Lärm- und Klimaschutz durch Tempo 30: Stärkung der

Rechtsanwalt
Karsten Sommer
Lärm- und Klimaschutz durch Tempo 30: Stärkung der
Entscheidungskompetenzen der Kommunen
Impulspapier zum Workshop am 05.10.2015
Lärm- und Klimaschutz durch Tempo 30 durchsetzen – Welche Hürden
müssen die Kommunen nehmen?
In einem Workshop am 5. Oktober 2015 wird mit Vertreter/innen von Kommunen beraten, welche Hindernisse ihnen die Durchsetzung von Tempo-30Anordnungen erschweren. Ziel ist es, Hindernisse zu identifizieren, die auf
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Klimaschutz durch
Tempo 30
ungenügende Vorschriften (Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften,
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Erlasse und Richtlinien) zurückzuführen sind und deren Bedeutung für die
kommunale Praxis zu erfassen. Hintergrund sind zwei Handlungsaufträge:
05.10.2015
●
Die Bundesregierung hat mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020
Workshop am
Stand: 09.09.2015
beschlossen, den klimafreundlichen Rad- und Fußverkehr durch die Erhöhung der Sicherheit zu fördern. Dazu soll die Entscheidungskompetenz der
Kommunen hinsichtlich der Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen
gestärkt werden.
●
Die Verkehrsministerkonferenz hat am 16./17. April 2015 in Rostock unter
dem Titel „Verbesserung des Miteinanders von Mensch und Verkehr“ einen
entsprechenden Beschluss zur Erleichterung der Anordnung von Tempo 30
- Geschwindigkeitsbegrenzungen aus Verkehrssicherheits- und Lärmschutzgründen gefasst. Sie hält eine Überarbeitung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften für erforderlich und beauftragte die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hamburg mit der
Einrichtung einer länderoffenen Ad-hoc-Arbeitsgruppe mit dem Ziel, in der
Herbstsitzung 2015 der Verkehrsministerkonferenz konstruktive Vorschläge
für entsprechende Gesetzgebungsinitiativen und Maßnahmen vorzulegen.
Im Auftrag des Umweltbundesamt wurden im Forschungsprojekt „TUNE ULR Technisch wissenschaftliche Unterstützung bei der Novellierung der EUUmgebungslärmrichtlinie“
(UBA-Texte
33/2015,
abrufbar
unter
http://www.umweltbundesamt.de/publikationen/tune-ulr-technisch-wissenschaftlicheunterstuetzung) unter anderem fachliche und rechtliche Hindernisse ermittelt,
denen sich Kommunalverwaltungen bei der Durchsetzung von Tempo 30 aus
Lärmschutzgründen an Hauptverkehrsstraßen gegenübergestellt sehen.
In einem darauf aufbauenden Gutachten sollen nun die in TUNE ULR ermittelten sowie weitere in dem Workshop am 05.10.2015 zu ermittelnde Hindernisse
daraufhin untersucht werden, ob sie durch Änderungen von Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften, Erlassen oder Richtlinien zu beseitigen sind.
Auf dieser Grundlage sollen Empfehlungen für entsprechende Änderungen
entwickelt werden.
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Tempo 30 – was ändert sich vor Ort?
Das Forschungsprojekt TUNE ULR analysierte neben den fachlichen und
rechtlichen Hindernissen bei der Durchsetzung von Tempo 30 auch dessen
Bedeutung als Lärmschutzmaßnahme. Untersucht wurde, ob die Vorteile von
Tempo 30 die Nachteile für den fließenden Verkehr überwiegen.
Das Forschungsvorhaben wertet vorliegende Untersuchungen zu Tempo 30 an
Hauptverkehrsstraßen aus. Im Hinblick auf eine sachgerechte Ermessensausübung als Grundlage für die Planung von Tempo-30-Regelungen in Lärmaktionsplänen nennt es folgende Aspekte:
●
In den meisten untersuchten Fällen wirkt Tempo 30 positiv, auch wenn
keine Begleitmaßnahmen wie Umbauten oder Radarkontrollen ergriffen
werden. Die Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h
auf 30 km/h bewirkt Rückgänge der mittleren Geschwindigkeit um bis zu
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Stand: 09.09.2015
15 km/h, wenn keine Begleitmaßnahmen ergriffen werden. Mit Geschwindigkeitskontrollen ist der Effekt größer. Es werden vor allem die hohen Geschwindigkeiten reduziert. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen keine oder
nur geringe Geschwindigkeitsdifferenzen festgestellt wurden.
●
Messergebnisse zeigen, dass der Befolgungsgrad mit zunehmender Dauer
seit der Anordnung zunimmt. Nachher-Messungen sollten daher frühestens
sechs Monate nach der Anordnung und über einen längeren Zeitraum erfolgen.
