die stärker mit emotionaler Erschöpfung korrelieren als andere (Zellars, Hochwarter, Perrewè, Hoffman & Ford, 2004). Andere Studien zeigen hingegen verschiedene Aspekte der Arbeit auf, wie zum Beispiel Arbeitspensum, Anerkennung und soziale Unterstützung, die einen Einfluss auf emotionale Erschöpfung haben sollen (Cordes & Dougherty, 1993). Maslach und Leiter (1997) weisen schliesslich darauf hin, dass die fehlende Passung zwischen Arbeit und Mitarbeiter für emotionale Erschöpfung verantwortlich ist. Sowohl die Theorie, dass es individuelle Faktoren sind, die emotionale Erschöpfung beeinflussen, als auch der Ansatz der Passung zwischen Mitarbeiter und Arbeit sind sicherlich relevante Forschungsfelder. Der Fokus dieser Arbeit ist jedoch auf das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbedingungen als mögliche Einflussfaktoren reduziert, da diese auch gleichzeitig ein Stellhebel für Unternehmen sein können und durch ein BGM am einfachsten zu beeinflussen sind. Eine der dominantesten Theorien zur Entstehung von emotionaler Erschöpfung ist das Job Demands-Resources-Modell (JD-R; Demerouti, Bakker, Nachreiner & Schaufeli, 2001). Dieses Modell besagt, dass das Risiko, emotional erschöpft zu werden, durch zwei Aspekte der Arbeit beeinflusst wird. Auf der einen Seite gibt es bestimmte Anforderungen (demands), wie zum Beispiel Zeitdruck, ein hohes Arbeitspensum oder ständiger Kundenkontakt, die eine mentale Anstrengung zur Folge haben und mit psychischen Kosten (z. B. emotionale Erschöpfung) assoziiert sind. Auf der anderen Seite gibt es Ressourcen (resources), die bei der Bewältigung genau dieser Anforderungen helfen und vor deren negativen Auswirkungen schützen können. Ressourcen können organisationaler, sozialer oder persönlicher Natur sein (Demerouti et al., 2001; Hobfoll, Johnson, Ennis & Jackson, 2003). Beispiele von organisationalen Ressourcen sind Kontrolle, Entwicklungsmöglichkeiten, Partizipationsmöglichkeiten und Abwechslung bei der Arbeit. Zu den sozialen Ressourcen kann zum Beispiel die Unterstützung von Kollegen, Familie oder Freunden, aber auch von Vorgesetzten zählen. Persönliche Ressourcen können zum Beispiel Engagement, Selbstwirksamkeit, Optimismus oder Resilienz beinhalten (Xanthopoulou, Bakker, Demerouti & Schaufeli, 2007). Die drei Arten der Res- Einleitung 9 sourcen sind allerdings nicht unabhängig voneinander. Persönliche Ressourcen können zum Beispiel oft nur dann entfaltet werden, wenn die entsprechenden organisationalen Ressourcen vorhanden sind. So können sich Mitarbeiter zum Beispiel erst auf ihre Motivationsfähigkeit und Selbstwirksamkeit besinnen und diese erfahren, wenn sie Zeit für Reflexion und Handlungsspielraum haben (Geyer, 1997; Zapf & Semmert, 2004). Demerouti et al. (2001) weisen darauf hin, dass ein erhöhtes Risiko für emotionale Erschöpfung dann entsteht, wenn die Anforderungen auf lange Sicht überhandnehmen und der Mitarbeiter nicht genügend Ressourcen hat, der entstehenden Belastung entgegenzuwirken. Ressourcen können nicht nur einen direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit haben, sondern auch einen indirekten oder sogar eine Pufferwirkung. Indirekt können Ressourcen die Gesundheit fördern, indem sie dem Entstehen von Belastung entgegenwirken oder helfen, bestehende Belastungen abzubauen. Als Puffer wirken sie, wenn sie bestehende Belastungen zwar nicht abbauen, jedoch zu einer Bewältigung dieser beitragen und damit möglicherweise gesundheitsschädigende Effekte abschwächen (Zapf & Semmer, 2004; Ulich & Wuelser, 2010). In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie ein BGM aussehen muss, damit es sowohl Anforderungen reduziert als auch Ressourcen steigert. 1.2.3 Systematischer Ansatz Eine Vielzahl an Massnahmen zur Förderung der Mitarbeitergesundheit – insbesondere der psychischen Gesundheit – wird in Unternehmen bereits eingesetzt. So gibt es zum Beispiel Sportangebote, Stress-Management-Kurse oder externe psychologische Beratungen. Was jedoch häufig fehlt, ist eine ganzheitliche Entwicklung und Verknüpfung einzelner Massnahmen zu einem systematischen BGM. Badura et al. (2010, S. 51) sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Verzettelung in zahlreiche voneinander unabhängige Einzelaktionen ohne abgestimmte Zielverfolgung“. Die Autoren machen ausserdem das „unterentwickelte Bewusstsein für die Bedeutung valider Daten zur Bedarfsermittlung, Zielfindung und Projektevaluation“ verantwortlich für eine fehlende nachhaltige Wirksamkeit der Bemühungen. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu untersuchen, welche Rolle die Systematik eines BGM bei der Verbesserung psychischer Gesundheit im Unternehmen spielt 10 Einleitung und ob deren Einsatz – wie von Badura et al. (2010) angenommen – von ihrem Nutzen her tatsächlich über den der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel hinausgeht. Die erste Forschungsfrage dieser Arbeit lautet: Forschungsfrage 1. Welchen Einfluss hat die Systematik eines betrieblichen Gesundheitsmanagements auf den Grad der emotionalen Erschöpfung von Mitarbeitern und welche Aspekte eines systematischen Ansatzes sind hierbei besonders entscheidend? 1.2.4 Erkennen und Vermeiden der Beschleunigungsfalle In ihrem Artikel Wege aus der Beschleunigungsfalle im Harvard Business Manager weisen Bruch und Menges (2010b) darauf hin, dass nicht nur Individuen ausbrennen, sondern auch ganze Unternehmen vom sogenannten kollektiven Burnout betroffen sein können. Dies scheint ein Phänomen unserer Zeit zu sein, in der die Arbeitswelt immer stärker von „Globalisierung, Flexibilisierung, Privatisierung und verstärktem Wettbewerb“ geprägt ist (Kaluza, 2011, S.29). Ausgebrannte Individuen sind oft nur Symptomträger einer ausgebrannten Organisation – eine Tatsache, die durch die Neigung zur Individualisierung struktureller oder organisationaler Probleme von betrieblichen Gesundheitsexperten häufig ausgeblendet wird (Badura et al., 2010). Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass die Untersuchung von Organisationen komplett andere Kompetenzen und Erfahrungen voraussetzt als die Untersuchung einzelner Personen. Diese Erkenntnis sowie die Notwendigkeit einer Erhebung valider Daten im BGM zeigen den Bedarf für ein Messinstrument auf, das die Organisationsebene erfasst. Der Fragebogen zur Messung der Beschleunigungsfalle nach Bruch und Vogel (2005; 2011) stellt ein solches Instrument dar. Bei der Beschleunigungsfalle handelt es sich um ein Phänomen, das auftritt, wenn ein Unternehmen ständig am Limit seiner Kapazitäten arbeitet und dadurch in eine dynamische Spirale der kollektiven Überlastung gerät. Kunz (2012) validiert in seiner Arbeit das von Bruch und Vogel (2005, 2011) entwickelte Befragungsinstrument zur Messung der Beschleunigungsfalle und zeigt die Eignung dieses Instruments sowohl für den wissenschaftlichen als auch den praktischen Einsatz. In der vorliegenden Arbeit soll der Zusammenhang zwischen Beschleunigungsfalle und emotionaler Erschöpfung wissenschaftlich Einleitung 11 untersucht werden, um das Befragungsinstrument zur Messung der Beschleunigungsfalle als effektives Mittel zu legitimieren, Gesundheit in Unternehmen zu monitoren. Zusätzlich sollen mögliche Entschleunigungsmassnahmen (Bruch & Menges, 2010a; 2010b) diskutiert und auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Vermeidung der Beschleunigungsfalle und von emotionaler Erschöpfung überprüft werden. Im BGM spricht man in diesem Kontext von einer Verhältnisprävention im Gegensatz zu einer reinen Verhaltensprävention. Bei einer Verhaltensprävention handelt es sich um Massnahmen, die sich auf das Verhalten individueller Mitarbeiter beziehen (z. B. Stressmanagementseminare). Massnahmen zur Verhältnisprävention adressieren hingegen die Organisation als Ganzes und haben zum Ziel, die Verhältnisse zu verbessern – sprich Strukturen, Prozesse und Arbeitsbedingungen auf Organisationsebene (Ulich & Wülser, 2010). Auf diese Weise können „Ursachen für Stress und somit für eine negative Beeinflussung der psychischen Gesundheit angegangen werden. Individuelle Stressinterventionen mindern zwar die Symptome, wirken sich aber meist nicht auf die Ursachen aus.“ (Sockoll, Kramer & Bödeker, 2008, S. 32). Bei den Entschleunigungsmassnahmen handelt es sich um eine solche Verhältnisprävention, die auf der Organisationsebene eingesetzt wird und somit nachhaltig die Ursachen für psychische Belastungen reduziert. Die zweite Forschungsfrage lautet: Forschungsfrage 2. Welchen Einfluss hat die Beschleunigungsfalle auf den Grad der emotionalen Erschöpfung von Mitarbeitern und wie kann sie vermieden werden? 1.2.5 Gesunde Führung Dass Führung einen unbestreitbaren Einfluss auf die Mitarbeitergesundheit hat und daher einen wichtigen Bestandteil eines BGM darstellen sollte, wird bereits erkannt (Badura et al., 2010; Uhle & Treier, 2011). Sigrist (1996a; 2002) zeigte zum Beispiel mit seinem Modell der Gratifikationskrise, dass Mitarbeiter krank werden können, wenn sie sich bei der Arbeit mehr verausgaben als sie von ihrem Vorgesetzten in Form von Wertschätzung und finanzieller Belohnung zurückbekommen. Andere Studien legen nahe, dass Mitarbeiter eher gesund bleiben, wenn sie das Gefühl haben, ausreichend Kontrolle über ihre Tätigkeit ausüben zu können (Stordeur, 12 Einleitung Vandenberghe & D´hoore, 1999; Karasek, 1979). Was jedoch in der bisherigen Forschung – und leider auch in der Praxis – vernachlässigt wird, ist das Thema Gesundheit als Bestandteil von Führung. Führung sollte nicht nur versuchen indirekt Einfluss auf Mitarbeitergesundheit zu nehmen, sondern das Thema Gesundheit unmittelbar zum Inhalt des Führungsverhaltens und der Führungseinstellung machen (Franke & Felfe, 2011). Franke (2012) hat hierzu bereits Pionierarbeit geleistet, indem sie aufzeigt, dass Mitarbeiter von Führungskräften, die eine gesunde Mitarbeiterführung an den Tag legen, generell gesünder sind und weniger Irritation empfinden. Was bisher ausser Acht gelassen wurde, ist die Rolle der Geschäftsleitung in diesem Zusammenhang und der Einfluss von gesunder Selbstführung. Diese Aspekte sollen in dieser Arbeit näher untersucht werden. Die dritte Forschungsfrage lautet: Forschungsfrage 3. Welchen Einfluss hat gesunde Führung auf den Grad der emotionalen Erschöpfung von Mitarbeitern und welche Rolle spielt die gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hierbei? 1.3 Methodik und Aufbau der Arbeit 1.3.1 Forschungsansatz, Datenquellen und Vorgehen Als Forschungsansatz wurde eine Kombination aus qualitativer und quantitativer Forschung gewählt. Anhand der quantitativen Methoden sollen zunächst Zusammenhänge zwischen einzelnen Variablen untersucht werden. Die qualitativen Daten dienen zur Untermauerung und Ergänzung der quantitativen Ergebnisse. Quantitative Daten Bei der Stichprobe der quantitativen Daten handelt es sich um 96 deutsche Unternehmen mit insgesamt 15 934 Mitarbeitern. Die Anzahl Mitarbeiter der einzelnen Unternehmen liegt zwischen 20 und 5000. Nach Berechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM Bonn, 2012) machten klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) 2010 99.6 % aller Unternehmen in Deutschland aus. Die Schätzungen des Instituts für 2011 und 2012 liegen ebenfalls bei diesem Prozentsatz. Das Cardiff Memorandum zur betrieblichen Gesundheitsförderung in Klein- und Mittelbetrieben des Europäischen Netzwerks für betriebliche Gesundheitsförderung Einleitung 13 (ENWHP; 1998) hebt zudem hervor, dass das Thema Gesundheit für KMU besonders relevant ist, da es bisher vernachlässigt wurde und sich Fehlzeiten in KMU drastischer auswirken. Auch Sczesny, Keindorf, und Droß (2011) weisen auf die Relevanz eines betrieblichen Gesundheitsmanagements in KMU hin. In ihrer Studie für die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fanden sie heraus, dass KMU sich unter anderem mehr Informationen zu Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement und Arbeitsstress wünschen. Die Daten für diese Studie wurden im Rahmen eines grossen Befragungsprojektes erhoben, das vom Institut für Führung und Personalmanagement (I.FPM) der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit einer deutschen Benchmarking-Agentur durchgeführt wurde. Es handelt sich hierbei um ein Querschnitt-Design. An der Befragung haben Geschäftsleitung, Mitarbeiter und Vertreter der Personalabteilungen der befragten Unternehmen teilgenommen, wodurch der Common Source Bias minimiert wird (Podsakoff, MacKenzie, Lee & Podsakoff, 2003). Der Befragungszeitraum erstreckte sich von Januar bis Juni 2012. Alle für die Studien relevanten Variablen wurden auf Organisationsebene aggregiert. Es werden daher keine Individualzusammenhänge gezeigt, sondern nur Auswirkungen auf Unternehmensebene. Qualitative Daten Die Teilnehmer an der qualitativen Untersuchung sind Verantwortliche für das betriebliche Gesundheitsmanagement – z. B. leitende Betriebsärzte oder Mitarbeiter der Personalabteilung – von vier deutschen Unternehmen. Bei drei der Unternehmen handelt es sich um Grosskonzerne, da diese hinsichtlich des betrieblichen Gesundheitsmanagements bereits weiter vorangeschritten und somit gut geeignet sind, Best Practices zu demonstrieren. Bei einem Unternehmen handelt es sich um einen weltweit fungierenden Mittelständler mit rund 5 000 Beschäftigten. Hierdurch kann zum einen ein Bezug zu den von mittelgrossen Unternehmen stammenden quantitativen Daten hergestellt und zum anderen aufgezeigt werden, wie ein BGM in mittelgrossen Unternehmen ohne die in einem Konzern vorhandenen finanziellen Mittel gefördert werden kann. Die Datenerhebung der qualitativen Studie fand mittels 20-50-minütigen, telefonisch durchgeführten Interviews statt. Die Interviews wurden mit Zustimmung der 14 Einleitung Interviewpartner aufgenommen. Um möglichst viele relevante Informationen von den Interviewpartnern zu erhalten, wurde ein semi-strukturierter Interviewleitfaden verwendet. Die Eingangsfrage lautet stets: „Was wird in Ihrem Unternehmen im Bereich betriebliches Gesundheitsmanagement getan, insbesondere in Bezug auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter?“. Anschliessend werden die verschiedenen Aspekte und Massnahmen erörtert, Ausgangslage und Resultate abgeklärt, und es wird insbesondere auf die Systematik des BGM und die Rolle der Führungskräfte eingegangen. 1.3.2 Aufbau der vorliegenden Arbeit Jeder der drei Forschungsfragen wurde ein Kapitel gewidmet. Auf Basis einer Literaturanalyse werden pro Forschungsfrage zunächst der theoretische Hintergrund erörtert und darauf aufbauend konkrete Hypothesen entwickelt, die anschliessend anhand von quantitativen Analysen getestet werden. Um noch fokussiertere Implikationen für die Praxis ableiten zu können, werden auf Basis der Hypothesentestung anwendungsorientierte Explorationen durchgeführt. Jedes Kapitel endet mit einem Zwischenfazit, das jeweils die Erkenntnisse und Implikationen aus den quantitativen Ergebnissen zusammenfasst und diese mit qualitativen Beispielen und Best Practices untermauert bzw. anreichert. Die Praxisbeispiele stammen jeweils entweder aus den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Interviews oder aus bereits bestehenden Publikationen zu dem Thema. Die Arbeit wird im letzten Kapitel mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung abgeschlossen. Abbildung 2 zeigt den Aufbau der vorliegenden Arbeit. Einleitung Abbildung 2: Aufbau der vorliegenden Arbeit 15 16 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 2 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 2.1 Theoretischer Hintergrund 2.1.1 Vom Arbeitsschutz zum betrieblichen Gesundheitsmanagement Im Jahr 1997 verabschiedete das Europäische Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (ENWHP) die Luxemburger Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in der Europäischen Union, die 2005 und 2007 aktualisiert wurde. Die Deklaration beinhaltet die folgenden Ansätze (ENWHP, 2012, S. 2): - „Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen - Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung - Stärkung persönlicher Kompetenzen“ Hintergrund dieser neuen Deklaration war vor allem eine „Neuorientierung des traditionellen Arbeitsschutzes in Gesetzgebung und Praxis“ durch die EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz (ENWHP, 2012, S. 2; Rat der Europäischen Gemeinschaften, 1989). Der traditionelle Arbeitsschutz habe „durch die Verringerung von Arbeitsunfällen und die Prävention von Berufskrankheiten entscheidend zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz beigetragen“, so die ENWHP (2012, S. 3). Dies reiche jedoch unter den neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie z. B. der Globalisierung, einer älter werdenden Belegschaft und der wachsenden Verbreitung neuer Informationstechnologien nicht mehr aus. Das Ziel „gesunde Mitarbeiter in gesunden Unternehmen“ soll mit den folgenden Leitsätzen erreicht werden (ENWHP, 2012, S. 4): - „Die gesamte Belegschaft muss einbezogen werden (Partizipation). - BGF muss bei allen wichtigen Entscheidungen und in allen Unternehmensbereichen berücksichtigt werden (Integration). - Alle Massnahmen und Programme müssen systematisch durchgeführt werden: Bedarfsanalyse, Prioritätensetzung, Planung, Ausführung, kontinuierliche Kontrolle und Bewertung der Ergebnisse (Projektmanagement). Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz - 17 BGF beinhaltet sowohl verhaltens- als auch verhältnisorientierte Massnahmen. Sie verbindet den Ansatz der Risikoreduktion mit dem des Ausbaus von Schutzfaktoren und Gesundheitspotenzialen (Ganzheitlichkeit).“ Damit geht die neue betriebliche Gesundheitsförderung deutlich über den klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutz hinaus. Der Begriff betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) kann leicht mit dem Begriff betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) verwechselt werden. Bei einem BGM handelt es sich üblicherweise um „die Organisation der Gesundheit im betrieblichen Kontext. Gesundheitsmanagement hat die Aufgabe, verschiedene gesundheitsbezogene Massnahmen in einem Unternehmen zu planen, zu adressieren, zu organisieren und untereinander abzustimmen“ (Bamberg et al., 2011, S. 128). BGF hingegen bezieht sich meist auf konkrete Massnahmen zur Förderung von Gesundheit am Arbeitsplatz; sie ist demnach nur ein Teilbereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements (Bamberg et al., 2011). Gemäss dieser Definition wird im Folgenden der Begriff betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) verwendet, da im Fokus dieser Arbeit stets die Organisation, also das Managen von Gesundheit im Unternehmen steht. 2.1.2 Den Fokus auf die Psyche richten Als Reaktion auf Veröffentlichungen durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) (2006) über die Folgen psychischer Krankheiten und durch die European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (Eurofound) (2007) über die Verbreitung von psychischer Belastung am Arbeitsplatz startete das ENWHP 2006 eine Kampagne, in der unter anderem das Thema psychische Gesundheit im Mittelpunkt stehen sollte (ENWHP, 2009). An der dreijährigen Kampagne nahmen insgesamt 22 Mitgliedsstaaten des ENWHP, darunter Deutschland, und 2 554 Unternehmen teil. Die Schweiz, obwohl seit Beginn Mitglied des ENWHP, nahm nicht an der Kampagne teil. Ziel der Kampagne war es, durch die Verbreitung eines nachhaltigen BGM einen Beitrag zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der EU-Bürger zu leisten. Zur Erfassung der bereits bestehenden Massnahmen im Bereich BGM mit Fokus 18 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz auf psychische Gesundheit wurde im Rahmen der Kampagne ein Online-Fragebogen (Company Health Check) eingesetzt (ENWHP, 2009). 