Charlotte Salomon ist die Frau meines Lebens.« David Foenkinos

»Charlotte Salomon ist die Frau meines Lebens.«
David Foenkinos
Über seinen Roman, die deutsche Malerin Charlotte Salomon und ihr Werk
Kennen Sie Charlotte Salomon? Seit vielen Jahren treibt die junge Frau David Foenkinos
um, raubt ihm nachts den Schlaf, geistert durch seine Romane. Sie könnte heute zu den
bedeutenden deutschen Künstlern des 20. Jahrhunderts gehören, mit Paula ModersohnBecker, Marc Chagall und anderen in einem Atemzug genannt werden. »Die Vorstellung,
was aus ihr hätte werden können, wäre sie nicht ihrer jüdischen Herkunft wegen von den
Nazis ermordet worden, ist zum Verzweifeln« (FAZ). Wie durch ein Wunder überlebten ihre
Bilder den Krieg und befinden sich heute im Joods Historisch Museum in Amsterdam.
Charlotte Salomon hatte sie kurz vor ihrer Deportation im südfranzösischen Exil einem
Vertrauten übergeben mit den Worten »Das ist mein ganzes Leben«. Was ist es nun an
diesem kurzen Leben, das einen französischen Bestsellerautor der Gegenwart nicht
loslässt? 1917 in Berlin geboren, wächst Charlotte als einziges Kind in einer bürgerlichen
Familie auf. Als sie neun Jahre alt ist, nimmt sich ihre Mutter das Leben. Fortan wird das in
sich gekehrte, verträumte Kind von wechselnden Kindermädchen betreut – allein Fräulein
Hase gelingt es, ihr Herz zu erobern. Nach der Heirat des Vaters, eines angesehenen
Chirurgen, mit der gefeierten Opernsängerin Paula Lindberg gehen eine Zeit lang berühmte
Künstler und Wissenschaftler bei den Salomons ein und aus. Doch die Machtergreifung der
Nazis 1933 bereitet dem illustren Treiben ein jähes Ende. Der Vater verliert seine
Lehrbefugnis, die Stiefmutter ihre Engagements, Charlotte muss kurz vor dem Abitur die
Schule verlassen. Glücklicherweise entdeckt sie im selben Jahr ihre Begeisterung für die
Malerei und findet damit einen Weg, der düsteren Wirklichkeit zu entfliehen. Dank ihrer
außergewöhnlichen Begabung gelingt es ihr, als eine der letzten Jüdinnen 1935 an der
Berliner Kunstakademie zugelassen zu werden. Doch die politische Lage spitzt sich zu, 1939
flieht sie zu den Großeltern nach Villefranche in Südfrankreich. Dort malt sie in einem
wahren Schaffensrausch einen Zyklus mit über tausend Gouachen expressionistischen Stils,
in denen sie ihr ganzes Leben wie in einer Bildergeschichte erzählt. Leben? Oder Theater?
betitelt sie dieses »Singspiel«. Sie verliebt sich in einen österreichischen Exilanten, heiratet.
1943 werden die beiden denunziert, und Charlotte wird – im fünften Monat schwanger – in
Auschwitz vergast.
Über sechzig Jahre später sieht David Foenkinos ihre Bilder in einer Ausstellung. Die
jüdische Malerin war ihm bis dahin nicht bekannt, doch beim Anblick ihrer Gemälde ist er
überwältigt vom Gefühl einer alten Vertrautheit. Es ist, so Foenkinos, eine Liebe auf den
ersten Blick. In Charlotte Salomons Werk erkennt er ein Thema, das ihn seit Jahren bewegt:
Wie man Trauer überwinden, wie man nach oder im Angesicht der Katastrophe
weitermachen kann. Denn wenngleich seine bisherigen Romane als »Inbegriff der
legendären französischen Leichtigkeit « gelten (Deutschlandradio) und in einem heiterburlesken Ton über die Liebe mit all ihren Begleiterscheinungen räsonieren, ist ihnen immer
auch etwas Existenzielles zu eigen. Die FAZ schrieb einmal, sie seien »so etwas wie
literarische Pendants zu dem Kinofilm Ziemlich beste Freunde«, und Foenkinos selbst sagte
in einem Interview: »Man muss, koste es, was es wolle, die Dinge ins Positive drehen.« Im
Leben Charlotte Salomons ist für ihn dieser Gedanke gewissermaßen auf die Spitze
getrieben. Denn durch die Kunst gelang es ihr nicht nur, der fatalen familiären Veranlagung
zum Selbstmord zu widerstehen, sondern noch in größter Bedrängnis den Mut nicht zu
verlieren. Foenkinos begibt sich also in den folgenden Jahren auf ihre Spuren, reist an die
Orte ihres Lebens, macht unablässig Notizen und ringt um die richtige Form, die richtige
Sprache, um über sie zu schreiben.
Im Herbst 2014 ist es endlich so weit, Charlotte erscheint in Frankreich. Und verblüfft mit
seiner ungewöhnlichen Form: Jeder Satz beginnt in einer neuen Zeile. Foenkinos begründet
dies mit dem Bedürfnis, beim Erzählen innezuhalten, Atem zu holen. Doch nicht nur in dieser
Hinsicht ist der Text überraschend. Häufiger als sonst meldet der Autor sich in diesem
Roman zu Wort, erzählt von Erlebnissen und Begegnungen während seiner jahrelangen
Recherchen. Foenkinos wagt viel – und gewinnt: Mit seiner poetischreduzierten Sprache,
seiner hohen Emotionalität, der Mischung von Tatsachen und Fiktion begeistert das Buch
Leser und Kritiker. Kurz nach Erscheinen führt es die Top Ten der französischen
Bestsellerliste an, erhält den renommierten Prix Renaudot und den Prix Goncourt des
lycéens und verkaufte sich mittlerweile eine halbe Million Mal. Im Leben Charlotte Salomons
gab es immer wieder Menschen, die sie unterstützten, die an sie glaubten. Mit seinem neuen
Roman reiht David Foenkinos sich unter sie ein, denn schon jetzt hat das Buch dazu
beigetragen, dass sich Charlottes Spuren in der Gegenwart verdichten. Noch dieses Jahr
werden in Südfrankreich Plaketten angebracht an Orten, an denen sie lebte – in Gegenwart
von Foenkinos. Sein Wunsch, dass noch viele Menschen ihre einzigartige Geschichte
kennenlernen, scheint sich zu erfüllen ...
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