Erhard Metz, Feuilleton Frankfurt Charlotte McGowan-Griffin in der Galerie Maurer „From Sarsaparilla to Sorcery“: Papierschnitt-Arbeiten Darf man heute von einer zeitgenössischen künstlerischen Arbeit sagen, dass sie von grosser Schönheit ist, ohne dafür sogleich von gestrengen Kunstkritikastern getadelt und, wenn man noch dazu Publizist ist, auf den Index gesetzt zu werden? Nun, wir fürchten weder Tadel noch Index und bekennen, was Sache ist: die Papierschnitt-Arbeiten der britischen Künstlerin Charlotte McGowan-Griffin sind hinreissend schön! Nun fusst auch der heutige, künstlerische Papierschnitt auf dem alten, von China nach Europa überkommenen Scherenschnitt, der Psaligraphie, die hierzulande in der Goethezeit eine Blüte erlebte, aber auch in der Spätromantik und im Jugendstil anzutreffen ist. Danach wurde es stiller um dieses dem Kunsthandwerk zuzurechnende Metier. Erst in jüngerer Zeit besinnen sich – überwiegend – Künstlerinnen auf diese alte Technik und überführen sie aus kunsthandwerklicher Tradition in eine eigenständige freie künstlerische Formensprache. So hatte FeuilletonFrankfurt wiederholt Gelegenheit, sich mit der atemberaubenden Schnittmeisterei von Corinna Krebber auseinanderzusetzen, die literarische und philosophische Texte mit unglaublicher Präzision und Geduld zu gefühlt unendlich langen PapierbuchstabenKetten ausschneidet und diese zu skulpturalen räumlichen Installationen formt, das geschriebene Wort wie auch dessen Gehalt also gleichsam zu einem körperlichen Gedankenraum transformiert. Oder mit den Scherenschnitten, die Valentina Stanojev mit nicht minderer Präzision und Geduld animiert und zu abenteuerlichen, vexierenden Filmsequenzen komponiert. Nicht zuletzt im Blick auf Charlotte McGowan-Griffins kombinierte Papier-Schnitt- und prägetechnik seien in diesem Zusammenhang auch die zuvor so noch nie gesehenen Papierprägearbeiten von Aja von Loeper erwähnt. Doch zurück zu Charlotte McGowan-Griffin, seit vielen Jahren Galeriekünstlerin bei Brigitte Maurer: In den zwei als Paar ausgestellten grossformatigen collagierten Papierschnitt- und prägearbeiten fügt sie die fünf platonischen Körper – Tetraeder, Hexaeder, Oktaeder (vulgo „Würfel“), Dodekaeder und Ikosaeder – in eine paradiesische Blattwerkszenerie mit Papageien ein. Platon, ein Schüler des Sokrates, verband vier dieser Körper mit seinem philosophischen System, mit dem er die Welt beschrieb, wobei das Tetraeder für Feuer, das Hexaeder für Erde, das Oktaeder für Luft und das Ikosaeder für Wasser stand. Im Sinne der Aristotelischen Lehre (Aristoteles war wiederum ein Schüler von Platon) stand schliesslich das Dodekaeder für Äther. Eine grossartige Arbeit in ihrer Verbindung von antikem philosophischem Wissen und biblischparadiesischer Schöpfungserzählung, die als ein Diptychon gesehen werden will. Charlotte McGowan-Griffin schneidet bei ihren Papierschnitten nicht aus dem Papier heraus, sondern in das Material hinein. „Cutting in“ sei, so die Künstlerin, die präzisere Beschreibung ihrer dreidimensionalen Arbeitsweise. „Ich versuche nicht ein Bild aus dem Papier herauszuarbeiten, sondern Einschnitte in die sichtbare Oberfläche des Materials Papier zu schneiden, als einen Versuch, in einem kurzen Augenblick meine inneren (bewussten und unbewussten) Prozesse sichtbar zu machen. Das Zusammenspiel zwischen äusserem und innerem Druck zeigt sich besonders in meinen aktuellen Arbeiten, deren zentrales Element Spiralen oder Wirbel sind. Dieser dynamische Dualismus verweist auf Parallelen im klassischen Silhouetten-Scherenschnitt (positiv/negativ, hell/dunkel, versteckt/enthüllt).