2.1.3 Systematik als entscheidender Faktor Die Ergebnisse der Befragung zeigten, wie systematisch ein BGM in den verschiedenen europäischen Ländern in den Unternehmen umgesetzt wird. Es ging also nicht um das Vorhandensein einzelner Massnahmen in Unternehmen, sondern um die Anzahl der vorhandenen Massnahmen, die verschiedene Aspekte eines systematischen BGM widerspiegelten. Anschliessend wurden die Ergebnisse auf Länderebene aggregiert (ENWHP, 2009). Die Kampagne greift damit die allmählich entstehende Erkenntnis auf, dass nicht einzelne Massnahmen entscheidend für die Wirksamkeit eines BGM sind, sondern ein systematischer Aufbau verschiedener Massnahmen und Aspekte (Badura, 2000; Badura et al., 2010; Schneider & Peschke, 2011). Jedoch sind die Resultate der Befragung ausschliesslich deskriptiv. So wurde zum Beispiel gezeigt, dass Deutschland in Bezug auf BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit an dritter Stelle lag, hinter dem Vereinigten Königreich und Österreich (ENWHP, 2009). Was allerdings aus den Daten nicht hervorgeht, ist eine Indikation darüber, ob es einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen einer positiven Beantwortung des Company Health Checks und psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz gibt. 2.1.4 Zusammenhang zwischen einem systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagement und dem Grad emotionaler Erschöpfung Das Job Demands-Resources-Modell von Demerouti et al. (2001) besagt, wie bereits in Kapitel 1 Abschnitt 1.2.2 beschrieben, dass die Förderung von organisationalen, sozialen und persönlichen Ressourcen der Mitarbeiter und auch die Reduktion von Anforderungen für die Mitarbeiter emotionale Erschöpfung vermeiden oder reduzieren kann. Die Aussagen des Company Health Checks (ENWHP, 2009) beziehen sich auf genau diese Förderung von Ressourcen oder Reduktion von Anforderungen für die Mitarbeiter. Dies geschieht entweder direkt (z. B. durch Massnahmen und Angebote zum Umgang mit psychischer Gesundheit) oder indirekt (z. B. durch Frühwarnsysteme und Evaluierung von Massnahmen). Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 19 Obwohl einzelne Massnahmen bereits Ressourcen fördern und Anforderungen reduzieren können, scheint die Wirkung eines systematischen Ansatzes weitaus nachhaltiger zu sein (Badura et al., 2010). Mit systematischem Ansatz ist gemeint, dass nicht nur willkürlich einzelne Massnahmen zur Gesundheitsförderung angeboten werden, z. B. Stressmanagement-Kurse oder vertrauliche Beratung für Mitarbeiter, sondern dass vorab der Bedarf an Massnahmen analysiert wird, die Massnahmen anschliessend finanziert, entwickelt und implementiert werden und ihre Wirksamkeit im Anschluss evaluiert wird. Selbstverständlich werden für ein gut etabliertes Gesundheitsmanagement entsprechende finanzielle Mittel benötigt, jedoch kann auch viel Geld für Einzelmassnahmen verschwendet werden, die am Ende nicht effektiv sind. Zudem sind die finanziellen Mittel meist nicht der Grund, weshalb ein BGM nicht systematisch durchgeführt wird (Badura et al., 2010). Es ist daher davon auszugehen, dass ein systematischer Ansatz eines betrieblichen Gesundheitsmanagements unabhängig vom vorhandenen Budget entscheidend für die Mitarbeitergesundheit ist. Hypothese 1 (H1): Die Systematik eines betrieblichen Gesundheitsmanagements mit Fokus auf psychische Gesundheit hängt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen nach Kontrolle für das zur Verfügung stehende Budget. Abbildung 3 zeigt das erwartete Modell. 20 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Abbildung 3: Einfluss von BGM-Systematik BGM und BGM-Budget Budget auf emotionale Erschöpfung – erwartetes Modell 2.2 Methode Bei der Stichprobe für diese Untersuchung handelt es sich um 96 Unternehmen mit insgesamt 15 934 Mitarbeitern. Für eine detaillierte Beschreibung der Stichprobe und der Datenerhebung siehe Kapitel 1 Abschnitt 1.3.1. 2.2.1 Skalen Emotionale Erschöpfung Um die emotionale tionale Erschöpfung der Mitarbeiter zu messen, wird die deutsche VerVer sion des Maslach Burnout Inventory – General Survey (MBI--GS) verwendet (Maslach & Jackson,, 1981), 1981), die 2006 von Fischbach, Mörsdorf, Scherp und Schaufeli aus dem Englischen übersetzt wurde. Die Mitarbeiter wurden gebeten, auf einer 7-stufigen 7 Likert-Skala Skala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 7 = stimme voll und ganz zu die folgenden Aussagen in TaTa belle 1 zu beurteilen: Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 21 Tabelle 1: Emotionale Erschöpfung – Skala 1. Ich fühle mich durch meine Arbeit emotional erschöpft. 2. Am Ende eines Arbeitstages fühle ich mich verbraucht. 3. Ich fühle mich müde, wenn ich morgens aufstehe und den nächsten Arbeitstag vor mir habe. 4. Den ganzen Tag zu arbeiten, ist für mich wirklich anstrengend. 5. Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt. Cronbach‘s alpha für diese Skala liegt bei .91, was auf eine gute Reliabilität der Skala hindeutet. Um beurteilen zu können, ob es gerechtfertigt ist, die Skala zu aggregieren, wurden die Intraclass-Korrelationskoeffizienten (ICC) berechnet. Die Berechnung ergab einen ICC1 von .05 und einen ICC2 von .90 und rechtfertigt somit eine Aggregation (LeBreton & Senter, 2007; Bliese, 2000; James, Demaree & Wolf, 1984). BGM-Systematik Der systematische Ansatz des BGM mit Fokus auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter wurde mit ausgewählten Einzel-Items aus dem Company Health Check der „Move-Europe“-Kampagne erfasst (ENWHP, 2009). Die Items wurden einem Verantwortlichen der Personalabteilung der jeweiligen Unternehmen vorgelegt, und die Teilnehmer bekamen die folgenden Instruktionen: „Folgende Aussagen beziehen sich auf Massnahmen des BGM (betriebliches Gesundheitsmanagement) in Ihrem Unternehmen. Bitte kreuzen Sie an. (Mehrfachnennung möglich)“. Darauf folgten unten stehende Items wie in Tabelle 2 aufgelistet: 22 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Tabelle 2: BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit – Items In unserem Unternehmen … 1. … gibt es Massnahmen und Angebote zum Umgang mit psychischer Gesundheit. 2. … werden die Beschäftigten an der Entwicklung von Massnahmen und Angeboten zur psychischen Gesundheit bzw. Stressbewältigung beteiligt. 3. 4. … gibt es ausreichend finanzielle und/oder materielle Mittel zur Entwicklung von Massnahmen und Angeboten zur Förderung der psychischen Gesundheit bzw. Stressbewältigung. … wird in der Bedarfs- oder Gefährdungsanalyse im Rahmen des Arbeitsund Gesundheitsschutzes auch das Thema Stress bzw. psychische Gesundheit berücksichtigt. 5. … gibt es Frühwarnsysteme zum Thema psychische Gesundheit bzw. Stress. 6. … werden die Massnahmen und Angebote zu psychischer Gesundheit bzw. Stressbewältigung evaluiert (z. B. durch Diskussionen in der Arbeitsgruppe, durch eine Mitarbeiterbefragung). Anschliessend wurde ein BGM-Systematik-Index gebildet. Je mehr Items die Unternehmen angekreuzt hatten, desto systematischer wurde ihr betriebliches Gesundheitsmanagement beurteilt. Somit entstand eine Skala von 0 (keiner der BGMAspekte) bis 6 (alle aufgeführten BGM-Aspekte). BGM-Budget Um festzustellen, ob BGM-Systematik über das BGM-Budget hinaus einen negativen Zusammenhang mit emotionaler Erschöpfung hat, wurde die Höhe des Budgets erhoben, das im letzten Jahr für das BGM zur Verfügung stand, und durch die Anzahl der Mitarbeiter geteilt. Das BGM-Budget stellt also die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für ein betriebliches Gesundheitsmanagement pro Mitarbeiter dar. Kontrollvariable Als Kontrollvariable wurde die Unternehmensgrösse aufgenommen. Diese wurde mittels der Anzahl der Mitarbeiter im vorherigen Jahr erfasst. Um die Varianz der Unternehmensgrösse zu reduzieren, wurde sie durch 10 geteilt. Betriebliches liches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 23 2.2.2 Analyse zur Hypothesentestung Um die aufgestellte Hypothese zu testen, wurde eine lineare Regressionsanalyse durchgeführt. Hierdurch kann festgestellt werden,, ob die Systematik des betrieblibetriebli chen Gesundheitsmanagements nach Kontrolle für Unternehmensgrösse Unternehmen grösse und BGMBGM Budget einen Einfluss auf die emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter hat. 2.3 Ergebnisse 2.3.1 Häufigkeitsverteilung Abbildung 4 zeigt die durchschnittliche Verbreitung von emotionaler Erschöpfung in den Unternehmen. Es gilt zu beachten, dass die Prozentangaben jeweils die durchschnittliche schnittliche Erschöpfung zeigen. In 70 % der Unternehmen zum Beispiel standen die Mitarbeiter den Aussagen Aussagen zur emotionalen Erschöpfung im DurchDurch schnitt neutral gegenüber. genüber. Es wird also auch Mitarbeiter gegeben haben, die den Aussagen zugestimmt oder diese abgelehnt haben. Wie die Abbildung zeigt, sind 17 % der Unternehmen als Kollektiv emotional erer schöpft, da die Mitarbeiter dieser Unternehmen den Aussagen zur Erschöpfung im Durchschnitt zustimmen. Dies mag nicht viel erscheinen, jedoch muss man beachbeach ten, dass die Mitarbeiter, die besonders stark erschöpft sind, möglicherweise zum Zeitpunkt punkt der Befragung krankheitsbedingt k schon nicht mehr an derselben teilgeteilge nommen haben.. Zudem ist die Gruppe der erschöpften Unternehmen sogar etwas grösser als die derjenigen Unternehmen, die im Durchschnitt nicht erschöpft sind. Abbildung 4: Verbreitung durchschnittlicher emotionaler Erschöpfung Erschöpfung in Unternehmen 24 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Abbildung 5 zeigt die Beurteilung der Personalabteilung hinsichtlich der Systematik des BGM in den Unternehmen. Auffällig ist hier, dass ein Drittel der Unternehmen keinen der erfragten Aspekte des BGM etabliert hat. Weitere 23 % hatten lediglich einen Aspekt etabliert. Dies bedeutet, tet, dass bei mehr als der Hälfte der Unternehmen keine Rede von einem syssys tematischen schen betrieblichen Gesundheitsmanagement sein kann, kann denn enn selbst wenn es beispielsweise Angebote bote von Massnahmen zum Umgang mit psychischer GesundGesund heit im Unternehmen gibt (ein Aspekt), dann wird deren Bedarf Bedarf offensichtlich vorab nicht analysiert, werden diese nicht evaluiert und werden Mitarbeiter nicht bei der Entwicklung beteiligt. Hingegen haben nur 16 % der Unternehmen ein eindeutig systematisches betrieblibetriebli ches Gesundheitsmanagement mit 5 oder sogar allen 6 Aspekten. Abbildung 5: Verbreitung eines systematischen BGM in Unternehmen In Abbildung 6 ist die Höhe des Budgets zu sehen, das den Unternehmen im Jahr vor der Befragung pro Mitarbeiter für ein BGM zur Verfügung fügung stand. In 40 % der Unternehmen standen weniger als 50 Euro im Jahr für jeden Mitarbeiter zur VerfüVerfü gung. Abbildung 6: Verbreitung von BGM-Budget BGM in Unternehmen Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 25 2.3.2 Ergebnisse der Hypothesentestung Tabelle 3 stellt die Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) und Korrelationen der Variablen dar. Wie der Tabelle zu entnehmen ist, liegt eine signifikante negative Korrelation zwischen BGM-Budget und emotionaler Erschöpfung vor (r = -.29, p < .01). BGM-Systematik korreliert marginal negativ mit emotionaler Erschöpfung (r = -.19, p = .07). 26 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Tabelle 3: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen emotionale Erschöpfung, BGM-Budget und BGMSystematik 1 Unternehmensgrösse 2 Emotionale Erschöpfung 3 BGM-Budget 4 BGM-Systematik 1** 2** M SD 335.17 542.78 3.02 .45 .31** 222.42 688.81 -.13** -.29** 2.08 2.01 .23** -.19** Hinweis: Bei M und SD der Unternehmensgrösse handelt es sich um Werte vor der 10er-Transformation. * p < .05; **p < .01; ***p < .001. 3** .17** Betriebliches liches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 27 Abbildung 7 zeigt das Regressionsmodell. Die Unternehmensgrösse hat einen signisigni fikanten kanten positiven Einfluss auf emotionale Erschöpfung (β ( = .34, p < .01). Das Modell bestätigt zudem Hypothese 1, da das Regressionsgewicht von sowohl BGMBGM Budget (β = -.21, p < .05) als auch BGM-Systematik (β = -.23, p < .05) negativ und signifikant ist. Beide Variablen haben einen signifikanten negativen Einfluss auf emotionale Erschöpfung.. Dies bedeutet, dass ein systematisches betriebliches GeGe sundheitsmanagement ment emotionale Erschöpfung im Unternehmen reduziert. Dieser Effekt bleibt bestehen, hen, wenn man für BGM-Budget kontrolliert. Abbildung 7: Einfluss von BGM-Systematik BGM und BGM-Budget Budget auf emotionale Erschöpfung – Ergebnisse Tabelle 4 fasst die Ergebnisse zusammen. 28 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Tabelle 4: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs von BGMBudget und BGM-Systematik mit emotionaler Erschöpfung Variablen b s. e. Konstante -3.06 4-.06 --Unternehmensgrösse 4-.003 4-.001 --BGM-Budget 4-.000 --BGM-Systematik 4-.052 t p -48.75 .000 4-.34 6-3.48 .001 4-.000 4-.21 6-2.15 .03 4-.02 4-.23 6-2.36 .02 β R2 .21 2.3.3 Anwendungsorientierte Exploration Die Regressionsanalyse ergab, dass ein systematisches BGM mit Fokus auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter wie erwartet emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter reduziert. Die Ergebnisse zeigen ausserdem, dass dieser Effekt unabhängig von der Unternehmensgrösse und vom Budget ist, das für ein BGM zur Verfügung steht. Diese Ergebnisse sagen jedoch nichts darüber aus, ob einzelne BGM-Aspekte besonders entscheidend sind oder ob es eine besonders wirksame Kombination von BGM-Aspekten gibt. Abbildung 8 zeigt zunächst, wie die einzelnen Aspekte des BGM in den Unternehmen verbreitet sind. Auffällig ist, dass für jeden einzelnen Aspekt gilt, dass jeweils weniger als die Hälfte der Unternehmen diesen Aspekt etabliert hat. Besonders gering ist der Anteil der Unternehmen, die Frühwarnsysteme haben (21 %), die ihre Mitarbeiter an der Entwicklung von Massnahmen beteiligen (26 %) und in denen die Massnahmen evaluiert werden (24 %). Dass der Anteil der Unternehmen, die Massnahmen und Angebote zum Umgang mit psychischer Gesundheit haben, am grössten ist, ist nicht überraschend. Schliesslich ergeben die meisten anderen Aspekte wenig Sinn, wenn es keine Massnahmen gibt (z. B. Evaluation von Massnahmen, Beteiligung an der Entwicklung von Massnahmen und Bedarfsanalyse). Betriebliches liches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Abbildung 8: Verbreitung einzelner BGM BGM-Aspekte in Unternehmen 29 30 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Wie die bisherigen Ergebnisse zeigen, führt eine stärker ausgeprägte Systematik des BGM zu einer reduzierten emotionalen Erschöpfung. Das heisst, je mehr BGM-Aspekte ein Unternehmen etabliert hat, desto geringer ist wahrscheinlich die emotionale Erschöpfung in diesem Unternehmen. Um herauszufinden, welche Aspekte im systematischen Vorgehen eines BGM gesunde Unternehmen besonders auszeichnen, wurden die Unternehmen, in denen im Durchschnitt keine emotionale Erschöpfung vorliegt, genauer betrachtet und mit erschöpften und sehr erschöpften Unternehmen verglichen. Abbildung 9 zeigt die Unterschiede hinsichtlich des betrieblichen Gesundheitsmanagements, die sich aus diesem Vergleich ergeben. Was diese Analyse nochmals verdeutlicht, ist die Tatsache, dass die einzelnen BGM-Aspekte jeweils stärker in den gesunden, nicht erschöpften Unternehmen verbreitet sind als in den erschöpften. Dieser Unterschied ist jedoch für die verschiedenen BGM-Aspekte unterschiedlich gross, was darauf schliessen lässt, dass einzelne Aspekte entscheidender für die Reduktion emotionaler Erschöpfung sind als andere. So berücksichtigen beispielsweise 67 % der gesunden Unternehmen das Thema Stress und psychische Gesundheit in der Bedarfs- oder Gefährdungsanalyse, bei den erschöpften Unternehmen sind es hingegen nur 23 %. Die Diskrepanz von 44 Prozentpunkten bei diesem Teilbereich des BGM ist die höchste. Ebenfalls gross ist der Unterschied von 40 Prozentpunkten hinsichtlich der Evaluation von Massnahmen und Angeboten zu psychischer Gesundheit bzw. Stressbewältigung. Die finanziellen Mittel scheinen hingegen eine weniger wichtige Rolle bei der Wirksamkeit eines betrieblichen Gesundheitsmanagements zu spielen, was die Ergebnisse der Regressionsanalyse untermauert. Der Unterschied hinsichtlich dieses Aspektes ist mit 25 Prozentpunkten der geringste. Betriebliches liches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 31 Abbildung 9: Verbreitung einzelner BGM-Aspekte in Unternehmen mit emotionaler Erschöpfung und ohne 2.4 Zwischenfazit und Praxisbeispiele Aus den Ergebnissen der Hypothesentestung lässt sich schliessen, dass ein systesyste matisches sches betriebliches Gesundheitsmanagement einen positiven Einfluss auf die Mitarbeitergesundheit it hat, indem es emotionale Erschöpfung reduziert. Wenn man sich die sechs BGM-Aspekte BGM Aspekte mit Fokus auf psychische Gesundheit anan schaut, dann kann man sie einem eine Prozess zuordnen, ordnen, da sie aufeinander aufbauen. So sollten zum Beispiel Frühwarnsysteme – wie der Begriff sagt – früh im Prozess stehen, um dann die Themen Stress bzw. psychische Gesundheit im Rahmen des Gesundheitsschutzes schutzes in der BedarfsBedarfs oder Gefährdungsanalyse zu berücksichtigen. Danach können – auf Basis des Frühwarnsystems und der Bedarfsanalyse – ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Im Sinne der Partizipation sollten die Mitarbeiter ter an der Entwicklung konkreter Massnahmen beteiligt werden. Erst nach der Entwicklung wicklung können diese Massnahmen im Unternehmen angeboten 32 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz werden. Last, but not least sollte eine regelmässige Evaluation der Massnahmen Massn stattfinden, die gleichzeitig auch wieder Teil eines Frühwarnsystems darstellen kann, z. B. in Form von Mitarbeiterbefragungen. Mitar Abbildung 10 zeigt ein mögliches Modell, wie die verschiedenen Aspekte ineinanineinan dergreifen können. Abbildung 10: BGM-Zyklus Zyklus Die anwendungsorientierte Exploration zeigt zudem, dass sich gesunde Unternehmen dadurch auszeichnen, dass sie das Thema psychische Gesundheit bereits in der Bedarfs-- oder Gefährdungsanalyse berücksichtigen und die anschliessend entwickelten Massnahmen Massnahmen evaluieren. Fundierte Analysen am Anfang und am Ende eines BGM-Zyklus BGM Zyklus scheinen also besonders wichtig zu sein. Das zur Verfügung stehende Budget scheint hingegen weniger Bedeutung für die Wirksamkeit eines BGM zu haben. Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 33 Für die Deutsche Bahn AG (DB AG) mit Sitz in Berlin – das grösste Eisenbahnunternehmen in Mitteleuropa mit über 1 000 Tochterunternehmen und insgesamt rund 300 000 Mitarbeitern – hat das Thema psychische Gesundheit der Mitarbeiter schon lange eine hohe Bedeutung. Mit 70 % der Beschäftigten im Schicht- und Wechseldienst, bei denen zwangsläufig erhebliche psychische Belastungen durch die Verschiebung des Biorhythmus entstehen, musste man das Thema schon früh ernst nehmen. So gab es bereits schon immer die Möglichkeit für diese Mitarbeiter, sich in Kurkliniken von ihren Schichtdiensten zu erholen. Seit über zehn Jahren hat die DB AG ausserdem ein strukturiertes Programm zum Umgang mit posttraumatischer Belastung für Bahnfahrer nach Unfällen und Schienensuiziden. „Dies sind Inseln, die wir schon seit Jahren sehr gut machen. Jetzt kommt es darauf an, die Inseln zusammenzuführen zu einem Gesamtkonzept psychische Gesundheit“, erklärt Dr. Christian Gravert, Leiter Gesundheitsmanagement und leitender Arzt der DB AG im Rahmen des mit ihm zum Thema BGM bei der DB AG geführten Interviews. Denn neben den unternehmensspezifischen Herausforderungen wie Schichtdienst und posttraumatische Belastung bleibe die DB AG nicht verschont vom allgemeinen Trend der Wissensgesellschaft zu stärkerer Arbeitsverdichtung und den daraus resultierenden psychischen Belastungen für Mitarbeiter und Management. Aus diesem Grund hat die DB AG unter der Leitung von Dr. Gravert ein systematisches BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit entwickelt, das alle relevanten Facetten adressiert. Frühwarnsysteme bei der DB AG Alle zwei Jahre wird eine konzernweite Mitarbeiterbefragung aller 300 000 Mitarbeiter weltweit durchgeführt. Hier geht es um sämtliche Dimensionen der Beschäftigung, wobei das Thema psychische Gesundheit durch Analysen von Einflussfaktoren (so genannte Treiberanalysen) wie z. B. Arbeitszeit, Handlungsspielräume, Kommunikation und Führungsverhalten eingegrenzt werden kann. Zusätzlich führen die einzelnen Geschäftsfelder auch spezifische Mitarbeiterbefragungen zu Gesundheitsthemen durch. Darüber hinaus gibt es regelmässige Berichterstattungen der betrieblichen Sozialberatung einschliesslich eines Employee Assistance Program und des betriebsärztlichen Dienstes zu den Gesundheitsthemen. Schliesslich werden auch Daten analysiert, die aus anderen Gründen im Unternehmen vorhanden sind, wie z. B. Krankenstand und Fluktuation. All diese Informationen können im 34 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Rahmen eines Frühwarnsystems als Indikatoren dafür gewertet werden, ob und wo möglicherweise Handlungsbedarf hinsichtlich psychischer Gesundheit im Unternehmen besteht. „Unbestritten sind Frühwarnsysteme ein wichtiger Ausgangspunkt für ein systematisches BGM“, betont Dr. Gravert. In der Praxis sei es allerdings nicht immer einfach, die beim Einsatz solcher Systeme gewonnen Informationen richtig zu interpretieren. „Es muss meines Erachtens daher legitim sein, ein BGM als echte Prävention zu betreiben, ohne dass es bereits konkrete Hinweise auf Probleme gibt.“ Bedarfs- und Gefährdungsanalyse psychischer Faktoren bei der DB AG Wichtig ist die Unterscheidung der Frühwarnsysteme und Indikatoren zum nächsten Aspekt im BGM-Zyklus, der Bedarfs- und Gefährdungsanalyse. Hierbei handelt es sich um eine objektive Analyse der Arbeitsgestaltung, welche die subjektive Einschätzung von Betroffenen, wie sie bei Mitarbeiterbefragungen erhoben wird, ergänzt. Die DB AG hat sich hierbei für ein konsensorientiertes, überwiegend beobachtendes Verfahren auf Basis von Leitlinien des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) entschieden, das am 1. Mai 2014 konzernweit verbindlich eingeführt wurde. Das branchenspezifische Verfahren wurde zusammen von Betriebsärzten der Mitgliedsunternehmen und Unfallversicherungsträgern entwickelt und ermöglicht dem Arbeitgeber, gemeinsam mit Betriebsrat, Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft, psychisch belastende Faktoren am Arbeitsplatz zu identifizieren und Gegenmassnahmen zu bestimmen. Mit Hilfe einer Checkliste werden Aspekte wie Arbeitsumgebung, Arbeitsorganisation, Arbeitsinhalt, Kommunikation, Qualifikation, Arbeitszeit und Führung bewertet. Informationen hierüber werden mit Hilfe von drei Methoden gewonnen: 1. Beobachten des Arbeitsplatzes 2. Befragung von Arbeitsplatzinhabern 3. Nutzen von Erfahrungswissen über den Arbeitsplatz Hierzu arbeitet ein Team aus Führungskraft, Sicherheitsfachkraft, Betriebsarzt und Betriebs-/Personalrat zusammen. „Grade hier liegen sowohl Stärke als auch Herausforderung des Verfahrens“, erklärt Dr. Gravert. „Es gilt, auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der Beteiligten bei der Durchführung jeder Bewertung sowohl die Sicht aller Mitglieder des Bewertungsteams als Fremdeinschätzung als Betriebliches liches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 35 auch die Bewertung bezogen auf die Bedingungen, nicht die Personen, Personen sicherzustellen.“ Abbildung 11 zeigt die Einordnung des Verfahrens in eine Bewertungssystematik: Abbildung 11: VDV-Verfahren Verfahren in Bewertungssystematik Jedes Mitglied des Bewertungsteams führt die Bewertung zunächst allein durch. In einer moderierten Konsensrunde wird im Team pro Item ein Konsens Konsens gefunden. ZuZu sätzlich wird die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs bestimmt. Das Verfahren kann flexibel eingesetzt werden, sowohl was die zu bewertenden AsAs pekte als auch was die verwendeten Methoden angeht. Dr. Gravert empfiehlt jedoch einen strukturierten Ablauf uf der Durchführung. Abbildung 12 zeigt diesen Ablauf. 36 Abbildung 12: Ablauf des VDV-Verfahrens bei der DB AG Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 37 Beispielitems der Checkliste sind: „Einem erhöhten Risiko aus verbalen und tätlichen Übergriffen Dritter wird mit geeigneten Maßnahmen entgegen gewirkt, z.B. durch ein Deeskalationstraining“, „Die Arbeitsausführung oder die Reihenfolge der Tätigkeiten kann vom Beschäftigten beeinflusst werden“ und „Der Beschäftigte erhält Rückmeldungen zu Arbeitsabläufen und Arbeitsergebnissen“. Finanzielle Mittel für das BGM bei der DB AG Was das Budget für das BGM angeht, so wird dies bei der DB AG aufgeteilt in ein zentral bereitgestelltes Budget für Forschung, Entwicklung und Kommunikation im BGM und die Hauptlast der Kosten, die von den einzelnen Betrieben der DB AG im Rahmen ihrer Personalkosten selbst getragen werden. Das Budget wird jährlich auf Basis der gesetzlichen Verpflichtungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie der Erfahrungen der Vorjahre bestimmt. Themen der psychischen Gesundheit fallen zum Grossteil in die Bereiche Führungskräfte- und Mitarbeiterentwicklung und werden aus diesen Budgets finanziert. Diese Aufteilung der Kosten auf zentrale und dezentrale Bereiche sowie auf BGM und Personalentwicklung zeigt zudem, dass eine Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche für ein integriertes, systematisches BGM entscheidend ist. Wie jedoch schon die anwendungsorientierte Exploration in diesem Kapitel in Abschnitt 2.3.3 gezeigt haben, bestätigt auch Dr. Gravert, dass finanzielle Mittel nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Wirksamkeit eines BGM sind: „Ausreichende finanzielle Mittel sind zweifellos wichtig, genauso wichtig sind aber personelle Ressourcen wie Zeit und Engagement. In der Praxis wird man manchen Ansatz erschweren, wenn man erst nach Bereitstellung finanzieller Mittel „loslegen“ kann. Alle Fachdisziplinen im Unternehmen konkurrieren um begrenzte Mittel. Deshalb muss man manchmal durch Umwidmung bereits vorhandener Ressourcen einfach starten, die Mittel kommen dann mit den Konzepten und ersten Erfolgen.“ Beteiligung der Mitarbeiter der DB AG an der Entwicklung von Massnahmen Die Beteiligung der Mitarbeiter an der Entwicklung von Massnahmen findet an zwei Stellen statt. Zum einen sind es natürlich die Mitarbeiter, welche die Daten bei Mitarbeiterbefragungen liefern und so auf verschiedene Themen aufmerksam machen, die auch mit Gesundheit zusammenhängen können. Zum anderen haben die 38 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Mitarbeiter einen aktiven Part bei der Nachbereitung der Befragungsergebnisse. Die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen werden bei der DB AG bis auf Teamebene heruntergebrochen und hier durch interaktive Workshops nachbereitet. Die Mitarbeiter bekommen zunächst die Ergebnisse zurückgespiegelt und haben die Möglichkeit, diese durch qualitative Informationen und konkrete Beispiele zu ergänzen. So erhalten Führungskräfte, Personalabteilung und BGM-Verantwortliche wichtige zusätzliche Informationen, die über die rein quantitativen Ergebnisse hinausgehen. Anschliessend wird erörtert, was mögliche Ursachen für die Ergebnisse sind, und gemeinsam mit den Mitarbeitern werden Lösungsansätze und Massnahmenvorschläge erarbeitet. „Die in den Workshops erarbeiteten Massnahmen werden in einem Onlinetool erfasst und hinsichtlich ihrer Umsetzung nachgehalten“, berichtet Dr. Gravert. Im vergangenen Jahr wurden bei der DB AG rund 10 000 solcher Workshops durchgeführt und insgesamt 30 000 Massnahmen entwickelt. Darüber hinaus nehmen einzelne Mitarbeiter aus den verschiedenen Abteilungen und Teams an sogenannten Gesundheitszirkeln teil. Hierbei handelt es sich um ein Zusammenkommen von je rund fünf Mitarbeitern, einem Betriebsarzt bzw. einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, einem Vertreter des Betriebsrats und einem Moderator. In den Zirkeln werden mögliche Belastungsfaktoren identifiziert und Lösungsvorschläge zur Beseitigung dieser Faktoren und zu einer generell gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung entwickelt. „Eine Beteiligung der Mitarbeiter an der Entwicklung von Massnahmen ist wichtig. Genauso müssen aber das Management und die Interessenvertretung mitgenommen werden. Nur so kann man im gesamten Unternehmen Akzeptanz schaffen und können die Massnahmen später auch erfolgreich umgesetzt werden“, betont Dr. Gravert. Dies geschieht bei der DB AG sowohl bei den Nachbereitungen der Mitarbeiterbefragungen als auch bei den Gesundheitszirkeln. Zusätzlich findet zweimal im Jahr ein Konzernforum zur Gesundheitspolitik statt, bei dem der Personalvorstand, der Konzernvorstand, die Leiter Gewerkschaft und der Betriebsarzt zusammenkommen und sich über eine gesundheitspolitische Ausrichtung abstimmen. Beispiele von Massnahmen und Angeboten hinsichtlich BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit bei der DB AG Eine der Massnahmen, die bei der DB AG im Rahmen eines systematischen BGM angeboten wird, ist die konzernweite niedrigschwellige Mitarbeiterbetreuung MUT Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 39 (Mitarbeiterunterstützungsteam). Hier können Mitarbeiter, Führungskräfte, Personalverantwortliche, Interessenvertreter und im Haushalt lebende Angehörige der Beschäftigten jeder Zeit anonym anrufen und sich zu den verschiedensten Themen im Bereich der psychischen Belastung beraten lassen. Themen sind zum Beispiel Familie, Partnerschaft, Pflege, Kinder und Erziehung, Trauer, Trennung, Scheidung, Stress, Burnout und Erschöpfung, finanzielle Sorgen, Konflikte im Arbeitsumfeld (z. B. Mobbing, sexuelle Belästigung), Fragen der Mitarbeiterführung, Sucht oder psychosomatische Erkrankungen. Die Beratung erfolgt direkt beim ersten Telefonbzw. E-Mail-Kontakt. Der Anrufer muss sich nicht vorher anmelden. Bei Bedarf können die Anrufer an einen Kooperationspartner weitervermittelt werden, der Berater am Telefon bleibt jedoch verantwortlicher Ansprechpartner für das Anliegen des Anrufers. Weitere Beispiele von BGM-Massnahmen bei der DB AG sind ein E-Learning-Tool zu psychischen Belastungen für Führungskräfte, diverse Seminarangebote für Mitarbeiter und Führungskräfte, individuelle Fernlernangebote im Rahmen des Gesundheitscoachings sowie zahlreiche Stresspräventionsprogramme. Wie werden Massnahmen und Angebote bei der DB AG evaluiert? Wie bereits der BGM-Zyklus in Abbildung 10 andeutet, gehen Evaluierung von Massnahmen und Frühwarnsysteme auch in der Praxis oft ineinander über. Ein bestimmter Trend in den Ergebnissen von regelmässig durchgeführten Mitarbeiterbefragungen kann z. B. Auskunft darüber geben, ob vorher umgesetzte Massnahmen bereits Wirkung gezeigt haben. Gleichzeitig zeigen sie auf, ob und wo noch Handlungsbedarf besteht und inwiefern Massnahmen angepasst oder weiterentwickelt werden sollten. Bei der DB AG gab es 2012 und 2013 gerade eine Welle neu implementierter Massnahmen, zu deren Wirksamkeit nun im Herbst 2014 die Ergebnisse der letzten Mitarbeiterbefragung näher Auskunft geben können. Das Beispiel DB AG zeigt, wie man die verschiedenen Aspekte eines BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit systematisch angehen kann. Besonders interessant ist hierbei, wie die DB AG die Durchführung einer Bedarfs- und Gefährdungsanalyse umsetzt. Die Gefährdungsbeurteilung, inzwischen auch zum Thema psychische Belastungen, ist bereits Bestandteil des Arbeitsschutzgesetzes und damit ein zentrales Element des betrieblichen Gesundheitsmanagements (Schleicher, 2010). Schleicher zufolge ermöglicht erst die „systematische und vollständige Gefähr- 40 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz dungsbeurteilung […] eine sachgerechte, daten- und nicht meinungsgestützte Umsetzung von belastungsreduzierenden bzw. gesundheitsförderlichen Interventionsmassnahmen“ (Schleicher, 2010, S. 213). Trotz der Verankerung einer Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen im Arbeitsschutzgesetz, wird eine solche Beurteilung nicht immer konsequent in Unternehmen durchgeführt (Hoffmann, 2014). Auch die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zeigen, das lediglich weniger als die Hälfte der Unternehmen eine solche Beurteilung durchführt (Abb.8). Schleicher sieht einen Grund hierfür im Mangel einer einfachen Messbarkeit psychischer Belastungen, wodurch „somit das Instrumentarium und das Know-how des klassischen Arbeitsschutzes nicht ausreichen, um den betrieblichen Status quo mit einem Soll-Zustand anhand normierter Schutzziele beurteilen zu können“ (Schleicher, 2010, S. 215). Oft wissen Unternehmen einfach nicht, wie sie das Thema psychische Belastungen angemessen in eine Gefährdungsbeurteilung integrieren können (Badura et al., 2010). Hoffmann (2014) weist zudem darauf hin, dass die Einführung einer verbindlichen gesetzlichen Regelung zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Belastungen zurückgestellt wird, bis weitere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Zusätzlich zu einer objektiven Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsschutzes sollten Unternehmen auch subjektive Analysen in Form von Mitarbeiterbefragungen durchführen, um ein aussagekräftiges Bild des Status quo zu erhalten (Rixgens, 2010). So wollte zum Beispiel, wie bereits in Bruch und Spalckhaver (2012) beschrieben, die Unilever Deutschland GmbH mit Sitz in Hamburg 2008 anhand einer Mitarbeiterbefragung Antworten auf die folgenden Fragen erhalten: 1) Was genau sind die gesundheitlichen Probleme unserer Mitarbeiter? 2) Was kostet die Krankheit? Wie hoch sind die Produktivitätsverluste? 3) Haben wir die ric htigen Angebote, was soll ergänzt werden? 4) Was muss geschehen, damit die Situation sich wieder verbessert? Die Ergebnisse der Befragung waren eindeutig: 80 % der Mitarbeiter empfanden arbeitsbedingten Stress, 60 % gaben Schlafstörungen an, und 40 % klagten über Depressionen. Bei den Kosten, die durch Krankheit verursacht wurden, wurde zwischen Kosten durch Absentismus und Kosten durch Präsentismus unterschieden. 27 % der Kosten Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz 41 durch Krankheit wurden dadurch verursacht, dass Mitarbeiter wegen Krankheit arbeitsunfähig waren und zuhause blieben (Absentismus). Präsentismus hingegen zeigt sich, wenn Mitarbeiter trotz Krankheit zur Arbeit gehen, aber nicht voll leistungsfähig sind. Der hierdurch entstandene Produktivitätsverlust machte bei Unilever 73 % der krankheitsbedingten Kosten aus. Zusätzlich ergab die Analyse, dass 50 % der Kosten für Absentismus und Präsentismus allein auf die Themen Stress, Schlafstörungen und Depression zurückzuführen waren. Das Problem bei Unilever waren also nicht in erster Linie krankheitsbedingte Fehlzeiten. Viele Mitarbeiter gingen trotz Krankheit und Überlastung zur Arbeit, waren in ihrer Produktivität jedoch eingeschränkt. Als Konsequenz aus der Befragung leitete Unilever umfassende Massnahmen ein, mit Schulungen, Gesundheitstagen und Mitarbeiterberatungsangeboten (Bruch & Spalckhaver, 2012). Die SMA Solar Technology AG – der weltweit umsatzstärkste Hersteller von Wechselrichtern für Photovoltaikanlagen mit über 5 000 Mitarbeitern und Hauptsitz in Niestetal – setzt auf einen Burnout-Selbst-Check für Mitarbeiter im Intranet. Hier können Mitarbeiter überprüfen, ob sie Burnout-Symptome aufweisen bzw. Kollegen durch Merkblätter darauf hinweisen. Die Intranetseite, die von Vorstand und Betriebsrat mitentwickelt und beworben wurde, hat sehr grosse Resonanz gefunden: „Bereits in der ersten Woche waren ca. 4 000 der rund 5 000 Mitarbeiter auf der Seite“, berichtet Ernst Kaiser, Verantwortlicher für das betriebliche Gesundheitsmanagement bei SMA im Rahmen des mit ihm geführten Interviews zum Thema BGM bei SMA. Anhand der IP-Adressen könne man sehen, wie viele Mitarbeiter auf die Seite zugreifen (natürlich anonym). Ungefähr die Hälfte hiervon habe auch Tests zu Burnout und Stress durchgeführt. Die Mitarbeiter erhalten nach einem Test eine automatische Rückmeldung mit Empfehlungen nach dem Ampelsystem: Grün, Gelb, Rot. Bei Rot gibt es die Empfehlung, sich an einen entsprechenden Ansprechpartner zu wenden. Die möglichen Ansprechpartner wie z. B. Gesundheitsmanager, Psychologen, Betriebsrat und Betriebsärzte sind ebenfalls auf der Intranetseite aufgeführt. Zusätzlich werden Links zu externen Tests und Ansprechpartnern bereitgestellt, falls es Mitarbeiter gibt, die dieses Thema lieber ausserhalb des Arbeitsplatzes angehen möchten. Die anonymisierte Auswertung der Daten gibt einen Hinweis darauf, wie relevant das Thema psychische Gesundheit bei SMA ist und wie hoch der Bedarf an Beratung zu diesem Thema ist. 42 Betriebliches Gesundheitsmanagement mit systematischem Ansatz Wie die aufgeführten Unternehmensbeispiele zeigen, gibt es verschiedene Wege, um die Ist-Situation zu klären, die nach Möglichkeit miteinander kombiniert werden sollten. Durch die verschiedenen Datenquellen kann ein ganzheitlicher Überblick über den BGM-Bedarf im Unternehmen entstehen. Entscheidend bei Mitarbeiterbefragungen ist jedoch, dass Unternehmen tatsächlich eine Veränderungsbereitschaft aufweisen (Hilb, 2009). „Wird lediglich diagnostiziert, ohne eine Verbesserung der Situation anzustreben, so kann dies sehr negative Folgen haben: Nicht erfüllte Erwartungen können zu Frustrationen der Mitarbeiter führen.“ (Hilb, 2009, S. 206). Ebenso wichtig wie eine Analyse vorab ist – wie die anwendungsorientierte Exploration in diesem Kapitel in Abschnitt 2.3.3 zeigt – die Evaluation im Nachgang von durchgeführten BGM-Massnahmen. Goetzel und Ozminkowski (2008, S. 310) kamen in ihrem Review zur Effektivität von BGM-Massnahmen zu demselben Schluss: „ […] when WHP (Anmerkung Autor: Workplace Health Promotion) programs are grounded in behavior theory, implemented effectively using evidence-based principles, and measured accurately, they are more likely to improve workers’ health and performance”. Diese Notwendigkeit für eine Evidenzbasierung wurde als Erstes in der Medizin entdeckt. Die Entscheidung für bestimmte Therapien und Behandlungsansätze sollte auf aktuellen Daten und „Beweisen“ basieren, so dass die Chance auf eine Wirksamkeit erhöht werden konnte (Pfeffer & Sutton, 2006). Ein evidenzbasiertes Management unterliegt dem gleichen Prinzip: Entscheidungen, Massnahmen und Initiativen in Unternehmen sollten – genau wie inzwischen in der Medizin – auf fundierten Daten und neuesten Erkenntnissen basieren. Hierzu sollten neueste wissenschaftliche Erkenntnisse dienen, aber auch unternehmensinterne Daten, z. B. aus Pilotprojekten oder Massnahmenevaluationen (Rousseau, 2005; Pfeffer & Sutton, 2006). Das Befragungsinstrument der Beschleunigungsfalle von Bruch und Vogel (2005; 2011) könnte im Rahmen eines BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit sowohl einen Beitrag zur Analyse der Ist-Situation hinsichtlich Gesundheit im Unternehmen leisten als auch zur Evaluation von Massnahmen – und damit zur Evidenzbasierung weiterer Massnahmen – dienen. Im nächsten Kapitel werden das Phänomen der Beschleunigungsfalle sowie das Analyseinstrument zur Messung derselben vorgestellt. Vermeidung von Überbeschleunigung 43 3 Vermeidung von Überbeschleunigung 3.1 Theoretischer Hintergrund „Der Mensch von heute hat nur ein einziges wirklich neues Laster erfunden: die Geschwindigkeit.“ Aldous Huxley (1894-1963), englischer Schriftsteller „Bei der ungeheuren Beschleunigung des Lebens werden Geist und Auge an ein halbes und falsches Sehen und Urteilen gewöhnt.“ Friedrich Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph „Halte Dir die rasende Schnelligkeit der Zeit vor Augen.“ Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. - 65 n. Chr.), römischer Philosoph und Dichter Wie die Datierungen dieser Zitate zeigen, ist die Beschleunigung an sich kein neues Phänomen unserer Zeit, jedoch war das Thema im organisationalen Kontext noch nie so relevant wie heute. Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Krankheitszahlen auf Grund von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ist es unumgänglich, sich mögliche Ursachen in der Arbeitswelt anzuschauen (BKK Bundesverband, 2013). Seit Jahren nehmen Arbeitnehmer eine kontinuierliche Zunahme von Arbeitsgeschwindigkeit und -intensität wahr (Eurofound, 2012). Ursache hierfür könnte unter anderem die generell durch Globalisierung, Flexibilisierung und verstärkten Wettbewerbsdruck geprägte Arbeitswelt sein (Kaluza, 2011). Die Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung Kaluza (2011) zufolge wiederum mit einer konstanten Produktivitätssteigerung. Was zunächst wie eine positive Wachstumsentwicklung aussehen mag, kann in Wirklichkeit auf ein Unternehmen hindeuten, das kurz davor steht, in die Beschleunigungsfalle zu geraten (Bruch & Ghoshal, 2004). Die kontinuierliche Produktivitätssteigerung bedeutet gleichzeitig, dass sich Arbeitsprozesse verdichten und somit komplexer und zeitintensiver werden (Kaluza, 2011). Der aktuelle Stressreport der BAuA (Lohmann-Haisla, 2013) weist darauf hin, dass unter den fünf am häufigsten auftretenden psychischen Arbeitsanforderungen in Deutschland (von insgesamt 14) unter anderem „verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen“, „starker Terminund Leistungsdruck“ und „sehr schnell arbeiten müssen“ genannt wurden. Die 44 Vermeidung von Überbeschleunigung fünfte europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen von 2010 ergab zudem, dass Arbeitstempo, Termindruck und Arbeitsunterbrechungen in Deutschland und der Schweiz im Vergleich zum europäischen Durchschnitt überdurchschnittlich hoch sind (Eurofound, 2010; Krieger, Pekruhl, Lehmann & Graf, 2010). Der Begriff „Beschleunigungsfalle“ wurde in der wissenschaftlichen Literatur bereits 2002 von Zaugg und Thom verwendet. Ein eigenständiges, wissenschaftliches Konstrukt wurde das Phänomen jedoch erst durch die Forschungsarbeiten von Bruch und Ghoshal (2004) sowie Bruch und Vogel (2005). Im Kontext ihrer Forschung zur Organisationalen Energie beschreiben Bruch und Vogel (2005) die Beschleunigungsfalle als eine von drei möglichen Energiefallen. Organisationale Energie ist aus Sicht der Autoren die Kraft, mit der Unternehmen arbeiten und sich verändern. Bruch und Vogel (2011, S. 1) beschreiben Organisationale Energie als „the extent to which an organization (or division or team) has mobilized its emotional, cognitive, and behavioral potential to pursue its goals“. Organisationale Energie ist ein kollektives Konstrukt, das mit Hilfe der zwei Dimensionen Intensität und Qualität insgesamt vier Energiezustände beschreibt: Produktive Energie (hohe Intensität und positive Qualität), Korrosive Energie (hohe Intensität und negative Qualität), Angenehme Energie (niedrige Intensität und positive Qualität) und Resignative Trägheit (niedrige Intensität und negative Qualität). Das Beispiel der Unternehmen, die auf den wachsenden Wettbewerbsdruck mit kontinuierlicher Produktivitätssteigerung reagieren (Kaluza, 2011), könnte zunächst auf eine hohe Produktive Energie hindeuten. Genau diese konstante Steigerung der Produktivität kann jedoch, wenn der Zustand zu lange anhält, umschlagen und das Unternehmen in eine Beschleunigungsfalle abgleiten lassen (vgl. Bruch & Ghoshal, 2004; Bruch & Vogel, 2005; 2011). Im Grunde ist es also durchaus möglich, dass die Beschleunigungsfalle mit etwas Positivem beginnt: mit hoher Produktiver Energie. Aufgrund des wachsenden Wettbewerbsdrucks jedoch verpassen Unternehmen oft den richtigen Zeitpunkt, um wieder zu „entschleunigen“. Sie geraten in eine Art Spirale, in der sie sich kontinuierlich überfordern (Bruch & Vogel, 2011; Bruch & Kowalevski, 2011). Vermeidung von Überbeschleunigung 45 Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass rund 50 % der Unternehmen weltweit in der Beschleunigungsfalle stecken (Bruch & Menges, 2010a; 2010b; Bruch & Vogel, 2011; Bruch & Kowalevski, 2011; Kunz, 2012). 3.1.1 Auswirkungen der Beschleunigungsfalle – zum Stand der Forschung Bruch und Vogel (2011) konnten zeigen, dass die Beschleunigungsfalle gravierende Folgen für ein Unternehmen haben kann. Dies gilt sowohl aus Sicht der Mitarbeiter als auch aus Sicht der Geschäftsleitung. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Sicht der Mitarbeiter, da Mitarbeitergesundheit und emotionale Erschöpfung ebenfalls aus dieser Perspektive betrachtet werden. Eine Untersuchung im Jahr 2009 mit 104 Unternehmen und insgesamt 3 783 Mitarbeitern konnte zeigen, dass die Kündigungsbereitschaft von Mitarbeitern in Unternehmen, die von der Beschleunigungsfalle betroffen waren, dreimal so hoch war wie in Unternehmen, die nicht überlastet waren (Bruch & Vogel, 2011). In überlasteten Unternehmen konnten die Autoren zudem ein Verhalten beobachten, das doppelt so stark von Aggression und destruktiver Korrosion gekennzeichnet war wie in Unternehmen, die nicht von der Beschleunigungsfalle betroffen waren. Kunz (2012) zufolge ist dies eine mögliche Ursache für die vorher genannte hohe Kündigungsbereitschaft. Auch bei der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter macht sich die Beschleunigungsfalle bemerkbar: Unter Mitarbeitern in Unternehmen, die von der Beschleunigungsfalle betroffen sind, sind emotionale Erschöpfung um 70% und Resignation um 50% stärker verbreitet als in Unternehmen, die nicht überlastet sind (Bruch & Vogel, 2011). 3.1.2 Zusammenhang der Beschleunigungsfalle mit dem Grad emotionaler Erschöpfung Hinweise darauf, dass die Beschleunigungsfalle mit Mitarbeitergesundheit zusammenhängt, gibt es bereits in den Untersuchungen von Bruch und Vogel (2011), da dort die stärkere Verbreitung von emotionaler Erschöpfung und Resignation in überlasteten Unternehmen festgestellt wurde. Bruch und Ghoshal (2004) bringen die Beschleunigungsfalle bereits in Zusammenhang mit einem sogenannten organisationalen Burnout, einem Burnout auf Organi- 46 Vermeidung von Überbeschleunigung sationsebene. Bruch und Menges (2010b, S. 27) schreiben: „Burnout trifft nicht nur einzelne Menschen, auch ganze Unternehmen können darunter leiden. Manager müssen wissen, wie sie Erschöpfungszustände erkennen, beheben und in Zukunft vermeiden“. Kunz (2012) geht sogar so weit, die sechs strukturellen Rahmenbedingungen (six areas of worklife), die Maslach und Leiter (2001) als Ursache von individuellem Burnout identifiziert haben, auf die Organisationsebene zu heben und in Zusammenhang mit organisationalem Burnout bzw. der Beschleunigungsfalle zu bringen. Bruch und Menges (2010a; 2010b) und Bruch und Vogel (2011) konnten bereits zeigen, dass die erste der von Maslach und Leiter (2001) beschriebenen ungünstigen Rahmenbedingungen (Arbeitsumfang) auf der Organisationsebene zur Beschleunigungsfalle führen kann. Kunz (2012) hat auch die weiteren fünf Rahmenbedingungen (Werte, Belohnung, Kontrolle, Gemeinschaft und Fairness; Maslach & Leiter, 2001) als Ursachen der Beschleunigungsfalle identifiziert. Somit scheinen die gleichen Faktoren, die zu individuellem Burnout führen, auch über die Beschleunigungsfalle zu kollektivem Burnout führen zu können. Wie bereits in Kapitel 1 Abschnitt 1.2.2 erläutert wurde, bietet das JD-R-Modell eine Erklärung für die Entstehung von emotionaler Erschöpfung (Demerouti et al., 2001). Wenn die Arbeitsanforderungen strukturell und für lange Zeit die Ressourcen übersteigen, kann dies letztendlich zu emotionaler Erschöpfung führen. In Unternehmen, die von der Beschleunigungsfalle betroffen sind, stossen die Mitarbeiter wegen zu viel Arbeit häufig an ihre Grenzen, haben so viel zu tun, dass sie oft überfordert sind, arbeiten durchgehend unter erhöhtem Zeitdruck, und die Prioritäten sind für die Mitarbeiter oft unklar oder wechseln häufig. Diese unternehmensweite Überlastung stellt eine starke und andauernde Anforderung an die Mitarbeiter dar. Hinzu kommt, dass sich intensive Arbeitsphasen nicht mit ruhigeren Phasen abwechseln und die Mitarbeiter keine Möglichkeiten haben, Kraft zu tanken (Bruch & Vogel, 2011). Das bedeutet, dass ihnen wichtige Ressourcen fehlen, um sich gegen die Überlastung zu schützen. Auf dieser Basis wurde folgende Hypothese entwickelt: Hypothese 2 (H2): Die Beschleunigungsfalle hängt positiv mit emotionaler Erschöpfung zusammen. Vermeidung von Überbeschleunigung 47 3.1.3 Entschleunigungsmassnahmen Auf der Grundlage von qualitativen Studien haben Bruch und Menges (2010a; 2010b) verschiedene Massnahmen definiert, mit denen Unternehmen die Beschleunigungsfalle vermeiden bzw. überwinden können. Bei diesen Massnahmen geht es vor allem darum, eine Entlastung auf kollektiver Ebene für die Mitarbeiter zu schaffen, zum Beispiel durch das Einräumen von Auszeiten, das Vorleben von Entschleunigung und das bewusste Beenden von nicht erfolgversprechenden Projekten. Quantitativ wurde die Effektivität der Massnahmen bisher nur von Körner (2014) im Kontext organisationaler Veränderung untersucht. Für einzelne Massnahmen konnte der Autor eine Wirksamkeit feststellen. Wie die Massnahmen zusammen wirken und welchen Einfluss sie auf das Ausmass der emotionalen Erschöpfung haben, wurde bisher quantitativ noch nicht untersucht. In qualitativen Studien und Praxisbeispielen haben sich die Entschleunigungsmassnahmen, so wie von Bruch und Menges (2010a; 2010b) beschrieben, als effektive Mittel zur Vermeidung bzw. Überwindung der Beschleunigungsfalle erwiesen. Es wird daher folgende weitere Hypothese aufgestellt: Hypothese 3 (H3): Entschleunigungsmassnahmen hängen negativ mit der Beschleunigungsfalle zusammen. Wie bereits angedeutet, zielen die Massnahmen darauf ab, eine kollektive Entlastung und Entschleunigung für das Unternehmen und seine Mitarbeiter zu erreichen, sei es durch die Begrenzung von Jahreszielen, die Verankerung von Auszeiten und Reflexionsmomenten oder das eingehende Überprüfen neuer Projekte, bevor sie initiiert werden, um nur einige Bespiele zu nennen (Bruch & Menges, 2010a; 2010b). Die Vermutung liegt nahe, dass diese Entschleunigungsmassnahmen nach dem JD-R-Modell (Demerouti et al., 2001) einerseits Anforderungen für Mitarbeiter reduzieren und andererseits die organisationalen Ressourcen für die Mitarbeiter stärken können. Hypothese 4 lautet daher wie folgt: Hypothese 4 (H4): Entschleunigungsmassnahmen hängen indirekt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen, wobei die Beschleunigungsfalle diesen Zusammenhang mediiert. Abbildung 13 zeigt das erwartete Mediationsmodell. 48 Vermeidung von Überbeschleunigung Abbildung 13: Einfluss von Entschleunigungsmassnahmen und Beschleunigungsfalle auf emotionale Erschöpfung – erwartetes Modell 3.2 Methode Bei der Stichprobe für diese Untersuchung handelt es sich um 96 Unternehmen mit insgesamt 15 934 Mitarbeitern. Für eine detaillierte Beschreibung der Stichprobe und der Datenerhebung siehe Kapitel 1 Abschnitt 1.3.1. 3.2.1 Skalen In diesem Abschnitt werden die verwendeten verwendeten Skalen dargestellt und erläutert. Emotionale Erschöpfung Um die emotionale Erschöpfung zu erfassen, erfassen wurde wiederum m der MBI-GS MBI verwendet (Maslach & Jackson, 1981). 1981 Diese Skala ist in Kapitel 2 Abschnitt 2.2.1 2.2 beschrieben. Beschleunigungsfalle Die Beschleunigungsfalle wurde mit der Skala von Bruch und Menges (2010a; 2010b) gemessen, deren Reliabilität von Kunz (2012) geprüft und bestätigt wurde. Die Skala ist in drei Sub--Skalen unterteilt, welche die drei Dimensionen ÜberlasÜberlas tung, Mehrfachbelastung tung und Dauerbelastung der Beschleunigungsfalle widerspiewiderspie geln. Die Teilnehmer erhielten folgende Instruktionen: „Im Folgenden interessiert uns, auf welche Art und Weise in Ihrem Unternehmen gearbeitet wird. Bitte geben Sie Vermeidung von Überbeschleunigung 49 Ihre Einschätzung für die meisten Mitarbeiter Ihres Unternehmens ab und beziehen Sie sich in Ihren Antworten auf die letzten 6 Monate.“ Für die Antwortmöglichkeiten wurde eine 5-stufige Likert-Skala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme sehr stark zu verwendet. Die Items für die drei Sub-Skalen sind in Tabelle 5 aufgelistet. Es ist zu beachten, dass die Items zu Dauerbelastung positiv formuliert sind und vor der Analyse rekodiert wurden: Tabelle 5: Beschleunigungsfalle – Skala Überlastung 1. Die Mitarbeiter in unserem Unternehmen stossen wegen zu viel Arbeit häufig an ihre Grenzen. 2. Die Mitarbeiter in unserem Unternehmen haben so viel zu tun, dass sie oft überfordert sind. 3. Die Mitarbeiter in unserem Unternehmen arbeiten durchgehend unter erhöhtem Zeitdruck. Mehrfachbelastung 4. Den Mitarbeitern in unserem Unternehmen sind die Prioritäten der Arbeitsaufgaben häufig unklar. 5. In unserem Unternehmen wechseln die Prioritäten häufig. 6. Für die Mitarbeiter in unserem Unternehmen ist häufig nicht erkennbar, welche Aufgaben am wichtigsten sind. Dauerbelastung 7. In unserem Unternehmen wechseln sich intensive Arbeitsphasen immer wieder mit ruhigeren Phasen ab. 8. In unserem Unternehmen sieht man auch bei intensiven Arbeitsphasen immer das Licht am Ende des Tunnels. 9. In unserem Unternehmen gibt es regelmässig die Möglichkeit, Kraft zu tanken. Die Skala hat mit einem Cronbach‘s alpha von .88 eine gute Reliabilität. Mit einem ICC1 von .17 und einem ICC2 von .89 ist eine Aggregation der Skala gerechtfertigt (LeBreton & Senter, 2007; Bliese, 2000; James et al., 1984). 50 Vermeidung von Überbeschleunigung Entschleunigungsmassnahmen Zur Feststellung, inwiefern Massnahmen zur Überwindung bzw. Vermeidung der Beschleunigungsfalle in den Unternehmen tatsächlich wirksam sind, wurde eine Skala auf Grundlage der von Bruch und Menges (2010a; 2010b) beschriebenen Massnahmen entwickelt. Ausgewählte Mitarbeiter der Personalabteilung erhielten folgende Instruktionen: „Folgende Aussagen beziehen sich auf Massnahmen des Projektmanagements in Ihrem Unternehmen. Wie stark stimmen Sie diesen zu?“. Auf einer 5-stufigen Likert-Skala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme sehr stark zu konnten sie die folgenden Aussagen beurteilen: Tabelle 6: Entschleunigungsmassnahmen – Skala In unserem Unternehmen … 1. … gibt es Initiativen, um nicht erfolgversprechende Projekte abzubrechen. 2. … werden systematisch und regelmässig alle Projekte und Aktivitäten auf den Prüfstein gelegt und ggf. „aufgeräumt“. 3. … wird die Anzahl der möglichen Jahresziele begrenzt. 4. … werden neue Projekte nur nach eingehender Prüfung initiiert (Ressourcen, Projektleitung, etc.). 5. … werden neue Projekte, die nicht erfolgversprechend sind, bewusst, wertschätzend und würdevoll beendet. 6. … gibt es nach anstrengenden Veränderungsphasen gezielte Auszeiten zur Regenerierung. 7. … wechseln sich intensive Arbeitsphasen mit Ruhephasen zur Regenerierung ab. 8. … sind Auszeiten und Reflexionsmomente in der Unternehmenskultur verankert. 9. … leben die Führungskräfte Entschleunigung vor. Die Skala hat ein Cronbach‘s alpha von .84 und damit eine gute Reliabilität. Kontrollvariable Als Kontrollvariable wurde wiederum die Unternehmensgrösse aufgenommen. Die Beschreibung dieser Variable ist in Kapitel 2 Abschnitt 2.2.1 zu finden. Vermeidung von Überbeschleunigung 51 3.2.2 Analyse zur Hypothesentestung Mit Hilfe des SPSS_Makros „PROCESS“ wurde eine Bootstrapping-Prozedur Bootstrapping nach Preacher und Hayes (2004; 2008; Hayes & Preacher, 2013) durchgeführt. Hiermit wurden sämtliche Pfade des Mediationsmodells Mediationsmodel getestet. Der indirekte Effekt von Entschleunigungsmassnahmen und emotionaler Erschöpfung wurde mit 5 000 Wiederholungen gebootstrapped. 3.3 Ergebnisse 3.3.1 Häufigkeitsverteilung Abbildung 14 und 15 zeigen die durchschnittliche Verbreitung der BeschleuniBeschleuni gungsfalle und der Entschleunigungsmassnahmen in den Unternehmen. Die ErgebErgeb nisse stellen jeweils die durchschnittlichen Antworthäufigkeiten zur Gesamtskala Beschleunigungsfalle nigungsfalle und zur Gesamtskala Entschleunigungsmassnahmen in den Unternehmen dar. Um Komplexität zu reduzieren, reduzieren wird zunächst darauf verzichtet, auf einzelne Dimensionen mensionen und Massnahmen einzugehen. In 34 % der Unternehmen werden die Fragen zur Beschleunigungsfalle im DurchDurch schnitt mit 1 (stimme überhaupt nicht zu) oder 2 (stimme nicht zu) beantwortet. Was die Massnahmen ahmen angeht, so werden diese im Durchschnitt immerhin in 70 % der Unternehmen durchgeführt. Abbildung 14: Verbreitung der Beschleunigungsfalle in Unternehmen 52 Vermeidung von Überbeschleunigung Abbildung 15: Verbreitung von Entschleunigungsmassnahmen in Unternehmen Abbildung 16 zeigt zusätzlich auf, in welchem Ausmass die einzelnen Entschleunigungsmassnahmen in den Unternehmen umgesetzt werden. Auffällig ist hier, dass in nur 34 % der Unternehmen die Führungskräfte Entschleunigung vorleben, womit diese Massnahme am seltensten in in Unternehmen vorkommt. Projekte werden hinhin gegen in 82 % der Unternehmen nur nach eingehender Prüfung initiiert, was diese Massnahme hinsichtlich ihrer Häufigkeit auf Platz 1 rückt. rückt Vermeidung von Überbeschleunigung 53 Abbildung 16: Verbreitung der einzelnen Entschleunigungsmassnahmen in Unternehmen 3.3.2 Ergebnisse der Hypothesentestung Tabelle 7 zeigt Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen der verwenverwen deten ten Variablen. Es liegt ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen BeBe schleunigungsfalle nigungsfalle und emotionaler Erschöpfung (r = .75, p < .001) und ein signifisignifi kanter negativer gativer Zusammenhang zwischen Entschleunigungsmassnahmen und Beschleunigungsfalle (r = -.42, p < .001) vor. Entschleunigungsmassnahmen und emotionale Erschöpfung schöpfung korrelieren ebenfalls signifikant negativ miteinander (r = .35, p < .001). 54 Vermeidung von Überbeschleunigung Tabelle 7: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen emotionale Erschöpfung, Beschleunigungsfalle und Entschleunigungsmassnahmen M SD 335.17 542.78 1*** 2*** 1 Unternehmensgrösse 2 Emotionale Erschöpfung 3.02 .45 .31*** 3 Beschleunigungsfalle 2.78 .45 .19*** -.75*** 4 Entschleunigungsmassnahmen 3.61 .58 .04*** -.35*** Hinweis: Bei M und SD der Unternehmensgrösse handelt es sich um Werte vor der 10er-Transformation. * p < .05; **p < .01; ***p < .001. 