●
Die gemessenen Mittelungspegel sinken nach der Anordnung von Tempo
30 um rund 1 bis 4 dB(A).
●
Die vorliegenden Untersuchungen zeigen eine leichte Abnahme der Luftschadstoffbelastung nach Einführung von Tempo 30. Es wird jedoch darauf
hingewiesen, dass die Qualität des Verkehrsflusses vermutlich einen größeren Einfluss hat als die zulässige Höchstgeschwindigkeit.
●
Tempo 30 führt in den untersuchten Fällen nicht zu nennenswerten Verkehrsverlagerungen in andere Straßen oder zu signifikanten Verschlechterungen des Verkehrsflusses.
●
Tendenziell nennen die Studien neutrale bis positive Entwicklungen bei der
Verkehrssicherheit.
●
In den Fällen mit Anwohnerbefragungen werden überwiegend positive
Reaktionen auf Tempo 30 festgestellt. Die Befragten fühlen sich mit Tempo
30 auch bei einer vergleichsweise geringen Pegelsenkung weniger durch
Lärm belästigt als vorher.
Die Auswertung vorliegender Berichte wurden in TUNE ULR durch eigene
Untersuchungen zum Einfluss von Tempo-30-Anordnungen auf die Fahrzeiten
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des motorisierten Verkehrs und zur Meinung der betroffenen Anwohnenden
ergänzt. Im Ergebnis zeigte sich Folgendes:
●
Die realen Reisezeitverluste durch Tempo 30 gegenüber Tempo 50 liegen
tagsüber bei 2 Sekunden je 100 Meter und nachts zwischen 0 und 2 Sekunden je 100 Meter.
●
Die Qualität des Verkehrsflusses bleibt zumindest unverändert. In einigen
Fällen verbessert sie sich: die Spannweite der gemessenen Geschwindigkeiten sinkt um bis zu 16 km/h, die Standardabweichung nimmt ebenfalls
ab. Die Untersuchungen zeigen auch, dass neben der angeordneten zuläs-
●
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sigen Höchstgeschwindigkeit andere Faktoren einen erheblichen – teilwei-
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se größeren – Einfluss auf die realen Reisegeschwindigkeiten und den
Verkehrsfluss haben.
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Die Anwohnenden bewerten Tempo-30-Anordnungen positiv und nehmen
überwiegend eine spürbare Lärmminderung wahr.
Workshop am
Stand: 09.09.2015
Rechtlicher Rahmen und Hindernisse bei Tempo-30-Anordnungen
Das zentrale Element im Forschungsprojekt TUNE ULR war die Darstellung
der Problematik bei der Durchsetzung von Tempo 30 durch die Kommunen.
In der ersten Stufe der Lärmkartierung nach Umgebungslärmrichtlinie wurden
in rund 3.700 Gemeinden Lärmkarten erarbeitet (dies entspricht einem Drittel
aller Gemeinden in Deutschland). Die darauf aufbauenden Lärmaktionspläne
nennen – abgesehen von Lärmschutzwänden – am häufigsten Geschwindigkeitssenkungen als Lärmminderungsmaßnahmen.
Gleichzeitig gehört diese Maßnahme zu den fachlich, politisch und öffentlich
sehr kontrovers diskutierten Themen. Insbesondere der Befolgungswille der
Autofahrenden und damit die Wirksamkeit der Maßnahme werden bezweifelt.
Dies führt zu Unsicherheiten. Auch die Zusammenarbeit zwischen den planenden Fachverwaltungen einerseits und den anordnenden Straßenverkehrsbehörden andererseits funktioniert in vielen Fällen nicht reibungslos.
Bisherige Erfahrungen mit der Lärmaktionsplanung zeigen, dass dies vor allem
an unzureichenden rechtlichen Rahmenbedingungen und an kontroversen
Diskussionen über die Wirkung dieser Maßnahmen liegt.
Als relevante Regelungen werden genannt:
●
§ 6 Abs.1 Nr.3 d des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) als Grundlage für
den Erlass der Straßenverkehrsordnung (StVO),
●
§ 45 Abs.1 Satz 1, 2 Nr.3 StVO als Grundlage für die Anordnung von
Verkehrsbeschränkungen zum Schutz der Wohnbevölkerung u.a. vor Lärm,
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●
§ 45 Abs. 1b StVO als Grundlage für die Anordnung von Verkehrsbeschränkungen u.a. zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen
oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung,
●
§ 45 Abs. 9 StVO (Verkehrsbeschränkungen müssen „zwingend geboten“
sein),
●
die Verwaltungsvorschrift (VwV) zur StVO, bes. zu § 45 StVO,
●
die Lärmschutz-Richtlinien-StV 2007, mit der das Bundesverkehrsministerium den Straßenverkehrsbehörden eine Orientierungshilfe für die Anordnung von Tempo 30 aus Lärmschutzgründen gegeben hat,
●
die Lärmwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV),
●
§ 47d des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) in Verbindung mit
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§ 47 Abs. 6 BImSchG, die die Aufstellung und Umsetzung von Lärmaktionsplänen regeln und
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die Umgebungslärmrichtlinie der EU.