“ McGowanGriffin arbeitet dabei mit speziellen Skalpellen. Mit einem Werkzeug also, dessen Aufgabe es im Grunde ist, Verletzungen zu bewirken, schafft sie mit dem ohnehin empfindlichen, zumeist wenig stabilen Material Papier filigrane Werke, zu deren Merkmalen wiederum die Verletzbarkeit zählt. Arbeiten dieser Art erfordern deshalb zweckmässiger Weise eine vor Staub und Berührung geschützte Unterbringung in Objektrahmen mit geeigneten Abstandsleisten, am besten aus Acrylglas. Die für die noch bis zum 31. Oktober 2015 laufende Ausstellung titelgebende Arbeit „From Sarsaparilla to Sorcery“ musste gegenüber ersten Überlegungen in ihrer Grösse dem verfügbaren Galerieraum angepasst werden. Sie entführt uns gleichwohl in ein geheimnisvolles Welttheater, in ein phantasievolles Universum voller poesivoller Magie und Zauber. Zum ersten Mal verwendet McGowan-Griffin ein besonders dünnes und dennoch opakes sogenanntes Bibeldruckpapier. Filigrane Papierbahnen hängen wie zartester Voile in einem Halbkreis auf den Boden herab, offene und verdeckte mattglasige Glühbirnen verleihen dem sich in zwei goldenen, mundgeblasenen Glaskugeln spiegelnden Raum eine feierliche, spirituelle Atmosphäre. Dazu tragen die auf zwei schwarzen Podesten kunstvoll drapierten wie aufgeschlagen aufeinanderliegenden, zum Teil mit goldenen Markierungen versehenen Bücher bei, das eine wohl ein Band aus der Encyclopaedia Britannica. Ein Gespinst aus feinsten Seidenraupenfäden hebt sich, golden schimmernd, vor dem Schwarz eines Podestes ab. Sorcery: Zauberei, Magie, gar Hexerei? Und was ist mit Sarsaparilla, jenem seit alters her bekannten, einst als Heilmittel gegen Syphilis verwendeten, bei Genuss harn- und schweisstreibenden wie blutreinigenden, noch heute in der Homöopathie genutzten Stechwindengewächs, dessen Name Dosen und Flaschen höchst merkwürdiger amerikanischer Getränke tragen? „The Origin of the World“: Und wieder können wir gar nicht anders als den Begriff der Schönheit der Arbeit zu bemühen. Wir erinnern uns: von einem Zusammenspiel zwischen äusserem und innerem Druck sprach die Künstlerin, welches sich besonders in ihren aktuellen Arbeiten zeige, deren zentrales Element Spiralen oder Wirbel seien. Gewaltig-eruptiv bricht es nun aus der schwarzen Fläche hervor, gezündet vom Urknall, sich in Raum und Zeit expandierend. Ein urelementarer Donnerschlag, zur Skulptur geformt. Und doch auch wieder zart, verletzbar in seinem Material, bedürftig, hinter schützendem Glas vor Berührung, vor putzwütigem Reinigungspersonal und ähnlichen Unbilden des Alltags bewahrt zu werden. Ein Widerspruch, faszinierend, den es auszuhalten gilt! Chapeau! Charlotte McGowan-Griffin, 1975 in London geboren, studierte am Goldsmiths College London mit dem Abschluss Bachelor of Fine Art sowie an der Londoner AFECT (Advancement of Film Education Charitable Trust) 16mm film school. Die Künstlerin, die in London und Berlin lebt und arbeitet, stellt seit 1998 vielfach weltweit aus. In Deutschland ist sie bekannt durch Ausstellungen in Aschaffenburg, Baden-Baden, Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Heidelberg, Karlsruhe und Offenbach. Charlotte McGowan-Griffin: „From Sarsaparilla to Sorcery“, Papierschnitt-Arbeiten, Galerie Maurer, nur noch bis 31. Oktober 2015
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