3*** -.42*** Vermeidung von Überbeschleunigung 55 Abbildung 17 und Tabelle 8 stellen die Ergebnisse der Mediationsanalyse dar. Mit Hilfe multipler Regressionsanalysen wurde jeder Pfad des angenommenen angenommen Mediationsmodells untersucht. Die Ergebnisse E bestätigen Hypothese 2,, da die BeschleuniBeschleuni gungsfalle einen positiven Einfluss auf emotionale emotionale Erschöpfung hat und diese verver stärkt (b = .69, t(94) = 9.16, p < .001). Des Weiteren bestätigen tigen die Ergebnisse Hypothese 3, da die Entschleunigungsmassnahmen negativ mit der BeschleuniBeschleuni gungsfalle zusammenhängen sammenhängen (b = -.34, t(94) = -4.72, p < .001) und sie somit reduredu zieren. Die Mediationsanalyse ationsanalyse bestätigt ausserdem Hypothese 4, die besagt, besagt dass der Zusammenhang zwischen Entschleunigungsmassnahmen und emotionaler ErschöpErschöp fung bei den Mitarbeitern beitern durch die Beschleunigungsfalle mediiert wird (b = -.23, CI = -.36 bis -.14). .14). Das Kontrollieren für die Beschleunigungsfalle im Modell reduredu ziert den Zusammenhang zwischen Entschleunigungsmassnahmen und emotionaler Erschöpfung so stark, dass dieser nicht mehr signifikant ist, was auf eine vollstänvollstän dige Mediation tion hindeutet (b = -.05, t(94) = -.89, p = .38). Abbildung 17: Einfluss von Entschleunigungsmassnahmen und Beschleunigungsfalle auf emotionale Erschöpfung – Ergebnisse 56 Vermeidung von Überbeschleunigung Tabelle 8: Mediationsanalyse zur Testung des Zusammenhangs zwischen Entschleunigungsmassnahmen, Beschleunigungsfalle und emotionaler Erschöpfung c-Pfad (indirekter Effekt) Entschleunigungsmassnahmen Beschleunigungsfalle x Beschleunigungsfalle Emotionale Erschöpfung a-Pfad (direkter Effekt) Entschleunigungsmassnahmen Beschleunigungsfalle b-Pfad (direkter Effekt) Beschleunigungsfalle Emotionale Erschöpfung c‘-Pfad (direkter Effekt) Entschleunigungsmassnahmen Emotionale Erschöpfung signifikant, wenn 0 ausserhalb des CI b SE 95 % CI -.23 .06 [-.36;-.14] -.34 .07 [-.48;-.20] .69 .07 [.54;.84] ,-.05 .06 [-.17;.06] Vermeidung von Überbeschleunigung 57 3.3.3 Anwendungsorientierte Exploration Die Ergebnisse zeigen, dass die Entschleunigungsmassnahmen in ihrer Gesamtheit die Beschleunigungsfalle und damit auch emotionale Erschöpfung im Unternehmen reduzieren können. Jedoch wird hierbei die Unterscheidung der einzelnen Dimensionen der Beschleunigungsfalle ausser Acht gelassen. Interessant wäre es zu erfahren, welche Arten von Massnahmen auf welche Beschleunigungsfallendimension wirken. Bei der Dauerbelastung handelt es sich um eine Dimension der Beschleunigungsfalle, bei der „auβergewöhnliche Belastungen zum Dauerzustand“ werden (Bruch & Menges, 2010b, S. 29). Bruch und Menges (2010b) zufolge können sowohl Überlastung als auch Mehrfachbelastung eine solche aussergewöhnliche Belastung darstellen, was dazu führt, dass sich die Mitarbeiter wie in einem Hamsterrad gefangen fühlen. Es ist daher in erster Linie wichtig, eine Über- und Mehrfachbelastung zu vermeiden, damit eine Dauerbelastung gar nicht erst entstehen kann. Bei der Betrachtung der Entschleunigungsmassnahmen fällt auf, dass sich zwei Gruppen von Massnahmen herauskristallisieren. Zum einen gibt es Massnahmen, bei denen es um eine Reduktion von Anforderungen geht, indem beispielsweise Projekte abgebrochen bzw. nur nach Prüfung initiiert und Jahresziele begrenzt werden. Zum anderen werden Massnahmen beschrieben, die Auszeiten und Reflexionsphasen bieten, was den Mitarbeitern helfen kann, aufzutanken und ihre persönlichen Ressourcen wieder aufzubauen (Bruch & Menges, 2010b) In einer explorativen Faktorenanalyse zeigte sich auf Basis des Screeplots, dass die Items der Gesamtskala zu Entschleunigungsmassnahmen tatsächlich auf zwei Faktoren laden. Die Analyse war gerechtfertigt, da alle Items zu mindestens 0.3 mit mindestens einem anderen Item korrelierten. Ausserdem lag das Kaiser-Mayer-Olkin-Mass der Stichprobeneignung bei 0.8 und damit über dem empfohlenen Mindestwert von 0.6, und der Bartlett-Test auf Sphärizität war signifikant (X2(36) = 275.48, p < .05). Die beiden Faktoren erklären zusammen 58.71 % der Varianz. Die Faktoren wurden mit der Promax-Methode schräg-winklig rotiert. Die Interpretation der zwei Faktoren passt zur theoretischen Einteilung in Massnahmen zur Anforderungsreduktion und Massnahmen zur Ressourcensteigerung. Tabelle 9 zeigt die Mustermatrix für die Koeffizienten: 58 Vermeidung von Überbeschleunigung Tabelle 9: Faktorenanalyse der Entschleunigungsmassnahmen-Items Faktor 1 2 Massnahmen zur Anforderungsreduktion .86 Massnahmen zur Ressourcensteigerung -.04 … werden systematisch und regelmässig alle Projekte und Aktivitäten auf den Prüfstein gelegt und ggf. „aufgeräumt". .82 -.03 … wird die Anzahl der möglichen Jahresziele begrenzt. .77 .10 … werden neue Projekte nur nach eingehender Prüfung initiiert (Ressourcen, Projektleitung, etc.). .73 -.03 … werden Projekte, die nicht erfolgversprechend sind, bewusst, wertschätzend und würdevoll beendet. -.08 .85 … gibt es nach anstrengenden Veränderungsphasen gezielte Auszeiten zur Regenerierung. .003 .68 … wechseln sich intensive Arbeitsphasen mit Ruhephasen zur Regenerierung ab. .21 .48 … sind Auszeiten und Reflexionsmomente in der Unternehmenskultur verankert. -.07 .43 … leben die Führungskräfte Entschleunigung vor. .06 .37 40.37% 18.34% In unserem Unternehmen … … gibt es Initiativen, um nicht erfolgversprechende Projekte abzubrechen. % der aufgeklärten Varianz Vermeidung von Überbeschleunigung 59 Cronbach‘s alpha lpha für die Skala „Massnahmen zur Anforderungsreduktion“ liegt bei 0.7 und für die Skala „Massnahmen zur Ressourcensteigerung“ bei 0.88. Bei den Massnahmen zur Anforderungsreduktion geht es vor allem darum, Prioritäten zu setzen,, indem die Anzahl von Projekten begrenzt oder reduziert wird. Es ist daher anzunehmen, dass diese Massnahmen vor allem auf Mehrfachbelastung wirwir ken, indem sie die Vielfalt an Anforderungen reduzieren. Die Massnahmen zur ResRes sourcensteigerung rung könnten hingegen hauptsächlich Überlastung reduzieren, da sich die Mitarbeiter von Hochphasen erholen und die nötigen Ressourcen wieder wie aufbauen können. Abbildung dung 18 zeigt das Modell, das in zwei Schritten getestet werwer den soll. Mit Hilfe von Ordinary-Least-Squares-Regressionsanalysen Regressionsanalysen (OLS) soll geprüft werden, inwiefern sich die Modellgüte ändert, ändert wenn einzelne Variablen hinhin zugefügt werden. So kann getestet werden, wie stark die beiden Gruppen von Massnahmen jeweils auf die Dimensionen Di Über- und Mehrfachbelastung wirken. Abbildung 18: Einfluss von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion auf Überlastung und Mehrfachbelastung – Modell Abbildung 19 und 20 zeigen zunächst die Häufigkeitsverteilung der drei Beschleunigungsfallendimensionen gungsfallendimensionen und der zwei Gruppen von Massnahmen. Wie man sieht, ist die Überlastung von allen Dimensionen am stärksten verbreitet. Was die Massnahmen angeht, so sind die Massnahmen Massnahmen zur Ressourcensteigerung am wenigsten stark verbreitet. breitet. In mehr als der Hälfte der Unternehmen ist diese MassMass nahmengruppe im Durchschnitt nicht vorhanden. 60 Vermeidung von Überbeschleunigung Abbildung 19: Verbreitung der einzelnen Beschleunigungsfallendimensionen in Unternehmen Abbildung 20: Verbreitung von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion in Unternehmen Tabelle 10 zeigt die Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen der vier Variablen. Beide Beschleunigungsfallendimensionen korrelieren signifikant negativ mit den beiden Gruppen von Entschleunigungsmassnahmen. Vermeidung von Überbeschleunigung 61 Tabelle 10: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen Überlastung, Mehrfachbelastung, Massnahmen zur Ressourcensteigerung und Massnahmen zur Anforderungsreduktion M SD 1*** 2*** 1 Überlastung 3.10 .56 2 Mehrfachbelastung 2.56 .48 -.76*** 3 Massnahmen zur Ressourcensteigerung 3.21 .78 -.42*** -.26*** 4 Massnahmen zur Anforderungsreduktion 3.95 .59 -.32*** -.32*** * p < .05; **p < .01; ***p < .001. 3*** .37*** 62 Vermeidung von Überbeschleunigung Abbildung 21 stellt zunächst den Einfluss von Massnahmen zur AnforderungsreAnforderungsre duktion tion auf Überlastung dar. Dieser Einfluss ist im ersten Schritt signifikant (β ( =.32, p < .01, R2 = .10). Wie in Abbildung 22 zu sehen ist, reduziert sich der Einfluss im zweiten Schritt durch die Hinzunahme von Massnahmen zur RessourcensteigeRessourcensteige rung jedoch so stark, dass er nur noch marginal signifikant ist (β ( = -.19, p = .06). Die Massnahmen zur Ressourcensteigerung haben einen signifikanten Einfluss auf Überlastung, und der Einschluss dieser Variable steigert die aufgeklärte Varianz signifikant um 11 % (β = -.36, p < .01, R2 = .22, ∆R2 = .11). Abbildung 21: Einfluss von Massnahmen zur Anforderungsreduktion auf Überlastung – Ergebnisse Abbildung 22: Einfluss von Massnahmen zur Anforderungsreduktion und zur Ressourcensteigerung auf Überlastung – Ergebnisse Tabelle 11 fasst die Ergebnisse zusammen. Vermeidung von Überbeschleunigung 63 Tabelle 11: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs von Massnahmen zur Anforderungsreduktion und zur Ressourcensteigerung mit Überlastung Variablen b s. e. β p Schritt 1 Konstante Massnahmen zur Anforderungsreduktion 4.23 .36 ,,-.29 .09 ,-.32 Massnahmen zur Anforderungsreduktion Massnahmen zur Ressourcensteigerung * p < .05; **p < .01; ***p < .001. ∆R2 .10 .10** .22 .11** , ,.002 Schritt 2 Konstante R2 4.56 .35 ,,-.17 .09 ,-.19 , ,.060 -.25 .07 -.36 , ,.001 64 Vermeidung von Überbeschleunigung Abbildung 23 und 24 zeigen das gleiche Prinzip, Prinzip nur umgekehrt, für die abhängige Variable Mehrfachbelastung. Der Einfluss von Massnahmen zur RessourcensteigeRessourcensteige rung ist im ersten Schritt signifikant (β ( = -.29, p < .01, R2 = .08), im zweiten Schritt ist er durch die Hinzunahme von Massnahmen zur Anforderungsreduktion nur noch marginal signifikant ist (β β = -.20, p = .06). Die Massnahmen zur AnforderungsreAnforderungsre duktion haben einen signifikanten Einfluss auf Mehrfachbelastung, Mehrfachbelastung und der Einschluss dieser Variable steigert die aufgeklärte Varianz signifikant um 5 % (β = .24, p < .05, R2 = .13, ∆R2 = .05). Abbildung 23: Einfluss von Massnahmen zur Ressourcensteigerung auf Mehrfachbelastung – Ergebnisse Abbildung 24: Einfluss von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion auf Mehrfachbelastung – Ergebnisse Tabelle 12 fasst die Ergebnisse zusammen. Vermeidung von Überbeschleunigung 65 Tabelle 12: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs von Massnahmen zur Ressourcensteigerung und zur Anforderungsreduktion mit Mehrfachbelastung Variablen b s. e. β p Schritt 1 Konstante Massnahmen zur Ressourcensteigerung 3.09 .20 ,,-.17 .06 ,-.29 * 3.66 .32 Massnahmen zur Ressourcensteigerung ,,-.12 .06 ,-.20 , ,.06 Massnahmen zur Anforderungsreduktion -.19 .08 -.24 , ,.02 p < .05; **p < .01; ***p < .001. ∆R2 .08 .08** .13 .05* , ,.005 Schritt 2 Konstante R2 66 Vermeidung von Überbeschleunigung 3.4 Zwischenfazit und Praxisbeispiele Die Ergebnisse isse der Hypothesentestung zeigen, zeig dass die Beschleunigungsfalle posiposi tiv mit emotionaler Erschöpfung zusammenhängt. Dies bedeutet, dass in UnternehUnterneh men, in denen die Beschleunigungsfalle stark verbreitet ist, die Mitarbeiter auch stärker emotional onal erschöpft sind als in Unternehmen, in denen denen die BeschleunigungsBeschleunigungs falle gering ausfällt. fällt. Abbildung 25 zeigt den Unterschied hinsichtlich emotionaler Erschöpfung in stark und gering überbeschleunigten Unternehmen. Abbildung 25: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung in Unternehmen mit gering und mit stark ausgeprägter Beschleunigungsfalle Anhand der Messung der Beschleunigungsfalle erhält man daher Auskunft über den Gesundheitszustand der Mitarbeiter im Unternehmen, da dieser – in Form von emotionaler naler Erschöpfung – mit der Beschleunigungsfalle zusammenhängt. Im Rahmen eines BGM kann das Befragungsinstrument zur Messung der BeschleuniBeschleuni gungsfalle daher gut eingesetzt werden, um sich einerseits ein Bild über die GeGe sundheit im Unternehmen zu verschaffen verschaffen und andererseits die Wirksamkeit von Massnahmen zu überprüfen. Die von Bruch und Menges (2010a; 2010b) entwickelten EntschleunigungsEntschleunigungs massnahmen reduzieren nicht nur die Beschleunigungsfalle, sondern sondern damit indirekt auch emotionale tionale Erschöpfung von Mitarbeitern. Mit Abbildung 26 zeigt Unternehmen, in denen die Massnahmen stark und gering ausgeprägt sind im Vergleich. Vermeidung von Überbeschleunigung 67 Abbildung 26: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung und Beschleunigungsfalle in Unternehmen mit gering und mit stark verbreiteten Entschleunigungsmassnahmen Die Massnahmen entsprechen dem Prinzip eines verhältnisorientierten BGM (Badura, 2010). Sie adressieren nicht den Mitarbeiter als Individuum, sondern die gesamte Organisation ganisation und ändern dadurch nicht individuelles Verhalten, Verhalten sondern organisationale Verhältnisse. Verhältnisse Dass trotz der Tatsache, dass gerade die Arbeitsbedingungen einen starken ken Einfluss auf emotionale Erschöpfung von Mitarbeitern haben, im Rahmen eines BGM der Fokus häufig nur nur auf dem Individuum liegt (Nitzsche, (Ni 2010), begründen Maslach et al. (2001, 2001, S. 418) mit dem Pragmatismus der Unternehmen: „[…] it is easier and cheaper to change people than organizations.” Wie die Massnahmen in der Praxis eingesetzt werden können, beschreiben Bruch und Menges (2010a; 2010b) in ihrem Artikel im Harvard Business Manager. So regen die Autoren zum Beispiel an, dass Unternehmen sich regelmässig die Frage stellen, welche che der aktuell laufenden Projekte sie heute wieder anstossen würden, wenn sie nicht schon liefen. Alle Alle anderen könnten aufgegeben werden. Gunther Olesch, Geschäftsführer führer des deutschen deutsche Elektrokonzerns Phoenix Contact stiess 2009 einen Prozess an, um die durch die Wirtschaftskrise entstandene Überlastung der Mitarbeiter im gesamten gesam Unternehmen zu reduzieren. eren. Alle Manager wurden aufgefordert, laufende und anstehende anstehende Projekte in drei Kategorien einzuteilen: A) notwendig für das Gesamtunternehmen; Gesamtunter B) wichtig, kann aber verschoben werden; C) lässt sich zwei Jahre lang verschieben verschieben oder streichen. Auch bei Zweifeln der 68 Vermeidung von Überbeschleunigung Umsetzbarkeit dieser Strategie blieb Olesch konsequent: „Wir müssen Projekte streichen, sonst trifft uns der Burn-out, Burn out, und wir können nicht fit aus der Krise herher vorgehen.“ (Bruch & Menges, 2010a, S. 30). Das Beispiel Phoenix Contact beschreibt beschreibt eine Massnahme zur Reduzierung von AnAn forderungen. In der anwendungsorientierten Exploration in Abschnitt 3.3.3 wurde gezeigt, dass diese Gruppe von Massnahmen insbesondere die Mehrfachbelastung reduziert. Indem Projekte kategorisiert und sogar gestrichen werden, haben die Mitarbeiter nicht mehr so stark das Gefühl, dass zu viele Dinge gleichzeitig geschehen und Prioritäten oritäten unklar sind. Abbildung 27 zeigt den unterschiedlichen Grad der Mehrfachbelastung belastung in Unternehmen, Unter , in denen Massnahmen zur Anforderungsreduktion stark verbreitet sind, sind und in Unternehmen, in denen diese nur gering ausgeprägt sind. Abbildung 27: Verbreitung von Mehrfachbelastung in Unternehmen Unternehme mit gering und mit stark verbreiteten Massnahmen zur Anforderungsreduktion Des Weiteren zeigte die anwendungsorientierte Exploration, Exploration, dass Massnahmen zur Ressourcensteigerung, steigerung, wie zum Beispiel das gezielte Einbauen von Ruhephasen, Auszeiten und Reflexionsmomenten, insbesondere Überlastung reduzieren. Abbildung 28 zeigt dies noch einmal auf. Vermeidung von Überbeschleunigung 69 Abbildung 28: Verbreitung von Überlastung in Unternehmen mit gering und mit stark verbreiteten verbreiteten Massnahmen zur Ressourcensteigerung Auch für eine solche Massnahme zur Ressourcensteigerung geben Bruch und Menges (2010a) ein Beispiel: Beim Liechtensteiner Li chtensteiner Werkzeughersteller Hilti nehneh men die Mitarbeiter arbeiter regelmässig an sogenannten Pit Stops teil. Hierbei handelt es sich um einen Workshop, der den Mitarbeitern – ähnlich wie der Boxenstopp beim Autorennen den Rennfahrern – Zeit gibt, eine Verschnaufpause einzulegen und zu reflektieren, „damit sie anschlieβend anschlie end mit neuem Elan zur Arbeit zurückkehren zur können“ (Bruch & Menges, 2010a, S. 34) Nun könnte man argumentieren, dass Mitarbeiter schliesslich Urlaub bekommen, um regelmässige Verschnaufpausen und Reflexionsmomente Refle ionsmomente zu haben. Studien konnten jedoch zeigen, dass Urlaub Erschöpfung zwar reduzieren kann, dass dieser Effekt jedoch doch meist nicht nachhaltig ist (Westman & Eden, 1997; Westman & Etzion, 2001). Sonnentag (2003) zeigte, dass kürzere Ruhepausen, die regelmässig in den Arbeitsalltag tag integriert werden, einen nachhaltigeren Effekt auf MitarbeiterMitarbei gesundheit haben und daher regulären Urlaub ergänzen sollten. Da Mitarbeitern oft die Möglichkeiten fehlen, diese Ruhepausen selbst einzubauen, ist es entscheidend, dass solche Verschnaufpausen Verschnaufpau – gerade nach heftigen Arbeitsphasen – auf Organisationsebene ebene verankert sind. Die Tatsache, dass unterschiedliche Massnahmengruppen auf unterschiedliche DiDi mensionen sionen der Beschleunigungsfalle wirken, ermöglicht es Unternehmen, Unternehmen noch fokussierter ter zu handeln. Durch eine Messung der Beschleunigungsfalle kann zuzu 70 Vermeidung von Überbeschleunigung nächst festgestellt werden, ob diese vorliegt, und welche Dimensionen am stärksten ausgeprägt sind. Danach können Massnahmen ausgewählt und eingesetzt werden. Im nächsten Kapitel geht es um das Thema gesunde Führung als wichtiger Bestandteil eines integrativen betrieblichen Gesundheitsmanagements. Hier soll aufgezeigt werden, dass nicht nur durch eine BGM-Abteilung oder die Personalabteilung angeregte Massnahmen emotionale Erschöpfung bei Mitarbeitern reduzieren können, sondern dass auch Geschäftsleitung und Führungskräfte in der Verantwortung stehen, wenn es um Mitarbeitergesundheit geht. Entwicklung einer gesunden Führung 71 4 Entwicklung einer gesunden Führung 4.1 Theoretischer Hintergrund 4.1.1 Führung und Gesundheit – zum Stand der Forschung Gerade in den letzten Jahren ist in der Wissenschaft das Interesse am Zusammenhang zwischen Führung und Mitarbeitergesundheit stark gewachsen (Gregersen, Kuhnert, Zimber & Niehnhaus, 2011). Das Verhalten von Führungskräften wurde schon vor langem mit Mitarbeitergesundheit in Zusammenhang gebracht – sowohl im positiven als auch im negativen Sinn (Schaufeli & Enzmann, 1998). In einem umfassenden und systematischen Review von 49 Studien aus fast 30 Jahren untersuchten Skakon, Nielsen, Borg & Guzman (2010) zudem den Zusammenhang von spezifischen Führungsstilen wie transformationaler Führung, transaktionaler Führung, Laissez-faire-Führung und situativer Führung mit Mitarbeitergesundheit in der bestehenden wissenschaftlichen Literatur. Insbesondere für transformationale Führung konnten positive Zusammenhänge gezeigt werden. Bei diesem Führungsstil handelt es sich um eine werte- und zielverändernde Führung (Wunderer, 2001), die sich durch folgende sechs Dimensionen auszeichnet: Vermittlung einer fesselnden Vision, Vorbildverhalten, Förderung der Akzeptanz von Gruppenzielen, Einforderung hoher Leistungsbereitschaft, individuelle Berücksichtigung und intellektuelle Anregung (Bass, 1985). Obwohl das Thema Führung und Gesundheit schon weitreichend erforscht wurde, haben die Studien eines gemeinsam und weisen dadurch gleichzeitig eine Forschungslücke auf: Sie beziehen sich alle auf allgemeines Führungsverhalten und lassen dabei gesunde Führung ausser Acht (Gurt, Schwennen & Elke, 2011). Mit gesunder Führung ist eine Führung gemeint, die nicht nur indirekt die Gesundheit beeinflusst, sondern das Thema Gesundheit zum Führungsinhalt macht. Bei den bisher erforschten Führungsstilen gibt es meist keine Anhaltspunkte, was genau die Führungskräfte in Bezug auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun sollen, und dadurch lassen sich auch nur schwer Handlungsanweisungen für die Praxis ableiten. Zusätzlich wird der Aspekt Einstellung (z. B. Werte, Motive, etc.) als Ergänzung zum Führungsverhalten nicht adressiert (Franke, 2012; Gurt et al., 2011). Mit dem Ziel, diese Forschungslücke zu schliessen, entwickelten Franke und Felfe (2010) 72 Entwicklung einer gesunden Führung das Instrument Health-oriented Leadership (HoL) zur Erfassung gesunder Führung mit Fokus auf gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen. Franke (2012, S. 64) definiert Health-oriented Leadership als „arbeitsbezogene, gesundheitsspezifische Verhaltensweisen und Einstellungen (z. B. Gesundheitsverhalten, Gesundheitsbewusstsein, gesundheitsbezogene Werteorientierung), die auf die Förderung der eigenen und der Gesundheit der Mitarbeiter sowie der Verbesserung gesundheitsrelevanter Arbeitsbedingungen abzielen“. In der vorliegenden Arbeit wird diese Definition für gesunde Führung verwendet. Der HoL-Ansatz umfasst zwei Aspekte. Zum einen betrachtet er die Zielgruppe gesunder Führung. Diese kann sich aus den Mitarbeitern zusammensetzen (Mitarbeiterführung) oder aus den Führungskräften (Selbstführung der Führungskraft). Der andere Aspekt umfasst die Dimensionen gesunder Führung: gesunde Achtsamkeit, Gesundheitsvalenz, gesunde Selbstwirksamkeit und Gesundheitsverhalten (Franke & Felfe, 2011). Die gesunde Achtsamkeit bezieht sich darauf, inwiefern Führungskräfte auf gesundheitliche Warnsignale achten und diese bei sich oder ihren Mitarbeitern wahrnehmen. Gesundheitsvalenz stellt den Wert dar, den Gesundheit für eine Führungskraft hat. Findet die Führungskraft Gesundheit (die eigene oder die der Mitarbeiter) prinzipiell wichtig? Gesunde Selbstwirksamkeit bedeutet, dass Führungskräfte wissen, wie sie Gesundheit – bei sich oder ihren Mitarbeitern – fördern bzw. gesundheitliche Risiken vermeiden können. Beim Gesundheitsverhalten handelt es sich um das konkrete und sichtbare Verhalten, das die Führungskraft hinsichtlich der eigenen Gesundheit oder der Gesundheit der Mitarbeiter an den Tag legt. Tabelle 13 zeigt den Gesamtaufbau des HoL-Instrumentes inklusive Beispielaussagen (Franke & Felfe, 2010): Entwicklung einer gesunden Führung 73 Tabelle 13: Gesamtaufbau des Instruments Health-oriented Leadership zur Erfassung gesunder Führung Selbstführung Führungskraft Mitarbeiterführung Führungskraft Umgang der Führungskraft mit der Selbsteinschätzung durch die eigenen Gesundheit Führungskraft Ich merke rechtzeitig, wenn meine Ich merke rechtzeitig, wenn ich eine Gesunde Mitarbeiter eine Erholungspause Achtsamkeit Erholungspause brauche. brauchen. Ich fühle mich als Führungskraft dafür Gesundheits- Meine Gesundheit hat für mich erste verantwortlich, auf die Gesundheit Priorität. valenz meiner Mitarbeiter zu achten. Wenn ich viel um die Ohren habe, Meine Mitarbeiter wissen, wie sie Gesunde Selbstwirk- weiss ich, wie ich Stress und Belastung übermässiger Belastung vorbeugen entgegenwirken kann. können. samkeit Ich versuche meine Belastung zu reduzieren, indem ich für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Ich sorge dafür, dass das Thema GesundheitsArbeit und Freizeit sorge (z. B. Pausen Gesundheit bei uns nicht zu kurz verhalten einhalten, Überstunden vermeiden, kommt. nicht am Wochenende arbeiten, Urlaub nicht entfallen lassen). Fremdeinschätzung durch die Mitarbeiter Mein Vorgesetzter merkt rechtzeitig, wenn ich eine Erholungspause brauche. Mein Vorgesetzter fühlt sich dafür verantwortlich, auf meine Gesundheit zu achten. Mein Vorgesetzter sorgt dafür, dass das Thema Gesundheit bei uns nicht zu kurz kommt. 