VG München, Beschluss v. 20.01.2015 – 11 S 14.5604 Normenketten: BauGB § 31 II VwGO § 80 V § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO § 212 a Abs. 1 BauGB § 30 Abs. 1 BauGB § 31 Abs. 2 BauGB Schlagworte: Bebauungsplan, Festsetzung, Befreiung, Tiefgaragenzufahrt, Lärmimmission, Nachbarschutz, Baugenehmigung Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. III. Der Streitwert wird auf Euro 3.750,- festgesetzt. Gründe I. Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung. Die Antragsteller wohnen gegenüber den streitgegenständlichen Grundstücken südlich der ...-Straße auf dem Grundstück FlNr. ... der Gemarkung ..., Haus-Nr. ... Unter dem 12. Dezember 2013 beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung für den Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern (24 Wohneinheiten) mit Tiefgarage (40 Stellplätze) auf den Grundstücken FlNrn. ... und ... in der ...-Str. ... und ... Gleichzeitig wurden Befreiungsanträge von den Festsetzungen des Bebauungsplans gestellt. Die Beigeladene beantragte, dass abweichend von den Bebauungsplanfestsetzungen die Tiefgaragenzufahrt nicht vom ...weg, sondern von der ...-Straße aus erfolgen soll. Begründet wurde der Antrag damit, dass die Verlegung der Tiefgaragenabfahrt nachbarliche Belange weniger berühre (keine Grenzbebauung zum Bestand) und eine bessere verkehrstechnische Erschließung gewährleiste. Aus einer schalltechnischen Untersuchung vom 4. Juli 2014 geht hervor, dass die Immissionsrichtwerte für ein Allgemeines Wohngebiet hinsichtlich der Tiefgaragenzufahrt eingehalten werden. In den Akten befindet sich ein weiteres Gutachten vom 2. Juli 2014 (Bl. 116 ff. der Behördenakte), wonach an den Immissionspunkten 01 (...-Str. 1 a) und 03 (...-Str. 9) bei einer beschleunigten Vorbeifahrt eines Pkw nachts kurzzeitig die zulässigen Immissionsrichtwerte von 60 dB(A) überschritten werden. Am Immissionspunkt 04 (...-Str. 20) werden die Immissionsrichtwerte laut dem Gutachten nicht überschritten. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom ... Juli 2014 erteilte das Landratsamt ... (im Folgenden: Landratsamt) der Beigeladenen im Einvernehmen mit der Gemeinde die streitgegenständliche Baugenehmigung. Gleichzeitig wurden die beantragten Befreiungen, auch hinsichtlich der Lage der Tiefgaragenzufahrt, erteilt. Nachbarschützende Rechte würden nicht verletzt. Bei dem Wohnhaus der Antragsteller würden die Lärmwerte nicht überschritten. Am 31. August 2014 ließen die Antragsteller Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom ... Juli 2014 erheben. Die Antragsteller hätten auf die Lage der Tiefgaragenzufahrt beim Hauskauf vertraut. Mit Schreiben vom 9. September 2014 stellte der Bevollmächtigte der Antragsteller beim Beklagten einen Eilantrag, der mit Bescheid vom ... November 2014 vom Beklagten abgelehnt wurde. Am 16. Dezember 2014 ließen die Antragsteller beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Dass die Tiefgaragenzufahrt statt auf den ...weg nun auf die ...-Straße verlegt worden sei, stelle eine erhebliche Änderung ohne sachlichen Grund dar. Die Anwohner hätten die Grundstücke erworben, da sie dachten, die Tiefgaragenzufahrt würde in den ...weg münden. Die Lage der Tiefgarage als Festsetzung im Bebauungsplan sei drittschützend. Der ...weg sei an dieser Stelle die zentrale Zufahrtsstraße zum Wohngebiet. Unter 4.4.5 des Bebauungsplans sei ausdrücklich bestimmt, dass Quartiere mit Tiefgarage grundsätzlich autofrei sein sollten. Das autofreie Wohnumfeld trage maßgeblich zur Qualität dieser höher verdichteten Gebiete bei. Die Gemeinde habe den Zweck verfolgt, das anschließende Wohngebiet und die interne Straße vom Verkehrslärm so weit wie möglich zu entlasten. Durch die Änderung der Zufahrt der Tiefgarage befinde sich in der ...-Straße keine autofreie Zone mehr. Selbst wenn jedoch die Festsetzung des Bebauungsplans keinen Drittschutz haben sollte, verstoße die Befreiung von der Festsetzung gegen das Rücksichtnahmegebot. Die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Allgemeines Wohngebiet seien nach dem Lärmgutachten vom 2. Juli 2014 nicht eingehalten. Bei der beschleunigten Vorbeifahrt eines Pkw werde bei den nächstgelegenen Gebäuden der Immissionsrichtwert nachts kurzzeitig um 23 dB(A) überschritten. Dies seien 3 dB(A) mehr als nach TA Lärm zulässig wären. Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2015 beantragte der Beklagte, den Antrag abzulehnen. Die Erschließung der Tiefgarage über den ...weg sei kein Grundzug der Planung gewesen. Die ursprüngliche Festsetzung der Tiefgaragenrampe sollte nicht dem Schutz bestimmter Anlieger dienen, sie sei nur Ausdruck städtebaulicher Überlegungen gewesen. Aus dem Gutachten vom 4. Juli 2014 gehe hervor, dass keine unzulässigen Lärmimmissionen beim Wohnhaus der Antragsteller zu befürchten seien. Die andere Fassung vom 2. Juli 2014 erwähne eine beschleunigte Vorbeifahrt. Dies sei kein Ereignis, das von der verlegten Rampe ausgehe. Jedes Kfz beschleunige beim Vorbeifahren. Daher sei dieser Punkt im Gutachten vom 4. Juli 2014 entfallen. Die Lageänderung der Tiefgarage verstoße nicht gegen die Grundzüge der Planung. Das unter Punkt 4.4.5 der Bebauungsplanbegründung beschriebene „autofreie Wohnumfeld“ begründe die planerische Absicht, die Qualität des Wohngebiets nicht durch eine Vielzahl oberirdisch im Straßenverkehrsraum abgestellter Kfz zu beeinträchtigen, sondern diese in Tiefgaragen abzustellen und somit „von der Bildfläche verschwinden“ zu lassen. Diese Qualität werde durch die Verlegung der Rampe nicht beeinträchtigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Akte im Verfahren M 11 K 14.3836 sowie auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen. II. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg, da die in der Hauptsache von den Antragstellern erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Die angefochtene Baugenehmigung vom ... Juli 2014 verletzt bei summarischer Prüfung keine nachbarschützenden Vorschriften, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind - die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 80 RdNr. 146; Schmidt in: Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, § 80 RdNr. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Schmidt a. a. O., § 80 RdNr. 73 f.). Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris RdNr. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind und im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B. v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris RdNr. 20). Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Bauvorhaben nicht gegen drittschützende Rechte der Antragsteller verstößt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 59 Abs. 1 BayBO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Im vorliegenden Fall war ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchzuführen, da es sich bei dem Vorhaben nicht um einen Sonderbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Im Hinblick auf die danach hier zum Prüfprogramm gehörenden nachbarschützenden Vorschriften ist die erteilte Baugenehmigung voraussichtlich nicht zu beanstanden. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans. Für das streitgegenständliche Vorhabensgrundstück ist im Bebauungsplan die Tiefgaragenzufahrt vom ...weg und nicht - wie genehmigt - von der ...-Straße vorgesehen. Ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, auf die sich die Antragsteller mit Erfolg berufen könnten, ist nicht gegeben, da die vom Antragsgegner erteilte Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB keine Nachbarrechte der Antragsteller verletzt. Bei der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist hinsichtlich des Nachbarschutzes danach zu unterscheiden, ob die Vorschrift, von der befreit werden soll, nachbarschützend ist oder nicht (vgl. Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiß, 7. Auflage 2013, BauGB/BauNVO, § 29 BauGB, RdNr. 59). Während im ersteren Fall bereits das Fehlen der objektiven Befreiungsvoraussetzungen zu einer Verletzung von Nachbarrechten führt, stellt im letzteren Fall die unzutreffende Annahme des Vorliegens der Befreiungsvoraussetzung keinen unmittelbaren Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften dar, so dass ein Nachbarschutz hier nur im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht kommt (BVerwG, U. v. 19.9.1986 - 4 C 8.84 -, NVwZ 1987, 409, juris RdNr. 17). Aus der Begründung des Bebauungsplans geht nicht hervor, dass die Festsetzung der Lage der Tiefgarage mit einer Zufahrt am ...weg dem Nachbarschutz dienen sollte. Sie war vielmehr, wie der Antragsgegner zu Recht im Schriftsatz vom 15. Januar 2015 argumentiert, Ausdruck städtebaulicher Überlegungen. Der Bevollmächtigte der Antragsteller trägt vor, dass unter Punkt 4.4.5 der Begründung des Bebauungsplans vorgesehen sei, dass die Quartiere mit Tiefgaragen grundsätzlich autofrei sein sollen. Dies bezieht sich aber darauf, dass oberirdisch keine Stellplätze für Fahrzeuge vorgesehen werden. In diesem Zusammenhang ist die weitere Begründung zu sehen, dass das autofreie Wohnumfeld maßgeblich zur Qualität der Gebiete beiträgt. Dass die Lage der Tiefgaragenausfahrt gerade am ...weg zur Autofreiheit beitragen soll, steht in der Begründung gerade nicht. Die Befreiung vom Bebauungsplan dürfte auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (§ 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 15 BauNVO). Vorhaben, von denen Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets unzumutbar sind, sind nach § 15 Absatz 1 Satz 2 BauNVO unzulässig. Nach dem von der Behörde zugrunde gelegten Lärmgutachten vom 4. Juli 2014 werden die zugrunde zu legenden Immissionsrichtwerte der TA Lärm an den Immissionspunkten eingehalten. Selbst wenn man das Gutachten vom 2. Juli 2014 heranziehen würde, würden zwar bei den Immissionspunkten 01 und 03 (beide nördlich der ...-Straße) die Lärmwerte nicht eingehalten. Die Antragsteller können sich aber nur auf eine Überschreitung von Immissionsrichtwerten auf ihrem Grundstück, nicht auf anderen Grundstücken berufen. Am südlich der ...-Straße direkt bei der Tiefgarage gelegenen Immissionspunkt 04 (...-Str. 20) wird der Immissionsrichtwert hingegen eingehalten. Demnach ist dies erst recht beim Grundstück der Antragsteller der Fall, das östlich vom Immissionspunkt 04 auf Haus-Nr. 22 und damit noch weiter von der Tiefgaragenausfahrt entfernt, liegt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt, weswegen ihre außergerichtlichen Kosten nicht den Antragstellern auferlegt werden können (§ 162 Abs. 3 VwGO, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs.
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