Im Workshop soll hinterfragt werden, ob alle relevanten Regelungen einbezogen und alle aufgeführten Regelungen relevant sind, um Hindernisse bei der
Durchsetzung von Tempo 30 zu identifizieren.
Im Forschungsvorhaben TUNE ULR wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen der Lärmaktionsplanung näher betrachtet und folgende Hindernisse für
die Umsetzung besonders von Tempo-30-Anordnungen identifiziert:
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das Auseinanderfallen der Zuständigkeit für die Lärmaktionsplanung
(regelmäßig Gemeinden) und für die Tempo-30-Anordnung (regelmäßig
Straßenverkehrsbehörde beim Landkreis),
●
das Fehlen einer Korrelation von § 45 StVO mit der Lärmaktionsplanung,
die dort nicht ausdrücklich aufgeführt wird,
●
Zustimmungserfordernisse, wie sie in der VwV zur StVO für Verkehrsbeschränkungen aus Lärmschutzgründen oder auch in Landesregelungen als
Einvernehmenserfordernis oder Genehmigungserfordernis der Lärmaktionsplanung geregelt sind,
●
Verweigerung von Zustimmung, Einvernehmen oder Genehmigung seitens
der Straßenverkehrsbehörden ohne hinreichende Berücksichtigung der von
der Gemeinde zu berücksichtigenden Belange der Lärmaktionsplanung,
●
zumindest missverständliche Formulierungen der Lärmschutzrichtlinien-StV
2007, etwa hinsichtlich der Höhe der Lärmwerte, bei deren Überschreiten
Tempo 30 angeordnet werden kann und hinsichtlich der (fehlenden) Bedeutung des Lärmschutzrechts,
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●
allgemein die hohen Lärmwerte, die von Straßenverkehrsbehörden häufig
als Voraussetzung für die Anordnung von Tempo 30 angeführt werden und
mit den Anforderungen der Lärmaktionsplanung nicht in Übereinstimmung
zu bringen sind,
●
fehlende Regelungen der Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine Lärmaktionsplanung in § 47 d BImSchG, etwa fehlende Regelungen zur Beteiligung besonders der umsetzenden Behörden, fehlende Regelungen zur
Bedeutung der Stellungnahmen der für die Umsetzung zuständigen Behör-
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den (teils wird sogar ein gesetzlich nicht geregeltes Einvernehmens-
Tempo 30
erfordernis behauptet) in der Lärmaktionsplanung, Kompetenz einer Um-
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setzungsbehörde zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der einzelnen Maßnahmen oder gar des gesamten Lärmaktionsplans,
●
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Lärm- und
fehlende Regelung, ob der Straßenverkehrsbehörde bei der Anordnung
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Stand: 09.09.2015
einer in einem Lärmaktionsplan festgesetzten Tempo-30-Anordnung noch
ein eigenes Ermessen zusteht oder ob sie nach Maßgabe des Lärmaktionsplans anordnen muss,
●
eine von Straßenverkehrsbehörden – teils auf § 45 Abs. 9 StVO gestützt –
häufig angenommene sehr hohe Gewichtung der Belange des fließenden
Verkehrs.
Die Beschreibung der Hindernisse wie auch deren Gewicht für die kommunale
Lärmaktionsplanung und die Durchsetzung von Tempo 30 sollen im Workshop
hinsichtlich ihrer Vollständigkeit und Relevanz hinterfragt werden.
Thematischer Schwerpunkt des Workshops
Vor den genannten Hintergründen soll der Workshop mit den Erfahrungen der
Teilnehmenden unter anderem folgende Fragen beantworten:
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Welche rechtlichen Hindernisse bestehen bei der Anordnung? Finden die
Teilnehmenden ihre Erfahrungen im vorliegenden Impulspapier ausreichend wieder? Gibt es weitere Hemmnisse? Wo liegen in der Praxis die
größten Probleme?
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Welche realen Vorteile bietet Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen (Lärmminderung, CO2-Minderung, Luftreinhaltung, Förderung der Verkehrsfunktion insbesondere für Fuß- und Radverkehr usw.)? Wie stark sind die realen
Nachteile tatsächlich (Reisezeiten, Qualität des Verkehrsflusses, räumliche
Verlagerungen / Schleichverkehre, Beeinträchtigung der Verkehrsfunktion
für Kfz usw.)?
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Welche Rolle spielt die Kommunikation zwischen der planenden Behörde
und der Straßenverkehrsbehörde? Haben Planende und Anordnende ein
unterschiedliches Verständnis von der Problematik?
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