74 Entwicklung einer gesunden Führung 4.1.2 Zusammenhang zwischen gesunder Führung und dem Grad emotionaler Erschöpfung Gurt et al. (2011) zufolge kann gesunde Führung Mitarbeitergesundheit mit Hilfe von zwei Mechanismen beeinflussen: Zum einen sensibilisiert sie Führungskräfte für die Bedeutung von Mitarbeitergesundheit und den Einfluss, den sie darauf haben. Diese Sensibilisierung führt dazu, dass Führungskräfte versuchen, ihr Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitern so anzupassen, dass sie Wohlbefinden fördern und Stress vermeiden. Beim zweiten Mechanismus ziehen Gurt et al. (2011) die Sozialkognitive Lerntheorie von Bandura (Bandura & Walters, 1963) heran. Hiernach bewegt ein gesundes Führungsverhalten Mitarbeiter dazu, sich ebenfalls gesünder zu verhalten, was schliesslich wiederum einen positiven Effekt auf ihre Gesundheit hat. Es wurde allerdings nicht untersucht, ob dieser Effekt auch für emotionale Erschöpfung gilt. Franke (2012) konnte in ihren Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeiter, die den Führungsstil ihres Vorgesetzten als gesund bewerten, eine bessere allgemeine Gesundheit haben und geringere Irritation empfinden. Die Autorin untersuchte, ob Führungskräfte mit einer gesunden Selbstführung auch eine gesündere Mitarbeiterführung an den Tag legen. Dies konnte bestätigt werden, allerdings wurde hierzu jeweils nur die Selbsteinschätzung der Führungskräfte berücksichtigt (Franke, 2012). Eine Schlussfolgerung darüber, ob Mitarbeiter, die Vorgesetzte mit gesunder Selbstführung haben, den Führungsstil dieser Vorgesetzten auch gesünder bewerten, kann aus den Ergebnissen nicht gezogen werden. Ebenso wenig wird gezeigt, ob die Mitarbeiter von Führungskräften mit gesunder Selbstführung gesünder bzw. weniger erschöpft sind. Gesunde Mitarbeiterführung und Erschöpfung – Überlastungen reduzieren und Ressourcen schaffen Laut JD-R-Modell (Demerouti et al., 2001) kann Erschöpfung dadurch entstehen, dass es zu viele Arbeitsanforderungen gibt und zu wenige Ressourcen, um diese Anforderungen zu bewältigen. Ressourcen können unter anderem sozialer Natur sein. Eine soziale Ressource kann zum Beispiel die Unterstützung von Kollegen Entwicklung einer gesunden Führung 75 oder Freunden darstellen (social support; Demerouti et al., 2001). Eine Form dieser sozialen Unterstützung ist die Unterstützung durch den Vorgesetzten (supervisory support; Cummins, 1990). Studien haben gezeigt, dass die Unterstützung durch den Vorgesetzten mit reduzierter emotionaler Erschöpfung zusammenhängt (De Lange, Taris, Kompier, Houtman Bongers, 2004). Der aktuelle Stressreport der BAuA (Lohmann-Haisla, 2013) zeigte zudem, dass die Mitarbeiter, die von einer fehlenden sozialen Unterstützung durch den Vorgesetzten berichten, gleichzeitig über mehr emotionale Erschöpfung, psychovegetative Beschwerden und einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand klagen. Dieser Effekt ist deutlich stärker als bei fehlender sozialer Unterstützung durch Kollegen. Die Items der HoL-Skala, anhand derer die Mitarbeiter den Gesundheitsbezug und die Gesundheitsförderung des Führungsstils ihres Vorgesetzten beurteilen können (gesunde Mitarbeiterführung), beschreiben eine solche Unterstützung durch den Vorgesetzten. Gleichzeitig sorgt der Vorgesetzte auch dafür, dass Anforderungen reduziert werden. Hier geht es zum Beispiel um die Beachtung gesundheitlicher Warnsignale beim Mitarbeiter durch den Vorgesetzten, die Reduktion von Belastung und das Erkennen der Notwendigkeit einer Erholungspause für den Mitarbeiter. Franke (2012) fand heraus, dass bei der transformationalen Führung besonders die Subdimensionen Vorbildverhalten und individuelle Berücksichtigung einen negativen Zusammenhang mit Mitarbeiterbelastung haben. Gesunde Mitarbeiterführung weist Aspekte der individuellen Berücksichtigung auf, allerdings mit klarem Gesundheitsbezug (Franke, 2012). Bruch und Kowalevski (2013a) zufolge können Führungskräfte ein gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld für Mitarbeiter kreieren, indem sie selbst Gesundheit vorleben. Es wird daher Folgendes angenommen: Hypothese 5 (H5): Gesunde Mitarbeiterführung hängt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen. 76 Entwicklung einer gesunden Führung Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung und gesunde Mitarbeiterführung – der Stellenwert von Gesundheit im Unternehmen Franke (2012) fand heraus, dass Führungskräfte, die stärker auf die eigene Gesundheit achten, auch stärker auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter achten. Hierbei handelt es sich um den Effekt der Selbstführung auf die direkte Führung eines Vorgesetzten gegenüber seinen Mitarbeitern (Franke, 2012). Die Geschäftsleitung hat meist keine direkte Interaktion mit den Mitarbeitern. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung die Mitarbeiterführung von Führungskräften weiter unten in der Hierarchie beeinflussen kann. Mitarbeiter erhalten Informationen über das Verhalten der Geschäftsleitung sowohl durch direktes Beobachten des Verhaltens als auch über indirekte Kanäle (Shamir, 1995; Bruch, Shamir & Eilam-Shamir, 2007). Die Geschäftsleitung scheint einen symbolischen Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter, also auch das des mittleren Managements, zu haben (Shamir, 1995, Raes, Bruch & De Jong, 2012). Es ist daher durchaus denkbar, dass eine gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung einen positiven Einfluss auf die Verankerung des Themas Gesundheit im Unternehmen allgemein und dadurch auch auf gesunde Mitarbeiterführung im Besonderen hat. Hieraus ergibt sich folgende Hypothese: Hypothese 6 (H6): Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hängt positiv mit einer gesunden Mitarbeiterführung im Unternehmen zusammen. Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung und emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter – die Geschäftsleitung als Vorbild Der gleichen Logik folgend ist es naheliegend, anzunehmen, dass eine gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung nicht nur einen Einfluss auf die Mitarbeiterführung im Unternehmen hat, sondern auch bzw. vielleicht genau dadurch auf die Gesundheit der Mitarbeiter. Dies könnte nicht nur trotz der sozialen Distanz zwischen Mitarbeitern und Geschäftsleitung der Fall sein, sondern gerade wegen dieser Distanz. In einer Studie von Cole, Bruch und Shamir (2009) wurde gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und dem durch Mitarbeiter wahrgenommenen positiven emotionalen Klima stärker ist, wenn die soziale Dis- Entwicklung einer gesunden Führung 77 tanz zwischen Mitarbeiter und Führung grösser ist. Das Gleiche zeigen die Autoren für den Zusammenhang zwischen zwischen transformationaler Führung und dem kollektiven Gefühl der Selbstwirksamkeit bei den Mitarbeitern. Auch Hilb (2009) betont die Bedeutung der Vorbildwirkung irkung des Führungsteams. Franke (2012) zeigte zusätzlich, dass Mitarbeiter, die ihre Führungskraft als Vorbild in Bezug auf Gesundheit wahrnehmen, wahrnehmen selbst gesünder sind.. Über den Prozess des symbolischen Einflusses der Geschäftsleitung (Shamir, 1995; Raes Rae et al., 2012) könnte dies auch für die gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung gelten. Hypothese 7 (H7): ): Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hängt indiindi rekt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen, wobei gesunde MitarMitar beiterführung im Unternehmen diesen Zusammenhang mediiert. Abbildung 29 zeigt das erwartete Mediationsmodell. Abbildung 29: Einfluss von gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung 4.2 Methode Bei der Stichprobe für diese Untersuchung handelt es sich um 96 Unternehmen mit insgesamt 15 934 Mitarbeitern. Für eine detaillierte Beschreibung der Stichprobe und der Datenerhebung siehe Kapitel 1 Abschnitt 1.3.1. 78 Entwicklung einer gesunden Führung 4.2.1 Skalen Emotionale Erschöpfung Zur Erfassung der emotionalen Erschöpfung wurde, wie in Kapitel 2 Abschnitt 2.2.1 bereits beschrieben, die deutsche Version des MBI-GS verwendet (Maslach & Jackson, 1981), die 2006 von Fischbach et al. aus dem Englischen übersetzt wurde. Um die emotionale Erschöpfung zu erfassen, wurde wiederum der MBI-GS verwendet (Maslach & Jackson, 1981). Gesunde Mitarbeiterführung Um gesunde Mitarbeiterführung in den jeweiligen Unternehmen zu erfassen, wurde eine der drei Sub-Skalen des Instrumentes Health-oriented Leadership von Franke und Felfe (2010) verwendet. Hierbei handelt es sich um die Fremdeinschätzung von Mitarbeitern hinsichtlich des Gesundheitsbezugs der Mitarbeiterführung ihres direkten Vorgesetzten. Die Teilnehmer erhielten die folgenden Instruktionen: „Wir möchten in dieser Befragung wissen, wie Sie den Führungsstil Ihres Vorgesetzten wahrnehmen. Haben Sie mehrere Vorgesetzte, beurteilen Sie bitte denjenigen, mit dem Sie derzeit am häufigsten zu tun haben. Wie häufig trifft zu, was in den folgenden Aussagen behauptet wird?“ Die folgenden Aussagen konnten die Teilnehmer mit Hilfe einer 5-stufigen LikertSkala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme sehr stark zu bewerten: Entwicklung einer gesunden Führung 79 Tabelle 14: Gesunde Mitarbeiterführung – Skala Mein direkter Vorgesetzter … 1. … merkt rechtzeitig, wenn ich eine Erholungspause brauche. 2. … achtet bei mir bewusst auf gesundheitliche Warnsignale. 3. … fühlt sich dafür verantwortlich, auf meine Gesundheit zu achten. 4. … sorgt dafür, dass das Thema Gesundheit bei uns nicht zu kurz kommt. … sorgt durch Verbesserungen im Bereich Arbeitszeit dafür, dass meine 5. Belastungen reduziert werden (z. B. Pausen einhalten, Überstunden vermeiden, Urlaub nicht verfallen lassen). … sorgt durch die Förderung eines positiven Umgangs untereinander dafür, 6. dass meine Belastungen reduziert werden. 7. … versucht, bezogen auf Gesundheit, ein gutes Vorbild für mich zu sein. Die Reliabilität dieser Skala ist mit einem Cronbach‘s alpha von .95 sehr gut. Die Skala wurde auf Organisationsebene aggregiert, was durch einen ICC1 von .10 und einem ICC2 von .81 gerechtfertigt ist (LeBreton & Senter, 2007; Bliese, 2000; James et al., 1984). Gesunde Selbstführung Geschäftsleitung Um zu erfassen, inwiefern die Geschäftsleitung sich selbst gesund führt, wurde die Geschäftsleitung gebeten, eine Selbsteinschätzung hinsichtlich des Gesundheitsbezugs ihrer Selbstführung vorzunehmen. Dies stellt eine weitere Sub-Skala des Instrumentes Health-oriented Leadership von Franke und Felfe (2010) dar. Die Geschäftsführung bekam die folgende Frage gestellt: „Folgende Aussagen beschäftigen sich mit Ihrer Gesundheit. Wie stark treffen sie auf Sie zu?“ Die Teilnehmer konnten die Frage durch die Beurteilung unten stehender Aussagen anhand einer 5-stufigen Likert-Skala von 1 = stimme überhaupt nicht zu bis 5 = stimme sehr stark zu beantworten: 80 Entwicklung einer gesunden Führung Tabelle 15: Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung – Skala 1. Ich merke rechtzeitig, wenn ich eine Erholungspause brauche. 2. Ich achte bewusst auf gesundheitliche Warnsignale. 3. Meine Gesundheit hat für mich erste Priorität. Wenn ich viel um die Ohren habe, weiss ich, wie ich Stress und Belastung entgegenwirken kann. Ich versuche meine Belastung zu reduzieren, indem ich für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit sorge (z. B.: Pausen einhalten, 5. Überstunden vermeiden, nicht am Wochenende arbeiten, Urlaub nicht entfallen lassen). 4. Cronbach‘s alpha dieser Skala beträgt .76 und ist damit ausreichend. Auf Basis der berechneten ICCs (ICC1 = .19; ICC2 = .43) wurde die Skala aggregiert (LeBreton & Senter, 2007; Bliese, 2000; James et al., 1984). Kontrollvariable Als Kontrollvariable wurde wiederum die Unternehmensgrösse aufgenommen. Die Beschreibung dieser Variable ist in Kapitel 2 Abschnitt 2.2.1 zu finden. 4.2.2 Analyse zur Hypothesentestung Mit Hilfe des SPSS_Makros „PROCESS“ wurde eine non-parametrische Bootstrapping-Prozedur nach Preacher und Hayes (2004; 2008; Hayes & Preacher, 2013) durchgeführt. Hiermit können sämtliche Pfade des Mediationsmodells getestet werden. Der indirekte Effekt von gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und emotionaler Erschöpfung wurde mit 5 000 Wiederholungen gebootstrapped. 4.3 Ergebnisse 4.3.1 Häufigkeitsverteilung Abbildung 30 zeigt die gemittelten Antwortmöglichkeiten für gesunde Mitarbeiterführung sowie für gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung in den befragten Unternehmen. Auffällig ist der sehr kleine Anteil an Unternehmen, lediglich 9 %, in denen die Mitarbeiter im Durchschnitt angeben, eine gesunde Mitarbeiterführung zu Entwicklung einer gesunden Führung 81 erfahren. fahren. Hingegen scheint in über einem Drittel der Unternehmen kein gesunder Führungsstil rungsstil vorzuliegen. Auffällig ist jedoch die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen ein Potenzial zur Verbesserung aufweist,, da dort im Durchschnitt Dur eine neutrale Meinung gegenüber der Verbreitung einer gesunden MitarbeiterfühMitarbeiterfüh rung herrscht. Dieses Potenzial sollte entsprechend genutzt werden, da diese UnterUnter nehmen sonst auch in den roten Bereich abrutschen abrut können. Was die gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung angeht, so sieht das Bild bebe reits deutlich positiver aus. Dies überrascht nicht, wenn man die Datenquellen bebe rücksichtigt. tigt. Im Fall der Mitarbeiterführung beurteilen die Mitarbeiter ihren direkd ten Vorgesetzten setzten und sind möglicherweise kritischer als die Geschäftsleitung, die sich selbst beurteilt. urteilt. Die Tatsache, dass trotzdem in 23 % der Unternehmen die MitMit glieder der Geschäftsleitung schäftsleitung im Schnitt nicht angeben, sich selbst gesund zu führen, führen zeigt auch hier ein Verbesserungspotenzial auf. Abbildung 30: Verbreitung gesunder Mitarbeiterführung und gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung in Unternehmen 4.3.2 Ergebnisse der Hypothesentestung Tabelle 16 zeigt die Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen der Variablen. ablen. Gesunde Mitarbeiterführung und emotionale Erschöpfung korrelieren signifikant kant negativ miteinander (r = -.75, .75, p < .001). Gesunde Selbstführung der GeGe schäftsleitung leitung und emotionale emotionale Erschöpfung korrelieren marginal negativ miteinanmiteinan der (r = -.21, .21, p = .06). Zwischen gesunder Mitarbeiterführung und gesunder SelbstSelbst führung GL liegt eine signifikante positive Korrelation vor (r = .32, p < .05). 82 Entwicklung einer gesunden Führung Tabelle 16: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variablen emotionale Erschöpfung, gesunde Mitarbeiterführung und gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung M SD 335.17 542.78 1*** 2*** 1 Unternehmensgrösse 2 Emotionale Erschöpfung 3.02 .45 -.31*** 3 Gesunde Mitarbeiterführung 2.74 .49 -.17*** -.75*** 4 Gesunde Selbstführung GL 3.63 .52 -.03*** -.21*** 3*** .32*** Hinweis: Hinweis: Bei M und SD der Unternehmensgrösse handelt es sich um Werte vor der 10er-Transformation. * p < .05; **p < .01; ***p < .001. Entwicklung einer gesunden Führung 83 Abbildung 31 und Tabelle 17 stellen die Ergebnisse der Mediationsanalyse dar. Die Ergebnisse zeigen, dass gesunde Mitarbeiterführung emotionale Erschöpfung im Unternehmen men reduziert, womit Hypothese 5 bestätigt wird (b = -.61, .61, t(80) = -8.28, p < .001). Des Weiteren kann Hypothese 6 bestätigt werden, denn eine gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hängt positiv mit gesunder Mitarbeiterführung im UnternehUnterneh men zusammen (b = .28, t(80) = 2.99, p < .01). Die Mediationsanalyse bestätigt ausserdem Hypothese 7, die besagt, besagt dass der Zusammenhang menhang zwischen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und emotioemotio naler Erschöpfung schöpfung der Mitarbeiter durch gesunde Mitarbeiterführung im UnternehUnterneh men mediiert wird (b = -.17, .17, CI = -.30 bis -.07). .07). Das Kontrollieren für gesunde MitMit arbeiterführung rung im Modell reduziert den Zusammenhang zwischen gesunder SelbstSelbst führung der Geschäftsleitung und emotionaler Erschöpfung so stark, dass dieser nicht mehr signifikant ist, t, was auf eine vollständige Mediation hindeutet (b = .01, t(80) = .21, p = .84). gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und Abbildung 31: Einfluss von gesunder gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung 84 Entwicklung einer gesunden Führung Tabelle 17: Mediationsanalyse zur Testung des Zusammenhangs zwischen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung, gesunder Mitarbeiterführung und emotionaler Erschöpfung b c-Pfad (indirekter Effekt) Gesunde Selbstführung GL Gesunde Mitarbeiterführung x SE 95 % CI .06 [-.30;-.07] .28 .09 [.09;.47] -.61 .07 [-.75;-.46] .06 [-.32;-.06] , -.17 Gesunde Mitarbeiterführung Emotionale Erschöpfung a-Pfad (direkter Effekt) Gesunde Selbstführung GL Gesunde Mitarbeiterführung , b-Pfad (direkter Effekt) Gesunde Mitarbeiterführung Emotionale Erschöpfung c‘-Pfad (direkter Effekt) Gesunde Selbstführung GL Emotionale Erschöpfung signifikant, wenn 0 ausserhalb des CI ,, .02 Entwicklung einer gesunden Führung 85 4.3.3 Anwendungsorientierte Explorationn Auf Grundlage der dargestellten Ergebnisse kann der Schluss gezogen werden, dass eine gesunde Selbstführung der Geschäftsführung dafür sorgt, dass die Führungskräfte im Unternehmen ihre Mitarbeiter wiederum gesünder führen. Möglicherweise geschieht dies durch den symbolischen Einfluss, den die Geschäftsleitung hat (Shamir, 1995; Raes et al., 2012). Die gesunde Mitarbeiterführung der direkten Vorgesetzten hat wiederum einen negativen Effekt auf die emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter – d.h. sie reduziert diese. Sowohl gesunde Selbstführung als auch gesunde Mitarbeiterführung bestehen jeweils aus mehreren Dimensionen. Im Folgenden soll untersucht werden, welche der Dimensionen besonders entscheidend sind. Dies erleichtert es Unternehmen, sich bei der Führungsentwicklung zunächst auf einzelne Dimensionen zu konzentrieren. Abbildung 32 stellt dar, wie stark die einzelnen Dimensionen in den Unternehmen vorhanden sind. Die Dimension Gesundheitsverhalten im Konstrukt gesunde Mitarbeiterführung wurde unterteilt in Gesundheitsverhalten und gesundes Vorbildverhalten (Franke, 2012). Wie bereits bei der Häufigkeitsverteilung der Gesamtkonstrukte zu sehen war, schätzt die Geschäftsleitung ihre Selbstführung deutlich gesünder ein als Mitarbeiter das für die Mitarbeiterführung ihres direkten Vorgesetzten tun. Was die einzelnen Dimensionen angeht, so ist bei der Mitarbeiterführung gesunde Achtsamkeit am schwächsten ausgeprägt. Immerhin wird in 59 % der Unternehmen im Schnitt angegeben, dass diese bei den direkten Vorgesetzten nicht vorhanden ist. Diese Dimension beinhaltet die Items „Mein direkter Vorgesetzter merkt rechtzeitig, wenn ich eine Erholungspause brauche“ und „Mein direkter Vorgesetzter achtet bei mir bewusst auf gesundheitliche Warnsignale“. Auch gesundes Vorbildverhalten mit dem Item „Mein direkter Vorgesetzter versucht, bezogen auf Gesundheit, ein gutes Vorbild für mich zu sein“ ist mit durchschnittlicher Ablehnung in 43 % der Unternehmen nur schwach verbreitet. Bei der gesunden Selbstführung der Geschäftsleitung ist das Gesundheitsverhalten am wenigsten stark ausgeprägt (20 % Ablehnung). 86 Entwicklung einer gesunden Führung Abbildung 32: Verbreitung der einzelnen einzelnen Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung und gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung in Unternehmen Die Identifizierung der Dimensionen, die besonders wichtig für die Gesundheit im Unternehmen sind, wurde in zwei Schritten vorgenommen.. Zuerst wurde eine multiple Regressionsanalyse durchgeführt, um zu testen, welche Dimensionen der gege sunden Mitarbeiterführung einen Einfluss auf emotionale Erschöpfung höpfung haben. SpäSpä ter wurde die Auswirkung der einzelnen Dimensionen der gesunden Selbstführung der Geschäftsleitung schäftsleitung auf die Dimensionen der gesunden Mitarbeiterführung mit einem Effekt auf emotionale Erschöpfung getestet. Abbildung 33 stellt das zu testende Regressionsmodell für die gesunde MitarbeiterMitarbeiter führung rung und emotionale Erschöpfung dar. Entwicklung einer gesunden Führung 87 Abbildung 33: Einfluss der d einzelnen Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung – Modell Tabelle 18 zeigt zunächst die Korrelationen, Mittelwerte und StandardabweichunStandardabweichun gen für diese Variablen. Emotionale Erschöpfung hat einen signifikanten negativen Zusammenhang mit alal len vier Dimensionen (Achtsamkeit: r = -.73, .73, p < .001; Valenz: r = -.67, p < .001; Verhalten: r = -.73, .73, p < .001; Vorbildverhalten: r = -.71, .71, p < .001). Die Dimensionen hängen ausserdem, wie zu erwarten ist, signifikant positiv miteinander miteina zusammen. 88 Entwicklung einer gesunden Führung Tabelle 18: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Variable emotionale Erschöpfung und der Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung M SD 1*** 2*** 3*** 1 Emotionale Erschöpfung 3.02 .45 2 Gesunde Mitarbeiterführung – Achtsamkeit 2.50 .51 -.73*** 3 Gesunde Mitarbeiterführung – Valenz 2.72 .50 -.67*** .86*** 4 Gesunde Mitarbeiterführung – Verhalten 2.89 .53 -.73*** .89*** .91*** 5 Gesunde Mitarbeiterführung – Vorbildverhalten 2.70 .49 -.71*** .76*** .73*** * p < .05; **p < .01; ***p < .001. 4*** .84*** Entwicklung einer gesunden Führung 89 Wie in Abbildung 34 und Tabelle 19 ersichtlich ist, haben im Regressionsmodell nur gesunde Achtsamkeit (β ( = -.36, p < .05) und gesundes Vorbildverhalten (β ( =.30, p < .05) des direkten Vorgesetzten einen signifikanten Einfluss auf emotionale Erschöpfung. Abbildung 34: Einfluss der einzelnen Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung auf emotionale Erschöpfung – Ergebnisse 90 Entwicklung einer gesunden Führung Tabelle 19: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs der Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung mit emotionaler Erschöpfung Variablen R2 b0 s. e. -4.930 4-.18 Gesunde Mitarbeiterführung – Achtsamkeit 4-.310 4-.14 Gesunde Mitarbeiterführung – Valenz 4-.001 Gesunde Mitarbeiterführung – Verhalten Gesunde Mitarbeiterführung – Vorbildverhalten Konstante t p0 -27.38 .000 4-.360 -2.31 .020 4-.15 4-.001 6 -.01 .100 4-.140 4-.20 4-.160 6 -.71 .480 4-.270 4-.12 4-.300 6 -2.34 .020 β0 R2 .59 Entwicklung einer gesunden Führung 91 Da es zwei Dimensionen der gesunden Mitarbeiterführung gibt, die besonders entent scheidend für die Vermeidung von emotionaler Erschöpfung der Mitarbeiter sind (gesunde sunde Achtsamkeit und gesundes Vorbildverhalten), wurde untersucht, welche Dimensionen sionen der gesunden Selbstführung der Geschäftsleitung genau auf diese zwei Dimensionen sionen der Mitarbeiterführung einen Einfluss haben. Hierzu wurden zwei weitere multiple tiple Regressionsanalysen durchgeführt mit den vier Dimensionen der gesunden Selbstführung elbstführung der Geschäftsleitung als unabhängige Variablen und den zwei als wichtig tig eingestuften Dimensionen der gesunden Mitarbeiterführung jeweils als abhängige Variablen. Abbildung 35 zeigt das Gesamtmodell, das in zwei Schritten getestet werden wer soll. Abbildung 35: Einfluss der einzelnen Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung auf gesunde Achtsamkeit und gesundes Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung – Modell In Tabelle 20 stehen zunächst wieder die Korrelationen, Mittelwerte und Standardabweichungen weichungen für die relevanten Variablen. Achtsamkeit bei der gesunden Selbstführung der Geschäftsleitung ist die DimenDimen sion, die am stärksten positiv mit den Dimensionen Achtsamkeit (r = .38, p < .001) und Vorbildverhalten (r = .3, p < .01) der gesunden Mitarbeiterführung Mitarbeiterführung korreliert. 92 Entwicklung einer gesunden Führung Gesunde Selbstwirksamkeit der Geschäftsleitung hängt zudem positiv mit gesunder Achtsamkeit der Mitarbeiterführung zusammen (r = .34, p < .01). Gesundheitsverhalten der Geschäftsleitung korreliert schwach sowohl mit gesunder Achtsamkeit (r = .38, p < .05) als auch mit Vorbildverhalten (.23, p < .05) der Mitarbeiterführung. Die Dimensionen der gesunden Selbstführung der Geschäftsleitung korrelieren signifikant positiv miteinander. Entwicklung einer gesunden Führung 93 Tabelle 20: Deskriptive Statistiken und Korrelationen der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung sowie gesunder Achtsamkeit und gesunden Vorbildverhaltens der Mitarbeiterführung M SD 1*** 2*** 3*** 4*** 1 Gesunde Mitarbeiterführung – Achtsamkeit 2.50 .51 2 Gesunde Mitarbeiterführung – Vorbildverhalten 2.70 .49 .76*** 3 Gesunde Selbstführung GL – Achtsamkeit 3.70 .52 .38*** .30*** 4 Gesunde Selbstführung GL – Valenz 3.60 .77 .20*** .11*** .55*** 5 Gesunde Selbstführung GL – Verhalten 3.28 .90 .29*** .23*** .57*** .46*** 6 Gesunde Selbstführung GL – Selbstwirksamkeit 3.86 .56 .34*** .21*** .51*** .47*** * p < .05; **p < .01; ***p < .001. 5*** .47*** 94 Entwicklung einer gesunden Führung Abbildungen 36 und 37 zeigen die zwei Regressionsmodelle. Hieraus geht hervor, dass in den Modellen lediglich die Dimension Achtsamkeit der gesunden SelbstfühSelbstfüh rung der Geschäftsleitung tatsächlich einen positiven Einfluss auf die gesunde Achtsamkeit der Mitarbeiterführung (β ( = .29, p < .05) und auf das gesunde Vorbildverhalten (β = .28, p = .07) hat. Der zweite Effekt, der Einfluss auf das gesunde Vorbildverhalten, ist marginal. Abbildung 36: Einfluss der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung auf gesunde Achtsamkeit der Mitarbeiterführung Entwicklung einer gesunden Führung 95 Abbildung 37: Einfluss der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung auf gesundes Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung Die Tabellen 21 und 22 fassen die Ergebnisse der Regressionsanalysen zusammen. 96 Entwicklung einer gesunden Führung Tabelle 21: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung mit gesunder Achtsamkeit der Mitarbeiterführung Variablen B s. e. Konstante - .84 4-.42 Gesunde Selbstführung GL – Achtsamkeit 4-.27 4-.13 Gesunde Selbstführung GL – Valenz 4-.05 4-.08 t p - 2.03 .05 4-.29 -2.04 .04 4-.08 6 -.62 .54 β R2 .18 Gesunde Selbstführung GL – Verhalten 4-.04 4-.07 4-.07 6 -.51 .61 Gesunde Selbstführung GL – Selbstwirksamkeit 4-.17 4-.11 4-.20 6 -1.54 .13 Entwicklung einer gesunden Führung 97 Tabelle 22: Regressionsanalyse zur Testung des Zusammenhangs der Dimensionen gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung mit gesundem Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung Variablen B s. e. Konstante -1.56 4-.42 4-.25 4-.13 4-.076 4-.08 Gesunde Selbstführung GL – Achtsamkeit Gesunde Selbstführung GL – Valenz t p0 - 3.67 .000 4-.27 -1.87 .070 4-.12 6 -.91 .370 β R2 .11 Gesunde Selbstführung GL – Verhalten 4-.04 4-.07 4-.08 6 -.61 .540 Gesunde Selbstführung GL – Selbstwirksamkeit 4-.08 4-.11 4-.09 6 -2.69 .490 98 Entwicklung einer gesunden Führung 4.4 Zwischenfazit und Praxisbeispiele In diesem Kapitel wurde zunächst gezeigt, dass eine gesunde Mitarbeiterführung emotionale tionale Erschöpfung bei Mitarbeitern Mitarbeiter reduzieren kann. Abbildung 38 zeigt noch einmal deutlich den Unterschied zwischen Unternehmen mit stark ausgeprägter gege sunder Mitarbeiterführung arbeiterführung und Unternehmen mit gering ausgeprägter gesunder MitMit arbeiterführung. Abbildung 38: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung Erschöpfung in Unternehmen mit stark und mit gering ausgeprägter gesunder Mitarbeiterführung Für die Praxis zeigt dieser Effekt den Bedarf eines Zusammenwirkens von BGM und Führungskräfteentwicklung auf. Das Thema Gesundheit sollte Bestandteil von Seminaren zur Führungskräfteentwicklung sein. Nur so können Führungskräfte lerler nen, gesundheitliche sundheitliche Warnsignale wahrzunehmen, aktiv sowohl Anforderungen für ihre Mitarbeiter arbeiter zu reduzieren als auch Ressourcen zu entwickeln und wenn nötig das Thema Gesundheit bei ihren ih Mitarbeitern anzusprechen. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung einen Einfluss auf gesunde Mitarbeiterführung und über diese auch auf das Ausmass der emotionalen Erschöpfung hat. Abbildung 39 zeigt den Unterschied zwizwi schen Unternehmen mit stark ausgeprägter und gering ausgeprägter gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung. Geschäftslei Entwicklung einer gesunden Führung 99 Abbildung 39: Verbreitung von emotionaler Erschöpfung und gesunder Mitarbeiterführung in Unternehmen mit stark und mit gering ausgeprägter rägter gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung Wenn die Geschäftsleitung eines Unternehmens auf die eigene Gesundheit achtet, dann erhalten Führungskräfte im gesamten Unternehmen das Signal, dass GesundGesund heit in ihrem Unternehmen ernst genommen wird. Sie führen ühren ihre Mitarbeiter gege sünder. Diese sind dadurch weniger emotional erschöpft. In Anlehnung an Oertig (1998, S. 121) könnte man von der Geschäftsleitung als Gesundheitspromotoren sprechen, Führungskräfte stellen Gesundheits-Coachs Gesundheits Coachs und Gesundheits-Mentoren Gesundh dar, die Mitarbeiter sind zudem verantwortlich für die eigene Gesundheit und BGM-Verantwortliche Verantwortliche unterstützen als Prozessgestalter, -berater berater und -controller. Auch bei der Volkswagen AG (VW AG) mit Sitz in Wolfsburg hat man die BeBe deutung gesunder under Selbstführung und gesunder Mitarbeiterführung für den UnterUnter nehmenserfolg erkannt. In einem regelmässig stattfindenden Seminar im VW-Werk VW Kassel, das man laut Prof. Dr. Reinhard Nöring, leitender Werkarzt der VW AG, AG unter der Generalüberschrift überschrift „Wertschätzung „Wertschätzung gleich Wertschöpfung“ zusammenfaszusammenfas sen könnte, wird zunächst nächst das Konzept Gesundheit eingegrenzt. Was ist GesundGesund heit? Was sind Aufgaben von Führungskräften hinsichtlich Gesundheit? Welche Auswirkungen haben Fehlen von Gesundheit und Anwesenheit von Krankheit? Welche Gesundheitstheorien gibt es? Diese und andere Fragen werden in einem ersten Modul diskutiert. „Hierbei kristallisiert kristallisiert sich im Laufe des Seminars heraus, dasss Gesundheit und unser Bewertungssystem Bewertungssystem unmittelbar zusammenhängen“, zusammenhängen“ er- 100 Entwicklung einer gesunden Führung klärt Prof. Dr. Nöring im Rahmen des mit ihm geführten Interviews zum Thema gesunde Führung bei der VW AG. Im weiteren Verlauf des Seminars geht es um das Thema gesunde Selbstführung: Wie gehe ich selbst damit um, wenn ich Belastungen habe: körperliche, seelische und mentale? Wie ist meine emotionale Regulationsmöglichkeit ausgeprägt? Bin ich achtsam? Wie zufrieden bin ich? „Selbstführung ist das schwierigste“, erklärt Prof. Dr. Nöring. „Wenn ich mich selbst gesund führen kann und bei mir sensibel bin, dann kann ich auch schauen, wie es meinen Mitarbeitern geht. Geht es denen auch so gut wie mir oder nicht so gut? Was brauchen meine Mitarbeiter, damit es ihnen besser geht? Was kann ich dafür tun, und was müssen sie selbst tun?“ Diese Themen werden im dritten Modul des Seminars behandelt. Im letzten Modul findet ein emotionales Kompetenztraining statt. Hier lernen die Teilnehmer, emotional ausgeglichener zu werden und in kritischen sozialen Situationen adäquat zu reagieren. „Mein Chef hat mich wieder blossgestellt, und mir bleibt gleich die Pulsader im Hals stecken. Ich bin in dieser Situation verletzt“, erläutert Prof. Dr. Nöring ein Beispiel. „Das Erste, was ich tun kann, ist unmittelbare Entspannung: Achtsamkeit, Atemübung, Muskelentspannung. Jetzt kommt die bewertungsfreie Wahrnehmung. Das ist das Entscheidende. Wir haben immer dann Stress, wenn wir eine Bewertung vornehmen. Das, was der andere gesagt hat, war gegen mich gerichtet und hat mich verletzt. Die Bewertung ist jedoch das, was verletzt, nicht das, was der andere gesagt hat“, erklärt Prof. Dr. Nöring. „Wenn wir es schaffen, die Menschen dahin zu bringen, nicht spontan sofort in eine Bewertung zu verfallen, sondern zu versuchen, den Sachverhalt rational und rein faktenbasiert zu betrachten, kann eine Menge emotionaler Stress vermieden werden.“ Wichtig zur Stressminderung ist Prof. Dr. Nöring zufolge auch das Gefühl der Selbstbestimmtheit. „Ich muss nicht arbeiten, wo es mir nicht gefällt. Aber eine Kündigung hat natürlich ihren Preis. Jeder muss sich überlegen, was es ihn kostet zu kündigen oder zu bleiben. Dann begreifen sich Menschen wieder als handlungskompetent. Sie wissen: Es ist eine freie Entscheidung, negative Situationen auf der Arbeit zu erdulden. Ich könnte gehen, aber ich will nicht. Das kann Stress und Enttäuschung enorm mindern“. Es liegt selbstverständlich in der Verantwortung der Mitarbeiter zu überprüfen, ob sie eine Stelle in einem Unternehmen finden können, in dem gesünder geführt wird, bzw. was die Konsequenzen einer Kündigung wären. Entwicklung einer gesunden Führung 101 Das zweitägige Seminar wird seit über zehn Jahren rund zehnmal im Jahr durchgeführt. Kleine Gruppen von maximal 14 Teilnehmern ermöglichen viel Interaktion und Praxisbezug. Insgesamt haben inzwischen rund 1 100 Beschäftigte teilgenommen, von denen rund 200 das Seminar mehr als einmal besucht haben. In Kassel hat das gesamte Werkmanagement das Seminar besucht. In der anwendungsorientierten Exploration wurde gezeigt, dass vor allem die Dimensionen gesunde Achtsamkeit und gesundes Vorbildverhalten von Führungskräften emotionale Erschöpfung bei Mitarbeitern reduzieren können. Diese Effekte könnten die zwei Mechanismen gesunder Führung bestätigen, die Gurt et al. (2011) aufführen. Es ist möglich, dass Führungskräfte einerseits für das Thema Gesundheit generell sensibilisiert werden und andererseits Mitarbeiter durch Vorbildverhalten dazu bewegen, sich selbst gesünder zu verhalten. Im Rahmen eines BGM sollte es daher insbesondere um die Sensibilisierung von Führungskräften gehen, einerseits für das Thema Gesundheit überhaupt und andererseits aber auch für ihre eigene Vorbildrolle in Sachen Gesundheit. Was die gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung angeht, so hat vor allem die Dimension gesunde Achtsamkeit einen positiven Einfluss auf die zwei relevanten Dimensionen gesunder Mitarbeiterführung. Wenn die Geschäftsleitung achtsam mit der eigenen Gesundheit umgeht, dann gehen auch die restlichen Führungskräfte im Unternehmen achtsamer mit der Gesundheit ihrer Mitarbeiter um und verhalten sich bezogen auf Gesundheit eher als Vorbild. Auch hier geht es also um eine generelle Sensibilisierung für das Thema Gesundheit. Zunächst muss die Geschäftsleitung sensibilisiert sein, was wiederum Führungskräfte sensibilisiert und zum Vorbildverhalten anregt. Das deutsche Medizintechnik- und Pharmaunternehmen B. Braun Melsungen AG mit weltweit rund 50 000 Mitarbeitern und Hauptsitz in Melsungen nimmt das Thema gesunde Achtsamkeit sowohl in der Mitarbeiterführung als auch in der Selbstführung ernst. „Manager sollen auf ihre Mitarbeiter achten, aber gerade das Topmanagement hat niemanden, der auf sie achtet“, fasst der BGM-Verantwortliche bei B. Braun Melsungen, Uwe Ross, in einem Interview zu gesunder Führung bei B. Braun Melsungen die Notwendigkeit für eine gesunde Selbstführung des Topmanagements zusammen. Als eine besonders belastete Gruppe sieht er zudem Personalverantwortliche und den Betriebsrat. Im Frühjahr 2012 wurde daher für diese Ziel- 102 Entwicklung einer gesunden Führung gruppe ein spezieller Workshop durchgeführt zum Thema gesunde Selbstführung mit Schwerpunkt gesunde Achtsamkeit. Hier ging es darum, wie man mit der eigenen psychischen Belastung umgehen kann, die einen als Personalverantwortlichen oder Betriebsrat im Kontakt mit psychisch belasteten Mitarbeitern ereilt. „Wenn ein psychisch stark belasteter Mitarbeiter – womöglich noch mit Suizidgedanken – mit einem Kontakt aufnimmt, da fühlt man sich hilflos und trägt das mit sich herum. Das kann einen selbst sehr stark psychisch belasten“, berichtet Ross. Im Workshop wurden zunächst Definitionen rund um das Thema psychische Gesundheit wie z. B. Burnout, Depressionen, Erschöpfung und Angst geklärt. Anschliessend wurden die Themen Wahrnehmung der Führungsverantwortung und Fürsorgepflicht, aber auch innere Abgrenzung und Selbstschutz der Führungskräfte behandelt. In einem speziell für diese Schulung entwickelten Rollenspiel, dem sogenannten Fürsorge-Gespräch, wurden die Teilnehmer darin trainiert, besorgniserregende Veränderungen bei Mitarbeitern zu erkennen, anzusprechen und den Mitarbeiter aufzufordern, BGM-Angebote im Unternehmen wahrzunehmen. Aufgrund der hohen Resonanz bei Personalverantwortlichen und Betriebsräten wurden diese Themenschwerpunkte im Rahmen eines Management Jour Fixe an rund 200 Führungskräfte im Unternehmen herangetragen, woraufhin seitdem weitere Seminare über das Jahr verteilt zu diesem Thema angeboten werden. Alle Führungskräfte haben nun die Möglichkeit, an der Führungskräfteschulung „Psychische Gesundheit für Führungskräfte“ teilzunehmen. Hier lernen sie, Überlastungssignale sowohl bei sich als auch bei ihren Mitarbeitern frühzeitig zu erkennen – also eine gesunde Achtsamkeit zu entwickeln –, um anschliessend effektiv mit der Situation umgehen zu können. Auch hier kann das Verhalten in kritischen Situationen in einem Rollenspiel geübt werden. Gleichzeitig lernen die Führungskräfte aber auch, auf die eigene Gesundheit stärker zu achten und sich bei Bedarf Unterstützung zu holen. Ziel ist also nicht nur, die gesunde Achtsamkeit bei Topmanagern und Führungskräften zu stärken, sondern Führungskräfte auch zu einem gesunden Vorbildverhalten zu ermutigen. Ergänzend wird in den Seminaren auf die Dienstleistungen des betrieblichen Unterstützerteams hingewiesen. Dieses besteht unter anderem aus einem externen klinischen Psychologen sowie externen Sozialarbeitern. „Das Unterstützerteam kann Führungskräfte unmittelbar entlasten, sollten sich Mitarbeiter im Verantwortungs- Entwicklung einer gesunden Führung 103 bereich in Krisensituationen befinden oder eine besondere Unterstützung benötigen. Das Unterstützerteam nimmt in diesen Fällen eine Lotsenfunktion wahr und sorgt für rasche und gezielte Unterstützung aller Betroffenen und Beteiligten, da es fachliche Expertise besitzt und gut mit psychosomatischen Einrichtungen in der Region vernetzt ist“, erklärt Ross. Das Seminar „Psychische Gesundheit für Führungskräfte“ findet in zwei Modulen statt: Im ersten Modul, in dem bis zu 20 Führungskräfte teilnehmen können, geht es vor allem um Theorie und Grundlagen. Schwerpunkt ist eine Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema psychische Gesundheit. Im zweiten Modul ist die Gruppe mit maximal zehn Teilnehmern deutlich kleiner, und es wird ein stärkerer Praxisbezug hergestellt. Hier werden die Rollenspiele geübt, aber auch kritische Situationen diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht. Das Beispiel B. Braun Melsungen zeigt, wie man die Themen gesunde Selbst- und gesunde Mitarbeiterführung mit Schwerpunkt Achtsamkeit und Vorbildverhalten im Rahmen eines BGM miteinander verknüpfen kann und damit sämtliche Ebenen im Unternehmen erreicht. Wie man Führungskräfte gerade für einen achtsamen Umgang mit der eigenen Gesundheit sensibilisieren kann, zeigt auch die SMA Solar Technology AG, die bereits in Kapitel 2 Abschnitt 2.4 vorgestellt wurde. In einer 2010 durchgeführten Veranstaltung für sämtliche Mitarbeiter und Führungskräfte des Unternehmens unter dem Motto „Gesundheitsnacht“ wurde das Thema Schlafstörungen behandelt – sowohl stressbedingte als auch schichtbedingte. Was den Veranstaltern jedoch auffiel, war die relativ geringe Beteiligung von Führungskräften. In verschiedenen Gesundheitsgremien wurde überlegt, wie man die Führungskräfte besser erreichen könne. Daraufhin wurde eine Studie zum Thema Work-Life-Balance von Führungskräften durchgeführt. Hier konnten Führungskräfte, aber auch ihre Lebenspartner teilnehmen. Nach Abschluss der Studie erhielten die Führungskräfte Auswertungsberichte, und die Ergebnisse wurden auf einem Work-Life-Balance-Day in Workshops diskutiert. Die Resonanz bei dieser zweiten Veranstaltung war laut Ernst Kaiser, BGM-Verantwortlicher bei SMA, deutlich höher, und auch die Beurteilungen der Teilnehmer waren sehr positiv. „Wir führen Evaluationen zu unseren Gesundheitstagen durch und haben dort mit 95 % eine sehr positive Bewertung bekommen.“ Was besonders das Interesse der Führungskräfte geweckt hat, waren Kaiser zufolge 104 Entwicklung einer gesunden Führung nicht nur die Rückmeldung der Ergebnisse, sondern auch die verschiedenen Programme und Massnahmen, die aus der Studie abgeleitet und beim Work-Life-Balance-Day vorgestellt wurden. „Hier hatten die Führungskräfte das Gefühl, dass die Studienergebnisse ernst genommen werden und wir Konsequenzen daraus ziehen.“ So stellte sich zum Beispiel heraus, dass vor allem Frauen Schwierigkeiten haben, Arbeit und Privates zu vereinen. Zudem sind diese bei SMA noch stark in der Minderheit. „Hier haben wir Handlungsbedarf gesehen, speziell ein Programm für weibliche Führungskräfte anzubieten, in dem diese einen psychischen Check-up bekommen und spezielles Stressmanagementtraining“, erklärt Kaiser. Das Beispiel zeigt auf, wie wichtig eine Sensibilisierung – also ein Kreieren von Achtsamkeit – bei Führungskräften ist, um eine Verhaltensänderung und die Teilnahme an Massnahmen zu erreichen. Das Rückspiegeln von Befragungs- und Studienergebnissen aus dem Unternehmen ist hierbei eine wirksame Methode. Was dieses Kapitel deutlich macht, ist die Bedeutung der Führungskräfte im Unternehmen – sowohl als Zielgruppe eines BGM als auch als Mitgestalter desselben. Führungskräfte haben häufig selbst starken Druck, sind aber gleichzeitig Vorbild für ihre Mitarbeiter. Umso wichtiger ist es, dass sie sich um ihre eigene Gesundheit kümmern, das Thema psychische Gesundheit ernst nehmen und gezielt geschult werden im Umgang mit psychischen Problemen ihrer Mitarbeiter. Eine Voraussetzung hierfür ist nicht nur eine gesunde Selbstführung, sondern ein generell gutes Selbstmanagement, was auch ein effektives Zeitmanagement beinhaltet. Nur wenn Führungskräfte ihre eigene Arbeit und Zeit gut managen, haben Sie auch die Zeit und die Ressourcen, um sich um das Thema Gesundheit zu kümmern. Im nun folgenden Abschlusskapitel sollen noch einmal die Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und in ein Modell eines betrieblichen Gesundheitsmanagements integriert werden. Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis 105 5 Zusammenfassende Diskussion und Empfehlungen für die Praxis Im Folgenden sollen die Kernerkenntnisse der Arbeit zusammengefasst sowie Implikationen für die Praxis abgeleitet werden. Anschliessend werden die Limitationen dieser Arbeit und der weitere Forschungsbedarf aufgezeigt. Die Arbeit schliesst mit einem zusammenfassenden Fazit. 5.1 Kernerkenntnisse und Implikationen für die Praxis Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Erfolgsfaktoren eines betrieblichen Gesundheitsmanagements mit Fokus auf die psychische Gesundheit zu untersuchen und dabei herauszuarbeiten, welche Aspekte in der Praxis besonders berücksichtigt werden sollten. Drei Forschungsfragen stehe hierbei im Fokus: Forschungsfrage 1. Welchen Einfluss hat die Systematik eines betrieblichen Gesundheitsmanagements auf den Grad der emotionalen Erschöpfung von Mitarbeitern und welche Aspekte eines systematischen Ansatzes sind hierbei besonders entscheidend? Forschungsfrage 2. Welchen Einfluss hat die Beschleunigungsfalle auf den Grad der emotionalen Erschöpfung von Mitarbeitern und wie kann sie vermieden werden? Forschungsfrage 3. Welchen Einfluss hat gesunde Führung auf den Grad der emotionalen Erschöpfung von Mitarbeitern und welche Rolle spielt die gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hierbei? Abbildung 40 fasst die drei Themenfelder in einem Modell zusammen. 106 Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis Abbildung 40: Modell eines integrativen BGM Er In Kapitel 2 wird gezeigt, dass ein systematisch aufgesetztes BGM emotionale Erschöpfung von Mitarbeitern reduzieren kann. Bestandteile eines solchen systematisystemati schen Ansatzes sind Frühwarnsysteme, eine BedarfsBedarfs oder Gefährdungsanalyse, Gefähr ausreichend finanzielle Mittel, Beteiligung der Mitarbeiter an der Entwicklung von Massnahmen, nahmen, Massnahmen und Angebote zum Umgang mit psychischer GesundGesund heit und Evaluation dieser Massnahmen. Desweiteren ergab eine anwendungsorientierte Exploration, Exploration, dass es bei der Wirksamkeit eines BGM insbesondere besondere auf fundierte Bedarfsanalysen Be und eine Evaluation der Massnahmen ankommt. Unternehmen sollten also nicht nach einem einem Giesskannenprinzip Massnahmen zur Stressreduktion anbieten, anbie sondern zunächst hst den Bedarf für derartige Massnahmen bestimmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die richtigen Massnahmen zum richtigen Zeitpunkt und für die richtige Zielgruppe Ziel angeboten werden. Anschliessend sollten die Massnahmen Massnahmen evaluiert werden, so dass sie ie kontinuierlich justiert und verbessert werden können. In Kapitel 3 wird untersucht, untersucht, welche Auswirkung die Beschleunigungsfalle auf die psychische Gesundheit im Unternehmen haben kann und wie Unternehmen sie verver meiden können. Es wird gezeigt, dass die Beschleunigungsfalle positiv mit dem Ausmass emotionaler ler Erschöpfung zusammenhängt: Je stärker ein Unternehmen in der Beschleunigungsfalle falle steckt, desto stärker sind die Mitarbeiter emotional erer schöpft. Neben konkreten Angeboten zur psychischen Gesundheit für Mitarbeiter ist Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis 107 es daher entscheidend, die Überlastung auf Organisationsebene zu reduzieren. Ein Unternehmen, das im Hamsterrad steckt, kann nicht von seinen Mitarbeitern erwarten, gesund und leistungsfähig zu sein. Eine Reduktion der Beschleunigungsfalle kann durch eine Reihe von Entschleunigungsmassnahmen erreicht werden. Beispiele solcher Massnahmen sind Begrenzung der Jahresziele, Verankerung von Auszeiten und Reflexionsmomenten sowie ein würdevolles Beenden von nicht erfolgversprechenden Projekten. Die Ergebnisse der anwendungsorientierten Exploration legen nahe, dass unterschiedliche Massnahmen auf unterschiedliche Dimensionen der Beschleunigungsfalle wirken. Unternehmen sollten also zunächst herausfinden, welche Beschleunigungsfallendimension besonders stark ausgeprägt ist. Bei hoher Überlastung sollte der Fokus auf Massnahmen zur Ressourcensteigerung liegen. Unternehmen sollten dann insbesondere darauf achten, dass sich intensive Arbeitsphasen mit Ruhephasen zur Regenerierung abwechseln, dass Auszeiten und Reflexionsmomente in der Unternehmenskultur verankert sind, dass es nach anstrengenden Veränderungsphasen gezielte Auszeiten zur Regenerierung gibt und dass Führungskräfte Entschleunigung vorleben. Wenn eine hohe Mehrfachbelastung vorliegt, sollten Unternehmen insbesondere auf Massnahmen zur Anforderungsreduktion setzen. Hier geht es darum, Fokus zu schaffen. Neue Projekte sollten nur nach eingehender Prüfung initiiert werden, alle Projekte und Aktivitäten sollten systematisch auf den Prüfsstein gelegt und ggf. „aufgeräumt“ werden, die Anzahl der möglichen Jahresziele sollte begrenzt werden und nicht erfolgversprechende Projekte sollten bewusst, wertschätzend und würdevoll beendet werden. In Kapitel 4 wird die Rolle der Führung im Unternehmen hinsichtlich Mitarbeitergesundheit untersucht. Es kann gezeigt werden, dass gesunde Mitarbeiterführung im Unternehmen mit einer besseren psychischen Gesundheit der Mitarbeiter zusammenhängt indem emotionale Erschöpfung reduziert wird, und dass eine gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung diese begünstigen kann. Die Ergebnisse der anwendungsorientierten Exploration lassen den Schluss zu, dass es insbesondere die Dimensionen gesunde Achtsamkeit und gesundes Vorbildverhalten der Mitarbeiterführung sind, die emotionale Erschöpfung bei Mitarbeitern reduzieren können. Unternehmen sollten ihre Führungskräfte daher für das Thema Gesundheit sensibilisieren und sie ermutigen, auch unter diesem Aspekt für ihre Mitarbeiter ein Vorbild zu sein. Hierbei spielt die Geschäftsleitung eine 108 Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis entscheidende Rolle, denn eine Geschäftsleitung, die sich selbst mit gesunder Achtsamkeit führt – das heisst sensibel für die eigene Gesundheit ist – scheint einen positiven Einfluss auf die gesunde Achtsamkeit und das gesunde Vorbildverhalten von Führungskräften im Unternehmen zu haben. Tabelle 23 stellt eine Übersicht der getesteten Hypothesen in den drei Kapiteln dar. Sämtliche Hypothesen konnten bestätigt werden. Tabelle 23: Hypothesenübersicht 1 2 3 H1 Die Systematik eines betrieblichen Gesundheitsmanagements mit Fokus auf psychische Gesundheit hängt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen nach Kontrolle für das zur Verfügung stehende Budget. H2 Die Beschleunigungsfalle hängt positiv mit emotionaler Erschöpfung zusammen. H3 Entschleunigungsmassnahmen hängen negativ mit der Beschleunigungsfalle zusammen. H4 Entschleunigungsmassnahmen hängen indirekt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen, wobei die Beschleunigungsfalle diesen Zusammenhang mediiert. H5 Gesunde Mitarbeiterführung hängt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen. H6 Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hängt positiv mit einer gesunden Mitarbeiterführung im Unternehmen zusammen. H7 Gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung hängt indirekt negativ mit emotionaler Erschöpfung zusammen, wobei gesunde Mitarbeiterführung im Unternehmen diesen Zusammenhang mediiert. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit können Unternehmen verschiedene Anhaltspunkte für ein integratives BGM geben, wobei die Ergebnisse der anwendungsorientierten Explorationn dabei helfen, Aktivitäten zu priorisieren. Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis 109 Abbildung 41 zeigt das erweiterte Modell eines integrativen BGM. Abbildung 41: Erweitertes Modell eines integrativen BGM 5.2 Limitationen der Arbeit und weiterer Forschungsbedarf Ein Vorteil für das Gewinnen der vorliegenden Erkenntnisse ist es, dass verschieverschie dene Datenquellen für die statistischen Analysen genutzt werden konnten. konnten Die Daten zur Erfassung der Systematik des BGM und von Entschleunigungsmassnahmen stammen aus der Personalabteilung. Um emotionale Erschöpfung, BeschleuniBeschleuni gungsfalle und gesunde Mitarbeiterführung Mitarbeiterführung zu messen, wurden Mitarbeiter befragt. Die gesunde Selbstführung der Geschäftsleitung wurde durch die Geschäftsleitung selbst bst beurteilt. Hierdurch konnte bei der Analyse des Zusammenhangs zwischen BGM und emotionaler naler Erschöpfung, Entschleunigungsmassnahmen Entschleunigungsmassnahmen und BeschleuBeschleu 110 Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis nigungsfalle sowie gesunder Selbstführung der Geschäftsleitung und gesunder Mitarbeiterführung ein Common Source Bias ausgeschlossen werden (Podsakoff et al., 2003). Hingegen konnte ein solcher Bias nicht zwischen Beschleunigungsfalle und emotionaler Erschöpfung sowie gesunder Mitarbeiterführung und emotionaler Erschöpfung vermieden werden, da die einzige Datenquelle jeweils die Mitarbeiter sind. Für die weitere Forschung wäre es interessant, die Ergebnisse mit unterschiedlichen Datenquellen zu replizieren. So könnte gesunde Mitarbeiterführung durch Führungskräfte selbst beurteilet werden und die Beschleunigungsfalle durch Führung oder das HR. Alternativ könnte psychische Gesundheit anders operationalisiert werden, z.B. durch harte Zahlen aus dem HR wie Krankenstand und Fehlzeiten. Das Querschnitt-Design der Studie stellt eine weitere Limitation dar. Um einen eindeutigen Kausalzusammenhang testen zu können, sollte in Folgestudien ein Längsschnitt-Design verwendet werden. So kann getestet werden, ob beispielsweise die Beschleunigungsfalle tatsächlich über die Zeit zu emotionaler Erschöpfung führt oder ob die Kausalität umgekehrt ist. Auch die Wirksamkeit von BGM-Systematik, Entschleunigungsmassnahmen und gesunder Führung kann in einem LängsschnittDesign überprüft werden. Um das Konzept psychische Gesundheit vollumfänglich zu erfassen, sollten in zukünftigen Studien weitere Konstrukte genutzt werden. In der vorliegenden Arbeit wurde lediglich die emotionale Erschöpfung der Mitarbeiter erfasst. Alternativen oder Ergänzungen könnten zum Beispiel die Konstrukte Zynismus oder Stress darstellen. Zusätzlich sollte zu diesen negativen Konstrukten auch die positive Seite gemessen werden, z. B. das Engagement der Mitarbeiter. Neben diesen rein subjektiven Einschätzungen durch die Mitarbeiter selbst können objektive Daten wie Fehlzeiten und Krankenstand ebenfalls Auskunft über die Wirksamkeit eines integrativen BGM geben – insbesondere in einer Längsschnittstudie. Bei der Bildung des BGM-Systematik-Indexes wurde in der vorliegenden Arbeit von einer Intervallskalierung ausgegangen. Möglicherweise sollte der Schritt von beispielsweise zwei zu drei BGM-Aspekten jedoch anders bewertet werden als der Schritt von drei zu vier BGM-Aspekten. Auch die tatsächliche Abfolge des BGMZyklus sollte in Folgestudien näher untersucht werden. Zusammenfassende Diskussion und Empfehlung für die Praxis 111 In der vorliegenden Arbeit wurden die Auswirkungen von BGM-Systematik, Beschleunigungsfalle (und Entschleunigungsmassnahmen) sowie gesunder Führung auf den Grad emotionaler Erschöpfung jeweils separat getestet. Hierdurch lässt sich jedoch keine Aussage darüber treffen, welcher der drei Aspekte für psychische Gesundheit am wichtigsten ist. Durch die Aufnahme der verschiedenen Aspekte in ein Modell, könnte dies in einer Folgestudie getestet werden. 5.3 Abschliessendes Fazit Das Thema psychische Gesundheit von Mitarbeitern wird immer wichtiger. Oft fehlt es Unternehmen jedoch an Wissen, worauf es bei einem integrativen BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit ankommt und wie es nachhaltig etabliert werden kann. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, wie Unternehmen ein integratives BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit etablieren können. Entscheidend ist hierbei, zunächst die Geschäftsleitung für das Thema Gesundheit zu sensibilisieren und sie auf ihre Symbolfunktion aufmerksam zu machen. Nur wenn die Geschäftsleitung ein BGM mit Fokus auf psychische Gesundheit unterstützt, kann dieses auch wirksam umgesetzt werden. Anschliessend kann ein systematischer BGM-Zyklus etabliert werden. Im Rahmen der Frühwarnsysteme zur psychischen Gesundheit von Mitarbeitern und der Evaluation von Massnahmen kann das Messinstrument der Beschleunigungsfalle genutzt werden. Teil der Massnahmen sollten gezielte Entschleunigungsmassnahmen darstellen, je nachdem welche Beschleunigungsfallendimension am stärksten vorherrscht. Des Weiteren sollten sämtliche Führungskräfte im Unternehmen für das Thema Gesundheit sensibilisiert und in gesunder Führung geschult werden. Dieses Zusammenwirken verschiedener Stakeholder und Abteilungen im Unternehmen ermöglicht ein systematisches Vorgehen, gezielte Entschleunigung und eine gesunde Führung mit dem Ziel, die Gesundheit von Mitarbeitern langfristig zu erhalten. 112 Literaturverzeichnis Literaturliste Aldana, S. G. (2001). Financial impact of health promotion programs: a comprehensive review of the literature. American Journal of Health Promotion, 15(5), 296-320. Badura, B., Schröder, H., & Vetter, C. (2009). Fehlzeiten-Report 2008. Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Berlin und Heidelberg: Springer. Badura, B., Walter, U. & Hehlmann, T. (2010). Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden Organisation. Heidelberg: Springer. Bamberg, E., Ducki, A. & Metz, A.-M. (2011). Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement in der Arbeitswelt. Ein Handbuch. Göttingen: Hogrefe. Bandura, A., & Walters, R. H. (1963). Social learning and personality development. 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HSG) Sep 01 - Dez 07 Universiteit van Amsterdam, Amsterdam, Niederlande Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Sozialpsychologie (M.Sc.) Feb 06 – Feb 07 Universiteit van Amsterdam, Amsterdam, Niederlande Universitäre Trainerausbildung Jan 05 - Jun 05 University of Toronto, Toronto, Kanada Studium der Psychologie (Auslandssemester) Feb 04 - Jul 04 Universidad Autónoma de Madrid, Madrid, Spanien Studium der Psychologie (Auslandssemester) Berufserfahrung Seit Okt 10 energy factory St. Gallen AG, St. Gallen, Schweiz Consultant, Trainer und Coach im Bereich Führung und Personalmanagement Okt 10 - Apr 14 Universität St. Gallen, Institut für Führung und Personalmanagement, St. Gallen, Schweiz Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Heike Bruch Jun 08 - Aug 10 IBM Global Business Services, Amsterdam, Niederlande Consultant für Human Capital Management mit Spezialisierung in Learning & Development Mär 07 - Jun 08 Freelance Trainer, Niederlande Sep 06 – Feb 08 Universiteit van Amsterdam, Amsterdam, Niederlande Trainer
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